2012, Heft 18, S. 5-15 - PRuF

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02.12.2012 Aufrufe

Aufsätze Nikolas R. Dörr – 40 Jahre Front National [...] MIP 2012 18. Jhrg. hoher Prozentsatz an FN-Wählern den Mitte-Rechts-Parteien schaden würde. Trotz knapp 13 Prozent Wählerstimmen für den Front National im ersten Wahlgang und mehr als 100 FN- Kandidaten in den zweiten Wahlgängen gewannen RPR und UDF 1993 zusammen mehr als 80 Prozent der Abgeordnetensitze in der Assemblée Nationale. Die Nationalversammlungswahlen 1997 erbrachten wieder ein FN-Mandat, welches von Jean- Marie Le Chevalier, dem Bürgermeister von Toulon, gewonnen wurde. Da Le Chevalier jedoch die gesetzlich festgelegte Grenze für Wahlkampfkosten überschritten hatte, wurde ihm das Mandat vom Verfassungsrat wieder aberkannt. Trotz des aberkannten Mandats war der landesweite Wählerstimmenanteil von 14,9 Prozent bei den Parlamentswahlen ein großer Erfolg des Front National. Beinahe jeder sechste französische Wähler hatte für den FN votiert. Der Front National profitierte hierbei vor allem von einem taktischen Fehler des Präsidenten Jacques Chirac, der die Nationalversammlung trotz einer Dreiviertelmehrheit seiner Unterstützerparteien vorzeitig aufgelöst hatte. Die Folge war ein Wahlsieg der Linken. Zahlreiche unzufriedene Wähler des Mitte-Rechts-Lagers votierten im ersten Wahlgang für den Front National. 42 Die Wahlen zur Nationalversammlung 2002 brachten, trotz des Erfolgs von Le Pen im ersten Wahldurchgang der Präsidentschaftswahlen kurz zuvor, kein Abgeordnetenmandat. Allerdings hatte der Front National im ersten Wahlgang 11,3 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen auf sich vereinigen können. Die Präsidentschaftswahlen Mitte bis Ende der 1980er Jahre war es im Zusammenhang mit der Diskussion um Asyl- und Immigrationsfragen zu einem Anwachsen rechtsextremer Parteien in den meisten Staaten Westeuropas gekommen. Die gesellschaftliche Ächtung solcher Parteien, die bislang in der Mehr- 42 Harald Bergsdorf, Ungleiche Geschwister. Die deutschen Republikaner (REP) im Vergleich zum französischen Front National (FN), Frankfurt am Main u.a. 2000 [im Folgenden: Geschwister], S. 169. 44 heit der westeuropäischen Staaten Konsens gewesen war, nahm seit Mitte der 1980er Jahre deutlich ab. Spätestens mit dem klaren Wahlerfolg bei den Nationalversammlungswahlen 1986 war auch der Front National im etablierten französischen Parteiensystem angekommen. Die Partei trug damit entscheidend dazu bei, jenes für die V. Republik charakteristische bipolare System der Quadrille Bipolaire von zwei etwa gleich großen Parteien auf der Rechten sowie zweien auf der Linken zu beenden. Die Parlamentswahlen 1986 stellen somit den Abschluss der Frühentwicklung des Front National dar: „Die zentrale Strategie des FN, sich an allen Wahlen zu beteiligen, hatte sich ausgezahlt.” 43 Die Partei hatte es unter Jean-Marie Le Pen geschafft, bei Parlaments-, Kommunal-, Kantonalund Regionalwahlen sowie den Wahlen zum Europäischen Parlament zehn oder mehr Prozent der Wählerstimmen auf sich zu vereinigen. Im Konglomerat französischer Wahlen fehlte nun nur noch ein spektakulärer Erfolg bei der wichtigsten elektoralen Entscheidung: der Präsidentschaftswahl. Dieser Erfolg sollte sich 1988 einstellen. Knapp zwei Jahre nach der Parteigründung war Le Pen erstmals bei Präsidentschaftswahlen angetreten. Der damals noch kaum bekannte Politiker konnte in einem extrem polarisierten Wahlkampf zwischen dem bürgerlichen Kandidaten Valéry Giscard d'Estaing und François Mitterrand als Kandidaten der Linksunion am 5. Mai 1974 lediglich 0,8 Prozent der Wählerstimmen im ersten Wahlgang auf sich vereinigen. Allerdings war die Zustimmung von knapp über 190.000 Wählern ein erster Achtungserfolg für Le Pen gewesen. Der nächste Versuch sollte ihm, nach den Durchbruchswahlen der Assemblée Nationale 1986, im April 1988 mehr als 4,3 Millionen Wähler und einen prozentualen Anteil von 14,4 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang bescheren. Mit diesem Ergebnis war auch das Individuum Le Pen endgültig in die Phalanx der Kandidaten der etablierten Parteien eingebrochen – so hatte er im ersten Wahlgang 1988 nur 1,2 Prozentpunkte weniger als der landesweit bekannte ehemalige Premierminister Ray- 43 Lampe, Aufstieg, S. 32.

