MITMENSCHEN 8Eifer fragt gelegentlich nach dem unmittelbarenNutzen für die Kirche. Die meisten derBetreuten lassen sich ja nicht plötzlich taufen,sie bezahlen ke<strong>in</strong>e <strong>Kirchen</strong>steuern, siebleiben Muslime, Buddhisten, Juden oderAtheisten.Wenn ich mir allerd<strong>in</strong>gs bewusst mache, was<strong>in</strong> Zeiten des Kolonialismus alles von Christenveranstaltet wurde, wie viel Hass durchAusbeutung, Blutvergießen und Kulturvernichtungausgelöst wurde (und noch wird),dann b<strong>in</strong> ich dankbar, wenn Kirche heutee<strong>in</strong>fach hilft, – ohne E<strong>in</strong>schränkungen oderBed<strong>in</strong>gungen.Es geht ja um remde, die s<strong>in</strong>d, wie sie s<strong>in</strong>d.Jesus sagt nicht: „Ich wollte e<strong>in</strong>en <strong>Kirchen</strong>e<strong>in</strong>trittund ihr habt mich aufgenommen“.Wenn aber remde <strong>in</strong> <strong>Kirchen</strong> Hilfe, Schutzund Verständnis f<strong>in</strong>den, ist das durchausauch e<strong>in</strong> missionarisches Zeichen, denn esschafft gute Erfahrungen mit Kirche.Die Ausländerberatung des <strong>Evangelische</strong>n<strong>Kirchen</strong>kreises <strong>Erfurt</strong> bietet Ausländern undAussiedlern seit Jahren Rat, Hilfe und Kontaktan. Sie organisiert Sprachkurse und hilftbei Alltagsfragen. Hier f<strong>in</strong>den viele e<strong>in</strong>e ersteAnlaufstelle. Sie kommen mit Amtspost,die sie nicht verstehen. Sie brauchen Begleitungzu Behörden, Beratung bei Wohnungsnotoder Informationen über den Bildungswegihrer K<strong>in</strong>der.Viele s<strong>in</strong>d dankbar für die Begegnungen <strong>in</strong>Gruppen und Kursen. ür Kontakte, die helfen,das remdse<strong>in</strong> zu überw<strong>in</strong>den.Manchmal wünschte ich mir mehr Tuchfühlungzwischen der Ausländerarbeit und denKirchgeme<strong>in</strong>den.Warum gibt es <strong>in</strong> <strong>Erfurt</strong> ke<strong>in</strong>en offiziellenGottesdienst zur Woche des ausländischenMitbürgers mehr?Was h<strong>in</strong>dert uns, bei Geme<strong>in</strong>defesten und<strong>in</strong> Gesprächsrunden öfter Begegnungen zuermöglichen? Besonders gefragt s<strong>in</strong>d Leute,die z.B. als Mentoren persönliche Kontakteaufbauen wollen.ragen Sie: rau Nguyen Thi Ung,Büro für ausländische MitbürgerInnen. Hans-Sailer-Straße 57, ( 7508423
9 THEMA: MENSCHENSTERBENBegegnung mit dem TodThomas M. AustelWir hatten ihn aus dem Krankenhaus geholt.Die Ärzte konnten nichts mehr tun.Me<strong>in</strong> Großvater hatte Magenkrebs. DieÄrzt<strong>in</strong> kam regelmäßig, um nach ihm zusehen und se<strong>in</strong>e Schmerzen zu l<strong>in</strong>dern.Großvater freute sich über den vertrautenBlick aus dem enster. Der Hund kam.Der Nachbar schaute here<strong>in</strong>, setzte sichzu ihm. Er war nicht alle<strong>in</strong>. Er nahm Abschiedund erzählte se<strong>in</strong> Leben.Se<strong>in</strong>e letzten Tage, se<strong>in</strong> schwerer Atem,schmal geworden, oft schmerzverzerrt.Nichts essen und nichts mehr tr<strong>in</strong>ken. Erbrauchte se<strong>in</strong>e