108particulae collectae3 Emotionale EinstellungenNach <strong>de</strong>r hier vertretenen Auffassung han<strong>de</strong>lt es sich bei Emotionen um arbiträrekomplexe semiotische Entitäten. Zur Explikation <strong>de</strong>s Verhältnisseszwischen Sprechhandlungen, speziell zwischen Äußerungsbe<strong>de</strong>utungen un<strong>de</strong>motionalen Bewertungen verwen<strong>de</strong> ich die Kategorien emotionale Einstellungund emotionale Szene.Emotionale Einstellungen sind Komponenten <strong>de</strong>r semiotischen Äußerungsbe<strong>de</strong>utung.Sie referieren auf spezifische Komponenten von Gefühlen, und zwarauf Empfindungsqualitäten und auf Gra<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Empfindungsintensität.Als elementare Einheiten emotionaler Einstellungen {EM} betrachte ich(a) {EM ± },das ist die Bewertung bedürfnisrelevanter Konzepte als positiv (Affirmationselbstrelevanter Konzepte; Lust) bzw. als negativ (Negierung selbstrelevanterKonzepte; Unlust) und(b) {EM INT },das ist das Intensitätsspektrum <strong>de</strong>r BewertungDem liegt die Annahme zugrun<strong>de</strong>, dass Emotionen in <strong>de</strong>r Reflexion selbstrelevanterWerte, Bewertungen und Bedürfnisse grün<strong>de</strong>n. 4Die Komponenten {EM ± } und {EM INT } sind bei <strong>de</strong>r symbolischen Codierungauf einen Repräsentationsgehalt R bezogen, was noch nichts über die formale(z. B. phonologische, morphologische, syntaktische o<strong>de</strong>r sprachspezifischsemantische)Realisierung von {EM ± }, {EM INT } und R aussagt:(1) [{EM ± }, {EM INT }] (R)Wir können somit sagen, dass sich Ausdrücke wie dt. Superuni, Scheißuni,Sauhaufen qua zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>r wort- und begriffsbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Prozesse in <strong>de</strong>nbewerten<strong>de</strong>n Aspekten {EM + } und {EM _ } unterschei<strong>de</strong>n. In adjektivischenWortbildungen wie dt. scheißkalt, saugut wird hingegen die Intensität {EM INT }codiert.Gefühle bzw. Teilaspekte von Gefühlen müssen nicht notwendig mittelssprachlichen Symbolen codiert wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn können auch mittels in<strong>de</strong>xikalischerZeichen ausgedrückt wer<strong>de</strong>n. Allerdings wird man <strong>de</strong>n Ausdruck vonEmotionen durch in<strong>de</strong>xikalische Zeichen, z. B. über das Rotwer<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Weinenbeim Schämen, bei Wut, bei Freu<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r bei Trauer usw. nur unter <strong>de</strong>r Bedingungals kommunikativen Prozess bezeichnen, falls ein Sen<strong>de</strong>r diese Zeichenintentional produziert, das heißt, in <strong>de</strong>r Absicht, bei einem Empfänger eineWirkung dadurch zu erzeugen, dass dieser eben diese Absicht bemerkt. Dies ist4 Cf. zur ausführlichen Diskussion dieser Annahme Scheele (1990).
<strong>Norbert</strong> <strong>Fries</strong>: <strong>de</strong> <strong>ira</strong> 109beispielsweise bei <strong>de</strong>r Verwendung von Emoticons in E-Mails <strong>de</strong>r Fall ☺. Mitan<strong>de</strong>ren Worten: Gewöhnlicherweise weint o<strong>de</strong>r lacht man nicht <strong>de</strong>shalb, damitein an<strong>de</strong>rer merkt, wie wütend, froh usw. man ist.Auch in<strong>de</strong>xikalische Zeichen, zu welchen neben Gestik, Mimik auch Phänomenewie Blickrichtung, Körperhaltung, Körperabstand, Körperbewegung und Körperorientierungim Raum zu rechnen sind, sind keineswegs nicht-arbiträr: IhreInterpretation ist nicht nur abhängig von sozialen, kulturellen, geographischenund historischen Faktoren, son<strong>de</strong>rn auch von vollkommen persönlichen und individuellenEigenschaften, wie sich beispielsweise in <strong>de</strong>r Variation <strong>de</strong>s Scham-Verhaltens zeigt. Wie verhält sich eine Frau, wenn sie von einem Unbekanntenbeim Nacktba<strong>de</strong>n überrascht wird? 5 Eine Muslimin wird ihr Gesicht hinter ihrenHän<strong>de</strong>n verstecken, eine Laotin wird ihre Brüste be<strong>de</strong>cken, eine traditionelleChinesin wird ihre Füße verstecken, eine Sumatranerin wird ihre Knie be<strong>de</strong>cken,eine Samoanerin wird ihren Nabel be<strong>de</strong>cken, in Europa und Amerika wird siemit einer Hand ihre Brüste be<strong>de</strong>cken, mit <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>n Genitalbereich (manvergleiche hierzu Rembrandts Susanna im Ba<strong>de</strong>) – und wie verhält sich die Leserindieses Textes?Sprachliche Äußerungen funktionieren zwar wesentlich mittels Symbolen, sindjedoch in je<strong>de</strong>r medialen Realisierungsform zugleich an die durch das jeweiligeMedium bedingte in<strong>de</strong>xikalische Zeichen-Prozessualisierung gebun<strong>de</strong>n, ob essich hierbei um auditiv, visuell o<strong>de</strong>r taktil wahrnehmbare Gesten han<strong>de</strong>lt o<strong>de</strong>rum Schrift in ihren unterschiedlichen Realisierungsformen. 6In Form in<strong>de</strong>xikalischer Zeichen referieren Emotionen auf <strong>de</strong>n Produzenten(Sen<strong>de</strong>r) <strong>de</strong>r betreffen<strong>de</strong>n Zeichen, während sie in <strong>de</strong>r Form sprachlicherZeichen natürlich auch auf Aspekte von Gefühlen an<strong>de</strong>rer Personen referiereno<strong>de</strong>r diese thematisieren können (cf. hierzu ausführlich z. B. Fiehler 1990; Konstantinidou1997).Kommunikationspartner sind somit prinzipiell in <strong>de</strong>r Lage, über in<strong>de</strong>xikalischeZeichen mehr o<strong>de</strong>r weniger angemessen zu beurteilen, ob symbolisch codiertenemotionalen Einstellungen entsprechen<strong>de</strong> Empfindungen <strong>de</strong>r Sprecher zugrun<strong>de</strong>liegen o<strong>de</strong>r nicht. Die Kenntnisse <strong>de</strong>r Kommunikationspartner beziehen sich dabeiwesentlich auf die Eigenschaften und Prinzipien <strong>de</strong>r jeweiligen Kommunikationsformenund Kommunikationsumstän<strong>de</strong> im Verhältnis zu Kenntnissenüber Gefühle und ihren in<strong>de</strong>xikalischen Ausdruck.Emotionale Einstellungen können sprachlich auf allen Ebenen <strong>de</strong>s jeweiligenSprachsystems codiert wer<strong>de</strong>n. So genannte Exklamativsätze sind beispielsweise5 Beispiel nach Colton (1983: 210); cf. ferner <strong>Fries</strong> (2000: 20ff.)6 Zu entsprechen<strong>de</strong>n Ausdrucksparametern von Emotionen cf. übersichtshalber die Beiträgein Davidson et al. (2002, insbeson<strong>de</strong>re Teil 4).