MIP 2012 18. Jhrg. Nikolas R. Dörr – 40 Jahre Front National [...] Aufsätze mond Barre erzielt. Ebenso hatte Le Pen erstmals den kommunistischen Kandidaten überholt und war somit auf dem vierten Platz der Wählergunst gelandet. Der deutliche Zuwachs kam für zahlreiche Politikexperten überraschend, da durch Le Pens Auftritt in der bekannten Fernsehsendung Grand Jury RTL-Le Monde am 13. September 1987 sein rechtsradikales Gedankengut einer breiten Öffentlichkeit bewusst geworden war. 44 Bei den folgenden beiden Präsidentschaftswahlen konnte Le Pen sein Ergebnis weiter verbessern. So erreichte Le Pen bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl am 23. April 1995 15,0 Prozent und mehr als 4,5 Millionen Wählerstimmen. Dennoch kam es nach den Präsidentschaftswahlen 1988 zu einem kurzzeitigen Einbruch des Front National, der bei den Kantonalwahlen 1988 nur 5,4 Prozent und bei den Kommunalwahlen im März 1989 gar nur landesweite 2,5 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte. Allerdings festigten die Kommunalwahlen 1989, trotz des landesweit unterdurchschnittlichen Ergebnisses, die regionalen Hochburgen des Front National in Südfrankreich, dem Elsass sowie in der Region Centre45 : 25,0 Prozent in Perpignan, 22,5 Prozent in Dreux, 21,1 Prozent in Mulhouse, 13,5 Prozent in Marseille. 46 Der kurzfristige Einbruch ließ sich einerseits mit der geringen Mobilisierung der FN-Stammwähler bei den beiden Wahlen und der Aufstellung von zu wenigen Kandidaten erklären. Darüber 44 Le Pen hatte auf die Frage eines Journalisten vor laufender Kamera die nationalsozialistischen Gaskammern als „Detail der Geschichte des Zweiten Weltkriegs” verharmlost (Christadler, Außenseiter, S. 302). 45 Zur Wahlgeographie des Front National siehe auch: Pascal Perrineau, The Conditions for the Re-emergence of an Extreme Right Wing in France: the National Front, 1984-98, in: Edward J. Arnold (Hrsg.), The Development of the Radical Right in France. From Boulanger to Le Pen, London 2000, S. 261-264. 46 Zu den regionalen Hochburgen des FN siehe: Daniela Heimberger, Der Front National im Elsass. Rechtsextremismus in Frankreich. Eine regionale Wahlanalyse, Wiesbaden 2001; Dietmar Loch, Marseille – eine Hochburg des Front National. Erklärungsansätze für den Erfolg des Rechtsextremismus in Frankreich, in: Frankreich-Jahrbuch 1990, S. 157-170; Jean-Philippe Roy, Le Front National en Région Centre. 1984-1992, Paris 1993. hinaus hatten Richtungskämpfe innerhalb des Front National, der wachsende Antisemitismus in Verlautbarungen von Parteifunktionären und der Parteiausschluss einiger Kritiker des absolutistischen Führungsstils von Jean-Marie Le Pen für Distanz bei den Wählern gesorgt. 47 Im Zuge einer weitreichenden Europaskepsis konnte der Front National jedoch bei den anschließenden Europawahlen am 18. Juni 1989 wieder einen Zuwachs auf 11,7 Prozent Wählerstimmenanteil verzeichnen. Die folgenden Jahre waren von einer hohen Konstanz der Wahlergebnisse gekennzeichnet. Die 1990er Jahre: Konsolidierung und Ausbau kommunaler und regionaler Hochburgen Im März 1992 konnte der Front National seine Abgeordnetenzahl in den Regionalräten von 137 auf 239 erhöhen, in alle 22 Regionalräte des Mutterlandes einziehen und durchschnittlich 13,9 Prozent der Wählerstimmen erreichen. Hierbei profitierte die Partei von landesweit beachteten Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen mit Migrationshintergrund und Polizeieinheiten, die sich vor allem im Sommer 1991 in den Pariser Vorstädten Mantes-la-Jolie und Sartrouville abspielten. Auch die ebenfalls im März 1992 stattfindenden Kantonalwahlen erbrachten mit 12,3 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen im ersten Wahldurchgang ein hohes Ergebnis für den FN. Die Wahlen zum Europäischen Parlament 1994 führten erstmals wieder zu ernsthafter Konkurrenz um rechte Wählerstimmen. Jean-Marie Le Pen hatte eigentlich erhofft, zahlreiche Europagegner und -skeptiker für die Wahl des Front National begeistern zu können. Immerhin hatte die Partei am deutlichsten die Ablehnung des Maastricht-Vertrages im Referendum vom September 1992 propagiert. 48 Von den mehr als 12,6 Millionen französischen Wählern, die die Annahme des Maastrichter Vertrages in dem Referendum am 20. September 1992 verneint hatten, votierte jedoch bei den nächsten Europawahlen 47 Vgl. Le Monde vom 8. September 1988, S. 12 sowie Le Monde vom 11. Oktober 1988, S. 10. 48 Bergsdorf, Geschwister, S. 168. 45

