2012, Heft 18, S. 5-15 - PRuF
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Aufsätze Sebastian Roßner – Von Töchtern und Enkelinnen MIP 2012 18. Jhrg. nämlich den Spielraum für als private Spenden getarnte, auf staatliche Entscheidungen zurückgehende Zuwendungen an die Parteien deutlich verringert. Allerdings bleibt auch die hier vorgeschlagene Auslegung an verschiedenen Punkten hinter dem zurück, was rechtspolitisch wünschenswert ist. Manches, wie etwa die Ausblendung des Umstandes, daß sich hinter der „öffentlichen Hand“ durchaus verschiedene juristische Personen des öffentlichen Rechts mit unterschiedlichen, parteipolitisch motivierten Zielsetzungen verbergen können, es also nicht unbedingt eine einheitliche Willensbildung der hinter einem spendenden Unternehmen stehenden staatlichen Stellen gibt, kann im Rahmen der notwendigen Typisierung noch als verschmerzbare Ungenauigkeit hingenommen werden. Diese Ungenauigkeit bewirkt zudem ein Zuviel und nicht ein Zuwenig an Schutz vor staatlich veranlassten Zuwendungen an die Parteien. Hingegen sollte der Gesetzgeber die Schwierigkeit der Parteien ernstnehmen, zu erkennen, wann ein Unternehmen die Kriterien für ein Spendenannahmeverbot erfüllt und das spendende Unternehmen stärker in den Blick nehmen. Die bereits erwähnte Kommission unabhängiger Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung machte seinerzeit den Vorschlag, ein an die Unternehmen gerichtetes Spendenverbot auszusprechen23 . Stattdessen käme auch die Beibehaltung des bisherigen Regelungsmodells in Betracht, dem aber die Pflicht für die Parteien hinzugefügt würde, sich von dem spendenden Unternehmen eine Art „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ ausstellen zu lassen, die Auskunft über die Eigentums- und sonstigen relevanten Rechtsverhältnisse des Unternehmens gibt. Beide vorgeschlagene Regelungen – ein Spendenverbot wie auch eine Unbedenklichkeitsbescheinigung – sollten allerdings sinnvollerweise durch Sanktionen abgesichert werden, die auch für das spendende Unternehmen einen Anreiz schaffen, nicht rechtswidrig zu spenden oder eine inhalt- 23 BTDrS 14/6710 S. 34, 2. Spalte; ebenso, allerdings durch die Schließung von Regelungslücken motiviert Kersten, J., in: Kersten/Rixen PartG, § 25 (2009) Rn. 91. 122 lich falsche Unbedenklichkeitsbescheinigung auszustellen. Literaturverzeichnis Augsberg, Steffen, in: Kersten, Jens / Rixen, Stephan (Hg.), Parteiengesetz (PartG) und europäisches Parteienrecht. Kommentar, (2009) § 5. Grimm, Dieter: § 14 Politische Parteien, in: Benda, Ernst / Maihofer, Werner / Vogel, Hans- Jochen (Hg.): Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl.1994 (599-656). Ipsen, Jörn, in: Sachs, Michael (Hg.), GG, 6. Aufl. (2011) Art. 21. Jochum, Heike, in: Ipsen, Jörn (Hg.), Kommentar zum Gesetz über die politischen Parteien, (2008) § 25. Kersten, Jens, in: Kersten, Jens / Rixen, Stephan (Hg.), Parteiengesetz (PartG) und europäisches Parteienrecht. Kommentar, (2009) § 25. Küstermann, Burkhard: Das Transparenzgebot des Art.21 Abs. 1 S. 4 GG (2003). Lenski, Sophie-Charlotte, (2011) Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung. Morlok, Martin: Kommentar zum Gesetz über die politischen Parteien. Das deutsche Bundesrecht. Systematische Sammlung der Gesetze und Verordnungen mit Erläuterungen (2007). Morlok, Martin, in: Dreier, Horst (Hg.), Grundgesetzkommentar, Bd. 2, 2. Aufl. (2006) Art. 21. Püttner, Günter: Die Einwirkungspflicht, DVBl. 1975 (352-357). Streinz, Rudolf, in: Starck, Christian (Hg.), v. Mangoldt / Klein / Starck GG, Bd. 2, 6. Aufl. (2010) Art. 21 Abs. 1. Tsatsos, Dimitris / Morlok, Martin: Parteienrecht (1982). Volkmann, Uwe, in: Friauf, Karl Heinrich / Höfling, Wolfgang (Hg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, (4. Erg.-Lfg. 2002) Art. 21.
