2012, Heft 18, S. 5-15 - PRuF

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02.12.2012 Aufrufe

Parteienrecht im Spiegel der Rechtsprechung MIP 2012 18. Jhrg. richtet auf Teilnahme an einem vom MDR in Zusammenarbeit mit der Tageszeitung „Volksstimme“ veranstalteten „Wahlforum“ zur Landtagswahl. Zuvor hatte das VG Leipzig39 einen Anspruch der NPD auf Teilnahme bejaht und insbesondere darauf gestützt, dass bei einer Partei, die an den – grundsätzlich aber maßgeblichen – vorangegangen Wahlen im betreffenden Bundesland nicht teilgenommen hat, die Bedeutung anhand anderer Umstände, insbesondere auch anhand der Erfolge auf Bundesebene und in anderen Bundesländern und auch von Wahlprognosen zu bestimmen sei. Dies sah das OVG Sachsen anders. Zur Beurteilung der Bedeutung einer Partei darf danach nicht auf Wahlprognosen abgestellt werden, die ein Erreichen des erforderlichen Quorums allenfalls als möglich erscheinen lassen. Ebenso wenig kommt es für die Teilnahme an einem „Wahlforum“ zu einer Landtagswahl darauf an, dass die Partei in den Parlamenten von zwei der fünf neuen Bundesländer in Fraktionsstärke vertreten ist. „Hingegen lassen die Vertretung einer Partei im bestehenden Parlament des betroffenen Landes und ihre Beteiligung an den Regierungen in Bund und Ländern auf eine hinreichende politische Bedeutung schließen.“ Auch für die Ausstrahlung von Wahlwerbespots können sich politische Parteien grundsätzlich auf den Gleichbehandlungsanspruch aus § 5 I PartG i.V.m. Art. 21 I GG berufen. Dieser Anspruch reicht aber nicht so weit, dass politische Parteien Rundfunkveranstalter als Werkzeug für die Verbreitung strafbarer Äußerungen instrumentalisieren könnten. Deshalb scheiterte die NPD mit dem Versuch, den Rundfunk Berlin-Brandenburg im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, einen von ihr eingereichten Wahlwerbespot für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2011 auszustrahlen. Das VG Berlin40 wertete den Werbefilm als evidenten, schwer wiegenden Verstoß gegen die allgemeinen Strafgesetze, namentlich gegen § 130 StGB (Volksverhetzung), weil er „vom Standpunkt eines unvor- 39 VG Leipzig, Beschluss vom 01.03.2011 – 1 L 59/11, nicht veröffentlicht. 40 VG Berlin, Beschluss vom 18.08.2011 – 2 L 131.11, online veröffentlicht bei juris. 142 eingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums […] durch seine Bildabfolge, die Musikeinblendung und seinen Wortlaut die objektive Aussage [enthält], dass Ausländer – insbesondere Muslime – Straftäter sind.“ Das OVG Berlin-Brandenburg41 bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung. Zwar muss bei Auslegung und Anwendung von § 130 StGB insbesondere die wertsetzende Bedeutung des Art. 5 I 1 GG als Kommunikationsgrundrecht zur Geltung kommen. Ist eine Äußerung mehrdeutig, folgt daraus, dass die Gerichte, wollen sie ihrer rechtlichen Würdigung die zu einer Verurteilung führende Deutung zugrunde legen, andere Auslegungsvarianten mit schlüssigen Gründen auszuschließen haben. Der streitgegenständliche Wahlwerbespot ließ nach Überzeugung des Gerichts aber nur eine Deutung zu: „Die Besonderheit des Wahlwerbespots liegt […] darin, dass zwar einzelne Sequenzen unterschiedliche – für sich genommen ggf. auch straffreie – Aussagen beinhalten können, die Gesamtheit dieser übergangslos hintereinander geschalteten Sequenzen aber […] nur den Schluss ermöglicht, dass sich Ausländer generell kriminell verhalten und aufgrund dieses Verhaltens eine Bedrohung für die deutsche Bevölkerung darstellen.“ Mit diesem Inhalt erfüllt der eingereichte Wahlwerbespot für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2011 den Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB), weshalb der Rundfunk Berlin-Brandenburg dessen Ausstrahlung verweigern durfte. Aus demselben Grund bestätigte das VG Greifswald42 das von der Stadt Greifswald verhängte Verbot für einen NPD-Aufmarsch: weil nämlich das für die Demonstrationsveranstaltung gewählte Motto „Unsere Heimat – unsere Arbeit! Fremdarbeiterinvasion stoppen“ den Tatbestand der Volksverhetzung erfülle. Das Gericht wertete die Verwendung des Begriffs „Fremdarbeiterinvasion“ im Motto der Veranstaltung als strafbare Verächtlichmachung von in der Bundesrepublik 41 OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31.08.2011 – OVG 3 S 112.11, in: AfP 2011, S. 621-622. 42 VG Greifswald, Beschluss vom 21.04.2011 – 4 B 369/11, nicht veröffentlicht; Kurzmeldung in: Legal Tribune ONLINE vom 26.04.2011, http://www.lto.de/de/html/ nachrichten/3112/vg_greifswald_versammlungsverbot _fuer_npd_demo_bleibt/ (abgerufen am 24.02.2012).

