Lernen in der Schule
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Vorlesung „E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Bildungswissenschaft“ (Sommer 2011)Dr. Hans-Peter Gerstner / Markus Popp(30.11.2011)Schwerpunkt 6:<strong>Lernen</strong> <strong>in</strong> Institutionen• Begrüßung – Organisatorisches - Evaluation• Vortrag 1: Lerntheorien und ihre Auswirkungen aufdie Lernsituation• Filmausschnitt: Manfred Spitzer (Gehirn – Denken- <strong>Lernen</strong>)• Arbeitsphase – Aussprache – Diskussion• Kurzvortrag 2: Kritik an Spitzer
Zahlen, Daten, E<strong>in</strong>schätzugen...• 2002: „1 <strong>in</strong> 5 of the globe‘s <strong>in</strong>habitants<strong>in</strong>scribed as a student <strong>in</strong> formal education“• UNESCO: Zahl <strong>der</strong> weltweit <strong>Lernen</strong>den:mehr als 1 Milliarde (Verdopplung seit 1970)• Lehrerschaft: ca. 54 Millionen(Faulstich-Wieland, Hannelore u.a., BA-Studium Erziehungswissenschaft. E<strong>in</strong>Lehrbuch. Re<strong>in</strong>bek: 2006, S.160f.)
Funktionen (Talcot Parsons – 1902-1979)• Qualifikationsfunktion - Aneignung vonWissen – Aufbau von Kompetenzen• Integrationsfunktion• Allokationsfunktion (Selektion, Zuweisengesellschaftlicher Positionen – Begründunggesellschaftlicher Ungleichheit)
Kritik <strong>der</strong> Lern<strong>in</strong>stitutionen• Hey teachers, leave us kids alone... All <strong>in</strong> all you‘re yustanother brick <strong>in</strong> the wall. (P. Floyd – 1979)• „Die Diszipl<strong>in</strong>aranlagen des <strong>Lernen</strong>s – <strong>der</strong>en Prototyp die<strong>Schule</strong> ist, <strong>der</strong>en Zwangcharakter sich aber zum Beispiel <strong>in</strong>»Maßnahmen« beruflicher Weiterbildung sogar noch potenziert– kontrollieren die <strong>Lernen</strong>den, <strong>in</strong>dem sie diese <strong>in</strong> Zeit undRaum fixieren. E<strong>in</strong> Gleichlauf von Lernzeiten undLerngeschw<strong>in</strong>digkeiten wird vorgegeben, um Ordnungen durchDressur zu erzw<strong>in</strong>gen; Schulungsräume und Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gszentrenerzeugen Klausur und Isolation, <strong>in</strong>dem sie <strong>Lernen</strong> undAnwenden trennen; zwischen Unterrichtenden und <strong>Lernen</strong>denbesteht e<strong>in</strong>e Hierarchie durch Vorwissen und Status; Notenbezwecken Selektion.“(Faulstich-Wieland, Hannelore u.a., BA-Studium Erziehungswissenschaft. E<strong>in</strong> Lehrbuch. Re<strong>in</strong>bek: 2006,S.163.)
