2012, Heft 18, S. 5-15 - PRuF

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02.12.2012 Aufrufe

Rezensionen MIP 2012 18. Jhrg. Sophie-Charlotte Lenski: Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung, Handkommentar, Nomos Verlag, Baden-Baden 2011, 531 S., ISBN 978-3-8329-1393-9, 69 €. Nach dem „Kersten/Rixen“ erschien im soeben vergangenen Jahr ein zweiter Kommentar, der seine Herkunft, jedenfalls teilweise, in München hat. Damit gibt es jetzt, neben den von Morlok und Ipsen verantworteten Kommentaren, vier relativ aktuelle Kommentierungen des Parteiengesetzes. Dabei darf nicht unterschlagen werden, daß Frau Lenski nicht nur als Herausgeberin fungiert, sondern den über 500 Seiten starken Kommentar auch vollständig verfaßt hat. Es handelt sich also um eine eindrucksvolle Energieleistung, um so eindrucksvoller, als dahinter nicht die manpower eines Lehrstuhls steht, sondern die Verfasserin gegenwärtig als Akademische Rätin selbst zur „Mannschaft“ eines Lehrstuhls, desjenigen nämlich von Jens Kersten, gehört. Im Vorwort verweist die Autorin darauf, ihr Kommentar solle „das Parteienrecht in anwenderbezogener Perspektive erfassen“. In dieser Hinsicht ist die Einbeziehung der §§ 16 bis 30 des BWahlG zugleich eine Erfüllung wie eine Erweiterung des gegebenen Versprechens: Ohne Zweifel gehören die Fragen der Kandidatenaufstellung für die staatlichen Wahlen zu den erheblichen praktischen Schwierigkeiten, die sich einer politischen Partei stellen. Dieser Part des Kommentars macht auch nicht nur einen unwesentlichen Anteil aus, sondern umfasst neben einer zwölfseitigen Einführung ins Thema über 100 Seiten Kommentierung. Es finden sich dabei zu den Vorschriften des BWahlG auch Verweise auf die jeweiligen parallelen Normierungen in den Ländern und für die Europawahlen. Die Kommentierungen sind zwar knapp gehalten, lassen den Leser aber nicht unbefriedigt zurück, sondern sprechen die bei den einzelnen Vorschriften sich stellenden Probleme an. Dies betrifft sowohl Fragen der inneren Ordnung der Parteien, wie etwa die Frage der Geltung des nebis-in-idem-Grundsatzes im Parteiordnungsrecht (§ 10 Rn. 48) oder die „Streichung“ von Parteimitgliedern wegen Beitragssäumigkeit (§ 10 Rn. 80 f.), 176 als auch die praktisch immer bedeutenden und drängenden Schwierigkeiten des Rechts der Parteienfinanzierung. Hier sei etwa an das Thema der Erlangung einer Spende durch die Partei erinnert, das seiner Bedeutung entsprechend breiten Raum erhält (§ 25 Rn. 6 bis 24), oder an die politisch brisante Frage des Spendenannahmeverbots für Spenden von Unternehmen, die durch die öffentliche Hand beherrscht werden (§ 25 Rn. 56 ff.). Die Beispiele einer problembewußten Behandlung der Themen ließen sich fortsetzen. Jeweils präsentiert der Kommentar mit nachvollziehbarer Begründung eine Lösung, der sich der Leser anschließen kann, sich aber auch anhand der meist zumindest knapp nachgewiesenen Gegenansicht anders zu entscheiden vermag. Die – sehr zurückhaltende – Kritik am Kommentar bleibt meist punktuell. So hätten in Fragen der inneren Ordnung, insbesondere auch des Parteiordnungsrechts, die Entscheidungen der Parteischiedsgerichte stärker herangezogen werden können, die den innerparteilichen Rechtsraum wesentlich mit prägen. Zwar werden die wenigen Judikate, die es bis in die juristischen Fachzeitschriften geschafft haben, auch verwertet. Der Kommentar macht aber keinen Gebrauch von den über das Internet abrufbaren Entscheidungen der obersten Parteischiedsgerichte in der Datenbank des PRuF6 . Ein anderes Desiderat ist dagegen vor allem Symptom für den gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Parteienrecht: Die Einleitung zum Kommentar ist mit zwei Seiten äußert knapp gehalten. Einleitende Passagen zu den Abschnitten des PartG fehlen (anders als etwa zum Recht der Kandidatenaufstellung, das mit einer 14seitigen Einführung bedacht wird). Dies ist vermutlich auch den Umfangsbegrenzungen des Verlages geschuldet, weist aber auch auf das bislang in weiten Teilen noch fehlende Gerüst einer Dogmatik des Parteienrechts hin. Dies schmälert allerdings die Leistung des Kommentars in keiner Weise, der vielmehr durch die solide Bearbeitung der Einzelprobleme den Weg zu einer sol- 6 Abrufbar unter http://134.99.90.172/xdos/xdos.htm, Kollektion „Schieds“.Vgl. zur Benutzung Roßner, Die Datenbanken des Instituts für Deutsches und Europäisches Parteienrecht, in: MIP 2000, S. 107 f.

