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Drama 01/11 - Theater in der Josefstadt

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<strong>in</strong>TerVieW<br />

6<br />

Sie mussten also <strong>in</strong>tensiv werben um den <strong>Drama</strong>tiker Turr<strong>in</strong>i?<br />

fÖTT<strong>in</strong>ger: es war e<strong>in</strong> richtiges r<strong>in</strong>gen, weil er anfangs wirklich<br />

nicht erfreut war über me<strong>in</strong>en Vorschlag. aber ich wollte das<br />

stück unbed<strong>in</strong>gt für me<strong>in</strong>en antritt als Direktor <strong>der</strong> <strong>Josefstadt</strong>.<br />

Die Uraufführung sollte etwas Programmatisches se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e neue<br />

<strong>Theater</strong>ära verheißen. Und so ließ ich nicht locker.<br />

Seitdem gehört zum Reformkurs, den Sie <strong>der</strong> <strong>Josefstadt</strong> verordnet<br />

haben, die regelmäßige Zusammenarbeit mit e<strong>in</strong>em<br />

lebenden Autor?<br />

fÖTT<strong>in</strong>ger: Unbed<strong>in</strong>gt. Und dass aus e<strong>in</strong>er künstlerischen<br />

Beziehung auch e<strong>in</strong>e freundschaft geworden ist, kann ich nur als<br />

geschenk bezeichnen. Turr<strong>in</strong>i beschenkt mich mit stücken, und<br />

ich versuche mich mit guten aufführungen zu revanchieren.<br />

Me<strong>in</strong> Bekenntnis zu lebenden autoren gilt aber nicht nur für ihn.<br />

Dieses haus wurde sehr lange von toten <strong>Drama</strong>tikern dom<strong>in</strong>iert,<br />

ich will es unbed<strong>in</strong>gt nach vorne katapultieren, <strong>in</strong> die gegenwart.<br />

TUrr<strong>in</strong>i: <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Beschreibung des ablaufes, ich liefere die<br />

stücke, und er versucht sie toll h<strong>in</strong>zukriegen, klafft e<strong>in</strong>e lücke.<br />

es ist ja nicht so, dass er vor <strong>der</strong> Übergabe<br />

des fertigen stückes nicht vorkommen<br />

würde. ganz im gegenteil,<br />

je länger wir uns kennen, je mehr Vertrauen<br />

<strong>in</strong> dieser Beziehung entstanden<br />

ist, desto mehr raum für se<strong>in</strong>e<br />

Mitgestaltungslust hat er sich erobert.<br />

Das bezieht sich nicht auf das geschriebene<br />

Wort, er hat noch nie e<strong>in</strong>en<br />

satz von mir umgedichtet. Würde<br />

er dies tun, ich würde mich sofort von<br />

ihm scheiden lassen. er stellt immer<br />

wie<strong>der</strong> fragen, er macht dauernd szenische<br />

Vorschläge. auch jetzt, bei <strong>der</strong><br />

erarbeitung <strong>der</strong> neuen fassung von »campiello«, wurde das<br />

schreiben von ständigen Diskussionen begleitet. Meistens am Telefon,<br />

und das sehr früh am Morgen und spät <strong>in</strong> <strong>der</strong> nacht.<br />

Was bedeutet es eigentlich für e<strong>in</strong>en Autor, e<strong>in</strong> Stammhaus<br />

zu haben, an dem er regelmäßig aufgeführt wird?<br />

TUrr<strong>in</strong>i: für mich sehr viel. es hängt nicht damit zusammen,<br />

dass ich ansonsten e<strong>in</strong>en Mangel an aufführungen hätte. Was<br />

mich froh macht, ist e<strong>in</strong> künstlerischer ort, an dem ich mich<br />

angenommen fühle. Das Dichten ist <strong>in</strong> Wahrheit e<strong>in</strong>e grausame<br />

angelegenheit, und man bef<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong>sam und alle<strong>in</strong> am<br />

nordpol, meistens ab 14 Uhr, bei arbeitsbeg<strong>in</strong>n. Bei dieser Qual,<br />

zu <strong>der</strong> man als schreiben<strong>der</strong> ke<strong>in</strong>e alternative hat, ist die Begleitung,<br />

die freundschaft, <strong>der</strong> zuspruch e<strong>in</strong>es <strong>Theater</strong>verbündeten<br />

sehr wichtig. ich brauche so etwas wie e<strong>in</strong>e Betriebszugehörigkeit.<br />

<strong>in</strong>zwischen kenne ich ja fast alle Techniker und sonstige<br />

Betriebsmitglie<strong>der</strong> persönlich. Und das schönste an dieser firma<br />

ist, dass <strong>der</strong> fött<strong>in</strong>ger, wie früher <strong>der</strong> Peymann, e<strong>in</strong>e fast erotische<br />

gier auf das frisch gedichtete hat.<br />

Was war nun das Interesse, die frühe Goldoni-Adaption<br />

»Campiello« zu br<strong>in</strong>gen?<br />

fÖTT<strong>in</strong>ger: ich kenne dieses stück schon lange und war von<br />

anfang an begeistert von dieser eigenartigen schar von Menschen,<br />

die da auf e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Platz am rande e<strong>in</strong>er stadt leben.<br />

ich habe mich verliebt <strong>in</strong> diese figuren, die Turr<strong>in</strong>i so völlig<br />

an<strong>der</strong>s beschreibt als goldoni. Turr<strong>in</strong>i schenkt diesen proletarischen<br />

