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Flatterulme - ETH Zürich

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<strong>Flatterulme</strong>Ulmus laevis Pall.„Ach wie gut, dass niemand weiss, dass ich Rumpelstilzchen heiss!” singt das kleine Männlein im Märchen der GebrüderGrimm. Nun, für Rumpelstilzchen endet die Geschichte tragisch, nachdem die Königin seinen Namen doch noch erfahrenhat. Wäre die <strong>Flatterulme</strong> wohl auch froh darüber, dass sie bis heute die grosse Unbekannte unter den einheimischen Baumartengeblieben ist? Wahrscheinlich nicht! Denn bisher hat der Mensch wohl nie besonders Rücksicht auf sie genommen und unserWissen über die <strong>Flatterulme</strong> genügt nicht. Viel vermeintliches Wissen in der Literatur wurde nämlich aus den Beobachtungender Feld- oder der Bergulme abgeleitet. Hoffen wir, dass die <strong>Flatterulme</strong> davon profitiert, dass sie nun bekannter wird.ArterkennungDie <strong>Flatterulme</strong> ist von der Berg- und der Feldulmenicht einfach zu unterscheiden. Dassicherste Erkennungsmerkmal sind die deutlichgestielten Blüten und die am Rand bewimpertenFlügel der Früchte.Die <strong>Flatterulme</strong> ist die grosse Unbekannte imWald. Wie aber unterscheidet man sie von dermit ihr standörtlich vergesellschafteten Feldulme(Ulmus minor Mill.) und von der Bergulme (Ulmusglabra Huds.)?Habitus. Die Krone der <strong>Flatterulme</strong> ist unregelmässigaufgelöst. Von daher kommt der früherelateinische Name Ulmus effusa (französischOrme diffus). Am Stamm bilden sich oft Wasserreiser,die an älteren Stämmen zu eigentlichenWasserreiser-Knollen zusammenwachsen. Vorallem auf Überschwemmungsstandorten bildetdie <strong>Flatterulme</strong> häufig mehr oder wenigerausgeprägte Wurzelanläufe in Form von Brettwurzeln,wie wir sie von Bäumen aus dem tropischenRegenwald kennen. Diese Wurzelanläufekommen auch bei der Feldulme vor. Die Bergulmehingegen hat weder Wasserreiser noch Brettwurzeln.Borke. Die Borke aller drei Ulmenarten ist längsrissig.Bei der <strong>Flatterulme</strong> ist sie eher wenigerborkig und sie löst sich in dünnen Schuppen ab.Bei der Feldulme finden sich auf den Zweigenjunger oder strauchförmiger Exemplare Korkleisten,die sie eindeutig von der <strong>Flatterulme</strong> undder Bergulme unterscheiden.Knospen, Blüten, Früchte, Blätter. Je nachJahreszeit lässt sich die <strong>Flatterulme</strong> an den Knospen,Blüten, Früchten und Blättern gut bestimmen(Tabelle Seite 2). Für die Artbestimmung anhandder Blätter eignen sich nur die Blätter von Kurztrieben.Bei Blättern von Stockausschlägen istalso Vorsicht angebracht.Quellen: Ebert 1999, Röhrig 1996, Sieber 2000, Timbal 1981.Freistehende <strong>Flatterulme</strong> mit typisch aufgelöster KroneGestielte Frucht mit bewimpertem FlügelFoto: Professur Forstschutz und Dendrologie Foto: Schuch, Berlin


<strong>Flatterulme</strong>2Merkmale zur Unterscheidung der <strong>Flatterulme</strong> von der Feld- und BergulmeMerkmalKnospeBlüteundFruchtBlatt<strong>Flatterulme</strong>Fortpflanzung• Knospen stehen nichtvom Zweig ab• Spitzen der Knospenschuppenmit dunklen Rändern• lang gestielt• Früchte rundlich, Samen inder Mitte des Flügels• Flügel am Rand dichtbewimpert• Seitennerven normalerweisenicht gegabelt oder Gabelungennur an Seitennerven, die imunteren Drittel der Blattspreiteentspringen*• Blatt immer nur einspitzig• Oberfläche rauhFeldulmeTrotz reicher Fruchtbildung vermehrt sich die<strong>Flatterulme</strong> offensichtlich nur spärlich aus Samen.Daher ist