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Szenarien, Herausforderungen und Visionen von Roland Woodtly

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Sehr geehrte Damen <strong>und</strong> HerrenLiebe KolleginnenLiebe KollegenHätte ich den Auftrag für dieses Referat vor zehn Jahren erhalten, so hätte ich dieses voraussichtlichvor bestenfalls ungefähr 20 Personen halten dürfen. Die Tatsache, dass ich heute vorüber 200 Personen sprechen darf, weist auf die Entwicklung hin, welches die Anwendung desVerfahrens Case Management in diesen zehn Jahren gemacht hat. Ich kenne kein anderesVerfahren, das sich im gleichen Mass professions-, institutions- <strong>und</strong> branchenübergreifendverbreitet hat.Wird diese Entwicklung so weiter gehen? Nun, es ist nicht mein Auftrag, in diesem Referat einenBlick in die Kristallkugel zu wagen, sondern konkret über <strong>Szenarien</strong>, <strong>Herausforderungen</strong> <strong>und</strong><strong>Visionen</strong> in Bezug auf Case Management nachzudenken.Wer einen Blick in die Zukunft wagen will, muss sich bewusst sein, aus welcher Perspektiveheraus das geschieht. Es braucht einen erkennbaren Bezugsrahmen. Ich glaube es ist deshalbrichtig, wenn ich meine Überlegungen mit einigen Gedanken über die Gegenwart beginne, alsovorerst eine kleine Standortbestimmung mache. Dazu gehört z.B. die Frage: Was ist CaseManagement?Eine Antwort auf diese Frage gibt die Definition des Netzwerkes Case Management Schweiz.Das ist eine <strong>von</strong> verschiedenen möglichen <strong>und</strong> gebräuchlichen Definitionen. Das Potenzial <strong>und</strong>die Innovationskraft des Verfahrens Case Management wird in dieser kompakten Definitionangedeutet <strong>und</strong> es lohnt sich, noch etwas genauer hinzuschauen <strong>und</strong> die einzelnen, sehrverdichteten Aussagen näher zu betrachten.Es lassen sich zwei unterschiedliche Ebenen erkennen in dieser Definition. Die eine Ebenebezieht sich vor allem auf Aussagen, die das Vorgehen, den Prozess, die Technik d.h. die Logik<strong>und</strong> Systematik der Vorgehensweise beschreiben <strong>und</strong> zum Zweiten gibt es Aussagen, die sichauf das Individuum, die betroffene Person bzw. den Umgang mit der betroffenen Person <strong>und</strong>damit auch auf die persönliche Haltung der Beraterin <strong>und</strong> des Beraters beziehen. Dieser dualeWirkungszusammenhang ist für das Verfahren Case Management typisch <strong>und</strong> einzigartig.Lassen Sie mich das noch etwas deutlicher ausführen. Zur ersten Kategorie der Aussagengehören meiner Meinung nach folgende Passagen:- Case Management ist ein spezifisches Verfahren zur koordinierten Bearbeitung komplexerFragestellungen…- In einem systematisch geführten, kooperativen Prozess…- Case Management stellt einen Versorgungszusammenhang über professionelle <strong>und</strong> institutionelleGrenzen hinweg her. …


Zur zweiten Kategorie gehören die personenbezogenen Aussagen:- …wird eine auf den individuellen Bedarf abgestimmte Dienstleistung erbracht…..um gemeinsamvereinbarte Ziele <strong>und</strong> Wirkungen mit hoher Qualität effizient zu erreichen …- Es respektiert die Autonomie der Klientinnen <strong>und</strong> Klienten, nutzt <strong>und</strong> schont die Ressourcenim Klient- sowie im Unterstützungssystem …Durch diese Definition lässt sich Case Management, so wie wir es heute verstehen, charakterisieren<strong>und</strong> beschreiben. Aus dieser Perspektive, <strong>und</strong> aus