2012, Heft 18, S. 5-15 - PRuF

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02.12.2012 Aufrufe

Aufsätze Thomas Bathge – Strategien von Regierungsmehrheit und Opposition in Untersuchungsausschüssen MIP 2012 18. Jhrg. seite angehören und durch einen eigenen Erweiterungsantrag und Beweisantrag vorgeladen wurden. Die Intensität der Auseinandersetzungen war in den Ausschüssen recht unterschiedlich. Während in den Ausschüssen „Freie Wähler“ oder „CDU- Spenden“ manche Zeugen sehr hart angegangen wurden, so dass diese sich teilweise gar bedroht fühlten und deshalb viele Fragen für unzulässig erklärt wurden, waren deutlich weniger derartiger Grenzüberschreitungen zum Beispiel in den Ausschüssen „Polizei“ und „Steuerfahnder“ zu verzeichnen. VII. Erweiterungsstrategien Die Bestimmung des Untersuchungsgegenstands ist ein Minderheitsrecht und deshalb von der Regierungsmehrheit im Normalfall – Ausnahme können verfassungrechtliche Bedenken sein – nicht zu verhindern. Das gilt für Einsetzungswie für Erweiterungsanträge. Auf ihrer Grundlage können neue Beweisanträge gestellt, neue Akten herangezogen und neue Zeugen vernommen werden. Für die Opposition bietet dieses Recht einigen strategischen Nutzen. Durch die Erweiterung ist es somit möglich, die Vorwürfe auf weitere Regierungsmitglieder auszudehnen und bestehende Vorwürfe gegen die Regierung und die parlamentarische Mehrheit im Antrag selbst und in der zugehörigen öffentlichen Debatte im Landtag zu wiederholen. Im Antrag kann zudem Kritik am bisherigen Verfahrensverlauf geäußert werden. So stellte die Opposition im „Bouffier-Ausschuss“ in ihrem Erweiterungsantrag den neuen Fragekomplexen eine ausführliche Beschwerde über die Verzögerungstaktik der Ausschussmehrheit voran. „Die Arbeit des Untersuchungsausschusses (…) wird bislang durch Abstimmungsverzögerungen, nachträgliche Korrekturen des Sitzungsprotokolls, Verschleierung von Abstimmungsinhalten und Wiederholungen von Abstimmungen erschwert.“ 16 Die Mehrheit muss sich somit entscheiden, ob sie sich enthält und damit den erhobenen Vorwürfen indirekt zustimmt, was sehr 16 Erweiterungsantrag Ua 15/1, Drs. 15/551, 11.11.1999. 56 unwahrscheinlich ist, oder ob sie den Antrag in dieser Form ablehnt. In beiden Fällen erreicht die Opposition ihr Ziel der Öffentlichkeit vorzuführen, dass die Mehrheit die Arbeit des Ausschusses verzögert. Eine bewusste Operation der Opposition an den Grenzen des Untersuchungsrechts führt hier zu strategischen Vorteilen, auch wenn die vorangestellte Begründung des Antrags im Hauptausschuss nachträglich fallen gelassen werden musste. Mit Erweiterungen des Untersuchungsgegenstands versucht die Opposition, das Interesse der Öffentlichkeit am Ausschuss zu erhalten, indem sie dem Thema neue Brisanz verleiht, um weiteren Druck auf die Regierung und die Koalition zu entfachen (Vgl. Germis 1988: 131). Ähnlich wie in der Einsetzungsphase begründete sie auch die Erweiterungen mit der Nichtbeantwortung von Fragekatalogen oder der Falschinformation durch die Regierung. Besonders eindrücklich geschah dies im Ausschuss „CDU-Spenden“, der viermal in teilweise schneller Folge erweitert wurde. Dabei spielte wohl die Überlegung eine Rolle, mit neuen Enthüllungen und Vorwürfen die FDP zu einem Austritt aus der Koalition zu veranlassen. Diese hatte auf einem Sonderparteitag zuvor erklärt, dass sie bei neuen Fakten den Fortbestand der Koalition überprüfen würde. 17 Auch für die Regierungsmehrheit stellen Erweiterungen ein sehr nützliches Instrument dar, mit dem sie den Untersuchungsgegenstand auch gegen den Willen der ursprünglichen Antragssteller des Untersuchungsausschusses verändern kann. 18 Mit diesen Erweiterungen nahm die Mehrheit die vorausgegangene Regierungszeit der rot-grünen Opposition in den Blick und wechselte die Rollen im Verfahren. So konnte die Mehrheit, auch noch gestützt auf ihre Beherrschung des Verfahrensablaufs, prominente Zeu- 17 Vgl. FDP: Bei neuen Tatbeständen neue Entscheidung, in: Frankfurter Rundschau, 6.3.2000. 18 Allerdings ist ein politischer „Gegenangriff“ eigentlich nicht erlaubt. Ob es sich um einen solchen oder um eine sinnvolle Ergänzung des Gegenstandes handelt, ist aber häufig nur schwer zu entscheiden (vgl. Badura, 1994: 200-203). Die Zustimmung der Antragssteller wird in den neuen Untersuchungsausschussgesetzen in den anderen Bundesländern und dem Bund für eine Erweiterung vorausgesetzt (vgl. Glauben/Brocker 2011: 127).