die vegetative Vermehrung wichtig.Die Meinungen über ihre Wurzelbrut- undStockausschlag-Fähigkeit sind aber sehr verschieden.Generative Vermehrung. Alle drei Ulmenartenblühen im März, bevor die Blätter austreiben.Die Bergulme soll am gleichen Ort 4 bis 7 Tagefrüher blühen als die Feld- oder <strong>Flatterulme</strong>. DieBlüten sind eingeschlechtlich oder zwitterig, siestehen in dichten Büscheln. Es wird angenommen,dass der Wind die Blüten der <strong>Flatterulme</strong>bestäubt. Nach einigen Autoren sind auch Bienenbeteiligt, deren Rolle bei Windstille bedeutendsei.Bastardierung. Feld- und Bergulme kreuzensich spontan (Ulmus x hollandica). Die <strong>Flatterulme</strong>hingegen bastardiert nach heutigem Wissen nichtmit ihren zwei Verwandten.Keimung. Die Früchte entwickeln sich im spätenFrühjahr oder im Frühsommer und sind dannsofort keimfähig.Samenausbreitung. Die meisten Autoren schreiben,dass die Samen durch den Wind verbreitetwerden. Doch im Auenwald könnte auch dasWasser eine Rolle spielen. Die Ulmen fruchtenjährlich und haben alle zwei Jahre ein Mastjahr.Trotzdem scheinen sich die <strong>Flatterulme</strong> und dieFeldulme nur spärlich durch Samen zu verbreiten.Vegetative Vermehrung. Die Feldulme vermehrtsich vegetativ durch Wurzelbrut. Mandeutet dies als Anpassung an die regelmässigeÜberflutung und die übermächtige Konkurrenzder Bodenvegetation im Auenwald. Bei der <strong>Flatterulme</strong>sind sich die Fachleute nicht einig: Dieeinen reden von viel Wurzelbrut und schlechterStockausschlagfähigkeit, andere bestreiten, dass• Knospen stehen vom Zweig ab• Spitzen der Knospenschuppenohne dunkle Ränder• nicht gestielt• Früchte elliptisch, Samennicht in der Mitte des Flügels• Flügel nicht bewimpert• Seitennerven gegabelt*• Blatt immer nur einspitzig• Oberseite kahl und glänzend* Merkmal für Untersuchuingsgebiet Sachsen (DE), in CH nur an einzelnen Stichproben überprüft!Bergulmedie <strong>Flatterulme</strong> Wurzelbrut bilde und betonen,dass sie zum Stockausschlag fähig sei. Diese Frageist noch zu klären!Quellen: Ebert 1999, Mackenthun 2000, Röhrig 1996, Timbal 1981.Wuchsverhalten• Knospen stehen nicht vomZweig ab• Spitzen der Knospenschuppenohne dunkle Ränder• sehr kurz gestielt• Früchte breit elliptisch,Samen in der Mitte des Flügels• Flügel nicht bewimpert• Seitennerven gegabelt*• am Blatt Ausbildung von Nebenspitzenmöglich (oft drei, bis zusechs)• Oberfläche rauhDie <strong>Flatterulme</strong> wird häufig als mittelgrosserBaum mit mässigem Wachstum und geringenDimensionen im Alter bezeichnet. Ihr Wuchsverhaltenwurde bisher aber nicht systematischbeobachtet.Lichtbedarf, Konkurrenzkraft. Die drei einheimischenUlmenarten besiedeln meist sehrgute Standorte, wo die Konkurrenz andererBaumarten besonders stark ist. Sie behauptensich gegenüber der Eiche, dank der grösserenSchattentoleranz des Jungwuchses und dergrösseren Beschattungsfähigkeit der Altbäume.In Auenwäldern sind sie gegen Spätfrost undlange dauernde Überflutung im Sommer toleranterals die Buche. Die Konkurrenzkraft derUlmen erlaubt aber keine flächigen Beständeoder grösseren Mischungsanteile. Die Lichtansprücheder <strong>Flatterulme</strong> und der Feldulme scheinenfrüher zuzunehmen als die der Bergulme.Wachstum. Das Wachstum der <strong>Flatterulme</strong> istmöglicherweise dem der Bergulme ähnlich. DieBergulme wächst in der Jugend bei genügendenLichtverhältnissen rascher als die meisten Baumarten.Ihr Höhenzuwachs ist im Alter von 20 bis40 Jahren am stärksten, ab etwa 60 Jahren lässter deutlich nach. In einem