der Perspektive der heutigen Praxisheraus ist die Frage nach der Zukunft des Case Management zu betrachten. Wie die vorangegangenenReferate gezeigt haben <strong>und</strong> wie auch ein unvoreingenommener Blick in die Praxiszeigt, wird das Verfahren sehr unterschiedlich umgesetzt. Erfahrungsberichte <strong>und</strong> Praxisdarstellungenan Tagungen <strong>und</strong> Kongressen <strong>und</strong> in Fachzeitschriften sind wertvolle Beiträge zumfachlichen Diskurs, nach meiner Erfahrung aber häufig auch etwas rosarot eingefärbt.Wir, <strong>und</strong> damit meine ich in diesem Zusammenhang die beiden Hochschulen, Hochschule Luzern– Soziale Arbeit <strong>und</strong> Berner Fachhochschule – Soziale Arbeit, bieten seit 10 Jahren ein Weiterbildungsprogrammfür Case ManagerInnen an. Wir haben in dieser Zeit schon mehrere H<strong>und</strong>ertPersonen (es werden demnächst wohl gegen 1000 sein) weitergebildet. Die unzähligen Gesprächemit diesen Personen, <strong>und</strong> die vielen mündlichen <strong>und</strong> schriftlichen Beiträge <strong>von</strong> Studierendenim Unterricht <strong>und</strong> in Form <strong>von</strong> schriftlichen Abschlussarbeiten, geben uns einen breiten <strong>und</strong> sehrdifferenzierten Einblick in die Praxis, <strong>und</strong> in die Fragestellungen, die bei der Einführung, Umsetzung<strong>und</strong> Anwendung <strong>von</strong> Case Management auftreten. Die Diskrepanz zwischen dem theoretischen<strong>und</strong> in der Literatur beschriebenen Konzept <strong>und</strong> der geschilderten Praxis wird dabei immerwieder sichtbar.Unsere Erfahrungen zeigen, dass diese Diskrepanz oft sehr gross ist <strong>und</strong> nicht mehr mit demnormalen Spannungsfeld zwischen Theorie <strong>und</strong> Praxis erklärt werden kann. Dabei geht es nichta priori um die Durchsetzung eines theoretischen Konzeptes, sondern viel mehr um die Verhinderungeiner um sich greifenden Beliebigkeit.Das Verfahren, bzw. die Gr<strong>und</strong>ideen, die dahinter stehen, sind eigentlich bestechend einfach.Dazu einige Stichworte: Koordination, Kooperation, Verfahrenssteuerung, Systematik desVorgehens. Zwar gibt es im fachlichen Diskurs einige Differenzen, die meisten da<strong>von</strong> sind jedochnicht gr<strong>und</strong>sätzlicher Natur. Daraus leite ich eine erste pragmatische Schlussfolgerung ab: DasKonzept, das Verfahren, so wie wir es heute kennen <strong>und</strong> verstehen, muss im Hinblick auf eineerfolgreiche Zukunft nicht verändert werden.Diese Aussage ist unter einer streng wissenschaftlichen Perspektive betrachtet natürlich nichtganz haltbar, denn nur durch einen wissenschaftlichen Wirkungsnachweis liessen sich relevanteSchlussfolgerungen für die Weiterentwicklung des Verfahrens gewinnen. Trotzdem schliesse ichdaraus: Nicht das Verfahren an sich muss in erster Linie weiterentwickelt werden, sondern diekonkrete Umsetzung in der Praxis hat noch einiges Entwicklungspotenzial.Wo also <strong>und</strong> in welcher Weise sind Entwicklungsschritte möglich <strong>und</strong> notwendig? Wo stellen sichdie <strong>Herausforderungen</strong>? Diese bestehen meiner Meinung nach nicht darin, neue <strong>Szenarien</strong> <strong>und</strong>grossartige <strong>Visionen</strong> zu entwickeln, sondern die <strong>Herausforderungen</strong> bestehen darin, das bereitsGedachte <strong>und</strong> Beschriebene noch wirkungsvoller umzusetzen. Um dies noch etwas zu verdeutlichen,greife ich drei Punkte heraus <strong>und</strong> formuliere dazu Thesen <strong>und</strong> Entwicklungsansätze:


