prozessierende Einheit. „Wert und Preissind ein und das Selbe in verschiedenenPhasen der Existenz des <strong>Kapital</strong>s“ 33 , fasstAlan Freeman diesen Standpunkt zusammen.<strong>Das</strong> <strong>Marx</strong>sche Verfahren arbeitet indieser Interpretation also „succesivistisch“statt simultan, denn die Voraussetzungendes Produktionsprozesses sind nicht identischmit ihrem Resultat. <strong>Das</strong> Produktionsergebniskann nicht simultan mit demProduktionsprozess und seinen Voraussetzungenvorliegen, vielmehr findet einkausal-zeitförmiger Produktionsprozessstatt, in dessen Verlauf neben ProduktionsauchVerteilungsprozesse stattfinden. DerProduktionspreis markiert dann am Endeder Verwertungsbewegung den für die jeweiligenProduzenten realisierbaren„Gleichgewichtspreis“ 34 . <strong>Das</strong> Geld kommthier an zwei Stellen der Kausalkette insSpiel: Erstens beim Erwerb des konstantenbzw. des variablen <strong>Kapital</strong>s und zweitensbei der Realisierung des Produktionspreisesin der Zirkulationssphäre. Ein „Kostpreis-Irrtum“ ist hier also schlichtweg unmöglich,denn der „Wert“ der Elemente deskonstanten und variablen <strong>Kapital</strong>s ist dermonetäre Wert, der mit dem Erwerb derProduktions-Inputs (bzw. -Voraussetzungen)abgegolten wird. <strong>Das</strong>s diese Inputsde facto preisförmig vorliegen, betrifft abernach <strong>Marx</strong> nur die vorhergehendeProduktionsperiode und nicht die gegenwärtige.In der laufenden Periode hat aberein „vergangener Irrtum“ keinen Rückkoppelungseffekt– dies ist lediglich ein derbürgerlichen Neoklassik entlehnterGedanke. <strong>Marx</strong> hat eine neoklassischeInterpretation seiner Werttheorie aber ausdrücklichabgelehnt:„Denn wie auch der Kostpreis der Warevon dem Wert der in ihr konsumiertenProduktionsmittel abweichen mag, für den<strong>Kapital</strong>isten ist dieser vergangene(!) Irrtumgleichgültig. Der Kostpreis der Ware ist eingegebener, eine von seiner, des <strong>Kapital</strong>isten,Produktion unabhängige Voraussetzung(!),während das Resultat(!) seiner Produktioneine Ware ist, die Mehrwert enthält, also einenWertüberschuss über ihren Kostpreis„ 35 .Ein „Kostpreis-Irrtum“ ist also aus<strong>Marx</strong>ens Sicht gar nicht möglich, da „Voraussetzung“und „Resultat“ der Verwertungsbewegungdes <strong>Kapital</strong>s nicht ineins fallen. <strong>Marx</strong> wies selber im zweitenBand des „<strong>Kapital</strong>“ in seiner Kritik an demsubjektiven Werttheoretiker Bailey explizitdarauf hin,„dass Wert nur als <strong>Kapital</strong>wert oder<strong>Kapital</strong> fungiert, sofern er in den verschiedenenPhasen seines Kreislaufs, die keineswegscontemporary sind(!!!), sondern nacheinander(!!!)fallen, mit sich selbst identischbleibt und mit sich selbst verglichenwird“ 36 .Wird der „Wert“ bzw. „<strong>Kapital</strong>wert“ simultanistischoder „contemporary“ gefasst,verflüchtigt er sich logischerweise, dennmit den „verschiedenen Phasen seinesKreislaufs“ zerbricht die Identität undgleichzeitige Differenz von Wert- undPreisebene. Statt Wert und Preis alsMomente eines dialektischen, kausal-zeitförmigenKreislaufprozesses zu betrachten,werden sie durch einen bewegungslosen,undialektischen Dualismus auseinander gerissen.Die Problemstellung und MethodeBortkiewicz’ (bzw. Morishimas undSteedmans) ist also mit der <strong>Marx</strong>schenAnalyse des Produktions- und Zirkulationsprozessesüberhaupt nicht vereinbarund stellt folglich auch keine immanenteKritik, sondern eine radikale, neoklassischeUmformulierung <strong>Marx</strong>ens dar. Im Rahmeneiner kausal-zeitförmigen Betrachtungkann es keine zwei streng getrenntenBewertungssysteme „Wertebene“ bzw.