österreichischenBuchen-Naturwaldreservat ist die Bergulme inden stärksten Durchmesserklassen viel häufigervertreten als die Buche. Daraus hat man einegewisse Pionierrolle der Bergulme abgeleitet:zu Beginn der Bestandesentwicklung hatte siestärker zum Aufbau des Bestandes beigetragen,wurde später auch grossenteils von der Bucheverdrängt. Die Bergulmen, die sich behauptenkonnten, erreichten starke Durchmesser.Alle drei Ulmenarten wachsen nicht ganz aufdie Endhöhe der Buche, werden aber über 30Meter hoch. In den überfluteten Rheinauen imElsass stehen <strong>Flatterulme</strong>n mit Höhen bis 35 Meterund Durchmessern über 60 Zentimeter. Unwahrscheinlichist aber, dass die <strong>Flatterulme</strong> Brusthöhendurchmesserbis 150 Zentimeter erreichenkann, wie die Bergulme.Alter. Das Alter der <strong>Flatterulme</strong> wird mit höchstens250 Jahren angegeben, es dürfte aber mehrheitlichunter 200 Jahren liegen. Berg- und Feldulmensollen schon bis 500 Jahre alt geworden sein.Wurzelsystem. Das Wurzelsystem der <strong>Flatterulme</strong>wechselt im Alter von einem Pfahlwurzel-in ein Herzwurzelsystem. Mit ihren weit ausstreichendenWurzeln und den markanten Wur-Verzweigung der Seitennerven auf der Blattunterseite: <strong>Flatterulme</strong> (links) und Feldulme (rechts)Foto: Projekt Förderung seltener Baumarten


3<strong>Flatterulme</strong>zelanläufen sucht sie wahrscheinlich möglichstviel Boden oberhalb des Grundwasserspiegelszu durchwurzeln.Quellen: Aas et al. 1993, Ebert 1999, Röhrig 1996, von Lüpke 1993.StandortansprücheDie <strong>Flatterulme</strong> bewohnt scheinbar eine ökologischeNische am Seeufer und in der Hartholzaue,die nur periodisch bei Hochwasserstandüberflutet wird. Sie ist an die Bedingungen dieserStandorte gut angepasst und erträgt Überschwemmungim Sommer bis zu vier Monaten.Wärme. Die <strong>Flatterulme</strong> ist empfindlich gegenFrühfrost und resistent gegen Spätfrost. Zum Teilwerden die Ulmen als winterhart bezeichnet. Dochbei <strong>Flatterulme</strong>n hat man schon Frostrisse und– ähnlich der Feldulme – ein Absterben der oberstenWurzeln bei grosser Winterkälte beobachtet.Wasser. Die <strong>Flatterulme</strong> stellt hohe Ansprüchean die Wasserversorgung, wie die anderen Ulmenarten.Bezüglich Toleranz gegen Austrocknungwidersprechen sich die Autoren: Die einen nennensie empfindlich, andere unempfindlich gegen Sommerdürre.Boden. Die meisten Quellen bezeichnen die <strong>Flatterulme</strong>als anspruchsvoll in der Nährstoffversorgung.Sie besiedelt – besser als die Feldulme –Böden mit unbewegtem, oberflächennahem Wasser.Auch auf Gley oder anmoorigen Böden kommtsie vor, wo die Feldulme fehlt. Gegen Wechselfeuchtigkeitist sie toleranter als die Bergulme.Ulmenstreu zersetzt sich leicht und ist ein guterBodenverbesserer.Pflanzensoziologie. Meistens betrachtet mandie <strong>Flatterulme</strong> als mit der Feldulme vergesellschaftet,die ihrerseits eine Art der Klimaxstufe der Hartholzaueist. Die Standorte am Neuenburgerseesind nährstoffreich, vom Grundwasser beeinflusstund nur periodisch überschwemmt. Sie sind nochjung – die erste Juragewässerkorrektion hat etwa1868 bis 1890 den Seespiegel um 2 bis 3 Meterabgesenkt – und ziemlich heterogen. Je nachBodentyp besteht eine Annäherung zum Ahorn-Eschenwald, zum Ulmen-Eschenwald, zum Traubenkirschen-Eschenwaldoder zum Erlenwald.Verschiedene deutsche Autoren bezeichnen die<strong>Flatterulme</strong> als Nebenbaumart der Hainbuchen-Eichenwälder und der bodensauren Eichenmischwälder.Es ist unsicher, ob das auch für die