165 Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Leserinnen und Leser,

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Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Leserinnen und Leser, „Datenschutz – gab’s das mal, gibt’s das noch?“ könnte man sich angesichts eruptiver Erschütterungen in bekannten deutschen Großunternehmen fragen. Aber bei der Antwort bleibt kaum mehr als ein Achselzucken. Sicher, die persönlichen Daten auch von Arbeitnehmern, deren informationelles Selbstbestimmungsrecht, sind ein hohes Gut und angesichts der – überaus reizvollen – Möglichkeiten, die technische Entwicklungen innerhalb sich stetig verkürzender Zeiträume zulassen, bekommt der Schutz vor Miss- und Fehlgebrauch immer größere Bedeutung. Wie stark darf ein Arbeitgeber mit den ihm zwangsläufig zur Verfügung stehenden Daten jonglieren? Namen, Adressen, Geburtstag und -ort, Bankverbindungen, Fehlzeiten, Kinder und weitere Angehörige, Einkommen, Leistungsauswertung, bei Ärzten beispielsweise ihre OP-Erfolgs- bzw. Misserfolgsstatistik, ... alles Daten, die mittlerweile fast jeder Arbeitgeber auf Tastendruck abruft – das allein reicht locker für jedes screening: Nacktsein ist nichts dagegen. Zweifellos, es gibt berechtigte Interessen: Vermeidung von Diebstählen und Unterschlagung, Korruptionsbekämpfung, effiziente Arbeitsabläufe – wollen wir auf die technischen Errungenschaften verzichten und wieder zur Handarbeit übergehen? Selbst wenn wir schützen wollten, können wir es überhaupt noch? Auslandsüberweisungen über Swift werden bereits seit Jahren in den USA ausgewertet – da gibt’s kein Mitspracherecht. Daten im Netz – verniedlichend: clouds – sind nicht mehr lokalisierbar, damit auch nicht rückrufbar. Territoriale Regelungen wären allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein. Internetfreaks, nicht nur auf der anderen Seite des Globus, lachen sich scheckig. Das Thema ist nicht neu: 1997 hat das BAG den Gesetzgeber gemahnt, seiner Aufgabe nachzukommen und längst überfällige Regelungen zum Arbeitnehmerdatenschutz zu verabschieden (Beschluss vom 11.11.1997 – 1 ABR 21/97 – AP BDSG § 36 Nr. 1); 2003 wurde erinnert, aber es geschah weiter nichts (s. Horst Thon, in: FS zum 25-jährigen Bestehen der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht, 2005, S. 1373 ff.). Aufgerüttelt durch die Datenskandale zu Beginn diesen Jahres hat der Bundestag am 3.7.2009, also auf den letzten Drücker vor Ablauf der Legislaturperiode, mit dem Gesetz zur Änderung datenschutzrechtlicher Vorschriften umfangreiche Änderungen im Datenschutzrecht verabschiedet, die zum 1.9. 2009 in Kraft getreten sind. Für Arbeitsrechtler interessant ist vor allem der neue § 32 BDSG, der einen allgemeinen Rahmen zum Umgang mit Arbeitnehmerdaten vorgibt. Ein eigenständiges ArbeitnehmerdatenschutzG soll – und kann – nach dem Willen des Gesetzgebers damit nicht entbehrlich werden. Ob ein ArbeitnehmerdatenschutzG in der heutigen Zeit zur Sicherung von Persönlichkeitsrechten und Menschenwürde noch reicht, ob man nicht vielleicht einen Paradigmenwechsel von dem immer nur partiellen Schutz hin zu einer positiven Anwendungsgestaltung vornimmt, wird hoffentlich gründlich, aber schnell gedacht werden. Es bleibt jedenfalls spannend: Persönlichkeitsrechte im Arbeitsleben – quo vadis? Zu berichten wäre über das Europarechtliche Symposion im Bundesarbeitsgericht am 14. und 15. Mai, u.a. mit einem viel beachteten, sehr sympathischen 03/09 Editorial 165

<strong>Liebe</strong> <strong>Kolleginnen</strong> <strong>und</strong> <strong>Kollegen</strong>,<br />

<strong>liebe</strong> <strong><strong>Leser</strong>innen</strong> <strong>und</strong> <strong>Leser</strong>,<br />

„Datenschutz – gab’s das mal, gibt’s das noch?“ könnte man sich angesichts<br />

eruptiver Erschütterungen in bekannten deutschen Großunternehmen fragen.<br />

Aber bei der Antwort bleibt kaum mehr als ein Achselzucken. Sicher, die<br />

persönlichen Daten auch von Arbeitnehmern, deren informationelles Selbstbestimmungsrecht,<br />

sind ein hohes Gut <strong>und</strong> angesichts der – überaus reizvollen<br />

– Möglichkeiten, die technische Entwicklungen innerhalb sich stetig<br />

verkürzender Zeiträume zulassen, bekommt der Schutz vor Miss- <strong>und</strong> Fehlgebrauch<br />

immer größere Bedeutung. Wie stark darf ein Arbeitgeber mit den ihm<br />

zwangsläufig zur Verfügung stehenden Daten jonglieren? Namen, Adressen,<br />

Geburtstag <strong>und</strong> -ort, Bankverbindungen, Fehlzeiten, Kinder <strong>und</strong> weitere Angehörige,<br />

Einkommen, Leistungsauswertung, bei Ärzten beispielsweise ihre<br />

OP-Erfolgs- bzw. Misserfolgsstatistik, ... alles Daten, die mittlerweile fast jeder<br />

Arbeitgeber auf Tastendruck abruft – das allein reicht locker für jedes<br />

screening: Nacktsein ist nichts dagegen. Zweifellos, es gibt berechtigte Interessen:<br />

Vermeidung von Diebstählen <strong>und</strong> Unterschlagung, Korruptionsbekämpfung,<br />

effiziente Arbeitsabläufe – wollen wir auf die technischen Errungenschaften<br />

verzichten <strong>und</strong> wieder zur Handarbeit übergehen? Selbst wenn<br />

wir schützen wollten, können wir es überhaupt noch? Auslandsüberweisungen<br />

über Swift werden bereits seit Jahren in den USA ausgewertet – da<br />

gibt’s kein Mitspracherecht. Daten im Netz – verniedlichend: clouds – sind<br />

nicht mehr lokalisierbar, damit auch nicht rückrufbar. Territoriale Regelungen<br />

wären allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein. Internetfreaks, nicht nur<br />

auf der anderen Seite des Globus, lachen sich scheckig.<br />

Das Thema ist nicht neu: 1997 hat das BAG den Gesetzgeber gemahnt, seiner<br />

Aufgabe nachzukommen <strong>und</strong> längst überfällige Regelungen zum Arbeitnehmerdatenschutz<br />

zu verabschieden (Beschluss vom 11.11.1997 – 1 ABR 21/97 –<br />

AP BDSG § 36 Nr. 1); 2003 wurde erinnert, aber es geschah weiter nichts<br />

(s. Horst Thon, in: FS zum 25-jährigen Bestehen der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht,<br />

2005, S. 1373 ff.). Aufgerüttelt durch die Datenskandale zu Beginn<br />

diesen Jahres hat der B<strong>und</strong>estag am 3.7.2009, also auf den letzten Drücker<br />

vor Ablauf der Legislaturperiode, mit dem Gesetz zur Änderung datenschutzrechtlicher<br />

Vorschriften umfangreiche Änderungen im Datenschutzrecht verabschiedet,<br />

die zum 1.9. 2009 in Kraft getreten sind. Für Arbeitsrechtler interessant<br />

ist vor allem der neue § 32 BDSG, der einen allgemeinen Rahmen<br />

zum Umgang mit Arbeitnehmerdaten vorgibt. Ein eigenständiges ArbeitnehmerdatenschutzG<br />

soll – <strong>und</strong> kann – nach dem Willen des Gesetzgebers damit<br />

nicht entbehrlich werden. Ob ein ArbeitnehmerdatenschutzG in der heutigen<br />

Zeit zur Sicherung von Persönlichkeitsrechten <strong>und</strong> Menschenwürde noch<br />

reicht, ob man nicht vielleicht einen Paradigmenwechsel von dem immer nur<br />

partiellen Schutz hin zu einer positiven Anwendungsgestaltung vornimmt,<br />

wird hoffentlich gründlich, aber schnell gedacht werden. Es bleibt jedenfalls<br />

spannend: Persönlichkeitsrechte im Arbeitsleben – quo vadis?<br />

Zu berichten wäre über das Europarechtliche Symposion im B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

am 14. <strong>und</strong> 15. Mai, u.a. mit einem viel beachteten, sehr sympathischen<br />

03/09<br />

Editorial<br />

<strong>165</strong>


Editorial<br />

166 03/09<br />

<strong>und</strong> die Rechtsprechung des EuGH nahebringenden Vortrag von Prof. Dr.<br />

Vassilios Skouris, Präsident des EuGH, über das Verhältnis der Gr<strong>und</strong>freiheiten<br />

zu den Gemeinschaftsrechten. Auch zu berichten wäre über ein Treffen von<br />

Richterinnen <strong>und</strong> Richtern des BAG mit den Mitgliedern des Arbeitsrechtsausschusses<br />

<strong>und</strong> des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft<br />

Arbeitsrecht im DAV, das neben Fachgesprächen doch auch einige interessante<br />

Spiegelungen anwaltlicher Tätigkeit aus richterlicher Sicht ermöglichte.<br />

Allein, der Umfang der AE zwingt zur beschränkenden Auswahl: Zu bearbeiten<br />

waren wieder zahlreiche von <strong>Kollegen</strong> eingereichte Entscheidungen insbesondere<br />

der Instanzgerichte. Besonders verdienstvoll die Aufarbeitung der<br />

Rechtsprechung zum Deckungsschutz von Rechtsschutzversicherungen für<br />

außergerichtliche anwaltliche Vertretung nach Ausspruch einer Kündigung<br />

durch Christian Nohr – das „kleine Begleitschreiben“, mit dem die Entscheidung<br />

Nr. 353 übersandt wurde, durfte nicht untergehen <strong>und</strong> wird im Aufsatzteil<br />

geadelt. Auch wieder RSV: Auseinandersetzung über den Streitwert bei<br />

angekündigter Kündigung – Nathalie Oberthür setzt sich damit auseinander.<br />

Es ist notwendig, sich auch „nach getaner Arbeit“ weiter zu streiten, nämlich<br />

über den richtigen Streitwert <strong>und</strong> damit die angemessene Vergütung. Ein<br />

Blick in das Kapitel Streitwert <strong>und</strong> Gebühren im Entscheidungsteil der AE gibt<br />

Hilfestellung.<br />

Die Debatte über Mindestlöhne kann mit einem Sachverhalt, wie er der<br />

Entscheidung Nr. 247 zugr<strong>und</strong>e liegt, neu befruchtet werden. Bei der Lektüre<br />

kann der Praktiker leicht eine Vorstellung davon entwickeln, welche<br />

anwaltliche Herkulesarbeit – bei nicht aufwandsangemessenem Streitwert –<br />

zu erbringen war, um diese Entscheidung zu ermöglichen. Chapeau!<br />

Das Leben ist bunt, wie der Strauß der hier vorgelegten Entscheidungen.<br />

Ich wünsche Ihnen viele Erkenntnisse, aber auch nicht weniger Spaß bei der<br />

Lektüre von immerhin 113 neuen Entscheidungen.<br />

Mögen sie Ihnen nützen!<br />

Leipzig, September 2009<br />

Ihr<br />

Roland Gross<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht


Inhaltsverzeichnis<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Einsenderliste 168<br />

Aufsatz<br />

Dr. Nathalie Oberthür: Neuer Vorstoß der Rechtsschutzversicherer – Streit um den Streitwert<br />

bei angekündigter Kündigung 169<br />

Beitrag<br />

Christian Nohr: Rechtsschutzversicherung: Anspruch auf Deckungsschutz für außergerichtliche Tätigkeit<br />

nach Zugang einer Kündigung (Rechtsprechungsübersicht) 171<br />

Inhaltsverzeichnis der Entscheidungen<br />

Entscheidungen 175<br />

Allgemeines Vertragsrecht 175<br />

Betriebsverfassungsrecht/Personalvertretungsrecht 197<br />

Tarifrecht 228<br />

Bestandsschutz 241<br />

Prozessuales 265<br />

Sonstiges 272<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren 289<br />

Rezensionen<br />

Besgen/Prinz: Handbuch Internet.Arbeitsrecht 295<br />

Schmidt: Schwerbehindertenarbeitsrecht 295<br />

Bauer/Diller: Wettbewerbsverbote – Rechtliche <strong>und</strong> taktische Hinweise für Arbeitgeber,<br />

Arbeitnehmer <strong>und</strong> vertretungsrechtliche Organmitglieder 296<br />

Klemm/Kornbichler/Löw/Ohmann-Sauer/Schwarz/Ubber: Beck’sches Formularbuch Arbeitsrecht 296<br />

Bauer/Göpfert/Hausmann/Krieger: Umstrukturierung, Handbuch für die arbeitsrechtliche Praxis 296<br />

Gross/Thon/Ahmad/Woitaschek: BetrVG – Kommentar zum Betriebsverfassungsgesetz 297<br />

Impressum 294<br />

Stichwortverzeichnis 298<br />

03/09<br />

Seite<br />

167


Liste der AE-Einsender<br />

Liste der AE-Einsender<br />

AE kann ihr Informationsziel nur erreichen, wenn möglichst viele Entscheidungen aus der Mitgliedschaft der Arbeitsgemeinschaft<br />

Arbeitsrecht im DAV kommen. Wir nennen daher hier regelmäßig mit Dank <strong>und</strong> Lob diejenigen, die sich um die AE besonders<br />

verdient gemacht haben.<br />

Berrisch Hansjörg Gießen<br />

Mansholt Werner Darmstadt<br />

Graumann Ingo Iserlohn<br />

Höser, Dr. Jürgen Frechen<br />

Kelber, Dr. Markus Berlin<br />

Lodzik Michael Darmstadt<br />

Neef, Dr. Klaus Hannover<br />

Bauer Dietmar Wiehl<br />

Bauer Bertram Ansbach<br />

Behrens Walter Hamburg<br />

Brötzmann, Dr. Ulrich Mainz<br />

Dribusch Bernhard Detmold<br />

Faecks Friedhelm Marburg<br />

Franzen Klaus-Dieter Bremen<br />

Geus Franz Schweinfurt<br />

Gosda Ralf Ahlen<br />

Gravenhorst, Dr. Wulf Düsseldorf<br />

Gussen, Dr. Heinrich Rheda-Wiedenbrück<br />

Heinemann Bernd St. Augustin<br />

Hertwig, Dr. Volker Bremen<br />

Hilligus Kurt-Jörg Neustadt i.Holst.<br />

Jung Nikolaus Oberursel<br />

Koch, Dr. Friedemann Berlin<br />

Krutzki Gottfried Frankfurt a.M.<br />

Böse Rainer Essen<br />

Beckmann Paul-Werner Herford<br />

Clausen Dirk Nürnberg<br />

Crämer Eckart Dortm<strong>und</strong><br />

Daniels Wolfgang Berlin<br />

Eckert, Dr. Helmut Offenbach<br />

Fischer Ulrich Frankfurt/Main<br />

Fromlowitz Horst Essen<br />

Gehrmann Dietrich Aachen<br />

Goergens Dorothea Hamburg<br />

Grimm, Dr. Detlev Köln<br />

Heimann Marco Cham<br />

Hennige, Dr. Susanne Gütersloh<br />

Herbert, Dr. Ulrich Coburg<br />

Hesse, Dr. Walter Berlin<br />

Hjort Jens Hamburg<br />

Keller Thomas München<br />

Kern Jan H. Hamburg<br />

Krafft Alexander Öhringen<br />

Krügermeyer-<br />

Kalthoff Rolf Köln<br />

Kühn Stefan Karlsruhe<br />

Kunzmann, Dr. Walter Euskirchen<br />

168 03/09<br />

Einsender mit mehr als 40 Entscheidungen<br />

Einsender mit mehr als 20 Entscheidungen<br />

Einsender mit mehr als 10 Entscheidungen<br />

Einsender mit 5 – 9 Entscheidungen<br />

Puhr-Westerheide Christian Duisburg<br />

Schrader, Dr. Peter Hannover<br />

Schmitt Jürgen Stuttgart<br />

Seidemann, Dr. Gisbert Berlin<br />

Tschöpe, Dr. Ulrich Gütersloh<br />

Zeißig, Dr. Rolf Berlin<br />

Lampe, Dr. Christian Berlin<br />

Matyssek Rüdiger Ratingen<br />

Müller-Knapp Klaus Hamburg<br />

Müller-Wiechards Wolfram Lübeck<br />

Peter Michael Bad Honnef<br />

Rütte Klemens Hamm<br />

Schaefer Rolf Hannover<br />

Schmalenberg, Dr. Werner Bremen<br />

Schramm Joachim Lübbecke<br />

Schulz, Dr. Georg R. München<br />

Sparla Franz Aachen<br />

Straub, Dr. Dieter München<br />

Thiele Volker Düren<br />

Weber Axel Frankfurt/M.<br />

Weberling, Prof. Dr. Johannes Berlin<br />

Zahn Thomas Berlin<br />

Link Jochen Villingen<br />

Matissek Reinhard Kaiserslautern<br />

Müller Steffen Iserlohn<br />

Pauly, Dr. Stephan Bonn<br />

Pouyadou, Dr. Richard M. Augsburg<br />

Preßer Wolfgang Neunkirchen<br />

Pütter, Dr. Albrecht Flensburg<br />

Richter Klaus Bremen<br />

Richter, Dr. Hanns-Uwe Heidelberg<br />

Schäder, Dr. Gerhard München<br />

Schäfer Dieter Essen<br />

Schipp, Dr. Johannes Gütersloh<br />

Schwirtzek, Dr. Thomas Berlin<br />

Striegel Bernhard Kassel<br />

Struckhoff Michael H. München<br />

Sturm Joachim Bottrop<br />

Theissen-<br />

Graf Schweinitz Ingo Hagen<br />

Thieme Hans Frankfurt/M.<br />

Thon Horst Offenbach<br />

Vrana-Zentgraf Silke Darmstadt<br />

Zirnbauer Ulrich Nürnberg


Neuer Vorstoß der Rechtsschutzversicherer – Streit um den<br />

Streitwert bei angekündigter Kündigung<br />

Rechtsanwältin Dr. Nathalie Oberthür, Fachanwältin für Arbeits- <strong>und</strong> Sozialrecht, Köln<br />

Mit Urteil vom 19.11.2008 1 hatte der B<strong>und</strong>esgerichtshof die<br />

Eintrittspflicht der Rechtsschutzversicherer auch für die noch<br />

nicht ausgesprochene, sondern nur angekündigte Kündigung<br />

bestätigt <strong>und</strong> damit eine langjährige Streitfrage zwischen Anwälten<br />

<strong>und</strong> Rechtsschutzversicherer geklärt. Die AE hat in Heft<br />

01/2009 (Nr. 107) auf diese Entscheidung hingewiesen; die<br />

dort im Editorial bereits geäußerten Befürchtungen, dass die<br />

Rechtsschutzversicherer Mittel <strong>und</strong> Wege ersinnen werden,<br />

diese Rechtsprechung zu umgehen, scheint sich nunmehr zu<br />

bewahrheiten.<br />

Ansatzpunkt der Rechtsschutzversicherungen ist derzeit, den<br />

Streitwert für die angekündigte Kündigung in Frage zu stellen.<br />

Zwar richte sich der Streitwert auch in diesen Fällen nach<br />

§ 42 Abs. 4 Satz 1 GKG. Da die Kündigung aber nicht ausgesprochen,<br />

sondern nur angekündigt worden sei, handele es<br />

sich nicht um eine Bestandsstreitigkeit, so dass der Ansatz<br />

des Höchststreitwertes von einem Quartalsgehalt nicht gerechtfertigt<br />

sei. Vielmehr sei in Anlehnung an die Streitwertrechtsprechung<br />

der Instanzgerichte zur Weiterbeschäftigung,<br />

zur Änderungskündigung <strong>und</strong> zur Abmahnung allenfalls der<br />

Ansatz eines Bruttomonatsgehalts angemessen.<br />

Diesem ganz offenk<strong>und</strong>ig allein an wirtschaftlichen Interessen<br />

orientierten Ansatz mag eine gewisse Kreativität nicht abzusprechen<br />

sein. Inhaltlich geht die Argumentation der Rechtsschutzversicherer<br />

indes fehl. Auch bei der Androhung einer<br />

Kündigung für den Fall, dass eine einvernehmliche Beendigung<br />

des Arbeitsverhältnisses nicht erfolgt, wird der Bestand<br />

des Arbeitsverhältnisses von Arbeitgeberseite zur Disposition<br />

gestellt; offen ist allein, ob die Beendigung einseitig oder<br />

einvernehmlich erfolgen wird. Die Androhung der Kündigung<br />

unter Vorlage eines Aufhebungsvertrags trägt damit den Keim<br />

eines Rechtsstreits im Sinne einer Bestandsschutzstreitigkeit<br />

bereits in sich, 2 was den BGH dazu bewogen hat, einen<br />

deckungspflichtigen Versicherungsfall zu bejahen. Letztlich<br />

wird dies auch von Seiten der Rechtsschutzversicherung<br />

konzediert, indem die Streitwertvorschrift des § 42 Abs. 4<br />

Satz 1 GKG („Streit über das Bestehen, das Nichtbestehen oder<br />

die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses“) herangezogen<br />

wird. Steht aber objektiv der Bestand des Arbeitsverhältnisses<br />

in Streit, ist auch der Ansatz des Höchststreitwertes nicht zu<br />

beanstanden.<br />

Der Hinweis der Rechtsschutzversicherer auf die Streitwertrechtsprechung<br />

in anderen Streitigkeiten führt demgegenüber<br />

nicht weiter. Der Verweis auf die Rechtsprechung zum<br />

Streitwert einer Änderungskündigung ist bereits insoweit we-<br />

Aufsätze/Beiträge<br />

nig überzeugend, als dass das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht in ständiger<br />

Rechtsprechung gemäß § 42 Abs. 3 <strong>und</strong> 4 GKG i.V.m.<br />

§ 3 ZPO den dreijährigen Differenzbetrag in Ansatz bringt,<br />

begrenzt durch den Höchstreitwert des § 42 Abs. 4 Satz 1<br />

GKG. 3 Die überwiegende Auffassung in der Literatur setzt für<br />

die Änderungskündigung, ausgehen davon, dass es sich auch<br />

bei dieser um eine Bestandsstreitigkeit handele, regelmäßig<br />

ein Quartalsgehalt als Streitwert an. 4 Auch die Instanzgerichte<br />

legen der Streitwertberechnung in aller Regel ein Quartalsgehalt<br />

zugr<strong>und</strong>e, 5 zum Teil auch den dreifachen Jahresdifferenzbetrag<br />

ohne die Begrenzung auf das Quartalsgehalt. 6 Soweit<br />

einige Instanzgerichte der Streitwertberechnung bei einer<br />

Änderungskündigung nur zwei Bruttomonatsgehälter zugr<strong>und</strong>e<br />

legen 7 oder sonst Abschläge gegenüber dem Höchststreitwert<br />

vornehmen, 8 liegt dem in der Regel ein Sachverhalt<br />

zugr<strong>und</strong>e, in dem die Änderungskündigung unter Vorbehalt<br />

angenommen, der Bestand des Arbeitsverhältnisses damit gerade<br />

nicht mehr in Streit steht. Eine Argumentation zum Ansatz<br />

nur eines Bruttomonatsgehalts bei Androhung einer Beendigungskündigung<br />

lässt sich hieraus nicht herleiten.<br />

Der weitergehende Hinweis der Rechtsschutzversicherer<br />

auf die Rechtsprechung zur Bewertung eines Beschäftigungsanspruchs<br />

wird argumentativ nicht einmal näher<br />

begründet. Der unterschiedliche Wertansatz liegt auch auf<br />

der Hand. Während bei einer drohenden Kündigung das<br />

Arbeitsverhältnis insgesamt zur Disposition gestellt wird,<br />

beschränkt sich die Auseinandersetzung bei dem Streit um<br />

die (Weiter-)Beschäftigung auf die Frage der Erfüllung eines<br />

1 BGH, vom 19.11.2008 – IV ZR 305/07.<br />

2 OLG Saarbrücken, vom 19.07.2006 – 5 U 719/05.<br />

3 BAG, vom 23.03.1989 – 7 AZR 527/85 (B); ebenso z.B.<br />

Sächsisches LAG, vom 05.03.1997 – 9 Ta 17/97; ArbG<br />

Darmstadt, vom 26.03.2008–5Ca468/07.<br />

4 Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, § 12 Rn 119;<br />

Cornelius-Winkler/Ennemann, Rechtsschutzversicherung<br />

<strong>und</strong> Gebühren im Arbeitsrecht, Rn 282 ff. m.w.N.<br />

5 Vgl. nur ArbG Mönchengladbach, vom 21.10.2008, Az.<br />

1 Ca 833/08; ArbG Darmstadt, vom 26.03.2008, Az. 5<br />

Ca 468/07; ArbG Hamburg, vom 31.01.2008, Az. 17 Ca<br />

274/07; ArbG Würzburg, vom 12.01.2007, Az. 3 (7) Ca<br />

1425/06.<br />

6 LAG Baden-Württemberg, vom 11.01.2008–3Ta8/08.<br />

7 LAG Hamm, vom 15.08.2007–6Ta454/07.<br />

8 LAG Rheinland-Pfalz, vom 11.06.2008 – 1 Ta 108/08.<br />

03/09<br />

169


Aufsätze/Beiträge<br />

der zahlreichen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis. Selbst<br />

der Beschäftigungsanspruch wird überdies unterschiedlich<br />

bewertet <strong>und</strong> insbesondere dann, wenn nicht allein die Weiterbeschäftigung<br />

an sich, sondern die inhaltliche Frage der<br />

vertragsgerechten Beschäftigung streitig ist, die in der Regel<br />

nicht mit einem, sondern mit zwei Bruttomonatsgehältern<br />

bewertet wird. 9<br />

Bemerkenswert schließlich ist der Ansatz der Rechtsschutzversicherer,<br />

die angedrohte Kündigung in Anlehnung an die<br />

Bewertung einer Abmahnung mit einem Bruttomonatsgehalt<br />

zu bemessen, weil schließlich das Androhen einer Kündigung<br />

keine rechtlichen Auswirkungen habe. Die Situation sei<br />

ebenso zu bewerten wie die Erteilung einer Abmahnung an<br />

den Arbeitgeber, sich an den abgeschlossenen Arbeitsvertrag<br />

zu halten. Auch diese Argumentation ist wenig überzeugend.<br />

Die Abmahnung soll den Verstoß gegen arbeitsvertragliche<br />

Pflichten rügen. Mit der Androhung einer Kündigung verstößt<br />

der Arbeitgeber indes nicht gegen seine arbeitsvertraglichen<br />

Pflichten, sondern kündigt an, das Arbeitsverhältnis einseitig<br />

beenden zu wollen. Dem kann der Arbeitnehmer durch<br />

eine bloße Abmahnung nicht begegnen, so dass auch ein<br />

wertmäßiger Vergleich nicht angezeigt ist.<br />

Wollte man daher überhaupt das Vorliegen einer Bestandsstreitigkeit<br />

verneinen <strong>und</strong> die Streitwertrechtsprechung<br />

vergleichbarer Sachverhalte heranziehen, so ist bei diesem<br />

Vergleich zu berücksichtigen, dass der Kern der Auseinan-<br />

170 03/09<br />

dersetzung stets in der drohenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

liegt. Vergleichbare Sachverhalte werden von<br />

der Instanzrechtsprechung regelmäßig ebenfalls mit dem<br />

Höchststreitwert des § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG bewertet, etwa<br />

die Klage auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrages, mit<br />

dem auch die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

festgelegt werden soll. 10 Gleiches gilt nach ganz herrschender<br />

Auffassung für die Anfechtung eines Aufhebungsvertrages<br />

nach arbeitgeberseitiger Androhung einer Kündigung. 11<br />

Die Androhung einer Kündigung durch den Arbeitgeber begründet<br />

daher im Ergebnis nicht nur einen zur Kostendeckung<br />

verpflichtenden Versicherungsfall, sondern ist bei der Wertbemessung<br />

der bereits ausgesprochenen Kündigung gleichzusetzen.<br />

Die gegenläufige Auffassung der Rechtsschutzversicherer<br />

dürfte vor den Zivilgerichten aller Voraussicht nach<br />

keinen Bestand haben, so dass diese auch von den <strong>Kolleginnen</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Kollegen</strong> nicht akzeptiert werden sollte.<br />

9 Cornelius-Winkler/Ennemann, a.a.O., Rn. 246 ff. m.w.N.<br />

10 LAG Köln, vom 28.01.2009 – 2 Sa 875/08; LAG Düsseldorf,<br />

vom 09.02.2009 –6Ta53/09; LAG Hamm, vom<br />

17.08.2007 – 6 Ta 444/07.<br />

11 ArbG Celle, vom 20.08.2008 –2Ca209/08; ArbG Düsseldorf,<br />

vom 06.08.2008–4Ca3086/08; ArbG Frankfurt, vom<br />

15.02.2006 – 22 Ca 4977/05; Cornelius-Winkler/Ennemann,<br />

a.a.O., Rn 289 ff. m.w.N.


Rechtsschutzversicherung: Anspruch auf Deckungsschutz für<br />

außergerichtliche Tätigkeit nach Zugang einer Kündigung<br />

Rechtsanwalt Christian Nohr, Essen<br />

Christian Nohr, Rechtsanwalt <strong>und</strong> Fachanwalt für Arbeitsrecht,<br />

hat nicht nur die Entscheidung Nr. 353 erstritten, sondern die<br />

einschlägige Rechtsprechung zum Anspruch auf Deckungsschutz<br />

für außergerichtliche Tätigkeit nach Zugang einer Kündigung<br />

zusammengestellt. AE veröffentlicht diese verdienstvolle<br />

Rechtsprechungsrecherche nachstehend:<br />

1. AG Essen-Steele, Urteil vom 22.06.2005<br />

– 8 C 89/05<br />

Leitsatz (AnwBl 10/2005, 655): Durch die außergerichtliche<br />

Interessenwahrnehmung entstehen keine unnötigen, bereits<br />

bei Mandatserteilung voraussehbaren Kosten, wenn durch<br />

einen sofortigen Prozessauftrag möglicherweise höhere Kosten,<br />

nämlich Anwaltsgebühren in Höhe eines Gebührensatzes<br />

von 3,5 entstanden wären.<br />

Leitsatz (juris): Neben den allgemeinen Hinweisen über die<br />

anfallenden Gebühren ist der Rechtsanwalt nur dann zu<br />

dem Hinweis verpflichtet, dass die sofortige Erteilung einer<br />

Prozessvollmacht auch beim Versuch einer außergerichtlichen<br />

Lösung vor der Klageerhebung zu einem geringeren Gebührenanfall<br />

führen würde, wenn die sofortige Erteilung einer<br />

Prozessvollmacht dem Interesse des Mandanten an einer<br />

zunächst zu versuchenden außergerichtlichen Regelung nicht<br />

zuwider läuft <strong>und</strong> dadurch auch zwingend geringere Gebühren<br />

für ihn anfallen. Dies ist regelmäßig nicht der Fall, wenn<br />

bei der Mandatserteilung davon ausgegangen wird, dass eine<br />

außergerichtliche Einigung erzielt werden kann. Nach aller<br />

Voraussicht entstehen in diesem Fall bei der Beauftragung<br />

mit der außergerichtlichen Interessenvertretung geringere<br />

Gebühren, als bei sofortiger Erteilung eines Prozessauftrags.<br />

2. AG Wiesbaden, Urteil vom 14.09.2005<br />

– 93 C 2931/05-40, JurBüro 3/3007, 143<br />

Leitsatz (JurBüro): Ein Versicherungsnehmer, der seinem Anwalt<br />

in einer Kündigungsschutzsache zunächst einen unbedingten<br />

Auftrag für den Versuch einer vorgerichtlichen Einigung<br />

<strong>und</strong> gleichzeitig – für den Fall des Misserfolges –<br />

einen bedingten Auftrag zur Erhebung einer Klage auf Feststellung<br />

des Fortbestehens des gekündigten Arbeitsverhältnisses<br />

erteilt, verstößt dadurch nicht gegen seine Schadensminderungspflicht.<br />

Aufsätze/Beiträge<br />

Der Rechtsschutzversicherer ist verpflichtet, den Versicherungsnehmer<br />

von der auf diese Weise entstandenen Geschäftsgebühr<br />

für die vorgerichtliche Tätigkeit seines Anwalts<br />

freizustellen.<br />

3. AG Cham, Urteil vom 22.12.2005<br />

– 1 C 323/05, AnwBl 4/2006, 287<br />

Leitsatz (AnwBl): Der Rechtsanwalt, der vor Erhebung einer<br />

Kündigungsschutzklage erst außergerichtlich tätig wird <strong>und</strong><br />

eine Einigung mit dem Gegner sucht, verursacht keine<br />

unnötigen Kosten, auch wenn er dies erst wenige Tage vor<br />

Ablauf der Frist für die Erhebung der Kündigungsschutzklage<br />

unternimmt. Eine Rechtsschutzversicherung ist verpflichtet,<br />

auch für diese außergerichtliche Interessenwahrnehmung<br />

Deckungsschutz zu gewähren.<br />

Leitsatz (juris): 1. Wird ein Rechtsanwalt vor der Erhebung<br />

einer Kündigungsschutzklage zunächst außergerichtlich tätig<br />

<strong>und</strong> sucht eine Einigung mit der Gegenpartei, so handelt er<br />

auch dann sachgerecht, wenn er diese Tätigkeit erst wenige<br />

Tage vor Ablauf der Frist für die Erhebung der Kündigungsschutzklage<br />

entfaltet.<br />

2. Der Rechtsschutzversicherer ist im Hinblick darauf, dass der<br />

Gesetzgeber dem Versuch der gütlichen <strong>und</strong> außergerichtlichen<br />

Streitbeilegung ausdrücklich Vorrang einräumt, verpflichtet,<br />

auch für die außergerichtliche Interessenwahrnehmung<br />

im Rahmen einer Bestandsschutzstreitigkeit Deckung<br />

zu gewähren.<br />

4. AG Hamburg – St. Georg, Urteil vom<br />

10.02.2006 – 911 C 304/05, JurBüro, 6/2006,<br />

309<br />

Leitsatz (JurBüro): Ein Versicherungsnehmer darf davon ausgehen,<br />

dass der arbeitsrechtliche Versicherungsschutz nicht<br />

auf die gerichtliche Auseinandersetzung beschränkt ist. Für<br />

die außergerichtliche Tätigkeit in einer Kündigungsschutzsache<br />

ist eine Geschäftsgebühr in Höhe von 2,5 angemessen.<br />

03/09<br />

171


Aufsätze/Beiträge<br />

5. AG Büdingen, Urteil vom 08.06.2006<br />

– 2 C 50/06, ArbRB 12/2006<br />

Leitsatz (ArbRB): Der Rechtsanwalt ist nicht verpflichtet, sich<br />

für die außergerichtlichen Verhandlungen bei einer Kündigung<br />

sofort einen Prozessauftrag erteilen zu lassen bzw. den<br />

Mandanten darauf hinzuweisen. Bei außergerichtlichen Verhandlungen<br />

entsteht eine Geschäftsgebühr.<br />

6. AG Velbert, Urteil vom 08.09.2006<br />

– 12 C 144/05, AnwBl 11/2006, 770<br />

Leitsatz (AnwBl): Der Rechtsschutzversicherte verliert seinen<br />

Befreiungsanspruch gegenüber seiner Rechtsschutzversicherung<br />

nicht, wenn er in einer Kündigungsschutzsache seinem<br />

Anwalt zunächst einen außergerichtlichen Auftrag erteilt, sofern<br />

es sich um eine vernünftige Gestaltungsvariante handelt.<br />

7. AG Hamburg-Altona, Urteil vom 07.12.2006<br />

– 319 C 113/06, NZA-RR 11/2007, 594, sowie<br />

JurBüro 5/2007, 265<br />

Leitsatz (NZA-RR): Ein Rechtsschutzversicherer hat seinem<br />

Versicherungsnehmer die Anwaltskosten zu ersetzen, die<br />

dadurch entstanden sind, dass der Versicherungsnehmer,<br />

dem von seinem Arbeitgeber gekündigt worden ist, noch<br />

vor der Bestätigung des Versicherers, dass er Versicherungsschutz<br />

gewähre, einen Anwalt nur mit der außergerichtlichen<br />

Vertretung beauftragt hat.<br />

Leitsatz (JurBüro): Der Rechtsschutzversicherer ist verpflichtet,<br />

dem Versicherungsnehmer auch die Kosten zu erstatten, die<br />

dem Versicherungsnehmer durch die Beauftragung eines Anwalts<br />

zur außergerichtlichen Interessenvertretung gegenüber<br />

seinem Arbeitgeber nach Erhalt einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses<br />

entstanden sind. Erteilt ein Versicherungsnehmer<br />

in einem Kündigungsschutzmandat seinem Anwalt zunächst<br />

den Auftrag, eine außergerichtliche Einigung anzustreben,<br />

stellt dies keine Obliegenheitsverletzung dar.<br />

8. AG Hamburg, Urteil vom 01.02.2007<br />

– 19 C 187/05, JurBüro 5/2007, 264<br />

Leitsatz (juris): 1. Wird dem Rechtsanwalt ein arbeitsrechtliches<br />

Kündigungsschutzmandat übertragen, schlägt er den<br />

zweckmäßigsten <strong>und</strong> kostengünstigsten Weg ein, wenn er zunächst<br />

außergerichtlich tätig wird. Nach der Änderung des anwaltlichen<br />

Vergütungsrechts fallen bei erfolgreichen, vorprozessualen<br />

Verhandlungen ohne Klageauftrag <strong>und</strong> einer durchschnittlichen<br />

Geschäftsgebühr von 1,5 insgesamt 3,0 Gebühren<br />

an; bei Erteilung eines Klageauftrags jedoch 3,5 Gebüh-<br />

172 03/09<br />

ren. Für die Beurteilung der Zweckmäßigkeit ist es ohne Bedeutung,<br />

dass vorprozessuale Verhandlungen in arbeitsrechtlichen<br />

Streitigkeiten in der Regel nicht erfolgreich zu sein pflegen,<br />

da ein Erfolg vorprozessualer Verhandlungen nie völlig<br />

ausgeschlossen ist. Außerdem ergibt sich aus § 278 ZPO, dass<br />

der Gesetzgeber der gütlichen Streitbeilegung in jeder Lage<br />

des Verfahrens den Vorrang eingeräumt hat.<br />

2. Für die außergerichtliche Tätigkeit in einer durchschnittlichen<br />

arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzsache ist der Ansatz<br />

einer 2,0-Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV angemessen,<br />

denn wegen des drohenden Verlustes der beruflichen<br />

Existenz hat die Angelegenheit überdurchschnittliche<br />

Bedeutung. Außerdem ist die Schwierigkeit der Tätigkeit als<br />

leicht überdurchschnittlich anzusehen, da das Arbeitsrecht als<br />

ein Rechtsgebiet mit erhöhter Komplexität gilt.<br />

9. AG Hamburg, Urteil vom 22.02.2007<br />

– 7A C 79/06, JurBüro 5/2007, 265<br />

Leitsatz (juris): 1. Sprechen die Umstände <strong>und</strong> der Inhalt der<br />

Kündigung des Arbeitsvertrags dafür, dass ein außergerichtliches<br />

Tätigwerden nicht per se keinen Erfolg verspricht, darf<br />

der Versicherungsnehmer davon ausgehen, dass eine vorgerichtliche<br />

Interessenvertretung durch seinen Rechtsanwalt<br />

gegenüber seinem Arbeitgeber durch seine Rechtsschutzversicherung<br />

gedeckt ist. Zielt der Versicherungsnehmer auf eine<br />

Weiterbeschäftigung, ist außerdem eine außergerichtliche<br />

Einigung sowohl aus Sicht des Arbeitnehmers als auch des<br />

Arbeitgebers einer arbeitsgerichtlich erstrittenen Einigung bei<br />

weitem vorzuziehen.<br />

2. Für die außergerichtliche Tätigkeit in einer arbeitsrechtlichen<br />

Kündigungsschutzsache ist der Ansatz der Geschäftsgebühr<br />

nach Nr. 2300 RVG-VV mit einer 1,8-Gebühr angemessen,<br />

da es sich beim Arbeitsrecht um eine Spezialmaterie handelt<br />

<strong>und</strong> eine fristlose Kündigung für den Versicherungsnehmer<br />

von erheblicher Bedeutung ist.<br />

10. LG Hagen, Urteil vom 23.03.2007<br />

– 1 S 136/06<br />

Leitsatz (JurBüro): § 5 Abs. 3b ARB 94 verstößt gegen das<br />

Transparenzgebot <strong>und</strong> ist deshalb unwirksam. Insbesondere<br />

ist § 5 Abs. 3b ARB 94 nicht klar zu entnehmen, dass generell<br />

kein Rechtsschutz gewährt werden soll, wenn der Versicherungsnehmer<br />

die außergerichtliche Tätigkeit eines Rechtsanwalts<br />

in Anspruch nimmt <strong>und</strong> dieser in der Hauptsache Erfolg<br />

hat.


