2012, Heft 18, S. 5-15 - PRuF
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Aufsätze Lazaros Miliopoulos – Eine neue Identitätsbestimmung konservativer Parteien in Europa? MIP <strong>2012</strong> <strong>18</strong>. Jhrg.<br />
Wichtiger jedoch als der harte Euroskeptizismus<br />
ist unter konservativen Parteien die weiche Variante,<br />
die sich im Falle der britischen, tschechischen<br />
und isländischen Konservativen mit dem<br />
programmatischen Eintreten für Freihandel,<br />
Westintegration, Atlantizismus und Antikommunismus<br />
verbindet (Morris 1996: 130). Dabei<br />
muss diese Form des Euroskeptizismus in diachroner<br />
Perspektive differenziert werden. Galten<br />
die Tories in den 1960er und 1970er Jahren als<br />
Europapartei in der Tradition Harold Macmillans<br />
und Edward Heaths – freilich damals schon gegen<br />
innerparteiliche Widerstände (Anti Common<br />
Market League, Lord Beaverbrook, Enoch Powell)<br />
– wandten sie sich in den 1980er Jahren<br />
zusammen mit der dänischen KFP gegen die Supranationalisierung<br />
(Morris 1996: 126, 131-133;<br />
Crowson 2007: 28-44, 47-50, 108f.). Als mit der<br />
Realisierung des Binnenmarktprojektes für die<br />
britischen Konservativen der Zenit der europäischen<br />
Vertiefung erreicht wurde, wehrten sie<br />
sich erst recht gegen weitergehende Schritte Anfang<br />
der neunziger Jahre (Maastricht-Projekt).<br />
Die dänische KFP als damalige Regierungspartei<br />
hingegen unterstützte das Maastricht-Projekt<br />
(Einführung der WWU, Sozialprotokoll), weil<br />
sie ein Junktim zwischen dem Inkrafttreten des<br />
Vertrages und dem aus regionalen Gründen bejahten<br />
Projekt der EU-Norderweiterung sah<br />
(Müller 2005: 42). Allerdings erlitt sie mit ihrer<br />
Linie in der dänischen Volksabstimmung 1992<br />
eine Niederlage, so dass sie zusammen mit den<br />
Briten eine opting-out-Klausel aushandeln musste.<br />
Auch die RPR, die aus gleichgewichtspolitischen<br />
Erwägungen für das Maastrichter Projekt<br />
eintrat, stand unter enormen Druck: Das vom<br />
schillernden Euroskeptiker, Financier und Begründer<br />
der UK Referendum Party James Goldsmith<br />
(verstorben 1997) finanzierte Parteienbündnis<br />
Majorité pour l‘Autre Europe konnte bei den<br />
Europawahlen 1994 einen aufsehenerregenden<br />
Wahlerfolg feiern (Lord 1998: 124; Rill 2000:<br />
40; Petithomme 2009: 75).<br />
3.2 Nationalkonservativismus im Osten vs.<br />
Liberalkonservativismus im Westen<br />
Insgesamt lassen sich im konservativen Spektrum<br />
neben der europapolitischen Spannungslinie<br />
(europragmatisch – euroskeptisch) drei wei-<br />
66<br />
tere ausmachen: eine wirtschaftspolitische (wirtschaftsliberal<br />
– staatsallokativ), eine nationspolitische<br />
(multikulturell – monokulturell) und eine<br />
gesellschaftspolitische (gemäßigt-/autoritär – traditional).<br />
Für den Fall, dass mindestens zwei von<br />
vier Ausprägungen zum zweitgenannten Pol tendieren,<br />
kann eine Zuordnung zum Rechtskonservativismus<br />
angenommen werden. Die moderaten<br />
AECR-Parteien (Tories, ODS, MDF) stehen in<br />
dieser Logik rechtskonservativen Parteien gegenüber<br />
(PiS, ChristenUnie, TB/LNNK). Doch<br />
auch in der EVP sind Parteien vertreten, die als<br />
rechtskonservativ im o.g. Sinne einzustufen sind.<br />
Dabei handelt es sich – wie bei der AECR – fast<br />
ausnahmslos um ostmitteleuropäische Parteien:<br />
die ungarische FIDESZ, die litauische „Vaterlandsunion“,<br />
die lettische „Bürgerunion“ oder<br />
die assoziierte HDZ aus Kroatien. 4 Dies zeigt<br />
deutlich, dass das Spannungsverhältnis zwischen<br />
Ost und West auch die EVP tangiert, zumal mit<br />
der CSU, der slowakischen „Christlich-Demokratischen<br />
Bewegung“ (KDH) und der ungarischen<br />
„Christlich-Demokratischen Volkspartei“<br />
(KDNP) auch drei genuin christdemokratische<br />
Parteien einen spezifisch christkonservativen<br />
Euroskeptizismus aufweisen (Marks/Wilson<br />
2000: 452). 5 Mit der „Demokratischen Partei<br />
Serbiens“ (DSS) von Vojislav Koštunica – nicht<br />
zu verwechseln mit der „Demokratischen Partei“<br />
(DS) von Zoran Đinđić und Boris Tadić – ist sogar<br />
eine euroskeptisch-nationalkonservative Partei,<br />
wenn auch nur assoziiertes Mitglied der<br />
EVP.<br />
Ganz allgemein lässt sich also eine Polarität zwischen<br />
ost- und westeuropäischem Konservativismus<br />
beobachten: In der kulturellen Konfliktdi-<br />
4 Auch die rumänische, vom Medienmogul Dan Voiculescu<br />
gesteuerte Partidul Conservator (PC) gehört seit ihrer<br />
Umbenennung 2005 (von Partidul Umanist Romȃn in<br />
PC) zur Gruppe der kulturell rechtskonservativen Parteien,<br />
die zugleich nicht euroskeptisch sind. Die Partei<br />
stellt aber einen Sonderfall dar, da sie sozialpolitisch<br />
linksorientiert ist und regelmäßig Listenverbindungen<br />
mit den Sozialisten eingeht (Olteanu 2008: <strong>15</strong>9).<br />
5 Zu den anderen christdemokratischen, allesamt integrationsfreundlichen<br />
Parteien Ostmitteleuropas gehören<br />
die österreichische ÖVP, die slowenische NSI, ehemals<br />
SKD, die tschechische KDU-CSL, ehemalige slowakische<br />
SDKÚ, die assoziierte Schweizer CVP und<br />
die assoziierte kroatische HSS/HSLS.