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10/11 - Evangelische Kirchen in Erfurt

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KOLUMNE 4Zwischen den PolenStefan Börner„Des Menschen Leben ist Mühe und Arbeit.“ So haben es Christen dem Psalm 90entnommen und lange Zeit damit begründet, warum Menschen unermüdlich am Werkse<strong>in</strong> sollen. Wohl mit Anspielung auf das Gleichnis <strong>in</strong> Matthäus 25 heißt <strong>in</strong> unseremSprachgebrauch e<strong>in</strong>e Begabung „Talent“ – selbstverständlich ist man verpflichtet, damitfleißig zu „wuchern“. Und so mancher Traueranzeige kann man entnehmen, dass derDah<strong>in</strong>gegangene <strong>in</strong> solchem Streben den S<strong>in</strong>n se<strong>in</strong>es Lebens gefunden hatte. –Böhmerwald 2006. Mit e<strong>in</strong>em Ruderboot auf e<strong>in</strong>em großen See, weitab von denwaldigen Ufern. Nur ganz von fern verschollene Geräusche. W<strong>in</strong>dstille, dieWasserfläche spiegelglatt, bewegungsloses Schweben zwischen zwei Himmeln, obenund unten. – Da ist es passiert, und ich habe es erlebt: Die Zeit blieb stehen. E<strong>in</strong>enw<strong>in</strong>zigen Moment, endlos lang. Und es war der schönste Augenblick im ganzenSommerurlaub.Wer sagt eigentlich wirklich, dass der Mensch, wenn er e<strong>in</strong> Mensch se<strong>in</strong> will, umjeden Preis tätig se<strong>in</strong> muss? Psalm 90 tut es nicht – er beklagt eher das Los des Menschen,dass all se<strong>in</strong>e Mühe, so angespannt sie die Jahre und Jahrzehnte h<strong>in</strong>durch auch se<strong>in</strong>mag, ja doch vergeblich ist, „denn es fähret schnell dah<strong>in</strong>, als flögen wir davon“. DasGleichnis mit den Talenten spricht von der klugen Anwendung der Gaben, aber nichtvom mechanischen leiß, ohne den ke<strong>in</strong> Preis sei.Unentwegte Arbeit – so notwendig sie oftmals fürs Überleben ist – macht auch nichtetwa glücklich. Bestenfalls und selten genug s<strong>in</strong>d es die Ergebnisse, an denen mansich freut – das angestrengte Streben selber ist nur geeignet, abzulenken, zu überspielen,zu täuschen. Darüber h<strong>in</strong>wegzutäuschen, dass ke<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g auf Erden e<strong>in</strong>en Wert hat, essei denn, Menschen s<strong>in</strong>d fähig, ihn <strong>in</strong> Herz, Geist und Seele zu empf<strong>in</strong>den und zuwürdigen. Dass es damit also noch e<strong>in</strong>e andere, gar höhere Qualität menschlicherExistenz gibt.Und die kann sehr wohl <strong>in</strong> der Muße entstehen. „Ora et labora“ heißt es schon <strong>in</strong> derbenedikt<strong>in</strong>ischen Ordensregel: Der Arbeit ist das Gebet nicht nur zur Seite, sondernvorangestellt. Die Brüder von Taizé sprechen von „Kampf und Kontemplation“ – denzwei Polen, zwischen denen sich erst das eld des Se<strong>in</strong>s ausspannen kann. Das hatalso nichts mit Entspannung zu tun, mit Sichhängenlassen oder Genießen. So wichtigwie die Arbeit ist das untätige, betrachtende Se<strong>in</strong> als der Zustand, <strong>in</strong> dem der Geist,die Seele empf<strong>in</strong>dsam wird, nach der unsichtbaren, aber wahren Dimension der Weltsucht, sich leise und neugierig <strong>in</strong>s Unbekannte entfaltet. So wie die Schnecke vorsichtigihre ühler ausstreckt, wenn nichts um sie herum sich zu bewegen sche<strong>in</strong>t.Der Mensch ist sterblich. Im Herbst, wenn die Natur sich zur Ruhe begibt, bes<strong>in</strong>nenauch wir uns darauf. Unsere Zeit auf Erden ist begrenzt, und es ist nicht sehrrepräsentativ, was von uns bleibt. Die Spuren verblassen, Andere, Lebendige, gehendarüber h<strong>in</strong>weg, es ist jetzt – für e<strong>in</strong>e Zeit – ihre Welt. Wor<strong>in</strong> also besteht der S<strong>in</strong>nunsres Dase<strong>in</strong>s?Das muss wohl jeder – zwischen Gebet und Arbeit, Kampf und Kontemplation – fürsich selbst herausf<strong>in</strong>den und erleben. Aber wer weiß – vielleicht ist das Schönste, wase<strong>in</strong>er auf Erden erreichen kann, dass ab und zu e<strong>in</strong>mal zwischen allem die Zeit stehenbleibt...

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