11. AG Hamburg-Harburg, Urteil vom<br />

30.03.2007 – 645 C 456/06, JurBüro 8/2007,<br />

421<br />

Leitsatz (juris): 1. Da der Versicherungsschutz beim Arbeits-<br />

Rechtsschutz i.S.d. § 2 Buchst. b ARB 2000 nicht auf Arbeits-<br />

Gerichts-Rechtsschutz beschränkt ist, besteht gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

auch Rechtsschutz für ein außergerichtliches Vorgehen des<br />

Versicherungsnehmers.<br />

2. Die Erteilung eines zunächst auf die außergerichtliche Interessenwahrnehmung<br />

beschränkten Rechtsanwaltsauftrags<br />

verletzt in aller Regel die Obliegenheit aus § 17 Abs. 5 Buchst.<br />

c D Buchst. cc ARB 2000, unnötige Kosten zu vermeiden.<br />

Denn angesichts der dreiwöchigen Klagefrist in Kündigungsschutzsachen<br />

ist regelmäßig das Scheitern außergerichtlicher<br />

Einigungsversuche zu erwarten.<br />

3. Unterbreitet der Arbeitgeber in seinem Kündigungsschreiben<br />

ein Abfindungsangebot nach § 1a KSchG, kann mit hinreichender<br />

Sicherheit das Zustandekommen einer außergerichtlichen<br />

Einigung erwartet werden. Die beschränkte Beauftragung<br />

eines Rechtsanwalts stellt in diesem Falle keine Obliegenheitsverletzung<br />

dar, da im Falle des Zustandekommens<br />

der Einigung die Kosten bei einer beschränkten Beauftragung<br />

geringer sind als bei einem sofortigen Klageauftrag.<br />

12. AG München, Urteil vom 27.04.2007<br />

– 223 C 27792/06, ArbRB 8/2007, sowie<br />

JurBüro 11/2007, 591<br />

Leitsatz (ArbRB): Die Rechtsschutzversicherung muss die Kosten<br />

für eine außergerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwaltes<br />

vor Erhebung der Kündigungsschutzklage übernehmen. Der<br />

Arbeitnehmer muss nicht wegen der Schadensminderungsobliegenheit<br />

sofortigen Klageauftrag erteilen.<br />

Leitsatz (JurBüro): Ein Versicherungsnehmer hat gegen seine<br />

Rechtsschutzversicherer einen Anspruch auf Erteilung einer<br />

Rechtsschutzdeckungszusage <strong>und</strong> Freihaltung von den Anwaltskosten<br />

für das außergerichtliche Vorgehen gegen die<br />

Kündigung seines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber,<br />

wenn dieser nach Ausspruch der Kündigung ein Angebot<br />

zum Abschluss eines Abwicklungsvertrages unterbreitet hat.<br />

Der Versicherungsnehmer ist unter solchen Umständen nicht<br />

verpflichtet, einen sofortigen Klageauftrag zu erteilen.<br />

Dem Rechtsschutzversicherer ist es verwehrt, das Risiko des<br />

Fehlschlagens oder die sich aus seinen internen statistischen<br />

Kalkulationen ergebende Wahrscheinlichkeit eines Misserfolges<br />

des außergerichtlichen Vorgehens gegen die Kündigung<br />

im Wege der Berufung auf eine Obliegenheitsverletzung dem<br />

Versicherungsnehmer aufzubürden.<br />

13. LG Köln, Urteil vom 23.05.2007<br />

– 20 S 46/06, JurBüro 8/2007, 423<br />

Aufsätze/Beiträge<br />

Leitsatz (JurBüro): Der Rechtsschutzversicherer ist verpflichtet,<br />

einem Versicherungsnehmer, der Arbeitsrechtsschutz versichert<br />

hat, nach Erhalt einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses<br />

sowohl Deckungsschutz für die außergerichtliche Geltendmachung<br />

des Weiterbeschäftigungsanspruches als auch<br />

des Anspruches auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses zu<br />

erteilen.<br />

14. LG Hannover, Urteil 05.07.2007<br />

– 8 S 20/07<br />

(Zitate aus Urteil): Die Rechtsprechung geht hinsichtlich<br />

des prozessualen oder des materiellen Kostenerstattungsanspruchs<br />

davon aus, dass eine isolierte außergerichtliche<br />

Tätigkeit des Rechtsanwaltes nur gerechtfertigt ist, wenn der<br />

Auftraggeber unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles<br />

Gr<strong>und</strong> zu der Annahme hat, dass eine Klageerhebung<br />

nicht erforderlich sein werde. Auch der Zeitdruck – die<br />

gesetzliche Frist zur Klageerhebung von drei Wochen –<br />

schloss eine außergerichtliche, vorprozessuale Einigung<br />

nicht aus. Tatsächlich kam es zu einem Gespräch mit der<br />

Arbeitgeberin vor Erhebung der Kündigungsschutzklage, bei<br />

dem nicht vorherzusehen war, dass diese sich – zunächst –<br />

den Argumenten des Klägers verschließen würde. Vor diesem<br />

Hintergr<strong>und</strong> beinhaltete die Beschränkung des Auftrages<br />

auf die außergerichtliche Tätigkeit keine Verletzung der<br />

Obliegenheit zur Kostenminderung.<br />

15. LG Stuttgart, Urteil vom 22.08.2007<br />

– 5 S 64/07<br />

Leitsatz (juris): Es stellt keine Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers<br />

gegenüber seinem Rechtsschutzversicherer<br />

dar, wenn er nach der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses<br />

einem Rechtsanwalt gesondert einen Auftrag zur außergerichtlichen<br />

Vertretung gegenüber seinem Arbeitgeber erteilt.<br />

16. LG Hannover, Urteil vom 24.08.2007<br />

– 6 S 17/07, JurBüro 12/2007, 654<br />

Leitsatz (JurBüro): Es kann eine Obliegenheitsverletzung des<br />

Versicherungsnehmers gegenüber dem Rechtsschutzversicherer<br />

darstellen, wenn der Versicherungsnehmer dem von<br />

ihm beauftragten Rechtsanwalt vorzeitig einen Klageauftrag<br />

erteilt <strong>und</strong> dadurch zusätzliche Anwaltsgebühren entstehen.<br />

03/09<br />

173


Aufsätze/Beiträge<br />

17. AG Hamburg – Wandsbek, Urteil vom<br />

27.08.2007 – 716 C 341/07<br />

Leitsatz (JurBüro): Ein Rechtsschutzversicherer ist zur Abgabe<br />

einer Deckungszusage auch für das außergerichtliche<br />

Vorgehen gegen die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses<br />

verpflichtet. Durch außergerichtliche Verhandlungen des<br />

Anwalts mit dem Arbeitgeber des Versicherten entstehen<br />

keine unnötigen Kosten im Sinne der ARB 94. Wenn Anhaltspunkte<br />

für eine mögliche außergerichtliche Erledigung nicht<br />

völlig fern liegen, muss dem Versicherten der Versuch erlaubt<br />

sein, vor Einleitung eines Gerichtsprozesses auf eine gütliche<br />

Beilegung des Streits durch Erteilung eines außergerichtlichen<br />

Mandats hinzuwirken.<br />

18. AG Essen, Urteil vom 16.01.2008<br />

– 14 C 121/07<br />

(Zitate aus dem Urteil): Auszugehen ist davon, dass der Beklagte<br />

der Anwaltskanzlei des Klägers Vollmacht erteilt hat,<br />

ihn in einer arbeitsrechtlichen Angelegenheit außergerichtlich<br />

zu vertreten. Die Tätigkeit des Rechtsanwaltes war zweifellos<br />

nur gegen Vergütung zu erwarten <strong>und</strong> keineswegs von vornherein<br />

aussichtslos, denn der Vertreter der Firma hatte bereits<br />

auf sein Schreiben geantwortet <strong>und</strong> erklärt, für eine Besprechung<br />

in der Angelegenheit zur Verfügung zu stehen. Hierzu<br />

kam es dann aber offenbar deswegen nicht mehr, weil die<br />

Rechtsschutzversicherung des Beklagten mitteilte, dass ein<br />

gesonderter außergerichtlicher Auftrag nicht gedeckt werde,<br />

sondern nur ein sofortiger Klageauftrag, den der Beklagte daraufhin<br />

erteilte.<br />

Der Frage, ob der Rechtsanwalt eine Belehrung unterlassen<br />

hat, war nicht weiter nachzugehen. Jedenfalls bestanden für<br />

ihn keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass die Rechtsschutzversicherung<br />

den Deckungsschutz für die hälftige<br />

außergerichtliche Gebühr versagen werde, auch nicht unter<br />

dem Aspekt, dass die Kanzlei des Klägers auf Arbeitsrecht<br />

spezialisiert ist. Eine gesicherte Erfahrung, dass jede Rechtsschutzversicherung<br />

dieselbe Auffassung vertritt wie die des<br />

Beklagten, gibt es nicht, ebenso nicht eine feststehende<br />

Rechtsprechung, wonach der Versicherungsnehmer gegenüber<br />

seiner Versicherung eine Obliegenheitspflicht verletzt,<br />

wenn er in einer arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzsache<br />

einem Rechtsanwalt nicht sofort Prozessauftrag erteilt. Vielmehr<br />

tendiert die aktuelle Rechtsprechung dazu, dies zu<br />

174 03/09<br />

verneinen, so beispielsweise Amtsgericht München, Urteil<br />

vom 27.04.2007, Aktenzeichen 223 C 277, 92/06.<br />

Wenngleich im vorliegenden Rechtsstreit hierüber nicht zu<br />

entscheiden ist, soll doch angemerkt werden, dass aus Sicht<br />

des Gerichtes vorprozessuale Bemühungen, eine gütliche Einigung<br />

herbeizuführen, selbst dann als positiv erachtet werden,<br />

wenn Sie nicht zum Erfolg führen.<br />

19. AG Essen-Borbeck, Urteil vom 23.03.2009<br />

– 6 C 287/08<br />

Leitsatz (RVG professionell 6/09, 103): 1. Versucht der Anwalt<br />

nach einer Kündigung des Mandanten zunächst eine außergerichtliche<br />

Einigung mit dem ArbG, statt sich sofort einen<br />

Prozessauftrag erteilen zu lassen, begeht er keine Pflichtverletzung.<br />

2. Er kann die außergerichtlich entstandenen Gebühren<br />

gegenüber dem Mandanten – <strong>und</strong> dessen Rechtsschutzversicherer<br />

– geltend machen.<br />

Ergänzend sei auf die Entscheidung des BGH vom 19.11.2008 –<br />

IV ZR 305/07 – hingewiesen:<br />

1. Die Festlegung eines verstoßabhängigen Rechtsschutzfalles<br />

i.S.v. § 14 Abs. 3 S. 1 ARB 75 (entsprechend für § 4 Abs. 1<br />

S. 1c ARB 94) richtet sich allein nach den vom Versicherungsnehmer<br />

behaupteten Pflichtverletzungen.<br />

2. Dieses Vorbringen muss (erstens) einen objektiven Tatsachenkern<br />

– im Gegensatz zu einem bloßen Werturteil – enthalten,<br />

mit dem er (zweitens) den Vorwurf eines Rechtsverstoßes<br />

verbindet, der den Keim für eine rechtliche Auseinandersetzung<br />

enthält, <strong>und</strong> worauf er (drittens) seine Interessenverfolgung<br />

stützt (Fortführung BGH, 17.10.2007, IV ZR 37/07,<br />

VersR 2008, 113; BGH, 28.09.2005, IV ZR 106/04, VersR 2005,<br />

1684; BGH, 19.03.2003, IV ZR 139/01, VersR 2003, 638).<br />

3. Auf die Schlüssigkeit, Substantiiertheit <strong>und</strong> Entscheidungserheblichkeit<br />

dieser Behauptungen kommt es nicht an.<br />

4. Nach diesen Gr<strong>und</strong>sätzen kann die Androhung einer betriebsbedingten<br />

Kündigung, wenn ein unterbreitetes Angebot<br />

zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages abgelehnt wird,<br />

einen Rechtsschutzfall auslösen (s. auch Ulrich Fischer, FA<br />

2009, 3 ff.).


Inhaltsverzeichnis der Entscheidungen<br />

Seite<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

243. AGB-Kontrolle, Inhaltskontrolle, Vertragsstrafe 177<br />

244. Persönlichkeitsrechtsverletzung, Telefonlautsprecher,<br />

Beweisverwertungsverbot, Vertragsstrafe 177<br />

245. Befristung des Arbeitsverhältnisses, Hochschulrecht,<br />

Befristungsgr<strong>und</strong> im Vertrag benennen 178<br />

246. AGB-Kontrolle, Muster-Spielvertrag des DFB 178<br />

247. Arbeitsvertrag, sittenwidrige Vertragsgestaltung,<br />

Mindestlohn (7,50 €), unwirksame Gerichtsstandvereinbarung,<br />

Rechtswahl 178<br />

248. Tarifvertrag, Bezugnahmeklausel, dynamische Verweisung<br />

185<br />

249. AGB-Kontrolle, Gratifikation, Rückzahlungsklausel 186<br />

250. Tarifvertrag, Bezugnahmeklausel 188<br />

251. Direktionsrecht, befristete Vorabeiterfunktion;<br />

Feststellungsklage, Rechtsverhältnis, Streitwert<br />

bei objektiver Klagehäufung 188<br />

252. Teilzeit, Verteilung auf die Woche, nachträgliche<br />

Änderung, betriebliches Interesse, Gleichbehandlung<br />

191<br />

253. Befristung des Arbeitsverhältnisses, Sachgr<strong>und</strong>,<br />

Berufsaubildungsverhältnis 192<br />

254. Direktionsrecht, billiges Ermessen; Zwischenzeugnis<br />

192<br />

255. (Doppelte) Schriftformklausel, Individualabrede 194<br />

256. Befristung des Arbeitsverhältnisses, Altersbefristung,<br />

Zeitungszusteller; AGB-Kontrolle, überraschende<br />

Klausel 196<br />

Betriebsverfassungsrecht / Personalvertretungsrecht<br />

257. Einigungsstelle, offensichtliche Unzuständigkeit 197<br />

258. Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenvertretung, Übernahme,<br />

Auflösung des Arbeitsverhältnisses 199<br />

259. Einigungsstelle, offensichtliche Unzuständigkeit,<br />

Beschwerdestelle (§ 13 AGG) 199<br />

260. Betriebsänderung, einstweilige Verfügung 200<br />

261. Betriebsratswahl, einstweilige Verfügung, Abbruch<br />

der BR-Wahl, Anfechtung, Nichtigkeit,<br />

Einladungsfrist Betriebsversammlung 200<br />

262. Betriebsratswahl, einstweilige Verfügung, Arbeitnehmerbegriff<br />

203<br />

263. Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenvertretung, Übernahmeverlangen<br />

203<br />

264. Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenvertretung, Übernahmeverlangen,<br />

Zumutbarkeit, Leiharbeitnehmer<br />

203<br />

265. Gleichbehandlung, Sonderzahlung 206<br />

266. Mitbestimmung in personellen Angelegenheiten,<br />

allgemeine Beurteilungsgr<strong>und</strong>sätze; Gesamtbetriebsrat,<br />

Zuständigkeit 206<br />

Inhalt: Entscheidungen<br />

03/09<br />

Seite<br />

267. Betriebsvereinbarung, Durchführungsanspruch,<br />

einstweilige Verfügung 209<br />

268. Personalratsmitglied, fiktive Karrierenachzeichnung,<br />

Benachteiligungsverbot 210<br />

269. Mitbestimmung des Betriebsrates in personellen<br />

Einzelmaßnahmen, Rechtsschutzinteresse, NV-<br />

Bühne 211<br />

270. Betriebsratswahl, Wahlanfechtung, Abwahl BR-<br />

Vorsitzender, ordnungsgemäße Einladung 211<br />

271. Betriebsratswahl, Anfechtung, Betriebsbegriff;<br />

Mitbestimmung des Betriebsrats in personellen<br />

Angelegenheiten, Einstellung, Leiharbeitnehmer 215<br />

272. Schwerbehindertenvertretung, Amtszeitende 218<br />

273. Mitbestimmung des Betriebsrats bei personellen<br />

Einzelmaßnahmen, Eingruppierung, Umgruppierung,<br />

Entgeltstufe 220<br />

274. Fehlerhafte Rechtmittelbelehrung, Wiedereinsetzung<br />

von Amts wegen 220<br />

275. Personalratswahl, Gruppenwahl 221<br />

276. Personalratswahl, Anfechtung, Gruppenwahl 222<br />

277. Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenvertretung, Auflösung<br />

des Arbeitsverhältnisses, Einstellungsstopp 223<br />

278. Personalrat, Mitbestimmungsrecht, Versetzung<br />

Beamte, Mitwirkung, Zulassung der Beschwerde 226<br />

279. Mitbestimmung des Personalrats, Dienststelleneigenschaft<br />

ARGE, Ersatzpersonalrat 227<br />

Tarifvertragsrecht<br />

280. Spezialitätsprinzip, Mischtätigkeit 228<br />

281. Tarifbindung, dynamische Bezugnahme, Gleichstellungsabrede<br />

231<br />

282. Besonderer Kündigungsschutz 232<br />

283. Eingruppierung, Bewährungsaufstieg, Altersteilzeit<br />

232<br />

284. Altersteilzeit, Ermessen 232<br />

285. Ausschlussfrist, Schadensersatzanspruch 236<br />

286. Geltendmachung, Verjährung, Hemmung der Verjährung<br />

236<br />

287. Eingruppierung, Bewährungsaufstieg, Zeiten<br />

ohne Tätigkeit 237<br />

288. Eingruppierung, befristete höherwertige Tätigkeit,<br />

Zulage 238<br />

289. Betriebliche Altersversorgung, Kohledeputat;<br />

Bergmannsrente 238<br />

290. Tarifvertrag, Tariffähigkeit 240<br />

291. Tarifvertrag, Bezugnahmeklausel, Insolvenzgeld 240<br />

Bestandsschutz<br />

292. Außerordentliche Kündigung, Alkoholmissbrauch,<br />

Fahrverbot 241<br />

175


Inhalt: Entscheidungen<br />

Seite<br />

293. Beschäftigungsanspruch 242<br />

294. (Keine) Umdeutung von Tat- in Verdachtskündigung;<br />

Altersdiskriminierung (§ 622 Abs. 2 S. 2<br />

BGB) 243<br />

295. Änderungskündigung, Anfechtung; verhaltensbedingte<br />

Kündigung, Arbeitszeitbetrug; Auflösungsantrag,<br />

Arbeitnehmer, Abfindungshöhe; betriebliche<br />

Übung, Rechtsbindungswille 243<br />

296. Außerordentliche Kündigung, Pflichtverletzung,<br />

Abmahnungserfordernis 246<br />

297. Betriebsbedingte Kündigung, Begründungserfordernis;<br />

Auflösungsantrag, Anwaltshandeln 247<br />

298. Außerordentliche Kündigung Betriebsrat, Zustimmungsersetzung,<br />

Verdachtskündigung 247<br />

299. Außerordentliche Kündigung, F<strong>und</strong>unterschlagung<br />

250<br />

300. Betriebsbedingte Kündigung, Verhältnismäßigkeitsprinzip,<br />

Vorrang der Änderungskündigung 251<br />

301. Ausbildungsverhältnis, Praktikum, Probezeit 251<br />

302. Verhaltensbedingte Kündigung, Rauchverbot 252<br />

303. Betriebsbedingte Kündigung, Kurzarbeit, Erkrankung<br />

252<br />

304. Verhaltensbedingte Kündigung, Missbrauch betrieblicher<br />

Kontrolleinrichtung; Abmahnung 253<br />

305. Befristung des Arbeitsverhältnisses, Vertretung,<br />

unterschiedliche Eingruppierung von Vertreter<br />

<strong>und</strong> Vertretenen 254<br />

306. Außerordentliche Kündigung, ungerechtfertigte<br />

Beschwerde, Maßregelungsverbot 255<br />

307. Befristung des Arbeitsverhältnisses, Sachgr<strong>und</strong>,<br />

Vertretung 257<br />

308. Verdachtskündigung, Anforderungen, Diebstahl 257<br />

309. Betriebsbedingte Kündigung, Willkürüberprüfung,<br />

Auflösungsantrag 259<br />

310. Außerordentliche Kündigung, Zustimmungsverfahren<br />

Integrationsamt, Alkoholabhängigkeit 261<br />

311. Betriebbedingte Kündigung, Vergütungsreduzierung,<br />

Sonderkündigungsschutz 264<br />

312. Betriebsbedingte Kündigung, Leiharbeitnehmer 264<br />

313. Abmahnung, Beleidigung 264<br />

314. Krankheitsbedingte Kündigung, außerordentliche<br />

Kündigung 265<br />

Prozessuales<br />

315. Rechtsweg, studienbegleitendes Praktikum, Berufsausbildung<br />

265<br />

316. Prozesskostenhilfe, Aufhebung, Nachverfahren 267<br />

317. Prozesskostenhilfe, sofortige Beschwerde 267<br />

318. Prozesskostenhilfe, Nachverfahren, Erklärung 267<br />

319. Prozesskostenhilfe, Beschwerde, verspätete Einreichung<br />

von Unterlagen 267<br />

320. Prozesskostenhilfe, Nachverfahren, Rechtskraft 267<br />

176 03/09<br />

Seite<br />

321. Prozesskostenhilfe, Nachverfahren, amtlicher Vordruck<br />

267<br />

322. Prozesskostenhilfe, Nachverfahren, amtlicher Vordruck<br />

268<br />

323. Rechtliches Gehör, Nichtzulassungsbeschwerde 268<br />

324. Rechtsweg, studienbegleitendes Praktikum, Berufsausbildung<br />

269<br />

325. Prozesskostenhilfe, Vergleichsstreitwert 270<br />

326. Prozesskostenhilfe, amtlicher Vordruck 270<br />

327. Nichtzulassungsbeschwerde, gr<strong>und</strong>sätzliche Bedeutung,<br />

fehlender Tatbestand 270<br />

328. Feststellungsinteresse; Kostenentscheidung, nach<br />

„Rücknahme“ der Kündigung 271<br />

329. Berufung, Beschwerdewert, fehlerhafte Gegenstandswertfestsetzung<br />

272<br />

Sonstiges<br />

330. Geltungsbereich von Ausschlussfristen, Schadensersatzansprüche,<br />

Herausgabeanspruch; Dienstbekleidung<br />

als Sachleistung; Vergütungsanspruch,<br />

Aufrechnung unpfändbarer Lohnforderung 272<br />

331. Urlaubsanspruch, einstweilige Verfügung, Zwangsgeld<br />

<strong>und</strong> Ersatzzwangshaft 274<br />

332. AGG, Benachteiligung, Statistik 274<br />

333. AGG, Benachteiligung, Herkunftsdefinition, Mobbing;<br />

Prozessstandschaft, NATO-Truppenstatut;<br />

Kostenerstattung, außergerichtliche Kosten 275<br />

334. AGG, geschlechtsspezifische Benachteiligung 277<br />

335. Urlaubsanspruch, zusammenhängende Gewährung,<br />

Rechtsmissbrauch 277<br />

336. AGG, Belästigung, Mobbing, Ausforschungsbeweis<br />

279<br />

337. Zwangsvollstreckung, Zeugnis, Kosten der Erledigung<br />

281<br />

338. Mobbing, Schmerzensgeld 281<br />

339. Mobbing, Persönlichkeitsrechtsverletzung, Direktionsrecht<br />

285<br />

340. Urlaubsanspruch, einstweilige Verfügung 285<br />

341. Die von der Katze gebissene arbeitnehmerähnliche<br />

Person 285<br />

342. AGG, Altersdiskriminierung; AGB-Kontrolle, Transparenzgebot<br />

286<br />

343. AGG, ethnische Diskriminierung 288<br />

344. Streik, Versammlung, Strafbarkeit 288<br />

345. Anwaltliches Berufsrecht, Sachlichkeitsgebot 289<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

346. Streitwert im Kündigungsschutzverfahren, Vergütung<br />

neben – Weiterbeschäftigungsantrag 289<br />

347. Streitwert, Abmahnung, Zeugnis 289<br />

348. Streitwert im Kündigungsschutzverfahren, Vergütungsanspruch<br />

290<br />

349. Prozesskostenhilfe, maßgebliches Einkommen,<br />

Ehefrau 290


Seite<br />

350. Streitwert, Beschwerdeverfahren, Aussetzung Forderungsklage<br />

291<br />

351. Streitwert in Beschlussverfahren, soziale Angelegenheit<br />

291<br />

352. Streitwert im Beschlussverfahren, einstweilige Verfügung,<br />

Auflösungsantrag Betriebsrat, Suspendierung<br />

Amtsausübung 292<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

243. AGB-Kontrolle, Inhaltskontrolle, Vertragsstrafe<br />

1. Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen<br />

Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den<br />

Vertragspartner entgegen Treu <strong>und</strong> Glauben unangemessen<br />

benachteiligen. Unangemessen ist jede Beeinträchtigung eines<br />

rechtlich anerkannten Interesses des Arbeitnehmers, die<br />

nicht durch begründete oder billigenswerte Interessen des<br />

Arbeitgebers gerechtfertigt ist oder durch gleichwertige Vorteile<br />

ausgeglichen wird. In Bezug auf Vertragsstrafen kann<br />

allein die Höhe der vereinbarten Vertragsstrafe zu einer unangemessenen<br />

Benachteiligung des Arbeitnehmers führen.<br />

Eine unangemessen Benachteiligung kann sich auch daraus<br />

ergeben, dass die Bestimmung nicht klar <strong>und</strong> verständlich ist<br />

(§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Vertragsstrafenabrede muss also<br />

nicht nur klar <strong>und</strong> verständlich sein; sie darf auch als solche<br />

nicht unangemessen benachteiligen. Die Vereinbarung der<br />

konkreten Vertragsstrafe muss zumutbar sein. Das bedeutet,<br />

die Bestimmung muss die Angemessenheit <strong>und</strong> Zumutbarkeit<br />

erkennen lassen. Dabei muss die vereinbarte Vertragsstrafe<br />

nicht nur die zu leistende Strafe, sondern auch die sie auslösende<br />

Pflichtverletzung so klar bezeichnen, dass sich der Versprechende<br />

in seinem Verhalten darauf einstellen kann. Auch<br />

die Angemessenheit der Vertragsstrafe für das maßgebliche<br />

Verhalten muss eindeutig aus der Regelung hervorgehen (vgl.<br />

BAG, vom 18.08.2005 – 8 AZR 65/05).<br />

2. Bei Anlegung dieser Gr<strong>und</strong>sätze hält § 15 (§ 15 Vertragsstrafe:<br />

Kündigt der Arbeitnehmer das Anstellungsverhältnis vertragswidrig,<br />

so hat er eine Vertragsstrafe in Höhe von einer Bruttomonatsvergütung<br />

zu zahlen. Die Monatsvergütung errechnet<br />

sich aus dem Durchschnitt der letzten drei ungekürzten Bruttomonatsvergütungen.<br />

Die Vertragsstrafe in Höhe einer Monatsvergütung ist auch bei<br />

Nichtantritt der Arbeit, bei fristloser Entlassung durch die Firma<br />

aus wichtigem Gr<strong>und</strong>, bei Verrat von Betriebsgeheimnissen <strong>und</strong><br />

bei Verstoß gegen § 5, § 6 <strong>und</strong> § 7 dieses Vertrages zu entrichten.<br />

Weitergehende Schadensersatzansprüche bleiben hiervon<br />

unberührt.) des Arbeitsvertrages einer Überprüfung nicht<br />

stand. Aus der Formulierung wird nicht hinreichend deut-<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Seite<br />

353. Rechtsschutzversicherung, Kostenschutz für Geschäftsgebühr<br />

nach Zugang einer Kündigung 292<br />

354. Streitwert, Versetzung 293<br />

355. Streitwert im Beschlussverfahren, personelle Einzelmaßnahme<br />

293<br />

356. Streitwert im Beschlussverfahren, BR-Schulung 293<br />

lich, wann die Vertragsstrafe greifen soll. Allein der Hinweis<br />

auf eine „vertragswidrige Kündigung“ bestimmt nicht hinreichend,<br />

welches Verhalten sanktioniert werden soll. Auch<br />

lässt sich durch die Vielzahl denkbarer Verstöße – von der<br />

unbegründeten außerordentlichen Kündigung bis zur geringfügigen<br />

Unterschreitung der maßgeblichen Kündigungsfrist<br />

– keine Abwägung der beiderseitigen Interessen gerade im<br />

Hinblick auf eine Höhe der Vertragsstrafe vornehmen. Eine<br />

klare Zuordnung eines genau definierten Vertragsverstoßes<br />

zu einer zumutbaren <strong>und</strong> angemessenen Vertragsstrafe ist<br />

nicht möglich.<br />

■ Arbeitsgericht Iserlohn<br />

vom 14.05.2009, 1 Ca 1738/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Steffen Müller,<br />

Von-Scheibler-Straße 10, 58636 Iserlohn,<br />

Tel.: 02371/835555, Fax: 02371/835556<br />

GM.Arbeitsrecht@t-online.de<br />

244. Persönlichkeitsrechtsverletzung, Telefonlautsprecher,<br />

Beweisverwertungsverbot, Vertragsstrafe<br />

1. Dem mit Telefonverstärker ermöglichten Mithören eines<br />

unter Beweis gestellten Gespräches eines Dritten steht das<br />

Beweisverwertungsverbot, d.h. das geschützte Recht am<br />

gesprochenen Wort (Artikel 2 Abs. 1 i.V.m. Artikel 1.1 GG), entgegen.<br />

Verletzt wird hierdurch das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

des Gesprächspartners. Weder das allgemeine Interesse<br />

an einer funktionstüchtigen Zivilrechtspflege, noch eine so<br />

genannte Beweisnot oder das Interesse, sich Beweismittel für<br />

zivilrechtliche Ansprüche zu sichern, reichen zur Überwindung<br />

des Beweisverwertungsverbotes aus. Vielmehr muss sich die<br />

Beweisnot zu einer notwehrartigen Lage steigern, wie sie<br />

hier nicht vorliegt. (vgl. LAG München vom 24.01.2008, 3 Sa<br />

800/07).<br />

2. Eine arbeitsvertraglich vereinbarte Vertragsstrafe für den<br />

Fall der Nichtaufnahme der Tätigkeit ist gemäß § 307 Abs. 1<br />

S. 1 BGB unwirksam, wenn sie in jedem Falle, also auch während<br />

der Probezeit von sechs Monate, eine Vertragsstrafe von<br />

einem Bruttomonatsgehalt vorsieht, obwohl der Arbeitnehmer<br />

gemäß § 2 des Arbeitsvertrages während der Probezeit<br />

mit einer Kündigungsfrist von zwei Wochen sich vom Vertrag<br />

177


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

lösen kann <strong>und</strong> jedenfalls für diesen Zeitraum die vereinbarte<br />

Vertragsstrafe von einem Monatsgehalt eine Übersicherung<br />

des Arbeitgebers darstellt. Da die Vertragsstrafenklausel des<br />

Arbeitsvertrages nicht teilbar ist, <strong>und</strong> eine geltungserhaltende<br />

Reduktion der Klausel auf die Zeit nach Ablauf der Probezeit<br />

ausscheidet, kann der Arbeitgeber den Vertragsstrafenanspruch<br />

auf diese Klausel nicht stützen.<br />

■ Arbeitsgericht Berlin<br />

vom 19.03.2009, 2 Ca 17727/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Friedemann Koch,<br />

Marburger Straße 16, 10789 Berlin,<br />

Tel.: 030/21248990, Fax: 030/212489920<br />

kanzlei@friedemann-koch.de<br />

Anmerkung:<br />

Siehe zum Beweisverwehrungsverbot beim Mithören von Telefongesprächen<br />

auch BAG vom 23.04.2009 – 6 AZR 189/08 –.<br />

(gr)<br />

245. Befristung des Arbeitsverhältnisses, Hochschulrecht,<br />

Befristungsgr<strong>und</strong> im Vertrag benennen<br />

Die Befristung eines Arbeitsverhältnisses mit einer wissenschaftlichen<br />

Assistentin kann nur dann auf § 57b HRG gestützt<br />

werden, wenn der Befristungsgr<strong>und</strong> im Vertrag genannt wird.<br />

Allein die Tatsache, dass eine Assistentin an einer Fachhochschule<br />

befristet weiterbeschäftigt wird, erfüllt ohne konkrete<br />

Angaben im Arbeitsvertrag über Aufgaben <strong>und</strong> Beschäftigung<br />

das Zitiergebot nicht.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 04.12.2008, 2 Sa 549/08<br />

246. AGB-Kontrolle, Muster-Spielvertrag des DFB<br />

1. Arbeitsverträge zwischen Vertragsspielern im Sinne des § 8<br />

Ziffer 2 der Spielordnung des Deutschen Fußballb<strong>und</strong>es <strong>und</strong><br />

Vereinen auf der Gr<strong>und</strong>lage des Muster-Spielervertrages des<br />

DFB, enthalten Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne<br />

der §§ 305 ff. BGB.<br />

2. Eine Optionsklausel, mit der sich ein Regionalliga-Verein<br />

einseitig die Verlängerung eines Arbeitsvertrages mit einem<br />

Vertragsspieler im Sinne des § 8 Ziffer 2 der Spielordnung des<br />

DFB vorbehält, umgeht das Verbot ungleich langer Kündigungsfristen<br />

in § 622 Abs. 6 BGB. Hieraus folgt aber in analoger<br />

Anwendung des § 89 Abs. 2 Satz 2 HGB lediglich, dass<br />

auch der Spieler eine Option zur Vertragsverlängerung hat.<br />

3. Eine solche einseitige Optionsklausel benachteiligt einen<br />

Spieler unangemessen in seiner Berufsfreiheit aus Art. 12<br />

Abs. 1 Satz 1 GG <strong>und</strong> ist deshalb nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB<br />

unwirksam.<br />

■ Arbeitsgericht Ulm<br />

vom 14.11.2008, 3 Ca 244/08<br />

178 03/09<br />

247. Arbeitsvertrag, sittenwidrige Vertragsgestaltung,<br />

Mindestlohn (7,50 €), unwirksame Gerichtsstandvereinbarung,<br />

Rechtswahl<br />

Die Parteien streiten über Entgeltdifferenzen aus einem beendeten<br />

Arbeitsverhältnis.<br />

Bei der Beklagten handele es sich um eine juristische Person<br />

polnischen Rechts. Die Sp. z.o.o. ist eine einer deutschen<br />

GmbH vergleichbare juristische Person, die von einem<br />

Geschäftsführer vertreten wird. Nach eigenen Angaben<br />

beschäftigt die Beklagte ca. 300 Arbeitnehmer in Polen <strong>und</strong><br />

ca. 400 Arbeitnehmer in Rheda-Wiedenbrück. Sie unterhält<br />

in der ... straße in einem Gebäude, das die Ehefrau des<br />

Niederlassungsleiters der Beklagten, 2002 errichtet hat,<br />

eine unselbständige Niederlassung. Unter dieser Anschrift<br />

residierte zuvor vom 01.02.2003 bis zum 30.08.2006 die<br />

seit 2000 in Rheda-Wiedenbrück ansässige unselbständige<br />

Zweigniederlassung der u. U. (4 Ca 2429/06), deren Agent<br />

der Niederlassungsleiter der Beklagten, war <strong>und</strong> ab dem<br />

01.04.2004 die M. Sp. z.o.o., deren (Mit-)eigentümer <strong>und</strong><br />

Bevollmächtigter ebenfalls der Agent der Niederlassungsleiter<br />

der Beklagten war (6 Ca 2557/07). Bei ihnen handelt es<br />

sich wie bei der Beklagten um Subunternehmer des a.<br />

A. Die Beklagte verweist darauf, dass es sich bei ihr um<br />

eine rechtlich unselbständige Niederlassung der b. B. Sp.<br />

z.o.o. in Polen handelt, die lediglich die Aufgabe hat, die in<br />

Rheda-Wiedenbrück beschäftigten Arbeitnehmerinnen <strong>und</strong><br />

Arbeitnehmer zu betreuen. Zu diesem Zweck beschäftigt sie<br />

(bzw. die Vorgängerfirmen) kaufmännische Angestellte mit<br />

Arbeitsverträgen nach deutschem Recht (6 Ca 2557/08).<br />

Die am 02.04.1980 geborene, geschiedene <strong>und</strong> drei Kindern<br />

zum Unterhalt verpflichtete Klägerin, die die polnische Staatsbürgerschaft<br />

besitzt, hatte sich im Frühjahr 2008 im Internet in<br />

Polen Arbeitsangebote in polnischer Sprache unter der Rubrik<br />

„Arbeit im Ausland“ angeschaut <strong>und</strong> stieß auf ein Angebot einer<br />

Firma M. Sie sandte dann per E-Mail an die Firma M. einen<br />

Lebenslauf <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsangaben. Sie wurde dann unter<br />

einer deutschen Telefonnummer kontaktiert. Ihr wurde mitgeteilt,<br />

dass sie für die Arbeit in Deutschland ärztliche Zeugnisse,<br />

Lebensutensilien <strong>und</strong> weiße <strong>und</strong> warme Kleidung mitnehmen<br />

solle. Nach Absolvierung der ärztlichen Untersuchungen fuhr<br />

sie am zweiten Ostertag, also am 24.03.2008, mit einem Pkw<br />

bestimmungsgemäß zur Firma a. A. Dort wurde sie abgeholt<br />

<strong>und</strong> zunächst in eine Halle/Büro geführt, wo sie verschiedene<br />