Erste TheseOhne Kooperation kein Case Management!Im Spannungsfeld zwischen Kooperation <strong>und</strong> Konkurrenz setzen partikuläre Interessen einerechten Kooperation oftmals enge Grenzen <strong>und</strong> die Wirkung des Verfahrens Case Managementwird dadurch erheblich eingeschränkt.Diesem Umstand entgegenzuwirken würde bedeuten, noch konsequenter dem Prinzip derBedarfsorientierung nachzuleben. Bedarfsorientierung heisst in meinem Verständnis, Orientierungan der Frage: Welche Wege, Massnahmen <strong>und</strong> Mittel sind erforderlich um einem Menschenin seiner individuellen Problemsituation die bestmögliche, wirkungsvollste <strong>und</strong> auch finanzierbareHilfestellung anbieten zu können?Am Anfang jedes CM-Prozesses müsste demnach immer zuerst die Frage nach dem WASstehen – WAS muss <strong>und</strong> WAS kann getan werden? WAS soll erreicht werden <strong>und</strong> WAS isterforderlich, um die angestrebten Ziele zu erreichen. Die Frage nach dem WER, also WER istdafür zuständig <strong>und</strong> WER sind die Kostenträger, hat in dieser Denkweise immer zweite Priorität.Nicht in Bezug auf die Bedeutung der Frage, aber in Bezug auf die Logik des Vorgehens.Die kooperative Zusammenarbeit wird in der Realität eingeschränkt durch individuelle ökonomischeInteressen <strong>und</strong> gesetzliche Rahmenbedingungen. Im Spannungsfeld zwischen Kooperation<strong>und</strong> Konkurrenz müssen die institutionellen Interessen meistens allen andern Überlegungenvorangestellt werden. Das „Gärtchendenken“ prägt die Handlungsstrategie. Wir sind noch viel zuweit entfernt <strong>von</strong> einer gemeinschaftlichen Betrachtungsweise.Ansätze wie sie in verschiedenen Projekten gelebt <strong>und</strong> ausprobiert werden, namentlich beispielsweisein der interinstitutionellen Zusammenarbeit (IIZ, IIZ-plus <strong>und</strong> IIZ-MAMAC), sind sehrbegrüssenswert, weil sie genau daraufhin zielen, die soeben besprochene Schwäche einesSystems zu eliminieren. Die Realität zeigt aber in aller Deutlichkeit, auch in den eben erwähntenProjekten, dass sich die alte <strong>und</strong> pragmatische Weisheit, wonach einem das eigene Hemd immeram nächsten steht, auch hier letztlich handlungsleitend ist. Gerade in Zeiten wie heute, wo eineInvalidenversicherung, die Arbeitslosenversicherung <strong>und</strong> auch die Sozialhilfe unter massivemKostendruck stehen, beeinflusst der Blick auf die eigene Kasse das Vorgehen entscheidend.Case Management würde die Möglichkeit bieten, die Bedarfsfrage, <strong>und</strong> damit den Menschen,sowie eine effiziente <strong>und</strong> effektive Problemlösung in den Mittelpunkt zu stellen, <strong>und</strong> so, jedenfallsaus volkswirtschaftlicher Perspektive betrachtet, kostengünstige Wege zu beschreiten.Die Herausforderung <strong>und</strong> die Vision für die Zukunft besteht also darin, strukturelle <strong>und</strong> gesetzlicheRahmenbedingungen dahin gehend zu verändern, dass es weniger „Gärtlein“ gibt <strong>und</strong> vielmehr die Möglichkeit besteht, den ganzen Acker als grosses Ganzes zu betrachten <strong>und</strong> zubearbeiten. Gelingende <strong>und</strong> uneingeschränkte Kooperation ist das A <strong>und</strong> O eines wirkungsvollenCase Managements.Zweite TheseAlle wollen steuern - niemand will sich aber wirklich ans Steuer setzen <strong>und</strong> die Verantwortungübernehmen.


