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Soziale Faktoren im Laufe der Kranken-Karriere Sommersemester ...

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SystematischesAnstaltshandeln:♦ Definition eines kollektiven,verbindlichen Tagesablaufs;♦ Standardisierung von Verfahrensweisen;♦ Typisierung von Personen;♦ relative Unpersönlichkeitvon Beziehungsformen,fehlende Int<strong>im</strong>itätDie zweite Traditionslinie führt zurück zum Militärlazarett,das die erste Organisation war, die unseremheutigen <strong>Kranken</strong>haus nahe kommt. Entwickelthat sich das Militärlazarett aus <strong>der</strong> Notwendigkeit,große Mengen an Verwundeten in kurzenZeiträumen zu versorgen und die Militärärzte,Feldscher genannt, waren eine früh spezialisierteArztgruppe. Aus dieser Tradition stammen dashierarchische Gefüge mit Ober- und Unterarzt und<strong>der</strong> erwartete Gehorsam <strong>der</strong> Patienten ebenso wiedie Merkmale des Anstaltshandelns. Die sozialeAsymmetrie zwischen Patienten und Personal isthier bereits angelegt.(Siegrist 1995:246)Das <strong>Kranken</strong>haus als Organisation hat mehrereZiele, die teilweise in Wi<strong>der</strong>spruch zu einan<strong>der</strong>stehen. Als Gemeinwohlorganisation hilft das <strong>Kranken</strong>haus ohne Ansehen <strong>der</strong> Personund Kosten, als Dienstleistungsorganisation erbringt es Leistungen auf einem Markt, alsArbeitgeber ist es für die ökonomische Sicherheit seiner Angestellten verantwortlich undals Geschäftsbetrieb rücken die Bilanzen des Wirtschaftens in den Vor<strong>der</strong>grund. Aufgrunddieser Zielkonflikte werden Phänomene <strong>der</strong> kognitiven Dissonanz bei Mitarbeiter-Innen in <strong>Kranken</strong>häusern begünstigt. Die verschiedenen, oft als berechtigt anerkanntenZiele, lassen sich nicht miteinan<strong>der</strong> vereinbaren. Unwohlsein und ein schlechtes Gewissenführen zum Bemühen, die wahrgenommene Diskrepanz zu verringern. Dies geschiehthäufig mit Hilfe von Abwehrmechanismen. Ein Abwehrmechanismus ist die Rationalisierung,d.h. es werden <strong>im</strong> Nachhinein „vernünftige“ Begründungen für best<strong>im</strong>mteVerhaltensweisen gefunden. Ein an<strong>der</strong>er Abwehrmechanismus ist die Projektion, welchedie Verantwortung für die Zielkonflikte an die Außenwelt verweist.Die Organisationszwänge bleiben auch für die Patienten nicht folgenlos. Der BegriffHospitalismus wurde von dem Sozialpsychologen René Spitz in Untersuchungen überdie Folgen einer He<strong>im</strong>unterbringung von Säuglingen und Kleinkin<strong>der</strong>n geprägt. Mangelndesoziale Beziehungen, wenig emotionale Zuwendung und eine reizarme Umgebungführen nach Spitz zu deutlichen psychischen Störungen <strong>der</strong> betroffenen Kin<strong>der</strong>.Ähnliche Phänomene werden auch bei Langzeitpatienten in <strong>der</strong> Psychiatrie beobachtet.In verän<strong>der</strong>ter Form lassen sich diese Gedanken auch auf Erwachsene in <strong>Kranken</strong>häusernanwenden. Aufgrund <strong>der</strong> Organisationszwänge des <strong>Kranken</strong>hauses wie begrenzteRückzugschancen, ständige Störbarkeit, Wartezeiten, kurzfristige Verän<strong>der</strong>ungen geplanterBehandlungen, Unterbrechungen laufen<strong>der</strong> Behandlungen, fehlende freie Wahldes Arztes, sind die Einflusschancen des Patienten gering. Dies trägt zur Entstehungvon drei Begleiterscheinungen <strong>der</strong> Hospitalisierung bei: <strong>der</strong> relativen psycho-sozialenEntwurzelung, <strong>der</strong> relativen Entpersönlichung und <strong>der</strong> relativen Infantilisierung.Psycho-soziale Entwurzelung bezeichnet den Verlust <strong>der</strong> sozialen Bezüge wie <strong>der</strong>Wohnung, <strong>der</strong> Familie, <strong>der</strong> gewohnten Aktivitäten, aber auch <strong>der</strong> bisherigen sozialenStellung des Patienten. Die relative Entpersönlichung hebt ab auf die Autonomie-Einschränkung und die Umdefinierung <strong>der</strong> sozialen Identität des Patienten, die durchdie verlangte Unterwerfung unter die Organisationszwänge erfolgt. Die relative Infantilisierungschließlich bezeichnet die krankheits- und organisationsbedingte Regression in19

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