2012, Heft 18, S. 5-15 - PRuF

2012, Heft 18, S. 5-15 - PRuF 2012, Heft 18, S. 5-15 - PRuF

02.12.2012 Aufrufe

Aufsätze Lazaros Miliopoulos – Eine neue Identitätsbestimmung konservativer Parteien in Europa? MIP 2012 18. Jhrg. Als auch die dänische KFP mit einem Wechsel zur EVP nachzog, sahen sich die britischen Konservativen zu einem Anschluss zumindest an die Fraktion der EVP gezwungen, so dass sich 1992 eine gemeinsame EVP-ED-Fraktion bildete, die eine große Anziehungskraft entfaltete: So wechselte die portugiesische Partido Social Democrata (PSD) 1996 vom liberalen Zusammenschluss in die EVP, nachdem die traditionell rechtsorientierte CDS-PP aufgrund eines strikten euroskeptischen Kurses 1993 ausgeschlossen wurde (Delwit 2004: 154). Zudem fanden die protestantisch-christkonservativen Parteien aus Skandinavien jetzt Aufnahme – die dänischen und schwedischen Christdemokraten 1993 und 1995 als Vollmitglieder, die norwegische Kristelig Folkeparti und die finnischen Christdemokraten 1999 und 2001 als Beobachter. Auch die Neogaullisten, die ihre zwischenzeitlich in Union for (People’s) Europe unbenannte Fraktion um die von Silvio Berlusconi gegründete Forza Italia, die CDS-PP, die nationalkonservative Partei „Politischer Frühling“ aus Griechenland (POL.AN.) und die rechtspopulistische Dansk Folkeparti (DF) erweitert hatten, traten 1999 mit den Italienern in die EVP ein (Lord 1998: 123). Für die EVP stellte die Einbeziehung der Forza Italia eine strategische Herausforderung in mehrfacher Hinsicht dar. Zum einen galt es, alle Mitgliedsparteien für diesen Kurs zu gewinnen (Widerstände kamen insbesondere von den italienischen Christdemokraten) und auch gegenüber der damaligen Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) Zeit zu gewinnen, die für den Fall einer Aufnahme zeitweilig damit drohte, jegliche Zusammenarbeit mit der EVP im Europäischen Parlament aufzukündigen. Die RPR kam angesichts dieser Umstände zur Einsicht, dass es förderlich sein könnte, die „eigene“ UFE/UPE-Fraktion als Brücke zu nutzen, um die Forza Italia einzubinden. Mit den 1999 erfolgten Eintritten der Franzosen und Italiener wurde die Grundlage geschaffen zur langfristigen Sammlung einer ganzen Bandbreite der romanischen Rechten unter dem Dach der EVP (Oppelland 2010: 91), u.a. der rechtsliberalen Teile der auseinandergebrochenen Zentristen-Partei Union pour la Démocratie 62 Française (UDF), der italienischen Alleanza Nationale, die 2009 mit Forza Italia zur Popolo della Libertà (PdL) fusionierte bis hin zu den kleineren ehemaligen Anti-Maastricht-Parteien Rassemblement pour La France (RPF) um Charles Pasqua und dem Mouvement pour la France (MPF) um Philippe de Villiers, die 2002 bzw. 2009 von der RPR bzw. deren Nachfolgepartei Union pour un Mouvement Populaire (UMP) unter Nicolas Sarkozy aufgesogen wurden. Der Restbestand der alten französisch dominierten UFE/UPE-Fraktion namens Union for Europe of the Nations (UEN) wurde allmählich ausgedünnt und musste sich trotz zwischenzeitlicher Neuzugänge polnischer und lettischer Rechtsparteien 2009 auflösen. Mit und nach der Osterweiterung 2004 traten zudem fast alle wichtigen nicht-christdemokratischen konservativen Parteien Ostmitteleuropas in die EVP ein, insbesondere die tschechische ODS, die ungarische Fidesz, die polnische Bürgerplattform und die bulgarische GERB. Nach dem Absturz der „Christdemokratisch-Nationalen Bauernpartei“ in Rumänien (PNTCD) wurden zudem Konservative aufgenommen, welche aus der einst christsozialen Partidul Democrat hervorgingen und sich mit Kräften der Nationalliberalen Partei (PNL) zur konservativen „Liberaldemokratischen Partei“ (PD-L) zusammenschlossen. Auch die portugiesische CDS-PP näherte sich nach 2004 erneut der EVP an und trat 2009 wieder ein. b) Gegenläufige Entwicklung: Christdemokratisch-konservative Divergenzen und die Gründung der AECR 2009 Konnte lange Zeit also eine deutliche Annäherung zwischen Christdemokraten und Konservativen beobachtet werden, so änderte sich dies in der jüngsten Vergangenheit. Die Rate des abweichenden Stimmverhaltens der Briten in der EVP- ED-Fraktion erreichte in der Legislaturperiode 1999-2004 einen Wert von 30 Prozent (Hix 2005: 190). Die britischen Konservativen waren unzufrieden mit der integrationsfreundlichen Ausrichtung der EVP und dem konsensdemokratischen Duopol im Europäischen Parlament zwischen EVP und SPE (Lord 1998: 121f.). Im

