10/11 - Evangelische Kirchen in Erfurt

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12.07.2015 Aufrufe

THEMA: MENSCHENSTERBEN 10le am Sarg. Es ist Dezember, ein Tag zwischenden Adventssonntagen. Orgelklang.Ein bekanntes Adventslied. Der Pfarrerliest Psalm 23: „Der Herr ist mein Hirte... Und ob ich schon wanderte im finsternTal, fürchte ich kein Unglück; denndu bist bei mir, dein Stecken und Stab tröstenmich.“ Neu höre ich mir vertrauteWorte. Sie haben Bezug zur Lebensgeschichtemeiner Mutter, sie sprechen unsGeschwister an, mit unseren unterschiedlichenGefühlen zu ihr. Sie reden vonunerfüllten Sehnsüchten, von Hoffnungen.Sie sprechen mir zu, was ich mir selbstnicht sagen kann. Bei aller Traurigkeit tunsie mir gut.Der Gang zum Grab ist leichter geworden.Ich kann loslassen, ich kann meineMutter lassen. Sie braucht mich nichtmehr. Ich habe das gute Gefühl, ohne esin Worte fassen zu können, dass sie sichin guten Händen befindet. Ich habe dasEmpfinden: Jetzt ist nichts mehr zwischenuns offen. Alles ist zur Ruhe gebracht.Der christliche Beerdigungsritus bietetRaum und Zeit, Bilder und Sprache fürgemeinsames Abschiednehmen von denToten und für eine letzte öffentliche Begegnung,die hilft, los zu lassen. Hier lebtder Ritus vom Werk der Barmherzigkeit,Tote zu begraben. In der traditionellenorm des christlichen Trauergottesdienstesfinden sich Worte und Zeichen für das,was sonst keinen allgemeinen Ausdruckfindet. ür den Tod, für den Schmerz, fürden Wunsch, dass die Toten ruhen in demGruß des auferweckten Christus: „riedesei mit euch.“ ür neue Hoffnung im Lebenangesichts der Wirklichkeit Tod mittenim Leben.Edvard Munchzu Krankheit und TodChristine GohlesKunstmuseum in Bergen/Norwegen: tief berührtsitze ich in der Mitte einesAusstellungsraumesauf dem Boden. Ich binallein in dem Raum, es istganz still, nur die Schrittedes Sicherheitsbeamtennähern und entfernensich von Zeit zu Zeit. Anden Wänden um michherum hängt eine Reihevon großformatigen Gemäldendes norwegischen Malers EdvardMunch (1863-1944). Seine ganz eigeneausdrucksstarke Art, Menschen und Themender Seele künstlerisch darzustellen,fesselt mich und nimmt mich ganz unmittelbarmit hinein in die jeweilige dargestellteSituation. ür Edvard Munch wardas Malen zunächst eigene therapeutischeHilfe, leidvoll Erlebtes auszudrücken undauf diese Weise zu verarbeiten. Schon vonfrühester Kindheit an erlebte er in seinemElternhaus Krankheit, Sterbenund Tod. Sein Vater warArzt in einem Armenviertelund die amilie Munch lebtejahrelang in einer kalten,zugigen Wohnung, die zurschweren Erkrankung mehrereramilienmitgliederführte. Als ünfjähriger verlorEdvard seine Mutter undsieben Jahre später seine umein Jahr ältere SchwesterSophie durch Schwindsucht.Auch Edvard selbst litt als Kind jahrelangan dieser Krankheit und fühlte sich mitjedem anstrengenden Atemzug selbst vomTod bedroht. Darstellungen um Krankheit,

11Sterben und Tod nehmen in seinem künstlerischenWerk großen Raum ein. Bilderwie „Tod im Krankenzimmer“, „ieber“,„Tote Mutter und Kind“, „Die tote Mutter“,„Am Sterbebett“ sind inzwischen aufGrund ihrer Ausdrucksstärke weltbekannt.Als Munch 1886 in Christiania (heuteOslo) zur Herbstausstellung, dem wichtigstenKunstereignis des Jahres in derHauptstadt, die erste Version seines Bildes„Das kranke Kind“ (in Erinnerung anden Tod seiner Schwester Sophie) ausstellte,wurde er vom Publikum verlacht undverspottet. So etwas gehöre nicht in dieÖffentlichkeit, meintenviele damals. Munch beschrittmit seiner persönlichenArt, Krankheit undTod darzustellen, einenneuen anderen Weg alsdie übliche bürgerlicheKunst des 19. Jahrhunderts.ür ihn war es keinTabu mehr, Todesangstund Todeskampf in seinemkünstlerischenSchaffen auszudrücken.Er stellte die Gefühle derMenschen in ihrer Realitätund Schmerzhaftigkeitdar, malte das Leben undOrt der LebendenGerta LinkTHEMA: MENSCHENSTERBENden Tod so, wie er es mit seiner verwundetenSeele erlebte. Wieder und wiedermalte und übermalte er seine für uns heuteso bedeutungsvollen Bilder zu Krankheit,Sterben und Tod.Er versuchte auf diese Weise, seine Seelevon der Last der Trauer und des Verlusteszu entlasten.Haben wir den Mut, Munchs Beispiel zufolgen und uns unserem eigenen Schmerzund Verlust zu stellen und ihn auf unsereganz eigene Weise auszudrücken unddamit zu verarbeiten?Das Denken über den Tod hat sich im Laufeder Jahrzehnte verändert, das Sprechen überden Tod ebenfalls, der Umgang mit dem Todhat heutzutage bei vielen Menschen einenStellenwert im Dasein. Dass aber ein riedhofein Ort der Lebenden sei, das bedarf auchheute noch einer Überlegung mehr. Eben dieseführt aber recht bald zur Bestätigung.Der Tag des riedhofs am 16. und 17. Septemberin Erfurt hat das bewiesen. GroßesInteresse wurde dem Angebot des Garten- undriedhofsamtes der Stadtverwaltung Erfurt anInfos, Ausstellungen und Aktionen entgegengebracht.Der Erfurter Hauptfriedhof war Ortregen öffentlichen Besucherzuspruchs.Der Tag des riedhofs findet bundesweit statt,hatte in Erfurt den Titel „Ort der Lebenden“.Im Jahr 2004 wurde er in Erfurt erstmalsdurchgeführt, da hatte der rund 60 ha großeriedhof 90jähriges Bestehen.Das sind 90 Jahre Bestattungskultur in Erfurt,

