2012, Heft 18, S. 5-15 - PRuF
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MIP <strong>2012</strong> <strong>18</strong>. Jhrg. Nikolas R. Dörr – 40 Jahre Front National [...] Aufsätze<br />
über hinaus wird die Geschichte des Front National<br />
eng mit dem Wahlsystem und dessen verschiedenen<br />
Ausprägungen und Veränderungen in<br />
Frankreich verknüpft. Im Mittelpunkt stehen<br />
hierbei die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen.<br />
6 Weiterhin werden die Direktwahlen<br />
zum Europäischen Parlament, die Regional-,<br />
Kantonal- und Kommunalwahlen berücksichtigt.<br />
Die Programmatik des Front National ist hingegen<br />
bereits in hohem Maße wissenschaftlich bearbeitet<br />
worden und spielt daher in diesem Artikel<br />
nur im direkten Hinblick auf Wahlen eine<br />
maßgebliche Rolle. 7 Gleiches gilt für den internen<br />
Aufbau der Partei. 8<br />
Die Entwicklung der extrême droite von der<br />
Befreiung Frankreichs bis zur Gründung des<br />
Front National<br />
Die französische Identitätskrise nach der Unabhängigkeit<br />
der meisten Kolonien Mitte der<br />
6 Das französische Parlament der V. Republik ist bikameral<br />
und asynchron in seiner Kompetenzverteilung.<br />
Die Nationalversammlung (Assemblée Nationale) verfügt<br />
über stärkere Kompetenzen als der Senat (Sénat).<br />
Mit der Ausnahme 1986 fanden bisher alle Wahlen der<br />
Assemblée Nationale nach dem absoluten Mehrheitswahlrecht<br />
statt. Hierbei ist im ersten Wahlgang der<br />
Kandidat gewählt, der eine absolute Mehrheit der abgegebenen<br />
Wählerstimmen auf sich vereinigen kann.<br />
Ist dies bei keinem der Kandidaten der Fall, kommt es<br />
zu einem zweiten Wahlgang der bestplatzierten Bewerber<br />
(nach verschiedenen Änderungen dürfen momentan<br />
alle Kandidaten in den zweiten Wahlgang einziehen,<br />
die mindestens 12,5 Prozent der Stimmen im ersten<br />
Wahlgang erhalten haben). Im zweiten Wahlgang erhält<br />
der Kandidat das Mandat, der die höchste Stimmenzahl<br />
auf sich vereinigt (relative Mehrheit). Die<br />
Wahlen für den Sénat wurden in diesem Artikel nicht<br />
berücksichtigt, da diese nicht gleichzeitig landesweit<br />
stattfinden sowie sehr eng an die Person des Kandidaten<br />
gebunden sind und daher kaum generelle Aussagen<br />
über das Wählerpotential einer Partei zulassen. Die<br />
Präsidentschaftswahlen finden seit 1965 wie die Wahlen<br />
zur Assemblée Nationale im absoluten Mehrheitswahlsystem<br />
statt. Im Gegensatz zu Letzteren dürfen jedoch<br />
nur die beiden bestplatzierten Kandidaten des ersten<br />
Wahlgangs in die zweite Wahlrunde einziehen.<br />
7 Zur Programmatik siehe: Lampe, Aufstieg, S. 65-86.<br />
8 Zum Aufbau des Parteiapparats siehe: Adelheid Zinell,<br />
Moderner Rechtspopulismus in Frankreich. Von<br />
Charles de Gaulle bis Jean-Marie Le Pen, Frankfurt am<br />
Main u.a. 1996, S. 196-201.<br />
1950er bis Anfang der 1960er bildete ein neues<br />
programmatisches Feld für die extreme Rechte<br />
in Frankreich, die bis dato in Folge der Befreiung<br />
Frankreichs 1944 aufgrund ihrer ideologischen<br />
Nähe zum Vichy-Regime im Großteil der<br />
Bevölkerung diskreditiert gewesen war. 9 Hinzu<br />
kam, dass zahlreiche führende Köpfe der extremen<br />
Rechten juristisch belangt und teilweise<br />
zum Tode verurteilt worden waren und sich erst<br />
eine neue Generation von politischen Führungsfiguren<br />
etablieren musste. 10 Während des Algerienkrieges<br />
konnte die extreme Rechte mit ihrer<br />
Ablehnung eines unabhängigen Algeriens Sympathien<br />
bei einer Bevölkerungsminderheit sammeln<br />
11 , die ihr davor größtenteils durch das Stigma<br />
von Vichy versagt worden waren. 12<br />
Ein erstes, allerdings kurzzeitiges parteipolitisches<br />
Wiederaufleben hatte die extreme Rechte<br />
bereits während der 1950er Jahre erfahren. Der<br />
Rechtspopulist Pierre Poujade konnte in Folge<br />
der krisengeschüttelten IV. Republik zahlreiche<br />
Wählerstimmen hinter sich vereinigen. Bei den<br />
letzten Parlamentswahlen der IV. Republik im<br />
Januar 1956 erhielt seine Partei, die Union et<br />
fraternité française (UFF), 11,6 Prozent der<br />
Wählerstimmen. 13 Unter den 52 poujadistischen<br />
Abgeordneten der Assemblée Nationale war<br />
auch der junge Jean-Marie Le Pen. Bis zum Be-<br />
9 Ernst Weisenfeld, Frankreichs Geschichte seit 1945.<br />
Von de Gaulle bis zur Gegenwart, München 1997 [im<br />
Folgenden: Geschichte], S. 28-31.<br />
10 Wilfried Loth, Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert,<br />
Berlin u.a. 1987, S. 126.<br />
11 Zur Algerien-Rezeption in der französischen Rechten<br />
siehe: Guy Pervillé, L'Algérie dans la mémoire des<br />
droites, in: Jean-François Sirinelli (Hrsg.), Histoires<br />
des droites, Band 2 Cultures, Paris 1992, S. 621-644.<br />
12 Zum Vichy-Regime siehe u.a.: François-Georges Dreyfus,<br />
Histoire de Vichy, Paris 2004; Robert O. Paxton,<br />
La France de Vichy. 1940-1944, Paris 1999.<br />
13 Wahlergebnisse werden auf Basis folgender Quellen<br />
zitiert: Marieluise Christadler, Der Front National.<br />
Vom Außenseiter zur etablierten Protestpartei, in: Österreichische<br />
Zeitschrift für Politikwissenschaft,<br />
3/1995 [im Folgenden: Außenseiter], S. 291-304 sowie<br />
Christine Fauvelle-Aymar/Michael S. Lewis-Beck,<br />
Coalition strategies and the National Front vote in<br />
French legislative contests, in: French Politics, Vol. 3,<br />
Nr. 2/2005, S. 164-177. Das angegebene Ergebnis bezieht<br />
sich auf den ersten Wahlgang, sofern keine Zusatzinformation<br />
gegeben wird.<br />
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