SchweizerAlpennordseite gültig ist.WaldgesellschaftenErlen-Eschenwälder28 Typ. Ulmen-Eschen-Auenwald 129 Zweiblatt-Eschenmischwald 131 Schachtelhalm-Grauerlenwald 1Nach Richard 1965:Ahorn-Eschenwald (?)Traubenkirschen-Eschenwald (?)Höhenverbreitung. Die <strong>Flatterulme</strong> ist wie dieFeldulme eine wärmebedürftige Tieflagen-Baumart.Sie wächst nach gesicherten Angaben bis auf500 Meter ü. M. Die Grenze der Höhenverbreitungkann aber durchaus auch höher liegen.Quellen: Aas et al. 1993, Mackenthun 2000, Richard 1965, Röhrig 1996,von Lüpke 1993.VerbreitungErstaunliche Neufunde von Vorkommen beweisen,dass das Wissen über die Verbreitungder <strong>Flatterulme</strong> mangelhaft ist. Beim Musterder Verbreitung auf der Schweizer Alpennordseitefragt man sich unwillkürlich: Wiekommt es, dass die sonst sehr seltene Baumartan wenigen Orten Vorkommen von einigenhundert Individuen hat?Gesamtverbreitung. Der Schwerpunkt derGesamtverbreitung erstreckt sich über Osteuropazum Ural und bis nach Südosteuropa. Ein weitereszusammenhängendes Gebiet befindet sich amOberrhein und im Loire-Becken. Dazwischenbesteht eine deutliche Lücke. Auch in Englandund Nordeuropa wachsen keine <strong>Flatterulme</strong>n.Neu hat man in Süd- und Südwestfrankreichnatürlich vorkommende Exemplare gefunden.Schweizer Alpennordseite. Wer die Übersichtder Befragungsdaten betrachtet (Karte), mussbedenken, dass vielleicht selbst bedeutendeVorkommen bis heute unentdeckt sind, weil mandie <strong>Flatterulme</strong> nicht kennt oder schlecht wahrnimmt.Wir schätzen daher die Werte aus unsererBefragung nur zu 20 Prozent als repräsentativein. Auffällig sind die zwei unterschiedlichenTypen von Vorkommen: Einige hundert Individuenam Neuenburgersee (am Südwestufer zwischenGrandson und Vaumarcus und am Nordostuferbei Marin-Epagnier), am Aarelauf bei Belp undin der Region Basel (Lange Erlen). Im Gegensatzdazu gibt es Vorkommen mit einem oderGesamtverbreitung nach Meusel et al. (1965)einigen wenigen Individuen im Mittelland undin den Föhntälern, von denen ein Teil sicher gepflanztwurde.Botanische Experten meinen, dass die <strong>Flatterulme</strong>in der Schweiz und den angrenzenden Gebietender oberrheinischen Tiefebene einheimisch (autochthon)und “sonst sehr selten und nur angepflanzt”(Hess et al. 1972), “in der Schweizwahrscheinlich nur angepflanzt” (Welten undSutter 1982) oder “kultiviert und selten verwildert”ist (Lauber und Wagner 1996). Die relativjungen Vorkommen am Neuenburgersee (sieheStandortansprüche) könnten vielleicht tatsächlichverwildert sein. Wir nehmen aber an, dass selbstBotaniker die Art nur schlecht wahrnehmen unddas die Einschätzung beeinflusst hat. In derLiteratur findet sich die Ansicht, dass die geographischeVerbreitung der <strong>Flatterulme</strong> wenigerdurch den Menschen beeinflusst ist, als die derFeldulme, die früher als Alleebaum oder Heckengehölzbeliebt gewesen sei. Wir vermuten, dassdie <strong>Flatterulme</strong> einheimisch ist und nehmen an:1. Die Schweizer Population war früher überAare und Rhein mit der Population am Oberrheinverbunden. 2. Die kleinen isolierten Vorkommensind ein Anzeichen, dass die <strong>Flatterulme</strong>einst am Mittellauf unserer Flüsse bis in die Voralpenverbreitet war.Häufigkeit. Die <strong>Flatterulme</strong> ist mit geschätzten5000 Individuen auf der Schweizer Alpennordseiteeine der sehr seltenen einheimischen Baumarten.Quellen: Hess et al. 1972, Lauber und Wagner 1996, Meusel et al. 1965,Quinger 1993, Röhrig 1996, Timbal und Collin 1999, Welten und Sutter1982.