Sie empfinden das als Provokation? Ja, vielleicht – aber nur ein bisschen. Ein zentraler Punkt imCase Management ist die Frage der Steuerung, der Übernahme der fallbezogenen Prozessteuerungsverantwortung.Case Management ist ein Verfahren, das viele, auch in andern Verfahrenoder Methoden bekannte Elemente aufweist. Nach meinem Wissensstand gibt es aber diese expliziteSteuerungsaufgabe nur im Case Management. CM empfiehlt sich als Verfahren namentlichdann, wenn es um die Bearbeitung <strong>von</strong> komplexen Fallsituationen geht. Komplexität meint inerster Linie multiple Problemlagen <strong>von</strong> Menschen, die mehrere Belastungen aufweisen, <strong>und</strong> aufdie meistens damit einhergehende Mehrzahl <strong>von</strong> involvierten professionellen Dienstleistern. Dersich aus diesem Umstand ergebende Bedarf nach Absprachen, Koordination <strong>und</strong> Steuerungdieses ganzen Leistungserbringungsprozesses im Interesse der betroffenen Personen <strong>und</strong> imInteresse einer effizienten <strong>und</strong> effektiven Problembearbeitung, ist eine zentrale Aufgabe der CaseManagerin, des Case Managers.Eigentlich liegt es auf der Hand, dass das nur eine Person sein kann. Gerade dadurch soll javerhindert werden, dass mehrere Dienstleister, unabhängig <strong>von</strong>einander, unabgestimmte <strong>und</strong>eventuell auch noch mehrfach die gleichen oder ähnliche Leistungen erbringen <strong>und</strong> Betroffene imWirrwarr der hoch ausdifferenzierten Leistungssysteme rat- <strong>und</strong> orientierungslos stehen gelassenwerden.So viel zur Theorie. Gerade dieser Aspekt wird aber nach meiner Erfahrung häufig stark vernachlässigt.Zu oft gilt die Devise – wer zahlt befiehlt, ohne aber, abgeleitet aus diesem Anspruch,dann tatsächlich die effektive Koordinationsaufgabe <strong>und</strong> die Leistungssteuerung zuübernehmen. Wer zahlt, befiehlt nicht, sondern entscheidet lediglich über die Finanzierung oderNichtfinanzierung oder die Erbringung oder Nichterbringung einer in seinen Zuständigkeitsbereichfallenden Leistung (oder allenfalls über die Vergabe eines Auftrages an Dritte).So braucht es in jedem Fallgeschehen in dem mittels Case Management wirkungsorientiertgearbeitet werden soll, Absprachen darüber, wer den Lead, oder eben die Steuerungsfunktion,übernehmen soll. Die volle Wirkung <strong>von</strong> Case Management kann nur dann erreicht werden, wenndie Frage der Leistungssteuerung eindeutig geklärt, diese namentlich zugeordnet <strong>und</strong> die Persondurch alle Beteiligten auch legitimiert ist. Und das muss in jedem Fall neu ausgehandelt werden.Eine grosse Herausforderung für jede Person, die mit Case Management arbeitet, besteht darin,sowohl die institutions- <strong>und</strong> auftragsbezogene Identität zu behalten sowie Normen, RegelnRahmenbedingungen <strong>und</strong> Werte der eigenen Organisation zu berücksichtigen, wie auch gleichzeitigfallbezogen eine zusätzliche, sozusagen überinstitutionelle Identität zu entwicklen die eserlaubt, ausschliesslich lösungsfokussiert zu denken <strong>und</strong> zu handeln. Das ist eine ausserordentlicheHerausforderung für jede an einem Case Management beteiligte Person <strong>und</strong> setzt siewidersprüchlichen Anforderungen aus.Die Herausforderung für die Organisationen besteht darin, diesen Widerspruch zu erkennen <strong>und</strong>zu akzeptieren, ihre Case Manager <strong>und</strong> Case Managerinnen zu unterstützen dass sie mit diesemWiderspruch umgehen können <strong>und</strong> ihnen die nötigen <strong>und</strong> möglichen Freiräume zu verschaffen,damit diese sich in diesem überinstitutionellen Rahmen im Interesse einer wirkungsvollen Lösungfür die Betroffenen bewegen können <strong>und</strong> dürfen.Diese aktuelle <strong>und</strong> grosse Herausforderung gilt auch in Zukunft <strong>und</strong> besteht demnach darin, alsGärtner nicht nur den eignen Garten im Auge zu haben, sondern die ganze zusammenhängendeGartenanlage <strong>und</strong> dabei im konkreten Handeln beide Perspektiven zu einer zu vereinen.