Dokumente unterschrieb. Dann wurde sie mit anderen Arbeitnehmern<br />

zur Niederlassung der Beklagten gebracht. Dort<br />

unterzeichnete die Klägerin einen vom 21.03.2008 datierenden<br />

Arbeitsvertrag mit der Beklagten in polnischer Sprache<br />

(Ablichtung Blatt 16 f. der Akte) sowie einen vom 25.03.2008<br />

datierenden Annex zu diesem Arbeitsvertrag ebenfalls in polnischer<br />

Sprache (in der Sichthülle Blatt 69 der Akte). Für die<br />

Beklagte unterzeichnete die Angestellte Frau C. Nach dem<br />

Vertragstext (einer Übersetzung aus dem Polnischen durch<br />

einen vereidigten Dolmetscher) schlossen die Parteien da-


nach einen befristeten Arbeitsvertrag für die Zeitperiode vom<br />

21.03.2008 bis zum 26.06.2008. Die Klägerin sollte mit Arbeiten<br />

im Bereich Sortieren-Verpackung beschäftigt werden in P.,<br />

dem Sitz der Beklagten in Polen. Unter der gleichen Anschrift<br />

residiert dort auch die M. Sp. z.o.o. Es war ein St<strong>und</strong>enlohn<br />

von 6,80 PLN vereinbart. Als allgemeiner Gerichtsstand wurde<br />

der Sitz des Arbeitgebers vereinbart (wegen der weiteren<br />

Einzelheiten wird auf die Ablichtung der vereidigten Übersetzung<br />

aus dem polnischen Blatt 27 ff. der Akte verwiesen).<br />

Nach dem Annex wurde die Klägerin im Rahmen des mit ihr<br />

abgeschlossenen Arbeitsvertrages mit ihrer Zustimmung zur<br />

Ausübung der Arbeit auf das Gebiet von Deutschland in der<br />

Zeitperiode vom 25.03.2008 bis zum 24.06.2008 entsandt zum<br />

Zwecke von Sortierungs- <strong>und</strong> Verpackungsarbeiten. Ort der<br />

Arbeitsleistung sollte Rheda-Wiedenbrück sein. In § 4 „Entlohnung“<br />

haben die Parteien einen Gr<strong>und</strong>lohn von 600,00 €<br />

vereinbart. Danach heißt es in der Übersetzung weiter: „2.<br />

Dem Arbeitnehmer steht Lohnzulage zum Gr<strong>und</strong>lohn auf den<br />

in der Entlohnungsordnung von b. B. Sp. z.o.o. bestimmten<br />

Gr<strong>und</strong>sätzen zu, mit deren Inhalt sich der Arbeitnehmer bei<br />

Unterzeichnung des Arbeitsvertrages mit dem Arbeitgeber in<br />

Kenntnis gesetzt hat ... 4. Der dem Arbeitnehmer ausgezahlte<br />

Lohn wird sowohl die Menge als auch Qualität der vom Arbeitnehmer<br />

geleisteten Arbeit berücksichtigen ... “ § 7 Ziffer 2<br />

lautet: „Nach der Rückkehr des Arbeitsnehmers nach Polen<br />

vereinbaren die Vertragsparteien insbesondere den Termin<br />

der Arbeitsaufnahme durch den Arbeitnehmern im Betrieb<br />

des Arbeitgebers auf dem Gebiet von Polen ... “ In § 8 wird auf<br />

eine Arbeitsordnung verwiesen. § 9 Ziffer 5 lautet: „Die Vertragsparteien<br />

vereinbaren einstimmig, dass für die Entscheidung<br />

der Streitigkeiten, die sich aus der Anwendung von obigem<br />

Annex zum Arbeitsvertrag ergeben, das polnische Recht<br />

als zuständiges Recht angewendet wird. Eventuelle Streitigkeiten,<br />

die sich bei der Durchführung des die Vertragsparteien<br />

bindenden Vertrages ergeben könnten, werden durch die Vertragsparteien<br />

vor dem Gericht zuständig für den Sitz des Arbeitgebers<br />

gerichtet“ (wegen der weiteren Einzelheiten wird<br />

auf die vereidigte Übersetzung dieses Annexes Ablichtung<br />

Blatt 31 ff. der Akte verwiesen). Die Parteien konnten weder<br />

die Entlohnungsordnung noch die Arbeitsordnung im Gütebzw.<br />

im Kammertermin auf Befragen des Gerichts vorlegen.<br />

Die Befristungsabrede im Annex zum Arbeitsvertrag ist vor<br />

Fristablauf auf insgesamt ein Jahr verlängert worden.<br />

Die Klägerin war im a. A., mit der die Beklagte einen Werkrahmenvertrag<br />

geschlossen hatte, nach dem die Beklagte als<br />

selbständiges Spezialunternehmen Sortier- <strong>und</strong> Verpackungsarbeiten<br />

erbringt, beschäftigt. In diesem Betrieb arbeiten neben<br />

250 bei a. A. beschäftigten Arbeitnehmern ca. 2000 bei<br />

Subunternehmern beschäftigte Arbeitnehmer aus Osteuropa<br />

(insoweit wird auf den Artikel „a. A. Fleischwerk“ in Wikipedia<br />

nebst den dortigen Weblinks auf den Artikel „Kapitalismus<br />

pur“ in „Die Zeit“ 20/2007 vom 10. Mai 2007 betreffend polnische<br />

Arbeitnehmer bei Subunternehmern der Firma a. A. <strong>und</strong><br />

den Artikel „Dumpingpraktiken, Regierung droht Fleischbran-<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

che mit Mindestlohn“ Spiegel-Online vom 03.05.2007 sowie<br />

das Buch, Die Fleischmafia, von Adrian Peter, Econ Verlag,<br />

2006, verwiesen). Die Arbeitsbedingungen rumänischer Kontingentarbeitnehmer<br />

waren 2003 Gegenstand eines Verfahrens<br />

vor der Kammer (Urteil vom 13.08.2003 –3Ca2328/03<br />

in juris).<br />

Die Klägerin hat begonnen, nach ca. einem Monat eigene Arbeitszeitaufzeichnungen<br />

anzufertigen. Nach diesen Aufzeichnungen<br />

hat die Klägerin im März 2008 40 St<strong>und</strong>en, im April<br />

2008 200 St<strong>und</strong>en, im Mai 2008 290 St<strong>und</strong>en, in Juni 2008 210<br />

St<strong>und</strong>en, im Juli 2008 230 St<strong>und</strong>en <strong>und</strong> im August 2008 150<br />

St<strong>und</strong>en gearbeitet.<br />

Die Klägerin trägt vor, sie habe für März 2008 am 10. des<br />

Folgemonats 220,00 € netto erhalten, für April 2008 am 10.<br />

des Folgemonats 1.100,00 € netto, für Mai 2008 am 10. des<br />

Folgemonats 1.020,00 € netto, für Juni 2008 am 10. des Folgemonats<br />

784,00 € netto, für Juli 2008 am 10. des Folgemonats<br />

1.040,00 € netto <strong>und</strong> für August 2008 240,00 € am 10.<br />

des Folgemonats. Die Klägerin erlitt am 26.08.2008 nach der<br />

Arbeit einen Ohnmachtsanfall <strong>und</strong> wurde für 14 Tage krankgeschrieben.<br />

Diese Krankschreibung hat die Beklagte nicht<br />

akzeptiert <strong>und</strong> der Klägerin angeboten, sie könne zwei Tage<br />

unbezahlten Urlaub nehmen. Nach dem die Klägerin weiterhin<br />

arbeitsunfähig krank war, wurde sie zu einem Gespräch<br />

mit Frau C. zitiert, die die Klägerin dazu bewegte, eine Eigenkündigung<br />

zu unterschreiben unter Hinweis auf die bereits<br />

bei den Akten befindliche Eigenkündigung der Klägerin aus<br />

dem Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme.<br />

Die Klägerin hat während ihrer Tätigkeit bei der Beklagten<br />

unentgeltlich in einer Sammelunterkunft mit 17 Frauen in<br />

einer Wohnung <strong>und</strong> insgesamt 4 Frauen in einem Zimmer<br />

gelebt. Die Fahrten zwischen a. A. <strong>und</strong> ihrer Unterkunft hat<br />

die Klägerin selbst organisiert.<br />

Die Klägerin hält die Entgeltvereinbarung zwischen den Parteien<br />

für intransparent. Die vereinbarte Vergütung sei auch<br />

unter Berücksichtigung des ausgezahlten Arbeitsentgelts sittenwidrig.<br />

Die Vergütungsabrede sei mithin unwirksam. Die<br />

Beklagte sei daher verpflichtet, den für die Tätigkeit als Produktionshelferin<br />

üblichen Lohn von 7,50 € pro St<strong>und</strong>e zu<br />

zahlen, den das Fleischwarenwerk a. A. auch an die eigenen<br />

Mitarbeiter zahle, § 612 BGB.<br />

Die Beklagte meint, das angerufene Arbeitsgericht Bielefeld<br />

sei weder international noch örtlich zuständig, da die Parteien<br />

sich auf den für den Sitz der Beklagten in Polen zuständige<br />

Gericht geeinigt hätten <strong>und</strong> die Beklagte in der ... straße nur<br />

eine unselbständige Niederlassung betreibt.<br />

Darüber hinaus hätten sich die Parteien für das polnische<br />

Recht entschieden. Der vereinbarte St<strong>und</strong>enlohn von 6,80 PLN<br />

sei für die auszuübende Tätigkeit in Polen ortsüblich <strong>und</strong><br />

nicht sittenwidrig. In Deutschland habe die Klägerin schon<br />

nach eigenem Vortrag wesentlich mehr als den vereinbarten<br />

Gr<strong>und</strong>lohn von 600,00 € pro Monat ausgezahlt bekommen.<br />

Der Beklagten ist im Gütetermin der Beschluss aufgegeben<br />

worden, binnen einer Ausschlussfrist bis zum 31.10.2008<br />

179


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

im Einzelnen <strong>und</strong> unter Beweisantritt dazu vorzutragen, ob<br />

Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong>/oder Höhe der klägerischen Forderung bestritten<br />

werden. Außerdem sollte dazu vortragen werden, wer von<br />

der Beklagten an welchem Ort mit der Klägerin welche<br />

Vereinbarung getroffen hat. Dieser Auflage ist die Beklagte bis<br />

zum Kammertermin nicht nachgekommen. Im Kammertermin<br />

hat die Beklagte dem Gericht eine summarische St<strong>und</strong>enaufstellung<br />

(Blatt 53 der Akte) <strong>und</strong> ein Konvolut bestehend<br />

aus Abrechnungen in den streitbefangenen Monaten, von<br />

Umsatzstatistiken <strong>und</strong> Kopien von Schecks <strong>und</strong> Quittungen<br />

(Blatt 54 ff. der Akte) unsortiert vorgelegt.<br />

Wegen der weiteren hier gem. § 313 Abs. 2 S. 1 ZPO knapp<br />

zusammengefassten Sach- <strong>und</strong> Streitstandes wird gem. § 313<br />

Abs. 2 S. 2 ZPO auf den Inhalt der im Verfahren gewechselten<br />

Schriftsätze nebst in Bezug genommener Anlagen sowie die<br />

Sitzungsniederschriften verwiesen.<br />

Entscheidungsgründe:<br />

Die zulässige Klage ist im vollen Umfang begründet.<br />

A. Die Klage ist zulässig, weil der Rechtsstreit der deutschen<br />

Gerichtsbarkeit unterfällt.<br />

1. Die Zuständigkeit deutscher Gerichte ist nicht aufgr<strong>und</strong> rügeloser<br />

Einlassung der Beklagten nach § 239 ZPO begründet<br />

worden. Zwar wird § 239 ZPO insoweit für anwendbar gehalten<br />

(vgl. zuletzt BAG, vom 13.11.2007 – 9 AZR 134/07 – mit<br />

weiteren Nachweisen in Rn 17). Die Beklagte hatte jedoch von<br />

Anfang an deutlich gemacht, dass sich das angerufene Gericht<br />

als international unzuständig ansieht.<br />

2. Die Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien schließt die<br />

internationale Zuständigkeit des erkennenden Gerichts nicht<br />

aus. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte<br />

wäre nur dann nicht gegeben, wenn die Parteien eine wirksame<br />

anderweitige Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen<br />

hätten. Ohne eine solche Vereinbarung wäre die internationale<br />

Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach der Verordnung<br />

(EG) Nr. 44 aus 2001 des Rates vom 22. Dezember 2000<br />

über die gerichtliche Zuständigkeit <strong>und</strong> die Anerkennung <strong>und</strong><br />

Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- <strong>und</strong> Handelssachen<br />

(im folgenden: EG V 44/2001) gegeben. Abschnitt 5 dieser<br />

Verordnung regelt die Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge.<br />

Nach Artikel 19 dieser Verordnung kann ein<br />

Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates<br />

hat, verklagt werden:<br />

1. „Vor den Gerichten des Mitgliedstaates, in dem er seinen<br />

Wohnsitz hat, oder<br />

2. in einem anderen Mitgliedstaat<br />

a) vor dem Gericht des Ortes, an dem der Arbeitnehmer<br />

gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt<br />

gewöhnlich verrichtet hat, oder<br />

b) wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich nicht<br />

in ein <strong>und</strong> demselben Staat verrichtet oder verrichtet<br />

hat, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich die Niederlassung,<br />

die den Arbeitnehmer eingestellt hat, befindet,<br />

bzw. befand.“<br />

Nach Artikel 23 dieser Verordnung können Parteien, von<br />

180 03/09<br />

denen mindestens eine ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet<br />

eines Mitgliedstaates hat, Vereinbarungen über die Zuständigkeit<br />

eines Gerichtes im Hinblick auf bereits entstandene<br />

<strong>und</strong> künftige Rechtsstreitigkeiten aus einem bestimmten<br />

Rechtsverhältnis treffen. In diesem Fall ist dieses Gericht<br />

dann ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts<br />

anders vereinbart haben <strong>und</strong> eine solche Gerichtsstandsvereinbarung<br />

schriftlich geschlossen worden ist. Nach Artikel<br />

21 dieser Verordnung kann jedoch von den Vorschriften des<br />

5. Abschnittes, zu dem Artikel 19 der Verordnung gehört,<br />

im Wege der Vereinbarung nur abgewichen werden, wenn<br />

die Vereinbarung entweder nach Entstehung der Streitigkeit<br />

getroffen wird oder wenn sie dem Arbeitnehmer die Befugnis<br />

einräumt, andere als die in diesem Abschnitt angeführten<br />

Gerichte anzurufen. Der vorliegende Rechtsstreit unterliegt<br />

dem Artikel 19 der EG V 44/2001. Nach Artikel 18 Abs. 1<br />

die EG V 44/2001 müssen „ein individueller Arbeitsvertrag“<br />

oder „Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag“<br />

Streitgegenstand seien. Dies bedeutet, dass nicht nur eine<br />

Klage auf Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft, sondern<br />

auch Ansprüche aller Art aus dem Arbeitsverhältnis erfasst<br />

werden. Dabei ist kein enger Maßstab anzulegen (vgl. dazu<br />

nur Däubler: „Die internationale Zuständigkeit der deutschen<br />

Arbeitsgerichte – neue Regeln durch die Verordnung (EG)<br />

Nr. 44/2001“, NZA 2003, 1297 ff. (1299)). Die Parteien haben<br />

in § 8 Ziffer 5 des Annexes zum Arbeitsvertrag nur das für<br />

den Sitz der Beklagten in Polen zuständige Gericht vereinbart.<br />

Diese Vereinbarung verstößt gegen Artikel 21 der vorgenannten<br />

EG-Verordnung. Im vorliegenden Fall ist der Klägerin<br />

durch die Gerichtsstandsvereinbarung weder eine zusätzliche<br />

Option eingeräumt worden, also dass Recht, auch eine nach<br />

Artikel 19 nicht zuständiges Gericht anrufen zu können, noch<br />

ist die Gerichtsstandsvereinbarung nach Entstehen der hier<br />

zu entscheidenden Streitigkeit geschlossen worden.<br />

Die EG-Verordnung 44/2001 stellt der Klägerin daher wahlweise<br />

drei Gerichtsstände zur Verfügung. Das angerufene<br />

Arbeitsgericht Bielefeld ist einer hiervon, nämlich der Gerichtsstand<br />

des „gewöhnlichen Arbeitsortes“ (Ziff. 2a)). Der<br />

„gewöhnliche Arbeitsort“ liegt im Regelfall dort, wo die<br />

geschuldete Arbeitsleistung erbracht wird. Bei stationärer<br />

Tätigkeit ist dies meist der Betrieb (vgl. nur LAG Köln vom<br />

25.06.1996 – 10 Sa 1251/95 – in: LAGE Art. 30 EGBGB Nr. 1).<br />

Wird der Betroffene vorübergehend an einen anderen Ort<br />

oder in ein anderes Land entsandt, ist dies ohne rechtliche<br />

Relevanz. Im vorliegenden Fall besteht die Besonderheit,<br />

dass die Klägerin für die Beklagte zu keinem Zeitpunkt in<br />

Polen gearbeitet hat, sondern aufgr<strong>und</strong> des Arbeitsvertrages<br />

<strong>und</strong> des Annexes zum Arbeitsvertrag ihre Arbeitsleistung<br />

während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses in<br />

Rheda-Wiedenbrück erbracht hat. Soweit die Beklagte darauf<br />

verweist, dass die Vertragsparteien nach § 7 Ziffer 2<br />

des Annexes zum Arbeitsvertrag „nach der Rückkehr des<br />

Arbeitnehmers nach Polen“ den Termin der Arbeitsaufnahme<br />

durch den Arbeitnehmer im Betrieb des Arbeitgebers auf


dem Gebiet von Polen vereinbaren werden, ändert dies<br />

nichts daran, dass für die Dauer des Vertrages der Parteien<br />

der gewöhnliche Arbeitsort der Klägerin Rheda-Wiedenbrück<br />

war. Zudem war Rheda-Wiedenbrück der Ort, an dem die<br />

Klägerin ihre Arbeit „zuletzt gewöhnlich verrichtet hat“. Auch<br />

wenn man mit dem Europäischen Gerichtshof darauf abstellt,<br />

wo der „tatsächliche Mittelpunkt der Berufstätigkeit“, der<br />

„Schwerpunkt der Arbeitsleistung“ liegt, ist dies eindeutig<br />

Rheda-Wiedenbrück. Hierhin ist die Klägerin gereist, um ihre<br />

Arbeit aufzunehmen. Hier wurde das Vertragsverhältnis der<br />

Parteien beendet. Dazwischen hat die Klägerin an keinem<br />

anderen Ort gearbeitet (vgl. dazu nur EuGH vom 09.01.1997 –<br />

C 383/95 – in: AP Nr. 2 zu Artikel 5 Brüsseler Abkommen).<br />

Zudem greift hilfsweise nach Artikel 19 Abs. 2b) der EG V<br />

44/2001 der Gerichtsstand der einstellenden Niederlassung<br />

ein. Besteht kein gewöhnlicher Arbeitsort, stellt Artikel 19<br />

in Ziffer 2b) der Verordnung hilfsweise auf die einstellende<br />

Niederlassung ab. Gemeint ist damit der Ort des Vertragsschlusses<br />

(ebenso LAG Niedersachsen vom 20.11.19989 – 3<br />

Sa 909/98 – in: LAGE Art. 30 EGBGB Nr. 3; Gragert/Drenckhahn,<br />

in: NZA 2003, 307 unter Hinweis darauf, dass dort meist<br />

auch die Personalverwaltung erfolgt). Die Beklagte hat zwar<br />

noch im Gütetermin mündlich bestritten, die Einstellung sei<br />

in Deutschland in Rheda-Wiedenbrück in der ... straße, dem<br />

Sitz der Niederlassung der Beklagten, erfolgt. Insoweit ist ein<br />

Bestreiten mit Nichtwissen jedoch unzulässig. Die Beklagte<br />

hätte substantiiert vortragen müssen, wo (im „Stammhaus“?)<br />

<strong>und</strong> wann in Polen der Arbeitsvertrag unterzeichnet worden<br />

ist <strong>und</strong> wer für die Beklagte den Arbeitsvertrag in Polen<br />

gegengezeichnet hat. Die unstreitige Tatsache, dass der<br />

Arbeitsvertrag der Klägerin von Frau C. gegengezeichnet<br />

ist, die wiederum in der Niederlassung der Beklagten in<br />

Rheda-Wiedenbrück für die Beklagte tätig ist, führt dazu, dass<br />

die Beklagte sich nicht auf bloßes Bestreiten mit Nichtwissen<br />

beschränken durfte.<br />

B. Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte<br />

einen Anspruch auf Zahlung der „üblichen Vergütung“<br />

im Sinne von § 612 BGB i.V.m. § 138 BGB.<br />

1. Die Klägerin kann sich mit Erfolg auf diese Vorschriften<br />

berufen, obwohl die Parteien im Annex zum Arbeitsvertrag<br />

vereinbart haben, dass „die Entscheidung der Streitigkeiten,<br />

die sich aus der Anwendung des Annexes zum Arbeitsvertrag<br />

ergeben, das polnische Recht als zuständiges Recht angewendet<br />

wird“.<br />

Die Kammer versteht diese Vereinbarung so, dass die Parteien<br />

die Entscheidung ihres Rechtsstreits nicht (nur) polnischem<br />

Verfahrensrecht unterstellen wollten, sondern dass die Entscheidung<br />

der Streitigkeiten, die sich aus der Anwendung des<br />

Arbeitsvertrages der Parteien <strong>und</strong> seines Annexes ergeben,<br />

materiell polnischem Recht unterliegen soll. Diese Vereinbarung<br />

der Parteien hat das erkennende Gericht gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

zu akzeptieren. Nach Artikel 27 EGBGB unterliegt der Vertrag<br />

dem von den Parteien gewählten Recht. Damit unterliegen<br />

die arbeitsvertraglichen Beziehungen der Parteien gr<strong>und</strong>sätz-<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

lich auch materiell polnischem Arbeitsrecht. Die freie Rechtswahl<br />

der Parteien tangiert jedoch nicht die Anwendung der<br />

Bestimmungen des deutschen Rechts, die ohne Rücksicht auf<br />

das auf den Vertrag anzuwendende Recht den Sachverhalt<br />

zwingend regeln, Artikel 27 Abs. 3 EG BGB. Danach berührt<br />

die Wahl des Rechts eines anderen Staates, wenn der sonstige<br />

Sachverhalt im Zeitpunkt der Rechtswahl nur mit einem Staat<br />

verb<strong>und</strong>en ist, – auch wenn sie durch die Vereinbarung der<br />

Zuständigkeit eines Gerichts eines anderen Staates ergänzt<br />

ist – die Bestimmungen nicht, von denen nach dem Recht<br />

jenes Staates durch Vertrag nicht abgewichen werden kann<br />

(zwingende Bestimmungen).<br />

a.) Artikel 27 Abs. 3 EGBGB enthält also eine Beschränkung<br />

der Rechtswahl, soweit – von der Rechtswahlklausel abgesehen<br />

– keine Auslandsbeziehungen bestehen. Ist der Sachverhalt<br />

zum Zeitpunkt der Rechtswahl nur mit einem Staat verb<strong>und</strong>en,<br />

d.h. eindeutig lokalisiert, so ist zwar eine Rechtswahl<br />

nicht ausgeschlossen. In solchen „Binnensachverhalten“ kann<br />

jedoch die Vereinbarung der Rechtsordnung eines anderen<br />

Staates die zwingenden Bestimmungen dieses Staates nicht<br />

berühren. Das Recht des Staates, zu dem der Vertrag allein<br />

Beziehungen aufweist, bildet sozusagen das „Einbettungsstatut“.<br />

aa.) Mangels einer Rechtswahl würde auf das Arbeitsverhältnis<br />

der Parteien deutsches Arbeitsrecht zur Anwendung kommen.<br />

Denn nach Artikel 20 Abs. 2 EGBGB unterliegen Arbeitsverträge<br />

<strong>und</strong> Arbeitsverhältnisse dem Recht des Staates, in dem<br />

der Arbeitnehmer durch Erfüllung des Vertrages „gewöhnlich“<br />

seine Arbeit verrichtet (Ziffer 1) bzw. in dem sich die Niederlassung<br />

befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat, sofern<br />

dieser seine Arbeit gewöhnlich nicht in einem <strong>und</strong> demselben<br />

Staat verrichtet (Ziffer 2), wenn die Parteien keine Rechtswahl<br />

getroffen hätten, es sei denn, dass sich aus der Gesamtheit<br />

der Umstände ergibt, dass der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis<br />

engere Verbindungen zu einem anderen Staat<br />

aufweist. In jenem Fall wäre das Recht eines dieser anderen<br />

Staaten anzuwenden.<br />

Der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis der Parteien<br />

weist nach Ansicht der Kammer keine engeren Verbindungen<br />

zu einem anderen Staat auf, da – wie bereits ausgeführt –<br />

die wechselseitigen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen<br />

während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses ausschließlich<br />

in Deutschland erfüllt worden sind. Der Sachverhalt<br />

war zum Zeitpunkt der Rechtswahl nur mit einem Staat<br />

verb<strong>und</strong>en, nämlich mit der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland.<br />

Nach dem Vortrag der Klägerin, dem die Beklagte nicht<br />

substantiiert widersprochen hat, bezieht sich das Arbeitsverhältnis<br />

der Parteien eindeutig auf Deutschland.<br />

Nach der ersten Kontaktanknüpfung im Internet wurde die<br />

Klägerin aus Deutschland angerufen <strong>und</strong> über die näheren<br />

Modalitäten ihres Arbeitsverhältnisses informiert. Nachdem<br />

die Klägerin die Voraussetzungen für eine Arbeitsaufnahme<br />

geschaffen hatte, wurden der Arbeitsvertrag <strong>und</strong> der Annex<br />

zum Arbeitsvertrag in Rheda-Wiedenbrück, d.h. in Deutsch-<br />

181


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

land unterzeichnet. Der Arbeitsvertrag der Parteien, der<br />

vom 21.03.2008 datiert, ist damit tatsächlich am 25. oder<br />

26.03.2008 zeitgleich mit dem Annex zum Arbeitsvertrag<br />

unterzeichnet worden. Die Absicht der Beklagten, den Annex<br />

zum Arbeitsvertrag als „Entsendevertrag“ in einen originären<br />

Arbeitsvertrag der Parteien in Polen „einzubetten“, ist damit<br />

fehlgeschlagen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte<br />

in Polen tatsächlich – wie sie behauptet, Arbeitnehmer<br />

beschäftigt. Eine auf das Arbeitsverhältnis bezogene Organisation<br />

hat die Klägerin in Polen nicht erlebt.<br />

Überdies wurde das Arbeitsverhältnis über die gesamte<br />

Dauer in Deutschland abgewickelt. Hierzu beschäftigt die<br />

Beklagte festangestellte kaufmännische Kräfte, deren Arbeitsverhältnisse<br />

in deutscher Sprache vereinbart sind <strong>und</strong><br />

deutschem Recht unterfallen. Die Klägerin hat während der<br />

gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses der Parteien in<br />

Deutschland gewohnt <strong>und</strong> gearbeitet. Sie hat ihre Vergütung<br />

in Deutschland erhalten, ebenso wie ihre Lohnabrechnungen.<br />

Ihre Arbeitsanweisungen wurden durch in Deutschland<br />

beschäftigte Vorarbeiter erteilt. Die Personalabrechnungen<br />

erfolgten in deutsch/polnischer Sprache <strong>und</strong> sind ersichtlich<br />

mit einem deutschen EDV-Programm erstellt.<br />

Damit weist das Arbeitsverhältnis außer der Tatsache, dass<br />

die Klägerin die polnische Staatsangehörigkeit besitzt <strong>und</strong> es<br />

sich bei der Beklagten um eine juristische Person polnischen<br />

Rechts handelt, <strong>und</strong> die Beklagte eine polnische Pfändung<br />

bedient <strong>und</strong> die Sozialversicherungsbeiträge (aufgr<strong>und</strong> einer<br />

E 101 Bescheinigung) nach Polen abgeführt hat, keinen Bezug<br />

zu Polen auf.<br />

bb.) Nach der Legaldefinition des Artikels 27 Abs. 3 EG BGB<br />

handelt es sich um Vorschriften, von denen nach dem Recht<br />

des maßgeblichen Staates nicht durch Vertrag abgewichen<br />

werden kann. Gemeint sind also nichtdispositive Bestimmungen<br />

des normsetzenden Staates, an welche die Parteien geb<strong>und</strong>en<br />

sind. Artikel 27 Abs. 3 EG BGB gilt somit für zwingende<br />

Vorschriften jeglicher Art (vgl. Martini, in: Münchener<br />

Kommentar zum BGB, 4. Auflage 2006, Artikel 27 EG BGB<br />

Rn 90 m.w.N. in Rn 347, vgl. dazu auch Schlachter, in: Erfurter<br />

Kommentar zum Arbeitsrecht, 9. Auflage 2008, Rn 15). Hierzu<br />

zählen auch die §§ 305 ff. BGB.<br />

cc.) Die im Arbeitsvertrag der Parteien vereinbarte Entlohnung<br />

ist schon nach den §§ 305 ff. BGB unwirksam. Die Entlohnungsvereinbarung<br />

unterliegt der Inhaltskontrolle nach § 307<br />

Abs. 3 Satz 2 BGB i.V.m. § 307 Abs. 1 Satz 2 <strong>und</strong> § 310 Abs. 3<br />

Nr. 3 BGB.<br />

Nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB unterliegen Bestimmungen in<br />

allgemeinen Geschäftsbedingungen der uneingeschränkten<br />

Inhaltskontrolle, wenn sie von Rechtsvorschriften abweichen<br />

oder als diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere<br />

Bestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen,<br />

durch die nicht von Rechtsvorschriften abgewichen wird, sind<br />

gemäß § 307 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB bei<br />

einem Verstoß gegen das Transparenzgebot unwirksam. Dieser<br />

eingeschränkten Kontrolle unterliegen auch Klauseln, die<br />

182 03/09<br />

den Umfang der von den Parteien geschuldeten Arbeitsleistung<br />

festlegen. Im Arbeitsverhältnis sind das vor allem die<br />

Arbeitsleistung <strong>und</strong> das Arbeitsentgelt. Es ist nicht Aufgabe<br />

des Gerichts, über die § 305 ff. BGB den „gerechten Preis“<br />

zu ermitteln. § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB beruht auf der Erwägung,<br />

dass ein Mindestmaß an Transparenz der Preisgestaltung<br />

einen funktionierenden Wettbewerb erst ermöglicht.<br />

Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich eine zur Unwirksamkeit<br />

der Klausel führende unangemessene Benachteiligung<br />

(§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) auch daraus ergeben, dass die Klausel<br />

nicht klar <strong>und</strong> verständlich ist. Das Transparenzgebot des<br />

§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB schließt das Bestimmtheitsgebot ein.<br />

Danach müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen <strong>und</strong><br />

Rechtsfolgen so genau beschrieben werden, dass für den Verwender<br />

keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen.<br />

Eine Klausel genügt dem Bestimmtheitsgebot, wenn<br />

sie im Rahmen des rechtlich <strong>und</strong> tatsächlich Zumutbaren die<br />

Rechte <strong>und</strong> Pflichten des Vertragspartners des Klauselverwenders<br />

so klar <strong>und</strong> präzise wie möglich umschreibt. Gemessen<br />

an diesen Gr<strong>und</strong>sätzen hält § 4 des Annexes zum Arbeitsvertrag<br />

der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 2 i.V.m.<br />

§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht stand. Der Klägerin wird zwar<br />

ein Gr<strong>und</strong>lohn in Höhe von 600,00 € brutto pro Monat zugesagt.<br />

Ihr wird jedoch weiterhin eine Lohnzulage nach einer<br />

Entlohnungsordnung der Beklagten zugesagt, die sowohl<br />

die Menge als auch die Qualität der von der Klägerin geleisteten<br />

Arbeit berücksichtigen soll. Auf Befragen des Gerichts<br />

konnte keine der Parteien im Kammertermin diese Entlohnungsordnung<br />

der Beklagten vorlegen. Der Klägerin hat diese<br />

Entlohnungsordnung bei der Unterzeichnung entgegen dem<br />

Wortlaut des Arbeitsvertrages nicht vorgelegen. Auch die Beklagte<br />

vermochte die Entlohnungsordnung nicht vorzulegen<br />

<strong>und</strong> hat insoweit auf das „Stammhaus“ in Polen verwiesen<br />

sowie darauf, dass die entsprechenden Eckdaten in die EDV<br />

„eingepflegt“ seien. Ohne die – angebliche – Entlohnungsordnung<br />

der Beklagten ist jedoch niemand in der Lage, die<br />

Lohnzulage zum Gr<strong>und</strong>lohn der Klägerin zu berechnen. Dies<br />

führt zur Unwirksamkeit der Entgeltvereinbarung:<br />

dd.) Für den Fall, dass man diese Auffassung der Kammer zur<br />

Auslegung der §§ 305 ff. BGB nicht teilt, ist die zwischen den<br />

Parteien getroffene arbeitsvertragliche Entgeltvereinbarung<br />

wegen Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB)<br />

unwirksam, so dass die Klägerin gemäß § 612 Abs. 2 BGB die<br />

übliche Vergütung beanspruchen kann. Nach seinem Wortlaut<br />

greift § 612 Abs. 1 BGB nur ein, wenn keine Vergütung – auch<br />

nicht stillschweigend – vereinbart ist. Die Bestimmung ist aber<br />

auch dann anwendbar, wenn der Vertrag nach § 138 Abs. 2<br />

BGB – wegen Lohnwuchers – nichtig ist (BAG vom 10.03.1960<br />

in: AP Nr. 2 zu § 138 BGB; Landesarbeitsgericht Bremen vom<br />

03.12.1992 in: AiB 1993, 834) (dazu gleich).<br />

b.) Folgt man der Auffassung der Kammer zur Anwendbarkeit<br />

des Art. 27 Abs. 3 EGBGB nicht, ergibt sich die Anwendung<br />

dieser Vorschriften aus Artikel 30 Abs. 1 EGBGB sowie Artikel<br />

34 EGBGB (Schlachter a.a.O.).


Danach kann durch die Wahl eines fremden Rechts jedenfalls<br />

von international zwingenden Vorschriften des deutschen<br />

Rechts nicht abgewichen werden. Solche als „Eingriffsnormen“<br />

bezeichnete Vorschriften widerstehen jeder Abwahl <strong>und</strong><br />

verlangen ihre Anwendbarkeit. Der Gesetzeszweck liegt in der<br />

Durchsetzung inländischer ordnungspolitscher Vorstellungen,<br />

die nicht zur Disposition der Parteiautonomie stehen. Zu diesen<br />

Vorschriften gehören nicht alle zwingenden Normen des<br />

Arbeitsrechts. Mit Martini (a.a.O. Artikel 34 Rn 9 m.w.N.) ist von<br />

international zwingenden Normen dann auszugehen, wenn<br />

ihre Geltung für grenzüberschreitende Fälle unabhängig vom<br />

Vertragsstatut ausdrücklich angeordnet ist oder sich durch<br />

Auslegung ermitteln lässt, wobei der jeweilige Gesetzeszweck<br />

ermittelt werden muss. ...<br />

aa.) Zu den auf jeden Fall zu beachtenden international zwingenden<br />

Bestimmungen gehört – neben den §§ 305 ff. BGB –<br />

§ 138 BGB im Allgemeinen, sowie die richterrechtlichen Konkretisierungen<br />

des Wuchertatbestandes im Besonderen. Zumindest<br />

für den Wucher nach § 138 Abs. 2 BGB gilt, dass<br />

dieser Schutz nicht durch Rechtswahl abbedungen werden<br />

kann (so Gammillscheg, in: ZfA 1983, 361). In Rechtssprechung<br />

<strong>und</strong> Literatur ist offen, ob das Wucherverbot hier über Artikel<br />

30 Abs. 1, Artikel 6 oder Artikel 34 EGBGB durchgesetzt wird<br />

(vergleiche dazu nur LG Detmold, Urteil vom 29.09.1994 –<br />

9 0 57/94 – in: NJW 1994, 3301 bis 3303). Diese Frage bedarf<br />

letztlich nicht der Entscheidung, da in jedem Fall ein evidenter<br />

Verstoß gegen das Wucherverbot nicht angenommen werden<br />

kann (so Arbeitsgericht Wesel vom 03.05.1995 –3Ca361/94 –<br />

in: AuR 1995, 475 (476) = AiB 1996, 126 f.).<br />

bb.) Es liegt ein auffälliges Missverhältnis zwischen der mit der<br />

Klägerin vereinbarten <strong>und</strong> tatsächlich gezahlten St<strong>und</strong>envergütung<br />

<strong>und</strong> dem einschlägigen marktüblichen Entgelt vor.<br />

aaa.) Wann in einem Einzelfall von einem sittenwidrigen Lohnwucher<br />

ausgegangen werden kann, ist im Arbeitsrecht noch<br />

nicht abschließend geklärt.<br />

Da gesetzliche Regelungen hinsichtlich der Lohnhöhe für das<br />

Arbeitsverhältnis der Parteien nicht existieren (insbesondere<br />

das Arbeitnehmerentsendegesetz auf das Arbeitsverhältnis<br />

nicht zur Anwendung kommt) <strong>und</strong> auch ein Tarifvertrag<br />

nicht einschlägig ist, ist es im Rahmen der verfassungsrechtlich<br />

garantierten Privatautonomie <strong>und</strong> der Vertragsfreiheit<br />

gemäß § 105 Gewerbeordnung gr<strong>und</strong>sätzlich Sache der<br />

Vertragsparteien, die Höhe der Vergütung festzulegen.<br />

Dieser Freiheit sind allerdings dann Grenzen gesetzt, wenn<br />

eine sittenwidrige Vergütung vereinbart wird (§ 138 BGB). Bei<br />

der Auslegung dieser einfachgesetzlichen Vorschriften sind<br />

allerdings wiederum verfassungsrechtliche Wertungen zu berücksichtigen.<br />

Soweit die Privatautonomie ihre regulierende<br />

Kraft nicht zu entfalten vermag, weil ein Vertragspartner kraft<br />

seines Übergewichts Vertragsbestimmungen einseitig setzen<br />

kann, müssen staatliche Regelungen ausgleichend eingreifen,<br />

um den Gr<strong>und</strong>rechtschutz zu sichern. Der einzelne Arbeitnehmer<br />

befindet sich beim Abschluss von Arbeitsverträgen<br />

typischerweise in einer Situation struktureller Unterlegenheit.<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Im Bereich des Arbeitslebens steht nicht nur der Arbeitgeber<br />

sondern auch der Arbeitnehmer unter dem Schutz des Artikels<br />

12 Abs. 1 GG. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> schützt Artikel 12<br />

Abs. 1 GG auch das Interesse des Arbeitnehmers an zumutbaren<br />

Arbeitsbedingungen (vgl. nur B<strong>und</strong>esverfassungsgericht,<br />

2. Kammer des ersten Senats, Beschluss vom 23.11.2006 – 1<br />

BVR 1909/06 – in: NZA 2007, 85 ff.). Dies gilt nach Ansicht der<br />

Kammer auch für ausländische Arbeitnehmer.<br />

Eine arbeitsvertragliche Entgeltvereinbarung kann wegen<br />

Lohnwuchers oder wegen eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts<br />

nichtig sein. Sowohl der spezielle Straftatbestand als<br />

auch der zivilrechtliche Lohnwucher nach § 138 Abs. 2 BGB<br />

<strong>und</strong> das wucherähnliche Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1<br />

BGB setzen ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung<br />

<strong>und</strong> Gegenleistung voraus (vgl. nur B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

Urteil vom 23.05.2001 – 5 AZR 527/99 – sowie BAG Urteil vom<br />

24.03.2004 – 5 AZR 303/03 – <strong>und</strong> BAG Urteil vom 26.04.2006 –<br />

5 AZR 549/05). Ein Missverhältnis liegt vor, wenn der Wert der<br />

Leistung mit dem der Gegenleistung nicht übereinstimmt.<br />

Auffällig ist dieses Missverhältnis dann, wenn dem K<strong>und</strong>igen<br />

dies – sei es erst nach Aufklärung des Sachverhalts – ohne<br />

weiteres ins Auge springt (vgl. BGH Urteil vom 22.04.1997 – 1<br />

StR 701/96).<br />

Das „auffällige Missverhältnis“ ist allerdings nicht allein nach<br />

der vereinbarten Entgelthöhe zu beurteilen. Ein Rechtsgeschäft<br />

verstößt gegen § 138 Abs. 1 BGB, wenn es nach seinem<br />

aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggr<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />

Zweck zu entnehmendem Gesamtcharakter mit den guten<br />

Sitten nicht zu vereinbaren ist. Zu berücksichtigen sind auch<br />

Wertungen des Gr<strong>und</strong>gesetzes <strong>und</strong> einfachgesetzliche Regelungen.<br />