MIP 2012 18. Jhrg. Simon T. Franzmann – Wie der Erfolg der Piratenpartei [...] Aufgespießt „Aufgespießt“ Wie der Erfolg der Piratenpartei Gesellschaft, Politik und Politikwissenschaft herausfordert Dr. rer. pol. Simon T. Franzmann 1 Mit dem Einzug in den Berliner Senat im September 2011 ist die Piratenpartei endgültig im Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit angelangt. Uneinigkeit herrscht über den Charakter der Piratenpartei. Sind die Piraten eine Ein-Themen-Partei, fokussiert auf das Internet und das Politikfeld „Netzpolitik“? Bündnis 90/Die Grünen reagierten auf ihrem Programmparteitag im Dezember 2011 auf den Berliner Wahlerfolg der Piraten, indem sie ihre in den 1990er Jahren schon entwickelten Kernkompetenzen im Bereich Netzpolitik herausstellten und wieder in den Vordergrund hoben. Doch ist das, was die Piraten auf die Agenda setzen, wirklich nur, dass die Politik sich mehr um das Internet kümmern sollte, ähnlich wie den Grünen vor drei Jahrzehnten Friedenspolitik und Umweltpolitik zur Aufmerksamkeit verholfen haben? Massive Zweifel sind angebracht. Eine systematische Analyse der programmatischen Inhalte der Piratenpartei offenbart ein anderes Bild. Der Begriff „Netzpolitik“ kommt nicht ein einziges Mal (!) in einem der Wahlprogramme der Piratenpartei seit der Bundestagswahl 2009 vor. Das, was die Piratenpartei auf die Agenda setzt, ist viel radikaler: Nicht ein neues Politikfeld ist entstanden, sondern eine neue Form von Öffentlichkeit. Entsprechend gibt es keine Politik, die speziell für das Politikfeld Internet gedacht ist. Vielmehr wird vor dem Hintergrund der Massenverbreitung des Internets Politik vollkommen neu gedacht. Die Programmatik der Piratenpartei stellt implizit grundsätzliche Fragen nach der 1 Der Verfasser ist Vertreter des Lehrstuhls für Vergleichende Regierungslehre an der Universität Greifswald. Funktion der repräsentativen Demokratie, und greift gleichzeitig „alte“ unerfüllte Versprechen unserer Demokratie auf, vor der Grundannahme, dass mit den neuen technischen Möglichkeiten des Internets diese unerfüllten Versprechen nun eingelöst werden könnten. Sie stellt somit grundsätzliche Forderungen an Politik und Gesellschaft. Ihr Erfolg und die gleichzeitige Sprachlosigkeit der Öffentlichkeit gegenüber diesen Forderungen offenbaren aber sowohl Defizite des intellektuellen Diskurses als auch der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Politik. Diese Schlussfolgerung liegt insbesondere dann nahe, wenn die Programmatik der Piratenpartei einer systematischen Inhaltsanalyse unterzogen wird. Hierzu wurden das Bundestagswahlprogramm sowie die Landtagswahlprogramme analysiert. Zusammen mit Studierenden der Universitäten Potsdam und Köln wurden vorläufige inhaltsanalytische Kodierungen des Bundestagswahlprogramms der Piratenpartei auf Basis des Kodierschemas des Comparative Manifestos Project (CMP) durchgeführt. 2 Das CMP erhebt für alle Parteien mit mindestens zwei Parlamentssitzen nach 57 vorverschlüsselten Kategorien3 die inhaltlichen Hervorhebungen in Wahlprogrammen. Die jeweiligen Kategorien repräsentieren dabei einzelne Issues wie Soziale Gerechtigkeit, Ausbau des Sozialstaats, Befürwortung traditioneller Wertvorstellungen usw. Das zentrale Kodierschema repräsentiert im Wesentlichen die klassischen Politikfelder. Somit eignet sich dieses Schema besonders gut, um zu testen, ob die Programmatik einer neuen Partei, wie die Piraten es sind, sich gut in die herkömmlichen Politikfelder einsortieren lässt oder nicht. Bei den Kodierexperimenten zeigte sich zunächst, dass sich viele programmatische Aussagen der Piratenpartei nicht in das klassische Kodierschema einsortieren lassen. Die CMP-Kodieranweisungen geben nur unzureichende Hilfestellungen bei Aussagen z.B. zum Urheber- und Nutzungsrecht, aber auch keine direkten Hinwei- 2 Eine genauere Erörterung des Projektes findet sich bei Ian Budge et al 2001: Mapping Policy Preferences. Oxford University Press. 3 56 inhaltliche Kategorien sowie eine Kategorie „sonstige“. 123
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Aufsätze Sebastian Roßner – Von Töchtern und Enkelinnen MIP <strong>2012</strong> <strong>18</strong>. Jhrg.<br />
