2012, Heft 18, S. 5-15 - PRuF

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02.12.2012 Aufrufe

Rezensionen MIP 2012 18. Jhrg. insbesondere das Aktenvorlagerecht (§§ 15, 17). Auch hier hat das BVerfG in seiner BND-Entscheidung neue Maßstäbe gesetzt. Für wissenschaftliche und praktische Zwecke wird das Verhältnis des Untersuchungsausschusses zum Parlament und zu anderen Verfassungsorganen deutlich. Die zwischenzeitlich ergangene Rechtsprechung zu parlamentarischen Minderheitenrechten ist ebenfalls aufgearbeitet (§ 27). Ein vielversprechendes Werk zu einer Materie, die angesichts auch künftiger Untersuchungsausschüsse mit neuen Rechtsfragen in Bewegung bleibt, was schon jetzt auf die dritte Auflage hoffen lässt. Dr. Marcus Hahn-Lorber, LL.M. (Edinburgh) Georg Kirschniok-Schmidt: Das Informationsrecht des Abgeordneten nach der brandenburgischen Landesverfassung, Peter Lang Verlag, Frankfurt u. a. 2010, 438 S., ISBN 978-3-631-59955-6, 90,80 €. Das Buch von Georg Kirschniok-Schmidt beruht auf einer Dissertation, die im WS 2009/10 der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam vorlag. Sie ist eine umfassende monographische Aufarbeitung des Informationsrechts des Abgeordneten auf Grundlage der brandenburgischen Landesverfassung. Sie behandelt damit die gleiche, in Bewegung geratene Thematik wie das aktualisierte Werk von Glauben und Brocker (Besprechung in diesem Heft). Dabei fokussiert sie sich nicht auf das Untersuchungsausschussrecht, sondern arbeitet allgemein Informationsansprüche des Abgeordneten auf. Die materiellen Problemlagen sind jedoch ähnlich gestaltet. Kirschniok-Schmidt hat die Arbeit aus seiner Tätigkeit als Referatsleiter im brandenburgischen Justizministerium heraus entwickelt und betrachtet damit das Informationsrecht des Abgeordneten aus dem Blickwinkel der Exekutive. Neu ist, dass diese Arbeit nicht allein auf Frage- und Untersuchungsrechte beschränkt ist, sondern umfassend jegliche Ansprüche des Abgeordneten als Subjekt in Informationsflüssen zwischen Parlament und Regierung untersucht. Zunächst berei- 172 chert Kirschniok-Schmidt die Literatur mit einer wissenschaftlichen, spezialisierten Abhandlung über Informationsrechte. Anders als Glauben und Brocker legt er damit kein Handbuch vor, sondern treibt das Thema „Informationsrechte“ erschöpfend in die Tiefe. Als Praktiker der Exekutive verbindet er immer wieder die rechtliche Tragweite des Themas mit den tatsächlichen Gegebenheiten des politischen Prozesses (S. 161 ff. u.ö.). Im Zusammenspiel mit dem Standardwerk von Glauben und Brocker wird es damit zur praktischen Arbeitshilfe und zum Ausgangspunkt wissenschaftlichen Weiterarbeitens an diesem umfangreichen Thema. Ausgangspunkt ist Art. 56 VerfBbg, der neben der in anderen Verfassungen bekannten Regelung des Abgeordnetenstatus auch ein Zugangsrecht der Abgeordneten zu Behörden und Dienststellen sowie auf Vorlage von Akten regelt. Diese Besonderheit ist auch der Wendezeit geschuldet und macht die Beschäftigung mit Informationsrechten des Abgeordneten im Jahr 2010 umso spannender. Wie Glauben und Brocker lässt es Kirschniok-Schmidt nicht dabei bewenden, den Abgeordnetenstatus (S. 23 ff.) zu untersuchen, sondern geht auf das mit Informationsansprüchen verbundene Problem der Gewaltenteilung als zentrales Thema ein (S. 3). Nach einem historischen Abriss (S. 5 ff.) beginnt er mit einem innerstaatlichen Verfassungsvergleich und nimmt den Bestand der deutschen Verfassungssubstanz auf. Zu Recht sieht er Informationsansprüche der Abgeordneten im gesamten deutschen Bundes- und Landesverfassungsrecht verankert (S. 19 ff., 40 ff.). Er arbeitet heraus, dass es verschiedene Generationen oder „Textstufen“ des Verfassungsrechts gibt, wobei die Nachwendeverfassungen besondere Ausgestaltungen aufweisen (S. 48 ff., 61 ff.). Dabei verankert er Informationsansprüche von Abgeordneten auch im Demokratieprinzip im Allgemeinen (S. 27 ff.). Ausführlich erarbeitet er die Entstehung von Art. 56 VerfBbg als Nachwendeverfassungsrecht, das auch die Reichweite der Informationsansprüche bestimmt (S. 64 ff.). Zur Debatte stand eine Harmonisierung des Informationsrechts der Abgeordneten mit neu geschaffenen Akteneinsichts-

