Staufner Dorfzeitung und amtliches Blatt September 2006 - Staufen
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Unseren Interview-PartnerInnen ist<br />
eines gemeinsam: Ihre Arbeit steht im<br />
Dienste der Ges<strong>und</strong>heit. Dieses hohe<br />
Gut, unsere körperliche <strong>und</strong> seelische<br />
Ges<strong>und</strong>heit, ist nicht nur ein Geschenk<br />
der Natur; sie will erhalten<br />
oder aber wenn nötig <strong>und</strong> möglich<br />
wiederhergestellt werden.<br />
Portrait<br />
Markus Landolt lebt mit seiner Frau <strong>und</strong><br />
zwei Töchtern in <strong>Staufen</strong>. Er ist Fachpsychologe<br />
FSP für Kinder- <strong>und</strong> Jugendpsychologie<br />
<strong>und</strong> arbeitet am Kinderspital<br />
Zürich. Als leitender Psychologe betreut<br />
er mit seinem Team Kinder <strong>und</strong> Eltern.<br />
Seine kleinen Patienten sind 0 bis 16<br />
Jahre alt, die grossen sind Eltern <strong>und</strong><br />
Grosseltern. Im Kinderspital sind zum Beispiel<br />
verunfallte, psychosomatisch oder<br />
chronisch kranke, zu früh geborene Kinder.<br />
Markus Landolt arbeitet vor allem mit<br />
psychisch traumatisierten Kindern <strong>und</strong> mit<br />
brandverletzten Kindern. Diese haben<br />
einen langen, schmerzhaften Spitalaufenthalt<br />
<strong>und</strong> müssen sich später mit Narben<br />
auseinandersetzen.<br />
Neben dieser patientenbezogenen Tätigkeit<br />
führt Herr Landolt wissenschaftliche<br />
Studien durch, ist Privatdozent an der Uni<br />
Zürich, betreut Doktoranden, hält Vorlesungen<br />
<strong>und</strong> ist seit kurzem auch Buchautor.<br />
Diese verschiedenen Arbeitsbereiche<br />
bereichern einander, der eine gleicht die<br />
Belastung des andern aus.<br />
Im Dienste der Ges<strong>und</strong>heit<br />
Ges<strong>und</strong>heit ist ein Geschenk – aber nicht nur...<br />
Ges<strong>und</strong>heit<br />
Ges<strong>und</strong>heit ist nicht einfach die Abwesenheit<br />
von Krankheit, sagt Markus Landolt.<br />
Die Ges<strong>und</strong>heit setzt sich aus drei<br />
Bereichen zusammen: dem körperlichen,<br />
seelischen <strong>und</strong> sozialen Wohlbefinden.<br />
Wenn ein Kind sich plötzlich verändert,<br />
Ess- oder Schlafstörungen hat, grosse<br />
Angst oder Verunsicherung zeigt, kann es<br />
sein, dass es Hilfe benötigt. Jedes Kind<br />
hat allerdings «schwierige» Phasen, manche<br />
muss <strong>und</strong> kann es selbst durchstehen<br />
<strong>und</strong> in anderen können die Eltern oder<br />
andere Bezugspersonen helfen. An jedem<br />
gelösten Problem wächst ein Kind, es<br />
wird selbstsicherer oder im Jargon: selbstkompetent.<br />
Beziehungen werden stärker<br />
<strong>und</strong> vertrauensvoller, wenn man gemeinsam<br />
eine Krise bewältigt hat. (Ein kleiner<br />
Hinweis an die Eltern: Eltern müssen nicht<br />
perfekt sein, Fehler sind erlaubt. Solange<br />
die Basis der Beziehung gut ist. So können<br />
auch Misstritte der Kinder besser verkraftet<br />
werden!)<br />
Nimmt aber ein Problem überhand,<br />
sodass das Kind <strong>und</strong>/oder sein Umfeld<br />
darunter leiden, besteht Handlungsbedarf.<br />
Die altersentsprechende Entwicklung darf<br />
nicht beeinträchtigt werden. Wenn ein<br />
Kind sich beispielsweise nur mit Wutausbrüchen<br />
mitteilen kann oder sich sozial<br />
zurückzieht, verpasst es ganz viel <strong>und</strong><br />
seine Entwicklung ist dadurch negativ<br />
beeinflusst.<br />
Hilfe<br />
Als erste Anlaufstelle von Hilfesuchenden<br />