MIP 2012 18. Jhrg. Thomas Bathge – Strategien von Regierungsmehrheit und Opposition in Untersuchungsausschüssen Aufsätze gen aus den Reihen der Opposition vernehmen und zum „Gegenangriff“ übergehen. Sie hofft, dass den Vorwürfen die Schärfe genommen wird, wenn sie darauf verweist, dass der Sachverhalt schon in der Regierungszeit der jetzigen Opposition bekannt war (vgl. Kipke 1985: 98; vgl. Rotter 1979: 122). Mit den Ausschüssen „Polizei“ und „Steuerfahnder“ gelang es der absoluten CDU-Mehrheit in immerhin zwei von drei Untersuchungsausschüssen in der 16. Wahlperiode auf diese Weise ein Patt im Verfahren herbeizuführen und die ursprünglichen Vorwürfe gegen ihren Minister zu neutralisieren. Teilweise verzichteten die Kontrahenten ganz auf die Befragung prominenter Zeugen aus beiden Reihen. 19 Neben den geschilderten Verzögerungsmöglichkeiten wird die Mehrheit also initiativ und versucht ihrerseits die Opposition unter Druck zu setzen. VIII. Fazit und Bewertung der Strategien Die Strategien von Mehrheit und Opposition in den Untersuchungsausschüssen des Hessischen Landtags lassen sich nicht pauschal für jede Seite festlegen. Es gibt zwar auf der Koalitionsseite die Tendenz zur Verzögerung des Verfahrens, während die Opposition öffentlichkeitswirksam zu einer Personalisierungs- und Skandalisierungsstrategie neigt, dennoch sind auch strategische Rollenwechsel im Untersuchungsausschuss auf beiden Seiten zu konstatieren. So kann die Mehrheit das Instrument des Erweiterungsantrags nutzen, um die Untersuchung auf die Regierungszeit der Vorgängerregierung auszudehnen und ehemalige Minister der aktuellen Oppositionsparteien als Zeugen vernehmen, wenn sich dafür die Gelegenheit ergibt. Die Opposition steht dann eher auf der Verteidigerseite und muss „ihre“ Zeugen gegen Angriffe verteidigen. Auch kann die Opposition selbst den Ausschuss mit Blick auf einen Wahltermin verzögern oder von den Zeitspielstrategien der Mehrheit strategisch profitieren. 19 Entgegen der Ansicht von Steffani dienen die Anträge nicht nur der Verhinderung von Einseitigkeiten der Untersuchung (vgl. Steffani 1974: 470). Wann lohnt sich die Initiierung eines Untersuchungsausschusses für die Opposition? In welchen Fällen griff die Strategie der Personalisierung am besten? Für die Opposition lohnt sich die Initiierung vor allem bei direkter Verwicklung des Ministerpräsidenten oder eines Ministers in den vermeintlichen Missstand oder Skandal. Musterbeispiel ist der „CDU-Spendenskandal“. Hingegen ist der Nachweis von direkter Verantwortung des zuständigen Ministers für angebliche Missstände in der Verwaltung äußerst mühsam. Der Vorwurf der „second-order transgression“ an den Minister reichte oft aus, um günstige Einsetzungsbedingungen zu schaffen, trug aber im Verfahren deutlich kürzer („Polizei“, „Steuerfahnder“). Auch muss die hessische Opposition die Gegenstrategie der Erweiterung durch die Regierungsmehrheit ins Kalkül ziehen. Hieraus ergibt sich ein bremsender Effekt für den Untersuchungsausschuss aus oppositioneller Sicht. Themen mit Rückbezug in die eigene Regierungszeit eignen sich somit eher weniger für einen Untersuchungsausschuss. Der Erfolg der Opposition mit ihrer Personalisierungsstrategie soll hier anhand des Teilziels der öffentlichen Aufmerksamkeit in Form einer quantitativen Inhaltsanalyse20 gemessen werden. Mit Hilfe der Auswertung von Presseartikeln zweier hessischer Tageszeitungen, die das politische Meinungsspektrum im Hessischen Landtag gut abbilden und eine überregionale Bedeutung haben, lassen sich die oben genannten Thesen plausibilisieren. Eine einfache Auszählung der Presseartikel für die Dauer der Ausschüsse „Polizei“, „Steuerfahnder“, „Freie Wähler“ und „Bouffier“ in den Regionalteilen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Frankfurter Rundschau21 ergibt folgendes Bild: 20 Eine Form der quantitativen Inhaltsanalyse kann die einfache Erfassung der Häufigkeit von Presseartikeln zu bestimmten Sachverhalten sein (Vgl. Rucht/Hocke/ Oremus 1995: 263). 21 Herangezogen wurden Artikel aus der Stadtausgabe der Frankfurter Rundschau (Ressorts: Rhein-Main/ Hessen sowie Frankfurt) und die Rhein-Main Zeitung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Beginn der Zählung war das Datum auf dem jeweiligen Einsetzungsantrag, das Ende des Untersuchungszeitraums setzte das Datum des Abschlussberichts. Artikel mit weniger als zwei Hauptsätzen zum Thema wurden nicht erfasst. 57