Hierbei ist weder das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit<br />

noch eine Schädigungsabsicht erforderlich, sondern es<br />

genügt vielmehr, dass der Handelnde die Tatsachen kennt,<br />

aus denen die Sittenwidrigkeit folgt (vgl. BGH Urteil vom<br />

19.01.2001 –VZR437/99 –; BAG Urteil vom 26.04.2006 – 5<br />

AZR 549/05).<br />

Das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht hat bisher keine allgemeinen Richtwerte<br />

zur Feststellung eines auffälligen Missverhältnisses zwischen<br />

Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung entwickelt. Es hat lediglich<br />

ausgeführt, dass zur Feststellung des auffälligen Missverhältnisses<br />

zwischen den Leistungen <strong>und</strong> Gegenleistungen nicht<br />

auf einen bestimmten Abstand zwischen dem Arbeitsentgelt<br />

<strong>und</strong> dem Sozialhilfesatz abgestellt werden könne <strong>und</strong> auch<br />

die Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO keinen geeigneten<br />

Anknüpfungspunkt darstellen (BAG Urteil vom 24.03.2004<br />

a.a.O.). Im Übrigen hat es abgesehen von besonderen Konstellationen<br />

offen gelassen, ob <strong>und</strong> ggf. von welchem Richtwert<br />

auszugehen ist <strong>und</strong> ob ggf. auch die absolute Entgelthöhe zu<br />

berücksichtigen ist.<br />

Entscheidender Orientierungsmaßstab für die Prüfung, ob ein<br />

auffälliges Missverhältnis vorliegt, ist der Tariflohn, <strong>und</strong> zwar<br />

ohne tarifliche Zusatzleistungen (vgl. dazu nur Reinecke, Vertragskontrolle<br />

im Arbeitsverhältnis, in: NZA Beilage zu Heft 3,<br />

2000, 23 (32)). Allerdings soll nach der Rechtsprechung nicht<br />

183


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

nur auf die Tariflöhne des jeweiligen Wirtschaftzweiges, sondern<br />

auch auf das allgemeine Lohnniveau im Wirtschaftsgebiet<br />

abgestellt werden. In Bereichen, in denen keine einschlägigen<br />

Tarifverträge existieren, sind verwandte Tarifverträge als<br />

Vergleichsmaßstab heranzuziehen.<br />

Das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht hat jüngst entschieden, dass der Erhalt<br />

von 70 % der üblichen Vergütung nicht geeignet sei, ein<br />

auffälliges Missverhältnis zu begründen (BAG vom 23.05.2001<br />

a.a.O.). Offen gelassen hat es in derselben Entscheidung, ob<br />

entsprechend der Auffassung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs (BGH<br />

vom 22.04.1997 – 1 StR 701/96 – in: AP Nr. 52 zu § 138 BGB)<br />

zu § 302a StGB a. F., jetzt § 291 StGB n. F., bei 63 v.H. – das<br />

BAG spricht von 2/3 – des Tariflohnes von einem auffälligen<br />

Missverhältnis auszugehen ist.<br />

Dem Richtwert von 2/3 des üblichen Lohnes sind einzelne<br />

Arbeitsgerichte bereits gefolgt (LAG Berlin vom 20.02.1998 in:<br />

LAGE Nr. 1 zu § 302 StGB, ebenso Reinecke, NZA Beilage a.a.O.;<br />

Peter, in: AuR 1999, 289 (293)). Die erkennende Kammer folgt<br />

dieser Rechtssprechung, weil eine Abweichung um 1/3 regelmäßig<br />

bereits so erheblich ist, dass davon zu sprechen ist,<br />

dass sie dem K<strong>und</strong>igen ins Auge fällt. Übereinstimmung besteht<br />

jedenfalls darin, dass bei der Hälfte des Tariflohnes oder<br />

des üblichen Lohnes in der Regel ein auffälliges Missverhältnis<br />

<strong>und</strong> damit eine Sittenwidrigkeit zu bejahen ist (vgl. zum<br />

vorstehenden <strong>und</strong> m.w.N. der Instanzrechtsprechung Preis, in:<br />

Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht a.a.O. § 612 BGB Rn 3).<br />

bbb.) Für die Tätigkeit der Klägerin als Produktionshelferin ist<br />

im Bereich der Fleischwarenindustrie als Vergleichsmaßstab<br />

ein „üblicher Lohn“ in Höhe von mindestens 7,50 € je St<strong>und</strong>e<br />

zugr<strong>und</strong>e zulegen. Die Kammer beruft sich insoweit auf einen<br />

Vortrag „Tarifentwicklung der deutschen Fleischwarenindustrie“,<br />

den Bernhard Hemsing am 07.02.2007 im Rahmen einer<br />

Veranstaltung der Gewerkschaft NGG in deren Bildungszentrum<br />

in Oberjosbach gehalten hat (Foliensatz im Internet<br />

abrufbar). Darin wird nach der Darstellung der „Strategie der<br />

Arbeitgeber“, die entsprechenden Manteltarifverträge zu kündigen,<br />

das Lohnniveau dargestellt. Die Durchschnittslöhne in<br />

der Fleischwarenindustrie belaufen sich danach bei Facharbeitern<br />

auf 12,41 € <strong>und</strong> bei angelernten Tätigkeiten auf 9,24 €,<br />

wobei sich die Eintrittslöhne in einem Bereich von 7,14 € bis<br />

8,55 € bewegen. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> ist die erkennende<br />

Kammer der Auffassung, dass ein Lohn von 7,50 € pro St<strong>und</strong>e<br />

als Eintrittslohn für un- <strong>und</strong> angelernte Tätigkeiten in der<br />

Fleischwarenindustrie eher das „unterste Minimum“ als eine<br />

übliche Vergütung ist.<br />

Die Gewerkschaft NGG propagiert vor dem Hintergr<strong>und</strong> des<br />

Umstandes, dass weite Bereiche der Fleischwarenindustrie aktuell<br />

nicht mehr tarifvertraglichen Vorschriften unterliegen,<br />

einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 €. Vor dem Hintergr<strong>und</strong>,<br />

dass der Staatssekretär im B<strong>und</strong>esarbeitsministerium,<br />

Gerd Andres, am 03.05.2007 auf einer Pressekonferenz die Zustände<br />

in der Fleischindustrie auch am Beispiel des Unternehmens<br />

a. A. angeprangert hat, kommuniziert jenes, dass in<br />

ihrem Betrieb 7,50 € mindestens pro St<strong>und</strong>e gezahlt werden,<br />

184 03/09<br />

(so wie dies auch der Klägervertreter anlässlich einer Besichtigung<br />

des Betriebes durch den Industrie- <strong>und</strong> Handelsclub<br />

vernommen hat). Der Hinweis der Beklagten, die der Klägerin<br />

gezahlte Vergütung sei in Polen nicht sittenwidrig, vermag<br />

daran nichts zu ändern, denn die Klägerin hat in Deutschland<br />

gearbeitet <strong>und</strong> gelebt.<br />

ccc.) Nach dem Vortrag der Klägerin hat sie im streitbefangenen<br />

Zeitraum für die Beklagte insgesamt 1120 St<strong>und</strong>en<br />

gearbeitet <strong>und</strong> hier für insgesamt eine Vergütung in Höhe von<br />

4.384,20 € ausgezahlt erhalten. Dies bedeutet einen St<strong>und</strong>enlohn<br />

von 3,91 € netto. Die Kammer muss davon ausgehen,<br />

dass die Beklagte mit ihren bisherigen Vergütungszahlungen<br />

die geleisteten St<strong>und</strong>en der Klägerin als abgegolten ansieht,<br />

weil die Beklagte der Volksbank unautorisiert zum Zwecke der<br />

Kontoschließung mitgeteilt hat, dass die Klägerin nach Polen<br />

verreist sei <strong>und</strong> seitdem auch keine Zahlungen an die Klägerin<br />

mehr geleistet hat.<br />

ddd.) Soweit die Beklagte am Ende des Kammertermins ein<br />

Konvolut bestehend aus einer Tabelle über die ihrer Ansicht<br />

nach von der Klägerin geleisteten Arbeitsst<strong>und</strong>en, den der<br />

Klägerin erteilten Abrechnungen <strong>und</strong> den von der Klägerin –<br />

angeblich – unterzeichneten Schecks <strong>und</strong> Quittungen vorgelegt<br />

hat, musste die Beklagte mit diesem Vorbringen als<br />

verspätet ausgeschlossen werden, wenn man dies als substantiierten<br />

Vortrag werten wollte.<br />

Die Beklagte ist im Gütetermin gem. § 11a ArbGG belehrt<br />

worden. Der Beklagten war im Auflagenbeschluss, der im Gütetermin<br />

vom 13.10.2008 verkündet <strong>und</strong> mit der Beklagten<br />

auch mündlich erörtert worden ist, aufgegeben worden, binnen<br />

einer Ausschlussfrist bis zum 31.10.2008 im Einzelnen <strong>und</strong><br />

unter Beweisantritt dazu vortragen, ob Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong>/oder Höhe<br />

der klägerischen Forderung bestritten werden. Zum Gr<strong>und</strong><br />

der klägerischen Forderung gehört die Frage, ob die Klägerin<br />

die von ihr behaupteten Arbeitsst<strong>und</strong>en tatsächlich in vollem<br />

Umfang abgeleistet hat. Zur Höhe der klägerischen Forderung<br />

gehört der Umstand, vorzutragen, welche Vergütungsvereinbarungen<br />

die Parteien ausweislich ihrer vertraglichen Vereinbarungen<br />

über den Gr<strong>und</strong>lohn von 600,00 € hinaus überhaupt<br />

geschlossen haben, welche Abrechnungen die Beklagte<br />

der Klägerin erteilt hat <strong>und</strong> welche Nettobeträge – ausgehend<br />

von welchen Bruttobeträgen – der Klägerin tatsächlich ausgezahlt<br />

worden sind. Nach § 56 ArbGG hat der Vorsitzende die<br />

streitige Verhandlung so vorzubereiten, dass sie möglichst in<br />

einem Termin zu Ende geführt werden kann. Angriffs- <strong>und</strong><br />

Verteidigungsmittel, die erst nach Ablauf einer nach Absatz 1<br />

Satz 1 Ziffer 1 gesetzten Frist vorgebracht werden, sind nur<br />

zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts<br />

ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern<br />

würde oder wenn die Partei die Verspätung genügend<br />

entschuldigt. Zum Letzteren hat die Beklagte nichts vorgetragen.<br />

Sie hat offensichtlich im Termin erst dann vorgetragen,<br />

nachdem die Kammer erläutert hatte, dass sie international<br />

zuständig ist.<br />

Die Klägerin hat bestritten, die Lohnabrechnungen <strong>und</strong> die


sich daraus ergebenden Nettozahlungen (mit Ausnahme der<br />

auf die Pfändung nach Polen abgeführten Beträge) erhalten<br />

zu haben. Sie hat darauf beharrt, dass die von ihr selbst geführten<br />

Arbeitszeitaufzeichnungen zutreffend sind, die – jedenfalls<br />

was die ersten beiden Monate angeht – sogar unter<br />

denen der Beklagten liegen. Insoweit hätte über die Frage, wie<br />

viel Arbeitsst<strong>und</strong>en die Klägerin in dem Arbeitsverhältnis der<br />

Parteien bis zu dessen Beendigung für wie viel Geld tatsächlich<br />

geleistet hat, ggf. in einem weiteren Termin Beweis erhoben<br />

werden müssen. Dies hätte die Erledigung des Rechtsstreits<br />

verzögert. Nach ständiger Rechtssprechung reicht ein<br />

bloßer Verweis auf die rechtlichen Bestimmungen des § 56<br />

Abs. 2 ArbGG nicht aus, um ein Vorbringen als verspätet zurückzuweisen.<br />

Dies folgt aus einer verfassungskonformen Auslegung<br />

dieser Vorschrift. Eine ausreichende Belehrung liegt<br />

aber dann vor, wenn eine Partei auf die Folgen verspäteten<br />

Vorbringens, nämlich dass die zu treffende Entscheidung<br />

möglicherweise mit der materiellen Rechtslage nicht im Einklang<br />

steht, deutlich hingewiesen worden ist. Unter Ziffer 6<br />

des Auflagenbeschlusses ist der Beklagten mitgeteilt worden,<br />

dass es sich um eine Ausschlussfrist handelt <strong>und</strong> sie damit<br />

rechnen muss, mit dem weiteren Vorbringen ausgeschlossen<br />

zu werden <strong>und</strong> deshalb ggf. im Prozess zu verlieren, wenn die<br />

gesetzten Fristen nicht eingehalten werden. Diesen Hinweis<br />

erachtet die Kammer als auch unter Beachtung einer verfassungskonformen<br />

Auslegung des § 56 Abs. 2 Satz 2 ArbGG<br />

i.V.m. mit Artikel 103 Abs. 1 GG als ausreichende <strong>und</strong> deutliche<br />

Warnung der beauflagten Partei.<br />

eee.) Somit ist vom Vortrag der Klägerin auszugehen. Die der<br />

Klägerin gezahlten durchschnittlichen 3,91 € pro St<strong>und</strong>e liegen<br />

deutlich unterhalb der 70 % Grenze des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts.<br />

Hieran ändert nichts, dass es sich bei den Entgelten,<br />

die die Klägerin vorgetragen hat, um Nettoentgelte handelt.<br />

Ausweislich der Abrechnungen hat die im gesamten Zeitraum<br />

lediglich 278,63 € an Steuern- <strong>und</strong> Sozialversicherungsbeiträgen<br />

abgeführt. Addiert man diesen Betrag zum erhaltenen<br />

Nettolohn der Klägerin, ergäbe sich ein durchschnittliches<br />

Bruttoentgelt der Klägerin in Höhe von 4,16 € pro St<strong>und</strong>e, so<br />

dass das Verdikt der Sittenwidrigkeit auch für eine derartige<br />

Vergütung gilt.<br />

Die Beklagte könnte auch nicht damit gehört werden, dass der<br />

Klägerin im streitgegenständlichen Fall der Bruttolohn fast in<br />

voller Höhe netto zugeflossen ist. Denn hierauf kann es nicht<br />

ankommen. Die Frage ob <strong>und</strong> ggf. in welchem Ausmaß sich<br />

eine vereinbarte Bruttovergütung um Abzüge auf steuer- <strong>und</strong><br />

sozialversicherungsrechtlicher <strong>und</strong> sonstiger Gr<strong>und</strong>lage vermindert<br />

<strong>und</strong> in welcher Höhe die Vergütung dem Arbeitnehmer<br />

netto zufließt, hängt von diversen Faktoren ab, die<br />

zum Teil außerhalb des konkreten Arbeitsverhältnisses liegen<br />

wie z.B. Familienstand, Unterhaltspflichten, Steuerklasse,<br />

steuerliche Freibeträge oder das Bestehen eines oder mehrerer<br />

Arbeitsverhältnisse. Daher bietet die tatsächlich zugeflossene<br />

Nettovergütung keinen geeigneten Anknüpfungspunkt<br />

für die Bestimmungen des Verhältnisses von Leistung <strong>und</strong><br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Gegenleistung (vgl. dazu nur LAG Bremen, vom 28.08.2008 –<br />

3 Sa 69/08 – m.w.N. in Rn 187 ff.).<br />

Die der Klägerin gezahlte Vergütung von 3,91 € netto bzw.<br />

4,16 € brutto pro St<strong>und</strong>e steht in einem auffälligen Missverhältnis<br />

zur marktüblichen Vergütung von 7,50 € brutto pro<br />

St<strong>und</strong>e. Die der Klägerin gezahlte St<strong>und</strong>envergütung betrug<br />

somit lediglich 55 % des marktüblichen Entgelts. Ihre Vergütung<br />

lag damit erheblich tiefer als 1/3, nämlich bei etwas mehr<br />

als der Hälfte der üblichen Vergütung.<br />

Auch die subjektiven Voraussetzungen für die Annahme eines<br />

sittenwidrigen Rechtsgeschäfts sind hinsichtlich der Vergütungsvereinbarung<br />

gegeben. Dabei ist wie bereits ausgeführt<br />

weder das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit noch eine Schädigungsabsicht<br />

erforderlich. Vielmehr genügt es, wenn der<br />

Handelnde die Tatsachen kennt, aus denen sich die Sittenwidrigkeit<br />

ergibt. Es ist davon auszugehen, dass der Beklagten als<br />

einem der größeren Subunternehmen in der Fleischbranche<br />

bekannt war, welche marktüblichen Vergütungen im Fleischhandwerk<br />

allgemein <strong>und</strong> der bei der Firma a. A. der beschäftigten<br />

Stammbelegschaft gezahlt werden <strong>und</strong> dass die von ihr<br />

gezahlten Vergütungen dahinter weit zurückbleiben. Im Übrigen<br />

ist die Problematik der Rechtmäßigkeit bestimmter niedrigerer<br />

Vergütungen durch die in der Tagespresse geführte<br />

Debatte um Niedrig- bzw. Mindestlöhne im Allgemeinen sowie<br />

die Löhne in der Fleischbranche gerade auch bezogen auf<br />

die Subunternehmer der Beklagten seit dem Vorstoß des B<strong>und</strong>esarbeitsministeriums<br />

vom 03.05.2007 allgemein bekannt.<br />

c.) Die Vergütungsabrede zwischen den Parteien ist deshalb<br />

wegen Verstoßes gegen § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Dies führt<br />

zur Anwendung des § 612 Abs. 2 BGB (vgl. BAG, Urteil vom<br />

26.04.2006 a.a.O. sowie LAG Baden-Württemberg, Urteil vom<br />

08.02.2008 – 5 Sa 45/07). Als übliche Vergütung ist der St<strong>und</strong>enlohn<br />

von 7,50 € brutto zu zahlen. Der Klägerin bereits<br />

zugeflossene Nettovergütungszahlungen waren hiervon abzusetzen.<br />

■ Arbeitsgericht Bielefeld<br />

vom 02.12.2008, 3 Ca 2703/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. jur. Heinz Gussen,<br />

Rietberger Straße 2, 33378 Rheda-Wiedenbrück,<br />

Tel.: 05242/92040, Fax: 05242/920448<br />

rechtsanwaelte@pgwe.de<br />

248. Tarifvertrag, Bezugnahmeklausel, dynamische Verweisung<br />

I. 1. a) Nach §§ 133, 157 BGB sind Verträge so auszulegen,<br />

wie die Parteien sie nach Treu <strong>und</strong> Glauben unter Berücksichtigung<br />

der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei sind die<br />

rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen gr<strong>und</strong>sätzlich nach<br />

einem objektivierten Empfängerhorizont auszulegen. Die Motive<br />

des Erklärenden haben dabei außer Betracht zu bleiben,<br />

soweit sie nicht in dem Wortlaut der Erklärung oder in sonstiger,<br />

für die Gegenseite hinreichend deutlich erkennbarer<br />

Weise ihren Niederschlag finden. Es besteht keine Verpflich-<br />

185


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

tung des Erklärungsempfängers, den Inhalt oder den Hintergr<strong>und</strong><br />

des ihm gemachten Angebots durch Nachfragen aufzuklären.<br />

Kommt der Wille des Erklärenden nicht oder nicht<br />

vollständig zum Ausdruck, gehört dies zu dessen Risikobereich.<br />

Die Regelung eines Vertrags über eine entgeltliche Leistung<br />

beschränkt sich im Allgemeinen auf die Bestimmung von<br />

Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung. Die Motive, aus denen jeder der<br />

Partner den Vertrag schließt, sind für die Rechtsfolgen des<br />

Vertrags gr<strong>und</strong>sätzlich unbeachtlich, weil sie nicht Teil der vertraglichen<br />

Vereinbarung selbst, nämlich der Bestimmung von<br />

Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung, sind. Für die arbeitsvertragliche<br />

Bezugnahmeklausel bedeutet dies, dass ihr Bedeutungsinhalt<br />

in erster Linie anhand des Wortlauts zu ermitteln ist (vgl. BAG,<br />

Urteil vom 18.04.2007 – 4 AZR 652/05 – NZA 2007, 965, 968,<br />

m.w.N.).<br />

b) Die Parteien haben unter Ziff. 2 des Arbeitsvertrages vom<br />

15.08.2000 „eine Bruttovergütung in der VG VII gemäß BMT-<br />

AW-O“ vereinbart. Durch diese Regelung ist nicht nur die Vergütungsordnung<br />

des BMT-AW-O, sondern auch der die Höhe<br />

der Vergütung regelnde Vergütungs- <strong>und</strong> Lohntarifvertrag in<br />

Bezug genommen worden. Die Parteien haben davon abgesehen,<br />

die Höhe der Bruttovergütung im Vertrag zu beziffern.<br />

Der BMT-AW-O beinhaltet keine Regelung zur Vergütungshöhe,<br />

sondern gibt lediglich eine Vergütungsordnung vor. Die<br />

zutreffende Vergütungshöhe ergibt sich erst aus dem Zusammenspiel<br />

mit dem Vergütungs- <strong>und</strong> Lohntarifvertrag.<br />

c) Entgegen der von der Beklagten erstinstanzlich vertretenen<br />

Ansicht handelt es sich nicht um eine statische, sondern um<br />

eine dynamische Verweisungsklausel. Zwar fehlt eine sog. „Jeweiligkeitsklausel“.<br />

Die Regelung unter Ziff. 2 des Arbeitsvertrages<br />

nimmt aber auch nicht nur auf eine bestimmte Fassung<br />

des Tarifvertrages Bezug. Nach der ständigen Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts (vgl. z. B. Urteil vom 17.01.2006 –<br />

9 AZR 41/05 – NZA 2006, 923, m.w.N.) ist bei der fehlenden<br />

Angabe einer konkret nach Datum festgelegten Fassung des<br />

in Bezug genommenen Tarifvertrages jedoch regelmäßig anzunehmen,<br />

der Tarifvertrag solle in der jeweiligen Fassung<br />

gelten. Dies ergibt sich insbesondere aus der beabsichtigten<br />

Zukunftswirkung des Arbeitsvertrages (vgl. BAG, Urteil vom<br />

20.03.1991 – 4 AZR 455/90 – NZA 1991, 736, m.w.N.).<br />

■ Sächsisches Landesarbeitsgericht<br />

vom 08.04.2009, 3 Sa 633/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Roland Gross,<br />

Anwaltshaus im Messehof Leipzig,<br />

Petersstraße 15, 04109 Leipzig,<br />

Tel.: 0341/984620, Fax: 0341/9846224<br />

leipzig@advo-gross.de<br />

249. AGB-Kontrolle, Gratifikation, Rückzahlungsklausel<br />

II. ... 2. ... b. Die Beklagte hatte aber keinen Gegenanspruch,<br />

mit dem sie die Aufrechnung erklären konnte (§ 387 BGB).<br />

Die formularmäßige (§ 305 Abs. 1 BGB) Rückzahlungsvereinbarung<br />

in Nr. I D. 2. c, des Arbeitsvertrages ist jedenfalls inso-<br />

186 03/09<br />

weit unwirksam, als sie auch bei Ausspruch einer betriebsbedingten<br />

Arbeitgeberkündigung eine Rückzahlungsverpflichtung<br />

auslöst (§ 306 Abs. 2 BGB). Damit benachteiligt sie die<br />

betroffenen Arbeitnehmer unangemessen (§ 307 Abs. 1 BGB).<br />

aa. Beim Arbeitsvertrag, in Sonderheit bei Nr. I ll. 2. c des Arbeitsvertrages,<br />

handelt es sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung<br />

nach § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Vertragsvereinbarungen<br />

sind nicht allein mit dem Kläger, sondern mit einer<br />

Vielzahl von Arbeitnehmern so abgeschlossen. Den entsprechenden<br />

Vortrag des Klägers hat die Beklagte nicht bestritten<br />

(§ 138 Abs. 3 ZPO). Es ist danach eine „vorformulierte Vertragsbedingung<br />

für eine Vielzahl von Verträgen“ i.S.d. § 305<br />

Abs. 1 Satz 1 BGB gegeben, die einer Vertragsinhaltskontrolle<br />

unterliegt (vgl. auch BAG v. 25.05.2005 – 5 AZR 572/04, AP<br />

BGB § 310 Nr. 1).<br />

bb. Die Rückzahlungsklausel benachteiligt den Kläger entgegen<br />

Treu <strong>und</strong> Glauben in unangemessener Weise, insoweit<br />

auch bei Ausspruch einer betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung<br />

eine Rückzahlungsverpflichtung hinsichtlich der Weihnachtsgratifikation<br />

entsteht (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB); sie ist<br />

jedenfalls insoweit unwirksam (§ 306 Abs. 2 BGB).<br />

aaa. In seiner Entscheidung vom 25.04.1991 – 6 AZR 183/90 –,<br />

AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 138) hatte das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

die Bestimmung einer Betriebsvereinbarung,<br />

der zufolge Mitarbeiter von der Gratifikationszahlung ausgeschlossen<br />

sind, die am Stichtag 30. November des Jahres in<br />

einem gekündigten Arbeitsverhältnis stehen, auch für den Fall<br />

einer betriebsbedingten Kündigung als wirksam angesehen.<br />

Allerdings hat es die Vereinbarung der gerichtlichen Inhaltskontrolle<br />

auf ihre Übereinstimmung mit der Verfassung, den<br />

Gesetzen, den guten Sitten <strong>und</strong> der Billigkeit gemäß § 75<br />

BetrVG unterworfen. Dahingehende Verstöße, insbesondere<br />

einen Verstoß gegen § 162 BGB – treuwidrige Vereitelung<br />

des Bedingungseintritts – hat das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht nicht<br />

angenommen. Der Arbeitgeber lege nicht ohne weiteres ein<br />

widersprüchliches <strong>und</strong> treuwidriges Verhalten im Sinne von<br />

§ 162 BGB im Falle des Ausspruches einer betriebsbedingten<br />

Kündigung an den Tag. Vielmehr setze die Anwendung<br />

des Gr<strong>und</strong>satzes von Treu <strong>und</strong> Glauben eine Auflösung<br />

des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber voraus, mit<br />

dem Ziel die Entstehung des Gratifikationsanspruchs des<br />

Arbeitnehmers zu vereiteln. Einer solchen Annahme stehe<br />

aber bereits entgegen, dass auch betriebsbedingte. Kündigungen<br />

nicht beliebig, sondern nur unter den gesetzlichen<br />

<strong>und</strong> von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen<br />

ausgesprochen werden könnten (BAG, v. 25.4.1991, a.a.O.,<br />

unter Rz 27).<br />

bbb. Demgegenüber hatte das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht in<br />

einer die Rückzahlung von Ausbildungskosten betreffenden<br />

Entscheidung vom 11.4.2006 – 9 AZR 610/05 –, AP BGB § 307<br />

Nr. 16; ebenso BAG, v. 23.1.2007 – 9 AZR 482/06 –, NJW<br />

2007 3018) eine unangemessene Benachteiligung für den Fall<br />

einer auch bei betriebsbedingter Kündigung entstehenden<br />

Rückzahlungsverpflichtung angenommen. Es führt hierzu aus:


„e) Rückzahlungsabreden für Aus- <strong>und</strong> Fortbildungskosten benachteiligen<br />

den Arbeitnehmer nicht generell unangemessen.<br />

Nach der vor Geltung der §§ 305 ff. BGB zur allgemeinen<br />

Inhaltskontrolle von Rückzahlungsklauseln ergangenen<br />

ständigen Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts waren<br />

einzelvertragliche Vereinbarungen, nach denen sich ein Arbeitnehmer<br />

an den Kosten einer vom Arbeitgeber finanzierten<br />

Ausbildung zu beteiligen hat, wenn er vor Ablauf bestimmter<br />

Fristen aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

zulässig (24. Juni 2004 – 6 AZR 38/03 – BAGE 111, 157 m.w.N).<br />

Daran ist festzuhalten.<br />

aa) Ausnahmsweise können jedoch derartige Zahlungsverpflichtungen<br />

wegen einer übermäßigen Beeinträchtigung<br />

der arbeitsplatzbezogenen Berufswahlfreiheit des Arbeitnehmers<br />

(Art. 12. Abs. 1 Satz 1 GG) unwirksam sein. So muss<br />

einerseits eine Rückzahlungsverpflichtung bei verständiger<br />

Betrachtung einem billigenswerten Interesse des Arbeitgebers<br />

entsprechen <strong>und</strong> andererseits der Arbeitnehmer mit der<br />

Fortbildungsmaßnahme eine angemessene Gegenleistung<br />

für die Rückzahlungsverpflichtung erhalten haben. Die für<br />

den Arbeitnehmer zumutbaren Bindungen sind auf Gr<strong>und</strong><br />

einer Güter- <strong>und</strong> Interessenabwägung nach Maßgabe des<br />

Verhältnismäßigkeitsgr<strong>und</strong>satzes unter Heranziehung aller<br />

Umstände des Einzelfalles zu ermitteln (BAG, v. 5. Dezember<br />

2002 – 6 AZR 539/01 – BAGE 104, 125 m.w.N.). Das Interesse<br />

des Arbeitgebers, der seinem Arbeitnehmer eine Aus- oder<br />

Weiterbildung finanziert, geht dahin, die vom Arbeitnehmer<br />

erworbene Qualifikation möglichst langfristig für seinen<br />

Betrieb nutzen zu können (BAG, v. 19. Februar 2004 – 6 AZR<br />

552/02 – BAGE 109, 345). Dieses gr<strong>und</strong>sätzlich berechtigte<br />

Interesse gestattet es dem Arbeitgeber, als Ausgleich für seine<br />

finanziellen Aufwendungen von einem sich vorzeitig abkehrenden<br />

Arbeitnehmer die Kosten der Ausbildung ganz oder<br />

zeitanteilig zurückzuverlangen. Die berechtigten Belange des<br />

Arbeitgebers sind gegen das Interesse des Arbeitnehmers<br />

abzuwägen, seinen Arbeitsplatz ohne Belastung mit Kosten<br />

frei wählen zu können. Die Abwägung hat sich insbesondere<br />

daran zu orientieren, ob <strong>und</strong> inwieweit der Arbeitnehmer mit<br />

der Aus- oder Fortbildung einen geldwerten Vorteil erlangt<br />

(st. Rspr. BAG, v. 16. März 1994 – 5 AZR 339/92 – BAGE 76,<br />

155).<br />

bb) Die Unangemessenheit der streitgegenständlichen Rückzahlungsklausel<br />

ergibt sich hier daraus, dass sie hinsichtlich<br />

des die Rückzahlungspflicht auflösenden Tatbestandes zu<br />

weit gefasst ist.<br />

Im Rahmen der nach § 307 BGB anzustellenden Interessenabwägung<br />

ist auch der die Rückzahlungspflicht auslösende<br />

Tatbestand zu berücksichtigen (Thüsing, in: v. Westphalen,<br />

Vertragsrecht <strong>und</strong> AGB-Klauselwerke, Stand März 2006, Stichwort:<br />

Arbeitsverträge Rn 151). Es ist nicht zulässig, die Rückzahlungspflicht<br />

schlechthin an jedes Ausscheiden des Arbeitnehmers<br />

zu knüpfen, das innerhalb der in der Klausel vorgesehenen<br />

Bleibefrist stattfindet. Vielmehr muss nach dem<br />

Gr<strong>und</strong> des vorzeitigen Ausscheidens unterschieden werden<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

(vgl. Dorndorf, in: Daubler/Domdorf, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht,<br />

§ 307 BGB Rn 119). Eine Rückzahlungsklausel stellt nur<br />

dann eine ausgewogene Gesamtregelung dar, wenn es der<br />

Arbeitnehmer in der Hand hat, durch eigene Betriebstreue<br />

der Rückzahlungspflicht zu entgehen. Verluste auf Gr<strong>und</strong> von<br />

Investitionen, die nachträglich wertlos werden, hat gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

der Arbeitgeber zu tragen. Hätte der betriebstreue Arbeitnehmer<br />

die in seine Aus- oder Weiterbildung investierten<br />

Betriebsausgaben auch dann zu erstatten, wenn die Gründe<br />

für die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausschließlich<br />

dem Verantwortungs- <strong>und</strong> Risikobereich des Arbeitgebers<br />

zuzurechnen sind, würde er mit den Kosten einer<br />

fehlgeschlagenen Investition seines Arbeitgebers belastet.<br />

Sieht eine Arbeitsvertragsklausel auch für einen solchen Fall<br />

eine Rückzahlungspflicht des Arbeitnehmers vor, berücksichtigt<br />

sie nicht wechselseitig die anzuerkennenden Interessen<br />

beider Vertragspartner, sondern einseitig nur diejenigen des<br />

Arbeitgebers. Damit benachteiligt eine solche Klausel den Arbeitnehmer<br />

unangemessen (vgl. BAG, v. 24. Juni 2004 – 6<br />

AZR 383/03 – BAGE 111, 157). Die in Ziff. 10.4 des Arbeitsvertrages<br />

enthaltene Rückzahlungsklausel differenziert nicht<br />

danach, wessen Verantwortungs- <strong>und</strong> Risikobereich die Beendigung<br />

des Arbeitsverhältnisses zuzurechnen ist. Der Arbeitnehmer<br />

soll auch dann mit den Ausbildungskosten belastet<br />

werden, wenn er sich wegen eines Fehlverhaltens des<br />

Arbeitgebers als zur Eigenkündigung berechtigt ansehen darf<br />

oder wenn der Arbeitgeber aus betriebsbedingten Gründen<br />

kündigt. in diesen Fällen Ist die vorzeitige Beendigung des<br />

Arbeitsverhältnisses nicht dem Arbeitnehmer zuzurechnen. Er<br />

kann die Vertragsbeendigung nicht beeinflussen. Eine sachliche<br />

Gr<strong>und</strong>lage für die Kostenbeteiligung des Arbeitnehmers,<br />

die diese als angemessenen Interessenausgleich erscheinen<br />

lässt, besteht in solchen Fällen nicht (Thüsing, in: v. Westphalen,<br />

a.a.O.). Die Klägerin versucht durch diese Vertragsgestaltung<br />

einseitig ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen<br />

an einer Absicherung ihrer Investition in die Ausbildung des<br />

Beklagten durchzusetzen.<br />

f) Soweit unter Geltung des alten Rechts im Rahmen des § 242<br />

BGB bei weitgefassten Klauseln jeweils geprüft wurde, ob<br />

der Arbeitnehmer im konkreten Fall schutzwürdig ist, bleibt<br />

hierfür bei der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB kein Raum.<br />

Die unter der Geltung der Bereichsausnahme zum AGBG ergangene<br />

Rechtsprechung sah, wenn der Arbeitnehmer dem<br />

Arbeitgeber Gr<strong>und</strong> zur Kündigung gegeben hatte, das Vertrauen<br />

des Arbeitnehmers, durch eigene Betriebstreue der<br />

Rückzahlungspflicht entgehen zu können, als nicht schutzwürdig<br />

an. Dies galt ebenso für den Fall einer vorzeitigen<br />

Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer<br />

(vgl. BAG v. 24. Juni 2004 – 6 AZR 383/03 – BAGE 111, 157). Im<br />

Gegensatz zu dieser am konkreten Einzelfall ausgerichteten<br />

Rechtsprechung beruht jetzt die zum Recht der Allgemeinen<br />

Geschäftsbedingungen gehörende Inhaltskontrolle auf einer<br />

typisierenden Betrachtung einer Klausel, die ohne Rücksicht<br />

187


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

auf individuelle Besonderheiten der Vertragsparteien vorzunehmen<br />

ist (Schmidt, NZA 2004, 1002) ... “<br />

■ Landesarbeitsgericht München<br />

vom 26.05.2009, 6 Sa 1135/08<br />

eingereicht von Herrn Rechtsanwalt Dr. Christian Ostermaier,<br />

Brienner Straße 12a, 80333 München<br />

Tel.: 089/28634446, Fax: 089/28634400<br />

kathy.marx@snp-online.de<br />

250. Tarifvertrag, Bezugnahmeklausel<br />

1. Bei der Arbeitsvertragsklausel, für das Arbeitsverhältnis<br />

gelte „gr<strong>und</strong>sätzlich der jeweils gültige Mantel- <strong>und</strong> Lohntarifvertrag<br />

für das Bewachungsgewerbe“, handelt es sich um<br />

eine auf die Branche bezogene Bezugnahmeklausel eigener<br />

Art, die weder dem typischen Fall einer sog. kleinen dynamischen<br />

Verweisung, noch demjenigen einer sog. großen<br />

dynamischen Verweisung im Sinne der BAG-Rechtsprechung<br />

entspricht.<br />

2. Der B<strong>und</strong>esentgeltrahmentarifvertrag für Sicherheitskräfte<br />

an Verkehrsflughäfen vom 21.09.2005 verdrängt als speziellerer<br />

Tarifvertrag die entgegenstehenden Regeln des Manteltarifvertrags<br />

für das Wach- <strong>und</strong> Sicherheitsgewerbe NRW vom<br />

08.12.2005.<br />

3. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrags<br />

ersetzt lediglich eine fehlende Tarifbindung, kann aber nicht<br />

zur Anwendbarkeit eines Tarifvertrages führen, der selbst bei<br />

beiderseitiger Tarifbindung der Arbeitsvertragsparteien nicht<br />

anwendbar wäre.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 28.08.2008, 7 Sa 244/08<br />

251. Direktionsrecht, befristete Vorabeiterfunktion; Feststellungsklage,<br />

Rechtsverhältnis, Streitwert bei objektiver<br />

Klagehäufung<br />

1. Wegen des Antrags zu 3.) ist die Klage bereits unzulässig.<br />

Eine Feststellungsklage ist gemäß § 256 Abs. 1 ZPO 1. Alt.<br />

nur gegeben, wenn der Antrag auf Klärung eines Rechtsverhältnisses,<br />

konkret das Bestehen oder Nichtbestehen<br />

eines solchen, gerichtet ist. Erklärungen oder Handlungen,<br />

die in Bezug auf bestimmte Ausgestaltungen des Rechtsverhältnisses<br />

erfolgt sind, sind kein solches, ebenso wenig ist<br />

dies die Rechtswirkung entsprechender vertragsbezogener<br />

Verhaltensweisen, wie die Übertragung oder der Entzug von<br />

Funktionen. Eine Wirksamkeitsprüfung ist insoweit inzident im<br />

Rahmen der vorrangigen Leistungsklage zur Geltendmachung<br />

des entsprechenden Vertragsanspruchs einzubringen, wie sie<br />

der Kläger mit dem Antrag zu 1.) geltend macht, ferner im<br />

Rahmen der für die Zeit ab Mai 2008 sowie für die Zukunft<br />

eingeforderten künftigen Zulagenzahlungspflicht, welche im<br />

Verhältnis zu einem öffentlichen Arbeitgeber ausnahmsweise<br />

auch im Wege der Feststellungsklage geltend gemacht<br />

werden kann, da bei diesem zu erwarten ist, dass er sich<br />

188 03/09<br />

an eine gerichtliche Feststellung in Bezug auf geschuldete<br />

Vergütungsbestandteile halten würde.<br />

2. Wegen der danach zulässigen Anträge zu 1.) <strong>und</strong> 2.) ist<br />

die Klage unbegründet. Der Kläger hat ab Januar 2008 keinen<br />

Anspruch auf die geforderte Vorarbeiterzulage, ebenso<br />

wenig ist ersichtlich, dass ein solcher künftig entstehen wird.<br />

Unstreitig war der Kläger über den 31. Dezember 2007 hinaus<br />

nicht mehr als Vorarbeiter eingesetzt. Ein Anspruch auf die<br />

Vergütung unter Einschluss der entsprechenden Zulage ergab<br />

sich nicht aus §§ 615 S. 1, 293, 296 S. 1 BGB i.V.m. §§ 615 S. 2,<br />

611 Abs. 1 BGB, denn die Zulage war nicht dauerhaft Teil der<br />

nach dem Arbeitsvertrag geschuldeten „vereinbarten Vergütung“<br />

geworden. Der maßgebliche Arbeitsvertrag des Klägers<br />

mit der Beklagten zu 2.) legt keine konkrete Vergütung unter<br />

Einschluss einer Vorarbeiterzulage fest, sondern diejenige, die<br />

sich aus den einbezogenen Tarifbestimmungen ergibt. Diese<br />

umfasst nicht mehr die Vorarbeiterzulage gemäß § 4 Abs. 2<br />

BZT-G/NRW.<br />

Die tarifliche Vorarbeiterzulage ist als funktionsbezogenes Zusatzentgelt<br />

davon abhängig, dass die entsprechende Funktion<br />

übertragen ist <strong>und</strong> vom Arbeitnehmer ausgeübt wird. Eine<br />

tarifvertragliche Bestimmung über die Vorarbeiterbestellung<br />

setzt daher nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

regelmäßig die Möglichkeit des Widerrufs voraus. Dieses<br />

tarifliche Recht zum jederzeitigen Widerruf steht hier ersichtlich<br />

außer Streit, wurde sogar ausdrücklich – <strong>und</strong> mehrfach –<br />

im Vergleich des Klägers mit der Beklagten zu 2.) beim Landesarbeitsgericht<br />

Köln festgehalten.<br />

Unstreitig sind dem Kläger seit Januar 2008 keine entsprechenden<br />

Funktionen zur Führung einer Arbeitsgruppe mehr<br />

übertragen worden. Dies war nicht vertragswidrig, denn der<br />

Kläger <strong>und</strong> die Beklagte zu 2.) haben als Vertragsparteien weder<br />

die Vorarbeiterposition noch die Zulage zum konkreten<br />

auf Dauer festgelegten Leistungsinhalt ihres Arbeitsvertrages<br />

gemacht. Vielmehr umfasste dieser das Austauschverhältnis<br />

für die Tätigkeit als gemeindlicher Arbeiter im Rahmen der<br />

hierfür gültigen tariflichen Bestimmungen.<br />

Dieser vertragliche <strong>und</strong> tarifliche – weit gespannte – Rahmen<br />

bestimmt auch das arbeitgeberseitige Direktionsrecht zur Zuweisung<br />

konkreter Arbeitsaufgaben, welches die Beklagte zu<br />

2.) zulässigerweise im Rahmen des Änderungsvertrages vom<br />

1. Juli 2007 zum zwischen den Beklagtenparteien geltenden<br />

Personalgestellungsvertrag auf die Beklagte zu 1.) übertragen<br />

hat.<br />

Die Beklagte zu 1.) war bei Übernahme des Direktionsrechts<br />

ebenso wie zuvor die Beklagte zu 2.) an die Verpflichtungen<br />

aus dem von dieser geschlossenen Vergleich vom 15. September<br />

2006 geb<strong>und</strong>en, wonach der Kläger ab Oktober 2006<br />

für ein Jahr zum Vorarbeiter bestellt war – wenngleich bereits<br />

für diese Jahresfrist ausdrücklich der zusätzliche Fortbestand<br />

des Widerrufsrechts vereinbart war (Ziff. 3), von welchem aber<br />

weder die Beklagte zu 2.) noch nach Erhalt der „eigenen“<br />

Direktionsbefugnisse die Beklagte zu 1.) Gebrauch gemacht<br />

hat.