„Preisebene“ geben, denn der Unterschiedzwischen Wert und Preis bezieht sich hierauf die jeweilige Stellung im Verwertungsprozess.„Werte“ sind hier Voraussetzungendes Produktionsprozesses, welcheselber quantitativ determiniert sind zuBeginn der Verwertungsbewegung und dieim Verlaufe des Produktionsprozesses keinerUmbewertung unterliegen. „Preise“sind Resultate des Produktionsprozessesund können erst am Beginn der nächstenProduktionsperiode als Voraussetzung gelten.Weil hier statt eines dualen Wert-Preis-Systems wie im zeitlosen Simultanmodellein zeitförmig-kausales Verständnis vorherrscht,welches an jedem Punkt der<strong>Kapital</strong>zirkulation die innere Verzahnungvon Wert- und Preisebene aufweist, wurdedieses Modell „Temporal Single System“(TSS) genannt.5<strong>Marx</strong> <strong>revisted</strong> ~ Probleme der neoklassischen <strong>Marx</strong>-Interpretationgrundrisse_18_2006<strong>Hans</strong>-<strong>Peter</strong> Büttnerseite_21
58. Für eine wertkritische Politische Ökonomiegeht also mit dem alten, neoklassisch deformierten<strong>Marx</strong>ismus ein ohnehin wenig erfolgreichesParadigma verloren, das für keine der zentralenwerttheoretischen Kategorien <strong>Marx</strong>ens eine sinnvolleVerwendung hat. Da die im neoricardianischenModell Werte (also Mengen abstrakter Arbeit) ausphysischen Gebrauchswerten (also „Mengen“ angewandterkonkreter Arbeit) abgeleitet werden, stelltsich neben der sich schon aus der Prozedur selbstergebenden Redundanz der Wertlehre auch dieFrage nach der sozialökonomischen Logik, die hinterdiesen mathematischen Fingerübungen steckt.Die <strong>Marx</strong>sche Werttheorie macht nämlich erst überdie Wertform die Tatsache zum Thema, dass „physischeMengen“ Arbeitsprodukte sind, in welchen sichüber den Tausch die Einheit der gesellschaftlichenArbeit Geltung verschafft. In einer kapitalistischenTauschökonomie sind reine interdependenteGebrauchswertstrukturen insofern Größen ohneWert- und Geldform, an denen die Formbestimmungendes kapitalistischen Produktionsprozesseskomplett vorbeigehen. Die über diese physischenMengen abgeleiteten „Arbeitswerte“ sind folglichauch keine „Werte“ im <strong>Marx</strong>schen Sinne, da sie jatechnologisch bestimmte Mengen „konkreter“Arbeit darstellen, und nicht abstrakte Arbeit im<strong>Marx</strong>schen Sinne der Realabstraktion des Tausches.Die <strong>Marx</strong>sche Werttheorie wurde somit im Gefolgeeiner Interpretation, die sich seit Bortkiewicz immerweiter von <strong>Marx</strong>ens Methode und seinemErkenntnisinteresse entfernte, als „redundant“ erklärt.Der „Redundanz“-Vorwurf bezieht sich aberauf nichts anderes als den neoklassisch interpretiertenund entstellten <strong>Marx</strong>.9. Dabei hat die Diskussion um Sraffa und denneoricardianisch interpretierten <strong>Marx</strong>ismus durchauseinige interessante Ergebnisse zu Tage gefördert.So konnte <strong>Hans</strong>-Georg Sprotte bereits 1978 ineinem kaum rezipierten Beitrag aufzeigen, dassselbst der Bortkiewicz- und der Sraffa-Algorithmusmit <strong>Marx</strong>ens Verfahren quantitativ übereinstimmen,wenn die Profitrate mit der Wachstumsrate gekoppeltwird 37 . Bei vollständigem Wachstum aller<strong>Kapital</strong>e sind