2012, Heft 18, S. 5-15 - PRuF

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02.12.2012 Aufrufe

Aufsätze Thomas Bathge – Strategien von Regierungsmehrheit und Opposition in Untersuchungsausschüssen MIP 2012 18. Jhrg. tungsartikeln zu bestimmten Ausschüssen zurückgegriffen. Zum besseren Verständnis werden die Untersuchungsgegenstände der Ausschüsse kurz vorgestellt: 1. Der Untersuchungsausschuss 15/1: Der „Bouffier-Ausschuss“ befasste sich mit den Vorwürfen des Parteiverrats und Prozessbetrugs gegen Innenminister Volker Bouffier in seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt in einem Scheidungsverfahren. 2. Der Untersuchungsausschuss 15/2: Der Ausschuss „CDU-Spenden“ nahm die der CDU zugeflossenen „Spenden“ aus der Schweiz und Liechtenstein in den Blick, bei denen es sich tatsächlich um Parteivermögen der hessischen CDU handelte. Diese Gelder waren vor Verschärfung des Parteiengesetzes auf Auslandskonten geparkt worden und wurden im Laufe der 90er Jahre wieder in das reguläre Parteivermögen eingespeist. Symbolfigur dieses Ausschusses war der Ministerpräsident Roland Koch, zugleich Parteivorsitzender der hessischen CDU zum Zeitpunkt der Aufdeckung der Vorgänge. 3. Der Untersuchungsausschuss 15/3: Der „Staufenberg-Ausschuss“ handelte von angeblichen Unregelmäßigkeiten beim Verkauf der so genannten Unterburg der Burg Staufenberg. Hier richtete sich die Kritik der Opposition vor allem gegen Finanzminister Horst Weimar. 4. Der Untersuchungsausschuss 16/1: Im Ausschuss „Steuerfahnder“ ging es um den Verdacht, dass eine interne Dienstanweisung im Finanzamt Frankfurt zur Schonung von Steuersündern geführt und die Steuerfahnder in ihrer Arbeit behindert habe. Auch hier machte die Opposition den Finanzminister verantwortlich. 5. Der Untersuchungsausschuss 16/2: Der Ausschuss „Polizei“ befasste sich mit Korruptionsfällen in einer Polizeibehörde. Der Innenminister war hier der Kristallisationspunkt der Vorwürfe. 50 6. Der Untersuchungsausschuss 16/3: Der Ausschuss „Freie Wähler“ untersuchte das angebliche Angebot der CDU an die Freien Wähler, auf eine Kandidatur bei den Landtagswahlen zugunsten einer Wahlkampfkostenrückerstattung auf kommunaler Ebene zu verzichten. Der Ministerpräsident rückte hier in den Fokus der Opposition. II. Die strategischen Ziele von Mehrheit und Opposition Strategien sind „erfolgsorientierte Konstrukte, die auf situationsübergreifenden Ziel-Mittel-Umwelt-Kalkulationen beruhen“ (Raschke/Tils 2007: 127). Strategien berücksichtigen also optimalerweise Ausgangssituation, eigene Mittel, Gegenstrategien und sonstige Einflüsse. Ganz wesentlich bestimmt werden Strategien dabei durch die Auswahl des strategischen Ziels (ebd.: 145). Für die Mehrheit und die Opposition im Hessischen Landtag lässt sich jeweils ein übergeordnetes strategisches Fernziel ausmachen: die Verhinderung bzw. die Herbeiführung eines Machtwechsels. 6 Aus diesen Fernzielen lassen sich jeweils verschiedene strategische Teilziele für das Untersuchungsverfahren herleiten. Auch wenn sich für den Hessischen Landtag ebenfalls feststellen lässt, dass die Parteien sich in allen Debatten zur Aufklärung der Vorgänge als formalem Ziel des Untersuchungsverfahrens bekannten (vgl. Kipke 1985: 83), um dem Vorwurf der parteipolitischen Instrumentalisierung des Verfahrens zu entgehen, wird das Verfahren tatsächlich aber durch die politischen Ziele von Mehrheit und Opposition bestimmt. Während die Mehrheit als „Schutztruppe“ die Verteidigung des betroffenen Ministers und der gesamten Regierung übernimmt, tritt die Opposition als „Chefanklägerin“ auf (Glauben/Brocker 2011: 158). Die parlamentarische Mehrheit verfolgt dabei das strategische Ziel des eigenen Machterhalts und schlüpft deshalb in die Rolle der konsequenten Verteidigerin „ihrer“ Regierung. Die Mehrheit hat kein Interesse, ihre eigenen Wahlchancen 6 Ludger Helms bezeichnet den Machtwechsel als „das wichtigste Ziel sämtlicher Bestrebungen der parlamentarischen Opposition“ (Helms 2010: 236).