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hoher Prozentsatz an FN-Wählern den Mitte-Rechts-Parteien<br />

schaden würde. Trotz knapp<br />

13 Prozent Wählerstimmen für den Front National<br />

im ersten Wahlgang und mehr als 100 FN-<br />

Kandidaten in den zweiten Wahlgängen gewannen<br />

RPR und UDF 1993 zusammen mehr als 80<br />

Prozent der Abgeordnetensitze in der Assemblée<br />

Nationale.<br />

Die Nationalversammlungswahlen 1997 erbrachten<br />

wieder ein FN-Mandat, welches von Jean-<br />

Marie Le Chevalier, dem Bürgermeister von<br />

Toulon, gewonnen wurde. Da Le Chevalier jedoch<br />

die gesetzlich festgelegte Grenze für Wahlkampfkosten<br />

überschritten hatte, wurde ihm das<br />

Mandat vom Verfassungsrat wieder aberkannt.<br />

Trotz des aberkannten Mandats war der landesweite<br />

Wählerstimmenanteil von 14,9 Prozent bei<br />

den Parlamentswahlen ein großer Erfolg des<br />

Front National. Beinahe jeder sechste französische<br />

Wähler hatte für den FN votiert. Der Front<br />

National profitierte hierbei vor allem von einem<br />

taktischen Fehler des Präsidenten Jacques Chirac,<br />

der die Nationalversammlung trotz einer<br />

Dreiviertelmehrheit seiner Unterstützerparteien<br />

vorzeitig aufgelöst hatte. Die Folge war ein<br />

Wahlsieg der Linken. Zahlreiche unzufriedene<br />

Wähler des Mitte-Rechts-Lagers votierten im<br />

ersten Wahlgang für den Front National. 42 Die<br />

Wahlen zur Nationalversammlung 2002 brachten,<br />

trotz des Erfolgs von Le Pen im ersten<br />

Wahldurchgang der Präsidentschaftswahlen kurz<br />

zuvor, kein Abgeordnetenmandat. Allerdings<br />

hatte der Front National im ersten Wahlgang<br />

11,3 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen<br />

auf sich vereinigen können.<br />

Die Präsidentschaftswahlen<br />

Mitte bis Ende der 1980er Jahre war es im Zusammenhang<br />

mit der Diskussion um Asyl- und<br />

Immigrationsfragen zu einem Anwachsen rechtsextremer<br />

Parteien in den meisten Staaten Westeuropas<br />

gekommen. Die gesellschaftliche Ächtung<br />

solcher Parteien, die bislang in der Mehr-<br />

42 Harald Bergsdorf, Ungleiche Geschwister. Die deutschen<br />

Republikaner (REP) im Vergleich zum französischen<br />

Front National (FN), Frankfurt am Main u.a.<br />

2000 [im Folgenden: Geschwister], S. 169.<br />

44<br />

heit der westeuropäischen Staaten Konsens gewesen<br />