empfiehlt Markus Landolt die Kinderärztin<br />
oder den Hausarzt. Oft kennen sie das<br />
Kind, seine Geschichte <strong>und</strong> Familie von<br />
klein auf <strong>und</strong> können die Situation richtig<br />
einschätzen. Es gibt sehr viele Angebote<br />
an Therapien <strong>und</strong> Beratungen, schulmedizinische,<br />
psychologische <strong>und</strong> andere.<br />
Fachleute können helfen, für jeden individuellen<br />
Fall das Richtige zu finden.<br />
Auch Lehrpersonen können vermitteln. Es<br />
gibt zudem Fachstellen, an die sich Eltern<br />
wenden können, beispielsweise den Kinder-<br />
<strong>und</strong> Jugendpsychiatrischen Dienst<br />
des Kantons in Aarau oder den kinder<strong>und</strong><br />
jugendpsychologischen Beratungsdienst<br />
in Lenzburg.<br />
Viele Therapiekosten übernimmt die<br />
Krankenkasse, <strong>und</strong> ganz wichtig: auch<br />
Scham- oder Versagensgefühle dürfen<br />
einem nicht davon abhalten, Hilfe zu<br />
suchen.<br />
10<br />
Familie<br />
Was kann vorbeugend erzieherisch für<br />
die psychische Ges<strong>und</strong>heit der Kinder<br />
getan werden? Markus Landolt weiss leider<br />
kein allgemein gültiges Rezept. Wer<br />
die Bücher von Remo Largo kennt, wurde<br />
in dieser Hinsicht auch schon enttäuscht.<br />
Bei den heutigen Eltern ist eine Verunsicherung<br />
zu spüren: die autoritäre Erziehung<br />
hat sich nicht bewährt, die «laissezfaire»-Haltung<br />
ist allerdings auch nicht erfolgreich<br />
– ein Mittelweg muss gef<strong>und</strong>en<br />
werden. Neben den gesellschaftlichen Tendenzen<br />
spielen auch die persönlichen Erlebnisse<br />
eine wichtige Rolle: es ganz anders<br />
machen als die Eltern, oder genau so gut.<br />
Viele Kurse, wie beispielsweise «Triple P»<br />
oder Gordon-Kurse, können gute Ideen<br />
<strong>und</strong> Ratschläge liefern, woran sich Eltern<br />
halten können.<br />
Ganz wichtig ist aber, die Personen in<br />
einer Familie als eigenständige Persönlichkeiten<br />
wahrzunehmen. Ihre Eigenheiten,<br />
Bedürfnisse, Ausdrucksweisen. Jedes<br />
Kind ist anders, ein ängstliches braucht<br />
Ermutigung <strong>und</strong> ein Wildfang braucht<br />
Grenzen. Die Stellung innerhalb der Familie<br />
spielt eine Rolle, ein ältestes Kind hat<br />
Pflichten, aber auch Privilegien. Erziehen<br />
ist keine einfache Arbeit: Ist eine Strategie<br />
gef<strong>und</strong>en, ist das Kind schon einen<br />
Schritt weiter. Und was beim einen Kind<br />
funktioniert, kann beim Geschwister das<br />
Gegenteil bewirken (Noch ein kleiner Hinweis<br />
an die Eltern: Perfekt sein ist gar<br />
nicht möglich!).<br />
Ein offenes Herz <strong>und</strong> ein offenes Ohr<br />
machen die Wärme in einer Familie aus.<br />
Kinder können auf ganz verschiedene<br />
Weise aufwachsen, können viele Hürden<br />
bewältigen, solange sie genug Liebe<br />
erfahren <strong>und</strong> sich von ihren inner- <strong>und</strong><br />
ausserfamiliären Bezugspersonen akzeptiert<br />
fühlen.<br />
s.t.<br />
Foto Mi<br />
Remo Largo<br />
Professor Remo Largo hat als Kinderarzt,<br />
Wissenschaftler <strong>und</strong> Buchautor<br />
das Verständnis von Kindern in der<br />
Gesellschaft massgeblich geprägt. Er<br />
leitete über 30 Jahre die Abteilung<br />
Wachstum <strong>und</strong> Entwicklung am Kinderspital<br />
Zürich. Seine Bücher sind Long<strong>und</strong><br />
Bestseller: «Babyjahre», «Kinderjahre»<br />
<strong>und</strong> «Glückliche Scheidungskinder».