10/11 - Evangelische Kirchen in Erfurt

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12.07.2015 Aufrufe

THEMA: MENSCHENSTERBEN 18Grenzfragenzwischen Leben und TodChristine GohlesAls Krankenhausseelsorgerin werde ichvon Patienten immer mal wieder vorsichtignach Möglichkeiten der Sterbehilfegefragt. Im Gespräch erfahre ich, dass hinterdieser rage häufig die Befürchtungsteht, im alle einer unheilbaren Erkrankungstarke Schmerzen zu erleiden unddas Sterben als langen qualvollen Prozesserleben zu müssen. Andere Patienten fragenmich nach dem Patiententestament,weil sie befürchten, durch die Möglichkeitender modernen Medizin künstlicham Leben erhalten zu werden, ohne dieszu wollen und sich nicht dagegen wehrenzu können. Sie fühlen sich durch Medienberichtezunehmend gegenüber denscheinbar grenzenlosen Möglichkeiten dermodernen Medizin verunsichert. Hinterbeiden ragekomplexen höre ich den fürmich gut verstehbaren tiefen Wunschdanach, selbstbestimmt und erträglichsterben zu können.Wenn ich in ortbildungen mit Krankenschwesterndie rage bespreche, wie sichjede ihr eigenes Sterben wünscht, danntreffe ich auf sehr klare Vorstellungen:„Ohne langes Leiden“ und „medizinischeBehandlung nur bis zu einem bestimmtenPunkt“ werden sofort genannt. Undich weiß, da sprechen Menschen, die tagtäglichim Krankenhaus an Sterbebettentätig sind.Lange Zeit wurden die eindrucksvollenortschritte der Medizin als Segen empfunden,weil viele Menschen von ihrenKrankheiten geheilt werden konnten. DieEntdeckung des Penicillins z.B. währenddes zweiten Weltkrieges rettete vielen dasLeben, weil Wundinfektionen nicht mehrzum Tod führen mussten. Aktuell hat dievor einigen Jahren noch unbehandelbareErkrankung AIDS an Bedrohung verloren,weil für Betroffene lebenserhaltende Behandlungsmöglichkeitengefunden wurden.Die moderne Medizin entwickelt sichbeständig weiter und inzwischen liegenSegen und luch so dicht beieinander,dass Entscheidungen schwer zu treffensind. Hatten vor Jahren rühgeborene abder 28. Schwangerschaftswoche eine realeChance, sich gesund zu entwickeln,so kann die moderne Medizin inzwischenrühchen ab der 22./23. Woche am Lebenerhalten.Wie das gelingt und zu welchem Preis fürKind und Eltern, das weiß im Voraus keiner.Der Arzt fühlt sich von seinem Verständnisder Lebenserhaltung her in derPflicht, alles Machbare zu tun. Und auchEltern möchten in der Regel, dass ihr sehrfrüh geborenes Kind leben kann. Auf demArzt lastet eine große Verantwortung. Wiesoll er entscheiden? Er kann medizinischviel tun – was davon ist sinnvoll zu tunund wo ist die Grenze zwischen beidem?Dieser schwierige Weg der Entscheidungenkann nur in intensiver Auseinandersetzungunter ethischen und religiösenGesichtspunkten gemeinsam mit den Elterngegangen werden.Vom Lebensanfang zum Lebensende:Auch da liegt die Entscheidungsschwierigkeitin der Regel in den Händen desArztes. Wird er zu einem Patienten mitHerzstillstand gerufen, so ist er verpflichtetzu reanimieren, also alles daran zusetzen, den Patienten zurück ins Leben zuholen, unabhängig davon, in welchem Lebensalterder Patient ist.Diese Verpflichtung ist zum einen Schutzfür Patienten, nicht aus Altersgründen aufgegebenzu werden, andererseits entsteht

19 THEMA: MENSCHENSTERBENim Nachhinein oft die rage nach demSinn dieser Maßnahme, wenn der Patientnicht wieder mit seinem Bewusstsein insLeben zurückkehren kann. Soll dem sehralten Menschen, der nicht mehr schluckenkann, eine Sonde durch die Magenwandeingesetzt werden, damit er weiter ernährtwerden kann oder soll man ihn „verhungern“– also sterben – lassen? Angehörigestimmen häufig dem Anlegen der Magensonde(PEG) zu, weil sie nicht „schuld“daran sein möchten, dass ihr geliebterMenschen stirbt.Ob dies in seinem Sinne ist? An dieserschweren Stelle der Entscheidung kann einPatiententestament (z.B. die ChristlichePatientenverfügung) den mutmaßlichenWillen des Betroffenen umsetzen helfen.Und auch wenn der Betroffene es früherformuliert hat, dass er keine lebensverlängerndenMaßnahmen wie z.B. die PEGmöchte, kann es unendlich leidvoll fürAngehörige sein, das medizinisch Machbarenicht tun zu lassen und damit dasSterben einzuleiten bzw. „in Kauf“ zunehmen.Es ist jederzeit sinnvoll, ein Patiententestamentnach intensiver Beratung so konkretwie möglich zu erstellen und es seinenAngehörigen anzuvertrauen bzw. dasKärtchen des Kurzhinweises in seinenpersönlichen Papieren bei sich zu führen.Dies erleichtert Angehörigen und Ärztenin bestimmten Situationen die Entscheidungfür oder gegen jeweils konkret benanntelebensverlängernde Maßnahmen,wenn es der Betroffene für sich selbst nichtmehr ausdrücken kann.Die Einhaltung des Patientenwunsches istfür den Arzt Empfehlung und nicht Verpflichtung.Er entscheidet und verantwortetsein eigenes Tun entsprechend seinemGewissen und seiner Überzeugung. Ausmeinen Erfahrungen heraus möchte ichdazu ermutigen, Wünsche und Vorstellungenim Hinblick auf das eigene Sterbenmit dem Arzt des Vertrauens zu besprechen.Er wird mit dem Patienten gemeinsamnach einem guten, möglichstschmerzfreien Weg zum Sterben hin suchen.An dieser Stelle noch einige Gedankenzum Vertrauen: In unserer letzten Situationdes Lebens, dem Sterben, sind wir inder Regel auf die Hilfe anderer Menschenangewiesen, brauchen ihren Beistand undihre Handreichung. Und wir brauchen dasVertrauen, dass andere gut mit uns umgehenwerden und uns in unserer Hilfsbedürftigkeitliebevoll begleiten werden.Wenn ich mich in guten Händen weiß –im Leben und im Sterben – dann wird derWunsch nach Sterbehilfe, den ich beimgenauen Betrachten einzelner Lebensschicksalegut verstehen kann, in den Hintergrundtreten.