war, nahm seit Mitte der 1980er Jahre<br />

deutlich ab. Spätestens mit dem klaren Wahlerfolg<br />

bei den Nationalversammlungswahlen 1986<br />

war auch der Front National im etablierten französischen<br />

Parteiensystem angekommen. Die Partei<br />

trug damit entscheidend dazu bei, jenes für<br />

die V. Republik charakteristische bipolare System<br />

der Quadrille Bipolaire von zwei etwa<br />

gleich großen Parteien auf der Rechten sowie<br />

zweien auf der Linken zu beenden. Die Parlamentswahlen<br />

1986 stellen somit den Abschluss<br />

der Frühentwicklung des Front National dar:<br />

„Die zentrale Strategie des FN, sich an allen<br />

Wahlen zu beteiligen, hatte sich ausgezahlt.” 43<br />

Die Partei hatte es unter Jean-Marie Le Pen geschafft,<br />

bei Parlaments-, Kommunal-, Kantonalund<br />

Regionalwahlen sowie den Wahlen zum Europäischen<br />

Parlament zehn oder mehr Prozent<br />

der Wählerstimmen auf sich zu vereinigen. Im<br />

Konglomerat französischer Wahlen fehlte nun<br />

nur noch ein spektakulärer Erfolg bei der wichtigsten<br />

elektoralen Entscheidung: der Präsidentschaftswahl.<br />

Dieser Erfolg sollte sich 1988 einstellen.<br />

Knapp zwei Jahre nach der Parteigründung war<br />

Le Pen erstmals bei Präsidentschaftswahlen angetreten.<br />

Der damals noch kaum bekannte Politiker<br />

konnte in einem extrem polarisierten Wahlkampf<br />

zwischen dem bürgerlichen Kandidaten<br />

Valéry Giscard d'Estaing und François Mitterrand<br />

als Kandidaten der Linksunion am 5. Mai<br />

1974 lediglich 0,8 Prozent der Wählerstimmen<br />

im ersten Wahlgang auf sich vereinigen. Allerdings<br />

war die Zustimmung von knapp über<br />

190.000 Wählern ein erster Achtungserfolg für<br />

Le Pen gewesen. Der nächste Versuch sollte<br />

ihm, nach den Durchbruchswahlen der Assemblée<br />

Nationale 1986, im April 1988 mehr als 4,3<br />

Millionen Wähler und einen prozentualen Anteil<br />

von 14,4 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang<br />

bescheren. Mit diesem Ergebnis war auch<br />

das Individuum Le Pen endgültig in die Phalanx<br />

der Kandidaten der etablierten Parteien eingebrochen<br />

– so hatte er im ersten Wahlgang 1988<br />

nur 1,2 Prozentpunkte weniger als der landesweit<br />

bekannte ehemalige Premierminister Ray-<br />

43 Lampe, Aufstieg, S. 32.

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