<strong>Flatterulme</strong>4Anzahl Individuen12 - 910 - 1920 - 99100 - 199200 - 500• Befragungsdaten:Befragung Forstdienst und Botanische Experten© 1999 Projekt Förderung seltener Baumarten –Professur Waldbau <strong>ETH</strong>Z / F+D BUWAL• Kartendaten:VECTOR 2000 © 1998 Bundesamt für LandestopographieDigitale Übersichtskarte 1:1 Mio © 1998 Bundesamt für LandestopographieÜbersichtskarte der Befragungsdaten zur Schweizer VerbreitungGefährdungDie <strong>Flatterulme</strong> ist in der Schweiz stark gefährdet.Die Auenwälder – ihr Lebensraum – sindfast verschwunden. Viele Förster kennen siezudem nicht. Glücklicherweise scheint sie aberweniger anfällig gegenüber der Ulmenwelkeals die Feld- und die Bergulme zu sein.Gefährdungsursachen. Der Verlust des natürlichenLebensraumes gefährdet die <strong>Flatterulme</strong>am meisten. Seit rund 200 Jahren verbautder Mensch Flussläufe und betreibt Melioration.Aus den früheren Auenwäldern entstandenAgrarland und Wirtschaftswälder. Heute ist nochknapp 1 Prozent der ursprünglichen Auenstandorteder Schweiz erhalten. Wahrscheinlichwurde dadurch auch die Population der <strong>Flatterulme</strong>in kleine isolierte Teilpopulationen fragmentiert.Nicht bekannt ist, ob bereits einegenetische Verarmung begonnen hat. Erstaunlicherweisehat die Untersuchung vergleichbarerPopulationen in Frankreich eine relativ hohe genetischeVariation innerhalb der Populationenund relativ geringe Variationen zwischen Populationenaus verschiedenen Regionen ergeben.Das beobachtet man sonst bei häufig vorkommendenBaumarten. Indirekt ist die <strong>Flatterulme</strong>auch durch die schlechte Wahrnehmung gefährdet,weil – wie die Befragung für dieses Projektzeigte – viele Forstleute und Botaniker sie garnicht kennen, und sie daher nicht beachtet wird.Ulmensterben (=Ulmenwelke, Holländische Ulmenkrankheit)wird immer an erster Stelle alsGefährdungsursache für die einheimischen Ulmenartengenannt. Die Krankheit breitet sichin der Schweiz regional verschieden stark aus.Die Praktiker fragen sich, wie sehr die Ulmenartengefährdet sind, und welche Massnahmen dagegensinnvoll wären. Klassische phytosanitäreMassnahmen sind: Ständige Überwachung,Entnahme der befallenen Ulmen und Verbrennendes infizierten Materials, Anlegen eines ulmenfreienGürtels um eine bestehende Populationoder die schwierige Bekämpfung der Ulmensplintkäfer.Um der Krankheit vorzubeugen, siezu bremsen oder zu stoppen wurden auchResistenzzüchtungen versucht. Eine Auswahlresistent scheinender Typen aus natürlichenArealen und Kreuzungen zwischen Feldulme,Bergulme, Amerikanischer Ulme und auchasiatischer Ulmenarten war erfolgreich. Für dieErhaltung der Arten und deren genetischer Vielfalteignen sie sich aber weniger, auch weil auf demPflanzenmarkt meist nur einzelne Klone angebotenwerden. Schliesslich versuchen Forscherdie biochemischen Reaktionen der Ulmen aufden Befall mit dem aggressiven Erreger-PilzOphiostoma novo-ulmi Brasier zu verstehen. Wäredie dazu nötige genetische Information entschlüsselt,könnten gentechnische Massnahmen eineLösung sein. Die Forschung steckt hier aber nochin den Kinderschuhen. Für welche Massnahmengegen das Ulmensterben wir uns auch entscheiden,wichtig ist, dass wir ihre Entwicklung beob-GefährdungsursachenMensch- Verlust der Auenstandorte durch Flussverbauund Melioration- Schlechte WahrnehmungKrankheiten- Erhöhte “Feldresistenz“ gegen Ulmenwelke!Fragmentierung- Genetische VerarmungGefährdungsgradStark gefährdet


5<strong>Flatterulme</strong>achten. “Denn erst wenn wir die Ulmen alsverlorene Baumarten betrachten, dann sind siewirklich verloren!” (Burghard von Lüpke). EinigeFachleute sind überzeugt, dass die Feldulmeund Bergulme – weil sie zum Stockausschlagfähig sind – die Epidemie strauchförmigüberleben werden.Die <strong>Flatterulme</strong> ist im Labor genauso anfälligauf den Erreger des Ulmensterbens wie die anderenUlmenarten, doch an mehreren Orten inEuropa hat man eine Art Feldresistenz beobachtet:Vermutlich ist die <strong>Flatterulme</strong> weniger attraktivfür die wichtigsten Verbreiter der Pilzsporen,den Grossen und den Kleinen Ulmensplintkäfer(Scolytus scolytus und S. multistriatus). Zudemsoll die <strong>Flatterulme</strong> Infektionen eher überstehenund ausheilen können. Einzelne Aussagenvon Revierförstern aus