THEMA: MENSCHENSTERBEN 18Grenzfragenzwischen Leben und TodChrist<strong>in</strong>e GohlesAls Krankenhausseelsorger<strong>in</strong> werde ichvon Patienten immer mal wieder vorsichtignach Möglichkeiten der Sterbehilfegefragt. Im Gespräch erfahre ich, dass h<strong>in</strong>terdieser rage häufig die Befürchtungsteht, im alle e<strong>in</strong>er unheilbaren Erkrankungstarke Schmerzen zu erleiden unddas Sterben als langen qualvollen Prozesserleben zu müssen. Andere Patienten fragenmich nach dem Patiententestament,weil sie befürchten, durch die Möglichkeitender modernen Mediz<strong>in</strong> künstlicham Leben erhalten zu werden, ohne dieszu wollen und sich nicht dagegen wehrenzu können. Sie fühlen sich durch Medienberichtezunehmend gegenüber densche<strong>in</strong>bar grenzenlosen Möglichkeiten dermodernen Mediz<strong>in</strong> verunsichert. H<strong>in</strong>terbeiden ragekomplexen höre ich den fürmich gut verstehbaren tiefen Wunschdanach, selbstbestimmt und erträglichsterben zu können.Wenn ich <strong>in</strong> ortbildungen mit Krankenschwesterndie rage bespreche, wie sichjede ihr eigenes Sterben wünscht, danntreffe ich auf sehr klare Vorstellungen:„Ohne langes Leiden“ und „mediz<strong>in</strong>ischeBehandlung nur bis zu e<strong>in</strong>em bestimmtenPunkt“ werden sofort genannt. Undich weiß, da sprechen Menschen, die tagtäglichim Krankenhaus an Sterbebettentätig s<strong>in</strong>d.Lange Zeit wurden die e<strong>in</strong>drucksvollenortschritte der Mediz<strong>in</strong> als Segen empfunden,weil viele Menschen von ihrenKrankheiten geheilt werden konnten. DieEntdeckung des Penicill<strong>in</strong>s z.B. währenddes zweiten Weltkrieges rettete vielen dasLeben, weil Wund<strong>in</strong>fektionen nicht mehrzum Tod führen mussten. Aktuell hat dievor e<strong>in</strong>igen Jahren noch unbehandelbareErkrankung AIDS an Bedrohung verloren,weil für Betroffene lebenserhaltende Behandlungsmöglichkeitengefunden wurden.Die moderne Mediz<strong>in</strong> entwickelt sichbeständig weiter und <strong>in</strong>zwischen liegenSegen und luch so dicht beie<strong>in</strong>ander,dass Entscheidungen schwer zu treffens<strong>in</strong>d. Hatten vor Jahren rühgeborene abder 28. Schwangerschaftswoche e<strong>in</strong>e realeChance, sich gesund zu entwickeln,so kann die moderne Mediz<strong>in</strong> <strong>in</strong>zwischenrühchen ab der 22./23. Woche am Lebenerhalten.Wie das gel<strong>in</strong>gt und zu welchem Preis fürK<strong>in</strong>d und Eltern, das weiß im Voraus ke<strong>in</strong>er.Der Arzt fühlt sich von se<strong>in</strong>em Verständnisder Lebenserhaltung her <strong>in</strong> derPflicht, alles Machbare zu tun. Und auchEltern möchten <strong>in</strong> der Regel, dass ihr sehrfrüh geborenes K<strong>in</strong>d leben kann. Auf demArzt lastet e<strong>in</strong>e große Verantwortung. Wiesoll er entscheiden? Er kann mediz<strong>in</strong>ischviel tun – was davon ist s<strong>in</strong>nvoll zu tunund wo ist die Grenze zwischen beidem?Dieser schwierige Weg der Entscheidungenkann nur <strong>in</strong> <strong>in</strong>tensiver Ause<strong>in</strong>andersetzungunter ethischen und religiösenGesichtspunkten geme<strong>in</strong>sam mit den Elterngegangen werden.Vom Lebensanfang zum Lebensende:Auch da liegt die Entscheidungsschwierigkeit<strong>in</strong> der Regel <strong>in</strong> den Händen desArztes. Wird er zu e<strong>in</strong>em Patienten mitHerzstillstand gerufen, so ist er verpflichtetzu reanimieren, also alles daran zusetzen, den Patienten zurück <strong>in</strong>s Leben zuholen, unabhängig davon, <strong>in</strong> welchem Lebensalterder Patient ist.Diese Verpflichtung ist zum e<strong>in</strong>en Schutzfür Patienten, nicht aus Altersgründen aufgegebenzu werden, andererseits entsteht

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