MIP 2012 18. Jhrg. Lazaros Miliopoulos – Eine neue Identitätsbestimmung konservativer Parteien in Europa? Aufsätze Lichte zunehmender Divergenzen und auseinanderdriftender Kohäsionswerte in der ehemaligen EVP-ED-Fraktion (Thierse 2010: 36f.; Hix 2009: 4; Delwit 2004: 151-154; Faas 2003: 856) war die Abspaltung der Konservativen, zumal der euroskeptischen Parteien, eine Frage der Zeit. Unter David Cameron nutzten die britischen Tories schließlich die Osterweiterung und gründeten 2006 mit der tschechischen ODS aus der EVP-ED-Fraktion heraus das euroskeptische Movement for European Reform (MER). In enger Zusammenarbeit und Abstimmung mit dem tschechischen Premierminister Mirek Topolánek, dem tschechischen Staatspräsidenten und Veteranen des Euroskeptizismus Václav Klaus und der Ulster Unionist Party (UUP) aus der EVP-ED-Fraktion schuf Cameron so die Voraussetzungen zur Bildung einer eigenständigen Fraktion der Konservativen und Euroskeptiker im Europäischen Parlament. Nach den Europawahlen 2009 bildete sich auf diese Weise die neue Fraktion ECR, am 1. Oktober 2009 folgte die Gründung der AECR. Jan Zahradil von der ODS wurde zum Vorsitzenden, Daniel Hannan aus Großbritannien zum Generalsekretär der Partei gewählt. Der Prozess zur Bildung des MER als Vorläufer der AECR resultierte in erster Linie aus innerparteilichen Auseinandersetzungen der britischen Konservativen, die sich seit 1999 im Wettbewerb mit der United Kingdom Independence Party (UKIP) befinden, einer Abspaltung aus dem eigenen Lager, in welcher unter Führung von Nigel Farage der Austritt Großbritanniens aus der EU gefordert wird. Nach der Wahlniederlage John Majors gegen Tony Blair 1997 übernahmen die Euroskeptiker in der Konservativen Partei das Ruder und knüpften an Margaret Thatchers Reden in Brüssel 1988 und im britischen Unterhaus 1990 („No, No, No“-Rede) und den Kurs der Maastricht Rebels um William Hague, Ian Duncan Smith und Bill Cash, dem Gründer und Vorsitzenden der euroskeptischen European Foundation, an. Hague und Smith setzten sich 1997 und 2001 im Kampf um den Parteivorsitz gegen den europafreundlichen Kenneth Clarke durch und die Amtszeit des europafreundlichen Parteivorsitzenden Michael Howard währte nur zwei Jahre (2003-2005). Ohne Abstriche übernahm Cameron nach seiner Wahl 2005 zum Parteivorsitzenden, dabei von Hague energisch unterstützt, die Forderungen des euroskeptischen Flügels seiner eigenen Partei: • Einführung von verpflichtenden Referenden zur Ratifizierung aller europäischen Vertragsabschlüsse durch Abänderung des European Communities Act von 1972; • Gesetzesentwurf zur Souveränität des Vereinigten Königreiches (impliziert die Vorrangstellung des britischen Rechts vor EU- Recht); • vollständiger Rücktritt von der Europäischen Grundrechtecharta (z.Zt. wird die Charta in Großbritannien nicht angewandt) und von der Sozialcharta; • vollständige Kontrolle über das britische Strafjustizsystem. Cameron gab das Versprechen, ein Referendum zum Vertrag von Lissabon abhalten zu lassen, für den Fall, dass Premierminister Gordon Brown von der Labour Party noch vor dem Inkrafttreten des Vertrages von ihm abgelöst worden wäre. Nach seinem Wahlsieg bei den britischen Parlamentswahlen im Mai 2010 ernannte Cameron seine Mitstreiter Hague und Duncan Smith zum Außen- resp. Arbeitsminister. 2.2 2009 bis heute: Ein neues Kräftefeld des parteipolitischen Konservativismus in Europa Mit der AECR-Gründung hatte sich das konservative Spektrum in Europa völlig neu aufgestellt (Hrbek 2009: 203) mit weitreichenden Folgen: Hätten sich die Konservativen in Form der ECR nicht von der EVP abgespalten, so wäre 2009 eine absolute Mehrheit für die EVP-ED zusammen mit dem liberalen Parteienzusammenschluss „Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa“ (ALDE) erreicht worden. Die Gemeinsamkeiten zwischen Christdemokraten und Konservativen in wichtigen Politikbereichen können jetzt nicht mehr koordiniert werden wie bisher, obwohl die stärkere Fragmentierung des Europäischen Parlamentes durch den Zuwachs einer Reihe kleinerer rechtspopulistischer und 63

