Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie Interdisziplinäres <strong>Schmerz</strong>managementInterdisziplinäres <strong>Schmerz</strong>management Psychiatrie, Psychologie und PsychotheraPieDie Rolle der Serotonin- undNoradrenalin-Wiederaufnahmehemmerin der Co-AnalgesieEduard Dunzinger Abteilung für Psychiatrie, Kardinal Schwarzenberg´sches Krankenhaus, Schwarzach im Pongau16Über lange Zeit galten die trizyklischen Antidepressiva (TZA)als Goldstandard in der Co-Analgesie mit Antidepressiva.Die selektiven Serotonin- Wiederaufnahmehemmer (SSRI)sind im Gegensatz zu den Trizyklika besser verträglich, in der<strong>Schmerz</strong>behandlung aber nur wenig wirksam.Nach Markteinführung der Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI, dual wirksame Antidepressiva)zeigte sich, dass diese im Vergleich zu den Trizyklika inder <strong>Schmerz</strong>behandlung zumindest als gleichwirksam, aberviel besser verträglich anzusehen sind. Im Folgenden soll nunder Stellenwert dieser neuen Medikamente im Gesamtbehandlungskonzeptbeschrieben werden.therapeutische PrinzipienWie die Erfahrung in der Therapie chronischer <strong>Schmerz</strong>syndromegezeigt hat, muss eine psychopharmakologische Co-Analgesie gut in ein Gesamtbehandlungskonzept eingebettetsein. Dies beinhaltet nicht nur eine optimale <strong>Schmerz</strong>therapie,sondern auch eine subtile internistische und neurologischeDiagnostik sowie Therapie. Die Einbeziehung physiotherapeutischer,psychologischer und psychotherapeutischer Maßnahmensowie die Konsultation zusätzlicher Disziplinen (Neurochirurgie,Radiologie, Zahn- Mund- und Kieferheilkunde…)soll im interdisziplinären Gespräch indiziert werden.Warum Behandlung chronischer schmerzenmit antidepressiva?In einer Telefonumfrage in fünf europäischen Ländern wurdebei 16,5% der Gesamtbevölkerung mindestens ein depressivesSymptom festgestellt. 4% der Befragten erfüllten die Kriterienfür eine Major-Depression. 17,1% der Gesamtbevölkerung littan chronischen <strong>Schmerz</strong>syndromen. Bei den Menschen, diezumindest ein depressives Syndrom angaben, war die Rate anchronischen <strong>Schmerz</strong>en 27,6%, bei denen mit einer Major-Depression 43,4%.Depression und <strong>Schmerz</strong> weisen einige Gemeinsamkeiten inihrer Psychopathologie und Pharmakologie auf.Aufsteigende serotonerge Nervenbahnen aus den Nuclei Raphebeeinflussen Stimmung, Bewegung, Angst, Essverhalten, sexuelleAktivitäten und Lustgefühle. Aszendierende noradrenergeNeurone aus dem Locus Coeruleus beeinflussen Kognitionund Aufmerksamkeit sowie die Kontrolle der Bewegungen.Absteigende serotonerge und noradrenderge Bahnen inhibierenunter anderem <strong>Schmerz</strong>signale aus der Körperperipherieund den Eingeweiden. Während diese hemmenden Effektenormalerweise mäßiggradig ausgebildet sind, scheint es unterStressbedingungen sowie bei <strong>Schmerz</strong>en zu einer durchausbeträchtlichen Hemmung von <strong>Schmerz</strong>stimuli aus derPeripherie zu kommen.Eine Fehlfunktion absteigender und aufsteigender serotonergersowie noradrenerger Bahnen kann dann nicht nur zu depressivenSyndromen führen, sondern auch zur Aufrechterhaltungvon <strong>Schmerz</strong>syndromen.geschichtliche entwicklung der co-analgesiemit antidepressivaÜber viele Jahrzehnte hat sich der Einsatz von trizyklischenAntidepressiva wie Amitriptylin, Nortriptylin, Clomipraminund Desipramin vor allem in der Behandlung der diabetischenNeuropathie bewährt. Wenngleich diese Medikamente einesehr gute Wirksamkeit zeigen, ist ihr Einsatz auf Grund derzahlreichen Nebenwirkungen limitiert. Die volle Wirksamkeiterreichen Trizyklika meist erst in höheren Dosierungen, dieaber von multimorbiden Patienten nicht mehr vertragen werden.Vor allem bei cardiovaskulären Risikopatienten ist derEinsatz der mit hohem anticholinergen Nebenwirkpotentialbehaftenden Trizyklika als problematisch anzusehen. Nebender Störung der Erregungsleitung des Herzens und orthostatischerHypotension kommt es zur Gewichtszunahme. Oftwerden Delirien induziert, es kommt im Weiteren zu