MIP 2012 18. Jhrg. Rezensionen chen Dogmatik zu ebnen hilft. Daß dies in einem sachlichen und flüssig zu lesenden Stil geschieht, sei als weiterer Vorzug des Werkes erwähnt. Dr. Sebastian Roßner, M.A. Max Reinhardt: Aufstieg und Krise der SPD. Flügel und Repräsentanten einer pluralistischen Volkspartei, Nomos Verlag, Baden-Baden 2011, 628 S., ISBN 978-3-8329-6575-4, 99 €. I. Vogel contra Fuchs In seiner Autobiographie schreibt Hans-Jochen Vogel über seine Arbeitsweise: „Meine Arbeitsund Koordinierungsinstrumente waren die wöchentlichen Präsidiumssitzungen, die monatlichen Vorstandssitzungen und regelmäßige Bürobesprechungen, bei denen ich den Teilnehmern mitunter durch meine Neigung auf die Nerven ging, mich auch um Einzelheiten zu kümmern. Anke Fuchs hat das in ihren Erinnerungen anschaulich geschildert7 “. Besagte Anke Fuchs bezeichnet Vogels Arbeitsweise in ihrer zuvor erschienenen Autobiographie als „ausgefeilte[] Wiedervorlagenmaschinerie“ oder auch als „Vogels Wiedervorlage-System8 “. Damit sind bereits zwei der von Max Reinhardt im Zuge seiner von Oktober 2003 bis 2009 entstandenen Dissertation an der Leibniz-Universität Hannover interviewten dreizehn SPD-Führungspersönlichkeiten aus zwei unterschiedlichen Generationen selbst zu Wort gekommen. Der Politikwissenschaftler Max Reinhardt untersucht in seiner mit 628 Seiten äußerst umfangreichen Dissertation den Wandel der Repräsentationsfähigkeit der SPD-Führung nach dem Zweiten Weltkrieg. „Die zentrale Fragestellung dieser Arbeit ist, ob sich die parteiflügel- und milieuübergreifende Repräsentationsfähigkeit der SPD und ihrer Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker gewandelt hat“ (33). Dies ist der erste Satz von Reinhardts Dissertationsschrift. Völlig unvermittelt wird dem Leser die zentrale Fragestel- 7 Vogel, Hans-Jochen. 1996. Nachsichten. Meine Bonner und Berliner Jahre. München, Zürich: Piper: 228. 8 Fuchs, Anke. 1991. Mut zur Macht. Selbsterfahrung in der Politik. Hamburg: Hoffmann und Campe: 39, 41. lung präsentiert. Eine Einführung in die Thematik oder gar eine Herleitung und Begründung der Relevanz der Fragestellung fehlen völlig. In gleicher Weise verfährt Reinhardt mit seiner Hypothese: „Die Hypothese dieser Arbeit ist, dass die heutige SPD insbesondere nach ihrem Regierungsantritt im Jahre 1998 nicht nur Wählerverluste hinnehmen musste, sondern das Ergebnis eines Wandels in Folge von innerparteilichen Machtkämpfen und oftmals autoritär geführten Ausgrenzungshandlungen ist, die den Wählerverlusten vorausgingen“ (33). II. Die Methode: habitushermeneutisch? Der Untersuchungsgrund wird in Kapitel 3 angeführt, das „Untersuchungsmethode und Forschungsdesign“ (177-196) behandelt: „Das Ziel der Analyse von Biographien der SPD-Spitzenpolitiker ist es, das politische Feld als sozialen Raum mit seinen Machtpositionen entlang der Konfliktlinien zu analysieren“ (178). Obwohl die gesellschaftlichen Konfliktlinien im Konzept des zweiten, entscheidenden Teils der Arbeit also eine zentrale Rolle spielen, stützt sich Reinhardt dazu nur auf eine einzige Seite in einer einzigen Quelle (Rokkan 1965: 675) und ignoriert zudem den Beitrag von Lipset zur Cleavage-Theorie völlig (179, Fußnote 5). Zur Analyse der 13 Interviews verwendet Reinhardt die selbst so von ihm bezeichnete habitushermeneutische Methode. Diese geht einerseits auf das Habitus-Feld-Konzept von Bourdieu9 , andererseits auf die Hermeneutik zurück. Die vorliegende Arbeit ist somit keine politikwissenschaftliche, sondern eine soziologisch-kulturwissenschaftliche Untersuchung. Trotz seiner zentralen Bedeutung für die Untersuchung erläutert Reinhardt das Habitus-Feld-Konzept von Bourdieu allerdings nicht ausreichend (189f.). III. Die Biographien Mehr als die Hälfte des Umfangs der Arbeit wird schließlich von den Biographien in Kapitel 5 bis 17 eingenommen (203-510). Die Analyse der Biographien enthält zahlreiche unnötige Details, 9 Vgl. dazu insbesondere: Bourdieu, Pierre. 1987 (Orig. 1979). „Der Habitus und der Raum der Lebensstile“. In: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main: Suhrkamp: 277-286. 177