Weder hierdurch noch dadurch, dass die Beklagte zu 1.) nicht<br />

unmittelbar zum Ablauf des Jahres die Vorarbeiterbestellung<br />

rückgängig gemacht hat, ist dem Kläger die entsprechende<br />

Funktion dauerhaft übertragen worden.<br />

Die Formulierungen in Ziff. 1 des Vergleichs sind nicht eindeutig.<br />

Nach dem Wortlaut des Satz 1 mit der Befristung der<br />

Vorarbeiterbestellung auf ein Jahr wäre diese „von selbst“ mit<br />

Ablauf des Jahres wieder entfallen. Nach Satz 2 sollte „nach<br />

Ablauf dieses Jahres“ eine erneute Entscheidung getroffen<br />

werden, „inwiefern“ (?) die widerrufliche Bestellung zum Vorarbeiter<br />

unbefristet verlängert wird. Danach hätte es nur dann<br />

einer (positiven) Entscheidung bedurft, wenn die Vorarbeiterbestellung<br />

über das Jahr hinaus hätte verlängert werden<br />

sollen, andernfalls wäre diese mit Ablauf des 30. September<br />

2009 aufgr<strong>und</strong> der Befristung entfallen. Dann allerdings wäre<br />

die „nach Ablauf dieses Jahres“, d.h. nach dem schon eingetretenen<br />

Wegfall der Vorarbeiterbestellung von der Arbeitgeberin<br />

bzw. inzwischen der Direktionsrechtsinhaberin zu treffende<br />

Entscheidung keine solche über die Verlängerung der<br />

Bestellung, sondern über eine erneute Bestellung gewesen.<br />

Nach den tatsächlichen Abläufen hat die Beklagte zu 1.) den<br />

Kläger über die im Vergleich festgelegte Jahresfrist weiter als<br />

Vorarbeiter beschäftigt <strong>und</strong> die Beklagte zu 2.) ihn mit der entsprechenden<br />

Zulage vergütet. Dies ändert nichts daran, dass<br />

die entsprechende Funktion nach wie vor jederzeit widerruflich<br />

übertragen war, wobei der Widerruf – ebenso wie die im<br />

Vergleich angesprochene, nach Ablauf des Jahres zu treffende<br />

„Entscheidung“ – einseitig vom Inhaber des Direktionsrechts<br />

nach den Gr<strong>und</strong>sätzen billigen Ermessens ausgeübt werden<br />

konnte.<br />

Die Mitteilung der Beklagten zu 1.) im Schreiben vom 28.<br />

Dezember 2007 konnte nach den Vorgaben des beim Landesarbeitsgericht<br />

geschlossenen Vergleichs sowohl eine Entscheidung<br />

nach Ziff. 1 S. 2 des Vergleichs sein, wenn die dortige in<br />

sich widersprüchliche Regelung so ausgelegt werden sollte,<br />

dass tatsächlich keine Befristung im Rechtssinne vereinbart<br />

wurde, sondern eine jederzeit widerrufliche Stellung übertragen<br />

werden sollte, die aber gr<strong>und</strong>sätzlich für ein Jahr beibehalten<br />

bleiben <strong>und</strong> erst nach Ablauf des Jahres zur erneuten<br />

Überprüfung gestellt werden sollte, wobei die Beklagte zu<br />

1.) mit dem Schreiben vom 28. Dezember 2007 das Ergebnis<br />

der Abwägung der für die Billigkeitsentscheidung maßgeblichen<br />

Gesichtspunkte sowie der weiterhin erforderlichen Abstimmung<br />

mit der Beklagten zu 2.) als Vertragsarbeitgeberin<br />

des Klägers mitgeteilt hat. Jedenfalls ergab sich zugleich der<br />

objektive Erklärungswert eines Widerrufs der – auch bei der<br />

schon unbefristet verlängerten widerruflichen Bestellung zum<br />

Vorarbeiter – ohne weiteres zulässig <strong>und</strong> rechtlich erforderlich<br />

war, wenn der Vergleich entsprechend seinem Wortlaut<br />

ausgelegt wird, sodass die befristete Bestellung mit Jahresablauf<br />

zum 30. September 2007 ausgelaufen war <strong>und</strong> die<br />

anschließende Weiterbeschäftigung eine konkludente Neubestellung<br />

zum Vorarbeiter umfasste. Auch zu diesem Widerruf<br />

war die Beklagte zu 1.) als aktuelle Direktionsrechtsinhaberin<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

befugt – wobei dies angesichts des ausdrücklichen Einverständnisses<br />

der Beklagten zu 2.) mit der Maßnahme letztlich<br />

unerheblich ist.<br />

Sowohl die Mitteilung einer „Nichtverlängerungsentscheidung“<br />

nach Ziff. 1 S. 2 des Vergleichs vom 15. September<br />

2006 als auch eines Widerrufs der über den Fristablauf fortgeführten<br />

Vorarbeiterbestellung bewirkte, dass dem Kläger seit<br />

Januar 2008 keine Vorarbeiterfunktionen mehr zugewiesen<br />

werden mussten <strong>und</strong> die Beklagte zu 1.) berechtigt war, dem<br />

Kläger nur noch die darüber hinaus verb<strong>liebe</strong>nen Tätigkeiten<br />

als vollbeschäftigter Arbeiter gemäß den Bestimmungen der<br />

einschlägigen Tarifverträge zuzuweisen. Nach der Wertung<br />

des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts ist ebenso wie das Recht zur<br />

Auswahl <strong>und</strong> Bestellung eines bestimmten Arbeitnehmers<br />

zum Vorarbeiter auch das Recht zur Abberufung aus dieser<br />

Funktion <strong>und</strong> das Widerrufsrecht Bestandteil des tariflich<br />

gestalteten Direktionsrechts des Arbeitgebers. Seine Ausübung<br />

führt nicht zu einer Änderung des Arbeitsvertrages<br />

in seinem inhaltlichen Kernbereich, sondern lässt diesen<br />

unberührt. Geändert werden nur die Arbeitsbedingungen<br />

im Rahmen des bestehenden Arbeitsvertrages. Hieraus ergibt<br />

sich auch, dass der Widerruf der Bestellung zum Vorarbeiter<br />

nicht der Änderungskündigung durch den Arbeitgeber –<br />

demgemäß auch nicht der entsprechenden Beteiligung des<br />

bei ihm bestehenden Personalrats – bedarf, sondern durch<br />

einseitige Erklärung des Arbeitgebers bzw. bei der hier vorliegenden<br />

Aufteilung der Arbeitgeberfunktionen des Direktionsrechtsinhabers<br />

erfolgen kann. Es ist auch nicht ersichtlich, dass<br />

eine die Wirksamkeit der Maßnahme hindernde notwendige<br />

Mitbestimmung des beim Direktionsrechtsinhaber gewählten<br />

Betriebsrats erfolgen muss; auch der Kläger, welcher sich<br />

pauschal auf Beteiligungspflichten beruft, verdeutlicht nicht,<br />

welchen konkreten Mitbestimmungstatbestand er hierfür in<br />

Anspruch nehmen will <strong>und</strong> verletzt sieht.<br />

Die Übertragung von Arbeiteraufgaben ohne Vorarbeiterfunktionen<br />

war, wie ausgeführt, vom Arbeitsvertrag des Klägers<br />

abgedeckt. Im den Tarifregelungen für Arbeiter der Gemeinden<br />

unterstellten Arbeitsverhältnis ergab sich ein weiter Raum<br />

zur einseitigen Gestaltung der konkreten Arbeitsbedingungen.<br />

Das Direktionsrecht umfasst die gesamte Reichweite der<br />

für den Arbeitnehmer gültigen Eingruppierung. Zulagen – unter<br />

Einschluss derjenigen für die Vorarbeiterfunktion – gehören<br />

allerdings nicht zu den Merkmalen für die Eingruppierung<br />

nach Lohngruppen. Mit der Bestellung zum Vorarbeiter <strong>und</strong><br />

Zuerkennung der entsprechenden Zulage ändert sich demnach<br />

nicht die Zuordnung zu einer Vergütungsgruppe ebenso<br />

wenig wie umgekehrt mit der Abberufung bzw. Aberkennung.<br />

Nachdem also mit der unter Herausnahme der Vorarbeiterfunktionen<br />

fortgesetzten Beschäftigung seit Januar 2008<br />

keine neue Eingruppierung – konkret Rückgruppierung – des<br />

Klägers verb<strong>und</strong>en war, ergab sich auch aus diesem Gesichtspunkt<br />

kein gesetzlicher Ansatzpunkt für eine obligatorische<br />

Mitbestimmung des Personalrats seiner Arbeitgeberin – erst<br />

Recht nicht des Betriebsrats der Direktionsrechtsinhaberin.<br />

189


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Ebenso wenig war eine solche aus dem Gesichtspunkt der<br />

Versetzung geboten, da der Kläger in der unveränderten vertraglichen<br />

Position als Arbeiter seiner Lohngruppe im bisherigen<br />

Einsatzbereich verb<strong>liebe</strong>n ist. Dass sich durch den Wegfall<br />

der Vorarbeiterfunktionen die Tätigkeit <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen<br />

Arbeitsumstände in der für den Versetzungsbegriff<br />

geforderten Erheblichkeit geändert haben, ist aus dem beigebrachten<br />

Vorbringen gleichfalls nicht erkennbar.<br />

Ebenso wenig ergibt sich eine tarifliche Vorgabe zur Einschaltung<br />

einer Prüfungskommission. Die Vorarbeiterzulage <strong>und</strong><br />

erst Recht nicht die zugr<strong>und</strong>e liegende Vorarbeiterbestellung<br />

bzw. deren Rückgängigmachung hat nichts mit einer<br />

Leistungsbewertung zur Festlegung des Leistungszuschlags<br />

nach § 4 Abs. 4 BZT-G/NRW zu tun. Vielmehr war der Entzug<br />

der Vorarbeiterfunktionen als der Beklagten zu 1.) übertragene<br />

Direktionsmaßnahme im Rahmen des bestehenden<br />

Arbeitsvertrages des Klägers mit der Beklagten zu 2.) einseitig<br />

<strong>und</strong> mitbestimmungsfrei zulässig, dabei war die Beklagte<br />

zu 1.) – sowohl nach der Vergleichsbestimmung zur nach<br />

Jahresablauf zu treffenden Entscheidung als auch bei Ausübung<br />

des daneben bestehenden <strong>und</strong> als uneingeschränkt<br />

gültig bestätigten Widerrufsrechts – nur an das allgemeine<br />

Gebot der Beachtung der Billigkeitsgr<strong>und</strong>sätze der § 106<br />

GewO, § 315 BGB geb<strong>und</strong>en, d.h. die Maßnahme durfte nicht<br />

willkürlich <strong>und</strong> schikanös sein. Solches war nicht erkennbar.<br />

Beide Beklagten haben die Umstände für die Entscheidung<br />

der Beklagten zu 1.), dem Kläger die Führungs- <strong>und</strong> Überwachungsfunktionen<br />

als Vorarbeiter einer Kolonne nicht dauerhaft<br />

zu übertragen bzw. erneut zu entziehen, im einzelnen<br />

dargelegt <strong>und</strong> zum einen die Unzufriedenheit mit der Art der<br />

Erledigung der entsprechenden verantwortlichen Aufgaben<br />

anhand konkret eingeführter Einzelvorfälle sachlich begründet,<br />

zum anderen auf die außergewöhnlichen Fehlzeiten verwiesen,<br />

welche seit Jahren einen durchgängigen Störungsfaktor<br />

bilden <strong>und</strong> der sinnvollen Einplanbarkeit des Klägers<br />

für die Aufgaben bei der Führung der Arbeitsgruppe entgegenstehen.<br />

Dieser Aspekt war bereits mit ausschlaggebend<br />

für den ersten Widerruf der Vorarbeiterbestellung per Ende<br />

August 2005 <strong>und</strong>, so die ausdrückliche Bestätigung des Klägervertreters<br />

im heutigen Kammertermin, der hauptsächliche<br />

Gr<strong>und</strong> für die Vereinbarung der befristeten erneuten Vorarbeiterbestellung,<br />

damit während des „Bewährungsjahres“<br />

auch die weitere Fehlzeitenentwicklung beobachtet werden<br />

konnte. Die überdurchschnittlich hohen Ausfälle beim Kläger<br />

haben sich aber weiter fortgesetzt, eine krankheitsbedingte<br />

Abwesenheit an 86 Tagen im Laufe des Jahres 2007 belegt,<br />

dass eine Kontinuität beim Inhaber der Führungs- <strong>und</strong> Überwachungsfunktionen<br />

mit ihm nicht zu erreichen ist. Es besteht<br />

aber ein anzuerkennendes betriebliches Interesse an geordneten<br />

Strukturen mit gefestigten „Hierarchien“, in welchen<br />

sinnvoll <strong>und</strong> reibungsfrei gearbeitet werden kann. Die Gründe<br />

für die überdurchschnittlichen Fehlzeiten spielen für ihre negativen<br />

Auswirkungen keine Rolle. Ein Mitarbeiter, der fehlt,<br />

kann die Arbeitsgruppe nicht führen, dies stört die betriebli-<br />

190 03/09<br />

chen Einsatzplanungen <strong>und</strong> Abläufe, unabhängig davon, ob<br />

die Arbeitsunfähigkeit auf einer Aufopferung für den Betrieb<br />

beruht, einer schicksalhaften Erkrankung oder einem unges<strong>und</strong>en<br />

Lebenswandel ...<br />

Dem Arbeitgeber bzw. Direktionsrechtsinhaber ist ein umfassendes<br />

Ermessen bei der Auswahl der Vorarbeiter zugebilligt,<br />

welches einen auch subjektiv geprägten Beurteilungsspielraum<br />

einschließt, denn mit den Vorarbeiterfunktionen werden<br />

bestimmte arbeitgeberseitige Weisungsbefugnisse einem<br />

Arbeitnehmer zur Ausübung gegenüber den <strong>Kollegen</strong> einer<br />

Arbeitsgruppe übertragen. Die Vorarbeiterstellung beruht auf<br />

vom Arbeitgeber bzw. Direktionsrechtsinhaber abgeleiteten<br />

Befugnissen <strong>und</strong> es liegt allein bei diesem, wem er seine<br />

Rechte zur Ausübung überträgt <strong>und</strong> welchem Arbeitnehmer<br />

er die sich daraus ergebenden Tätigkeiten ermöglicht, indem<br />

er ihm eine Gruppe unterstellt <strong>und</strong> deren Mitglieder<br />

arbeitsvertraglich dazu verpflichtet, den Anweisungen dieses<br />

<strong>Kollegen</strong> Folge zu leisten. Solches erfordert neben dem<br />

Zutrauen in die fachliche Kompetenz auch ein persönliches<br />

Vertrauen in die Zuverlässigkeit des zum „Repräsentanten“<br />

vor Ort gemachten Mitarbeiters, seine Fähigkeit zur sachgerechten<br />

Kommunikation <strong>und</strong> reibungslosen Zusammenarbeit<br />

mit den weiteren Arbeitsgruppenmitgliedern wie den ihm<br />

übergeordneten Vorgesetzten <strong>und</strong> zur Wahrnehmung der mit<br />

der Vorarbeiterstellung verb<strong>und</strong>enen Vorbildfunktionen. Unter<br />

diesem „Leitbild“ konnten die angesprochenen Vorwürfe<br />

das Zutrauen in die Eignung des Klägers als Vorarbeiter „auf<br />

Dauer“ erheblich beeinträchtigen. Schließlich ist zu berücksichtigen,<br />

dass die Beklagte zu 2.) ihm im Zusammenhang<br />

mit der Einstellungsmitteilung vom 12. Januar 2007 einen<br />

förmlichen Vorhalt mit Pflichtenmahnung erteilt hat <strong>und</strong> in<br />

der Zeit der Entscheidung über die Weiterführung der Vorarbeiterbestellung<br />

bzw. den Widerruf eine formelle Abmahnung<br />

vorhanden war, welche, wie durch den Vergleich im Verfahren<br />

3 Ca 2142/07 außer Streit gestellt wurde, in der noch bis zum<br />

13. Februar 2008 laufenden „Bleibefrist“ berechtigterweise zur<br />

Personalakte gehörte, dies wegen der zu Bürgerbeschwerden<br />

geführt habenden Arbeitsweise in der vom Kläger geführten<br />

Kolonne am 9. Januar 2007.<br />

Gab es danach sowohl objektive (Fehlzeiten) als auch<br />

subjektive (Unzufriedenheit) Gründe dafür, dem Kläger die<br />

ihm übertragenen abgeleiteten Leitungsbefugnisse für die<br />

Arbeitsgruppe nicht dauerhaft zu belassen bzw. wieder<br />

zu entziehen, war diese Maßnahme weder unbillig noch<br />

schikanös oder willkürlich oder gar rechtsmissbräuchlich.<br />

Im Gegenteil ist die Beklagte zu 2.) dem Kläger bereits<br />

im vorangegangenen Verfahren durch den Abschluss des<br />

Vergleichs vom 15. September 2006 entgegengekommen, mit<br />

welchem ihm eine erneute Bewährungschance eingeräumt<br />

wurde. Weder sie noch – nach Übernahme der Direktionsbefugnisse<br />

– die Beklagte zu 1.) hat das im Vergleich zusätzlich<br />

festgelegte Widerrufsrecht während der Jahresfrist genutzt,<br />

obwohl bereits seit Beginn des vereinbarten Prüfungsjahres<br />

erneut die Störungen aufgetreten <strong>und</strong> Personalgespräche


mit dem Kläger zu führen waren, auch der Vorhalt <strong>und</strong> die<br />

Abmahnung erteilt werden mussten. Dennoch wurde dem<br />

Kläger das volle Bewährungsjahr ab Oktober 2006 zugebilligt<br />

<strong>und</strong> sogar bis zum Jahresende 2007 verlängert. Der Billigkeit<br />

widersprechendes Arbeitgeber- bzw. Direktionsrechtsinhaberverhalten<br />

ist danach nicht zu erkennen.<br />

3. Die zu Lasten des voll unterlegenen Klägers gehende Kostenentscheidung<br />

ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung<br />

nach § 61 Abs. 1 ArbGG erfolgte gemäß §§ 3,<br />

4, 5 ZPO, § 42 Abs. 3 GKG. Die Kammer folgt der Auffassung,<br />

nach welcher bei einer objektiven Klagehäufung sowohl<br />

der Leistungsantrag – hier gemäß dem Antrag zu 1.) –<br />

zu berücksichtigen ist <strong>und</strong> darüber hinaus der weitere, hier<br />

im Wege der Klage gemäß § 256 ZPO – zu Ziff. 2) – eingebrachte<br />

Antrag, der entsprechend dem dreifachen Jahresmehrbetrag<br />

der damit für die Zukunft zur Feststellung geforderten<br />

Rentenzahlungspflicht unter Berücksichtigung des so<br />

genannten Feststellungsabschlags von 20% bewertet wurde.<br />

Die Vernachlässigung von Rückständen bis zur Klageerhebung<br />

gemäß § 42 Abs. 5 S. 1 letzter Halbsatz GKG ist nur im<br />

Rahmen eines Antrags geboten, für welchen diese besondere<br />

Wertfestsetzungsanordnung für „Wiederkehrende Leistungen“<br />

gilt, d.h. einen Antrag gemäß § 258 ZPO. Für die<br />

„normale“ Zahlungsklage gemäß dem Antrag zu 1.) ist § 42<br />

GKG nicht einschlägig, hierfür gelten die allgemeinen Festsetzungsregelungen<br />

in der ZPO, so dass hier gemäß § 3 ZPO der<br />

Nennbetrag der vollen eingeklagten Forderung maßgeblich<br />

war. Den weitergehenden Antrag zu 3.) hat die Kammer in<br />

Analogie zum Bestandswert nach § 42 Abs. 4 S. 1 GKG mit<br />

dem Quartalsbetrag der Vorarbeiterzulage bewertet.<br />

■ Arbeitsgericht Köln<br />

vom 26.02.2009, 8 Ca 3300/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Jürgen Höser,<br />

Kölner Straße 2, 50226 Frechen,<br />

Tel.: 02234/18200, Fax: 02234/182010<br />

office@hdup.de<br />

252. Teilzeit, Verteilung auf die Woche, nachträgliche<br />

Änderung, betriebliches Interesse, Gleichbehandlung<br />

1. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, die Klägerin mit einer<br />

Wochenarbeitszeit von 19,25 St<strong>und</strong>en bei einer Verteilung auf<br />

vier Werktage von Montag bis Freitag in der Zeit von 7.30 Uhr<br />

bis maximal 12.30 Uhr gemäß Dienstplan zu beschäftigen.<br />

Die Klägerin, die 1993 ihr erstes Kind gebar, nahm nach Ende<br />

des ersten Erziehungsurlaubes am 19. November 1996 ihre<br />

Tätigkeit in einem Umfang von 50 % der regulären Arbeitszeit<br />

auf. Zuvor war die Klägerin seit dem 1. Oktober 1990<br />

als Krankenpflegehelferin mit einer wöchentlichen Arbeitszeit<br />

von 75 % der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollbeschäftigten<br />

tätig geworden. Die Klägerin erbrachte seit dem 1. Januar<br />

2001 bis zu Beginn der zweiten Elternzeit am 10. September<br />

2005 ununterbrochen ihre Arbeitsleistung an vier Tagen pro<br />

Woche stets in der Zeit von 7.30 Uhr bis 12.30 Uhr. Nach<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Geburt ihres zweiten Kindes am 6. Mai 2005 befand sich die<br />

Klägerin in dem Zeitraum vom 10. September 2005 bis zum<br />

5. Mai 2008 in Elternzeit. Mit Schreiben vom 12. März 2008<br />

forderte die Beklagte die Klägerin auf, ab dem 6. Mai 2008 im<br />

Drei-Schicht-System die Arbeit aufzunehmen. Unter dem 18.<br />

März 2008 wies die Klägerin darauf hin, dass ihr eine Arbeitszeit<br />

in Wechselschicht aufgr<strong>und</strong> der Betreuung ihres Kleinkindes<br />

nicht möglich sei. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom<br />

1. April 2008 die Beibehaltung der Arbeitszeit der Klägerin in<br />

der Zeit von 7.30 Uhr bis 12.30 Uhr an vier Tagen in der Woche<br />

ab <strong>und</strong> verwies die Klägerin auf ein Zwei-Schicht-System mit<br />

Früh- <strong>und</strong> Spätdienst.<br />

Materiellrechtlich kann der Arbeitgeber gem. § 8 Abs. 5 Satz 4<br />

TzBfG die mit dem Arbeitnehmer vereinbarte Festlegung der<br />

zeitlichen Lage der Arbeitszeit mit einer Ankündigungsfrist<br />

von einem Monat ändern, sofern das betriebliche Interesse<br />

daran das Interesse des Arbeitnehmers an der Beibehaltung<br />

erheblich überwiegt. (LAG Hamm, Urteil vom 16. Dezember<br />

2004 – 8 Sa 1520/04 – NZA-RR 2005, 405 ff.). Das einseitige<br />

Änderungsrecht setzt voraus, dass die Verteilung der Arbeitszeit<br />

nach einem Verlangen des Arbeitnehmers einvernehmlich<br />

gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 TzBfG oder durch Fiktion nach § 8<br />

Abs. 5 Satz 3 TzBfG festgelegt wurde. § 8 Abs. 5 Satz 4 TzBfG<br />

ist also ein Korrektiv für das im Rahmen des Verringerungsverlangen<br />

nach § 8 Abs. 2 Satz 1 TzBfG regelmäßig zu erzielende<br />

Einvernehmen über die Verteilung gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2<br />

TzBfG (BAG, Urteil vom 17. Juli 2007 – 9 AZR 819/06 – NZA<br />

2008, 118 ff.).<br />

Auch ohne dass dies im Gesetz ausdrücklich seinen Niederschlag<br />

gef<strong>und</strong>en hat, muss davon ausgegangen werden, dass<br />

eine Abweichung von der einvernehmlich festgelegten Arbeitszeitverteilung<br />

vom Arbeitgeber nur auf geänderte Umstände,<br />

welche nach der Vereinbarung auf die vom Arbeitnehmer<br />

gewünschte Verkürzung <strong>und</strong> zeitliche Verteilung der<br />

Arbeitszeit eingetreten sind, gestützt werden (vgl. LAG Hamm,<br />

Urteil vom 16. Dezember 2004 – 8 Sa 1520/04 – NZA-RR 2005,<br />

405 ff.) ...<br />

Im Hinblick auf die Darlegungen der Beklagten, wie der Einsatz<br />

der Krankenpflegekräfte insgesamt in Klinik geregelt ist,<br />

ist das schlichte Bestreiten der Klägerin unzulässig. Die Klägerin<br />

ist seit Ende der Elternzeit ab dem 6. Mai 2008 in der Klinik<br />

tätig, so dass ein Bestreiten mit Nichtwissen nicht zulässig ist.<br />

Vielmehr hätte die Klägerin darlegen können, welche Personen<br />

in der Klinik die eine Tätigkeit ausüben, die mit der der<br />

Klägerin vergleichbar ist, tatsächlich nicht im Schichtbetrieb<br />

ausführen. Da die Erklärung mit Nichtwissen aus den eben<br />

dargestellten Gründen unzulässig ist, wird ein Geständnis fingiert,<br />

sodass der Tatsachenvortrag der Beklagten insoweit als<br />

unstreitig anzusehen ist. Insofern geht die Kammer davon<br />

aus, dass die Beklagte tatsächlich mit der Versetzung in den<br />

Neubau der Klinik Krankenschwestern <strong>und</strong> Krankenpflegehelferinnen<br />

in den bettenführenden Bereichen ausschließlich im<br />

Schichtdienst einsetzt.<br />

Dennoch ist für die Kammer die Voraussetzung eines erheb-<br />

191


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

lichen Überwiegens des Interesses des Arbeitgebers an der<br />

Änderung der Arbeitszeit der Klägerin von der reinen Frühschicht<br />

in ein Zwei-Schicht-System mit Früh- <strong>und</strong> Spätschicht,<br />

nicht gegeben. Vielmehr überwiegt nach Auffassung der Kammer<br />

insoweit das Interesse der Klägerin, keine Spätschicht zu<br />

leisten. Zum einen hat die Beklagte nicht geprüft, ob Mitarbeiter<br />

in den sechs Kliniken der Beklagten bereit wären, als<br />

Pendant zu der Klägerin ausschließlich im Spätdienst tätig zu<br />

werden. Zum anderen ist unstreitig, dass die Klägerin alleinerziehende<br />

Mutter zweier Kinder, geboren am 19. November<br />

1993 <strong>und</strong> 6. Mai 2005, ist. Die Familie der Klägerin lebt nicht<br />

in Hamburg. Der ältere Sohn der Klägerin geht zur Schule.<br />

Der jüngere Sohn, der von einer Behinderung bedroht ist,<br />

befindet sich in einem Integrationskindergarten, der behinderte<br />

<strong>und</strong> nichtbehinderte Kinder betreut. Beide Institutionen<br />

liegen in X. Der Kindergarten öffnet um 6.00 Uhr <strong>und</strong><br />

schließt um 18.00 Uhr. Die Beklagte verwies die Klägerin auf<br />

die Möglichkeit, den Betriebskindergarten zu nutzen. Unstreitig<br />

ist jedoch, dass auch der Betriebskindergarten um 18.00<br />

Uhr schließt, während die Spätschicht bis 21.30 Uhr andauert.<br />

Aufgr<strong>und</strong> der nicht vorhandenen anderweitigen Betreuungsmöglichkeit,<br />

insbesondere des jüngeren Sohnes der Klägerin,<br />

sprechen nach Auffassung der Kammer die von der Beklagten<br />

vorgetragen Gründe für den Änderungswunsch, sämtliche<br />

Krankenpflegehelferinnen gleich zu behandeln <strong>und</strong> im 2bzw.<br />

3-Schicht-Betrieb einzusetzen, nicht erheblich für die Beklagte.<br />

Vielmehr ist im folgenden Fall zu berücksichtigen, dass<br />

die Klägerin, die als alleinerziehende Mutter für ihre beiden<br />

Kinder verantwortlich ist, auch finanziell mit einem monatlich<br />

Bruttogehalt in Höhe von € 1.200,00 nicht in der Lage sein<br />

dürfte, sich für die Zeit ab 18.00 Uhr professionelle Hilfe für<br />

die Betreuung ihres von Behinderung bedrohten Kindes zu<br />

besorgen.<br />

Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch darauf, die Beklagte<br />

zu verpflichten, die Klägerin weiterhin ausschließlich in Frühschicht<br />

von 7.30 Uhr bis 12.30 Uhr zu beschäftigen. Aufgr<strong>und</strong><br />

der Kindergartenbetreuung ihres kleineren Sohnes, die sowohl<br />

in dem Integrationskindergarten als auch in dem Betriebskindergarten<br />

bis 18.00 Uhr gesichert ist, hat die Klägerin<br />

die Möglichkeit, neben der Frühschicht auch den Zwischendienst,<br />

der jeweils bis 16.00 Uhr andauert, zu absolvieren.<br />

Insoweit geht die Kammer davon aus, dass ein erhebliches Interesse<br />

der Beklagten daran besteht, die Krankenpflegehelferinnen<br />

in den bettenführenden Abteilungen möglichst gleich<br />

zu behandeln. Es ist im Übrigen davon auszugehen, dass insbesondere<br />

beschäftige Mütter von Kleinkindern bevorzugt im<br />

Frühdienst bei der Beklagten tätig sein wollen.<br />

Die Beklagte hat auch unabhängig von der Gleichbehandlung<br />

der Mitarbeiter keine tatsächlichen Gründe dargelegt,<br />

warum die Patientenversorgung nicht ausreichend gesichert<br />

ist, wenn die Klägerin von den Wochenenddiensten ausgenommen<br />

wird.<br />

■ Arbeitsgericht Hamburg<br />

vom 05.08.2008, 9 Ca 190/08<br />

192 03/09<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Klaus Müller-Knapp,<br />

Kaemmererufer 20, 22303 Hamburg<br />

Tel.: 040/6965763, Fax: 040/2807493<br />

kanzlei@anwaelte-mkhb.de<br />

253. Befristung des Arbeitsverhältnisses, Sachgr<strong>und</strong>, Berufsaubildungsverhältnis<br />

1. Ein Berufsausbildungsverhältnis steht dem Abschluss eines<br />

befristeten Arbeitsvertrages ohne Sachgr<strong>und</strong> gemäß § 14<br />

Abs. 2 S. 1 TzBfG nicht entgegen. Bei dem Berufsausbildungsverhältnis<br />

handelt es sich um kein Arbeitsverhältnis im Sinne<br />

des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG.<br />

2. Eine tarifvertragliche Verpflichtung zur Übernahme eines<br />

Auszubildenden für eine Mindestdauer (hier: Tarifvertrag<br />

zur Beschäftigungssicherung in der Metallindustrie Süd-<br />

Württemberg-Hohenzollern) wird auch durch den Abschluss<br />

eines befristeten Vertrages ohne Sachgr<strong>und</strong> nach § 14 Abs. 2<br />

S. 1 TzBfG erfüllt, da die Möglichkeit der Befristung mit<br />

Sachgr<strong>und</strong> die sachgr<strong>und</strong>lose Befristung nicht ausschließt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg<br />

vom 09.10.2008, 10 Sa 35/08<br />

254. Direktionsrecht, billiges Ermessen; Zwischenzeugnis<br />

A. I. ... . c) Die Klage ist auch begründet. Die zum 14. Januar<br />

2008 verfügten Änderungen der Arbeitsbedingungen des Klägers<br />

sind unwirksam.<br />

aa) Nach § 106 S. 1 GewO kann der Arbeitgeber u.a. den Inhalt<br />

der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen,<br />

soweit dieser nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen<br />

einer Betriebsvereinbarung, einen anwendbaren Tarifvertrag<br />

oder gesetzliche Vorschriften festgelegt ist.<br />

bb) Im Streitfall erfolgte die den Kläger betreffende Änderung<br />

seiner Arbeitssaufgaben auf der Gr<strong>und</strong>lage des der Beklagten<br />

zu 1) zustehenden Direktionsrechts. Dieses unterlag weder<br />

Einschränkungen durch den Arbeitsvertrag der Parteien noch<br />

durch Tarifrecht.<br />

Arbeitsvertraglich haben die Parteien keine verbindliche Festlegung<br />

über den Inhalt der von dem Kläger zu erbringenden<br />

Arbeitsleistung getroffen. Die Parteien haben vielmehr – wie<br />

die Beklagte zu 1) zutreffend ausführt – einen im öffentlichen<br />

Dienst üblichen Arbeitsvertrag geschlossen. Danach wird der<br />

Angestellte regelmäßig nicht für eine bestimmte Tätigkeit<br />

eingestellt, sondern für einen allgemein umschriebenen Aufgabenbereich,<br />

der lediglich durch die Nennung der Vergütungsgruppe<br />

bezeichnet ist. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers<br />

erstreckt sich bei dieser Vertragsgestaltung nach ständiger<br />

Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts (vgl. BAG,<br />

v. 30. August 1995 – 1 AZR 47/95 – zit. nach juris; 24. April<br />

1996 – 4 AZR 976/94 – zit. nach juris; 29. Oktober 1997 –<br />

5 AZR 455/96 – zit. nach juris) auf alle Tätigkeiten, die die<br />

Merkmale der Vergütungsgruppe erfüllen, in die der Arbeitnehmer<br />

eingestuft ist. Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes<br />

sind daher gr<strong>und</strong>sätzlich verpflichtet, jede ihnen im Bereich


des Arbeitgebers zugewiesene Tätigkeit zu verrichten, die den<br />

Merkmalen ihrer Vergütungsgruppe entspricht, soweit ihnen<br />

diese Tätigkeit billigerweise zugemutet werden kann (BAG, v.<br />

21. April 2004 – 6 AZR 583/02 – zit. nach juris; v. 29. Oktober<br />

1997 – 5 AZR 455796 – zit. nach juris).<br />

Das in diesen arbeitsvertraglichen Grenzen bestehende Direktionsrecht<br />

der Beklagten zu 1) hat auch durch das für die Parteien<br />

maßgebliche Tarifrecht keine Einschränkungen erfahren.<br />

Der TVöD, insbesondere § 4, sieht keine Einschränkungen des<br />

Direktionsrechts Arbeitsleistung vor.<br />

cc) Der Beklagten zu 1) war es daher gr<strong>und</strong>sätzlich nicht verwehrt,<br />

dem Kläger in den Grenzen billigen Ermessens andere<br />

Tätigkeiten zuzuweisen. Diese Grenzen hat die Beklagte zu 1),<br />

die sich die von der Beklagten zu 2) vorgesehene Aufgabenänderung<br />

zu eigen gemacht hat, indes nicht eingehalten.<br />

(1) Die Wahrung billigen Ermessens setzt voraus, dass die wesentlichen<br />

Umstände des Falles abgewogen <strong>und</strong> die beiderseitigen<br />

Interessen angemessen berücksichtigt werden (BAG,<br />

v. 21. Januar 2004 – 6 AZR 583/02 – zit. nach juris). Ob die<br />

beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden<br />

sind, unterliegt der gerichtlichen Kontrolle (§ 315 Abs. 3 S. 2<br />

BGB). Der Arbeitgeber, der sich auf die Wirksamkeit der in<br />

Ausübung des Direktionsrechts angeordneten Maßnahmen<br />

beruft, trägt die Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast für das Vorliegen<br />

der Voraussetzungen des § 106 GewO (BAG, v. 13. März 2007 –<br />

9 AZR 433/06 – zit. nach juris).<br />

(2) Hieran fehlt es im Streitfall. Dabei kann dahinstehen, ob<br />

die nunmehr dem Kläger zugedachten Tätigkeiten den Merkmalen<br />

der für ihn maßgeblichen Vergütungsgruppe entsprechen.<br />

Denn den Änderungen stehen Billigkeitsgesichtspunkte<br />

entgegen. Die Beklagte zu 1) hat bereits nicht dargetan, dass<br />

sie bzw. die Beklagte zu 2) ein berechtigtes Interesse an der<br />

angeordneten Änderung der Arbeitsbedingungen des Klägers<br />

hat, welches das Interesse des Klägers an der Beibehaltung<br />

der bislang mit seiner Position als Bereichsleiter verb<strong>und</strong>enen<br />

Aufgaben <strong>und</strong> Kompetenzen, insbesondere seinen Personalführungsbefugnissen,<br />

