Szenarien, Herausforderungen und Visionen von Roland Woodtly

Szenarien, Herausforderungen und Visionen von Roland Woodtly Szenarien, Herausforderungen und Visionen von Roland Woodtly

12.07.2015 Aufrufe

Sie empfinden das als Provokation? Ja, vielleicht – aber nur ein bisschen. Ein zentraler Punkt imCase Management ist die Frage der Steuerung, der Übernahme der fallbezogenen Prozessteuerungsverantwortung.Case Management ist ein Verfahren, das viele, auch in andern Verfahrenoder Methoden bekannte Elemente aufweist. Nach meinem Wissensstand gibt es aber diese expliziteSteuerungsaufgabe nur im Case Management. CM empfiehlt sich als Verfahren namentlichdann, wenn es um die Bearbeitung von komplexen Fallsituationen geht. Komplexität meint inerster Linie multiple Problemlagen von Menschen, die mehrere Belastungen aufweisen, und aufdie meistens damit einhergehende Mehrzahl von involvierten professionellen Dienstleistern. Dersich aus diesem Umstand ergebende Bedarf nach Absprachen, Koordination und Steuerungdieses ganzen Leistungserbringungsprozesses im Interesse der betroffenen Personen und imInteresse einer effizienten und effektiven Problembearbeitung, ist eine zentrale Aufgabe der CaseManagerin, des Case Managers.Eigentlich liegt es auf der Hand, dass das nur eine Person sein kann. Gerade dadurch soll javerhindert werden, dass mehrere Dienstleister, unabhängig voneinander, unabgestimmte undeventuell auch noch mehrfach die gleichen oder ähnliche Leistungen erbringen und Betroffene imWirrwarr der hoch ausdifferenzierten Leistungssysteme rat- und orientierungslos stehen gelassenwerden.So viel zur Theorie. Gerade dieser Aspekt wird aber nach meiner Erfahrung häufig stark vernachlässigt.Zu oft gilt die Devise – wer zahlt befiehlt, ohne aber, abgeleitet aus diesem Anspruch,dann tatsächlich die effektive Koordinationsaufgabe und die Leistungssteuerung zuübernehmen. Wer zahlt, befiehlt nicht, sondern entscheidet lediglich über die Finanzierung oderNichtfinanzierung oder die Erbringung oder Nichterbringung einer in seinen Zuständigkeitsbereichfallenden Leistung (oder allenfalls über die Vergabe eines Auftrages an Dritte).So braucht es in jedem Fallgeschehen in dem mittels Case Management wirkungsorientiertgearbeitet werden soll, Absprachen darüber, wer den Lead, oder eben die Steuerungsfunktion,übernehmen soll. Die volle Wirkung von Case Management kann nur dann erreicht werden, wenndie Frage der Leistungssteuerung eindeutig geklärt, diese namentlich zugeordnet und die Persondurch alle Beteiligten auch legitimiert ist. Und das muss in jedem Fall neu ausgehandelt werden.Eine grosse Herausforderung für jede Person, die mit Case Management arbeitet, besteht darin,sowohl die institutions- und auftragsbezogene Identität zu behalten sowie Normen, RegelnRahmenbedingungen und Werte der eigenen Organisation zu berücksichtigen, wie auch gleichzeitigfallbezogen eine zusätzliche, sozusagen überinstitutionelle Identität zu entwicklen die eserlaubt, ausschliesslich lösungsfokussiert zu denken und zu handeln. Das ist eine ausserordentlicheHerausforderung für jede an einem Case Management beteiligte Person und setzt siewidersprüchlichen Anforderungen aus.Die Herausforderung für die Organisationen besteht darin, diesen Widerspruch zu erkennen undzu akzeptieren, ihre Case Manager und Case Managerinnen zu unterstützen dass sie mit diesemWiderspruch umgehen können und ihnen die nötigen und möglichen Freiräume zu verschaffen,damit diese sich in diesem überinstitutionellen Rahmen im Interesse einer wirkungsvollen Lösungfür die Betroffenen bewegen können und dürfen.Diese aktuelle und grosse Herausforderung gilt auch in Zukunft und besteht demnach darin, alsGärtner nicht nur den eignen Garten im Auge zu haben, sondern die ganze zusammenhängendeGartenanlage und dabei im konkreten Handeln beide Perspektiven zu einer zu vereinen.