der Schweiz bestätigendiese Annahme, andere widersprechen ihr.Weitere Untersuchungen werden nötig sein.Gefährdungsgrad. Die <strong>Flatterulme</strong> ist in derRoten Liste der gefährdeten Pflanzen nicht aufgeführt.Aber aufgrund der Projektresultate undder Gefährdungsursachen ist sie gemäss IUCN-Gefährdungsstufen und -kriterien gesamtschweizerischals stark gefährdet einzustufen.Quellen: Machon et al. 1997, Mackenthun 2000, Röhrig 1996, Sacchettiet al. 1990, Timbal 1981, von Lüpke 1993.FörderungsstrategienDie Verbesserung des Bekanntheitsgrades istder erste Schritt zur Erhaltung der <strong>Flatterulme</strong>.Dem müssen konkrete, praktische Massnahmenfolgen. Und dann ist das vorhandene Wissenüber die <strong>Flatterulme</strong> zu verbessern.In situ-Massnahmen. Es ist wichtig, die bestehendenVorkommen zu fördern. Jedes Individuumist zu erhalten. Am wirkungsvollstensind Massnahmen in den Kernarealen. Eine Vernetzungvon Teilpopulationen ist wegen der fehlendengenetischen Grundlagen und der ungenügendenKenntnis der tatsächlichen Verbreitunggegenwärtig nur im Raum Neuenburgerseesinnvoll. Dort gibt es bereits Pflanzmateriallokaler Provenienz (Vaumarcus). Wir schlagenvor, für die anderen Kernareale ebenfalls Samenerntebeständeauszuscheiden.Ex situ-Massnahmen. Der Kanton Bern betreibtschon eine Erhaltungsplantage mit 68 Klonenaus Vaumarcus, Lange Erlen, Cham undZürich. Noch unklar ist, ob die Plantage durchGenotypen des gemeldeten Vorkommens entlangder Aare bei Belp ergänzt wird, um die genetischeVielfalt der Nachkommen zu erhöhen.Habitat-Erhaltung. Das Instrument gegen einenweiteren Habitatverlust der <strong>Flatterulme</strong> ist vorhanden:Die bestehenden Auenwälder sind gesetzlichgeschützt. Nun ist auch die Arbeit allerAkteure des Auenschutzes zu koordinieren,damit sie die <strong>Flatterulme</strong> vermehrt beachten.Bei Renaturierungen von Auen gelten gegenwärtigdie unter in situ-Massnahmen genanntenVorbehalte zur Vernetzung bestehender Vorkommen.Grundlagen. 1. Die Inventur der Vorkommender <strong>Flatterulme</strong> ist zu vervollständigen. Nichtgesicherte gemeldete Vorkommen sind zu überprüfen,weil die Art so selten ist. 2. Die Anfälligkeitder <strong>Flatterulme</strong> gegenüber der Ulmenwelke unddie genetische Verfassung der Populationen sindzu erforschen. Diese Arbeiten sind aufwendigund werden sinnvollerweise im internationalenRahmen angegangen.Quellen: Collin 1999, Rotach 2000.Karte der Massnahmenregionen zur speziellen Förderung der <strong>Flatterulme</strong>Schwerpunktregion (entspricht Kernareal)Vernetzungsregion• Massnahmenregionen:© 1999 Projekt Förderung seltener Baumarten –Professur Waldbau <strong>ETH</strong>Z / F+D BUWAL• Kartendaten:VECTOR 2000 © 1998 Bundesamt für LandestopographieGeneralisierte Gemeindegrenzen (G1) © 1998 Bundesamt für Statistik,GEOSTAT, CH-2010 NeuchâtelDigitale Übersichtskarte 1:1 Mio © 1998 Bundesamt für Landestopographie


<strong>Flatterulme</strong>6WaldbauDamit die <strong>Flatterulme</strong> nicht noch mehr insAbseits kommt, müssen wir sie waldbaulichfördern und die Vorkommen verjüngen. Essprechen einige ökologische Gründe dafür.In der Literatur finden sich nur spärlich Informationenzur waldbaulichen Behandlung der einheimischenUlmenarten, am wenigsten zur<strong>Flatterulme</strong>. Daher können wir nur versuchen,die bei der Feld- und Bergulme angewandtenBehandlungsmethoden anzuwenden.Naturverjüngung. Die bestehenden Vorkommender <strong>Flatterulme</strong> sind zu beobachten, wiesie sich natürlich verjüngen: generativ durch Ansamungoder vegetativ durch Wurzelbrut. Diejungen <strong>Flatterulme</strong>n sind wahrscheinlich genügendschattentolerant, um im Unter- oder Zwischenstandvon Eichen-, Ulmen- oder Eschen-Altbeständen aufzuwachsen. Bei ungünstigenAufwuchsbedingungen kann man bestehendeNaturverjüngung problemlos verpflanzen.Pflanzung. In der Literatur finden sich einigeHinweise zur Pflanzung der Ulmen. Sie sollennicht in Reihen und nicht an Bestandesrändern,Waldrändern oder Wegrändern gepflanztwerden, da sich die Ulmensplintkäfer an markantenLinien im Gelände orientieren.Der deutsche Autor Georg Möller fordert ausnaturschützerischer Sicht, die <strong>Flatterulme</strong> müssewegen der angenommenen “Feldresistenz“ beiPflanzmassnahmen mit Ulmenarten