2012, Heft 18, S. 5-15 - PRuF
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MIP <strong>2012</strong> <strong>18</strong>. Jhrg. Martin Schultze – Wirkung des Wahl-O-Mat auf Bürger und Parteien Aufgespießt<br />
Wirkungen des Wahl-O-Mat auf<br />
Bürger und Parteien<br />
Martin Schultze, M.A. 1<br />
1. Popularität, Idee und Ziele des Wahl-O-Mat<br />
Seit dem ersten Einsatz des Wahl-O-Mat zur<br />
Bundestagswahl 2002 haben sich die Nutzungszahlen<br />
dieser Internet-Applikation kontinuierlich<br />
erhöht. Mit 6,7 Millionen Nutzungen zur Bundestagswahl<br />
2009 ist die Nachfrage gegenüber<br />
den Bundestagswahlen 2002 und 2005 mit 3,6<br />
bzw. 5,1 Millionen Nutzungen deutlich gestiegen,<br />
sodass ein erheblicher Teil des Elektorates<br />
erreicht wurde (Marschall 2011). Zudem wurde<br />
der Wahl-O-Mat bei einer Reihe von Landtagswahlen<br />
sowie bei den Europawahlen 2004 und<br />
2009 eingesetzt. Der Erfolg dieses Tools liegt<br />
dabei in seiner Funktionsweise: Es erlaubt vor<br />
anstehenden Wahlen auf einfache Weise, die eigene<br />
Position zu wahlkampfrelevanten Sachfragen<br />
mit denen der antretenden Parteien zu vergleichen.<br />
Die beachtliche Nachfrage seitens der<br />
Bürger nach dieser und ähnlichen Internet-Applikationen<br />
in anderen europäischen Ländern hat zu<br />
einer zunehmenden sozialwissenschaftlichen Begleitforschung<br />
über solche Tools geführt (zusammenfassend<br />
Garzia 2010).<br />
Dabei ist die zentrale Frage, ob solche Anwendungen<br />
tatsächlich Wirkungen auf die Nutzer<br />
zeitigen. Dass der Wahl-O-Mat überhaupt Wirkungen<br />
haben soll, wird seitens der Bundeszentrale<br />
für politische Bildung (BPB), die das Tool<br />
entwickelt und bereitstellt, ausdrücklich angestrebt.<br />
Der Wahl-O-Mat soll demnach das politische<br />
Interesse und die Wahlbeteiligung von<br />
Jungwählern steigern und Unterschiede zwischen<br />
den Parteien deutlich machen. Darüber<br />
hinaus sind weitere Wirkungen auf das politische<br />
Wissen der Bürger, das eng mit dem politi-<br />
1 Der Verfasser (www.martinschultze.de) ist wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politikwissenschaft<br />
II der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf<br />
und promoviert im Bereich der Wahl- und Einstellungsforschung.<br />
schen Interesse zusammenhängt, sowie auf die<br />
Wahlentscheidung zu Gunsten einer Partei wahrscheinlich.<br />
Erwartbar sind auch Reaktionen der<br />
Parteien auf den Wahl-O-Mat, da diese in den<br />
Prozess der Erstellung eingebunden sind und zu<br />
den Thesen Stellung beziehen müssen. Der vorliegende<br />
Beitrag soll ausgehend von der Funktionsweise<br />
des Wahl-O-Mat wahrscheinliche Wirkungen<br />
auf Bürger und Parteien skizieren sowie<br />
bereits vorliegende empirische Befunde zusammentragen.<br />
2. Thesengewinnung und Funktionalität des<br />
Wahl-O-Mat<br />
Vor der Bereitstellung des Wahl-O-Mat ist ein<br />
aufwändiger Prozess der Thesengewinnung und<br />
Informationseinholung bei den Parteien notwendig.<br />
Zwar hat sich dieser Prozess im Laufe der<br />
Zeit leicht verändert, das Grundprinzip ist allerdings<br />
bestehen geblieben und soll nachfolgend<br />
prototypisch dargestellt werden: Partei- und<br />
Wahlprogramme der zur Wahl zugelassenen Parteien<br />
dienen als Datengrundlage zur Thesengewinnung<br />
auf einem dreitägigen Workshop. Dort<br />
versammeln sich Jung- und Erstwähler, um mit<br />
Hilfe von Experten Thesen für verschiedene Politikfelder<br />
zu formulieren. Dabei wird darauf geachtet,<br />
dass die Thesen präzise und knapp formuliert<br />
sind sowie ohne Fachwissen von den<br />
Bürgern beantwortet werden können (Marschall<br />
2005). „Keine Stellenstreichungen im öffentlichen<br />
Dienst“, „Längere Ladenöffnungszeiten an<br />
Werktagen“ oder „Der Spitzensteuersatz soll erhöht<br />
werden“ sind Beispiele hierfür. Die so erarbeiteten<br />
80 bis 90 Thesen werden anschließend<br />
den Geschäftsführungen der Parteien zur Positionierung<br />
übermittelt. Die Parteien können die<br />
Thesen mit „stimme zu“, „neutral“ oder „stimme<br />
nicht zu“ beantworten, sie haben dabei nicht<br />
die Möglichkeit Thesen zu überspringen. Optional<br />
ist hingegen die Angabe von Begründungen<br />
zu den Thesenantworten, von denen die meisten<br />
Parteien regen Gebrauch machen. In die finale<br />
Version eines Wahl-O-Mat schafft es dann nur<br />
knapp die Hälfte der von den Parteien beantworteten<br />
Thesen. Die letztendliche Auswahl der<br />
Thesen erfolgt auf einem weiteren Workshop<br />
mit Politikexperten und der Jugendredaktion der<br />
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