Darmträgheit,Harnverhalten, Mundtrockenheit, Sehstörungen undnicht selten zu epileptischen Anfällen. Bei Menschen im fortgeschrittenenAlter führen Trizyklika zur Einschränkung derKognition.Trizyklika erfordern eine sehr subtile Dosistitration, oft ermöglichterst der Einsatz von Retard-Präparaten das Erreicheneiner ausreichend wirksamen Dosis.Problematisch ist bei den Trizyklika neben der Toxizität auchdie geringe therapeutische Breite anzusehen, immer wiederwerden Trizyklika auch als Suizidmittel verwendet.Neben einer genauen Aufklärung über die Indikation, das Nebenwirkungs-bzw. Wechselwirkungsprofil ist eine langsameDosistitration notwendig. Besonders kann eine gute Arzt-Patientenbeziehung dann die Therapieadhärenz erhöhen.Die tetrazyklischen Antidepressiva (Maprotilin, Mianserin)zeigen eine geringere Toxizität und etwas günstigere Nebenwirkungsprofile.Maprotilin ist wegen der anticholinergen Nebenwirkungenbei cardiovaskulären Risikopatienten nach wievor mit Vorsicht einzusetzen. Unter Mianserin wurde in Einzelfälleneine Störung der Granulozyten-Neubildung gesehen.Mit Einführung der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer(Fluoxetin, Citalopram, Paroxetin und Sertralin)kamen erstmals gut verträgliche Antidepressiva auf den Markt.Bedauerlicherweise zeigte die klinische Erfahrung, dass derco-analgetische Effekt dieser Medikamentenklasse äußerst bescheidenist. Nur in Einzelfällen zeigte sich eine Kombinationvon SSRI mit dem sedierenden und noradrenerg wirksamenMianserin als gut schmerzlindernd bei geringem Nebenwirkungspotential.1
Psychiatrie, Psychologie und PsychotherapiePsychiatrie, Psychologie und PsychotheraPie Interdisziplinäres <strong>Schmerz</strong>managementInterdisziplinäres <strong>Schmerz</strong>management2Erst mit der Einführung der dualen Antidepressiva mit ihremdeutlich günstigeren Neben- bzw. Wechselwirkungsprofilstehen Substanzen zur Verfügung, die mit den trizyklischenAntidepressiva in ihrer Wirksamkeit vergleichbar sind.VerschreibungsmodalitätenIn Österreich ist nur Milnacipran (Ixel®) in der „grünen Box“erstattungspflichtig. Die beiden anderen Präperate Venlafaxin(Efectin®, Efectin ER®) sowie Duloxetin (Cymbalta®)sind Medikamente in der „gelben Box“. Die Verschreibungdieser Präparate ist nur dann gestattet, wenn mit Therapiealternativenaus dem „grünen Bereich“ kein Auslangen gefundenwerden konnte. Im Übrigen sind in Österreich die dualwirksamen Antidepressiva nur in der Indiktion Depressionzugelassen, eine Zulassung für die Indikation „chronischer<strong>Schmerz</strong>“ besteht derzeit nicht. Aus diesem Grunde ist esbesonders wichtig, die Indikation der SNRI besonders genauzu dokumentieren. Hierzu kann sicherlich auch die Einbeziehungdes Facharztes für Psychiatrie/Neurologie dienen.Vergleich der drei dual wirksamenantidepressiva (snri)Derzeit gibt es noch keine ausreichenden Vergleichsstudiender drei Medikamente untereinander. Es gibt jedoch zu allendrei SNRI Vergleichsstudien mit SSRI. In diesen zeigen sicheine zumindest gleich gute Wirksamkeit und ein im Wesentlichenähnliches Nebenwirkungsspektrum. Lediglich Schlafstörungen,verstärkte Transpiration und Mundtrockenheitscheinen bei SNRI häufiger vorzukommen. Letztere ist auf diezusätzliche noradrenerge Wirksamkeit zurückzuführen undist im Wesentlichen mit einer erhöhten Sympathikus-Aktivitätvergleichbar.Venlafaxin (Efectin®, Efectin ER®)Als erstes duales Antidepressivum stand diese Substanz anfangsnur in unretardierter Form zur Verfügung. Um Nebenwirkungenwie Übelkeit, Schwindel, Schlafprobleme sowie verstärkteTranspiration gering zu halten, sollte das Medikament inseiner Dosis langsam titriert werden. In einer Gesamttagesdosisvon unter 150 mg agiert Venlafaxin noch nicht noradrenerg, hatalso eine Wirkung wie ein SSRI. Da das Medikament unretardiertin höherer Dosierung schlechter vertragen wird, kam eszur Entwicklung der retardierten Darreichungsform Efectin ER®. Erst in dieser Präparation kann das Medikament ausreichendhoch dosiert werden. In einer Dosis von 225 mg kann Venlafaxinseine Wirksamkeit bei peripherer Polyneuropathie auch imVergleich