2012, Heft 18, S. 5-15 - PRuF

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02.12.2012 Aufrufe

Aufsätze Nikolas R. Dörr – 40 Jahre Front National [...] MIP 2012 18. Jhrg. genteil wurde mit der Etablierung des Front National der PCF als natürlicher Koalitionspartner des Parti Socialiste geschwächt. Statt wie von Mitterand erhofft waren es nicht primär die bürgerlichen Wähler von RPR und UDF, die sich zunehmend für die Wahl des Front National entschieden, sondern ehemals kommunistisch wählende Arbeiter. Darüber hinaus trifft den PCF eine Mitverantwortung, da er zu Beginn der 1980er Jahre einen teils xenophobischen Wahlkampf initiierte und somit die kommunistisch wählende Arbeiterschaft für das Thema Immigration negativ sensibilisierte. Der Einsatz des Wahlsystems als „Mittel des politischen Kampfes” 55 hat in Frankreich zu negativen Folgen geführt. Bereits die Anreicherung des Wahlsystems für die Kommunalwahlen mit Elementen des Verhältniswahlsystems hatte 1981 die Wahlchancen des Front National auf lokaler Ebene deutlich gesteigert. Die langjährige Unterschätzung des Front National als Protestpartei führte darüber hinaus dazu, dass durch die großen demokratischen Parteien keine langfristige Strategie gegen seinen Aufstieg entwickelt wurde. Einschätzungen wie die des späteren Premierministers Lionel Jospin, dass der Wahlerfolg des FN nur eine „Seifenblase” 56 sei, führten dazu, dass der Partei zu spät mit der nötigen Ernsthaftigkeit begegnet wurde. Darüber hinaus tragen die demokratischen Parteien der Rechten und der Mitte eine Verantwortung, indem sie durch Wahlabsprachen dem noch jungen und wenig erfolgreichen Front National seine ersten Mandate sicherten sowie ihn hoffähig machten, um selbst Ämter auf kommunaler und regionaler Ebene besetzen zu können. Dies gilt insbesondere für die frühen 1980er Jahre, in denen für zahlreiche Politiker von RPR und UDF die Unterstützung des Front National „pour battre l'adversaire socialo-communiste” 57 wichtiger war, als die Verhinderung der Etablierung einer rechtsex- 55 Bergsdorf, Geschwister, S. 24. 56 Lionel Jospin nach dem Wahlerfolg des Front National in Dreux im September 1983 zitiert in: Dietmar Loch, Der schnelle Aufstieg des Front National. Rechtsextremismus im Frankreich der 80er Jahre, München 1990, S. 13. 57 Géraud Durand, Enquête au coeur du Front National, Paris 1996, S. 50. 48 tremen Partei im französischen Parteiensystem. Eine konsequente Ablehnung der Zusammenarbeit mit dem Front National hätte hingegen eine deutliche Signalwirkung auf bürgerliche Wählerschichten gehabt.

