2012, Heft 18, S. 5-15 - PRuF
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MIP <strong>2012</strong> <strong>18</strong>. Jhrg. Parteienrecht im Spiegel der Rechtsprechung<br />
Deutschland lebenden ausländischen Arbeitnehmern.<br />
Über den Begriff „Fremdarbeiter, der zur<br />
Zeit des Nationalsozialismus für Zwangsarbeiter<br />
verwendet wurde, werde nationalsozialistisches<br />
Gedankengut transportiert. Diese Entscheidung<br />
hatte allerdings keinen Bestand. Das in zweiter<br />
Instanz angerufene OVG Greifswald 43 sah die<br />
in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts<br />
aufgestellten Voraussetzungen für ein<br />
auf den Inhalt des Mottos gestütztes Versammlungsverbot<br />
44 nicht erfüllt: „Soll eine Versammlung<br />
wegen des angemeldeten Mottos verboten<br />
werden, ist der objektive Sinngehalt des Mottos<br />
zu ermitteln. Sind dabei mehrere Auslegungen<br />
einer Äußerung denkbar, ist der rechtlichen Bewertung<br />
diejenige zugrunde zu legen, die sich innerhalb<br />
der Grenzen des Grundrechts auf Meinungsfreiheit<br />
bewegt.“ 45 Überzeugend legte das<br />
OVG eine Mehrdeutigkeit des Begriffes „Fremdarbeiterinvasion“<br />
dar, die auch ein sich innerhalb<br />
der Grenzen des Grundrechts auf Meinungsfreiheit<br />
bewegendes Verständnis umfasst. Wie das<br />
Gericht zutreffend unter Hinweis auf den aktuellen<br />
Sprachgebrauch auch in den Medien, die der<br />
Nähe zum Nationalsozialismus unverdächtig<br />
sind, feststellt, wird der Begriff heute in dem<br />
Sinne verwendet, dass damit in Deutschland arbeitende<br />
Ausländer bezeichnet werden. Ein solches<br />
Verständnis legte auch der Anlass der Demonstration<br />
nahe, die sich gegen die Herstellung<br />
der Freizügigkeit des Arbeitsmarktes in Deutschland<br />
für Arbeitnehmer aus der Europäischen<br />
Union richtete. Danach ist der Begriff „Fremdarbeiterinvasion“<br />
zwar fremdenfeindlich aber nicht<br />
volksverhetzend. Vorbeugend erteilt das Gericht<br />
abschließend noch einen klarstellenden Hinweis:<br />
Dass das Motto der Demonstration nicht geeignet<br />
ist, ein vorhergehendes Versammlungsverbot<br />
zu stützen, heißt selbstverständlich nicht, dass<br />
die Ordnungsbehörden gehindert sind, während<br />
43 OVG Greifswald, Beschluss vom 28.04.2011 – 3 M<br />
45/11 – 4 B 369/11, online veröffentlicht bei juris.<br />
44 Ausdrücklich unter Bezugnahme auf BVerfG, Urteil<br />
vom 01.12.2007 – 1 BvR 3041/07 -, online veröffentlicht<br />
bei juris, dem eine vergleichbare Fallgestaltung<br />
zugrunde lag (NPD-Demonstration „Todesstrafe für<br />
Kinderschänder/gegen Inländerdiskriminierung“).<br />
45 Bei juris veröffentlichter redaktioneller Leitsatz des<br />
Beschlusses des OVG Greifswald.<br />
der Demonstration gegen strafbare Handlungen<br />
von Teilnehmern einzuschreiten, gegebenenfalls<br />
auch durch Auflösung der Versammlung.<br />
Zeitgleich hatte der VGH Baden-Württemberg46<br />
über das Verbot einer von der NPD geplanten<br />
Demonstration mit identischem Motto<br />
– nur an anderem Ort – zu entscheiden. Der<br />
VGH Baden-Württemberg kam – wie auch das<br />
in erster Instanz angerufene VG Stuttgart47 – mit<br />
ähnlicher Begründung zu dem gleichen Ergebnis<br />
wie das OVG Greifswald.<br />
Selbstverständlich gilt auch für den öffentlichen<br />
Straßenraum, dass die zuständigen Behörden gegen<br />
die (bereits erfolgte oder beabsichtigte) Anbringung<br />
von Wahlplakaten mit strafbaren Plakatinhalten<br />
einschreiten können. Auch hier greift<br />
im Falle der Mehrdeutigkeit einer Aussage aber<br />
der Grundsatz in dubio pro reo. Kann also eine<br />
straflose Deutungsvariante nicht ausgeschlossen<br />
werden, hindert dies auch ein Einschreiten der<br />
zuständigen Behörden. Vor diesem Hintergrund<br />
hat das VG Berlin48 die aufschiebende Wirkung<br />
des Widerspruchs der NPD gegen einen Bescheid<br />
des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg<br />
wiederhergestellt, mit dem der NPD das<br />
Verbreiten bestimmter Wahlplakate untersagt<br />
und das Entfernen bereits angebrachter Wahlplakate<br />
aufgegeben worden war. Für ein Wahlplakat<br />
schloss das Gericht bereits generell einen<br />
Strafbarkeitsvorwurf aus: „Auch wenn das Plakat<br />
in einer primitiven und Vorurteile bedienenden<br />
Gestaltung eine schon rechtlich nicht umsetzbare<br />
Forderung geltend macht, liegt darin<br />
noch keine Strafbarkeit. In einer demokratischen<br />
Gesellschaft müssen auch abwegige Meinungen<br />
ertragen werden, solange sie nicht strafrechtlichen<br />
Charakter aufweisen. Es bleibt den solche<br />
Plakate wahrnehmenden Menschen überlassen,<br />
unter Betätigung gesunden Menschenverstandes<br />
die richtigen Schlussfolgerungen zu treffen“ 49 .<br />
46 VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.04.2011<br />
– 1 S 1250/11, in: NVwZ-RR 2011, S. 602-604.<br />
47 VG Stuttgart, Beschluss vom <strong>18</strong>.04.2011 – 1 K<br />
1229/11, nicht veröffentlicht.<br />
48 VG Berlin, Beschluss vom 07.09.2011 – 1 L 293.11,<br />
online veröffentlicht bei juris.<br />
49 So das VG Berlin unter Hinweis auf OLG München,<br />
Beschluss vom 9.02.2010 – 5St RR (II) 9/10, 5St RR<br />
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