stärkerberücksichtigt werden. Die <strong>Flatterulme</strong> würdedie ausfallenden Feld- und Bergulmen im Auenwaldersetzen und den ulmenbewohnendenOrganismen als Lebensraum dienen. In Schleswig-Holstein sind 79 Insektenarten als Spezialistender Gattung Ulmus bekannt. Ob diese Insektenaber auf eventuelle biochemische Unterschiededer Ulmenarten reagieren, ist nicht erforscht.Herkunftswahl. Zur Begründung neuer <strong>Flatterulme</strong>n-Vorkommenin der Schweiz gibt es nurdie Provenienz Vaumarcus.Standortswahl. Neben der Hartholzaue könntenvernässte und wechselfeuchte Standorte immittleren Standortsbereich tieferer Lagen interessantsein. Eine gute Wasserverorgung ist immernötig. Wir wissen aber nicht, welche Standortesich bei welchem Pflegeaufwand für die <strong>Flatterulme</strong>eignen.Mischung. In der Literatur steht mehrmals derHinweis, dass sich der Erreger der Ulmenwelkeauch über Wurzelverwachsungen ausbreite. DasInfektionsrisiko liesse sich verringern mit Pflanzungenohne Wurzelkontakte zwischen denIndividuen (Einzelmischung). Eine andere Meinunglautet dagegen, Wurzelverwachsungenseien bei Ulmen – wie bei allen Baumarten –selten oder kämen überhaupt nicht vor. In diesemTropischer Baumriese? Nein, eine mächtige <strong>Flatterulme</strong> mit BrettwurzelnFall könnte man Trupps mit je etwa zehn Individuenpflanzen, um der Konkurrenz der anderenBaumarten zu begegnen.Schutz. Bei hohem Wilddruck sind <strong>Flatterulme</strong>ngegen Verbiss zu schützen. Die Verbissbelastungder Ulmen entspricht etwa derjenigen vonBergahorn und Esche.Pflege. Es gibt keine Beschreibungen zur Pflegeder <strong>Flatterulme</strong>. Man muss davon ausgehen,dass sie – ähnlich wie die Berg- und Feldulme– in der Jugend stark in die Höhe wächst, unddas Höhenwachstum ab 60 Jahren deutlich nachlässt.Bei zuviel seitlichem Platz dürfte die <strong>Flatterulme</strong>zu sperrigem Wuchs neigen, und das kannauch die physiologisch bedingte Zwieselschäftigkeitverstärken. Bei starker Freistellung bildensich wahrscheinlich Wasserreiser. Daher istdie <strong>Flatterulme</strong> in relativ kurzen Zeitabständenmassvoll zu pflegen. Dies ist in Einzelmischungenschwierig zu realisieren. Doch wo die Konkurrenzkraftder <strong>Flatterulme</strong> schwach ist, braucht esunbedingt Eingriffe zu ihrer Begünstigung, umsie im Bestand zu halten – dies auch unabhängigvon Qualitätskriterien.Quellen: Ebert 1999, Mackenthun 2000, Möller 1993, Schütz 2000, vonLüpke 1993.Foto: Lüthy, Birmensdorf


7<strong>Flatterulme</strong>VerwendungOft ist die Produktion von kostbarem Holz einArgument zur Förderung einer seltenen Baumart.Das Holz der <strong>Flatterulme</strong> lässt sich abernur beschränkt nutzen.Holz. Das Holz der <strong>Flatterulme</strong> wurde – im Gegensatzzum Holz der Feld- und Bergulme – niegerne genutzt: Es ist zäh, hat eine wenig attraktiveFarbe und ist schlecht spaltbar. Begehrt ist einzigdas teure Maserholz, das an der <strong>Flatterulme</strong>besonders reichlich entsteht.Werkstoff. Die <strong>Flatterulme</strong> ist besonders reichan Bast, der früher für handwerkliche Zweckeverwendet wurde.Nahrung. Früher hat man alle Ulmenartengeschneitelt, um Viehfutter zu gewinnen. Ulmenlaubsoll das Laub mit dem höchsten Futterwertsein. Für die menschliche Ernährung kann manaus den frischen Blättern und den grünen Früchteneinen Salat zubereiten.Medizin. Mit dem Bast aller Ulmenarten stellteman einen Sud her, um Ausschläge, Geschwüreund Gicht zu lindern.Quellen: Ebert 1999, Mackenthun 2000.Ausgeprägte Bildung von Wasserreisern (links) und Wasserreiser-Knollen (rechts)Fotos: Projekt Förderung seltener BaumartenDie <strong>Flatterulme</strong>: Kein Holz - also zu nichts nutz?Der Mensch hat im Laufe der Geschichte jede Baumart irgendwie genutzt, und das gab ihr ihren Wert. Wegen der Industrialisierungund im Interesse einer geordneten Forstwirtschaft sind mit der Zeit viele Nutzungsformen verschwunden. Heute kommen wiederIdeen auf, wie sich die Nebenprodukte verschiedener Baumarten verwenden liessen. Doch wir haben auch die ethische Verantwortung,Baumarten zu erhalten – wie die <strong>Flatterulme</strong>. Das bringt uns durchaus auch einen Nutzen: Wir lassen uns nämlich Optionen fürdie Zukunft offen, Möglichkeiten der Nutzung, die uns heute noch gar nicht bekannt sind!