Ambivalenz <strong>der</strong> Lern<strong>in</strong>stitutionen• Klausur/Isolation• Hierarchie und Unterordnung• Dressur und Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g• Meist zu knappe Lernzeiten• Gleichlauf <strong>der</strong>Lerngeschw<strong>in</strong>digkeiten• Selektion/Zertifikate zurHerstellung vonRangordnungen und Auslese• Kotrolle durch die Diszipl<strong>in</strong><strong>der</strong> Institution(Faulstich-Wieland, Hannelore u.a., BA-StudiumErziehungswissenschaft. E<strong>in</strong> Lehrbuch. Re<strong>in</strong>bek: 2006, S.168f.• Bedeutsamkeit <strong>der</strong> Lernthemenfür die Lebens<strong>in</strong>teressen <strong>der</strong><strong>Lernen</strong>den• Möglichkeiten kooperativen undpartizipativen <strong>Lernen</strong>s• Herstellung v. Zeitsouveränität• Zertifikate nicht als Kontrolle,son<strong>der</strong>n als Beleg fürLernfortschritte• Partizipation <strong>der</strong> <strong>Lernen</strong>den anPlanung, Durchführung undAuswertung v. Kursen undProgrammen
<strong>Lernen</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> - e<strong>in</strong>vielfältiger Prozess...• Vokabeln <strong>in</strong> Französisch• Zusammenhänge zwischen zwei Variablen <strong>in</strong>Mathematik• Beurteilungen ethischer Problemstellungen<strong>in</strong> Religion / Ethik• Handlungsabläufe <strong>in</strong> Sport / Bild. Kunst• Soziales Verhalten / Konfliktmanagement
Modelle des <strong>Lernen</strong>s - Relevanz imKontext <strong>Schule</strong>• Klassisches Konditionieren• Operantes Konditionieren• Beobachtungslernen• Problemlösen• Kognitives <strong>Lernen</strong>
1.2 Klassisches Konditionieren•Bedeutung für den Schulalltag:Ke<strong>in</strong>e direkte Bee<strong>in</strong>flussung des Lernprozesses;Erklärungsmöglichkeit für viele motivationale undaffektive Reaktionen <strong>der</strong> Schüler:z.B.• dauerhaftes Bloßstellen des Schülers durch Physiklehrer im Physiksaal Angstreaktion des Schülers Später Angstreaktion des Schülers auch bei an<strong>der</strong>enLehrkräften, wenn <strong>der</strong> Schüler den Physiksaal betritt,
2.1 Operantes Konditionieren• Thorndike (1874-1949) / Sk<strong>in</strong>ner (1904-1990)E<strong>in</strong>wirkung:Verstärkung• Belohnung/• Wegfall vonUnangenehmenKonditioniertesHandelnIgnorieren /BestrafungLöschung
2.2. Operantes KonditionierenBedeutung für die <strong>Schule</strong>:1. Positive Verstärkung (z.B. gute Noten)2. Negative Verstärkung(z.B: Wegfall e<strong>in</strong>er Hausaufgabe bei guterUnterrichtsbeteiligung)3. Löschung durch Ignorieren(z.B. leichte Unterrichtsstörung)4. Löschung durch Bestrafung (z.B. schlechte Noten)
3.1 Beobachtungslernen /Latentes <strong>Lernen</strong>• Bandura (1965):<strong>Lernen</strong>, bei dem e<strong>in</strong> Modell beobachtet undnachgeahmt wird: v.a. beim <strong>Lernen</strong> von Sozialverhalten,Handlungs- und Bewegungsabläufen.
3.2. Beobachtungslernen /Latentes <strong>Lernen</strong>Voraussetzungen für erfolgreichesBeobachtungslernen:• positive Bewertung <strong>der</strong> Modellperson• Verhalten muss deutlich se<strong>in</strong>, darf aber nichtübertrieben wirken• Erfolg des Modellverhaltens• cop<strong>in</strong>g model, nicht master model
3.3. Beobachtungslernen /Latentes <strong>Lernen</strong>• Bedeutung für die <strong>Schule</strong>Übernahme von sozialenVerhaltensweisen (z.B. grüßen; danken)SportunterrichtBildende Kunst / MusikVgl. Bedeutung <strong>der</strong> Lehrerpersönlichkeit für den erfolgreichen Unterricht
4. ProblemlösenIST-ZUSTANDLösungsweg bekannt = AufgabeAusprobieren undSackgassen beiProblemlösungLösungsweg unbekannt = Problemschlecht/ gut def<strong>in</strong>iertSOLLZUSTAND
5.1 Kognitiver Wissenserwerb:H. Ebb<strong>in</strong>ghaus – VergessenskurveTheorie des Spurenverfalls 1885:Hermann Ebb<strong>in</strong>ghaus(1850-1909)
