2012, Heft 18, S. 5-15 - PRuF

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02.12.2012 Aufrufe

Aufsätze Hendrik Träger – Die Ostdeutschen in den Bundesparteien MIP 2012 18. Jhrg. zweite Amtszeit nicht besser, weshalb sich Ende 2004 auch Guido Westerwelle von seiner Generalsekretärin distanzierte. Im Jahr 2005 wurde Pieper in das Amt der stellvertretenden Vorsitzenden „hochgelobt“ 5 . Anders als in CDU und FDP bekleideten die Mitglieder aus den fünf neuen Ländern in der SPD erst in den letzten beiden Jahren des Untersuchungszeitraumes führende Ämter: Im Herbst 2005 wurde der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck zum Vorsitzenden gewählt, nach dessen gesundheitsbedingtem Rücktritt ein halbes Jahr später rückten erst Jens Bullerjahn (Sachsen-Anhalt) und danach (2007) Frank-Walter Steinmeier (Brandenburg) als Stellvertreter in die Parteiführung nach. Auch bei den BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verbesserte sich die Präsenz der Ostdeutschen im Verlauf des Untersuchungszeitraumes. Nach der Wahl Gunda Röstels zur Bundessprecherin waren die Bündnisgrünen aus den neuen Ländern 1996 erstmals in der ersten Reihe vertreten. Und seit dem Ausscheiden der Sächsin kommen immerhin der Schatzmeister (Dietmar Strehl) und seit 2002 zusätzlich die Politische Geschäftsführerin (Steffi Lemke) aus den ostdeutschen Gliederungen. Damit werden zwei der vier höchsten Parteiämter von Vertretern aus den neuen Ländern besetzt. So gut war die Situation zeitweise nicht einmal bei der als ostdeutsche Regionalpartei apostrophierten PDS. Mit dem Brandenburger Lothar Bisky, der 1993 den (Ost-)Berliner Gregor Gysi als Vorsitzenden ablöste, rückte erstmals ein Sozialist aus den fünf neuen Ländern an die Parteispitze. Danach entwickelte sich eine starke Dominanz der Brandenburger in der Parteiführung, denn von dort kamen auch stellvertretende Vorsitzende, Geschäftsführer und Schatzmeister. Das betraf auch die drei Jahre, in denen die Thüringerin Gabriele Zimmer den Vorsitz inne hatte (2000-2003). c) Resümee Insgesamt kann festgehalten werden, dass es überall Ostdeutsche in die engste Parteiführung 5 Der Spiegel, Nr. 14/2005, S. 32. 10 geschafft haben; in allen Parteien außer der FDP gilt das sogar für den Vorsitz. Für die erfolgreichen Kandidaturen waren auch in den westdeutsch geprägten Parteien weniger die Mitgliederbestände oder Wahlergebnisse des Heimat- Landesverbandes entscheidend, sondern die Person des Bewerbers; so wurde Angela Merkel aus dem kleinen Landesverband Mecklenburg-Vorpommern CDU-Vorsitzende. 2. Personal(entscheidungen) der Landesverbände Zu den personellen Beziehungen gehört auch, dass in der CDU die Bundespartei zweimal in Personalentscheidungen auf Landesebene eingriff: (1) Das eine Mal war es unterstützend, als sich 1992 Thüringer Christdemokraten bei ihrer Suche nach einem Nachfolger für den nicht mehr haltbaren Ministerpräsidenten Josef Duchac an Helmut Kohl wandten. Auf dessen Vorschlag übernahm mit Bernhard Vogel – für die damalige Zeit nicht untypisch6 – ein Politiker aus den alten Ländern die führende Position in Erfurt. (2) Wesentlich anders gestaltete sich die Situation im Herbst 1991, als die Bundespartei intervenierend agierte. Um die Wahl des zur Parteilinken gehörenden Ulf Fink zum brandenburgischen Landesvorsitzenden zu verhindern, stellte die Parteiführung Bundesfrauenministerin Angela Merkel als Gegenkandidatin auf; allerdings scheiterte die „Kandidatin von Kanzlers Gnaden“ 7 in der Kampfabstimmung. Dass die Parteiführung trotz der Autonomie der Gliederungen in die Personalpolitik eines Landesverbandes eingriff, weil sie mit der Entwicklung vor Ort unzufrieden war, ist jedoch eindeutig die Ausnahme; für die anderen Parteien ist Vergleichbares nicht belegt. Eine Gemeinsamkeit zwischen den vier westdeutsch geprägten Parteien besteht hingegen darin, dass die Bundespartei und einige Gliederungen aus den alten Ländern die ostdeutschen Landesverbände – v.a. in den ersten Jahren – mit Personal unterstützten: So traten für die SPD bei drei von fünf ost- 6 Damals waren auch die Ministerpräsidenten von Sachsen und Sachsen-Anhalt, Kurt Biedenkopf und Werner Münch, zwei Westdeutsche. 7 Die Zeit vom 22.11.1991.