Dritte TheseCase Managerinnen <strong>und</strong> Case Manager bewegen sich in ihrem beruflichen Handeln in einemSpannungsfeld zwischen Organisationsbezogenheit <strong>und</strong> Klientinnenbezogenheit.In der Fachliteratur werden dafür die beiden Begriffe system-driven <strong>und</strong> client-driven verwendet.Gemeint ist damit, vereinfacht ausgedrückt, dass sich Case Managerinnen, die vor allemorganisationsbezogen handeln, bei der Bedarfserhebung <strong>und</strong> vor allem bei der Ziel- <strong>und</strong> Massnahmenfestlegungin erster Linie <strong>von</strong> den Vorgaben der Institution, <strong>von</strong> deren Zielen <strong>und</strong>Leistungsangeboten leiten lassen. Demgegenüber stehen bei der Klientinnenbezogenheit der individuelleBedarf sowie die betroffene Person im Zentrum.Keine Frage, gesetzliche <strong>und</strong> institutionelle Vorgaben sind einzuhalten <strong>und</strong> bilden in jedem Falleinen verpflichtenden Handlungsrahmen. Es ist Pflicht jedes Case Managers, die Interessen dereigenen Institution angemessen zu vertreten <strong>und</strong>, wo erforderlich, diese auch durchzusetzen.Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Case Management ist ein Verfahren, das sowohl aufPartizipation <strong>und</strong> Selbstbestimmung der Betroffenen, wie auch auf Kooperation aller Beteiligten,<strong>und</strong> im soeben besprochenen Zusammenhang vor allen auch auf der Kooperation mit denKlientinnen <strong>und</strong> Klienten, aufbaut. CM geht da<strong>von</strong> aus, dass Betroffene selbstbestimmend <strong>und</strong>eigenverantwortlich denken <strong>und</strong> handeln können. Selbstbefähigung, Ressourcenorientierung <strong>und</strong>Hilfe zur Selbsthilfe sind zentrale Werte im CM.Wir alle wissen, dass es keine objektive Problemdefinition gibt, sondern, dass die Wahrnehmung<strong>und</strong> Gewichtung eines Problems ein subjektives, <strong>und</strong> demnach <strong>von</strong> allen Beteiligten andersinterpretiertes Phänomen ist. Je grösser die Zahl der beteiligten Akteure ist, umso grösser ist dieVielfalt der Problembeschreibung. Prof. Heiko Kleve hat dazu in einem vor kurzem veröffentlichtenAufsatz geschrieben (ich zitiere sinngemäss): „Es ist wichtig, mit den unterschiedlich Beteiligtenderen jeweilige Problemsicht zu besprechen <strong>und</strong> dann zu entscheiden, welche Sichtweisendie für den Case Managementprozess massgeblichen Ausgangspunkte der Arbeit sind. ImZentrum dieser Arbeit stehen freilich die Beschreibungen der Adressaten, ihre Sichtweise derProbleme.“ Das ist eine präzise Beschreibung dessen, was mit client-driven oder Klientenbezogenheitgemeint ist.Beim Blick in die Praxis stelle ich zweierlei fest. Zum einen scheint in Situationen, wo dasFallgeschehen komplex, intransparent, nicht oder nur teilweise nachvollziehbar ist, die Versuchunggross zu sein, sich bei der Problemdefinition <strong>und</strong> im Suchen nach einem Lösungsansatzan Bekanntem, an Vertrautem <strong>und</strong> an den Interessen <strong>und</strong> Möglichkeiten der Institution zuorientieren.Zum Zweiten ist zu beobachten, dass sich Case