H. Ebb<strong>in</strong>ghaus - VergessenskurveRepetitio est mater studiorum !!!
5.2 Kognitiver Wissenserwerb:Drei-Speicher-Modell – populäre Fehlvorstellung(vgl. Atk<strong>in</strong>son / Shiffr<strong>in</strong> 1968)
Nervenzelle(Neuron)
5.2 Kognitiver Wissenserwerb:Drei-Speicher-Modell (Atk<strong>in</strong>son / Shiffr<strong>in</strong> 1968)
5.3 Kognitiver Wissenserwerb:Manfred SpitzerJahrgang 19581990 bis 1997Oberarzt an <strong>der</strong> PsychiatrischenUniversitätskl<strong>in</strong>ik <strong>in</strong> HeidelbergSeit 1997:Inhaber des Lehrstuhls für PsychiatrieUniversität UlmSeit 1998:Leiter <strong>der</strong> PsychiatrischenUniversitätskl<strong>in</strong>ik <strong>in</strong> UlmSeit 2004:Leiter des Transferzentrums fürNeurowissenschaften und <strong>Lernen</strong> (ZNL) -Neurodidaktik
Manfred Spitzer (2009 = 2002)
5.3 Spitzer 1996/2002 (=2009):• Gedächtnis = „komplexes neuronales Netz“• Sensorisches Register, Arbeits- undLangzeitgedächtnis als Zustandsformen <strong>der</strong>Information <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em umfassendenGesamtspeicher. („ke<strong>in</strong>e Behälter“ / „ke<strong>in</strong>eEntleerung“)
5.3 <strong>Lernen</strong> konstruktivistischDas Gehirn bildet se<strong>in</strong>e eigenen Strukturendadurch,dass es Strukturen verarbeitet, unddurch die Verarbeitung sich selberstrukturiert. <strong>Lernen</strong> = „Konstruktion von Wissen“
Arbeitsfragen• Benennen Sie die Faktoren, die lt. Spitzernachhaltiges <strong>Lernen</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>ermöglichen bzw. dieses bee<strong>in</strong>trächtigen.• Beurteilen Sie se<strong>in</strong>e Schlussfolgerungendaraus.
6. <strong>Lernen</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> Das Gehirn lernt immer. Unter Angst lernt man die Angst gleich mit. Auf e<strong>in</strong>e gute L-S-Beziehung kommt es an.( vgl. J. Bauer Auf Strukturen, die an Beispielen verdeutlichtwerden, nicht auf E<strong>in</strong>zelheiten kommt es an. Auf die aktive Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit den Inhaltenkommt es an. Auf Wie<strong>der</strong>holen und Üben kommt es an.
Kritik an Spitzer: Elsbeth Stern• Die Hirnforschung hat noch ke<strong>in</strong>e Ergebnisse hervorgebracht,„die uns zw<strong>in</strong>gen, Erkenntnisse <strong>der</strong> Unterrichtsforschungan<strong>der</strong>s zu sehen.“ (2004)• „Auch wenn es e<strong>in</strong>es Tages gelänge, alle<strong>in</strong> aus denneurophysiologischen Vorgängen im Gehirn auf die geistigenAktivitäten e<strong>in</strong>er Person zu schließen, wenn wir alsobeispielsweise aus dem, was ihre Nervenzellen tun, ablesenkönnten, dass sie sich gerade an <strong>der</strong> Rechenaufgabe"728 : 7 =" versucht, könnten Lehrer aus e<strong>in</strong>em solchenErgebnis alle<strong>in</strong> noch nichts darüber lernen, wie sie <strong>in</strong> ihrerKlasse die Grundrechenarten unterrichten sollten. Selbst diee<strong>in</strong>fachsten Lernvorgänge lassen sich nicht alle<strong>in</strong> aufHirnvorgänge reduzieren. Dies gilt um so mehr für schulisches<strong>Lernen</strong>, bei dem es um komplexes Wissen geht, das sich erstim kulturellen Kontext entwickelt hat.“ (2006)
7. Literatur‣ Mietzel, Gerd (2007 8 ), Pädagogische Psychologie des <strong>Lernen</strong>s und Lehrens.Gött<strong>in</strong>gen u.a.: Hofgrefe, S. 33-52 und 201-273.‣ Spitzer, Manfred, <strong>Lernen</strong>: Gehirnforschung und die <strong>Schule</strong> des Lebens,Heidelberg u.a: 2009 (=2002).‣ Wer macht die <strong>Schule</strong> klug? Streitgespräch mit M. Spitzer und Elsbeth Stern,<strong>in</strong>: Die Zeit, Nr. 28 vom 1. Juli 2004‣ Blakemore, Sarah-Jayne / Frith, Uta: Wie wir lernen: Was die Hirnforschungdarüber weiß. München: 2006 (Vorwort v. E. Stern)‣ Bauer, Joachim, Pr<strong>in</strong>zip Menschlichkeit – Warum wir von Natur auskooperieren. Hamburg: 2006‣ Ders. Lob <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> – Sieben Perspektiven für Schüler, Lehrer und Eltern.Hamburg: 2007