2012, Heft 18, S. 5-15 - PRuF
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MIP <strong>2012</strong> <strong>18</strong>. Jhrg. Lazaros Miliopoulos – Eine neue Identitätsbestimmung konservativer Parteien in Europa? Aufsätze<br />
mension sind die ostmitteleuropäischen Spielarten<br />
seit jeher deutlich autoritätszentrierter aufgestellt<br />
als ihre westeuropäischen Pendants. Kulturelle<br />
Konflikte erreichen transformationsbedingt<br />
eine wesentlich höhere Salienz und Prägekraft<br />
für den Parteienwettbewerb als in Westeuropa<br />
(Dieringer/Õispuu 2008: 63). In der sozioökonomischen<br />
Konfliktdimension zudem sind – mit<br />
Ausnahme der ODS – die ostmitteleuropäischen<br />
Konservativen staatsallokativer und entlang der<br />
nationspolitischen Spannungslinie viel homogenitätsorientierter<br />
aufgestellt als der Liberalkonservativismus<br />
in Westeuropa (Dieringer/Õispuu<br />
2008: 64f.). Die polnische PiS z.B. ähnelt in ihrer<br />
stärker nationalkonservativen Europaprogrammatik<br />
und staatsallokativen Ausrichtung<br />
mehr der neogaullistischen Formation Anfang<br />
der 1980er Jahre als ihren britischen (und tschechischen)<br />
Bundesgenossen in der AECR. Insgesamt<br />
steht die ECR-Fraktion wohl weiter rechts<br />
und ist euroskeptischer als die UEN 2004-2009,<br />
während die EVP ohne die ehemaligen ED-Mitglieder<br />
proeuropäischer denn je ausgerichtet ist<br />
und in diesem Punkt ideologisch enger mit der<br />
ALDE zusammenrückt (Hix 2009: 4). Es bleibt<br />
abzuwarten, inwieweit die Haltung der Briten<br />
zum Türkeibeitritt oder ihre strikte Abgrenzungsstrategie<br />
gegen Parteien wie die fundamentalistische<br />
niederländische „Staatlich-Reformierte<br />
Partei“ (SGP) oder die rechtspopulistische<br />
Vlams Belang, deren Eintritte in die ECR-Fraktion<br />
von den rechtskonservativen Bündnispartnern<br />
anfänglich vorgeschlagen wurden, aber am britischen<br />
Veto gescheitert sind, in Zukunft für Friktionen<br />
Anlass geben werden. Zudem nehmen die<br />
britischen Konservativen eine reservierte Haltung<br />
ein hinsichtlich der Homosexuellenpolitik<br />
der PiS oder der Verehrung, die lettischen Widerstandskämpfern<br />
aus den Reihen der Waffen-SS<br />
im Zweiten Weltkrieg in der TB/LNNK<br />
entgegengebracht wird (Riedel 2008: 24), wenn<br />
auch diese Positionen gegen Angriffe von außen<br />
von den Briten in Schutz genommen werden<br />
(Kirkhope 2009). Aufgrund von Bedenken gegen<br />
diese Linie trat bei der Wahl für das Amt des Vizepräsidenten<br />
des Europäischen Parlamentes der<br />
konservative britische Europaabgeordnete Edward<br />
McMillan-Scott gegen seinen eigenen polnischen<br />
Fraktionskollegen Michał Kamiński an.<br />
Nachdem McMillan-Scott von den anderen<br />
Fraktionen gewählt wurde, kam es zu dessen<br />
Ausschluss aus der eigenen Fraktion. Er ist inzwischen<br />
zu den britischen Liberaldemokraten<br />
(also zur ALDE-Fraktion) gewechselt. Kamiński<br />
überließ die ECR-Fraktion als Kompensation<br />
das Amt des Fraktionsvorsitzenden, obwohl dafür<br />
anfänglich nur britische Kandidaten (Timothy<br />
Kirkhope, Geoffrey van Orden) vorgesehen<br />
waren.<br />
Mit der innenpolitischen Agenda der ungarischen<br />
Regierungspartei Fidesz unter Viktor Orbán<br />
haben solcherart Konfliktpotentiale bereits<br />
über die AECR hinaus an Bedeutung zugenommen<br />
und könnten auch auf die EVP übergreifen.<br />
In der AECR jedoch ist ebenso eine entgegengesetzte<br />
Wirkung zu konstatieren: Ende 2010 trat<br />
Kamiński aus der PiS aus und gründete zusammen<br />
mit anderen PiS-Politikern die neue Partei<br />
„Polen ist das Wichtigste“ (PJN), die sich eine<br />
gemäßigtere konservative Ausrichtung gibt. Kamiński<br />
indes war klug genug, vom Amt des<br />
ECR-Fraktionsvorsitzenden zurückzutreten, um<br />
die innerpolnischen Auseinandersetzungen nicht<br />
in die AECR zu tragen. Im Dezember 2011 wurde<br />
der britische Europaabgeordnete Martin<br />
Callanan zu Kamińskis Nachfolger gewählt. So<br />
konnte die PJN AECR-Mitglied werden und die<br />
größere und mächtigere PiS (die PJN erreichte<br />
bei den jüngsten polnischen Parlamentswahlen<br />
2011 nur 2,2%) der Allianz dennoch erhalten<br />
bleiben.<br />
Ob der ostmitteleuropäische „Vaterlands-Unionismus“<br />
sich als Trendsetter erweisen oder umgekehrt<br />
von einem westeuropäischen Marktliberalismus<br />
überlagert wird, ist eine zentrale Frage.<br />
Am wahrscheinlichsten galt lange Zeit ein impact<br />
zwischen einem in Schweden und Großbritannien<br />
beobachtbaren sich mäßigenden Marktliberalismus<br />
– Stichworte: compassionate conservativism,<br />
flexicurity, ökologischer Konservativismus<br />
(Perger 2008: 10) – und einem sich mäßigenden<br />
Nationalpopulismus in Ostmitteleuropa<br />
(Dieringer/Õispuu 2008), wie er sich z.B. in Bulgarien<br />
zeigt und zwischenzeitlich auch in Polen<br />
gezeigt hat. Doch die erneute Radikalisierung<br />
der polnischen PiS unter Jarosław Kaczyński<br />
nach den jüngsten verlorengegangenen Parla-<br />
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