Aufsätze Lazaros Miliopoulos – Eine neue Identitätsbestimmung konservativer Parteien in Europa? MIP <strong>2012</strong> <strong>18</strong>. Jhrg.<br />

Als auch die dänische KFP mit einem Wechsel<br />

zur EVP nachzog, sahen sich die britischen Konservativen<br />

zu einem Anschluss zumindest an die<br />

Fraktion der EVP gezwungen, so dass sich 1992<br />

eine gemeinsame EVP-ED-Fraktion bildete, die<br />

eine große Anziehungskraft entfaltete: So wechselte<br />

die portugiesische Partido Social Democrata<br />

(PSD) 1996 vom liberalen Zusammenschluss<br />

in die EVP, nachdem die traditionell<br />

rechtsorientierte CDS-PP aufgrund eines strikten<br />

euroskeptischen Kurses 1993 ausgeschlossen<br />

wurde (Delwit 2004: <strong>15</strong>4). Zudem fanden die<br />

protestantisch-christkonservativen Parteien aus<br />

Skandinavien jetzt Aufnahme – die dänischen<br />

und schwedischen Christdemokraten 1993 und<br />

1995 als Vollmitglieder, die norwegische Kristelig<br />

Folkeparti und die finnischen Christdemokraten<br />

1999 und 2001 als Beobachter. Auch die<br />

Neogaullisten, die ihre zwischenzeitlich in Union<br />

for (People’s) Europe unbenannte Fraktion<br />

um die von Silvio Berlusconi gegründete Forza<br />

Italia, die CDS-PP, die nationalkonservative<br />

Partei „Politischer Frühling“ aus Griechenland<br />

(POL.AN.) und die rechtspopulistische Dansk<br />

Folkeparti (DF) erweitert hatten, traten 1999 mit<br />

den Italienern in die EVP ein (Lord 1998: 123).<br />

Für die EVP stellte die Einbeziehung der Forza<br />

Italia eine strategische Herausforderung in<br />

mehrfacher Hinsicht dar. Zum einen galt es, alle<br />

Mitgliedsparteien für diesen Kurs zu gewinnen<br />

(Widerstände kamen insbesondere von den italienischen<br />

Christdemokraten) und auch gegenüber<br />

der damaligen Sozialdemokratischen Partei<br />

Europas (SPE) Zeit zu gewinnen, die für den<br />

Fall einer Aufnahme zeitweilig damit drohte,<br />

jegliche Zusammenarbeit mit der EVP im Europäischen<br />

Parlament aufzukündigen. Die RPR<br />

kam angesichts dieser Umstände zur Einsicht,<br />

dass es förderlich sein könnte, die „eigene“<br />

UFE/UPE-Fraktion als Brücke zu nutzen, um die<br />

Forza Italia einzubinden.<br />

Mit den 1999 erfolgten Eintritten der Franzosen<br />

und Italiener wurde die Grundlage geschaffen<br />

zur langfristigen Sammlung einer ganzen Bandbreite<br />

der romanischen Rechten unter dem Dach<br />

