Wege ins Unsichtbare
Wege ins Unsichtbare
Wege ins Unsichtbare
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Jean steht auf den Basteien und blickt über die Dächer Wiens.<br />
Seltsam die Idee, aus einer Umfriedung eine öffentliche Promenade<br />
zu machen. Alles ist gross in Wien. Selbst der Graben konnte zur<br />
Parkanlage genutzt werden. Und dabei ist die Vorstadt um vieles<br />
grösser als die innere Stadt. Eine einzigartige Anordnung, wunderschön,<br />
grossartig.<br />
Er blickt hinunter auf die vorbeiziehenden Kutschen. Wie fröhlich<br />
der Federputz der Kutscher wirkt! Sie fahren jetzt alle in die<br />
‚Sommerfrische’ mit ihren voll bepackten Equipagen. Aufs Land,<br />
wo sie den Sommer verbringen.<br />
Plötzlich verspürt er Heimweh. Er sieht in der Erinnerung den<br />
Vater am Krankenlager der Patienten. Die dunklen Stuben mit den<br />
niederen Zimmerdecken, das Gemurmel der Betenden. Er hört das<br />
Gackern und Muhen zwischen den Häusern seines Dorfes, Flaach.<br />
Seltsam. Warum ist er enttäuscht?<br />
Hier in Wien behandeln sie die Kranken wie Waren. Das ist es.<br />
Wie tote Waren. Seine Patientinnen sind namenlos. Es werden keine<br />
Krankenberichte geschrieben, und als er erwähnte, dass er gewohnt<br />
sei, Tagebuch zu schreiben, hat man ihn gebeten, dies zu unterlassen.<br />
Die Krankengeschichten sollen keine Spuren hinterlassen. Sein<br />
Kollege, ein gebürtiger Wiener, hat in dieser Sache seine Stimme<br />
erhoben. Keine Spuren!<br />
Wohin sind sie gekommen, die Patientinnen der letzten Zeit?<br />
Wie viele haben die Geburt überlebt? Wie viele sind gestorben?<br />
Seine kleine Liebe ist auch verschwunden, und als er nach ihr fragte,<br />
wurde er ziemlich barsch angefahren. Sie hat das Kindbettfieber<br />
nicht überlebt, da ist er sich sicher. Aber er wird keine Fragen mehr<br />
stellen. Was er erlebte und sah, kann er nicht verstehen. Es geschehen<br />
Dinge, die ihm ungeheuer sind. Verbrechen? Kann das sein?<br />
Jean nimmt seinen Hut und macht sich auf den Weg in den<br />
Prater. Er hat sich dort mit einem Wiener Kollegen verabredet. Die<br />
vielen Kaffeehäuser und Schenken in dem grossen Park laden zum<br />
Diskutieren ein. Und das braucht er heute.<br />
Unter riesigen alten Bäumen äst Rotwild. Manche Tiere sind<br />
zahm und lassen sich von den Spaziergängern streicheln. Kinder<br />
mit ihren Gouvernanten, Hunde und junge Paare ringsum, Jean<br />
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