nämlich Wachstums- und Profitrateidentisch. Wenn dies der Fall ist, verteilt sich derMehrwert automatisch proportional auf dieSystemkomponenten, so dass er in seiner Zusammensetzungmit der Zusammensetzung desGesamtkapitals identisch ist. <strong>Das</strong> „Normierungsproblem“wäre dann gelöst, denn wenn Mehrproduktund Gesamtprodukt in ihrer Struktur identischsind, kann die oben beschriebene Mess-Abweichung, die in Bortkliewicz’ Modell einfacherReproduktion auftritt, für den wachstumstheoretischenFall (der für <strong>Marx</strong> im Rahmen kapitalistischerProduktion ohnehin der einzig diskutable ist, wieSprotte herausstellt) nicht bestätigt werden.Abweichungen der Wertsumme von derPreissumme sind also nur möglich, wenn Profitrateund Wachstumsrate divergieren. Diesen Abweichungensind aber, wie Sprotte zeigt, Grenzengesetzt, die vom Fall vollständigen Wachstums ausquantitativ bestimmt werden können. Der<strong>Marx</strong>sche Algorithmus kann somit wachstumstheoretischnachhaltig gestützt werden. Für den Fall dereinfachen Reproduktion hat Reinhard Schaupeter1995 ein werttheoretisch fundiertes Verfahren derWert-Preis-Rechnung vorgelegt, das die quantitativenProportionalitäten zwischen den sektoralen<strong>Kapital</strong>en und dem Gesamtkapital, die sich beiExistenz einer Durchschnittsprofitrate zwangsläufigergeben, zur Formulierung eines neuenTransformations-Algorithmus nutzt 38 . BeiSchaupeter sind sämtliche Invarianzpostulate erfülltund auch Sektor 3 wird – anders als bei Bortkiewicz– in den Profitraten-Ausgleich einbezogen.Schaupeters Algorithmus ist somit Bortkiewicz’Verfahren weit überlegen 39 .Fritz Helmedag konnte 1992 in seiner Studie„Warenproduktion mittels Arbeit“ (und einer imAnschluss daran in den „Jahrbüchern fürNationalökonomie und Statistik“ entbranntenDebatte) nachweisen, dass die gesamte simultaneProduktionspreisrechnung neoricardianischerProvenienz in Frage gestellt ist, wenn wir dasPreissystem daraufhin überprüfen, ob es überhauptsinnvoll mit gesellschaftlicher Arbeitsteilung inEinklang zu bringen ist oder ob nicht Anreize zurvertikalen Integration der Fertigung vonVorprodukten entstehen. Mit der gewinnbringendenMöglichkeit des partiellen Ausstiegs aus derArbeitsteilung wäre der arbeitsteilige Gegenstandder (simultanen) Produktionspreistheorie dannkomplett verfehlt. Lediglich die reine Arbeitswertrechnungdes ersten Bandes des „<strong>Kapital</strong>“ unddie Existenz einer einheitlichen Mehrwertrate wärenals Konkurrenz zu den neoricardainischenModellen uneingeschränkt vereinbar mit gesellschaftlicherArbeitsteilung. Auch die nicht-simultaneWert-Preis-Rechnung der IWGVT fällt interessanterweisenicht unter die Paradoxien derBortkiewicz-Sraffa-Modelle. Somit kann ausHelmedags Sicht unter der strengen Voraussetzungeines Anreizes zu gesellschaftlicher Arbeitsteilungkonsistent die Redundanz der simultanenProduktionspreisrechnung und somit Bortkiewicz’und Sraffas aufgezeigt werden – ohne dass davon dasoriginäre, kausal-zeitförmige <strong>Marx</strong>sche Verfahrenbetroffen wäre. Die neoricardianische Kritik an derWerttheorie kann somit ihrerseits der Redundanzund Inkonsistenz überführt werden im Rahmen desvon ihr selbst postulierten simultanen Paradigmas.Auch die von Ian Steedman aufgezeigten<strong>Hans</strong>-<strong>Peter</strong> Büttnerseite_22<strong>Marx</strong> <strong>revisted</strong> ~ Probleme der neoklassischen <strong>Marx</strong>-Interpretationgrundrisse_18_2006