Dritte TheseCase Managerinnen und Case Manager bewegen sich in ihrem beruflichen Handeln in einemSpannungsfeld zwischen Organisationsbezogenheit und Klientinnenbezogenheit.In der Fachliteratur werden dafür die beiden Begriffe system-driven und client-driven verwendet.Gemeint ist damit, vereinfacht ausgedrückt, dass sich Case Managerinnen, die vor allemorganisationsbezogen handeln, bei der Bedarfserhebung und vor allem bei der Ziel- und Massnahmenfestlegungin erster Linie von den Vorgaben der Institution, von deren Zielen undLeistungsangeboten leiten lassen. Demgegenüber stehen bei der Klientinnenbezogenheit der individuelleBedarf sowie die betroffene Person im Zentrum.Keine Frage, gesetzliche und institutionelle Vorgaben sind einzuhalten und bilden in jedem Falleinen verpflichtenden Handlungsrahmen. Es ist Pflicht jedes Case Managers, die Interessen dereigenen Institution angemessen zu vertreten und, wo erforderlich, diese auch durchzusetzen.Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Case Management ist ein Verfahren, das sowohl aufPartizipation und Selbstbestimmung der Betroffenen, wie auch auf Kooperation aller Beteiligten,und im soeben besprochenen Zusammenhang vor allen auch auf der Kooperation mit denKlientinnen und Klienten, aufbaut. CM geht davon aus, dass Betroffene selbstbestimmend undeigenverantwortlich denken und handeln können. Selbstbefähigung, Ressourcenorientierung undHilfe zur Selbsthilfe sind zentrale Werte im CM.Wir alle wissen, dass es keine objektive Problemdefinition gibt, sondern, dass die Wahrnehmungund Gewichtung eines Problems ein subjektives, und demnach von allen Beteiligten andersinterpretiertes Phänomen ist. Je grösser die Zahl der beteiligten Akteure ist, umso grösser ist dieVielfalt der Problembeschreibung. Prof. Heiko Kleve hat dazu in einem vor kurzem veröffentlichtenAufsatz geschrieben (ich zitiere sinngemäss): „Es ist wichtig, mit den unterschiedlich Beteiligtenderen jeweilige Problemsicht zu besprechen und dann zu entscheiden, welche Sichtweisendie für den Case Managementprozess massgeblichen Ausgangspunkte der Arbeit sind. ImZentrum dieser Arbeit stehen freilich die Beschreibungen der Adressaten, ihre Sichtweise derProbleme.“ Das ist eine präzise Beschreibung dessen, was mit client-driven oder Klientenbezogenheitgemeint ist.Beim Blick in die Praxis stelle ich zweierlei fest. Zum einen scheint in Situationen, wo dasFallgeschehen komplex, intransparent, nicht oder nur teilweise nachvollziehbar ist, die Versuchunggross zu sein, sich bei der Problemdefinition und im Suchen nach einem Lösungsansatzan Bekanntem, an Vertrautem und an den Interessen und Möglichkeiten der Institution zuorientieren.Zum Zweiten ist zu beobachten, dass sich Case Managerinnen angebotsorientiert verhalten, d.hsich sowohl bei der Problemwahrnehmung wie bei der Definition der Lösungsansätze zu sehrleiten lassen vom Angebot und vom Auftrag der eigenen Institution und dabei der Bedarf, alsodas, was für die Bewältigung einer individuellen Problemlage tatsächlich erforderlich ist, manchmaletwas in den Hintergrund gerät. Das ist für mich ein Beispiel dafür, was als system-drivenoder Organisationsbezogenheit verstanden werden kann.Auch in dieser Hinsicht sehe ich noch Entwicklungsmöglichkeiten für die Zukunft und denke, dassdie Herausforderung darin besteht, noch viel mehr die Perspektive der Betroffenen ins Zentrumzu rücken und aus dieser Perspektive heraus Bedarf, Ziele und Massnahmen zu definieren.