MIP <strong>2012</strong> <strong>18</strong>. Jhrg. Rezensionen<br />

chen Dogmatik zu ebnen hilft. Daß dies in einem<br />

sachlichen und flüssig zu lesenden Stil geschieht,<br />

sei als weiterer Vorzug des Werkes erwähnt.<br />

Dr. Sebastian Roßner, M.A.<br />

Max Reinhardt: Aufstieg und Krise der SPD.<br />

Flügel und Repräsentanten einer pluralistischen<br />

Volkspartei, Nomos Verlag, Baden-Baden<br />

2011, 628 S., ISBN 978-3-8329-6575-4, 99 €.<br />

I. Vogel contra Fuchs<br />

In seiner Autobiographie schreibt Hans-Jochen<br />

Vogel über seine Arbeitsweise: „Meine Arbeitsund<br />

Koordinierungsinstrumente waren die wöchentlichen<br />

Präsidiumssitzungen, die monatlichen<br />

Vorstandssitzungen und regelmäßige Bürobesprechungen,<br />

bei denen ich den Teilnehmern<br />

mitunter durch meine Neigung auf die Nerven<br />

ging, mich auch um Einzelheiten zu kümmern.<br />

Anke Fuchs hat das in ihren Erinnerungen anschaulich<br />

geschildert7 “. Besagte Anke Fuchs bezeichnet<br />

Vogels Arbeitsweise in ihrer zuvor erschienenen<br />

Autobiographie als „ausgefeilte[]<br />

Wiedervorlagenmaschinerie“ oder auch als „Vogels<br />

Wiedervorlage-System8 “. Damit sind bereits<br />

zwei der von Max Reinhardt im Zuge seiner von<br />

Oktober 2003 bis 2009 entstandenen Dissertation<br />

an der Leibniz-Universität Hannover interviewten<br />

dreizehn SPD-Führungspersönlichkeiten<br />

aus zwei unterschiedlichen Generationen selbst<br />

zu Wort gekommen.<br />

Der Politikwissenschaftler Max Reinhardt untersucht<br />

in seiner mit 628 Seiten äußerst umfangreichen<br />

Dissertation den Wandel der Repräsentationsfähigkeit<br />

der SPD-Führung nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg. „Die zentrale Fragestellung dieser<br />