MIP 2012 18. Jhrg. Hendrik Träger – Die Ostdeutschen in den Bundesparteien Aufsätze deutschen Landtagswahlen 1990 westdeutsche Politiker (u.a. Bundesgeschäftsführerin Anke Fuchs) als Spitzenkandidaten an. Außerdem gehörten den ersten Landeskabinetten zahlreiche Minister aus den alten Ländern an; und auch in den Landesvorständen gab es einige Westdeutsche. IV. Die Programmatik Nach dem Blick auf die personellen Beziehungen wird jetzt das inhaltlich-programmatische Verhältnis untersucht. Dabei ist danach zu fragen, auf welche Weise die Gliederungen die programmatische Ausrichtung der Bundespartei beeinflussten (Kap. IV.1). Außerdem wird untersucht, ob und wie die Landesverbände bei der Ausarbeitung ihrer Programme durch die Bundespartei – also top down – determiniert wurden (Kap. IV.2). 1. Die Ostdeutschen im innerparteilichen Willensbildungsprozess Hinsichtlich des Einflusses der ostdeutschen Gliederungen auf die inhaltlich-programmatische Ausrichtung der Bundespartei ist als Erstes festzustellen, dass in den vier westdeutsch geprägten Parteien die Mitglieder aus den neuen Ländern allein schon aufgrund ihrer anderen Sichtweise auf bestimmte Themen die innerparteilichen Willensbildungsprozesse veränderten. So erklärt der ehemalige SPD-Vorsitzende Björn Engholm (zit. nach Träger 2011: 342), dass in seiner Partei nicht mehr wie noch in den 1980er- Jahren „über Frieden, Außenpolitik und Sozialität nach unserem Muster“ geredet worden sei. Den Anliegen der neuen Länder nahmen sich insbesondere die Sozialisten an. Sie kritisierten v.a. in den 1990er-Jahren den Wiedervereinigungsprozess als Anschlusspolitik des Westens und setzten sich intensiver als die anderen Parteien für die Übernahme sozialer Errungenschaften aus der DDR (z.B. Kinderbetreuung) durch das wiedervereinte Deutschland ein. Das geschah meist ohne Anträge der Basis, schließlich waren die ostdeutschen Gliederungen (bspw. 2003 beim Chemnitzer Programm) für die Vorarbeiten zu den einzelnen Kapiteln verantwortlich. So prononciert war die Stellung der Ostdeutschen in den westdeutsch geprägten Parteien nicht. Dort spielten einzelne Personen aus den neuen Ländern eine wichtige Rolle. Diese gehörten entweder wie Angela Merkel oder Cornelia Pieper zur engsten Parteiführung und erarbeiteten Vorlagen für die Gremien, 8 oder sie waren Regierungsmitglieder in Ländern. So legte Kurt Biedenkopf 1993 ein Papier mit Alternativvorschlägen zum CDU-Grundsatzprogramm vor, und Regine Hildebrandt fungierte in der SPD als die „Stimme des Ostens“. Dabei dürfte neben den persönlichen Eigenschaften auch der Rückgriff auf die Expertise einer Landesregierungspartei nicht unwesentlich gewesen sein, können doch Minister/präsidenten auf den Mitarbeiterstab zurückgreifen, um ihre Pläne etwa hinsichtlich zu erwartender Kosten überprüfen zu lassen. 2. Einfluss auf Landesverbände Ob die Bundespartei ihrerseits die Landesverbände beeinflussen und diesen „Vorschriften machen“ (Zeuner 1969: 49) kann, ist angesichts der parteiensoziologischen Ansätze fraglich. Elmar Wiesendahl (2006b: 36) betont, dass „[d]ie Parteiführung (…) nicht top down die Kontrolle über die Landesgruppierungen und die zahlreichen Mitgliederorganisationen gewinnen“ könne. Tatsächlich gibt es für alle Parteien in den zugänglichen Dokumenten keine Hinweise darauf, dass die Parteiführung aktiv dirigierend oder korrigierend in die Programmarbeit der Landesverbände eingriff. Ihre Autonomie dürften die Gliederungen genießen, solange sie nicht gegen den Wertekanon der Gesamtpartei verstoßen. Wahrscheinlicher als eine direkte ist eine indirekte Beeinflussung durch die Bundespartei. Das wird am Beispiel der Agenda 2010 deutlich, auf die die Landesverbände der SPD reagieren mussten. Die Gliederungen können also nicht immer ihr Thema frei wählen, befinden sie sich doch nicht auf einer politischen tabula rasa. 8 Nach der Wahl Merkels zur Generalsekretärin (1998) fasste der CDU-Vorstand mehr Beschlüsse zu spezifisch ostdeutschen Themen als in den davorliegenden Jahren. Ähnliches ist für die Zeit Piepers als FDP-Generalsekretärin festzustellen. 11