zu den Trizyklika gut unter Beweis stellen. In offenenStudien gab es auch Hinweise für eine Wirksamkeit bei Fibromyalgie,allerdings konnte dies in einer Plazebo-kontrolliertenStudie nicht bestätigt werden. Eindrucksvoll kann Venlafaxinvor allem seine antidepressive Wirksamkeit unter Beweis stellen,die Remissionsraten sind wesentlich höher als unter SSRI.Neben den oben genannten SNRI-typischen Nebenwirkungenist bei hochdosierter Venlafaxingabe besonders auf das Auftreteneiner arteriellen Hypertonie zu achten (bei 13% derPatienten mit einer Tagesdosis von größer als 300 mg). BeiHochdosis sollten außerdem engmaschige EKG-Kontrollenerfolgen, da Verbreiterungen des QRS-Komplexes, Tachyarrhythmienund Verlängerungen der QTc-Zeit auftreten können(Natriumkanalblockade?)Milnacipran (Ixel®)Die Substanz steht in Kapselform in Dosen von 25 und50 mg zur Verfügung, es empfiehlt sich auch hier einelangsame Dosistitration. Die Erfahrung zeigt, dass bei„empfindlichen Patienten“ die klassischen Nebenwirkungenwie Übelkeit, Schlafstörungen und Mundtrockenheit bereitsbei einer Tagesdosis von 100 mg auftreten. Wird eine Tagesdosisvon 100 mg vertragen, ist bei einer Dosiserhöhung auf200 mg pro Tag mit keinen weiteren Nebenwirkungen mehr zurechnen. Das Medikament sollte jeweils morgens und mittags(spätestens am frühen Nachmittag) eingenommen werden, umdie Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Schlafstörungen zuminimieren. Ebenso wie Venlafaxin kann Milnacipran seineco-analgetische Wirkung am besten in höherer Dosierungentfalten. Gute Studiendaten liegen für den Einsatz beiFibromyalgie bzw. myofaszialen <strong>Schmerz</strong>syndromen vor.Einzelfallstudien berichten über eine gute Wirksamkeit beiPost-Zoster-Neuralgie, degenerativen Wirbelsäulenschmerzsyndromenund Zungenschmerzen (Glossodynie).Vorteilhaft ist vor allem bei Patienten, bei denen eine Polypharmazieunvermeidlich ist, dass das Medikament nicht überdas Zytochrom P450 – Enzymsystem der Leber metabolisiertwird. Da es in Österreich als einziges der dualen Antidepressivain der „grünen Box“ erstattet wird, steht es frühzeitig alspotentes Co-Analgetikum zur Verfügung.Duloxetin (Cymbalta®)Dieses Medikament wurde als letzter SNRI in Österreich amMarkt platziert, es steht in Kapseln zu 30 und 60 mg zur Verfügung.Schon frühzeitig zeigten sich die guten co-analgetischenEigenschaften, es liegen daher zahlreiche Studien vor,die eine gute Beeinflussung körperlicher Symptome (u.a. auch<strong>Schmerz</strong>en) bei Depression dokumentieren. In einer Studie,bei der depressive Patienten ausgeschlossen waren, konntedie gute Wirksamkeit bei Rückenschmerzsyndromen gezeigtwerden. Aber auch zahlreiche Studien an Patienten, die neben<strong>Schmerz</strong>syndromen auch an einer Depression litten, zeigtendie Wirksamkeit des Medikaments. Diese ist bei Polyneuropathie,<strong>Schmerz</strong>en des Bewegungsapparats und Fibromyalgie gutdurch Studien belegt.Vorteilhaft ist, dass eine Umstellung von SSRI direkt erfolgenkann. In den Dosisfindungsstudien konnte zumeist problemlosauf 60 mg Duloxetin eingestellt werden. Bei 36% der Patiententrat bei Umstellung eine milde bis mäßige Übelkeit auf,die durch gleichzeitige Einnahme von Nahrung reduziert werdenkonnte. Nur in 2% war die Übelkeit ausgeprägt (z.T. mitErbrechen). Sollte sich die Einstellung auf das Medikament alsproblematisch erweisen, empfiehlt sich ein Beginn mit 30 mgzum Frühstück (Zeit bis zum Eintritt des maximalen Serumspiegelsverlängert sich durch die Mahlzeit, die Absorption desPräparats ist um etwa 11 % verringert). Im Weiteren erfolgt dieAufdosierung auf 60 mg, dann sollte das Medikament nach Erreicheneiner guten Verträglichkeit ohne Nahrung eingenommenwerden.Als weitere Nebenwirkungen sind Mundtrockenheit, Obstipationsowie Schlafstörungen zu nennen, die aber in keinemFall das Ausmaß wie bei trizyklischen Antidepressiva erreichte.In Einzelfällen muss bei nicht ausreichender co-analgetischerWirkung eine Dosiserhöhung auf 90 oder 120 mg vorgenommenwerden, wobei diese Dosen von den Behörden (FDA,EMEA) nicht zugelassen wurden.17