MIP 2012 18. Jhrg. Thomas Bathge – Strategien von Regierungsmehrheit und Opposition in Untersuchungsausschüssen Aufsätze durch öffentliche Kritik an der Regierung einzutrüben. Ihr kann nicht daran gelegen sein, dass die Opposition auf Kosten der Regierung politische Erfolge erzielt (Link 1998: 168). Sie legt darum auch keinen Wert auf die Aufklärung von Sachverhalten, wenn absehbar ist, dass dies die Regierung belasten könnte. Das geht einher mit einem Abwägungsprozess, in dem die Mehrheit abschätzt, ob der Glaubwürdigkeitsverlust in der Öffentlichkeit bei fehlender Mitarbeit im Untersuchungsausschuss höher ist, als die politischen Folgen des Zugebens von Fehlern der Regierung (Hermes 1994: 351). In den untersuchten Fällen entschied sich die Regierungsmehrheit für einen Mittelweg aus Verzögerung oder Blockade des Verfahrens und wohldosierter Aufklärung des Sachverhalts. In keinem Untersuchungsausschuss entzog die Mehrheit der Regierung das Vertrauen. Selbst beim brisantesten Untersuchungsausschuss zur CDU-Spendenaffäre kam es nicht zu einem Bruch der CDU/FDP-Koalition. 7 Die Mehrheit wird höchstens bereit sein, gewisse Missstände in der Verwaltung aufzudecken und einzugestehen, wenn sie die Verantwortung dafür auf die Vorgängerregierung abwälzen kann (Ismayer 2001: 372), wie dies in der „Steuerfahnderaffäre“ und im Ausschuss „Polizei“ teilweise der Fall war. Dem von der Opposition angegriffenen Kabinettsmitglied wurde meist demonstrativ der Rücken gestärkt und dessen Verantwortung für den vermeintlichen oder tatsächlichen Missstand heruntergespielt. 8 Dies kam in allen Abschlussberichten zum Ausdruck, in denen die Vorwürfe der Opposition gegen Regierungsmitglieder und führende Repräsentanten der Regierungsmehrheit immer zurückgewiesen wurden. Im Gegensatz zur Regierungsmehrheit, die von einer geringen öffentlichen Aufmerksamkeit für den Ausschuss eher profitiert, ist die Opposition auf diese angewiesen, um ihre strategischen Ziele erreichen zu können. Die Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit ist ein wichtiges strategi- 7 Kipke (1985: 88f.) stellt dies für die Bundesebene ebenfalls fest. 8 Als Ausnahme erscheint nur der Rücktritt von Staatsminister Jung während des Ua 15/2, der laut Presseberichten auf Druck der FDP zurückgetreten sein soll. sches Teilziel im Untersuchungsverfahren. Ohne öffentliche Aufmerksamkeit ist es der Opposition nicht möglich, ihre Wertungen zum Untersuchungsgegenstand überhaupt zu verbreiten. 9 Sie wird in diesem Aufsatz am Medieninteresse an den einzelnen Ausschüssen festgemacht. Die Opposition versucht, die Regierung und die sie stützende Mehrheit öffentlich unter Druck zu setzen und für die vermeintlichen Missstände oder Skandale direkt verantwortlich zu machen. Ihr liegt daran, die Glaubwürdigkeit einzelner Regierungsmitglieder und der Regierung insgesamt zu erschüttern. Dies ist meist verbunden mit Rücktrittsforderungen gegen einzelne Regierungsmitglieder oder gar mit dem Verlangen nach Neuwahlen schon zu Beginn oder vor der Konstituierung des Untersuchungsausschusses. Ohne eine Mobilisierung der Öffentlichkeit ist ein solches Ziel nicht zu erreichen. Der Opposition muss es gelingen, die Öffentlichkeit auf ihre Seite zu ziehen und sie zu einem „politischen Unwerturteil“ über die Regierung und die sie stützende parlamentarische Mehrheit zu veranlassen (Kipke 1985: 93). Sie muss dafür das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Regierung und das Ansehen der Regierung in der Öffentlichkeit untergraben, sich aber gleichzeitig als bessere Alternative präsentieren (Glauben/Brocker 2005: 4). Die Opposition muss generell darauf achten, dass sie glaubhaft als Vorkämpferin für das allgemeine Aufklärungsinteresse erscheint, um die Öffentlichkeit als Geschädigte und Schiedsrichterin zu gewinnen (Hitzler 1989: 336f.). Dies geschieht, indem die Opposition nicht nur auf die politischen Fehler der Regierung hinweist, sondern besonders auf ihre moralischen Verfehlungen. An eine tatsächliche Kontrolle des vermeintlichen Missstands und eine parteiübergreifende Bewertung der Vorgänge ist unter diesen Vorzeichen nicht zu denken. Beide Seiten sind im Verfahren eher darauf bedacht, ihre schon vor Be- 9 Berücksichtigt werden muss, dass politische Inhalte in den Medien das „Ergebnis von Interaktionsprozessen“ zwischen Politik und Medien sind (Jarren/Donges 2011: 26). Eine reine Vermittlung der politischen Wertungen durch die Medien an das Publikum findet daher nicht statt (Sarcinelli 2011: 274f.). 51