nämlich den Spielraum für als private Spenden<br />
getarnte, auf staatliche Entscheidungen zurückgehende<br />
Zuwendungen an die Parteien deutlich<br />
verringert.<br />
Allerdings bleibt auch die hier vorgeschlagene<br />
Auslegung an verschiedenen Punkten hinter dem<br />
zurück, was rechtspolitisch wünschenswert ist.<br />
Manches, wie etwa die Ausblendung des Umstandes,<br />
daß sich hinter der „öffentlichen Hand“<br />
durchaus verschiedene juristische Personen des<br />
öffentlichen Rechts mit unterschiedlichen, parteipolitisch<br />
motivierten Zielsetzungen verbergen<br />
können, es also nicht unbedingt eine einheitliche<br />
Willensbildung der hinter einem spendenden<br />
Unternehmen stehenden staatlichen Stellen gibt,<br />
kann im Rahmen der notwendigen Typisierung<br />
noch als verschmerzbare Ungenauigkeit hingenommen<br />
werden. Diese Ungenauigkeit bewirkt<br />
zudem ein Zuviel und nicht ein Zuwenig an<br />
Schutz vor staatlich veranlassten Zuwendungen<br />
an die Parteien.<br />
Hingegen sollte der Gesetzgeber die Schwierigkeit<br />
der Parteien ernstnehmen, zu erkennen,<br />
wann ein Unternehmen die Kriterien für ein<br />
Spendenannahmeverbot erfüllt und das spendende<br />
Unternehmen stärker in den Blick nehmen.<br />
Die bereits erwähnte Kommission unabhängiger<br />
Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung<br />
machte seinerzeit den Vorschlag, ein an die<br />
Unternehmen gerichtetes Spendenverbot auszusprechen23<br />
. Stattdessen käme auch die Beibehaltung<br />
des bisherigen Regelungsmodells in Betracht,<br />
dem aber die Pflicht für die Parteien hinzugefügt<br />
würde, sich von dem spendenden Unternehmen<br />
eine Art „Unbedenklichkeitsbescheinigung“<br />
ausstellen zu lassen, die Auskunft über<br />
die Eigentums- und sonstigen relevanten Rechtsverhältnisse<br />
des Unternehmens gibt. Beide vorgeschlagene<br />
Regelungen – ein Spendenverbot<br />
wie auch eine Unbedenklichkeitsbescheinigung<br />
– sollten allerdings sinnvollerweise durch Sanktionen<br />
abgesichert werden, die auch für das<br />
spendende Unternehmen einen Anreiz schaffen,<br />
nicht rechtswidrig zu spenden oder eine inhalt-<br />
23 BTDrS 14/6710 S. 34, 2. Spalte; ebenso, allerdings<br />
durch die Schließung von Regelungslücken motiviert<br />
Kersten, J., in: Kersten/Rixen PartG, § 25 (2009)<br />
Rn. 91.<br />
122<br />
lich falsche Unbedenklichkeitsbescheinigung<br />
auszustellen.<br />
Literaturverzeichnis<br />
Augsberg, Steffen, in: Kersten, Jens / Rixen, Stephan<br />
(Hg.), Parteiengesetz (PartG) und europäisches<br />
Parteienrecht. Kommentar, (2009) § 5.<br />
Grimm, Dieter: § 14 Politische Parteien, in:<br />
Benda, Ernst / Maihofer, Werner / Vogel, Hans-<br />
Jochen (Hg.): Handbuch des Verfassungsrechts,<br />
2. Aufl.1994 (599-656).<br />
Ipsen, Jörn, in: Sachs, Michael (Hg.), GG, 6.<br />
Aufl. (2011) Art. 21.<br />
Jochum, Heike, in: Ipsen, Jörn (Hg.), Kommentar<br />
zum Gesetz über die politischen Parteien,<br />
(2008) § 25.<br />
Kersten, Jens, in: Kersten, Jens / Rixen, Stephan<br />
(Hg.), Parteiengesetz (PartG) und europäisches<br />
Parteienrecht. Kommentar, (2009) § 25.<br />
Küstermann, Burkhard: Das Transparenzgebot<br />
des Art.21 Abs. 1 S. 4 GG (2003).<br />
Lenski, Sophie-Charlotte, (2011) Parteiengesetz<br />
und Recht der Kandidatenaufstellung.<br />
Morlok, Martin: Kommentar zum Gesetz über<br />
die politischen Parteien. Das deutsche Bundesrecht.<br />
Systematische Sammlung der Gesetze und<br />
Verordnungen mit Erläuterungen (2007).<br />
Morlok, Martin, in: Dreier, Horst (Hg.), Grundgesetzkommentar,<br />
Bd. 2, 2. Aufl. (2006) Art. 21.<br />
Püttner, Günter: Die Einwirkungspflicht, DVBl.<br />
1975 (352-357).<br />
Streinz, Rudolf, in: Starck, Christian (Hg.), v.<br />
Mangoldt / Klein / Starck GG, Bd. 2, 6. Aufl.<br />
(2010) Art. 21 Abs. 1.<br />
Tsatsos, Dimitris / Morlok, Martin: Parteienrecht<br />
(1982).<br />
Volkmann, Uwe, in: Friauf, Karl Heinrich / Höfling,<br />
Wolfgang (Hg.), Berliner Kommentar zum<br />
Grundgesetz, (4. Erg.-Lfg. 2002) Art. 21.