MIP 2012 18. Jhrg. Rezensionen rechten der Bürger, die in Art. 22 VerfBbg niedergelegt sind (S. 72 f.). Unter der Überschrift „Konfliktfelder“ gelangt Kirschniok-Schmidt zur Problematik der Gewaltenteilung und Gewaltenverschränkung durch parlamentarische Informationsrechte (S. 111 ff.). Hier nimmt er eine umfassende Auslegung des Art. 56 VerfBbg vor, die von Interesse für die Gesamtmaterie ist, weil er ausnahmslos alle verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zur Thematik auswertet (vor allem S. 113, 117, 119 u.ö.). Als Praktiker der Exekutive denkt er von den Grenzen des Fragerechts und der Antwortpflicht her (S. 119 ff., 226 ff.), entwertet aber das grundsätzliche Informationsrecht nicht. Vielmehr geht er von einem Kooperationsverhältnis der Verfassungsorgane aus (S. 135 ff.) und betont die Aufgabe des Parlaments, an der Staatsleitung teilzuhaben (S. 137 ff.). Streckenweise könnten die Ausführungen an dieser Stelle klarer konturiert werden. Informationsrechte dürfen als solche nicht zu einem „Mitregieren“ des Parlaments führen. Andererseits wirkt eine Betrachtung des Informationsrechts des Abgeordneten, wie Kirschniok-Schmidt zu Recht betont, unterbelichtet, wenn man lediglich zwischen „abgeschlossenen und „nicht-abgeschlossenen“ Vorgängen unterscheidet (S. 232 f.) oder den formalen Begriff des „Kernbereichs“ für eine Grenzziehung bemüht (S. 236 ff.). Die materielle Annäherung Kirschniok-Schmidts an die Problematik überzeugt dagegen eher und hilft, notwendige Schranken des Informationsrechts dennoch nicht aus dem Blick zu verlieren, sondern sie zu ergründen (S. 246 ff.). Beide nehmen die ihnen jeweils angetrauten Aufgaben der Staatsleitung aus unterschiedlichen Blickwinkeln wahr, weshalb sie jeweils in ihrer Autonomie zu schützen sind (S. 260, 264 ff., 276 ff., 324 ff.). Diese Betrachtung kann sich den Vorwurf einhandeln, einseitig die Exekutive zu schützen. Sie kann aber auch als Verdienst angesehen werden, das Spannungsverhältnis zwischen parlamentarischem Informationsanspruch und Funktions- und Entscheidungsfähigkeit der Exekutive besser zu ergründen als formale Abgrenzungsformeln oder Postulate eines unbedingten Informationsanspruchs. Wie die jüngere Rechtsprechung und die Entwicklung der Literatur zeigt, ist es scheinbares Paradox der Informationsgesellschaft, dass Informationen nur dann wirkliche Transparenz schaffen, wenn ihre Herausgabe mit guter Begründung eben auch abgelehnt werden darf. Dies gilt als Grundsatz einer abwägungsbetonten Gewaltenverschränkung auch im Verhältnis zwischen Regierung und Parlament. Dr. Marcus Hahn-Lorber, LL.M. (Edinburgh) Isabel Kneisler: Das italienische Parteiensystem im Wandel, VS Verlag, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-531-17991-9, 39,95 €. I. Mamma mia „Mamma mia – was ist bloß mit den Italienern los?“ (15) fragt sich Isabel Kneisler gleich zu Beginn ihrer 289-seitigen Dissertation über das italienische Parteiensystem und dessen Wandel. Die Dissertation von Frau Kneisler behandelt damit eines der interessantesten Parteiensysteme Westeuropas, das zugleich den einzigartigen Fall des kompletten Zusammenbruchs eines demokratischen Parteiensystems in den Jahren 1993/94 darstellt. Deshalb wird in Bezug auf diesen Zusammenbruch auch von den zwei Republiken Italiens gesprochen, obwohl es formal keinen Bruch der Verfassungstradition, wohl aber einen Bruch im Parteiensystem gibt. Nach Smith, auf dessen Einteilung sich Kneisler ganz zentral stützt, lässt sich die Intensität eines Parteiensystemwandels in „[...] four distinctive levels of system change [...]“ 5 unterteilen. Im Falle Italiens liegt mit “transformation“ die höchste Intensitätsstufe vor. II. Das Vorgehen Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf dem Parteiensystemwandel in Italien von 1992 bis 2008. Da ein Parteiensystemwandel in Italien seit 1992 so offensichtlich vorliegt, wird damit nicht das Ob, sondern die Qualität des Parteiensystemwandels seit 1992 anhand der Parteiensystemeigenschaften untersucht. Am Ende soll da- 5 Smith, Gordon. 1989. “A System Perspective on Party System Change”. In: Journal of Theoretical Politics 1,3: 353. 173