Ruhe und se<strong>in</strong>e Zeit.Plötzlich war es still im Haus. Wir g<strong>in</strong>genzu ihm. Mutter nahm e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Spiegel,hielt ihn vor Großvaters Mund. Ke<strong>in</strong>Hauch war mehr zu sehen. Mit dem Ausdruckder Erleichterung auf dem Gesichtlag er vor uns. Wir drückten ihm die Augenzu und legten se<strong>in</strong>e Hände <strong>in</strong>e<strong>in</strong>ander.Wir stellten Blumen und dasKreuz an se<strong>in</strong> Bett, zündeten e<strong>in</strong>e Kerzean, beteten das Vaterunser. Wir taten, wasfür uns nahe lag.Mutter rief die Ärzt<strong>in</strong>. Sie kam, sprach mituns, stellte den Totensche<strong>in</strong> aus. Der Anrufbeim Bestatter hatte Zeit bis zumnächsten Tag.Die Ruhe tat allen gut. Die schwere Pflegewar zu Ende. Der Tod brauchte Raum,damit wir den fremden reund im Hausdes Lebens verstanden.Bevor wir den Bestatter anriefen, sprachenwir mit unserem Pfarrer. Wir brauchtenZeit, bis wir Abschied genommen hattenvon unserem toten Großvater, bis wir se<strong>in</strong>enLeichnam weggeben konnten. DerPfarrer kam. Mit biblischem Zuspruch,e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>sam gesungenen Liedstropheund dem Abschiedssegen – „Der Herrbehüte dich vor allem Übel, er behütede<strong>in</strong>e Seele. Der Herr behüte de<strong>in</strong>en Ausgangund E<strong>in</strong>gang von nun an bis <strong>in</strong> Ewigkeit.“– verabschiedeten wir unserenGroßvater aus dem Haus se<strong>in</strong>es Lebens.Die BeerdigungMutter ist tot. Sie starb im Altenpflegeheim.Ich war bei ihr. Jetzt gibt es viel zuregeln. Der Bestatter muss beauftragt werden.Die Grabstelle ist festzulegen. E<strong>in</strong>Pfarrer muss gefunden werden, der denTrauergottesdienst halten wird. Ich rufe anund vere<strong>in</strong>bare Term<strong>in</strong>e.Was will ich dem Pfarrer sagen? Auf demWeg stelle ich mir immer wieder dieserage. Ich habe drei Geschwister. Wirwerden von derselben Mutter Abschiednehmen und doch – jeder hatte se<strong>in</strong>e eigeneBeziehung zu ihr. Se<strong>in</strong>e eigene Geschichtemit ihr. Me<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerungen. Washat Mutter geprägt? Ausgebombt, Lebenzwischen Trümmern. Alte otos, Bilderihrer K<strong>in</strong>dheit, ihrer Jugend. Welche Träumehatte sie? Was erzähle ich dem Pfarrer?Am besten das, was mir durch denKopf geht, was mich bewegt. Den Lebenslaufkenne ich. Ich möchte am Sarg mehrhören. Mehr, das ich schwer <strong>in</strong> Worte fassenkann.Als ich dem Pfarrer gegenüber sitze, sitzeich ihm als Vertreter me<strong>in</strong>er amilie gegenüber.Ich erzähle von der Beziehungzu me<strong>in</strong>er Mutter, von der Mutter me<strong>in</strong>erK<strong>in</strong>dheit, von der Mutter, die alt wurde,von ihren letzten Tagen, von Gedankenund Gefühlen, Dankbarkeit, Schuld,Schmerz. Ich verlasse den Pfarrer mit demguten Gefühl: Was ich ihm anvertrauthabe, ist bei ihm gut aufgehoben.Der Tag der Beerdigung ist gekommen.Unsere kle<strong>in</strong> gewordene, verstreut wohnendeamilie sitzt <strong>in</strong> der riedhofskapel-