Menschen se<strong>in</strong>e une<strong>in</strong>geschränkte zuwendung. er macht<br />

sie zu großen Persönlichkeiten, auch wenn sie dauernd goschert<br />

se<strong>in</strong>en frühen filmen wie »accatone« beschäftigt, <strong>in</strong> denen e<strong>in</strong><br />

ähnliches Thema behandelt wird. Pasol<strong>in</strong>i hat me<strong>in</strong>e Phantasie<br />

sehr angeregt und den entscheidenden ansatz für die »campiello«<strong>in</strong>szenierung<br />

geliefert.<br />

TUrr<strong>in</strong>i: nicht nur für die <strong>in</strong>szenierung! (lacht). Jetzt kriegen<br />

die leser dieses <strong>in</strong>terviews langsam e<strong>in</strong>e Vorstellung, wie die zusammenarbeit<br />

mit dem fött<strong>in</strong>ger konkret ausschaut. er ruft nächtens<br />

an, erzählt voller leidenschaft von »accatone« und sagt, wir<br />

müssen unbed<strong>in</strong>gt »campiello« machen. im grunde genommen<br />

so, wie ich ihn geschrieben habe, es würden sich nur e<strong>in</strong> paar<br />

fragen ergeben: Können wir das stück aus dem Jahr 1756 <strong>in</strong> das<br />

Jahr 1960 verlegen? Was bedeutet Proletariat heute?<br />

Fragen, die schließlich zu dieser Neufassung geführt haben,<br />

die jetzt gespielt wird?<br />

TUrr<strong>in</strong>i: am anfang habe ich immer das gefühl, dass se<strong>in</strong>e<br />

fragen und Vorschläge nicht zu viel arbeit bedeuten werden, nur<br />

e<strong>in</strong> paar neue sätze. aber dann häufen sich die Telefonate, die<br />

nächtlichen und die morgendlichen, und dem fött<strong>in</strong>ger fällt beispielsweise<br />

e<strong>in</strong>, dass die Beziehung <strong>der</strong><br />

Jugendlichen <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er alten fassung<br />

nicht mehr zeitgemäß sei. Die empf<strong>in</strong>det<br />

man heute wie bürgerliche roman-<br />

tiker, aber sie müssten doch proletarische<br />

geilheit ausstrahlen. Und so<br />

werden aus wenigen neuen sätzen etliche<br />

neue szenen und das, was man<br />

e<strong>in</strong>e neufassung nennt. Und glauben<br />

sie nicht, dass se<strong>in</strong> Ton am Telefon<br />

etwas mit <strong>der</strong> Verehrung zu tun hat,<br />

die er am anfang unserer Beziehung<br />

für den Dichter Turr<strong>in</strong>i empfunden<br />

hat. Der Mann ist e<strong>in</strong> choleriker, aufbrausend<br />

bis Mitternacht und darüber h<strong>in</strong>aus.<br />

fÖTT<strong>in</strong>ger: Jetzt ist es e<strong>in</strong> Uhr Mittag, und ich verhalte mich<br />

bei diesem <strong>in</strong>terview sehr gesittet. also, die alte Turr<strong>in</strong>i-fassung<br />

von »campiello« aus dem Jahre 1982 stellt drei ältere frauen <strong>in</strong><br />

den Mittelpunkt. auch sie hätten e<strong>in</strong> recht auf etwas glück und<br />

liebe, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em durchaus sexuellen s<strong>in</strong>n. <strong>in</strong> <strong>der</strong> neufassung verän<strong>der</strong>n<br />

sich die akzente: Der cavaliere, dieses missratene Millionärssöhnchen,<br />

macht se<strong>in</strong> böses spiel mit den Menschen vom<br />

»campiello«, um se<strong>in</strong>er langeweile zu entgehen. e<strong>in</strong> »großer«<br />

treibts mit den »Kle<strong>in</strong>en«, wie Me<strong>in</strong>l V. mit se<strong>in</strong>en Kle<strong>in</strong>anlegern.<br />

Die haben se<strong>in</strong>en glücksversprechungen geglaubt und ihm ihr<br />

erspartes gebracht. ich nehme wohl an, dass er sich mit dem<br />

ehemaligen f<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>ister auf <strong>der</strong> Yacht über die naivität und<br />

Dummheit solcher leute amüsiert hat. <strong>in</strong> dieser gesellschaft<br />

driften nicht nur arm und reich immer mehr ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, auch<br />

die juridische gerechtigkeit sche<strong>in</strong>t für höhere Klassen nicht zu<br />

gelten. Jetzt werde ich schon wie<strong>der</strong> cholerisch…<br />

Das <strong>in</strong>terview führte Lothar Lohs/bühne<br />

Campiello<br />

Peter Turr<strong>in</strong>i frei nach Carlo Goldoni<br />

Regie: Herbert Fött<strong>in</strong>ger<br />

Bühnenbild & Kostüme: Rolf Langenfass, Musik: Michael Rüggeberg<br />

Mit Daniela Golpash<strong>in</strong>, Andrea Händler, Sigrid Hauser,<br />

Therese Lohner, Silvia Meisterle, Gundula Rapsch,<br />

Stefano Bernard<strong>in</strong>/Roman Blumensche<strong>in</strong>, Ljubiša Lupo Grujĉić,<br />

André Pohl, Siegfried Walther, Mart<strong>in</strong> Zauner<br />

Neubauer<br />

Herbert<br />

premiere am 13. Jänner 2<strong>01</strong>1, TheaTer <strong>in</strong> <strong>der</strong> JosefsTadT<br />

und ord<strong>in</strong>är daherreden. ich habe mich auch mit Pasol<strong>in</strong>i und Foto

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