2012, Heft 18, S. 5-15 - PRuF

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02.12.2012 Aufrufe

Parteienrecht im Spiegel der Rechtsprechung MIP 2012 18. Jhrg. Begründungszwang für die Ablehnung der Beklagten auslöst. Auch sei der Kläger durch die Verweigerung der Zustellung nicht besonders hart getroffen, weil er seine Postsendungen ja mit konkreten Adressen versehen könne, um die begehrte Leistung der Beklagten zu erreichen. Schließlich lasse sich auch aus den AGB der Beklagten keine Selbstverpflichtung zum Vertragsabschluss mit der NPD-Fraktion ableiten. Das VG Berlin90 stellte die Rechtsnatur von Bundestagsfraktionen anlässlich eines Informationsbegehrens eines Journalisten klar. Dieser verlangte nach dem Landespresse- und Informationsfreiheitsgesetz Auskünfte über Zahlungen einer Fraktion an deren Funktionsträger. Da die Bundestagsfraktion weder eine Behörde, noch eine sonstige Stelle sei, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, fehle es bereits an einem tauglichen Anspruchsgegner gem. § 1 I 1 und 2 IFG. An der Qualifikation der Fraktionen als lediglich rechtsfähige Vereinigungen von Abgeordneten ändere auch der Inhalt, auf den das Auskunftsbegehren des Klägers gerichtet ist, nichts. Wenn die Fraktion Geldmittel, welche sie zuvor vom Staat erhalten hat, an ihre Funktionsträger verteilt, handele es sich nicht um eine Aufgabe der öffentlichen Verwaltung, sondern lediglich eine interne Maßnahme der Fraktion. Mangels Behördeneigenschaft der Fraktion scheide ebenfalls ein Informationsanspruch gem. § 4 I PresseG Berlin aus. Ein funktionell-teleologisches Verständnis des Behördenbegriffs der Norm verlange die Berücksichtigung eines Informationsbedürfnisses der Bevölkerung, welches regelmäßig vorliege, wenn öffentliche Mittel für staatliche Aufgaben eingesetzt werden. Die Fraktion sei allerdings lediglich Empfängerin staatlicher Leistungen und daher nicht Gegenstand des so beschriebenen berechtigten Informationsinteresses. Das Gericht versagte dem Kläger daher einen Auskunftsanspruch gegen die Fraktion. Hana Kühr 90 Urteil vom 01.12.2011 – 2 K 114.11, veröffentlicht bei juris. 154 5. Wahlrecht In einem Beschluss zum Verfahren der Wahlprüfungsbeschwerde lehnte das BVerfG91 die Beschwerdebefugnis des Beschwerdeführers mangels von § 48 I BVerfGG geforderter Personenidentität mit dem Einspruchsführenden im vorangegangen Verfahren nach Art. 41 I GG vor dem Bundestag ab. Der Bundesvorsitzende der Partei DIE PARTEI hatte den Einspruch zum Bundestag ausschließlich im Namen der Partei erhoben, während er die Wahlprüfungsbeschwerde vor dem BVerfG in seiner Funktion als Parteivorsitzender anstrebte. Mit Bestehen auf die Personenidentität von Einspruchs- und Beschwerdeführer setzt das BVerfG seine bisherige Rechtsprechung hierzu fort. Mit einem Nichtannahmebeschluss wies das BVerfG92 eine Verfassungsbeschwerde eines Landtagsabgeordneten gegen die Verkürzung der 17. Legislaturperiode des Schleswig-Holsteinischen Landtages ab. Erstens sei die statthafte Verfahrensart für die Geltendmachung eines Statusrechts des Abgeordneten der Organstreit, denn dann fehlt dem Abgeordneten die Betroffenheit in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten. Die Verkürzung der Legislaturperiode des Landtages führt zu einer früheren Beendigung der Amtszeit des Beschwerdeführers als Abgeordneter und betrifft ihn damit gerade in einem Statusrecht. Zweitens könne aus Art. 28 I 1 GG kein im Wege der Verfassungsbeschwerde rügefähiges subjektiv-öffentliches Recht entnommen werden. Gleiches gelte für die fünf Wahlrechtsgrundsätze, die für die Wahlen zu Landesparlamenten nicht über Art. 3 I GG zum Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde gemacht werden können. Das BVerfG hat mehrere Wahlprüfungsbeschwerden a limine abgewiesen, weil offensichtliche Fehler bereits zu deren Unzulässigkeit geführt haben. Eine gegen die 5%-Klausel in § 6 I, II BWahlG gerichtete Beschwerde93 scheiterte bereits an der nicht möglichen Zuordnung der 91 NVwZ-RR 2011, S. 505. 92 BayVBl. 2011, S. 601-602. 93 Beschluss vom 03.06.2011 – 2 BvC 7/11, veröffentlicht bei juris.