MIP <strong>2012</strong> <strong>18</strong>. Jhrg. Rezensionen<br />

rechten der Bürger, die in Art. 22 VerfBbg niedergelegt<br />

sind (S. 72 f.).<br />

Unter der Überschrift „Konfliktfelder“ gelangt<br />

Kirschniok-Schmidt zur Problematik der Gewaltenteilung<br />

und Gewaltenverschränkung durch<br />

parlamentarische Informationsrechte (S. 111 ff.).<br />

Hier nimmt er eine umfassende Auslegung des<br />

Art. 56 VerfBbg vor, die von Interesse für die<br />

Gesamtmaterie ist, weil er ausnahmslos alle verfassungsgerichtlichen<br />

Entscheidungen zur Thematik<br />

auswertet (vor allem S. 113, 117, 119<br />

u.ö.). Als Praktiker der Exekutive denkt er von<br />

den Grenzen des Fragerechts und der Antwortpflicht<br />

her (S. 119 ff., 226 ff.), entwertet aber<br />

das grundsätzliche Informationsrecht nicht. Vielmehr<br />

geht er von einem Kooperationsverhältnis<br />

der Verfassungsorgane aus (S. 135 ff.) und betont<br />

die Aufgabe des Parlaments, an der Staatsleitung<br />

teilzuhaben (S. 137 ff.). Streckenweise<br />

könnten die Ausführungen an dieser Stelle klarer<br />

konturiert werden. Informationsrechte dürfen als<br />

solche nicht zu einem „Mitregieren“ des Parlaments<br />

führen. Andererseits wirkt eine Betrachtung<br />

des Informationsrechts des Abgeordneten,<br />

wie Kirschniok-Schmidt zu Recht betont, unterbelichtet,<br />

wenn man lediglich zwischen „abgeschlossenen<br />

und „nicht-abgeschlossenen“ Vorgängen<br />

unterscheidet (S. 232 f.) oder den formalen<br />

Begriff des „Kernbereichs“ für eine Grenzziehung<br />

bemüht (S. 236 ff.). Die materielle Annäherung<br />

Kirschniok-Schmidts an die Problematik<br />

überzeugt dagegen eher und hilft, notwendige<br />

Schranken des Informationsrechts dennoch nicht<br />

aus dem Blick zu verlieren, sondern sie zu ergründen<br />

(S. 246 ff.). Beide nehmen die ihnen jeweils<br />

angetrauten Aufgaben der Staatsleitung<br />

aus unterschiedlichen Blickwinkeln wahr, weshalb<br />

sie jeweils in ihrer Autonomie zu schützen<br />

sind (S. 260, 264 ff., 276 ff., 324 ff.).<br />

Diese Betrachtung kann sich den Vorwurf einhandeln,<br />

einseitig die Exekutive zu schützen. Sie<br />

kann aber auch als Verdienst angesehen werden,<br />

das Spannungsverhältnis zwischen parlamentarischem<br />

Informationsanspruch und Funktions- und<br />

Entscheidungsfähigkeit der Exekutive besser zu<br />