Aufsätze Thomas Bathge – Strategien von Regierungsmehrheit und Opposition in Untersuchungsausschüssen MIP <strong>2012</strong> <strong>18</strong>. Jhrg.<br />

tungsartikeln zu bestimmten Ausschüssen zurückgegriffen.<br />

Zum besseren Verständnis werden die Untersuchungsgegenstände<br />

der Ausschüsse kurz vorgestellt:<br />

1. Der Untersuchungsausschuss <strong>15</strong>/1:<br />

Der „Bouffier-Ausschuss“ befasste sich mit<br />

den Vorwürfen des Parteiverrats und Prozessbetrugs<br />

gegen Innenminister Volker Bouffier<br />

in seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt in einem<br />

Scheidungsverfahren.<br />

2. Der Untersuchungsausschuss <strong>15</strong>/2:<br />

Der Ausschuss „CDU-Spenden“ nahm die<br />

der CDU zugeflossenen „Spenden“ aus der<br />

Schweiz und Liechtenstein in den Blick, bei<br />

denen es sich tatsächlich um Parteivermögen<br />

der hessischen CDU handelte. Diese Gelder<br />

waren vor Verschärfung des Parteiengesetzes<br />

auf Auslandskonten geparkt worden und wurden<br />

im Laufe der 90er Jahre wieder in das reguläre<br />

Parteivermögen eingespeist. Symbolfigur<br />

dieses Ausschusses war der Ministerpräsident<br />

Roland Koch, zugleich Parteivorsitzender<br />

der hessischen CDU zum Zeitpunkt<br />

der Aufdeckung der Vorgänge.<br />

3. Der Untersuchungsausschuss <strong>15</strong>/3:<br />

Der „Staufenberg-Ausschuss“ handelte von<br />

angeblichen Unregelmäßigkeiten beim Verkauf<br />

der so genannten Unterburg der Burg<br />

Staufenberg. Hier richtete sich die Kritik der<br />

Opposition vor allem gegen Finanzminister<br />

Horst Weimar.<br />

4. Der Untersuchungsausschuss 16/1:<br />

Im Ausschuss „Steuerfahnder“ ging es um<br />

den Verdacht, dass eine interne Dienstanweisung<br />

im Finanzamt Frankfurt zur Schonung<br />

von Steuersündern geführt und die Steuerfahnder<br />

in ihrer Arbeit behindert habe. Auch<br />

hier machte die Opposition den Finanzminister<br />

verantwortlich.<br />

5. Der Untersuchungsausschuss 16/2:<br />

Der Ausschuss „Polizei“ befasste sich mit<br />

Korruptionsfällen in einer Polizeibehörde.<br />

Der Innenminister war hier der Kristallisationspunkt<br />

der Vorwürfe.<br />

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6. Der Untersuchungsausschuss 16/3:<br />