Aufsätze Hendrik Träger – Die Ostdeutschen in den Bundesparteien MIP <strong>2012</strong> <strong>18</strong>. Jhrg.<br />

zweite Amtszeit nicht besser, weshalb sich Ende<br />

2004 auch Guido Westerwelle von seiner Generalsekretärin<br />

distanzierte. Im Jahr 2005 wurde<br />

Pieper in das Amt der stellvertretenden Vorsitzenden<br />

„hochgelobt“ 5 .<br />

Anders als in CDU und FDP bekleideten die<br />

Mitglieder aus den fünf neuen Ländern in der<br />

SPD erst in den letzten beiden Jahren des Untersuchungszeitraumes<br />

führende Ämter: Im Herbst<br />

2005 wurde der brandenburgische Ministerpräsident<br />

Matthias Platzeck zum Vorsitzenden gewählt,<br />

nach dessen gesundheitsbedingtem Rücktritt<br />

ein halbes Jahr später rückten erst Jens Bullerjahn<br />

(Sachsen-Anhalt) und danach (2007)<br />

Frank-Walter Steinmeier (Brandenburg) als<br />

Stellvertreter in die Parteiführung nach.<br />

Auch bei den BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verbesserte<br />

sich die Präsenz der Ostdeutschen im Verlauf<br />

des Untersuchungszeitraumes. Nach der Wahl<br />

Gunda Röstels zur Bundessprecherin waren die<br />

Bündnisgrünen aus den neuen Ländern 1996<br />

erstmals in der ersten Reihe vertreten. Und seit<br />

dem Ausscheiden der Sächsin kommen immerhin<br />

der Schatzmeister (Dietmar Strehl) und seit<br />

2002 zusätzlich die Politische Geschäftsführerin<br />

(Steffi Lemke) aus den ostdeutschen Gliederungen.<br />

Damit werden zwei der vier höchsten Parteiämter<br />

von Vertretern aus den neuen Ländern<br />

besetzt.<br />

So gut war die Situation zeitweise nicht einmal<br />

bei der als ostdeutsche Regionalpartei apostrophierten<br />

PDS. Mit dem Brandenburger Lothar<br />

Bisky, der 1993 den (Ost-)Berliner Gregor Gysi<br />

als Vorsitzenden ablöste, rückte erstmals ein Sozialist<br />

aus den fünf neuen Ländern an die Parteispitze.<br />

Danach entwickelte sich eine starke Dominanz<br />

der Brandenburger in der Parteiführung,<br />

denn von dort kamen auch stellvertretende Vorsitzende,<br />

Geschäftsführer und Schatzmeister.<br />

Das betraf auch die drei Jahre, in denen die Thüringerin<br />

Gabriele Zimmer den Vorsitz inne hatte<br />

(2000-2003).<br />

c) Resümee<br />

Insgesamt kann festgehalten werden, dass es<br />

überall Ostdeutsche in die engste Parteiführung<br />

5 Der Spiegel, Nr. 14/2005, S. 32.<br />

