2012, Heft 18, S. 5-15 - PRuF
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Rezensionen MIP <strong>2012</strong> <strong>18</strong>. Jhrg.<br />
und Milieuerosion sind nur einige der Fäden, die<br />
der Autor hier aufnimmt und zu einem „komplexen<br />
Ursache-Wirkungsgeflecht“ (217) verknotet.<br />
Spektakulär Neues fördert diese Revision zwar<br />
nicht mehr zu Tage. Lehrreich und pointiert ist<br />
sie aber allemal.<br />
Den Höhepunkt der Argumentation bildet freilich<br />
das spannende, wenngleich nicht restlos<br />
überzeugende Schlusskapitel des Buches, in dem<br />
Elmar Wiesendahl einen Blick in die politikwissenschaftliche<br />
Glaskugel wagt, um das weitere<br />
Schicksal von CDU/CSU und SPD vorherzusagen.<br />
Das Orakel dürfte auf den ersten Blick all<br />
jene freuen, die sich selbst als kritische Freunde<br />
der Volksparteien verstehen, die Integrationsleistungen<br />
der Großen beim Wiederaufbau Deutschlands<br />
hoch halten oder inzwischen schlichtweg<br />
Mitleid mit den „ratlosen Zwergen“ haben. Ungeachtet<br />
aller Unkenrufe steht für Wiesendahl<br />
nämlich fest: Das Ende der Volksparteien ist<br />
nicht in Sicht (219).<br />
Auf diese Weise geraten zwei Stränge der gegenwärtigen<br />
Parteienforschung in den Fokus seiner<br />
Kritik. Da ist zum einen die Göttinger Schule<br />
um Peter Lösche und Franz Walter, die Wiesendahl<br />
als voreilige Verkünder des Untergangs<br />
rügt. Sie würden in monokausaler Weise von der<br />
Erosion der sozialmoralischen Milieus auf das<br />
Verschwinden der Volksparteien schließen. Zum<br />
anderen geht es der internationalen Party-Change-Forschung<br />
im Fahrwasser von Richard Katz<br />
und Peter Mair an den Kragen. Insgesamt stehe<br />
diese Richtung „auf empirisch wackeligen Füßen“<br />
und sei auch im Einzelnen „pseudoexakt“<br />
und „nicht besonders überzeugend“ (220 f.).<br />
Kartellpartei, Berufspolitikerpartei, professionalisierte<br />
Medienkommunikationspartei – hinter all<br />
diesen Modemarken zur Kennzeichnung eines<br />
angeblich neuen Stadiums in der Parteientwicklung<br />
verbergen sich für Wiesendahl nämlich nur<br />
Tendenzen, die in Wirklichkeit schon der Entwicklung<br />
der Volksparteien inhärent seien. Partielle<br />
Phänomene würden so zu grundlegenden<br />
Transformationskennzeichen hochgejazzt. Offenbar<br />
ein Fehlschluss. Denn: „Wider die These<br />
vom Ende der Volksparteien sind diese zwar angeschlagen,<br />
aber nicht tot zu kriegen“ (221). Der<br />
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Übergang zum Fünfparteiensystem habe CDU/<br />
CSU und SPD zwar unwiderruflich geschwächt.<br />
Und daher gilt: „Für Volksparteien im Herbst<br />
gibt es keinen erneuten Frühling“ (2<strong>15</strong>). Sie<br />
müssten deshalb aber „(noch) nicht um ihren<br />
Volksparteienstatus fürchten“ (222). Wie das zusammen<br />
passt?<br />
Der argumentative Ausweg besteht für Wiesendahl<br />
in einer extrem reduktionistischen Reformulierung<br />
des Volksparteibegriffs: Entscheidend<br />
für die Verleihung des Prädikats soll demnach<br />
künftig die Frage sein, ob die Großen als<br />
„Marktführer“ weiterhin „die Nase vorn haben“<br />
und in der Lage sind, ihre „Spielmacherfunktion“<br />
auszuüben. Parteien blieben solange Volksparteien,<br />
wie sie „eine Koalitionsregierung anführen<br />
können und den Regierungschef stellen“ (222).<br />
Und dieser Kunstgriff ist dann doch etwas zu<br />
kühn geraten. Zwar leuchtet Wiesendahls Versuch<br />
ein, den Volksparteistatus von einem bestimmten<br />
Mindestanteil an Wählerstimmen zu<br />
entkoppeln („Volksparteien sind keine 40-, 30oder<br />
20- Prozentparteien“). Doch wäre nach seiner<br />
Logik nun automatisch jede Partei eine<br />
Volkspartei, die in den Koalitionsverhandlungen<br />
den Chefsessel erobern kann. Ein solches, rein<br />
formalistisches Kriterium ist aber nicht nur reichlich<br />
kontraintuitiv und ahistorisch. Es widerspricht<br />
nebenbei auch den viel umfangreicheren<br />
typologischen Merkmalen, die der Autor selbst in<br />
einer Art Bestimmungsbogen für Volksparteien<br />
weiter vorn im Buch aufstellt (107 ff.).<br />
Dort – wie übrigens auch in früheren verdienstvollen<br />
Arbeiten Wiesendahls – wird der Volksparteistatus<br />
sinnvollerweise vor allem an das<br />
Selbstverständnis von Großparteien geknüpft,<br />
das sich auf den Anspruch stützt, schichtübergreifend<br />
und weltanschaulich verbindend weite<br />
Teile der Wählerschaft integrieren und ausgleichend<br />
vertreten zu wollen. Dass aber genau diese<br />
Art breiter zivilgesellschaftlicher Verankerung<br />
nachgelassen hat, kann und will auch Wiesendahl<br />
ja gar nicht ernsthaft bestreiten. Was die<br />
Anerkennung der empirischen Krisensymptome<br />
betrifft, gibt es bei näherer Betrachtung also gar<br />
keinen echten Dissens zwischen ihm und den<br />
Autoren, die das Ende der Epoche der Volkspar-