Aufsätze Thomas Bathge – Strategien von Regierungsmehrheit und Opposition in Untersuchungsausschüssen MIP <strong>2012</strong> <strong>18</strong>. Jhrg.<br />

seite angehören und durch einen eigenen Erweiterungsantrag<br />

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Die Intensität der Auseinandersetzungen war in<br />

den Ausschüssen recht unterschiedlich. Während<br />

in den Ausschüssen „Freie Wähler“ oder „CDU-<br />

Spenden“ manche Zeugen sehr hart angegangen<br />

wurden, so dass diese sich teilweise gar bedroht<br />

fühlten und deshalb viele Fragen für unzulässig<br />

erklärt wurden, waren deutlich weniger derartiger<br />

Grenzüberschreitungen zum Beispiel in den<br />

Ausschüssen „Polizei“ und „Steuerfahnder“ zu<br />

verzeichnen.<br />

VII. Erweiterungsstrategien<br />

Die Bestimmung des Untersuchungsgegenstands<br />

ist ein Minderheitsrecht und deshalb von der Regierungsmehrheit<br />

im Normalfall – Ausnahme<br />

können verfassungrechtliche Bedenken sein –<br />

nicht zu verhindern. Das gilt für Einsetzungswie<br />

für Erweiterungsanträge. Auf ihrer Grundlage<br />

können neue Beweisanträge gestellt, neue Akten<br />

herangezogen und neue Zeugen vernommen<br />

werden. Für die Opposition bietet dieses Recht<br />

einigen strategischen Nutzen.<br />

Durch die Erweiterung ist es somit möglich, die<br />

Vorwürfe auf weitere Regierungsmitglieder auszudehnen<br />

und bestehende Vorwürfe gegen die<br />

Regierung und die parlamentarische Mehrheit im<br />

Antrag selbst und in der zugehörigen öffentlichen<br />

Debatte im Landtag zu wiederholen. Im<br />

Antrag kann zudem Kritik am bisherigen Verfahrensverlauf<br />

geäußert werden. So stellte die<br />

Opposition im „Bouffier-Ausschuss“ in ihrem<br />

Erweiterungsantrag den neuen Fragekomplexen<br />

eine ausführliche Beschwerde über die Verzögerungstaktik<br />

der Ausschussmehrheit voran. „Die<br />

Arbeit des Untersuchungsausschusses (…) wird<br />

bislang durch Abstimmungsverzögerungen,<br />

nachträgliche Korrekturen des Sitzungsprotokolls,<br />

Verschleierung von Abstimmungsinhalten<br />

und Wiederholungen von Abstimmungen erschwert.“<br />

16 Die Mehrheit muss sich somit entscheiden,<br />

ob sie sich enthält und damit den erhobenen<br />

Vorwürfen indirekt zustimmt, was sehr<br />

16 Erweiterungsantrag Ua <strong>15</strong>/1, Drs. <strong>15</strong>/551, 11.11.1999.<br />

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unwahrscheinlich ist, oder ob sie den Antrag in<br />

dieser Form ablehnt. In beiden Fällen erreicht<br />