10<br />

geschafft haben; in allen Parteien außer der FDP<br />

gilt das sogar für den Vorsitz. Für die erfolgreichen<br />

Kandidaturen waren auch in den westdeutsch<br />

geprägten Parteien weniger die Mitgliederbestände<br />

oder Wahlergebnisse des Heimat-<br />

Landesverbandes entscheidend, sondern die Person<br />

des Bewerbers; so wurde Angela Merkel aus<br />

dem kleinen Landesverband Mecklenburg-Vorpommern<br />

CDU-Vorsitzende.<br />

2. Personal(entscheidungen) der Landesverbände<br />

Zu den personellen Beziehungen gehört auch,<br />

dass in der CDU die Bundespartei zweimal in<br />

Personalentscheidungen auf Landesebene eingriff:<br />

(1) Das eine Mal war es unterstützend, als<br />

sich 1992 Thüringer Christdemokraten bei ihrer<br />

Suche nach einem Nachfolger für den nicht mehr<br />

haltbaren Ministerpräsidenten Josef Duchac an<br />

Helmut Kohl wandten. Auf dessen Vorschlag<br />

übernahm mit Bernhard Vogel – für die damalige<br />

Zeit nicht untypisch6 – ein Politiker aus den alten<br />

Ländern die führende Position in Erfurt. (2) Wesentlich<br />

anders gestaltete sich die Situation im<br />

Herbst 1991, als die Bundespartei intervenierend<br />

agierte. Um die Wahl des zur Parteilinken gehörenden<br />

Ulf Fink zum brandenburgischen Landesvorsitzenden<br />

zu verhindern, stellte die Parteiführung<br />

Bundesfrauenministerin Angela Merkel als<br />

Gegenkandidatin auf; allerdings scheiterte die<br />

„Kandidatin von Kanzlers Gnaden“ 7 in der<br />

Kampfabstimmung.<br />

Dass die Parteiführung trotz der Autonomie der<br />

Gliederungen in die Personalpolitik eines Landesverbandes<br />

eingriff, weil sie mit der Entwicklung<br />

vor Ort unzufrieden war, ist jedoch eindeutig<br />

die Ausnahme; für die anderen Parteien ist<br />

Vergleichbares nicht belegt. Eine Gemeinsamkeit<br />

zwischen den vier westdeutsch geprägten<br />

Parteien besteht hingegen darin, dass die Bundespartei<br />

und einige Gliederungen aus den alten<br />

Ländern die ostdeutschen Landesverbände – v.a.<br />

in den ersten Jahren – mit Personal unterstützten:<br />

So traten für die SPD bei drei von fünf ost-<br />

6 Damals waren auch die Ministerpräsidenten von Sachsen<br />

und Sachsen-Anhalt, Kurt Biedenkopf und Werner<br />

Münch, zwei Westdeutsche.<br />

7 Die Zeit vom 22.11.1991.

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