der EVP (Oppelland 2010: 91), u.a. der rechtsliberalen<br />

Teile der auseinandergebrochenen Zentristen-Partei<br />

Union pour la Démocratie<br />

62<br />

Française (UDF), der italienischen Alleanza Nationale,<br />

die 2009 mit Forza Italia zur Popolo<br />

della Libertà (PdL) fusionierte bis hin zu den<br />

kleineren ehemaligen Anti-Maastricht-Parteien<br />

Rassemblement pour La France (RPF) um<br />

Charles Pasqua und dem Mouvement pour la<br />

France (MPF) um Philippe de Villiers, die 2002<br />

bzw. 2009 von der RPR bzw. deren Nachfolgepartei<br />

Union pour un Mouvement Populaire<br />

(UMP) unter Nicolas Sarkozy aufgesogen wurden.<br />

Der Restbestand der alten französisch dominierten<br />

UFE/UPE-Fraktion namens Union for<br />

Europe of the Nations (UEN) wurde allmählich<br />

ausgedünnt und musste sich trotz zwischenzeitlicher<br />

Neuzugänge polnischer und lettischer<br />

Rechtsparteien 2009 auflösen.<br />

Mit und nach der Osterweiterung 2004 traten zudem<br />

fast alle wichtigen nicht-christdemokratischen<br />

konservativen Parteien Ostmitteleuropas<br />

in die EVP ein, insbesondere die tschechische<br />

ODS, die ungarische Fidesz, die polnische Bürgerplattform<br />

und die bulgarische GERB. Nach<br />

dem Absturz der „Christdemokratisch-Nationalen<br />

Bauernpartei“ in Rumänien (PNTCD) wurden<br />

zudem Konservative aufgenommen, welche<br />

aus der einst christsozialen Partidul Democrat<br />

hervorgingen und sich mit Kräften der Nationalliberalen<br />

Partei (PNL) zur konservativen „Liberaldemokratischen<br />

Partei“ (PD-L) zusammenschlossen.<br />

Auch die portugiesische CDS-PP näherte<br />

sich nach 2004 erneut der EVP an und trat<br />

2009 wieder ein.<br />

b) Gegenläufige Entwicklung: Christdemokratisch-konservative<br />

Divergenzen und die<br />

Gründung der AECR 2009<br />

Konnte lange Zeit also eine deutliche Annäherung<br />

zwischen Christdemokraten und Konservativen<br />

beobachtet werden, so änderte sich dies in<br />

der jüngsten Vergangenheit. Die Rate des abweichenden<br />

Stimmverhaltens der Briten in der EVP-<br />

ED-Fraktion erreichte in der Legislaturperiode<br />

1999-2004 einen Wert von 30 Prozent (Hix<br />

2005: 190). Die britischen Konservativen waren<br />

unzufrieden mit der integrationsfreundlichen<br />

Ausrichtung der EVP und dem konsensdemokratischen<br />

Duopol im Europäischen Parlament zwischen<br />

EVP und SPE (Lord 1998: 121f.). Im

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!