MIP 2012 18. Jhrg. Parteienrecht im Spiegel der Rechtsprechung Deutschland lebenden ausländischen Arbeitnehmern. Über den Begriff „Fremdarbeiter, der zur Zeit des Nationalsozialismus für Zwangsarbeiter verwendet wurde, werde nationalsozialistisches Gedankengut transportiert. Diese Entscheidung hatte allerdings keinen Bestand. Das in zweiter Instanz angerufene OVG Greifswald 43 sah die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten Voraussetzungen für ein auf den Inhalt des Mottos gestütztes Versammlungsverbot 44 nicht erfüllt: „Soll eine Versammlung wegen des angemeldeten Mottos verboten werden, ist der objektive Sinngehalt des Mottos zu ermitteln. Sind dabei mehrere Auslegungen einer Äußerung denkbar, ist der rechtlichen Bewertung diejenige zugrunde zu legen, die sich innerhalb der Grenzen des Grundrechts auf Meinungsfreiheit bewegt.“ 45 Überzeugend legte das OVG eine Mehrdeutigkeit des Begriffes „Fremdarbeiterinvasion“ dar, die auch ein sich innerhalb der Grenzen des Grundrechts auf Meinungsfreiheit bewegendes Verständnis umfasst. Wie das Gericht zutreffend unter Hinweis auf den aktuellen Sprachgebrauch auch in den Medien, die der Nähe zum Nationalsozialismus unverdächtig sind, feststellt, wird der Begriff heute in dem Sinne verwendet, dass damit in Deutschland arbeitende Ausländer bezeichnet werden. Ein solches Verständnis legte auch der Anlass der Demonstration nahe, die sich gegen die Herstellung der Freizügigkeit des Arbeitsmarktes in Deutschland für Arbeitnehmer aus der Europäischen Union richtete. Danach ist der Begriff „Fremdarbeiterinvasion“ zwar fremdenfeindlich aber nicht volksverhetzend. Vorbeugend erteilt das Gericht abschließend noch einen klarstellenden Hinweis: Dass das Motto der Demonstration nicht geeignet ist, ein vorhergehendes Versammlungsverbot zu stützen, heißt selbstverständlich nicht, dass die Ordnungsbehörden gehindert sind, während 43 OVG Greifswald, Beschluss vom 28.04.2011 – 3 M 45/11 – 4 B 369/11, online veröffentlicht bei juris. 44 Ausdrücklich unter Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 01.12.2007 – 1 BvR 3041/07 -, online veröffentlicht bei juris, dem eine vergleichbare Fallgestaltung zugrunde lag (NPD-Demonstration „Todesstrafe für Kinderschänder/gegen Inländerdiskriminierung“). 45 Bei juris veröffentlichter redaktioneller Leitsatz des Beschlusses des OVG Greifswald. der Demonstration gegen strafbare Handlungen von Teilnehmern einzuschreiten, gegebenenfalls auch durch Auflösung der Versammlung. Zeitgleich hatte der VGH Baden-Württemberg46 über das Verbot einer von der NPD geplanten Demonstration mit identischem Motto – nur an anderem Ort – zu entscheiden. Der VGH Baden-Württemberg kam – wie auch das in erster Instanz angerufene VG Stuttgart47 – mit ähnlicher Begründung zu dem gleichen Ergebnis wie das OVG Greifswald. Selbstverständlich gilt auch für den öffentlichen Straßenraum, dass die zuständigen Behörden gegen die (bereits erfolgte oder beabsichtigte) Anbringung von Wahlplakaten mit strafbaren Plakatinhalten einschreiten können. Auch hier greift im Falle der Mehrdeutigkeit einer Aussage aber der Grundsatz in dubio pro reo. Kann also eine straflose Deutungsvariante nicht ausgeschlossen werden, hindert dies auch ein Einschreiten der zuständigen Behörden. Vor diesem Hintergrund hat das VG Berlin48 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der NPD gegen einen Bescheid des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg wiederhergestellt, mit dem der NPD das Verbreiten bestimmter Wahlplakate untersagt und das Entfernen bereits angebrachter Wahlplakate aufgegeben worden war. Für ein Wahlplakat schloss das Gericht bereits generell einen Strafbarkeitsvorwurf aus: „Auch wenn das Plakat in einer primitiven und Vorurteile bedienenden Gestaltung eine schon rechtlich nicht umsetzbare Forderung geltend macht, liegt darin noch keine Strafbarkeit. In einer demokratischen Gesellschaft müssen auch abwegige Meinungen ertragen werden, solange sie nicht strafrechtlichen Charakter aufweisen. Es bleibt den solche Plakate wahrnehmenden Menschen überlassen, unter Betätigung gesunden Menschenverstandes die richtigen Schlussfolgerungen zu treffen“ 49 . 46 VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.04.2011 – 1 S 1250/11, in: NVwZ-RR 2011, S. 602-604. 47 VG Stuttgart, Beschluss vom 18.04.2011 – 1 K 1229/11, nicht veröffentlicht. 48 VG Berlin, Beschluss vom 07.09.2011 – 1 L 293.11, online veröffentlicht bei juris. 49 So das VG Berlin unter Hinweis auf OLG München, Beschluss vom 9.02.2010 – 5St RR (II) 9/10, 5St RR 143