Sie empfinden das als Provokation? Ja, vielleicht – aber nur ein bisschen. Ein zentraler Punkt imCase Management ist die Frage der Steuerung, der Übernahme der fallbezogenen Prozessteuerungsverantwortung.Case Management ist ein Verfahren, das viele, auch in andern Verfahrenoder Methoden bekannte Elemente aufweist. Nach meinem Wissensstand gibt es aber diese expliziteSteuerungsaufgabe nur im Case Management. CM empfiehlt sich als Verfahren namentlichdann, wenn es um die Bearbeitung <strong>von</strong> komplexen Fallsituationen geht. Komplexität meint inerster Linie multiple Problemlagen <strong>von</strong> Menschen, die mehrere Belastungen aufweisen, <strong>und</strong> aufdie meistens damit einhergehende Mehrzahl <strong>von</strong> involvierten professionellen Dienstleistern. Dersich aus diesem Umstand ergebende Bedarf nach Absprachen, Koordination <strong>und</strong> Steuerungdieses ganzen Leistungserbringungsprozesses im Interesse der betroffenen Personen <strong>und</strong> imInteresse einer effizienten <strong>und</strong> effektiven Problembearbeitung, ist eine zentrale Aufgabe der CaseManagerin, des Case Managers.Eigentlich liegt es auf der Hand, dass das nur eine Person sein kann. Gerade dadurch soll javerhindert werden, dass mehrere Dienstleister, unabhängig <strong>von</strong>einander, unabgestimmte <strong>und</strong>eventuell auch noch mehrfach die gleichen oder ähnliche Leistungen erbringen <strong>und</strong> Betroffene imWirrwarr der hoch ausdifferenzierten Leistungssysteme rat- <strong>und</strong> orientierungslos stehen gelassenwerden.So viel zur Theorie. Gerade dieser Aspekt wird aber nach meiner Erfahrung häufig stark vernachlässigt.Zu oft gilt die Devise – wer zahlt befiehlt, ohne aber, abgeleitet aus diesem Anspruch,dann tatsächlich die effektive Koordinationsaufgabe <strong>und</strong> die Leistungssteuerung zuübernehmen. Wer zahlt, befiehlt nicht, sondern entscheidet lediglich über die Finanzierung oderNichtfinanzierung oder die Erbringung oder Nichterbringung einer in seinen Zuständigkeitsbereichfallenden Leistung (oder allenfalls über die Vergabe eines Auftrages an Dritte).So braucht es in jedem Fallgeschehen in dem mittels Case Management wirkungsorientiertgearbeitet werden soll, Absprachen darüber, wer den Lead, oder eben die Steuerungsfunktion,übernehmen soll. Die volle Wirkung <strong>von</strong> Case Management kann nur dann erreicht werden, wenndie Frage der Leistungssteuerung eindeutig geklärt, diese namentlich zugeordnet <strong>und</strong> die Persondurch alle Beteiligten auch legitimiert ist. Und das muss in jedem Fall neu ausgehandelt werden.Eine grosse Herausforderung für jede Person, die mit Case Management arbeitet, besteht darin,sowohl die institutions- <strong>und</strong> auftragsbezogene Identität zu behalten sowie Normen, RegelnRahmenbedingungen <strong>und</strong> Werte der eigenen Organisation zu berücksichtigen, wie auch gleichzeitigfallbezogen eine zusätzliche, sozusagen überinstitutionelle Identität zu entwicklen die eserlaubt, ausschliesslich lösungsfokussiert zu denken <strong>und</strong> zu handeln. Das ist eine ausserordentlicheHerausforderung für jede an einem Case Management beteiligte Person <strong>und</strong> setzt siewidersprüchlichen Anforderungen aus.Die Herausforderung für die Organisationen besteht darin, diesen Widerspruch zu erkennen <strong>und</strong>zu akzeptieren, ihre Case Manager <strong>und</strong> Case Managerinnen zu unterstützen dass sie mit diesemWiderspruch umgehen können <strong>und</strong> ihnen die nötigen <strong>und</strong> möglichen Freiräume zu verschaffen,damit diese sich in diesem überinstitutionellen Rahmen im Interesse einer wirkungsvollen Lösungfür die Betroffenen bewegen können <strong>und</strong> dürfen.Diese aktuelle <strong>und</strong> grosse Herausforderung gilt auch in Zukunft <strong>und</strong> besteht demnach darin, alsGärtner nicht nur den eignen Garten im Auge zu haben, sondern die ganze zusammenhängendeGartenanlage <strong>und</strong> dabei im konkreten Handeln beide Perspektiven zu einer zu vereinen.

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