MIP 2012 18. Jhrg. Thomas Bathge – Strategien von Regierungsmehrheit und Opposition in Untersuchungsausschüssen Aufsätze Strategien von Regierungsmehrheit und Opposition in Untersuchungsausschüssen Dipl.-Pol. Thomas Bathge 1 I. Einleitung Untersuchungsausschüsse gelten gemeinhin als das „schärfste Schwert des Parlaments“ (Engels 1989: 17). In der Konkurrenzdemokratie sind sie vor allem ein politisches Kampfinstrument der parlamentarischen Opposition gegenüber der Regierung und der sie stützenden Mehrheit. 2 Im Zuge des Parteienwettbewerbs bedienen sich Opposition und Regierungsmehrheit dabei unterschiedlicher Strategien in den Untersuchungsausschüssen, um einen Erfolg gegenüber dem politischen Gegner in der Öffentlichkeit zu erringen bzw. Erfolge der anderen Seite zu verhindern. Der Aufsatz wird der Frage nachgehen, welche Strategien dies im Einzelnen sind und warum die Akteure sie verwenden. Angeschnitten werden soll zudem die Frage, wann es sich für die parlamentarische Opposition lohnt, einen Untersuchungsausschuss zu initiieren. Besonders anschaulich lassen sich diese Fragen am Beispiel des traditionell ausgeprägten hessischen Parteienwettbewerbs beantworten. 3 Mit dem Antritt der CDU/FDP-Regierung unter Ro- 1 Der Verfasser ist Diplom-Politologe und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrgebiet IV: Politik und Verwaltung, Institut für Politikwissenschaft, FernUniversität Hagen. 2 Diese Auffassung hat sich in der Literatur überwiegend durchgesetzt und zeigt sich auch schon in den vielen teils frühen Reformüberlegungen zum Untersuchungsrecht (vgl. Partsch 1964; Schüttmeyer/Thaysen 1988; Arndt 1964; Kipke 1985). Die strategischen Überlegungen der Opposition schließen die Kontrolle der Regierung aber ausdrücklich nicht aus. Nur wird diese Kontrolltätigkeit in der funktionalen Gewaltenteilung nicht vom gesamten Parlament wahrgenommen. Der Parteienwettbewerb muss Kontrolle nicht zwangsläufig be- oder gar verhindern, sondern setzt im Gegenteil Anreize für die Opposition, die Regierung zu kontrollieren (vgl. Schmidt 2008: 154). land Koch 1999, ausgestattet mit sehr knapper Mehrheit nach einer umstrittenen Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, verstärkte sich die Konfrontation zwischen den politischen Lagern (CDU/FDP und SPD/Die Grünen) weiter. Dementsprechend hart werden die Auseinandersetzungen gerade in den Untersuchungsausschüssen geführt: „In einem Bundesland, in dem die Mehrheit an einem Sitz hängt, egal für wen, glaubt man, mit jedem einzelnen Punkt einen entscheidenden Schlag gegen den jeweils anderen machen zu können“, bemerkte Ministerpräsident Koch zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses „Freie Wähler“. 4 Der Hessische Landtag hat in der Folge einige sehr umkämpfte Untersuchungsausschüsse (z.B. zum „CDU-Spendenskandal“) hervorgebracht, liefert aber auch Beispiele für Untersuchungsausschüsse, in denen bestimmte Strategien keine Erfolge – vor allem im Sinne der Opposition – erbrachten. Der Aufsatz basiert auf einer Untersuchung der sechs eingesetzten Untersuchungsausschüsse des Hessischen Landtags in der 15. und 16. Wahlperiode in den Jahren 1999-2008. Methodisch beruhen die Einzelfallanalysen der Untersuchungsausschüsse auf halbstandardisierten Interviews mit beteiligten Abgeordneten auf Seiten von Regierungsmehrheit und Opposition. Hinzugezogen wurden außerdem nichtöffentliche und öffentliche Sitzungsprotokolle, Zeitungsartikel, Plenarprotokolle, Einsetzungs-, Erweiterungsund sonstige Anträge sowie die Abschlussberichte der jeweiligen Ausschüsse. 5 Zudem wird auf eine quantitative Inhaltsanalyse von Zei- 3 Als Stichworte sollen hier der Aufstieg der hessischen CDU unter ihrem rechtskonservativen Parteivorsitzenden Alfred Dregger und der Einzug der Grünen in den Landtag in den 1980er Jahren gepaart mit unsicheren Mehrheitsverhältnissen sowie der Verweis auf den starken linken SPD-Parteiflügel genügen (vgl. Schiller 2004; Meng 1996: 293-295; Galonska 1999: 300). 4 Roland Koch, in: Plenarprotokoll 16/115, 21.11.2006: 7968. 5 Der Aufsatz stützt sich im Wesentlichen auf die Ergebnisse meiner unveröffentlichten Diplomarbeit: Bathge 2008: Untersuchungsausschüsse des Hessischen Landtags 1999-2008, Marburg. Die Arbeit ist auch in der Bibliothek des Hessischen Landtags einsehbar: Sig.: Sonderstandort *1177. 49

MIP <strong>2012</strong> <strong>18</strong>. Jhrg. Thomas Bathge – Strategien von Regierungsmehrheit und Opposition in Untersuchungsausschüssen Aufsätze<br />

Strategien von Regierungsmehrheit<br />

und Opposition in Untersuchungsausschüssen<br />

Dipl.-Pol. Thomas Bathge 1<br />

I. Einleitung<br />

Untersuchungsausschüsse gelten gemeinhin als<br />

das „schärfste Schwert des Parlaments“ (Engels<br />

1989: 17). In der Konkurrenzdemokratie sind sie<br />

vor allem ein politisches Kampfinstrument der<br />

parlamentarischen Opposition gegenüber der Regierung<br />

und der sie stützenden Mehrheit. 2 Im<br />

Zuge des Parteienwettbewerbs bedienen sich<br />

Opposition und Regierungsmehrheit dabei unterschiedlicher<br />

Strategien in den Untersuchungsausschüssen,<br />

um einen Erfolg gegenüber dem<br />

politischen Gegner in der Öffentlichkeit zu erringen<br />

bzw. Erfolge der anderen Seite zu verhindern.<br />

Der Aufsatz wird der Frage nachgehen,<br />

welche Strategien dies im Einzelnen sind und<br />

warum die Akteure sie verwenden. Angeschnitten<br />

werden soll zudem die Frage, wann es sich<br />

für die parlamentarische Opposition lohnt, einen<br />

Untersuchungsausschuss zu initiieren.<br />

Besonders anschaulich lassen sich diese Fragen<br />

am Beispiel des traditionell ausgeprägten hessischen<br />

Parteienwettbewerbs beantworten. 3 Mit<br />

dem Antritt der CDU/FDP-Regierung unter Ro-<br />

1 Der Verfasser ist Diplom-Politologe und Wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter am Lehrgebiet IV: Politik und Verwaltung,<br />