MIP 2012 18. Jhrg. Parteienrecht im Spiegel der Rechtsprechung Beitrittserklärungen zu einem bestimmten Rechtsbehelf und blieb damit hinter den Anforderungen des § 48 I und II BVerfGG zurück. In zwei Fällen wies das BVerfG Wahlprüfungsbeschwerden 94 ohne weitere Begründung nach § 24 S. 2 BVerfGG ab. Mit einer weiteren Abweisung einer Wahlprüfungsbeschwerde 95 versagte das BVerfG die Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Stimmzettel zur Bundestagswahl so gestaltet sein muss, dass er die Möglichkeit zur Abgabe einer Neinstimme oder einer Stimmenthaltung gibt. Der derzeit praktizierte Aufbau des Stimmzettels überschreite jedenfalls nicht die einzig vom Gericht zu prüfenden Grenzen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums. Zudem sei es für die zu vergebenden Mandate im Bundestag ohnehin unerheblich, wieviele Neinstimmen oder Stimmenthaltungen abgegeben wurden, sodass mit der Aufnahme der angestrebten Änderung kein sinnvolles Ziel verfolgt werde. Zudem wiederholte das Gericht seinen Standpunkt zur Verfassungsmäßigkeit der Überhangmandate, der Fünf-Prozent-Sperrklausel, zum Ausschluss von Landeslisten parteiloser Kandidaten und zur Verhältniswahl nach "starren" Listen. Mit zwei darauf folgenden Abweisungen 96 bestätigte das BVerfG seine Haltung zu diesen wahlrechtlichen Problemen auf der Linie seiner Rechtsprechung. In einer weiteren Verwerfung einer Wahlprüfungsbeschwerde erklärte das BVerfG 97 die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 48 I BVerfGG, wonach mindestens 100 Wahlberechtigte der Wahlprüfungsbeschwerde beitreten müssen, für verfassungsgemäß. Als Grund führte das Gericht an, dass das Verfahren der Wahlprüfungsbeschwerde primär dem Schutz des objektiven Wahlrechts diene und es daher einer Mindestzahl von Wahlberechtigten bedürfe, die Bedenken an geltendem Wahlrecht haben. Die damit einhergehende hohe Zulässigkeitshürde für die Wahlprüfungsbeschwerde erschwere 94 Beschluss vom 25.05.2011 – 2 BvC 9/10; Beschluss vom 19.07.2011 – 2 BvC 16/10, veröffentlicht bei juris. 95 Beschluss vom 24.09.2011 – 2 BvC 15/10, veröffentlicht bei juris. 96 Beschluss vom 18.10.2011 – 2 BvC 8/11; Beschluss vom 18.10.2011 – 2 BvC 5/11, veröffentlicht bei juris. 97 Beschluss vom 12.12.2011 – 2 BvC 16/11, veröffentlicht bei juris. den Zugang zum BVerfG nicht in unverhältnismäßiger Weise. Da der Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren keine Verletzung eines subjektiven Rechts geltend machen konnte, spreche gegen dieses Verständnis auch nicht die Garantie des Art. 19 IV GG. Die im vergangenen Jahr bedeutendste wahlrechtliche Entscheidung stellte das Urteil des BVerfG98 dar, welches die für Europawahlen im deutschen Bundesrecht geltende 5%-Sperrklausel für verfassungswidrig und damit nichtig erklärte. Die Beschwerdeführer rügten die Vorschrift des § 2 VII EuWG im Verfahren der Wahlprüfungsbeschwerde als Wahlfehler bei der Europawahl 2009. Die Vorschrift verstoße sowohl gegen die Wahlrechtsgleichheit in Gestalt der Erfolgswertgleichheit aus Art. 38 I 1 GG als auch gegen die Chancengleichheit der politischen Parteien aus Art. 21 I 1 GG, weil die 5%- Hürde diejenigen Stimmen, die für unterhalb dieser Grenze gebliebene Parteien abgegeben wurden, wirkungslos lässt. Sie entfalten keinen Erfolgswert. Diese Ungleichgewichtung zwischen Wählerstimmen ober- und unterhalb der Hürde führt nicht zwangsläufig zu einem Verstoß gegen verfassungsrechtliche Gebote. Das Gericht konnte aber keinen zwingenden Grund erkennen, der den Eingriff in die Erfolgswertgleichheit und die Chancengleichheit der Parteien rechtfertigt. Zum einen wäre die Funktionsfähigkeit des EU-Parlaments nicht durch die bei Wegfall der 5%-Hürde zu erwartende steigende Zahl von Abgeordneten beeinträchtigt. Statt aktuell 162 wären bei Streichung der Zugangshürde 169 Parteien im Parlament vertreten. Angesichts der ohnehin großen Zahl der verschiedenen politischen Strömungen und der besonderen Arbeitsweise des europäischen Parlaments, welche sich durch die integrierende Fraktionsarbeit auszeichnet, sei dadurch eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit auch mit Blick auf die Erfahrungen aus der Geschichte des EU-Parlaments nicht zu erwarten. Zum anderen weist das Gericht auf die im Vergleich zum Bundestag anderen Funktionen des EU-Parlamentes hin. Dieses wählt keine Regierung, welche im Folgenden auf ein besonders konsensfähiges Parlament angewiesen ist, auch 98 EuGRZ 2011, S. 621-637. 155