ergründen als formale Abgrenzungsformeln oder<br />

Postulate eines unbedingten Informationsanspruchs.<br />

Wie die jüngere Rechtsprechung und<br />

die Entwicklung der Literatur zeigt, ist es scheinbares<br />

Paradox der Informationsgesellschaft, dass<br />

Informationen nur dann wirkliche Transparenz<br />

schaffen, wenn ihre Herausgabe mit guter Begründung<br />

eben auch abgelehnt werden darf. Dies<br />

gilt als Grundsatz einer abwägungsbetonten Gewaltenverschränkung<br />

auch im Verhältnis zwischen<br />

Regierung und Parlament.<br />

Dr. Marcus Hahn-Lorber,<br />

LL.M. (Edinburgh)<br />

Isabel Kneisler: Das italienische Parteiensystem<br />

im Wandel, VS Verlag, Wiesbaden 2011,<br />

ISBN 978-3-531-17991-9, 39,95 €.<br />

I. Mamma mia<br />

„Mamma mia – was ist bloß mit den Italienern<br />

los?“ (<strong>15</strong>) fragt sich Isabel Kneisler gleich zu<br />

Beginn ihrer 289-seitigen Dissertation über das<br />

italienische Parteiensystem und dessen Wandel.<br />

Die Dissertation von Frau Kneisler behandelt damit<br />

eines der interessantesten Parteiensysteme<br />

Westeuropas, das zugleich den einzigartigen Fall<br />

des kompletten Zusammenbruchs eines demokratischen<br />

Parteiensystems in den Jahren<br />

1993/94 darstellt. Deshalb wird in Bezug auf<br />

diesen Zusammenbruch auch von den zwei Republiken<br />

Italiens gesprochen, obwohl es formal<br />

keinen Bruch der Verfassungstradition, wohl<br />

aber einen Bruch im Parteiensystem gibt. Nach<br />

Smith, auf dessen Einteilung sich Kneisler ganz<br />

zentral stützt, lässt sich die Intensität eines Parteiensystemwandels<br />

in „[...] four distinctive levels<br />

of system change [...]“ 5 unterteilen. Im Falle Italiens<br />

liegt mit “transformation“ die höchste Intensitätsstufe<br />

vor.<br />

II. Das Vorgehen<br />

Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf<br />

dem Parteiensystemwandel in Italien von 1992<br />

bis 2008. Da ein Parteiensystemwandel in Italien<br />

seit 1992 so offensichtlich vorliegt, wird damit<br />

nicht das Ob, sondern die Qualität des Parteiensystemwandels<br />

seit 1992 anhand der Parteiensystemeigenschaften<br />

untersucht. Am Ende soll da-<br />

5 Smith, Gordon. 1989. “A System Perspective on Party<br />

System Change”. In: Journal of Theoretical Politics<br />

1,3: 353.<br />

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