Arbeit ist, ob sich die parteiflügel- und milieuübergreifende<br />

Repräsentationsfähigkeit der SPD<br />

und ihrer Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker<br />

gewandelt hat“ (33). Dies ist der erste Satz<br />

von Reinhardts Dissertationsschrift. Völlig unvermittelt<br />

wird dem Leser die zentrale Fragestel-<br />

7 Vogel, Hans-Jochen. 1996. Nachsichten. Meine Bonner<br />

und Berliner Jahre. München, Zürich: Piper: 228.<br />

8 Fuchs, Anke. 1991. Mut zur Macht. Selbsterfahrung in<br />

der Politik. Hamburg: Hoffmann und Campe: 39, 41.<br />

lung präsentiert. Eine Einführung in die Thematik<br />

oder gar eine Herleitung und Begründung der<br />

Relevanz der Fragestellung fehlen völlig. In gleicher<br />

Weise verfährt Reinhardt mit seiner Hypothese:<br />

„Die Hypothese dieser Arbeit ist, dass die<br />

heutige SPD insbesondere nach ihrem Regierungsantritt<br />

im Jahre 1998 nicht nur Wählerverluste<br />

hinnehmen musste, sondern das Ergebnis<br />

eines Wandels in Folge von innerparteilichen<br />

Machtkämpfen und oftmals autoritär geführten<br />

Ausgrenzungshandlungen ist, die den Wählerverlusten<br />

vorausgingen“ (33).<br />

II. Die Methode: habitushermeneutisch?<br />

Der Untersuchungsgrund wird in Kapitel 3 angeführt,<br />

das „Untersuchungsmethode und Forschungsdesign“<br />

(177-196) behandelt: „Das Ziel<br />

der Analyse von Biographien der SPD-Spitzenpolitiker<br />

ist es, das politische Feld als sozialen<br />

Raum mit seinen Machtpositionen entlang der<br />

Konfliktlinien zu analysieren“ (178). Obwohl<br />

die gesellschaftlichen Konfliktlinien im Konzept<br />

des zweiten, entscheidenden Teils der Arbeit<br />

also eine zentrale Rolle spielen, stützt sich Reinhardt<br />

dazu nur auf eine einzige Seite in einer<br />

einzigen Quelle (Rokkan 1965: 675) und ignoriert<br />

zudem den Beitrag von Lipset zur Cleavage-Theorie<br />

völlig (179, Fußnote 5).<br />

Zur Analyse der 13 Interviews verwendet Reinhardt<br />

die selbst so von ihm bezeichnete habitushermeneutische<br />

Methode. Diese geht einerseits<br />

auf das Habitus-Feld-Konzept von Bourdieu9 ,<br />

andererseits auf die Hermeneutik zurück. Die<br />

vorliegende Arbeit ist somit keine politikwissenschaftliche,<br />

sondern eine soziologisch-kulturwissenschaftliche<br />

Untersuchung. Trotz seiner zentralen<br />

Bedeutung für die Untersuchung erläutert<br />

Reinhardt das Habitus-Feld-Konzept von Bourdieu<br />

allerdings nicht ausreichend (<strong>18</strong>9f.).<br />

III. Die Biographien<br />

Mehr als die Hälfte des Umfangs der Arbeit wird<br />

schließlich von den Biographien in Kapitel 5 bis<br />

17 eingenommen (203-510). Die Analyse der<br />

Biographien enthält zahlreiche unnötige Details,<br />

9 Vgl. dazu insbesondere: Bourdieu, Pierre. 1987 (Orig.<br />

1979). „Der Habitus und der Raum der Lebensstile“. In:<br />

Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen<br />

Urteilskraft. Frankfurt am Main: Suhrkamp: 277-286.<br />

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