überwiegt.<br />

Die Beklagte zu 1) begründet die mit der Änderung der Aufbauorganisation<br />

verb<strong>und</strong>enen Änderungen der Tätigkeit allein<br />

mit der vom Kläger abgegebenen Überlastungsanzeige<br />

vom 11. Oktober 2007 <strong>und</strong> seiner E-mail vom 2. November<br />

2007. Der Kläger hat hierauf replizierend – wie schon in der<br />

Anzeige selbst – darauf hingewiesen, dass diese Erklärungen<br />

vor dem Hintergr<strong>und</strong> abgegeben wurden, dass ihm ein<br />

Großteil der Aufgaben einer ausgeschiedenen Bereichsleiterin<br />

zugewiesen wurden. Hierauf hat sich die Beklagte zu 1)<br />

nicht erklärt, so dass sich der Kammer nicht erschließt, warum<br />

dem Kläger auf seine Überlastungsanzeige reagierend mit<br />

seiner Position als Bereichsleiter verb<strong>und</strong>ene Aufgaben, <strong>und</strong><br />

dabei im Wesentlichen mit dieser Funktion zusammenhängende<br />

Führungsaufgaben, entzogen werden mussten, nicht<br />

aber ihm zugewiesene Zusatzaufgaben.<br />

dd) Einer wirksamen Ausübung des Direktionsrechts nach<br />

§ 106 S. 1 GewO steht weiterhin entgegen, dass nicht hinrei-<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

chend bestimmt ist, welche Aufgaben der Kläger im Einzelnen<br />

ab dem 14. Januar 2008 zu erledigen hat.<br />

Die vom Arbeitgeber nach billigem Ermessen zu treffende<br />

Leistungskonkretisierung muss hinreichend bestimmt sein<br />

(vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 68. Aufl., § 315 Rn 11). Hieraus<br />

folgt, dass bei Ausübung des Bestimmungsrechts die geforderte<br />

Leistung genau angegeben werden muss (LAG Köln, v.<br />

9. Januar 2007 –9Sa1099/06 – zit. nach juris).<br />

Hieran fehlt es im Streitfall. Der neue Zuschnitt der Aufgaben<br />

des Klägers wird weder aus dem vorgelegten Organigramm<br />

vom 1. Juni 2008 noch aus den übrigen als Anlage K 15<br />

vorgelegten Auszügen aus dem sog. Management-Handbuch<br />

deutlich. Dort wird lediglich erwähnt, dass der Kläger „darüber<br />

hinaus verantwortlich für den ordnungsgemäßen Betrieb<br />

<strong>und</strong> Zustand des selbst genutzten Betriebsgeländes sowie<br />

des Wertstoffhofes“ ist <strong>und</strong> er von der Geschäftsführung<br />

mit der Organisation <strong>und</strong> Abwicklung von Sonderprojekten<br />

beauftragt wird. An einer der Stellenbeschreibung der Geschäftsbereichsleiterfunktion<br />

vom 1. Juni 1999 vergleichbaren<br />

Bestimmung der dem Kläger nunmehr zukommenden Funktionen<br />

fehlt es. Eine Präzisierung der neuen Funktionen erfolgte<br />

– wie der Kläger im Schriftsatz vom 12. Dezember 2008<br />

anmerkt – offenbar erstmals mit der Klageerwiderung.<br />

ee) Vor dem Hintergr<strong>und</strong> der vorangegangenen Ausführungen<br />

kann letztlich dahinstehen, ob die Beklagte zu 2) den bei<br />

ihr gebildeten Betriebsrat ordnungsgemäß i.S.d. § 99 BetrVG<br />

beteiligt hat <strong>und</strong> ob dieser – wovon die Parteien offenbar<br />

übereinstimmend ausgehen – im Hinblick auf den Kläger als<br />

Arbeitnehmer der Beklagten zu 1) überhaupt zu beteiligen<br />

war. Sollte die Zuständigkeit des Betriebsrats zu bejahen sein,<br />

so bestehen jedoch erhebliche Zweifel an seiner ordnungsgemäßen<br />

Beteiligung. Die mit der Organisationsänderung verb<strong>und</strong>ene<br />

Änderung der Arbeitsbedingungen des Klägers stellt<br />

eine Versetzung im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne gemäß<br />

§ 95 Abs. 3 BetrVG dar, da sie mit der Zuweisung eines<br />

anderen Arbeitsbereichs verb<strong>und</strong>en ist.<br />

Dem Vorbringen der Beklagten zu 1), welches sie auch nach<br />

dem weiteren Bestreiten des Klägers nicht näher präzisiert hat,<br />

lässt sich jedoch nicht in hinreichendem Maße entnehmen,<br />

ob die Beklagte zu 2) das Beteiligungsverfahren nach § 99<br />

BetrVG ordnungsgemäß durchgeführt <strong>und</strong> den Betriebsrat gemäß<br />

§ 99 Abs. 1 S. 2 BetrVG über den für den Kläger in Aussicht<br />

genommenen Arbeitsplatz informiert hat. Die Beklagte<br />

zu 1) trägt lediglich vor, dem Betriebsrat seien das neue Organigramm<br />

<strong>und</strong> die Änderungen des Aufgabenbereichs des<br />

Klägers umfassend <strong>und</strong> im Einzelnen erläutert worden. Auch<br />

dem Aktenvermerk des Betriebsrats vom 10. Januar 2008 lässt<br />

sich lediglich entnehmen, dass ihm mitgeteilt worden sei,<br />

es sei eine „gleichwertige Aufgabenzuweisung“ beabsichtigt.<br />

Hieraus geht schon nicht hervor, ob der Betriebsrat zumindest<br />

über die wesentliche Veränderung, den Entzug der Personalverantwortung,<br />

informiert wurde.<br />

dd) Die Beklagte zu 1) ist schließlich auch die richtige Anspruchsgegnerin.<br />

Zwar wurden die den Kläger betreffenden<br />

193


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Änderungen unmittelbar durch die Beklagte zu 2) verfügt.<br />

Umfang <strong>und</strong> Grenzen des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts<br />

ergeben sich jedoch aus dem zwischen dem Kläger <strong>und</strong><br />

der Beklagten zu 1) bestehenden Arbeitsvertrag. Die Beklagte<br />

zu 1) hat die Ausübung des Direktionsrechts nach dem<br />

übereinstimmenden Vorbringen der Parteien im Termin zur<br />

Verhandlung vor der Kammer im Personalgestellungsvertrag<br />

zwar auf die Beklagte zu 2) übertragen. Allein die Beklagte<br />

zu 1) ist jedoch dem Kläger gegenüber verpflichtet, die<br />

Grenzen billigen Ermessens bei der Ausübung dieses Rechts<br />

zu wahren. Eine entsprechende Verpflichtung der Beklagten<br />

zu 2) gegenüber dem Kläger besteht mangels rechtlicher<br />

Beziehungen zwischen diesen beiden Beteiligten nicht.<br />

2. Die Klage ist auch mit dem Antrag zu 1) begründet. Die<br />

Beklagte zu 1) ist verpflichtet, den Kläger weiterhin zu unveränderten<br />

Bedingungen als Betriebsleiter Abfallwirtschaft <strong>und</strong><br />

Stadtreinigung in Frechen zu beschäftigen. Dies folgt aus der<br />

gemäß Ziffer 2) des Tenors festgestellten Unwirksamkeit der<br />

zum 14. Januar 2008 angeordneten Änderung der Arbeitsbedingungen<br />

des Klägers.<br />

Der Arbeitnehmer hat regelmäßig gegen den Arbeitgeber<br />

einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung nach Maßgabe<br />

der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen (BAG, v. 17. Januar<br />

2006 – 9 AZR 226/05 – zit. nach juris).<br />

Der zwischen den Parteien bestehende Arbeitsvertrag sieht<br />

zwar die mit Klageantrag vorgesehene Beschäftigung als<br />

Bereichsleiter nicht vor. Wie oben näher ausgeführt handelt<br />

es sich vielmehr um einen, für den Bereich des öffentlichen<br />

Dienstes typischen Arbeitsvertrag, der es dem Arbeitgeber<br />

ermöglicht, dem Arbeitnehmer alle Tätigkeiten zuzuweisen,<br />

die die Merkmale der Vergütungsgruppe erfüllen, in die der<br />

Arbeitnehmer eingruppiert ist.<br />

Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn eine auf das Direktionsrecht<br />

gestützte Änderung der Arbeitsbedingungen unwirksam<br />

ist. In diesem Fall ist diejenige Tätigkeit weiterhin<br />

von dem Arbeitnehmer auszuüben, die er vor der Änderung<br />

ausgeübt hat. Denn ist z.B. eine Versetzung unwirksam, so behält<br />

der Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

in allem die Rechtsposition, die er vor der Versetzung<br />

inne hatte (BAG, v. 20. Januar 1960 – 4 AZR 267/59 –<br />

zit. nach juris; ebenso Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck,<br />

TVöD, 13. Aktualisierung, § 4 Rn 31). Sein allgemeiner arbeitsvertraglicher<br />

Beschäftigungsanspruch bezieht sich dann auf<br />

die zuletzt wirksam zugewiesene Tätigkeit (BAG, v. 26. Januar<br />

1988 – 1 AZR 531/86 – zit. nach juris). Der Arbeitgeber ist daher<br />

verpflichtet, den Arbeitnehmer bis zu einer rechtmäßigen<br />

anderweitigen Ausübung des Weisungsrechts so zu beschäftigen,<br />

wie er vor einer der Rechtsgr<strong>und</strong>lage entbehrenden<br />

Versetzung beschäftigt worden ist. Dies ist im Streitfall die<br />

vom Kläger mit dem Antrag zu 1) geltend gemachte Beschäftigung<br />

als Bereichsleiter Abfallwirtschaft <strong>und</strong> Stadtreinigung<br />

in Frechen.<br />

■ Arbeitsgericht Köln<br />

vom 17.02.2009, 14 Ca 5366/08<br />

194 03/09<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Carsten Keunecke,<br />

Kölner Straße 2, 50226 Frechen,<br />

Tel.: 02234/18200, Fax: 02234/182010/21<br />

office@hdup.de<br />

255. (Doppelte) Schriftformklausel, Individualabrede<br />

I. 1. Mit zutreffenden Erwägungen, auf die Bezug genommen<br />

wird (§ 69 Abs. 2 ArbGG), hat das Arbeitsgericht erkannt, dass<br />

zwischen den Parteien eine wirksame mündliche Provisionsvereinbarung<br />

zustande gekommen ist, dies mit dem Inhalt der<br />

später abgeschlossenen schriftlichen Vereinbarung. Insbesondere<br />

steht die im Arbeitsvertrag enthaltene doppelte Schriftformklausel<br />

einer entsprechenden mündlichen Provisionsvereinbarung<br />

nicht entgegen. Nach § 305b BGB gilt der Vorrang<br />

der Individualabrede vor allgemeinen Geschäftsbedingungen.<br />

Unstreitig ist, dass es sich bei den von der Beklagten verwendeten<br />

Regelungen um allgemeine Geschäftsbedingungen<br />

handelt, soweit es den Inhalt des Arbeitsvertrages betrifft.<br />

Dies ist auch von der Beklagten nicht beanstandet worden.<br />

Jedenfalls sind die im Arbeitsvertrag geregelten Schriftformklauseln<br />

unwirksam, soweit sie dem Zweck dienen, individuelle<br />

zwischen den Parteien getroffene Vereinbarungen zu<br />

verdrängen. Dies führt zur Unwirksamkeit dieser Regelungen<br />

(BGH, Urteil vom 20.10.1994, NJW-RR 1995, S. 179).<br />

Dem steht die Entscheidung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts vom<br />

24.06.2003 (NZA 2003, S. 1145) nicht entgegen, da diese sich<br />

im Wesentlichen mit der Frage des Ausschlusses der betrieblichen<br />

Übung befasst. Demgegenüber ist zwischen den Parteien<br />

eine individuelle, zwischen ihnen getroffene Vereinbarung<br />

im Streit.<br />

Dass beide Parteien von der Wirksamkeit dieser mündlichen<br />

Provisionsvereinbarung ausgegangen sind, ergibt sich aus der<br />

zwischen den Parteien praktizierten Handhabung in den Jahren<br />

2002 <strong>und</strong> 2003. Wie sich aus den Abrechnungen ergibt,<br />

die der Kläger für die Jahre 2001/2002 vorgelegt hat, hat er<br />

im streitigen Zeitraum Provisionsgeschäfte getätigt, die auch<br />

von der Beklagten entsprechend abgerechnet worden sind<br />

(Bl. 306/307 d.A.). Hieraus folgt, dass entgegen der Auffassung<br />

der Beklagten zwischen den Parteien Provisionsvereinbarungen<br />

bestanden, da anders die von der Beklagten erfolgten<br />

Zahlungen nicht nachzuvollziehen sind. Auch die Beklagte hat<br />

insoweit keine plausible abweichende Erklärung geliefert.<br />

Soweit es den Inhalt der zwischen den Parteien getroffenen<br />

mündlichen Vereinbarung betrifft, bezieht sich der Kläger<br />

auf die später abgeschlossene schriftliche Provisionsregelung.<br />

Dies entspricht auch der von ihm erstellten Abrechnung für<br />

das Jahr 2001/2002, die nach den gleichen Gr<strong>und</strong>sätzen wie<br />

in der späteren schriftlichen Provisionsvereinbarung geregelt,<br />

von ihm abgerechnet worden sind. Entsprechend der später<br />

schriftlich getroffenen Vereinbarung ist auch hier eine Provision<br />

in Höhe von 10% der verdienten Rohmarge in Ansatz gebracht<br />

worden. Insoweit verwendet der Kläger bei der Aufstel-


lung seiner Provisionsabrechnung dieselben Begriffe, die auch<br />

in der schriftlichen Provisionsvereinbarung enthalten sind.<br />

Soweit die Beklagte demgegenüber pauschal bestreitet, dass<br />

der Kläger den Inhalt der mündlichen Provisionsvereinbarung<br />

nicht konkret unter Beweis gestellt hat, verkennt sie, dass<br />

es zunächst Sache der Beklagten ist, ihrerseits den Vortrag<br />

des Klägers substantiiert zu bestreiten. Insoweit langt ein<br />

pauschales Bestreiten, wonach eine Provisionsvereinbarung<br />

nicht existiert haben soll, nicht aus, da dies der Handhabung<br />

der Parteien widerspricht. Es wäre vielmehr ihre Aufgabe<br />

gewesen, im Einzelnen darzulegen, wie aus ihrer Sicht sich<br />

die Provisionsvereinbarung dargestellt hat, da eine solche<br />

notwendig zwischen den Parteien existiert haben muss, zumal<br />

auch die Beklagte keine andere Erklärung für diese Zahlungen<br />

liefert ...<br />

3. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ist allerdings<br />

davon auszugehen, dass der Provisionsanspruch des Klägers<br />

bereits mit Abschluss des Vertrages am 20.02.2003 entstanden<br />

ist. Die Beklagte verweist insoweit zutreffend auf die Regelung<br />

des § 87 HGB, wonach der Provisionsanspruch aufschiebend<br />

bedingt mit dem Abschluss des Vertrages entsteht. Zum Zeitpunkt<br />

des Vertragsabschlusses bestand jedoch – wie oben bereits<br />

ausgeführt – zwischen den Parteien eine Provisionsregelung,<br />

wie die zwischen den Parteien praktizierte Handhabung<br />

einschließlich der Zahlungen der Beklagten dokumentiert.<br />

Ein weiteres Indiz für die Anwendbarkeit der später schriftlich<br />

vereinbarten Provisionsvorschriften auf das streitige Geschäft<br />

sind die von der Beklagten geleisteten Zahlungen. Diese sind<br />

ausdrücklich ausweislich der Abrechnungen als „Provision lfd.“<br />

gekennzeichnet. Nachdem auch nach dem Vortrag der Beklagten<br />

außer dem hier streitigen Geschäft keine wesentlichen<br />

provisionspflichtigen Geschäfte zum damaligen Zeitpunkt angefallen<br />

waren, ist es nahe liegend, die entsprechenden Zahlungen<br />

auf das hier streitige Geschäft zu beziehen.<br />

Das Gericht folgt auch im Wesentlichen der vom Arbeitsgericht<br />

vorgenommenen Bewertung der abzugsfähigen Posten.<br />

4.1. Dies betrifft zunächst die Frage, inwieweit die von der<br />

Beklagten geltend gemachten Zinsen als Kosten anzusetzen<br />

sind, die die Rohmarge schmälern. Zwar handelt es sich – insoweit<br />

folgt das Gericht den Einwendungen der Beklagten – um<br />

Kosten, die sich unmittelbar auf die Abwicklung des Geschäfts<br />

beziehen <strong>und</strong> die insofern nach Sinn <strong>und</strong> Zweck der Regelung<br />

den Gewinn der Beklagten aus diesem Geschäft schmälern. Allerdings<br />

hat der Kläger zu Recht eingewandt, dass es zunächst<br />

Sache der Beklagten ist, einen etwaigen Zahlungsverzug gegenüber<br />

dem Vertragspartner – hier dem Auftraggeber – geltend<br />

zu machen. Hierzu fehlen jegliche Ausführungen der<br />

Beklagten. Insbesondere ist nicht dargelegt, ob <strong>und</strong> inwiefern<br />

die Beklagte die geltend gemachten Zahlungen angemahnt<br />

hat <strong>und</strong> aus welchem Gr<strong>und</strong> es ihr nicht zuzumuten war,<br />

diese Forderungen ggf. auch gerichtlich, durchzusetzen. Zwar<br />

mag es sein, dass dies im Einzelfall für den Geschäftsherrn<br />

unzumutbar ist, hierzu bedarf es jedoch näherer Ausführungen.<br />

Gleiches gilt für die Frage, inwiefern der ausstehende<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Zinsbetrag mit offenen Gegenforderungen hätte verrechnet<br />

werden können.<br />

5. Die Berufung der Beklagten ist auch unbegründet, soweit<br />

es die erstinstanzlich ausgeurteilten Provisionszahlungen für<br />

die Länder Korea <strong>und</strong> Katar betrifft. Zwar sind diese Länder<br />

nicht ausdrücklich in der zwischen den Parteien getroffenen<br />

Provisionsvereinbarung enthalten. Aus der Regelung ergibt<br />

sich jedoch, dass es sich um Geschäfte handeln soll, für die<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich auch eine Provisionspflicht besteht. Dies folgt<br />

aus der zwischen den Parteien getroffenen Formulierung, wonach<br />

sich „die Parteien einvernehmlich auf eine angemessene<br />

Anrechnung“ einigen.<br />

Zwar ist der Wortlaut der zwischen den Parteien getroffenen<br />

Regelung insofern missverständlich, als von einer „Anrechnung“<br />

die Rede ist. Weder aus dem Wortlaut der Regelung<br />

noch aus ihrem Sinn <strong>und</strong> Zweck noch aus dem Vortrag, der<br />

Parteien lässt sich ersehen, was mit „angemessener Anrechnung“<br />

gemeint sein soll. Weder die Beklagte noch der Kläger<br />

tragen vor, was die Parteien hierunter verstanden haben.<br />

Auch in der Berufungsbegründung führt die Beklagte – was<br />

insoweit ihre Verpflichtung gewesen wäre – nicht näher aus,<br />

was mit Anrechnung zu verstehen ist.<br />

Zwar trifft es zu, dass die Parteien über die Frage der Höhe<br />

des Provisionssatzes – <strong>und</strong> nur dies kann gemeint sein, wenn<br />

die Parteien von „Angemessenheit“ reden – keine Regelung<br />

getroffen haben. Die im Anhang zum Arbeitsvertrag zwischen<br />

den Parteien getroffene Regelung lässt jedoch deutlich erkennen,<br />

dass jedenfalls eine Provisionierung erfolgen sollte,<br />

wobei offen ist, ob diese höher oder niedriger als die unter<br />

Ziffer 3 geregelte Provision von 10% beträgt. Jedenfalls ergibt<br />

sich eine Provisionspflicht aus § 612 BGB, wenn keine Regelung<br />

zwischen den Parteien getroffen wurde. Gemäß § 612<br />

Abs. 2 BGB ist dabei die übliche Vergütung als vereinbart<br />

anzusehen. Gr<strong>und</strong>sätzlich sind hierbei die Umstände des Einzelfalls<br />

zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 24.10.1989,<br />

NJW-RR 1990, S. 349). Maßgeblich sind vergleichbare Tätigkeiten<br />

unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse<br />

der Parteien. Es liegt daher nahe, den auch sonst zwischen<br />

den Parteien vereinbarten Provisionssatz in Höhe von 10%<br />

für diese Geschäfte zugr<strong>und</strong>e zu legen, sofern nicht dargelegt<br />

ist, welche Umstände es rechtfertigen, von der zwischen<br />

den Parteien vereinbarten üblichen Vergütung abzuweichen.<br />

Derartige Umstände trägt die Beklagte nicht vor.<br />

II. Die Berufung der Beklagten ist begründet, soweit es<br />

die Anrechnung des Postens Wareneingang 16% Vorsteuer<br />

(Geschäftsjahr 2003) in Höhe von € 129.789,75 sowie Wareneingang<br />

16% Vorsteuer (Geschäftsjahr 2004) in Höhe von<br />

€ 1.680,00 betrifft. Aus der Aufstellung der Beklagten (Anlage<br />

B 43) ergibt sich, dass es sich entgegen der Auffassung des<br />

Arbeitsgerichts um Abrechnungsposten handelt, die jeweils<br />

ohne MwSt. in Ansatz gebracht worden sind. Im Geschäftsjahr<br />

2003 belaufen sich diese Beträge auf insgesamt € 129.789,75,<br />

ohne dass der in den Rechnungen ausgewiesene MwSt.-<br />

Betrag bei der Berechnung der Rohmarge berücksichtigt<br />

195


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

wurde. Die einzelnen Rechnungen weisen aus, dass gerade<br />

die Vorsteuer nicht in Ansatz gebracht wurde. Entsprechend<br />

war bei der Berechnung der Rohmarge ein Betrag in Höhe von<br />

€ 129.789,75 als Wareneingang für das Geschäftsjahr 2003<br />

sowie € 1.680,00 für das Geschäftsjahr 2004, insgesamt somit<br />

€ 131.469,75 zu berücksichtigen, was den Provisionsanspruch<br />

des Klägers um € 13.149,97 schmälerte. Der ausgeurteilte<br />

Betrag in Höhe von € 35.448,10 war daher um diesen Betrag<br />

zu reduzieren, woraus sich ein restlicher Provisionsanspruch<br />

in Höhe von € 22.301,13 ergab.<br />

III. Auf die Anschlussberufung der Klägerseite war die Beklagte<br />

zur Zahlung weiterer € 11.000,00 zu verurteilen. Insoweit erwies<br />

sich die Anschlussberufung der Klägerseite als begründet.<br />

Die zwischen den Parteien vereinbarte Gehaltsminderung<br />

für 5 Monate in Höhe von monatlich € 2.200,00 brutto erweist<br />

sich als unwirksam. Sie verstößt gegen die im Arbeitsvertrag<br />

vereinbarte doppelte Schriftformklausel. Zwar ist diese – wie<br />

unten noch auszuführen sein wird – unwirksam, soweit es<br />

mögliche Ansprüche des Beklagten betrifft. Dem Kläger ist<br />

es jedoch unbenommen, sich auf die Schriftformklausel zu<br />

berufen.<br />

Wie das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht in seinem Urteil vom 27.10.2005<br />

erkannt hat (vgl. BAG – 8 AZR 3/05 – juris) dient eine mögliche<br />

Inhaltskontrolle einer im Formularvertrag verwendeten Klausel<br />

nicht dem Schutz des Klauselverwenders vor den von ihm<br />

selbst eingeführten Formularbestimmungen. Insoweit folgt<br />

das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht der ständigen Rechtsprechung des<br />

BGH (vgl. BGH, Urteil vom 02.04.1998 – IX ZR 79/97 – NJW<br />

1998, 2280). Es kann daher in diesem Zusammenhang dahingestellt<br />

bleiben, ob der Kläger – wie er behauptet – der<br />

entsprechenden Gehaltsreduzierung nur deshalb zugestimmt<br />

hat, um seinen Arbeitsplatz zu erhalten. Auch nach dem Vortrag<br />

des Klägers haben die Parteien keine Regelung getroffen,<br />

wonach der Verzicht auf das Gehalt einerseits an den Verzicht<br />

der Beklagten andererseits auf den Ausspruch etwaiger Kündigungen<br />

geknüpft war. Ebenso wenig war nach dem Vortrag<br />

des Klägers ein Widerruf oder eine Überlegungsfrist vereinbart<br />

worden. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> der im Arbeitsvertrag vereinbarten<br />

doppelten Schriftformklausel konnte der Kläger jedoch<br />

darauf vertrauen, dass eine abweichende Regelung zwischen<br />

den Parteien nur dann wirksam werden würde, wenn dies<br />

auch schriftlich festgehalten wird. Nachdem dies nicht erfolgt<br />

ist, folgt die Unwirksamkeit aus der fehlenden Schriftform<br />

gem. § 10 des Arbeitsvertrages.<br />

■ Hessisches Landesarbeitsgericht<br />

vom 10.04.2008, 14 Sa 1580/07<br />

eingereicht von Rechtsanwältin Astrid Cornelius,<br />

Rheinstraße 30, 64283 Darmstadt,<br />

Tel.: 06151/26264, Fax: 06151/25461<br />

196 03/09<br />

256. Befristung des Arbeitsverhältnisses, Altersbefristung,<br />

Zeitungszusteller; AGB-Kontrolle, überraschende<br />

Klausel<br />

I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Befristung<br />

in ihrem Arbeitsvertrag vom 03.07.2003, gegen die sich der<br />

Kläger innerhalb der Frist des § 17 Satz 1 TzBfG klageweise<br />

gewandt hat.<br />

Das Arbeitsgericht hat dieses Klagebegehren zu Recht als<br />

unbegründet abgewiesen.<br />

1. Der Kläger ist zunächst auf Gr<strong>und</strong> mündlicher Vereinbarung<br />

ab dem 01.07.2003 als Zeitungszusteller tätig geworden. Dabei<br />

hat es sich um ein unbefristetes Arbeitsverhältnis gehandelt.<br />

Selbst wenn, wie vom Kläger behauptet, bereits mündlich<br />

eine Altersgrenze vereinbart worden wäre, wäre diese wegen<br />

Verstoßes gegen die gesetzliche Schriftform (§ 14 Abs. 4<br />

TzBfG) unwirksam gewesen.<br />

2. Die Parteien haben ihr Arbeitsverhältnis am 03.07.2003 mit<br />

dem schriftlichen Arbeitsvertrag nachträglich wirksam befristet.<br />

Vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien zunächst nur mündlich<br />

die Befristung ihres Arbeitsvertrags, so ist die Befristung<br />

gemäß § 14 Abs. 4 TzBfG unwirksam. Halten die Parteien die<br />

Befristungsabrede nach Arbeitsaufnahme in einem schriftlichen<br />

Vertrag fest, liegt darin regelmäßig keine eigenständige<br />

Befristungsabrede über die nachträgliche Befristung des<br />

unbefristet zustande gekommenen Arbeitsverhältnisses,<br />

sondern die befristungsrechtlich bedeutungslose Wiedergabe<br />

des bereits mündlich Vereinbarten. Haben die Parteien<br />

hingegen vor der Unterzeichnung des schriftlichen Arbeitsvertrags<br />

mündlich keine Befristung vereinbart, enthält der<br />

schriftliche Vertrag eine eigenständige, dem Schriftformgebot<br />

des § 14 Abs. 4 TzBfG genügende Befristung (BAG, Urteil vom<br />

13.06.2007 – 7 AZR 700/06 –, Pressemitteilung Nr. 44/07).<br />

Vorliegend behauptet der Kläger zwar, dass bereits bei dem<br />

mündlichen Vertrag eine Altersbefristung vereinbart worden<br />

sei. Er hat dafür aber keinen Beweis angetreten, was zu seinen<br />

Lasten geht. Da das unbefristete Arbeitsverhältnis die Regel<br />

ist, muss derjenige, der sich auf eine Befristungsabrede beruft,<br />

die Befristungsabrede beweisen. Darüber hinaus ist der Vortrag<br />

des Klägers in sich widersprüchlich <strong>und</strong> damit unbeachtlich,<br />

da er zum einen behauptet, es sei bereits mündlich eine<br />

Altersgrenzenvereinbarung getroffen worden <strong>und</strong> sich andererseits<br />

darauf beruft, dass die Altersgrenzenvereinbarung in<br />

§ 1 bs. 3 des schriftlichen Arbeitsvertrags vom 03.07.2003<br />

überraschend gewesen sei, weil er mit einer solchen nicht<br />

habe rechnen zu brauchen.<br />

3. Die Altersgrenzenvereinbarung in § 1 Abs. 3 des Formulararbeitsvertrags<br />

vom 03.07.2003 ist nicht als Überraschungsklausel<br />

im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB unwirksam.<br />

Überraschend sind Vertragsklauseln dann, wenn sie so<br />

ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders<br />

mit ihnen nicht zu rechnen braucht. Ihnen muss ein<br />

„Überrumplungs- oder Übertölpelungseffekt“ innewohnen.


Zwischen den durch die Umstände bei Vertragsabschluss<br />

begründeten Erwartungen <strong>und</strong> dem tatsächlichen Vertragsinhalt<br />

muss ein deutlicher Widerspruch bestehen. Dabei sind<br />

alle Umstände zu berücksichtigen, insbesondere das äußere<br />

Erscheinungsbild des Vertrags. Auch das Unterbringen einer<br />

Klausel an einer unerwarteten Stelle im Text kann sie als<br />

überraschende Klausel erscheinen lassen. Das Überraschungsmoment<br />

ist um so eher zu bejahen, je belastender die Bestimmung<br />

ist. Im Einzelfall muss der Verwender darauf besonders<br />

hinweisen oder die Klausel drucktechnisch hervorheben (BAG,<br />

Urteil vom 27.07.2005 – 7 AZR 443/04 –, AP 27 zu § 620 BGB<br />

Altergrenze = EzA § 620 BGB 2002 Altergrenze Nr. 6).<br />

Daran gemessen ist die Altersgrenzenklausel in § 1 Abs. 3<br />

des Arbeitsvertrags vom 07.2003 keine Überraschungsklausel.<br />

Sie ist nicht an versteckter Stelle enthalten, sondern in dem<br />

Paragraphen des Arbeitsvertrags, der die Regelungen über<br />

Beginn <strong>und</strong> Ende des Arbeitsverhältnisses enthält. § 1 Abs. 1<br />

enthält den Beginn des Arbeitsverhältnisses § 1 Abs. 2 regelt<br />

die Kündigung des Arbeitsverhältnisses <strong>und</strong> § 1 Abs. 3 enthält<br />

die Altersgrenzenvereinbarung. Altergrenzenvereinbarungen<br />

sind auch nicht so unüblich, dass es einer drucktechnischen<br />

Hervorhebung bedurft hätte. Altersgrenzenvereinbarungen<br />

werden vielmehr in vielen Unternehmen getroffen, sodass sie<br />

keinen außergewöhnlichen Bestandteil darstellen.<br />

4. Die getroffene Altersgrenzenvereinbarung ist sachlich gerechtfertigt<br />

(§ 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG).<br />

Wie das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht im oben genannten Urteil vom<br />

27.07.2005 nochmals ausgeführt hat, können auf das 65.<br />

Lebensjahr abstellende einzelvertragliche Altersgrenzenregelungen<br />

sachlich gerechtfertigt sein. Davon geht auch der<br />

Gesetzgeber aus, wie § 41 Satz 2 SGB VI <strong>und</strong> § 10 Satz 3 Nr. 5<br />

AGG zeigen.<br />

Bei der Altersbefristung stehen das Interesse des Arbeitnehmers<br />

auf Weiterarbeit <strong>und</strong> Verdienst über das 65. Lebensjahr<br />

hinaus dem Bedürfnis des Arbeitgebers nach einer sachgerechten<br />

<strong>und</strong> berechenbaren Personalplanung gegenüber,<br />

das jedenfalls dann überwiegt, wenn der Arbeitnehmer nach<br />

Vollendung des 65. Lebensjahres wirtschaftlich abgesichert<br />

ist, zumal sein Weiterbeschäftigungsinteresse in aller Regel<br />

zeitlich begrenzt ist <strong>und</strong> er von der Altersgrenzenregelung<br />

typischer Weise auch profitiert hat, weil dadurch seine<br />

Einstellungs- <strong>und</strong> Aufstiegschancen verbessert worden sind.<br />

Nach Auffassung der Kammer gilt das auch <strong>und</strong> gerade für<br />

typische Nebentätigkeiten, wie der des Zeitungszustellers.<br />

Durch die Altersgrenzenregelung scheiden Zeitungszusteller<br />

zu vorhersehbaren Zeitpunkten aus, wodurch Neueinstellungen<br />

ermöglicht werden. Das Fortsetzungsinteresse des<br />

Zeitungszustellers über das 65. Lebensjahr hinaus ist auch<br />

hier in der Regel zeitlich begrenzt, insbesondere auch wegen<br />

der Besonderheiten der Tätigkeit hinsichtlich der Lage der<br />

Arbeitszeit <strong>und</strong> dem Ausgesetztsein der Witterungsunbilden.<br />

Hinzu kommt, dass die Tätigkeit des Zeitungszustellers als<br />

Nebentätigkeit typischerweise auch nur dem Hinzuverdienen<br />

dient <strong>und</strong> nicht Hauptbestandteil der wirtschaftlichen<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

Existenzgr<strong>und</strong>lage ist, so dass erst recht dem Bedürfnis<br />

des Arbeitgebers an einer berechenbaren Personalplanung<br />

Vorrang vor dem Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers<br />

zu geben ist, wenn er durch den Bezug einer gesetzlichen<br />

Altersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres wirtschaftlich<br />

abgesichert ist.<br />

Letzteres ist bei dem Kläger der Fall, wie der Bezug von Altersrente<br />

ab dem 01.01.2006 zeigt. Dabei ist nicht auf die<br />

konkrete Höhe der Altersrente abzustellen. Wie das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

in seinem Urteil vom 27.07.2005 (a.a.O.) ausgeführt<br />

hat, ist der sich aus Art. 12 Abs. 1 GG ergebenden Schutzpflicht<br />

bereits dann genügt, wenn der befristet beschäftigte<br />

Arbeitnehmer nach dem Vertragsinhalt <strong>und</strong> der Vertragsdauer<br />

eine Alterversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung<br />

erwerben kann. Das gilt auch, wenn der Arbeitnehmer bei<br />

Vertragsschluss bereits die rentenrechtliche Wartezeit erfüllt<br />

hat.<br />

5. Die Altersgrenze ist nicht deshalb unwirksam, weil die Beklagte<br />

Zeitungszusteller über die Altersgrenze weiterbeschäftigt.<br />

Für die Prüfung des Sachgr<strong>und</strong>es der Befristung kommt<br />

es auf die Umstände bei Vertragsschluss an. Dass die Beklagte<br />

nur zu einem geringen Teil Altersgrenzen vereinbart, ist aber<br />

nicht dargetan.<br />

6. Dass die Beklagte die überwiegende Zahl der Zeitungszusteller<br />

über die Altersgrenze weiterbeschäftigt, den Kläger<br />

unter Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgr<strong>und</strong>satz oder<br />

gar unter Verstoß gegen § 78 Satz. 2 BetrVG jedoch nicht, hat<br />

der Kläger zwar behauptet, seine Behauptung jedoch in keiner<br />

Weise substantiiert, noch unter Beweis gestellt. Abgesehen<br />

davon folgte daraus keine Unwirksamkeit der Befristung, sondern<br />

allenfalls ein Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 20.06.2007, 15 Sa 1257/06<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Johannes Weberling,<br />

Prinzessinnenstraße 14, 10969 Berlin,<br />

Tel.: 030/6<strong>165</strong>9720, Fax: 030/6<strong>165</strong>9722<br />

RA.Dr.Weberling@presserecht.de<br />

Betriebsverfassungsrecht /<br />

Personalvertretungsrecht<br />

257. Einigungsstelle, offensichtliche Unzuständigkeit<br />

1. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Gerichts<br />

<strong>und</strong> in Übereinstimmung mit den Erkenntnissen anderer<br />

Landesarbeitsgerichte dient das Bestellungsverfahren nach<br />

§ 98 ArbGG dem Ziel, die zwischen den Betriebspartnern<br />

stockenden Verhandlungen alsbald mit Hilfe eines externen<br />

Vorsitzenden wieder in Gang zu bringen <strong>und</strong> dadurch die<br />

197


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

Gr<strong>und</strong>lage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nach § 2<br />

Abs. 1 BetrVG zu erneuern (vgl. LAG Niedersachsen, vom 25.<br />

Oktober 2005 – 1 TaBV 48/05 –=LAGE§98ArbGG Nr. 45;<br />

zuletzt Beschluss vom 30. Januar 2007 – 1 TaBV 106/06 –;<br />

Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 6. Aufl.,<br />

§98 Rn11; Düwell-LipkeKoch, ArbGG, 2. Aufl., § 98 Rz 12; in<br />

diese Richtung ebenso LAG Düsseldorf, vom 20. März 2007 –<br />

8 TaBV 15/07 – LAGE § 98 ArbGG Nr. 48a; LAG Hamm, vom 9.<br />

August 2004 – 10 TaBV 81/04 – LAGE § 98 ArbGG Nr. 43 jeweils<br />

m.w.N.). Um eine schnelle Fortsetzung der Verhandlung in der<br />

Einigungsstelle zu ermöglichen, ist deshalb nur zu prüfen, ob<br />

die beantragte Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist.<br />

Dies haben die Beschlüsse der 4. <strong>und</strong> 5. Kammer des Arbeitsgerichts<br />

