2012, Heft 18, S. 5-15 - PRuF
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MIP <strong>2012</strong> <strong>18</strong>. Jhrg. Martin Schultze – Wirkung des Wahl-O-Mat auf Bürger und Parteien Aufgespießt<br />
Vielzahl kurz- und langfristiger, rationaler und<br />
emotionaler Einflussfaktoren handelt. Im dominierenden<br />
Ansatz zur Erklärung des Wahlverhaltens<br />
– dem Michigan-Modell – spielen Parteiidentifikation<br />
als langfristig stabile sowie Kandidaten-<br />
und Sachfragenorientierung als kurzfristig<br />
änderbare Einstellungen eine wichtige Rolle<br />
(Campbell et al. 1960). Der Wahl-O-Mat spricht<br />
dabei ausschließlich die Sachfragenorientierung<br />
der Wähler an, wobei sich die Wirkungen des<br />
Wahl-O-Mat je nach Gruppe stark unterscheiden.<br />
Im internationalen Vergleich kann dabei der<br />
typische Nutzer solcher Tools als jung, männlich,<br />
gut gebildet, politisch interessiert sowie mit<br />
der Demokratie zufrieden charakterisiert werden<br />
(Marschall & Schultze 2011). Eine starke positive<br />
Wirkung auf die Wahlbeteiligung ist daher<br />
nicht zu erwarten, da ein Großteil der Nutzer ohnehin<br />
bereits mobilisiert ist und eine feste Wahlabsicht<br />
hegt. Gleichwohl gibt ein kleinerer Teil<br />
der Befragten (etwa 7%) für die Bundestagswahl<br />
2009 an, durch den Wahl-O-Mat zur Wahl motiviert<br />
worden zu sein, obwohl ursprünglich keine<br />
Wahlbeteiligungsabsicht bestand. Auch in anderen<br />
Ländern lassen sich solche Mobilisierungseffekte,<br />
also eine positive Wirkung auf die Wahlbeteiligung,<br />
für politikferne Milieus feststellen<br />
(Ladner & Pianzola 2010; Hirzalla et al. 2011).<br />
Ähnliches gilt für die Wahlentscheidung. Mehr<br />
als 80% der Nutzerschaft hat vor dem Spielen<br />
des Wahl-O-Mat eine klare parteipolitische Präferenz.<br />
Eine Übereinstimmung des „best match“<br />
beim Wahl-O-Mat mit der bestehenden Parteipräferenz<br />
dient dann allenfalls als eine weitere<br />
Bestätigung. Steht auf der Ergebnisseite allerdings<br />
eine andere Partei an oberster Stelle, so<br />
kann diese „Irritation“ weitreichendere Folgen<br />
haben. Für das Schwestertool „smartvote“ in der<br />
Schweiz weist Vassil (2011) beispielsweise<br />
nach, dass die Chance, die ursprüngliche Wahlentscheidung<br />
bei einem überraschenden Ergebnis<br />
zu ändern, um 16% höher liegt als bei einem<br />
nicht-überraschenden Ergebnis. Eine solche<br />
Überprüfung auf die Wahlentscheidung steht für<br />
Deutschland und den Wahl-O-Mat mangels geeigneter<br />
Daten noch aus. Plausibel erscheint es<br />
allerdings, dass der Einfluss des Wahl-O-Mat<br />
auf die Wahlentscheidung bei denjenigen größer<br />
ist, die über keine Bindung an eine Partei verfügen.<br />
Die Anzahl potenzieller Wechselwähler auf<br />
Grund der Wahl-O-Mat-Nutzung scheint damit<br />
gering, da die große Mehrzahl der Nutzer bereits<br />
parteipolitisch verankert ist.<br />
4. Wirkungen auf Parteien<br />
Die Realisierung eines Wahl-O-Mat zu einer<br />
Bundes-, Landes- oder Europawahl hängt entscheidend<br />
von der Bereitschaft der (wichtigsten)<br />
Parteien ab, auf die Thesen zu antworten. Europäische<br />
Alternativen zu diesem Vorgehen bestehen<br />
in einer Verortung der Parteien durch Experten5<br />
, mit dem Nachteil, dass dann keine offiziellen<br />
Begründungen der Parteien zur Verfügung<br />
stehen sowie die Einordnung der Parteien teils<br />
sehr schwierig sein kann. Die Selbstbeantwortung<br />
der Thesen durch die Parteien löst dieses<br />
Problem, gibt den Parteien aber eine gewisse<br />
Boykottmacht. So wäre ein Wahl-O-Mat ohne<br />
die Beteiligung einer der großen Volksparteien<br />
sicherlich nicht denkbar. Auf Landesebene hat es<br />
solche Verweigerungen gegeben, woraufhin kein<br />
Wahl-O-Mat zu Stande kam (zuletzt bei den<br />
Landtagswahlen 2011 in Mecklenburg-Vorpommern<br />
und Sachsen-Anhalt). Über die Jahre hat<br />
sich die Position des Wahl-O-Mat gegenüber<br />
den Parteien aber deutlich verbessert. Aus Expertenbefragungen<br />
mit verantwortlichen Parteifunktionären<br />
wissen wir, dass der Wahl-O-Mat<br />
und die Thesenbeantwortung eine wichtige Rolle<br />
im Wahlkampfapparat der Parteien spielen und<br />
ein Boykott des Tools auf Bundesebene der Öffentlichkeit<br />
kaum vermittelbar wäre (De Bortoli<br />
2011).<br />
Bei den zu berücksichtigenden Parteien gab es<br />
eine klagebedingte Zäsur: Bis zur Landtagswahl<br />
2008 in Bayern wurden nur die Parteien in den<br />
Wahl-O-Mat integriert, die eine realistische<br />
Chance auf einen Einzug in das jeweilige Parlament<br />
hatten. Gegen die Nicht-Berücksichtigung<br />
von Kleinstparteien im Wahl-O-Mat klagte die<br />
ÖDP gegen die bayerische Landeszentrale für<br />
politische Bildung vor dem Verwaltungsgericht<br />
München. Die Richter entschieden, dass die bis<br />
dahin angewandte Praxis gegen die Gleichbe-<br />
5 Siehe z.B. EU-Profiler: http://www.euprofiler.eu/.<br />
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