Parteienrecht im Spiegel der Rechtsprechung MIP <strong>2012</strong> <strong>18</strong>. Jhrg.<br />

richtet auf Teilnahme an einem vom MDR in<br />

Zusammenarbeit mit der Tageszeitung „Volksstimme“<br />

veranstalteten „Wahlforum“ zur Landtagswahl.<br />

Zuvor hatte das VG Leipzig39 einen<br />

Anspruch der NPD auf Teilnahme bejaht und<br />

insbesondere darauf gestützt, dass bei einer Partei,<br />

die an den – grundsätzlich aber maßgeblichen<br />

– vorangegangen Wahlen im betreffenden<br />

Bundesland nicht teilgenommen hat, die Bedeutung<br />

anhand anderer Umstände, insbesondere<br />

auch anhand der Erfolge auf Bundesebene und in<br />

anderen Bundesländern und auch von Wahlprognosen<br />

zu bestimmen sei. Dies sah das OVG<br />

Sachsen anders. Zur Beurteilung der Bedeutung<br />

einer Partei darf danach nicht auf Wahlprognosen<br />

abgestellt werden, die ein Erreichen des erforderlichen<br />

Quorums allenfalls als möglich erscheinen<br />

lassen. Ebenso wenig kommt es für die<br />

Teilnahme an einem „Wahlforum“ zu einer<br />

Landtagswahl darauf an, dass die Partei in den<br />

Parlamenten von zwei der fünf neuen Bundesländer<br />

in Fraktionsstärke vertreten ist. „Hingegen<br />

lassen die Vertretung einer Partei im bestehenden<br />

Parlament des betroffenen Landes und<br />

ihre Beteiligung an den Regierungen in Bund<br />

und Ländern auf eine hinreichende politische<br />

Bedeutung schließen.“<br />

Auch für die Ausstrahlung von Wahlwerbespots<br />

können sich politische Parteien grundsätzlich auf<br />

den Gleichbehandlungsanspruch aus § 5 I PartG<br />

i.V.m. Art. 21 I GG berufen. Dieser Anspruch<br />

reicht aber nicht so weit, dass politische Parteien<br />

Rundfunkveranstalter als Werkzeug für die Verbreitung<br />

strafbarer Äußerungen instrumentalisieren<br />

könnten. Deshalb scheiterte die NPD mit<br />

dem Versuch, den Rundfunk Berlin-Brandenburg<br />

im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten,<br />

einen von ihr eingereichten Wahlwerbespot<br />

für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus<br />

2011 auszustrahlen. Das VG Berlin40 wertete<br />

den Werbefilm als evidenten, schwer wiegenden<br />

Verstoß gegen die allgemeinen Strafgesetze,<br />

namentlich gegen § 130 StGB (Volksverhetzung),<br />

weil er „vom Standpunkt eines unvor-<br />

39 VG Leipzig, Beschluss vom 01.03.2011 – 1 L 59/11,<br />

nicht veröffentlicht.<br />

40 VG Berlin, Beschluss vom <strong>18</strong>.08.2011 – 2 L 131.11,<br />

online veröffentlicht bei juris.<br />

142<br />

eingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums<br />