<strong>Flatterulme</strong>8Quellen(! = spécialement recommandé pour approfondir le sujet)Aas, G., Sieber, M., Schütz, J.P., Brang, P., 1993: Ulmuslaevis Pall.. In: Mitteleuropäische Waldbaumarten.Artbeschreibung und Ökologie unter besondererBerücksichtigung der Schweiz. Professur für Waldbauund Professur für Forstschutz und Dendrologie der<strong>ETH</strong> Zürich, unveröffentlicht.Collin, E., 1999: Strategies and guidelines for the conservationof the genetic resources oft the EropeaneIms. Im Internet unter der Adresse: www.cgiar.org/ipgrideploy/networks/euforgen/euf_home.htm.Ebert H.-P., 1999: Ulmus spec. In: Die Behandlung seltenerBaumarten (2. bearb. Aufl.). Schriftenreihe derFachhochschule Rottenburg Nr. 08, Hochschule fürForstwirtschaft, Rottenburg am Neckar: 233-241. (!aktuelle Übersicht über alle Arten, teilweise etwasoberflächlich)Hess, H. E., Landolt, E., Hirzel, R., 1972: Ulmus L.. In:Flora der Schweiz. Band 1. Birkhäuser, Basel. S. 697-700.Lauber, K., Wagner, G., 1996: Flora Helvetica. Paul Haupt,Bern. 1631 S.Machon, N., Lefranc, M., Bilger, I., Mazer, S. J., Aboubakry,S., 1997: Allozyme variation in Ulmus species fromFrance: analysis of differentiation. Heridity 78, 1: 12-20.Mackenthun, G., 2000: Die Gattung Ulmus in Sachsen.Forstwissenschaftliche Beiträge Tharandt, Heft 9.Ulmer, Stuttgart. 294 S. (! gute Aufbereitung desKenntnisstandes zu den Ulmen)Meusel, H., Jäger, E., Weinert, E.(Hrsg.), 1965: VergleichendeChronologie der zentraleuropäischen Flora.Karten-Band I. Fischer Verlag, Jena. 258 S.Möller, G., 1993: Ulmenerhaltung aus der Sicht des Naturschutzes– Probleme und Möglichkeiten. In: Kleinschmit,J., Weisgerber, H., 1993 (Hrsg): Ist die Ulmenoch zu retten? Forschungsberichte, Hessische forstl.Versuchsanstalt, Band 16: 68-86.Richard, J.-L., 1965: Extraits de la carte phytosociologiquesdes forêts du canton de Neuchâtel. Huber,Berne. S. 10-11.Röhrig, E., 1996: Die Ulmen in Europa. Forstarchiv 67,5: 179-198. (! vollständigster Artikel über Ökologieund epidemische Erkrankung der einheimischen Ulmen)Rotach, P., 2000: Mündliche Mitteilung.Sacchetti, P., Riziero, T., Mittempergher, L., 1990: Preferenzadi Scolytus multistriatus (Marsham) durante lafase di maturazione delle gonadi nei confronti di duespecie di olmo. Redia – giornale di zoologia LXXIII, 2:347-354.Sieber, M., 2000: Mündliche Mitteilung.Schütz, J.-Ph., 2000: Mündliche Mitteilung.Timbal, J., 1981: Un arbre méconnu: l’orme lisse. Rev.For. Fr. XXXIII, 2: 109-115.Timbal, J., Collin, E., 1999: L’orme lisse dans le sud dela France: répartition et stratégie de conservation desressources génétiques. Rev. For. Fr. LI, 5: 593-604.von Lüpke, B., 1993: Bedeutung der Ulme in Wald undLandschaft. In: Kleinschmit, J., Weisgerber, H. (Hrsg),1993: Ist die Ulme noch zu retten? Forschungsberichte,Hessische forstl. Versuchsanstalt, Band 16: 7-16.Welten, M., Sutter, R., 1982: Verbreitungsatlas der FarnundBlütenpflanzen. Birkhäuser, Basel. 2 Bände. (!Im Internet unter www.wsl.ch/land/products/webfloraeine interessante und aktualisierte Verwendungder Arbeit Welten / Sutter)Projekt Förderung seltener BaumartenRedaktion: Peter SchwabHerausgeber: Professur Waldbau <strong>ETH</strong>ZEidg. Forstdirektion BUWAL© <strong>ETH</strong>Z/BUWAL 2001

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