die Opposition ihr Ziel der Öffentlichkeit vorzuführen,<br />

dass die Mehrheit die Arbeit des Ausschusses<br />

verzögert. Eine bewusste Operation der<br />

Opposition an den Grenzen des Untersuchungsrechts<br />

führt hier zu strategischen Vorteilen, auch<br />

wenn die vorangestellte Begründung des Antrags<br />

im Hauptausschuss nachträglich fallen gelassen<br />

werden musste. Mit Erweiterungen des Untersuchungsgegenstands<br />

versucht die Opposition, das<br />

Interesse der Öffentlichkeit am Ausschuss zu erhalten,<br />

indem sie dem Thema neue Brisanz verleiht,<br />

um weiteren Druck auf die Regierung und<br />

die Koalition zu entfachen (Vgl. Germis 1988:<br />

131). Ähnlich wie in der Einsetzungsphase begründete<br />

sie auch die Erweiterungen mit der<br />

Nichtbeantwortung von Fragekatalogen oder der<br />

Falschinformation durch die Regierung. Besonders<br />

eindrücklich geschah dies im Ausschuss<br />

„CDU-Spenden“, der viermal in teilweise<br />

schneller Folge erweitert wurde. Dabei spielte<br />

wohl die Überlegung eine Rolle, mit neuen Enthüllungen<br />

und Vorwürfen die FDP zu einem<br />

Austritt aus der Koalition zu veranlassen. Diese<br />

hatte auf einem Sonderparteitag zuvor erklärt,<br />

dass sie bei neuen Fakten den Fortbestand der<br />

Koalition überprüfen würde. 17<br />

Auch für die Regierungsmehrheit stellen Erweiterungen<br />

ein sehr nützliches Instrument dar, mit<br />

dem sie den Untersuchungsgegenstand auch gegen<br />

den Willen der ursprünglichen Antragssteller<br />

des Untersuchungsausschusses verändern<br />

kann. <strong>18</strong> Mit diesen Erweiterungen nahm die<br />

Mehrheit die vorausgegangene Regierungszeit<br />

der rot-grünen Opposition in den Blick und<br />

wechselte die Rollen im Verfahren. So konnte<br />

die Mehrheit, auch noch gestützt auf ihre Beherrschung<br />

des Verfahrensablaufs, prominente Zeu-<br />

17 Vgl. FDP: Bei neuen Tatbeständen neue Entscheidung,<br />

in: Frankfurter Rundschau, 6.3.2000.<br />

<strong>18</strong> Allerdings ist ein politischer „Gegenangriff“ eigentlich<br />

nicht erlaubt. Ob es sich um einen solchen oder um eine<br />

sinnvolle Ergänzung des Gegenstandes handelt, ist aber<br />

häufig nur schwer zu entscheiden (vgl. Badura, 1994:<br />

200-203). Die Zustimmung der Antragssteller wird in<br />

den neuen Untersuchungsausschussgesetzen in den anderen<br />

Bundesländern und dem Bund für eine Erweiterung<br />

vorausgesetzt (vgl. Glauben/Brocker 2011: 127).

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