MIP <strong>2012</strong> <strong>18</strong>. Jhrg. Parteienrecht im Spiegel der Rechtsprechung<br />

Beitrittserklärungen zu einem bestimmten<br />

Rechtsbehelf und blieb damit hinter den Anforderungen<br />

des § 48 I und II BVerfGG zurück. In<br />

zwei Fällen wies das BVerfG Wahlprüfungsbeschwerden<br />

94 ohne weitere Begründung nach § 24<br />

S. 2 BVerfGG ab. Mit einer weiteren Abweisung<br />

einer Wahlprüfungsbeschwerde 95 versagte das<br />

BVerfG die Auseinandersetzung mit der Frage,<br />

ob der Stimmzettel zur Bundestagswahl so gestaltet<br />

sein muss, dass er die Möglichkeit zur<br />

Abgabe einer Neinstimme oder einer Stimmenthaltung<br />

gibt. Der derzeit praktizierte Aufbau des<br />

Stimmzettels überschreite jedenfalls nicht die<br />

einzig vom Gericht zu prüfenden Grenzen des<br />

gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums. Zudem<br />

sei es für die zu vergebenden Mandate im<br />

Bundestag ohnehin unerheblich, wieviele Neinstimmen<br />

oder Stimmenthaltungen abgegeben<br />

wurden, sodass mit der Aufnahme der angestrebten<br />

Änderung kein sinnvolles Ziel verfolgt werde.<br />

Zudem wiederholte das Gericht seinen<br />

Standpunkt zur Verfassungsmäßigkeit der Überhangmandate,<br />

der Fünf-Prozent-Sperrklausel,<br />

zum Ausschluss von Landeslisten parteiloser<br />

Kandidaten und zur Verhältniswahl nach "starren"<br />

Listen. Mit zwei darauf folgenden Abweisungen<br />

96 bestätigte das BVerfG seine Haltung zu<br />

diesen wahlrechtlichen Problemen auf der Linie<br />

seiner Rechtsprechung. In einer weiteren Verwerfung<br />

einer Wahlprüfungsbeschwerde erklärte<br />

das BVerfG 97 die Zulässigkeitsvoraussetzung des<br />

§ 48 I BVerfGG, wonach mindestens 100 Wahlberechtigte<br />

der Wahlprüfungsbeschwerde beitreten<br />

müssen, für verfassungsgemäß. Als Grund<br />

führte das Gericht an, dass das Verfahren der<br />

Wahlprüfungsbeschwerde primär dem Schutz<br />

des objektiven Wahlrechts diene und es daher einer<br />

Mindestzahl von Wahlberechtigten bedürfe,<br />

die Bedenken an geltendem Wahlrecht haben.<br />

Die damit einhergehende hohe Zulässigkeitshürde<br />

für die Wahlprüfungsbeschwerde erschwere<br />

94 Beschluss vom 25.05.2011 – 2 BvC 9/10; Beschluss<br />

vom 19.07.2011 – 2 BvC 16/10, veröffentlicht bei juris.<br />

95 Beschluss vom 24.09.2011 – 2 BvC <strong>15</strong>/10, veröffentlicht<br />

bei juris.<br />

96 Beschluss vom <strong>18</strong>.10.2011 – 2 BvC 8/11; Beschluss<br />

vom <strong>18</strong>.10.2011 – 2 BvC 5/11, veröffentlicht bei juris.<br />