THEMA: MENSCHENSTERBEN <strong>10</strong>le am Sarg. Es ist Dezember, e<strong>in</strong> Tag zwischenden Adventssonntagen. Orgelklang.E<strong>in</strong> bekanntes Adventslied. Der Pfarrerliest Psalm 23: „Der Herr ist me<strong>in</strong> Hirte... Und ob ich schon wanderte im f<strong>in</strong>sternTal, fürchte ich ke<strong>in</strong> Unglück; denndu bist bei mir, de<strong>in</strong> Stecken und Stab tröstenmich.“ Neu höre ich mir vertrauteWorte. Sie haben Bezug zur Lebensgeschichteme<strong>in</strong>er Mutter, sie sprechen unsGeschwister an, mit unseren unterschiedlichenGefühlen zu ihr. Sie reden vonunerfüllten Sehnsüchten, von Hoffnungen.Sie sprechen mir zu, was ich mir selbstnicht sagen kann. Bei aller Traurigkeit tunsie mir gut.Der Gang zum Grab ist leichter geworden.Ich kann loslassen, ich kann me<strong>in</strong>eMutter lassen. Sie braucht mich nichtmehr. Ich habe das gute Gefühl, ohne es<strong>in</strong> Worte fassen zu können, dass sie sich<strong>in</strong> guten Händen bef<strong>in</strong>det. Ich habe dasEmpf<strong>in</strong>den: Jetzt ist nichts mehr zwischenuns offen. Alles ist zur Ruhe gebracht.Der christliche Beerdigungsritus bietetRaum und Zeit, Bilder und Sprache fürgeme<strong>in</strong>sames Abschiednehmen von denToten und für e<strong>in</strong>e letzte öffentliche Begegnung,die hilft, los zu lassen. Hier lebtder Ritus vom Werk der Barmherzigkeit,Tote zu begraben. In der traditionellenorm des christlichen Trauergottesdienstesf<strong>in</strong>den sich Worte und Zeichen für das,was sonst ke<strong>in</strong>en allgeme<strong>in</strong>en Ausdruckf<strong>in</strong>det. ür den Tod, für den Schmerz, fürden Wunsch, dass die Toten ruhen <strong>in</strong> demGruß des auferweckten Christus: „riedesei mit euch.“ ür neue Hoffnung im Lebenangesichts der Wirklichkeit Tod mittenim Leben.Edvard Munchzu Krankheit und TodChrist<strong>in</strong>e GohlesKunstmuseum <strong>in</strong> Bergen/Norwegen: tief berührtsitze ich <strong>in</strong> der Mitte e<strong>in</strong>esAusstellungsraumesauf dem Boden. Ich b<strong>in</strong>alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> dem Raum, es istganz still, nur die Schrittedes Sicherheitsbeamtennähern und entfernensich von Zeit zu Zeit. Anden Wänden um michherum hängt e<strong>in</strong>e Reihevon großformatigen Gemäldendes norwegischen Malers EdvardMunch (1863-1944). Se<strong>in</strong>e ganz eigeneausdrucksstarke Art, Menschen und Themender Seele künstlerisch darzustellen,fesselt mich und nimmt mich ganz unmittelbarmit h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong> die jeweilige dargestellteSituation. ür Edvard Munch wardas Malen zunächst eigene therapeutischeHilfe, leidvoll Erlebtes auszudrücken undauf diese Weise zu verarbeiten. Schon vonfrühester K<strong>in</strong>dheit an erlebte er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>emElternhaus Krankheit, Sterbenund Tod. Se<strong>in</strong> Vater warArzt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Armenviertelund die amilie Munch lebtejahrelang <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er kalten,zugigen Wohnung, die zurschweren Erkrankung mehrereramilienmitgliederführte. Als ünfjähriger verlorEdvard se<strong>in</strong>e Mutter undsieben Jahre später se<strong>in</strong>e ume<strong>in</strong> Jahr ältere SchwesterSophie durch Schw<strong>in</strong>dsucht.Auch Edvard selbst litt als K<strong>in</strong>d jahrelangan dieser Krankheit und fühlte sich mitjedem anstrengenden Atemzug selbst vomTod bedroht. Darstellungen um Krankheit,

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