Hannover unter Heranziehung des Maßstabs der<br />

„offensichtlichen Unzuständigkeit“ jeweils verneint. Mit Errichtung<br />

zweier paralleler Einigungsstellen zum gleichen Regelungsgegenstand<br />

„ePost“ müssten demnach die mit unterschiedlichen<br />

Beisitzern besetzten Einigungsstellen in eigener<br />

Sachprüfung entscheiden, ob ihre Zuständigkeit gegeben ist.<br />

Wird dies jeweils bejaht, müssten parallel Regelungen auf<br />

betriebs- <strong>und</strong> unternehmensübergreifender Ebene verhandelt<br />

werden. Eine solche Rechtsfolge mag dem Kontrollmaßstab<br />

der „offensichtlichen Unzuständigkeit“ geschuldet sein, widerspricht<br />

aber dem Ziel einer beschleunigten abschließenden<br />

Regelung durch eine Einigungsstelle, die auch eine Verfahrensaussetzung<br />

verbietet. Dabei wird nicht übersehen, dass<br />

neben dem Verfahren nach § 98 ArbGG die Möglichkeit eines<br />

Vorabentscheidungsverfahrens nach § 80 ArbGG gegeben ist,<br />

welches die Zuständigkeit des Betriebsratsgremiums für die<br />

Inanspruchnahme eines bestimmten Beteiligungsrechts zum<br />

Inhalt haben kann (BAG, vom 25. April 1989 – 1 ABR 91/87 –<br />

EzA § 98 ArbGG 1979 Nr. 6; GK/-BetrVG-Kreutz, 8. Aufl., § 76<br />

Rn 71).<br />

Schließlich ist zu bedenken, dass bei der parallelen Führung<br />

von zwei Einigungsstellen zu einem gleichen Regelungsgegenstand<br />

nicht nur widersprüchliche Ergebnisse, sondern<br />

auch doppelte Kosten für die Arbeitgeberin anfallen, die diese<br />

nach § 40 BetrVG zu tragen hat.<br />

Zusammengefasst ist daher festzustellen, dass das 98er-<br />

Verfahren sinnentleert würde, wenn es zulässig wäre, mit unterschiedlichen<br />

Betriebsratsgremien in mehreren Einigungsstellen<br />

den gleichen Regelungsgegenstand zu behandeln.<br />

2. Die vom Konzernbetriebsrat <strong>und</strong> Beteiligten zu 3) beantragte<br />

Einigungsstelle erweist sich hingegen als „offensichtlich<br />

unzuständig“ im Sinne von § 98 ArbGG, so dass dahinstehen<br />

kann, wie bei einer Konkurrenz von zwei Betriebsratsgremien<br />

zur Einsetzung einer Einigungsstelle zu verfahren ist, wenn<br />

sich gegenüber beiden Gremien eine offensichtliche Unzuständigkeit<br />

nicht aufdrängt.<br />

a) Eine offensichtliche Unzuständigkeit kann sich daraus ergeben,<br />

dass nicht der antragstellende, sondern eine andere Arbeitnehmervertretung<br />

für den Verfahrensgegenstand eindeutig<br />

zuständig ist (LAG Hamburg, vom 10. April 1991 – 5 TaBV<br />

3/91–=DB1991, 2195; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-<br />

198 03/09<br />

Glöge, ArbGG, 6. Aufl., § 98 Rn 9; Düwell-Lipke ArbGG-Koch,<br />

2. Aufl., § 98 Rn 58). Dabei ist in der Regel davon auszugehen,<br />

dass das Mitbestimmungsrecht den Betriebsräten vor Ort <strong>und</strong><br />

nicht dem Gesamt- oder Konzernbetriebsrat zusteht. Im Bereich<br />

der sozialen Angelegenheiten ist im Gr<strong>und</strong>satz stets der<br />

Betriebsrat vor Ort zuständig, da es regelmäßig um betriebsbezogene<br />

Umstände geht <strong>und</strong> nur selten eine zwingende<br />

sachliche Notwendigkeit für eine gemeinsame betriebsübergreifende<br />

Regelung besteht (BAG, vom 23. September 1975 –<br />

1 ABR 122/73 – = EzA § 50 BetrVG 1972 Nr. 1; Richardi/Annuß,<br />

BetrVG 10. Aufl., § 50 BetrVG Rn 20; Fitting, BetrVG, 24. Aufl.,<br />

§ 50 Rn 35; ErfK/Eisemann, 8. Aufl., § 50 Rn 4; DKK-Trittin, 11.<br />

Aufl., § 50 Rn 38 unter Hinweis auf betriebsbezogene Differenzierungen<br />

bei Einführung neuer Technologien jeweils m.w.N.).<br />

Die Zuständigkeit eines übergeordneten Betriebsratsgremiums<br />

setzt voraus, dass es sich um eine mehrere Betriebe<br />

betreffende Angelegenheit handelt <strong>und</strong> ein objektiv<br />

zwingendes Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche<br />

oder betriebsübergreifende Regelung besteht, was sich aus<br />

technischen oder rechtlichen Gründen ergeben kann. Im<br />

Gr<strong>und</strong>satz bleibt es aber dabei, dass für die Ausübung der<br />

Mitbestimmungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz<br />

der von den Arbeitnehmern unmittelbar gewählte <strong>und</strong><br />

deshalb mit der höchsten demokratischen Legitimation<br />

versehene Betriebsrat vor Ort zuständig ist (LAG Köln, vom<br />

28. Januar 2008 – 14 TaBV 70/07 – = BB 2008, 1113 LS). Es<br />

spricht somit im Umkehrschluss zu den Sonderbestimmungen<br />

in §§ 50, 58 BetrVG eine gesetzliche Vermutung dafür,<br />

dass der Betriebsrat vor Ort seine Mitbestimmungsrechte<br />

im Einigungsstellenverfahren zu wahren hat <strong>und</strong> nur im<br />

Ausnahmefall aus originärer Zuständigkeit der Gesamt- oder<br />

Konzernbetriebsrat.<br />

Das führt im Verfahren nach § 98 ArbGG dazu, dass es der<br />

offensichtlichen Zuständigkeit des Gesamt- oder Konzernbetriebsrats<br />

bedarf, um den ansonsten gr<strong>und</strong>sätzlich zu beteiligenden<br />

örtlichen Betriebsrat zu verdrängen <strong>und</strong> die auf<br />

Betriebsebene zu bildende Einigungsstelle für „offensichtlich<br />

unzuständig“ zu halten. Um eine offensichtliche Zuständigkeit<br />

eines übergeordneten Betriebsratsgremiums zu erkennen,<br />

ist es erforderlich den hierzu erheblichen Sachverhalt von<br />

Amts wegen zu ermitteln (vgl. LAG Niedersachsen vom 8. Juni<br />

2007 – 1 TaBV 27/07 –=LAGE§98ArbGG Nr. 49). Das Gericht<br />

hat demzufolge im Einvernehmen mit den Beteiligten den im<br />

Anhörungstermin gestellten Zeugen M. informatorisch zum<br />

Betrieb der „ePost“ befragt.<br />

b) Die informatorische Befragung des Zeugen M., der als Gruppenleiter<br />

des Mahnwesens <strong>und</strong> der Debitorenbuchhaltung<br />

im Betrieb der Beteiligten zu 1) beschäftigt ist, hat ergeben,<br />

dass andere Konzernunternehmen der Verlagsgruppe nicht<br />

von der Einführung der „ePost“ betroffen sind, da mit Hilfe<br />

der Software gebündelt nur K<strong>und</strong>endaten in der Verlagsgesellschaft<br />

... GmbH & Co. KG bearbeitet werden. Arbeitnehmerdaten<br />

sind in diesem Zusammenhang nur dort <strong>und</strong> nicht<br />

bei den anderen konzernangehörigen Unternehmen betrof-


fen. Soweit Mitarbeiter der zur Unternehmensgruppe gehörenden<br />

MDG mit dem Prozess des Einscannens beschäftigt<br />

seien, würden deren Personaldaten zu einer weiteren Verarbeitung<br />

im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nicht erfasst.<br />

Die Mitarbeiter des konzernangehörigen G Rechenzentrums<br />

beschränke sich auf die technische Wartung <strong>und</strong> Pflege des<br />

Netzwerks. Einen Zugriff auf die eingescannten K<strong>und</strong>endaten<br />

hätten weder die Mitarbeiter der MDG noch des G Rechenzentrums.<br />

Die Software-Lizenzen seien klar auf die Arbeitnehmer<br />

der Verlagsgesellschaft beschränkt.<br />

Der informatorisch befragte Zeuge hat damit im Wesentlichen<br />

die Angaben der Arbeitgeberin <strong>und</strong> Beteiligten zu 1) bestätigt<br />

<strong>und</strong> die Verfahrensabläufe der „ePost“ anhand von Anzeigen<br />

einer Protokolldatei sowie einer Prozessdarstellung der Postbearbeitung<br />

(Bl. 92/93 d.A.) veranschaulicht. Die Bek<strong>und</strong>ungen<br />

der Informationsperson waren klar, nachvollziehbar <strong>und</strong><br />

in sich stimmig. Die Befragung durch die Beteiligten hat keine<br />

Widersprüche im Informationsgehalt aufzeigen können.<br />

Am Maßstab einer erforderlichen „offensichtlichen Zuständigkeit“<br />

des Konzernbetriebsrats <strong>und</strong> Beteiligten zu 3) gemessen,<br />

kann unter dem Eindruck der informatorischen Zeugenbefragung<br />

<strong>und</strong> der dazu vorgelegten Dokumente deshalb nicht<br />

festgestellt werden, dass eine offensichtliche Zuständiqkeit<br />

des Konzernbetriebsrats zur Regelung der „ePost“ besteht.<br />

c) Die vom Betriebsrat angezogene Entscheidung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

vom 20. Dezember 1995 (- 7 ABR 8/95 –<br />

EzA § 58 BetrVG 1972 Nr. 1) steht dem nicht entgegen. Für<br />

eine zwingende einheitliche Regelung auf Konzernebene mit<br />

Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats sind danach der Inhalt<br />

der geplanten Regelung sowie das Ziel, das durch die Regelung<br />

erreicht werden soll, entscheidend. Hier hat die Arbeitgeberin<br />

Aufgaben der K<strong>und</strong>enbuchhaltung für alle Unternehmen<br />

der Verlagsgruppe in der Verlagsgesellschaft konzentriert;<br />

wohl auch um Lizenzgebühren für die Software „ePost“<br />

zu sparen. Die Weiterleitung von Mitarbeiterdaten in andere<br />

Unternehmen der Gruppe ist dabei nicht im Plan. Damit eröffnet<br />

sich eine Regelungsmöglichkeit auf der Betriebsebene, die<br />

eine originäre offensichtliche Zuständigkeit für den Konzernbetriebsrat<br />

sperrt. Das BAG führt im Zusammenhang damit<br />

auch aus, dass die Zuständigkeit des einzelnen Betriebsrats<br />

<strong>und</strong> des Konzernbetriebsrats zur Regelung derselben Angelegenheiten<br />

sich gegenseitig ausschließen (BAG a.a.O. zu B I).<br />

Das muss nach Auffassung des erkennenden Gerichts ebenfalls<br />

für den Maßstab der „offensichtlichen Unzuständigkeit“<br />

gelten.<br />

3. Soweit den örtlichen Betriebsräten in der Verlagsgruppe<br />

daran liegt, den Konzernbetriebsrat mit den Verhandlungen<br />

in der Einigungsstelle zu betrauen, kann dies auf dem Wege<br />

der §§ 58 Abs. 2, 50 Abs. 2 BetrVG geschehen. Allerdings ist<br />

der Betriebsratsseite zuzugeben, dass die Rechte des beauftragten<br />

Konzernbetriebsrats <strong>und</strong> Beteiligten zu 3) nicht über<br />

die dem örtlich eingeräumten Betriebsrat zustehenden Rechte<br />

hinausgehen können. Soweit die Betriebsratsseite weiter davon<br />

ausgeht, dass ein Workflow-System zur ePost mit Per-<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

sonaldatenerfassung zwischen den Mitarbeitern der Beteiligten<br />

zu 1), dem Rechenzentrum <strong>und</strong> dem der Mediendienstleistungsgesellschaft<br />

besteht, müssten deshalb die dortigen<br />

Betriebsräte allesamt den Konzernbetriebsrat <strong>und</strong> die Beteiligten<br />

beauftragen, um unternehmensübergreifend für diesen<br />

Bereich der Verlagsgruppe zu einer Regelung im Sinne von<br />

§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG tätig zu werden.<br />

Es bleibt mithin bei der Regelzuständigkeit des örtlichen Betriebsrats<br />

<strong>und</strong> Beteiligten zu 2).<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 26.08.2008, 1 TaBV 62/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Johannes Weberling,<br />

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258. Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenvertretung, Übernahme,<br />

Auflösung des Arbeitsverhältnisses<br />

Die Auflösung eines nach § 78a BetrVG zustande gekommenen<br />

Arbeitsverhältnisses ist dann nicht begründet, wenn der<br />

Arbeitgeber mehrere offene Teilzeitarbeitsplätze hat. Die gleichen<br />

Maßstäbe, die bei einem Aufstockungsverlagen nach § 9<br />

TzBfG zu Gr<strong>und</strong>e zu legen sind, rechtfertigen auch die vollzeitige<br />

Beschäftigung nach § 78a BetrVG. Für die Aufteilung<br />

eines freien St<strong>und</strong>enkontingents auf mehrere Arbeitsplätze<br />

müssen mindestens arbeitsplatzbezogene Sachgründe gegeben<br />

sein.<br />

Ebenfalls gegen eine Auflösung des nach § 78a BetrVG<br />

zustande gekommenen Arbeitsverhältnisses spricht, wenn<br />

ein Arbeitgeber den Mehrbedarf an Arbeitsleistung ohne<br />

erkennbares Organisationskonzept teils durch Überst<strong>und</strong>en,<br />

teils durch befristete Einstellung von Leiharbeitnehmern<br />

abdeckt. Es fehlt dann an der arbeitgeberseitigen Vorgabe<br />

einer nur beschränkten Anzahl von Arbeitsplätzen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 15.12.2008, 2 TaBV 13/08<br />

259. Einigungsstelle, offensichtliche Unzuständigkeit, Beschwerdestelle<br />

(§ 13 AGG)<br />

II. 2. Nach § 98 12 ArbGG kann der Antrag auf Bestellung<br />

des Vorsitzenden einer Einigungsstelle <strong>und</strong> auf Festsetzung<br />

der Anzahl der Beisitzer der Einigungsstelle (§ 76 II 2, 2 BetrVG)<br />

wegen einer fehlenden Zuständigkeit der Einigungsstelle<br />

nur zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle<br />

offensichtlich unzuständig ist. Offensichtlich unzuständig ist<br />

die Einigungsstelle auch nur dann, wenn ihre Zuständigkeit<br />

unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt begründet<br />

ist; das muss bei fachk<strong>und</strong>iger Beurteilung durch das<br />

Gericht sofort erkennbar sein. Das kommt etwa dann in Betracht,<br />

wenn dem Betriebsrat, der die Bildung einer Einigungsstelle<br />

anstrebt, in Bezug auf die Thematik, mit der sich die<br />

Einigungsstelle beschäftigen soll, offensichtlich kein Mitbestimmungsrecht<br />

zusteht (LAG Saarland, v. 06.06.2007, 2 TaBV<br />

199


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

2/07 m.w.N.). Denn eine ausführliche, zeitlich langwierige Prüfung<br />

schwieriger Rechts- <strong>und</strong> Tatsachenfragen wäre mit dem<br />

Zweck des § 98 BetrVG nicht zu vereinbaren.<br />

Auch wenn die Frage in der Literatur <strong>und</strong> Rechtsprechung<br />

umstritten ist, ob dem Betriebsrat bei der personellen<br />

Besetzung der Beschwerdestelle nach § 13 AGG ein Mitbestimmungsrecht<br />

gemäß § 87 I Nr. 1 BetrVG zusteht, vermag<br />

dies indes nicht eine fachk<strong>und</strong>ige Beurteilung durch das<br />

um Einsetzung angegangene Gericht zu ersetzen. Der fachk<strong>und</strong>ige<br />

Richter muss die offensichtliche Unzuständigkeit<br />

nicht aufgr<strong>und</strong> präsenten Wissens erkennen können –<br />

entscheidend ist eine fachk<strong>und</strong>ige, auch literaturgestützte<br />

Prüfung. Gibt es keine höchstrichterliche Rechtsprechung, ist<br />

die Einigungsstelle nur offensichtlich unzuständig, wenn die<br />

Annahme eines Mitbestimmungsrechts aufgr<strong>und</strong> einer solchen<br />

Prüfung eines fachk<strong>und</strong>igen Richters nicht als vertretbar<br />

erscheint (LAG Nürnberg, v. 19.02.2008, 6 TaBV 80/07 m.w.N.).<br />

Offensichtlich ausgeschlossen ist das Mitbestimmungsrecht<br />

des Betriebsrates sogar für die Frage, ob überhaupt eine Beschwerdestelle<br />

eingerichtet werden soll. Denn insoweit besteht<br />

gem. §§ 13, 12 V AGG eine gesetzliche Verpflichtung<br />

des Arbeitgebers. Einen Regelungsspielraum gibt es hier nicht<br />

(LAG Nürnberg, v. 19.02.2008, 6 TaBV 80/07 m.w.N.).<br />

Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats kommt auch offensichtlich<br />

nicht in Betracht, soweit es um die Frage geht,<br />

mit welcher Person die Beschwerdestelle besetzt werden soll.<br />

Schließlicht steht der Arbeitgeber im Beschwerdeverfahren<br />

als unmittelbarer Ansprechpartner dem Arbeitnehmer gegenüber.<br />

Somit geht es um die Erfüllung einer individuell gegenüber<br />

einem beschwerdeführenden Arbeitnehmer bestehenden<br />

gesetzlichen Verpflichtung. Auch die Besetzung der Beschwerdestelle<br />

muss daher in die Organisationshoheit des Arbeitgebers<br />

fallen. Zudem kann der Betriebsrat daneben nach<br />

§ 84 I 2 BetrVG <strong>und</strong> § 85 BetrVG, die nach dem ausdrücklichen<br />

Hinweis des Gesetzgebers in § 13 II AGG unberührt bleiben,<br />

sich selbst als Beschwerdestelle auch für Benachteiligungen<br />

anbieten <strong>und</strong> sich derartige Beschwerden gegenüber dem<br />

Arbeitgeber zu eigen machen. Der Betriebsrat steht dann, hält<br />

er die Beschwerde für berechtigt, auf der Seite des Arbeitnehmers<br />

dem Arbeitgeber gegenüber. Es wäre widersprüchlich,<br />

wenn er bei dem Arbeitgeber, der ihm in diesem Beschwerdeverfahren<br />

auf der Gegenseite gegenübertritt, die Beschwerde<br />

entgegennimmt oder gar bearbeitet, Einfluss auf die Behandlungsweise<br />

der Beschwerde nehmen könnte (LAG Nürnberg<br />

v. 19.02.2008, 6 TaBV 80/07).<br />

Auch ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 I<br />

Nr. 1 BetrVG für die Besetzung der Einigungsstelle ist offensichtlich<br />

ausgeschlossen. Ordnung <strong>und</strong> Verhalten der Arbeitnehmer<br />

werden durch die Beschwerdestelle nicht tangiert.<br />

Denn der Arbeitgeber steuert nicht das Ordnungsverhalten, er<br />

macht den Arbeitnehmern keine Vorschriften für ihr Verhalten<br />

(LAG Nürnberg v. 19.02.2008, 6 TaBV 80/07).<br />

Letztlich besteht auch kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats<br />

hinsichtlich der Festlegung des Beschwerdever-<br />

200 03/09<br />

fahrens. Ein Mitbestimmungsrecht gem. § 87 I Nr. 1 BetrVG<br />

käme insoweit erst in Betracht, wenn der Arbeitgeber Regeln<br />

über die Art <strong>und</strong> Weise der Beschwerdeeinreichung aufstellen<br />

würde. Dies hat er jedoch vorliegend nicht getan. Es ist nicht<br />

ersichtlich, dass der Arbeitgeber hier ein Verfahren aufgestellt<br />

hat, Beschwerden welcher Form <strong>und</strong> welchen Inhalts er in<br />

welcher Art <strong>und</strong> Weise entgegennehmen wird. Vielmehr<br />

hat die Beteiligte zu 3) mit Hausmittelung vom 03.02.2009<br />

sogar ihren Beschluss gegenüber dem Betriebsrat mitgeteilt,<br />

keine betriebliche Beschwerdestelle einzurichten. Könnte der<br />

Betriebsrat die Einführung eines solchen Verfahrens – das<br />

sich ohnehin allenfalls auf die Art <strong>und</strong> Weise der Einreichung<br />

<strong>und</strong> Entgegennahme, nicht aber auf die interne Behandlung<br />

beim Arbeitgeber beziehen könnte – verlangen, würde dies<br />

auf eine vom Arbeitgeber nicht gewollte Einschränkung des<br />

Beschwerderechts hinauslaufen (LAG Nürnberg, 19.02.2008,<br />

6 TaBV 80/07).<br />

Abschließend wird hinsichtlich der Feststellung, dass dem Betriebsrat<br />

bei der Einrichtung einer Beschwerdestelle nach § 13<br />

AGG kein Mitbestimmungsrecht zusteht, auf die zutreffenden<br />

Ausführungen des LAG Rheinland-Pfalz in seiner Entscheidung<br />

vom 17.04.2008, 9 TaBV 9/08, Bezug genommen.<br />

■ Arbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 13.02.2009, 3 BV 2/09<br />

260. Betriebsänderung, einstweilige Verfügung<br />

Für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung<br />

auf Unterlassung einer Betriebsänderung bis zum Abschluss<br />

der Interessenausgleichsverhandlungen fehlt es jedenfalls<br />

an einem Verfügungsgr<strong>und</strong>, wenn der Betriebsrat keine<br />

zeitgerechten Schritte unternommen hat, um zu Interessenausgleichsverhandlungen<br />

zu kommen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 05.03.2009, 5 TaBVGa 1/09<br />

261. Betriebsratswahl, einstweilige Verfügung, Abbruch<br />

der BR-Wahl, Anfechtung, Nichtigkeit, Einladungsfrist Betriebsversammlung<br />

II. 1. Der Antrag der Arbeitgeberin auf Erlass einer einstweiligen<br />

Verfügung im Beschlussverfahren ist nach § 85 Abs. 2<br />

ArbGG zulässig.<br />

2. Der Antrag auf Erlass einer – auf den Abbruch der vom<br />

Wahlvorstand eingeleiteten Betriebsratswahl gerichteten –<br />

einstweiligen Verfügung, ist auch begründet. Die Arbeitgeberin<br />

hat einen Verfügungsanspruch ebenso glaubhaft gemacht<br />

wie einen Verfügungsgr<strong>und</strong>. Die Bildung des Wahlvorstandes<br />

am 2. Januar 2009 ist wegen einer zu kurzen Frist der Einladung<br />

zur Betriebsversammlung nichtig. Die Arbeitgeberin<br />

verhält sich auch nicht rechtsmissbräuchlich, wenn sie sich auf<br />

diesen Mangel beruft. Zu Recht hat das Arbeitsgericht auch<br />

einen Verfügungsgr<strong>und</strong> angenommen <strong>und</strong> ausnahmsweise<br />

den Abbruch einer laufenden Betriebsratswahl verfügt.<br />

a) Der Antrag auf Erlass einer – auf den Abbruch der vom


Wahlvorstand eingeleiteten Betriebsratswahl gerichteten –<br />

einstweiligen Verfügung ist von einem Verfügungsanspruch<br />

getragen, denn die Wahl des Wahlvorstandes am 2. Januar<br />

2009 ist nichtig.<br />

aa) Nach § 17 Abs. 3 BetrVG i.V.m. § 17 Abs. 1 <strong>und</strong> 2 BetrVG<br />

wird der Wahlvorstand in einer Betriebsversammlung von einer<br />

Mehrheit der anwesenden Arbeitnehmer gewählt. Zu dieser<br />

Betriebsversammlung können, wenn weder ein Betriebsrat,<br />

noch ein Gesamtbetriebsrat oder ein Konzernbetriebsrat<br />

besteht, drei wahlberechtigte Arbeitnehmer des Betriebs oder<br />

eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft einladen. Das Betriebsverfassungsgesetz<br />

selbst enthält keine Vorschriften über<br />

die Form <strong>und</strong> Frist der Einladung zur Wahlversammlung. Jedoch<br />

müssen die Arbeitnehmer so rechtzeitig vom Termin<br />

<strong>und</strong> Gegenstand der Betriebsversammlung unterrichtet werden,<br />

dass alle Arbeitnehmer die Möglichkeit erhalten, Ort, Zeit<br />

<strong>und</strong> Zweck der Betriebsversammlung zu erfahren <strong>und</strong> an ihr<br />

teilzunehmen. Bei der Bestellung des Wahlvorstands in einer<br />

Betriebsversammlung handelt es sich um eine Wahl, für die,<br />

die an eine demokratische Wahl zu stellenden Gr<strong>und</strong>voraussetzungen<br />

erfüllt sein müssen, wozu auch der Gr<strong>und</strong>satz der<br />

Allgemeinheit der Wahl zählt. Dieser Gr<strong>und</strong>satz hat besondere<br />

Bedeutung <strong>und</strong> rechtfertigt eine genaue Überprüfung der Einladung.<br />

Nach Auffassung der Beschwerdekammer sind im Hinblick<br />

darauf, dass der Wahlvorstand vorrangig vorbereitende Handlungen<br />

bei der Durchführung der Betriebsratswahl <strong>und</strong> der<br />

Sicherstellung von deren ordnungsgemäßem Ablauf hat, zwar<br />

strenge aber keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Erforderlich<br />

ist, dass die Einladung entweder alle Arbeitnehmer<br />

des Betriebs tatsächlich erreicht oder so bekannt gemacht<br />

wird, dass dieser Personenkreis die Möglichkeit hat, von ihr<br />

Kenntnis zu erlangen <strong>und</strong> an der Wahlversammlung teilzunehmen.<br />

Zutreffend hat das Arbeitsgericht hervorgehoben, dass bei der<br />

Wahl des Wahlvorstandes nach § 17 BetrVG die Beschlussfähigkeit<br />

der Wahlversammlung nicht von der Teilnahme einer<br />

Mindestzahl von Arbeitnehmern abhängt. Der Wahlvorstand<br />

wird vielmehr von der Mehrheit der anwesenden Arbeitnehmer<br />

gewählt. Für das Wahlverfahren gelten keine, besonderen<br />

Vorschriften, so dass auch keine geheime Abstimmung<br />

erforderlich ist. Der Gesetzgeber hat die Voraussetzungen für<br />

die Einleitung einer Betriebsratswahl <strong>und</strong> die Wahl von Betriebsräten<br />

erleichtern wollen. Folglich kann auch eine Minderheit<br />

von Mitarbeitern eines Betriebes die Bestellung eines<br />

Wahlvorstandes durchsetzen <strong>und</strong> die Wahl eines Betriebsrats<br />

einleiten. Im Hinblick hierauf muss jedoch gewährleistet sein,<br />

dass alle Arbeitnehmer zumindest die Möglichkeit erhalten,<br />

an dieser Wahl mitzuwirken. Andernfalls könnte durch eine<br />

gezielte Auswahl der eingeladenen Arbeitnehmer der überwiegenden<br />

Mehrheit die Durchführung einer Betriebsratswahl<br />

„aufgezwungen“ werden. Deshalb kann von einer Wahl zumindest<br />

dann nicht mehr gesprochen werden, wenn die Einladung<br />

zur Wahlversammlung nicht in der im Betrieb üblichen<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

Weise bekannt gemacht wurde <strong>und</strong> die auch nicht anderweitig<br />

unterrichteten <strong>und</strong> die der Versammlung ferngeb<strong>liebe</strong>nen<br />

Arbeitnehmer das Wahlergebnis beeinflussen konnten (BAG<br />

v. 7. Mai 1986 – 2 AZR 349/85 – AP KSchG 1969 § 15 Nr. 18<br />

= EzA BetrVG 1972 § 17 Nr. 5 = NZA 1986, 753, zu II 2b bb<br />

der Gründe; ErfK/Eisemann/Koch, 9. Aufl., § 17 BetrVG, Rn 3<br />

bis 6; Fitting, BetrVG, 24. Aufl., § 17 Rn 17; HWK/Reichhold,<br />

3. Aufl., § 17 BetrVG, Rn 8; Richardi/Thüsing, BetrVG, 11. Aufl.,<br />

§ 17 Rn 12).<br />

bb) Gemessen an diesen Voraussetzungen ist im Entscheidungsfall<br />

von der Nichtigkeit des am 2. Januar 2009 gewählten<br />

Wahlvorstands auszugehen. Er leidet an derart gravierenden,<br />

schwerwiegenden Mängeln, dass von einer ordnungsgemäßen<br />

Wahl, nicht mehr gesprochen werden kann. Es kann<br />

dahinstehen, ob – wie vom Arbeitsgericht angenommen –<br />

die Frist zur Einladung zur Betriebsversammlung am 2. Januar<br />

2009 bereits deshalb zu kurz war, weil die Zeitspanne unter<br />

Berücksichtigung der gesetzgeberischen Wertung, die in § 28<br />

Abs. 1 WahlO zum Betriebsverfassungsgesetz zum Ausdruck<br />

kommt, zu kurz bemessen war. Selbst wenn man mit dem<br />

Wahlvorstand davon ausgeht, diese Fristenregelung in § 28<br />

Abs. 1 Satz 2 WahlO komme nicht zur Anwendung, ist unter<br />

Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles eine Einladungsfrist<br />

vom 30. Dezember 2008 um 11.00 Uhr bis zum 2.<br />

Januar 2009 um 20.00 Uhr nicht ausreichend.<br />

aaa) Nach § 28 Abs. 1 WahlO muss die Einladung zu einer<br />

Wahlversammlung nach § 17a Nr. 3 BetrVG (§ 14a Abs. 1 BetrVG)<br />

mindestens sieben Tage vor dem Tag der Wahlversammlung<br />

erfolgen. Ob diese Fristenregelung unmittelbar oder –<br />

wie vom Arbeitsgericht angenommen – zumindest als gesetzgeberische<br />

Wertung zu beachten <strong>und</strong> auf den vorliegenden<br />

Fall zur Anwendung zu bringen ist, erscheint zumindest fraglich.<br />

Zu berücksichtigen ist insoweit, dass es sich nicht um ein<br />

Verfahren nach § 14a Abs. 1 BetrVG zur Wahl eines Betriebsrats<br />

im vereinfachten Verfahren handelt, denn in der Filiale<br />

S. waren im Dezember 2008/Januar 2009 noch 94 Arbeitnehmer<br />

beschäftigt. Die Betriebsgröße lag deshalb oberhalb der<br />

von § 14a Abs. 1 BetrVG vorgesehenen Arbeitnehmerzahl von<br />

bis zu fünfzig Arbeitnehmern. Andererseits könnte für eine<br />

Anlehnung an diese Fristenregelung sprechen, dass in der<br />

Betriebsstätte in S. das weitere Wahlverfahren wegen § 14a<br />

Abs. 5 BetrVG im vereinfachten Wahlverfahren durchgeführt<br />

werden könnte. Der nach der arbeitsgerichtlichen Entscheidung<br />

vom 13. Januar 2009 wohl auf Initiative anderer Arbeitnehmer<br />

neu gewählte (weitere) Wahlvorstand hat, nach<br />

Bek<strong>und</strong>ungen der Verfahrensbeteiligten im Termin zur Anhörung<br />

vor der Beschwerdekammer am 20. Februar 2009, eine<br />

entsprechende Vereinbarung nach § 14a Abs. 5 BetrVG mit<br />

der Arbeitgeberin geschlossen. Die von diesem Wahlvorstand<br />

eingeleitet Betriebsratswahl soll im vereinfachten Verfahren<br />

fortgesetzt werden.<br />

Ob diese Möglichkeit es rechtfertigt, auch in Betrieben mit<br />

51 bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern eine Mindestankündigungsfrist<br />

von sieben Tagen für die Einladung zur Be-<br />

201


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

triebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstands zu verlangen,<br />

kann nach Auffassung der Beschwerdekammer jedoch<br />

auf sich beruhen.<br />

bbb) Es ist anerkannt <strong>und</strong> in Rechtsprechung <strong>und</strong> Literatur<br />

unbestritten, dass die Einladung zur Betriebsversammlung zur<br />

Wahl eines Wahlvorstands rechtzeitig bekannt zu machen ist<br />

(BAG v. 7. Mai 1986 – 2 AZR 349/85 – AP KSchG 1969 § 15<br />

Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 17 Nr. 5 = NZA 1986, 753, zu<br />

II 2b bb der Gründe; Fitting, BetrVG, 24. Aufl., § 17 Rn 17;<br />

Wlotzke/Wlotzke, BetrVG, 3. Aufl., § 17 Rn 9). In arbeitsgerichtlichen<br />

<strong>und</strong> landesarbeitsgerichtlichen Entscheidungen wird<br />

eine Frist von drei Tagen zwischen Aushang der Einladung<br />

<strong>und</strong> Durchführung der Betriebsversammlung als ausreichend<br />

angesehen (ArbG München v. 17. Dezember 1996 – 8 BV<br />

282/96 – AiB 1997, 288; vgl. auch LAG Nürnberg v. 29. Juli<br />

1998 – 4 TaBV 12/97 – zitiert nach juris; differenzierend ArbG<br />

Essen v. 22. Juni 2004 – 2 BV 17/04 – NZA-RR 2005, 258, zu<br />

B II 2b der Gründe; vgl. auch Fitting, BetrVG, 24. Aufl., § 17<br />

Rn 17). Dem schließt sich die erkennende Beschwerdekammer<br />

im Gr<strong>und</strong>satz an, gleichwohl führt dies zu keinem für den<br />

Wahlvorstand günstigeren Ergebnis.<br />

ccc) Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des<br />

Entscheidungsfalls kann der Aushang am 30. Dezember 2008<br />

um 11.00 Uhr für die Wahlversammlung am 2. Januar 2009<br />

um 20.00 Uhr nicht mehr als rechtzeitig angesehen werden.<br />

(1) Sowohl am 30. Dezember 2008 als auch am 31. Dezember<br />

2008 <strong>und</strong> am 2. Januar 2009 war eine nicht unmaßgebliche<br />

Anzahl von Arbeitnehmern, sei es schichtplanmäßig,<br />

aufgr<strong>und</strong> von Urlaub oder aufgr<strong>und</strong> von Krankheit nicht<br />

im Betrieb anwesend. Dies hat die Arbeitgeberin durch<br />

die eidesstattliche Versicherung des Mitarbeiters I. vom 18.<br />

Februar 2009 glaubhaft gemacht. Zwar hat der Wahlvorstand<br />

im Schriftsatz vom 17. Februar 2009 geltend gemacht hat,<br />

dass wegen des Weihnachtsgeschäfts <strong>und</strong> des Jahresendgeschäfts<br />

einschließlich der notwendigen Inventur „eine<br />

Urlaubssperre verhängt“ gewesen sei. Dies bedeute, dass<br />

mit Ausnahme weniger ausgewählter Personen <strong>und</strong> arbeitsunfähig<br />

erkrankter Mitarbeiter davon ausgegangen werden<br />

könne, dass hinreichende Kenntnis über die Durchführung der<br />

Wahlversammlung am Abend des 2. Januar 2009 bestanden<br />

habe. Ausgehend von diesem Vortrag lässt sich gerade nicht<br />

entnehmen, dass alle Beschäftigten die Möglichkeit hatten,<br />

vom Termin der Wahlversammlung Kenntnis zu erlangen<br />

oder auf anderem Weg davon Kenntnis erhalten hatten.<br />

Vielmehr ist auch Gr<strong>und</strong>lage des Vortrags des Wahlvorstands<br />

davon auszugehen, dass eben nicht alle Beschäftigten vom<br />

Aushang am schwarzen Brett Kenntnis erlangen konnten. Der<br />

Wahlvorstand räumt selbst ein, dass nicht alle Arbeitnehmer<br />

in der Zeit vom 30. Dezember 2008 bis 2. Januar 2009 in der<br />

Filiale anwesend waren. Es kann folglich nicht angenommen<br />

werden, dass alle Arbeitnehmer die Möglichkeit hatten, von<br />

dem am Schwarzen Brett ausgehängten Einladungsschreiben<br />

Kenntnis zu nehmen. Vielmehr war diese Möglichkeit für<br />

etliche Arbeitnehmer gerade nicht gegeben.<br />

202 03/09<br />

(2) Auch die bereits vor Aushang der schriftlichen Einladung –<br />

wohl beginnend ab dem 22. Dezember 2008 – seitens der<br />

Gewerkschaft entfalteten Aktivitäten können nicht dazu führen,<br />

dass von einer ordnungsgemäßen, insbesondere rechtzeitigen<br />

Einladung ausgegangen werden kann. Soweit dazu<br />

vorgetragen wurde, dass gezielt Beschäftigte informiert worden<br />

seien <strong>und</strong> dann im Wege eines Schneeballsystems der<br />

Termin weiter bekannt gemacht worden sei, ist dieser Vortrag<br />

nicht hinreichend konkret, um ihm zu entnehmen, dass alle<br />

Arbeitnehmer dadurch Kenntnis vom Termin der Betriebsversammlung<br />

am 2. Januar 2009 um 20 Uhr <strong>und</strong> ihrem Zweck<br />

erlangt haben.<br />

(3) Auch der Hinweis darauf, dass unter den Mitarbeitern am<br />

30., 31. Dezember 2008 <strong>und</strong> am 2. Januar 2009 die anstehende<br />

Betriebsversammlung kommuniziert wurde, ändert nichts. Es<br />

waren <strong>und</strong> dies wird vom Wahlvorstand auch nicht in Abrede<br />

gestellt, an den genannten drei Arbeitstagen nicht alle<br />

Arbeitnehmer in der Betriebsstätte anwesend. Auch die im<br />

Beschwerdeverfahren in Kopie vorgelegte eidesstattliche Versicherung<br />

des Arbeitnehmers S. vom 13. Februar 2009 ändert<br />

daran nichts. Unabhängig von der Frage ihrer ordnungsgemäßen<br />

Einführung ins Verfahren sind die in ihr enthaltenden<br />

tatsächlichen Behauptungen nicht geeignet, den Schluss<br />

zuzulassen, dass tatsächlich alle Arbeitnehmer in der Filiale<br />

von der bevorstehenden Wahlversammlung Kenntnis erlangt<br />

hatten.<br />

cc) Der Arbeitgeberin ist die Berufung auf den Mangel der<br />

ordnungsgemäßen Einladung zur Betriebsversammlung auch<br />

nicht als rechtsmissbräuchlich zu verwehren. Zur Sicherstellung<br />

einer ordnungsgemäßen Wahl steht der Arbeitgeberin<br />

die Prüfungsbefugnis zu, ob die zur Betriebsversammlung einladende<br />

Gewerkschaft tatsächlich eine im Betrieb vertretene<br />

Gewerkschaft ist. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht<br />

streitig. Die Arbeitgeberin hat, worauf das Arbeitsgericht zu<br />

Recht hingewiesen hat, zunächst am Montag, dem 29. Dezember<br />

2008 <strong>und</strong> damit unverzüglich nach Hereinreichung der<br />

Wahleinladung um dem Nachweis des Vertretenseins gebeten.<br />

Unwidersprochen war die eidesstattliche Versicherung einer<br />

Gewerkschaftssekretärin hinsichtlich des Vorhandenseins<br />

von Gewerkschaftsmitgliedern im Betrieb erst am 29. Dezember<br />

um 21.17 Uhr zur Verfügung gestellt worden. Ein Aushang<br />

der Wahleinladung noch am 29. Dezember 2008 war deshalb<br />

unter keinem Gesichtspunkt geboten.<br />

Entgegen der in der Anhörung vor der Beschwerdekammer<br />

am 20. Februar 2009 geäußerten Auffassung des Verfahrensbevollmächtigten<br />

des Wahlvorstandes kann bei dieser Frage<br />

auch nicht auf Samstag, den 27. Dezember 2008 abgestellt<br />

werden. Wenn – aus welchen Gründen auch immer – die<br />

Einladung zur Betriebsversammlung erst am Samstagabend<br />

um 19.55 Uhr <strong>und</strong> damit fünf Minuten vor Kassen- <strong>und</strong> damit<br />

Betriebsschluss an die Arbeitgeberin übermittelt wird, so kann<br />

in einem Aushang noch an diesem Tage keinesfalls gerechnet<br />

werden. Selbst wenn ein Mitarbeiter der Personalabteilung<br />

noch am Abend das Fax zur Kenntnis genommen haben sollte,


konnte mit einer Prüfung des Vorgangs <strong>und</strong> einem Aushang<br />

ernsthaft nicht mehr gerechnet werden. Der Lauf der Aushangfrist<br />

kann damit auch nicht im Rahmen der Prüfung der<br />

rechtsmissbräuchlichen Berufung auf die zu kurze Aushangfrist<br />

als zum Samstag „rückbewirkt“ angesehen werden.<br />

dd) Der damit feststehende Rechtsverstoß bei der Wahl des<br />

Wahlvorstandes führt – wie vom Arbeitsgericht richtig gesehen<br />

– auf Gr<strong>und</strong>lage der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

(BAG v. 7. Mai 1986 – 2 AZR 349/85 – AP KSchG<br />

1969 § 15 Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 17 Nr. 5 = NZA 1986,<br />

753, zu II 2b bb der Gründe) zur Nichtigkeit der Wahl des<br />

Wahlvorstands, denn das Fernbleiben der nicht unterrichteten<br />

Arbeitnehmer kann das Wahlergebnis beeinflusst haben<br />

kann. Das Arbeitsgericht hatte zu Recht ausgeführt, dass bei<br />

lediglich 14 anwesenden Arbeitnehmern von insgesamt 94<br />

wahlberechtigten Arbeitnehmern von einer Beeinflussung der<br />

Wahl auszugehen ist.<br />

b) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist<br />

auch von einem Verfügungsgr<strong>und</strong> getragen. Der festgestellte<br />

Mangel ist derart schwerwiegend <strong>und</strong> gravierend, dass die<br />

Fortführung der Betriebsratswahl vom Arbeitsgericht zu Recht<br />

untersagt wurde.<br />

aa) Der Abbruch einer Betriebsratswahl im Wege einstweiliger<br />

Verfügung kommt nur in Betracht, wenn entweder der<br />

Fehler in kurzer Zeit behoben werden kann oder mit hoher<br />

Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die Wahl wegen<br />

des Wahlfehlers mit Erfolg angefochten werden kann<br />

(LAG Baden-Württemberg v. 16. September 1996 – 15 TaBV<br />

10/96 – LAGE BetrVG 1972 § 19 Nr. 15 zu II 2c der Gründe, LAG<br />

Baden- Württemberg v. 13. April 1994 – 9 TaBV 4/94 – zitiert<br />

nach juris; vgl. auch ErfK/Eisemann/Koch, 9. Aufl., § 85 ArbGG<br />

Rn 6; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller – Glöge – Matthes,<br />