Institut für Politikwissenschaft, FernUniversität<br />

Hagen.<br />

2 Diese Auffassung hat sich in der Literatur überwiegend<br />

durchgesetzt und zeigt sich auch schon in den vielen<br />

teils frühen Reformüberlegungen zum Untersuchungsrecht<br />

(vgl. Partsch 1964; Schüttmeyer/Thaysen 1988;<br />

Arndt 1964; Kipke 1985). Die strategischen Überlegungen<br />

der Opposition schließen die Kontrolle der Regierung<br />

aber ausdrücklich nicht aus. Nur wird diese<br />

Kontrolltätigkeit in der funktionalen Gewaltenteilung<br />

nicht vom gesamten Parlament wahrgenommen. Der<br />

Parteienwettbewerb muss Kontrolle nicht zwangsläufig<br />

be- oder gar verhindern, sondern setzt im Gegenteil<br />

Anreize für die Opposition, die Regierung zu kontrollieren<br />

(vgl. Schmidt 2008: <strong>15</strong>4).<br />

land Koch 1999, ausgestattet mit sehr knapper<br />

Mehrheit nach einer umstrittenen Unterschriftenkampagne<br />

gegen die doppelte Staatsbürgerschaft,<br />

verstärkte sich die Konfrontation zwischen<br />

den politischen Lagern (CDU/FDP und<br />

SPD/Die Grünen) weiter. Dementsprechend hart<br />

werden die Auseinandersetzungen gerade in den<br />

Untersuchungsausschüssen geführt: „In einem<br />

Bundesland, in dem die Mehrheit an einem Sitz<br />

hängt, egal für wen, glaubt man, mit jedem einzelnen<br />

Punkt einen entscheidenden Schlag gegen<br />

den jeweils anderen machen zu können“, bemerkte<br />

Ministerpräsident Koch zur Einsetzung<br />

des Untersuchungsausschusses „Freie Wähler“. 4<br />

Der Hessische Landtag hat in der Folge einige<br />

sehr umkämpfte Untersuchungsausschüsse (z.B.<br />

zum „CDU-Spendenskandal“) hervorgebracht,<br />

liefert aber auch Beispiele für Untersuchungsausschüsse,<br />

in denen bestimmte Strategien keine<br />

Erfolge – vor allem im Sinne der Opposition –<br />

erbrachten.<br />

Der Aufsatz basiert auf einer Untersuchung der<br />

sechs eingesetzten Untersuchungsausschüsse des<br />

Hessischen Landtags in der <strong>15</strong>. und 16. Wahlperiode<br />

in den Jahren 1999-2008. Methodisch beruhen<br />

die Einzelfallanalysen der Untersuchungsausschüsse<br />

auf halbstandardisierten Interviews<br />

mit beteiligten Abgeordneten auf Seiten von Regierungsmehrheit<br />

und Opposition. Hinzugezogen<br />

wurden außerdem nichtöffentliche und öffentliche<br />

Sitzungsprotokolle, Zeitungsartikel,<br />

Plenarprotokolle, Einsetzungs-, Erweiterungsund<br />

sonstige Anträge sowie die Abschlussberichte<br />

der jeweiligen Ausschüsse. 5 Zudem wird<br />

auf eine quantitative Inhaltsanalyse von Zei-<br />

3 Als Stichworte sollen hier der Aufstieg der hessischen<br />

CDU unter ihrem rechtskonservativen Parteivorsitzenden<br />

Alfred Dregger und der Einzug der Grünen in den<br />

Landtag in den 1980er Jahren gepaart mit unsicheren<br />

Mehrheitsverhältnissen sowie der Verweis auf den<br />

starken linken SPD-Parteiflügel genügen (vgl. Schiller<br />

2004; Meng 1996: 293-295; Galonska 1999: 300).<br />

4 Roland Koch, in: Plenarprotokoll 16/1<strong>15</strong>, 21.11.2006:<br />

7968.<br />

5 Der Aufsatz stützt sich im Wesentlichen auf die Ergebnisse<br />

meiner unveröffentlichten Diplomarbeit: Bathge<br />

2008: Untersuchungsausschüsse des Hessischen Landtags<br />

1999-2008, Marburg. Die Arbeit ist auch in der<br />

Bibliothek des Hessischen Landtags einsehbar: Sig.:<br />

Sonderstandort *1177.<br />

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