Managerinnen angebotsorientiert verhalten, d.hsich sowohl bei der Problemwahrnehmung wie bei der Definition der Lösungsansätze zu sehrleiten lassen vom Angebot <strong>und</strong> vom Auftrag der eigenen Institution <strong>und</strong> dabei der Bedarf, alsodas, was für die Bewältigung einer individuellen Problemlage tatsächlich erforderlich ist, manchmaletwas in den Hintergr<strong>und</strong> gerät. Das ist für mich ein Beispiel dafür, was als system-drivenoder Organisationsbezogenheit verstanden werden kann.Auch in dieser Hinsicht sehe ich noch Entwicklungsmöglichkeiten für die Zukunft <strong>und</strong> denke, dassdie Herausforderung darin besteht, noch viel mehr die Perspektive der Betroffenen ins Zentrumzu rücken <strong>und</strong> aus dieser Perspektive heraus Bedarf, Ziele <strong>und</strong> Massnahmen zu definieren.


Weitere Punkte könnten noch angesprochen <strong>und</strong> daraus Entwicklungspotenzial abgeleitetwerden. Ich lasse es jedoch bei den Angesprochenen bewenden <strong>und</strong> komme, mit Blick auf denTitel des Referates, zu einer zusammenfassenden Erkenntnis <strong>und</strong> Überzeugung:Das Case Management der Zukunft ist das noch konsequenter umgesetzte Case Managementder Gegenwart. Wenn in Zukunft die Bestrebungen fortgesetzt werden, die in der Vergangenheitbegonnen <strong>und</strong> sich in der Gegenwart bewährt haben, so bin ich zuversichtlich, dass in Bezug aufdie angesprochenen <strong>Herausforderungen</strong> ein weiterer Entwicklungsschritt gemacht werden kann.Ich bin mir sicher, dass Case Management durch noch konsequenteres Umsetzen an Klarheit<strong>und</strong> Profil gewinnen könnte <strong>und</strong> so auch in der Praxis noch verbindlicher <strong>und</strong> konsistenterwerden könnte. Das wird entscheidend sein bei der Frage, ob diesem Verfahren auch in zehnJahren noch in allen heutigen Branchen <strong>und</strong> Anwendungsfeldern die gleiche Bedeutung beigemessenwird, wie das heute der Fall ist. Ich schliesse nicht aus, dass bei einem ähnlichenReferat in zehn Jahren der Kreis der Zuhörer <strong>und</strong> Zuhörerinnen kleiner ist als heute. Aber ichfreue mich, wenn auch einige <strong>von</strong> Ihnen dann immer noch dabei sind.Als Präsident des Netzwerkes lade ich Sie ein, bei der Bewältigung der heutigen <strong>und</strong> zukünftigen<strong>Herausforderungen</strong> mitzuarbeiten, <strong>Szenarien</strong> dafür zu entwickeln <strong>und</strong> sich <strong>von</strong> <strong>Visionen</strong> leiten zulassen, die zielführend <strong>und</strong> verheissungsvoll sind für die notwendige Weiterentwicklung. Für IhrEngagement danke ich Ihnen schon heute.Luzern, 16. September 2009<strong>Roland</strong> <strong>Woodtly</strong>Dozent <strong>und</strong> Projektleiter Hochschule Luzern – Soziale ArbeitTel. 041 367 48 63roland.woodtly@hslu.chThemen- <strong>und</strong> Arbeitsschwerpunkte:Case Management, Disability Management (betriebliches Ges<strong>und</strong>heitsmanagement, QualitätsmanagementPräsident Netzwerk Case Management Schweizinfo@netzwerk-cm.ch

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