[…] durch seine Bildabfolge,<br />

die Musikeinblendung und seinen Wortlaut die<br />

objektive Aussage [enthält], dass Ausländer –<br />

insbesondere Muslime – Straftäter sind.“ Das<br />

OVG Berlin-Brandenburg41 bestätigte die erstinstanzliche<br />

Entscheidung. Zwar muss bei Auslegung<br />

und Anwendung von § 130 StGB insbesondere<br />

die wertsetzende Bedeutung des Art. 5 I<br />

1 GG als Kommunikationsgrundrecht zur Geltung<br />

kommen. Ist eine Äußerung mehrdeutig,<br />

folgt daraus, dass die Gerichte, wollen sie ihrer<br />

rechtlichen Würdigung die zu einer Verurteilung<br />

führende Deutung zugrunde legen, andere Auslegungsvarianten<br />

mit schlüssigen Gründen auszuschließen<br />

haben. Der streitgegenständliche<br />

Wahlwerbespot ließ nach Überzeugung des Gerichts<br />

aber nur eine Deutung zu: „Die Besonderheit<br />

des Wahlwerbespots liegt […] darin, dass<br />

zwar einzelne Sequenzen unterschiedliche – für<br />

sich genommen ggf. auch straffreie – Aussagen<br />

beinhalten können, die Gesamtheit dieser übergangslos<br />

hintereinander geschalteten Sequenzen<br />

aber […] nur den Schluss ermöglicht, dass sich<br />

Ausländer generell kriminell verhalten und aufgrund<br />

dieses Verhaltens eine Bedrohung für die<br />

deutsche Bevölkerung darstellen.“ Mit diesem<br />

Inhalt erfüllt der eingereichte Wahlwerbespot für<br />

die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2011<br />

den Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130<br />

StGB), weshalb der Rundfunk Berlin-Brandenburg<br />

dessen Ausstrahlung verweigern durfte.<br />

Aus demselben Grund bestätigte das VG Greifswald42<br />

das von der Stadt Greifswald verhängte<br />

Verbot für einen NPD-Aufmarsch: weil nämlich<br />

das für die Demonstrationsveranstaltung gewählte<br />

Motto „Unsere Heimat – unsere Arbeit!<br />

Fremdarbeiterinvasion stoppen“ den Tatbestand<br />

der Volksverhetzung erfülle. Das Gericht wertete<br />

die Verwendung des Begriffs „Fremdarbeiterinvasion“<br />

im Motto der Veranstaltung als strafbare<br />

Verächtlichmachung von in der Bundesrepublik<br />

41 OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31.08.2011<br />

– OVG 3 S 112.11, in: AfP 2011, S. 621-622.<br />

42 VG Greifswald, Beschluss vom 21.04.2011 – 4 B 369/11,<br />

nicht veröffentlicht; Kurzmeldung in: Legal Tribune<br />

ONLINE vom 26.04.2011, http://www.lto.de/de/html/<br />

nachrichten/3112/vg_greifswald_versammlungsverbot<br />

_fuer_npd_demo_bleibt/ (abgerufen am 24.02.<strong>2012</strong>).

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