97 Beschluss vom 12.12.2011 – 2 BvC 16/11, veröffentlicht<br />

bei juris.<br />

den Zugang zum BVerfG nicht in unverhältnismäßiger<br />

Weise. Da der Beschwerdeführer im<br />

vorliegenden Verfahren keine Verletzung eines<br />

subjektiven Rechts geltend machen konnte, spreche<br />

gegen dieses Verständnis auch nicht die Garantie<br />

des Art. 19 IV GG.<br />

Die im vergangenen Jahr bedeutendste wahlrechtliche<br />

Entscheidung stellte das Urteil des<br />

BVerfG98 dar, welches die für Europawahlen im<br />

deutschen Bundesrecht geltende 5%-Sperrklausel<br />

für verfassungswidrig und damit nichtig erklärte.<br />

Die Beschwerdeführer rügten die Vorschrift<br />

des § 2 VII EuWG im Verfahren der<br />

Wahlprüfungsbeschwerde als Wahlfehler bei der<br />

Europawahl 2009. Die Vorschrift verstoße sowohl<br />

gegen die Wahlrechtsgleichheit in Gestalt<br />

der Erfolgswertgleichheit aus Art. 38 I 1 GG als<br />

auch gegen die Chancengleichheit der politischen<br />

Parteien aus Art. 21 I 1 GG, weil die 5%-<br />

Hürde diejenigen Stimmen, die für unterhalb<br />

dieser Grenze gebliebene Parteien abgegeben<br />

wurden, wirkungslos lässt. Sie entfalten keinen<br />

Erfolgswert. Diese Ungleichgewichtung zwischen<br />

Wählerstimmen ober- und unterhalb der Hürde<br />

führt nicht zwangsläufig zu einem Verstoß gegen<br />

verfassungsrechtliche Gebote. Das Gericht konnte<br />

aber keinen zwingenden Grund erkennen, der<br />

den Eingriff in die Erfolgswertgleichheit und die<br />

Chancengleichheit der Parteien rechtfertigt. Zum<br />

einen wäre die Funktionsfähigkeit des EU-Parlaments<br />

nicht durch die bei Wegfall der 5%-Hürde<br />

zu erwartende steigende Zahl von Abgeordneten<br />

beeinträchtigt. Statt aktuell 162 wären bei Streichung<br />

der Zugangshürde 169 Parteien im Parlament<br />

vertreten. Angesichts der ohnehin großen<br />

Zahl der verschiedenen politischen Strömungen<br />

und der besonderen Arbeitsweise des europäischen<br />

Parlaments, welche sich durch die integrierende<br />

Fraktionsarbeit auszeichnet, sei dadurch<br />

eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit<br />

auch mit Blick auf die Erfahrungen aus der Geschichte<br />

des EU-Parlaments nicht zu erwarten.<br />

Zum anderen weist das Gericht auf die im Vergleich<br />

zum Bundestag anderen Funktionen des<br />

EU-Parlamentes hin. Dieses wählt keine Regierung,<br />

welche im Folgenden auf ein besonders<br />

konsensfähiges Parlament angewiesen ist, auch<br />

98 EuGRZ 2011, S. 621-637.<br />

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