Der Ausschuss „Freie Wähler“ untersuchte<br />

das angebliche Angebot der CDU an die Freien<br />

Wähler, auf eine Kandidatur bei den Landtagswahlen<br />

zugunsten einer Wahlkampfkostenrückerstattung<br />

auf kommunaler Ebene zu<br />

verzichten. Der Ministerpräsident rückte hier<br />

in den Fokus der Opposition.<br />

II. Die strategischen Ziele von Mehrheit und<br />

Opposition<br />

Strategien sind „erfolgsorientierte Konstrukte,<br />

die auf situationsübergreifenden Ziel-Mittel-Umwelt-Kalkulationen<br />

beruhen“ (Raschke/Tils<br />

2007: 127). Strategien berücksichtigen also optimalerweise<br />

Ausgangssituation, eigene Mittel,<br />

Gegenstrategien und sonstige Einflüsse. Ganz<br />

wesentlich bestimmt werden Strategien dabei<br />

durch die Auswahl des strategischen Ziels (ebd.:<br />

145). Für die Mehrheit und die Opposition im<br />

Hessischen Landtag lässt sich jeweils ein übergeordnetes<br />

strategisches Fernziel ausmachen: die<br />

Verhinderung bzw. die Herbeiführung eines<br />

Machtwechsels. 6 Aus diesen Fernzielen lassen<br />

sich jeweils verschiedene strategische Teilziele<br />

für das Untersuchungsverfahren herleiten.<br />

Auch wenn sich für den Hessischen Landtag<br />

ebenfalls feststellen lässt, dass die Parteien sich in<br />

allen Debatten zur Aufklärung der Vorgänge als<br />

formalem Ziel des Untersuchungsverfahrens bekannten<br />

(vgl. Kipke 1985: 83), um dem Vorwurf<br />

der parteipolitischen Instrumentalisierung des<br />

Verfahrens zu entgehen, wird das Verfahren tatsächlich<br />

aber durch die politischen Ziele von<br />

Mehrheit und Opposition bestimmt. Während die<br />

Mehrheit als „Schutztruppe“ die Verteidigung des<br />

betroffenen Ministers und der gesamten Regierung<br />

übernimmt, tritt die Opposition als „Chefanklägerin“<br />

auf (Glauben/Brocker 2011: <strong>15</strong>8).<br />

Die parlamentarische Mehrheit verfolgt dabei<br />

das strategische Ziel des eigenen Machterhalts<br />

und schlüpft deshalb in die Rolle der konsequenten<br />

Verteidigerin „ihrer“ Regierung. Die Mehrheit<br />

hat kein Interesse, ihre eigenen Wahlchancen<br />

6 Ludger Helms bezeichnet den Machtwechsel als „das<br />

wichtigste Ziel sämtlicher Bestrebungen der parlamentarischen<br />

Opposition“ (Helms 2010: 236).

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