ArbGG, 6. Aufl., § 85 Rn 38). Dabei ist zu berücksichtigen, dass<br />

die Aussetzung der Betriebsratswahl zu einer Verlängerung<br />

des vom Betriebsverfassungsgesetz gerade nicht gewünschten<br />

betriebsratslosen Zustands führt.<br />

bb) Unter Berücksichtigung dieser Gr<strong>und</strong>sätze ist vorliegend<br />

der Verfügungsgr<strong>und</strong> zu bejahen. Ist die Wahl des<br />

Wahlvorstandes nichtig, ist der Abbruch der laufenden<br />

Betriebsratswahl nach Auffassung der Beschwerdekammer<br />

erforderlich, denn ein nichtig gebildetes Gremium kann<br />

die Betriebsratswahl überhaupt nicht fortsetzen. Wie das<br />

Arbeitsgericht zu Recht hervorgehoben hat, muss dies auf<br />

alle Fälle gelten, wenn nicht einmal festgestellt werden kann,<br />

ob überhaupt ein Wahlvorstand gewählt wurde. Die Weiterführung<br />

der Betriebsratswahl durch den nichtig gebildeten<br />

Wahlvorstand hatte zwar voraussichtlich nicht die Nichtigkeit<br />

der Betriebsratswahl insgesamt (vgl. BAG v. 21. Juli 2004 – 7<br />

ABR 57/03 – AP BetrVG 1972 § 4 Nr. 15 = EzA BetrVG 2001<br />

§ 4 Nr. 1, zu B II 1b bb der Gründe) zumindest aber mit<br />

Sicherheit eine erfolgreiche Anfechtung der Betriebsratswahl<br />

zur Folge. Dies führt zur Wiederholung der Wahl innerhalb<br />

kürzester Zeit. Auch wenn man berücksichtigt, dass die Dauer<br />

des betriebsratslosen Zustands nicht erhöht werden soll,<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

erscheint es vorliegend unter Berücksichtigung der Interessen<br />

der Belegschaft <strong>und</strong> der Arbeitgeberin angemessen, die eingeleitete<br />

Wahl des Betriebsrats durch den nichtig gebildeten<br />

Wahlvorstand abzubrechen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg<br />

vom 20.02.2009, 5 TaBVGa 1/09<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Daniel Barth,<br />

Gutenbergstraße 21, 68167 Mannheim<br />

262. Betriebsratswahl, einstweilige Verfügung, Arbeitnehmerbegriff<br />

Bei wortgetreuer Auslegung des § 5 II Nr. 5 BetrVG unterfallen<br />

die dort genannten Personen (Ehegatte u.a.) seinem Anwendungsbereich<br />

nur, wenn es sich bei dem Arbeitgeber um<br />

eine natürliche Person handelt. Bei der analogen Anwendung<br />

dieser Norm <strong>und</strong> Erstreckung ihres Anwendungsbereiches auf<br />

Geschäftsführer einer GmbH ist äußerste Zurückhaltung geboten.<br />

Sie ist jedenfalls dann abzulehnen, wenn der Betrieb mehr<br />

als 100 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt, die GmbH<br />

durch mehrere Geschäftsführer vertreten wird <strong>und</strong> der die<br />

persönliche Nähe vermittelnde Geschäftsführer nicht Anteilseigner<br />

ist.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 05.03.2009, 5 TaBVGa 19/09<br />

263. Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenvertretung, Übernahmeverlangen<br />

1. Für die Frage, ob ein ausbildungsadäquater Dauerarbeitsplatz<br />

für ein Mitglied der Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenstufenvertretung<br />

zur Verfügung steht, kommt es auf alle Dienststellen<br />

im Geschäftsbereich der übergeordneten Dienststelle an.<br />

2. Das Begehren des öffentlichen Arbeitgebers nach Auflösung<br />

des Arbeitsverhältnisses mit dem Jugendvertreter kann<br />

nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der Jugendvertreter<br />

könne außerhalb der Ausbildungsdienststelle bzw. in<br />

einer Dienststelle außerhalb des Geschäftsbereichs der übergeordneten<br />

Dienststelle beschäftigt werden.<br />

■ B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht<br />

vom 19.01.2009, 6 P 1/08<br />

264. Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenvertretung, Übernahmeverlangen,<br />

Zumutbarkeit, Leiharbeitnehmer<br />

... B. Die Rechtsbeschwerden des Beteiligten zu 2) <strong>und</strong> des<br />

Betriebsrats sind begründet <strong>und</strong> führen zur Aufhebung der<br />

angefochtenen Entscheidung <strong>und</strong> zur Zurückverweisung an<br />

das Landesarbeitsgericht. Mit der vom Beschwerdegericht gegebenen<br />

Begründung kann dem Hauptantrag der Arbeitgeberin<br />

nicht entsprochen werden. Das Landesarbeitsgericht ist<br />

zwar zu Recht davon ausgegangen, dass der Auflösungsantrag<br />

nach § 78a Abs. 4 BetrVG ohne Mitwirkung der G. GmbH<br />

von der Arbeitgeberin gestellt werden konnte. Das Beschwerdegericht<br />

hat es aber zu Unrecht für unbeachtlich gehalten,<br />

203


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

dass im Rüsselsheimer Betrieb Leiharbeitnehmer beschäftigt<br />

worden sind. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen<br />

Beschlusses <strong>und</strong> zur Zurückverweisung an die Vorinstanz.<br />

I. Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 2) <strong>und</strong> des Betriebsrats<br />

konnte die Arbeitgeberin das Verfahren nach § 78a<br />

Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG ohne Mitwirkung der G. GmbH<br />

einleiten. Eine gemeinsame Antragstellung wäre selbst dann<br />

nicht erforderlich gewesen, wenn die Arbeitgeberin <strong>und</strong> die G.<br />

GmbH den Betrieb in Rüsselsheim als Gemeinschaftsbetrieb<br />

führen sollten, wovon die Beteiligten übereinstimmend ausgehen.<br />

1. Arbeitgeber i.S.d. § 78a Abs. 4 BetrVG ist nur der Vertragsarbeitgeber.<br />

Dies ist die natürliche oder juristische Person<br />

mit dem das Mitglied der in § 78a Abs. 1 BetrVG genannten<br />

Arbeitnehmervertretungen ein Berufsausbildungsverhältnis<br />

abgeschlossen hat. Zwar wird im Betriebsverfassungsgesetz<br />

mit dem Ausdruck „Arbeitgeber“ regelmäßig der Inhaber<br />

der betrieblichen Leitungsmacht bezeichnet. Dies kann bei<br />

Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 2 BetrVG<br />

der im einem Gemeinschaftsbetrieb von mehreren Unternehmen<br />

errichtete einheitliche Leitungsapparat sein, der die in<br />

einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen <strong>und</strong> immateriellen<br />

Betriebsmittel für einen einheitlichen arbeitstechnischen<br />

Zweck zusammenfasst, ordnet <strong>und</strong> gezielt einsetzt. Bei einer<br />

Auseinandersetzung um Ansprüche, die den Status oder den<br />

Inhalt der nur mit einem Vertragsarbeitgeber des Gemeinschaftsbetriebs<br />

bestehenden Rechtsbeziehung betreffen, ist<br />

aber nur dieser als Arbeitgeber anzusehen.<br />

2. Danach konnte der Auflösungsantrag allein durch die Arbeitgeberin<br />

gestellt werden.<br />

Die Auflösung eines nach § 78a Abs. 2 Satz 1 BetrVG begründeten<br />

Arbeitsverhältnisses betrifft nicht die betriebsverfassungsrechtliche<br />

Arbeitgeberstellung aller an einem<br />

Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen, sondern<br />

nur die des Vertragsarbeitgebers des ehemaligen Auszubildenden.<br />

Nach der genannten Vorschrift wird durch ein<br />

form- <strong>und</strong> fristgerecht erklärtes Übernahmeverlangen eines<br />

Mitglieds der in § 78a Abs. 1 BetrVG genannten Arbeitnehmervertretungen<br />

ein Arbeitsverhältnis mit der Vertragspartei<br />

des bisherigen Berufsausbildungsverhältnisses begründet.<br />

Durch das in § 78 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG vorgesehene<br />

Verfahren hat diese die Möglichkeit, sich bei Vorliegen der<br />

dort genannten Voraussetzungen aus dem gesetzlich begründeten<br />

Arbeitsverhältnis zu lösen. Dieser Streit betrifft nicht die<br />

betriebsverfassungsrechtliche Stellung des ehemaligen Auszubildenden<br />

in dem Gemeinschaftsbetrieb, sondern allein die<br />

Aufrechterhaltung der vertragsrechtlichen Bindung zwischen<br />

den ehemaligen Parteien des Berufsausbildungsverhältnisses.<br />

3. Davon zu unterscheiden ist die prozessrechtliche Frage<br />

nach der betriebsverfassungsrechtlichen Betroffenheit eines<br />

weiteren am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmens<br />

durch das Auflösungsverfahren. Dieses ist nach § 83 Abs. 3<br />

ArbGG am Verfahren beteiligt, weil von dem Verfahren nach<br />

§ 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG auch die personelle Zusam-<br />

204 03/09<br />

mensetzung der Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenvertretung abhängt.<br />

Das hätte die Notwendigkeit der Beteiligung der G.<br />

GmbH als weitere Beteiligte zu 5) zur Folge. Davon hat der<br />

Senat für das hiesige Rechtsbeschwerdeverfahren abgesehen,<br />

da das Landesarbeitsgericht angesichts der Zurückverweisung<br />

die Beteiligten erneut anzuhören hat.<br />

II. Die Rechtsbeschwerden des Beteiligten zu 2) <strong>und</strong> des Betriebsrats<br />

sind begründet. Sie führen zur Aufhebung des angefochtenen<br />

Beschlusses <strong>und</strong> zur Zurückverweisung der Sache<br />

an das Landesarbeitsgericht, das das Bestehen einer unbefristeten<br />

Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Beteiligten<br />

zu 2) prüfen muss. Der Senat kann auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />

der bisherigen Feststellungen des Beschwerdegerichts nicht<br />

beurteilen, ob bei der Arbeitgeberin in dem maßgeblichen<br />

Zeitraum vom 18. November 2005 bis zum 18. Januar 2006<br />

ein freier <strong>und</strong> für eine Besetzung mit dem Beteiligten zu 2)<br />

geeigneter unbefristeter Arbeitsplatz als Energieelektroniker<br />

zur Verfügung gestanden hat.<br />

1. a) Nach § 78a Abs. 2 Satz 1 BetrVG gilt zwischen einem<br />

Auszubildenden, der Mitglied des Betriebsrats oder eines<br />

der anderen dort genannten Betriebsverfassungsorgane ist,<br />

<strong>und</strong> dem Arbeitgeber im Anschluss an das Berufsausbildungsverhältnis<br />

ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit<br />

als begründet, wenn der Auszubildende in den letzten drei<br />

Monaten vor Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses<br />

vom Arbeitgeber schriftlich die Weiterbeschäftigung verlangt.<br />

Die in § 78a BetrVG enthaltene Übernahmeverpflichtung von<br />

Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenvertretern nach Beendigung<br />

ihrer Ausbildung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis soll<br />

die Ämterkontinuität der in Abs. 1 genannten Arbeitnehmervertretungen<br />

gewährleisten <strong>und</strong> den Amtsträger vor<br />

nachteiligen Folgen bei seiner Amtsführung während des<br />

Berufsausbildungsverhältnisses schützen. Die Vorschrift stellt<br />

eine besondere gesetzliche Ausformung des betriebsverfassungsrechtlichen<br />

Benachteiligungsverbots von Amtsträgern<br />

in § 78 BetrVG dar. Durch ein form- <strong>und</strong> fristgerechtes<br />

Übernahmeverlangen des Auszubildenden entsteht zwischen<br />

dem Arbeitgeber <strong>und</strong> dem Mitglied der in § 78a Abs. 1 BetrVG<br />

genannten Arbeitnehmervertretungen nach § 78a Abs. 2<br />

Satz 1 BetrVG ein unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis in seinem<br />

Ausbildungsberuf. Der Arbeitgeber kann die Auflösung<br />

des kraft Gesetzes entstandenen Arbeitsverhältnisses unter<br />

den Voraussetzungen des § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG<br />

nur erreichen, wenn Tatsachen vorliegen, aufgr<strong>und</strong> derer<br />

dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände die<br />

Weiterbeschäftigung nicht zugemutet werden kann, wobei<br />

der Begriff der Zumutbarkeit in § 78a Abs. 4 Satz 1 BetrVG<br />

mit dem in § 626 Abs. 1 BGB inhaltlich nicht übereinstimmt.<br />

Nach der Rechtsprechung des Senats ist dem Arbeitgeber die<br />

Weiterbeschäftigung nicht erst dann unzumutbar, wenn die<br />

Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB erfüllt sind. Die zum<br />

Begriff der Unzumutbarkeit in § 626 Abs. 1 BGB entwickelten<br />

Gr<strong>und</strong>sätze lassen sich nicht auf den Auflösungstatbestand<br />

des § 78a Abs. 4 BetrVG übertragen. Der Tatbestand des


§ 626 Abs. 1 BGB liegt erst dann vor, wenn dem Arbeitgeber<br />

die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf<br />

der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung<br />

nicht zugemutet werden kann. Bei der Auflösung des nach<br />

§ 78a Abs. 2 BetrVG entstandenen Arbeitsverhältnisses ist<br />

demgegenüber zu entscheiden, ob dem Arbeitgeber die<br />

Beschäftigung des Amtsträgers in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis<br />

zumutbar ist (BAG v. 6. November 1996 – 7<br />

ABR 54/95 – zu BI1derGründe, BAGE 84, 294 = AP BetrVG<br />

1972 § 78a Nr. 26 = EzA BetrVG 1972 § 78a Nr. 24).<br />

b) Neben personen- <strong>und</strong> verhaltensbedingten Gründen können<br />

auch betriebliche Gründe die Auflösung des kraft Gesetzes<br />

entstandenen Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Die Fortsetzung<br />

des nach § 78a Abs. 2 BetrVG begründeten Arbeitsverhältnisses<br />

ist dem Arbeitgeber aus betrieblichen Gründen<br />

unzumutbar, wenn er keinen andauernden Bedarf für die Beschäftigung<br />

eines Arbeitnehmers hat (BAG v. 12. November<br />

1997 – 7 ABR 63/96 – zu B I 2 der Gründe, BAGE 87, 105 = AP<br />

BetrVG 1972 § 78a Nr. 30 = EzA BetrVG 1972 § 78a Nr. 25; v. 6.<br />

November 1996 – 7 ABR 54/95 – zu B I 1 der Gründe, BAGE 84,<br />

294 = AP BetrVG 1972 § 78a Nr. 26 = EzA BetrVG 1972 § 78a<br />

Nr. 24). Maßgeblich sind die Verhältnisse im Ausbildungsbetrieb<br />

(BAG v. 15. November 2006 – 7 ABR 15/06 – Rn 20, BAGE<br />

120, 205 = AP BetrVG 1972 § 78a Nr. 38 = EzA BetrVG 2001<br />

§ 78a Nr. 3).<br />

aa) Ob ein Beschäftigungsbedarf für den durch § 78a BetrVG<br />

geschützten Auszubildenden zur Verfügung steht, bestimmt<br />

sich nach den arbeitstechnischen Vorgaben <strong>und</strong> der Personalplanung<br />

des Arbeitgebers, der darüber entscheidet, welche<br />

Arbeiten im Betrieb verrichtet werden sollen <strong>und</strong> wie<br />

viele Arbeitnehmer damit beschäftigt werden. Ohne Bedeutung<br />

ist daher, ob Arbeitsaufgaben vorhanden sind, mit deren<br />

Verrichtung ein Arbeitnehmer betraut werden könnte.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> liegt kein Beschäftigungsbedarf für einen<br />

durch § 78a BetrVG geschützten Amtsträger vor, wenn sich<br />

der Arbeitgeber entschlossen hat, eine bestimmte Arbeitsmenge<br />

nicht durch die Einrichtung eines Arbeitsplatzes, sondern<br />

durch Mehrarbeit der regelmäßig im Betrieb beschäftigten<br />

Arbeitnehmer zu erledigen. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet,<br />

durch organisatorische Maßnahmen Arbeitsplätze<br />

neu zu schaffen, um die Weiterbeschäftigung zu gewährleisten<br />

(BAG v. 6. November 1996 – 7 ABR 54/95 – zu BI3der<br />

Gründe, BAGE 84, 294 = AP BetrVG 1972 § 78a Nr. 26 = EzA<br />

BetrVG 1972 § 78a Nr. 24; v. 24. Juli 1991 – 7 ABR 68/90 – zu B<br />

II 2a der Gründe, BAGE 68, 187 = AP BetrVG 1972 § 78a Nr. 23<br />

= EzA BetrVG 1972 § 78a Nr. 21). Von Missbrauchsfällen abgesehen<br />

ist der Arbeitgeber gr<strong>und</strong>sätzlich auch nicht gehindert,<br />

durch eine Veränderung der Arbeitsorganisation Arbeitsplätze<br />

wegfallen zu lassen (BAG v. 28. Juni 2000 – 7 ABR 57/98 – zu<br />

B I 3 der Gründe, ZTR 2001, 139; 12. November 1997 – 7 ABR<br />

63/96 – zu BI3derGründe, BAGE 87, 105 = AP BetrVG 1972<br />

§ 78a Nr. 30 = EzA BetrVG 1972 § 78a Nr. 25; v. 12. November<br />

1997 – 7 ABR 73/96 – zu BI3derGründe, BAGE 87, 110 =<br />

AP BetrVG 1972 § 78a Nr. 31 = EzA BetrVG 1972 § 78a Nr. 26;<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

v. 6. November 1996 – 7 ABR 54/95 – zu BI2derGründe,<br />

a.a.O.). Ist hingegen im Zeitpunkt der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses<br />

ein freier Arbeitsplatz vorhanden, hat bei<br />

der Prüfung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung<br />

ein künftiger Wegfall von Arbeitsplätzen unberücksichtigt zu<br />

bleiben (BAG v. 16. August 1995 – 7 ABR 52/94 – zu B 3 der<br />

Gründe, AP BetrVG 1972 § 78a Nr. 25 = EzA BetrVG 1972 § 78a<br />

Nr. 23).<br />

bb) Nach diesen Gr<strong>und</strong>sätzen ist dem Arbeitgeber die Übernahme<br />

eines durch § 78a BetrVG geschützten Auszubildenden<br />

aus betrieblichen Gründen nicht allein deshalb unzumutbar,<br />

weil sich der Arbeitgeber entschließt, die in seinem<br />

Betrieb anfallenden Arbeitsaufgaben künftig nicht mehr Arbeitnehmern<br />

zu übertragen, mit denen er selbst einen Arbeitsvertrag<br />

abgeschlossen hat, sondern Leiharbeitnehmern.<br />

Durch diese Entscheidung allein wird weder die Anzahl der<br />

Arbeitsplätze noch die Arbeitsmenge, für deren Bewältigung<br />

der Arbeitgeber Arbeitnehmer einsetzt, verändert. Die bisher<br />

anfallenden Arbeiten werden nach wie vor von dem Arbeitgeber<br />

innerhalb seiner betrieblichen Organisation mit Arbeitskräften<br />

erledigt, die diese Arbeitsaufgaben nach seinen Weisungen<br />

für ihn ausführen. Der Arbeitgeber deckt seinen Arbeitskräftebedarf<br />

lediglich mit Arbeitnehmern eines anderen<br />

Arbeitgebers, der sie ihm auf der Gr<strong>und</strong>lage eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags<br />

zur Förderung seiner Betriebszwecke<br />

zur Verfügung stellt. Die dem Arbeitgeber als Entleiher<br />

überlassenen Arbeitnehmer werden von diesem nach seinen<br />

Vorstellungen <strong>und</strong> Zielen in seinem Betrieb wie eigene Arbeitnehmer<br />

eingesetzt. Durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern<br />

entfällt daher lediglich der Bedarf an der Beschäftigung von<br />

Arbeitnehmern, die in einem durch Arbeitsvertrag begründeten<br />

Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber stehen. Dies führt<br />

nicht zur Unzumutbarkeit i.S.d. § 78a Abs. 4 BetrVG, weil sich<br />

allein durch die Entscheidung des Arbeitgebers, künftig für die<br />

Erledigung der Arbeitsmenge Leiharbeitnehmer einzusetzen,<br />

die Anzahl der im Betrieb eingerichteten Arbeitsplätze <strong>und</strong><br />

damit auch der Beschäftigungsbedarf nicht ändern (BAG v. 16.<br />

Juli 2008 – 7ABR 13/07 – Rn 23, AP BetrVG 1972 § 78a Nr. 50).<br />

c) Nach ständiger Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

ist für die Feststellung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung<br />

i.S.d. § 78a Abs. 4 BetrVG auf den Zeitpunkt der<br />

Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses abzustellen<br />

(BAG v. 16. August 1995 – 7 ABR 52/94 – zu B 3 der Gründe, AP<br />

BetrVG 1972 § 78a Nr. 25 = EzA BetrVG 1972 § 78a Nr. 23). Die<br />

Weiterbeschäftigung eines durch § 78a BetrVG geschützten<br />

Auszubildenden kann dem Arbeitgeber i.S.d. § 78a Abs. 4<br />

BetrVG im Einzelfall auch zumutbar sein, wenn er einen kurz<br />

vor der Beendigung der Berufsausbildung frei gewordenen<br />

Arbeitsplatz wieder besetzt hat, statt ihn für einen nach<br />

§ 78a BetrVG geschützten Auszubildenden freizuhalten. Das<br />

gilt regelmäßig bei einer Besetzung, die innerhalb von drei<br />

Monaten vor dem vereinbarten Ende des Ausbildungsverhältnisses<br />

vorgenommen wird, da der Arbeitgeber innerhalb des<br />

Drei-Monats-Zeitraums des § 78a Abs. 2 Satz 1 BetrVG mit ei-<br />

205


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

nem Übernahmeverlangen rechnen muss. Diesem Verlangen<br />

muss er entsprechen, wenn nicht die Ausnahmetatbestände<br />

des § 78a Abs. 4 BetrVG vorliegen. Aus diesem Gr<strong>und</strong> führt<br />

ein zum Zeitpunkt der Beendigung der Ausbildung fehlender<br />

Beschäftigungsbedarf nicht zur Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung,<br />

wenn der Arbeitgeber einen innerhalb von<br />

drei Monaten vor der vertraglich vereinbarten Beendigung<br />

des Ausbildungsverhältnisses frei gewordenen Arbeitsplatz<br />

besetzt hat <strong>und</strong> die sofortige Neubesetzung nicht durch<br />

dringende betriebliche Erfordernisse geboten war (BAG v. 12.<br />

November 1997 – 7 ABR 63/96 – zu B II 1 der Gründe, BAGE<br />

87, 105 = AP BetrVG 1972 § 78a Nr. 30 = EzA BetrVG 1972<br />

§ 78a Nr. 25).<br />

2. Auf der Gr<strong>und</strong>lage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen<br />

kann der Senat nicht abschließend beurteilen, ob der<br />

Auflösungsantrag der Arbeitgeberin begründet ist.<br />

Das Landesarbeitsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen,<br />

dass das zu Beginn des Jahres 2006 in der Abteilung<br />

„Operation Test“ bestehende Überst<strong>und</strong>envolumen von 5.687<br />

St<strong>und</strong>en keinen dauerhaften Beschäftigungsbedarf für den<br />

Beteiligten zu 2) begründet hat. Es sind weder Tatsachen ersichtlich<br />

noch vom Landesarbeitsgericht festgestellt, die dafür<br />

sprechen, dass die Arbeitgeberin durch die Anordnung oder<br />

Hinnahme von Überst<strong>und</strong>en durch andere in der Abteilung<br />

beschäftigte Arbeitnehmer die Übernahme des Beteiligten zu<br />

2) verhindern wollte. Ebenso hat das Landesarbeitsgericht<br />

zutreffend erkannt, dass die Weiterbeschäftigung des Beteiligten<br />

zu 2) der Arbeitgeberin nicht deshalb zumutbar war,<br />

weil diese im November 2006 – <strong>und</strong> damit knapp 11 Monate<br />

nach dem Bestehen der Abschlussprüfung – freie Stellen<br />

ausgeschrieben hat, die für eine Besetzung mit dem Beteiligten<br />

zu 2) möglicherweise in Betracht gekommen wären.<br />

Das Landesarbeitsgericht hat allerdings unzutreffend angenommen,<br />

dass die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern im<br />

Betrieb Rüsselsheim für die Beurteilung der Unzumutbarkeit<br />

i.S.d. § 78a Abs. 4 Satz 1 BetrVG ohne Bedeutung ist. Es hätte<br />

dem in der Beschwerdeinstanz von dem Beteiligten zu 2) <strong>und</strong><br />

dem Betriebsrat gehaltenen Vortrag zur Beschäftigung von<br />

Leiharbeitnehmern nachgehen <strong>und</strong> aufklären müssen, ob in<br />

dem maßgeblichen Drei-Monats-Zeitraum des § 78a Abs. 2<br />

Satz 1 BetrVG im Betrieb Rüsselsheim Arbeitsplätze mit Leiharbeitnehmern<br />

besetzt waren, die der Beteiligte zu 2) mit seiner<br />

in der Berufsausbildung erworbenen beruflichen Handlungsfähigkeit<br />

hätte ausüben können <strong>und</strong> die nach den Vorgaben<br />

der Arbeitgeberin nicht nur vorübergehend zur Verfügung<br />

standen. Dies wird das Landesarbeitsgericht in der erneuten<br />

Anhörung aufzuklären haben.<br />

■ B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

vom 25.02.2009, 7 ABR 61/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Werner Mansholt,<br />

Rheinstraße 30, 64283 Darmstadt,<br />

Tel.: 06151/26264, Fax: 06151/25461<br />

206 03/09<br />

265. Gleichbehandlung, Sonderzahlung<br />

1. Regelt eine Betriebsvereinbarung, dass nur diejenigen Arbeitnehmer<br />

eine Sonderzahlung erhalten, die sich mit der<br />

Kürzung der Arbeitgeberbeiträge zur Altersversorgung einverstanden<br />

erklärt haben, kann dadurch der Gleichbehandlungsgr<strong>und</strong>satz<br />

verletzt sein.<br />

2. Ist die unterschiedliche Behandlung nach dem Zweck der<br />

Leistung (Sonderzahlung) nicht gerechtfertigt, kann der benachteiligte<br />

Arbeitnehmer verlangen, nach Maßgabe der begünstigten<br />

Arbeitnehmer behandelt zu werden.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 17.12.2008, 8 Sa 494/08<br />

266. Mitbestimmung in personellen Angelegenheiten, allgemeine<br />

Beurteilungsgr<strong>und</strong>sätze; Gesamtbetriebsrat, Zuständigkeit<br />

I. Der Betriebsrat beantragt, den Beschluss des Arbeitsgerichts<br />

Mönchengladbach vom 17.09.2008 – 2 BV 111/08 – abzuändern<br />

<strong>und</strong><br />

1. der Beteiligten zu 2) auf dem Gebiet der Region 5 zu untersagen,<br />

die Leistung <strong>und</strong>/oder das Verhalten der Verkaufsstellenverwalterinnen<br />

<strong>und</strong> Verkaufsstellenverwalter im Anschluss<br />

an R<strong>und</strong>gänge durch den Verkaufsleiter, den Bezirksleiter oder<br />

durch so genannte Checker, seien es offen auftretende oder<br />

verdeckt kontrollierende, zu benoten, ohne zuvor die Zustimmung<br />

des Betriebsrats einzuholen;<br />

2. der Beteiligten zu 2) auf dem Gebiet der Region 5 zu untersagen,<br />

durch so genannte Checker die Leistung <strong>und</strong>/oder<br />

das Verhalten einer Verkaufsstellenverwaltung anhand des Erscheinungsbildes<br />

einer Verkaufsstelle durch eine Gesamtnote<br />

bewerten zu lassen, ohne zuvor die Zustimmung des Betriebsrats<br />

einzuholen;<br />

3. der Beteiligten zu 2) auf dem Gebiet der Region 5 zu untersagen,<br />

eine erzielte Benotung der Verkaufsstellenverwalterin<br />

oder des Verkaufsstellenverwalters ab der Note 3 minus <strong>und</strong><br />

schlechter zum Anlass zur Durchführung von Kritikgesprächen<br />

<strong>und</strong>/oder zum Ausspruch von Abmahnungen zu nehmen,<br />

ohne zuvor die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen;<br />

4. für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziff. 1. oder 2.<br />

der Beteiligten zu 2) ein Ordnungsgeld bis zu 10.000,00 €,<br />

alternativ Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen<br />

an den Organen der Gesellschaft, anzudrohen.<br />

Die Arbeitgeberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.<br />

II. Die Beschwerde ist zulässig (§§ 87 Abs. 1, 89 Abs. 1 <strong>und</strong> 2,<br />

87 Abs. 2, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 Abs. 3 ZPO),<br />

jedoch unbegründet.<br />

1. a) Das Beschlussverfahren ist die zutreffende Verfahrensart,<br />

da der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 94 BetrVG<br />

geltend macht. Zur Einleitung eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens<br />

<strong>und</strong> Beauftragung eines Rechtsanwalts ist<br />

nach der Rechtsprechung des BAG ein ordnungsgemäßer Beschluss<br />

des Betriebsrats erforderlich (BAG vom 06.12.2006, AP


Nr. 5 zu § 21b BetrVG 1972). Dieser wurde nach den Darlegungen<br />

des Betriebsrats, deren Richtigkeit die Arbeitgeberin nicht<br />

in Abrede gestellt hat, vor Einleitung des Beschlussverfahrens<br />

seitens des Betriebsrats gefasst.<br />

b) Der Gesamtbetriebsrat war nicht zu beteiligen. Nach ständiger<br />

Rechtsprechung des BAG richtet sich die Beteiligung<br />

gemäß § 83 Abs. 3 ArbGG danach, ob eine Stelle oder Person<br />

in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung unmittelbar<br />

betroffen ist. Reklamiert ein Gesamtbetriebsrat ein<br />

Mitbestimmungsrecht, müssen die örtlichen Betriebsräte nur<br />

beteiligt werden, wenn Arbeitgeber oder Gesamtbetriebsrat<br />

hilfsweise deren Zuständigkeit behaupten oder objektiv zumindest<br />

ernsthafte Zweifel bestehen können, ob nicht statt<br />

des Gesamtbetriebsrats die örtlichen Betriebsräte Inhaber des<br />

streitigen Mitbestimmungsrechts sind (BAG vom 28.03.2006,<br />

AP Nr. 128 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung). Diese Gr<strong>und</strong>sätze<br />

gelten im umgekehrten Fall entsprechend, wenn ein<br />

örtlicher Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht für sich reklamiert,<br />

jedoch muss auch der Gesamtbetriebsrat die Regelungszuständigkeit<br />

für sich in Anspruch nehmen (BAG vom<br />

13.03.1984, AP Nr. 9 zu § 83 ArbGG 1979).<br />

Im vorliegenden Streitfall steht nach Ansicht des Betriebsrats<br />

ihm ein Mitbestimmungsrecht nach § 94 BetrVG zu. Auch<br />

die Arbeitgeberin beruft sich nicht auf eine Zuständigkeit<br />

des Gesamtbetriebsrats. Sie macht vielmehr geltend, dieser<br />

habe sein Mitbestimmungsrecht durch den Abschluss der<br />

Gesamtbetriebsvereinbarung über die Einführung einer standardisierten<br />

Mitarbeiterbeurteilung für Verkaufsstellenverwalter<br />

<strong>und</strong> Verkaufsstellenverwalterinnen bereits ausgeübt.<br />

Nach dem Vorbringen beider Beteiligter kann auch nicht<br />

angenommen werden, der Gesamtbetriebsrat wolle für sich<br />

ein Mitbestimmungsrecht in der streitigen Angelegenheit in<br />

Anspruch nehmen. Denn der Betriebsrat hat vorgetragen, der<br />

Gesamtbetriebsrat habe die Einleitung des Beschlussverfahrens<br />

durch ihn nicht beanstandet, während die Arbeitgeberin<br />

vorgetragen hat, der Gesamtbetriebsrat sei offenbar der<br />

Auffassung, die Gesamtbetriebsvereinbarung regele bereits<br />

die Beurteilung der VSV. Damit sind Beteiligte lediglich der<br />

Betriebsrat <strong>und</strong> die Arbeitgeberin.<br />

2. Die vom Betriebsrat zuletzt gestellten Anträge sind zulässig.<br />

Die Anträge zu 1. bis 3. bedürfen allerdings der Auslegung. Mit<br />

dem Antrag zu 1. wendet sich der Betriebsrat dagegen, dass<br />

die BZL <strong>und</strong> VKL dann, wenn sie in die bei ihren Filialbesuchen<br />

benutzten R<strong>und</strong>gangbücher Beobachtungen <strong>und</strong> Anweisungen<br />

eintragen, diese um Schulnoten ergänzen. Ferner wendet<br />

er sich dagegen, dass die Checker in ihren Berichten von ihnen<br />

geprüfte Einzelheiten des Zustands oder des Angebots einer<br />

Filiale mit einer Schulnote bewerten. Der Arbeitgeberin soll<br />

durch das Gericht aufgegeben werden, dafür zu sorgen, dass<br />

ein solches Verhalten unterlassen wird, bevor er nicht seine<br />

Zustimmung erteilt hat.<br />

Bei Zugr<strong>und</strong>elegung dieser Auslegung ist der Antrag zu 1.<br />

hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.<br />

Ein Unterlassungsantrag muss aus rechtsstaatlichen Gründen<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

eindeutig erkennen lassen, was vom Schuldner verlangt wird.<br />

Die Prüfung, welche Verhaltensweisen der Schuldner unterlassen<br />

soll, darf nicht durch eine ungenaue Antragsformulierung<br />

<strong>und</strong> einen entsprechenden gerichtlichen Titel aus dem<br />

Erkenntnis- in das Vollstreckungsverfahren verlagert werden<br />

(BAG vom 24.04.2007, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Sozialplan). Diesen<br />

Anforderungen wird der Antrag zu 1. in seiner zuletzt gestellten<br />

Fassung gerecht. Es ist allgemein bekannt, was unter<br />

Schulnoten zu verstehen ist. Die Arbeitgeberin kann aus dem<br />

Antrag zu 1. <strong>und</strong> der Antragsbegründung auch ohne weiteres<br />

entnehmen, welchen ihrer Angestellten sie die Benutzung von<br />

Schulnoten anlässlich welcher Tätigkeiten untersagen soll.<br />

Mit dem Antrag zu 2. wendet sich der Betriebsrat dagegen,<br />

dass in den Berichten der Checker eine Gesamtbeurteilung<br />

in Form von Schulnoten enthalten ist. Mit dem Antrag zu 3.<br />

wendet er sich dagegen, dass dann; wenn diese Gesamtbeurteilung<br />

die Note 3 minus oder eine schlechtere Note aufweist,<br />

Gespräche mit den VSV geführt werden, die Filialen mit einer<br />

solchen Benotung leiten, <strong>und</strong>/oder ihnen Abmahnungen<br />

erteilt werden. Der Arbeitgeberin soll durch das Gericht aufgegeben<br />

werden, dafür zu sorgen, dass ein solches Verhalten<br />

unterlassen wird, bevor er nicht seine Zustimmung erteilt hat.<br />

Bei Zugr<strong>und</strong>elegung dieser Auslegung sind auch die Anträge<br />

zu 2. <strong>und</strong> 3. hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2<br />

Nr. 2 ZPO. Die Arbeitgeberin kann auch insoweit ohne weiteres<br />

erkennen, welche Verhaltensweisen sie im Zuständigkeitsbereich<br />

des Betriebsrats untersagen soll <strong>und</strong> an wen sie sich<br />

dabei zu richten hat.<br />

Eine Antragsänderung gegenüber den in der Beschwerdeschrift<br />

angekündigten Anträgen liegt nicht vor. Vielmehr hat<br />

der Betriebsrat durch Umformulierungen lediglich verdeutlicht,<br />

welche Handlungen der Arbeitgeberin untersagt werden<br />

sollen. Dasselbe gilt, soweit der Betriebsrat den Antrag zu 1.<br />

in der Beschwerdeschrift im Verhältnis zum erstinstanzlichen<br />

Antrag zu 1. verändert hat.<br />

3. Die Anträge sind unbegründet.<br />

Dem Betriebsrat steht das geltend gemachte Mitbestimmungsrecht<br />

nicht zu. In Betracht kommt lediglich, dass<br />

die streitige Angelegenheit das Zustimmungsrecht nach<br />

§ 94 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BetrVG auslöst. Weiteren Mitbestimmungsrechten<br />

unterliegt sie nicht. Dies gilt etwa für<br />

das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1. Nr. 1 BetrVG,<br />

da die Benotung durch BZL, VKL <strong>und</strong> Checker nicht das<br />

Ordnungsverhalten von Arbeitnehmern zum Gegenstand<br />

hat, sondern sich auf das Arbeitsverhalten auswirkt (BAG<br />

vom 24.11.1981, AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des<br />

Betriebes). Demgemäß stützt der Betriebsrat sein Begehren<br />

auch nicht auf § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.<br />

a) Nach § 94 BetrVG bedarf die Aufstellung allgemeiner<br />

Beurteilungsgr<strong>und</strong>sätze der Zustimmung des Betriebsrats.<br />

Allgemeine Beurteilungsgr<strong>und</strong>sätze im Sinne dieser Bestimmung<br />

sind Regelungen, die die Bewertung des Verhaltens<br />

oder der Leistung der Arbeitnehmer objektivieren oder<br />

vereinheitlichen <strong>und</strong> an Kriterien ausrichten sollen, die für<br />

207


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

die Beurteilung jeweils erheblich sind. Gegenstand des<br />

Mitbestimmungsrechts ist danach die Frage, nach welchen<br />

Gesichtspunkten der Arbeitnehmer insgesamt oder in Teilen<br />

seiner Leistung oder seines Verhaltens beurteilt werden soll.<br />

Mit solchen Gr<strong>und</strong>sätzen soll ein einheitliches Vorgehen<br />

bei der Beurteilung <strong>und</strong> ein Bewerten nach einheitlichen<br />

Maßstäben ermöglicht <strong>und</strong> so erreicht werden, dass die<br />

Beurteilungsergebnisse miteinander vergleichbar sind (BAG<br />

vom 23.10.1984, AP Nr. 8 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des<br />

Betriebes).<br />

Da sich solche Beurteilungsgr<strong>und</strong>sätze stets auf die Person<br />

eines oder mehrerer bestimmter Arbeitnehmer beziehen<br />

müssen <strong>und</strong> nicht nur auf den Arbeitsplatz, sind z.B. Arbeitsplatzbewertungen<br />

keine Beurteilungsgr<strong>und</strong>sätze, weil<br />

sie nicht personenbezogen sind. Auch Schaltertests, bei<br />

denen der Arbeitgeber die Ergebnisse nicht mit einzelnen<br />

Arbeitnehmern oder Gruppen von Arbeitnehmern in Verbindung<br />

bringen kann, haben keinen Bezug zu bestimmten<br />

Arbeitnehmern <strong>und</strong> lösen daher das Mitbestimmungsrecht<br />

nach § 94 BetrVG nicht aus (BAG vom 18.04.2000, AP Nr. 33<br />

zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung). Dagegen bewerten die<br />

BZL <strong>und</strong> VKL die Leistung <strong>und</strong> das Verhalten von Arbeitnehmern<br />

<strong>und</strong> Arbeitnehmerinnen, wenn <strong>und</strong> soweit sie bei der<br />

Aufzeichnung ihrer Beobachtungen <strong>und</strong> Weisungen in die<br />

R<strong>und</strong>gangbücher Noten erteilen. Es kann kein Zweifel daran<br />

bestehen, dass sich die Weisungen an die VSV richten. Dann<br />

sind aber auch die damit verb<strong>und</strong>enen Noten personenbezogen.<br />

Besonders deutlich wird dies bei der vom Betriebsrat<br />

vorgelegten Bemerkung „Note 4 weil vom 03.01. + 07.01.08<br />

Punkte noch nicht umgesetzt sind“. Die von den Checkern<br />

in den Checkerberichten erteilten Einzel- <strong>und</strong> Gesamtnoten<br />

sind zwar nicht unmittelbar personenbezogen, weil sie den<br />

Zustand <strong>und</strong> das Angebot der überprüften Filialen in ihren<br />

Einzelheiten <strong>und</strong> insgesamt bewerten. Sie sind es jedoch<br />

mittelbar, denn unstreitig setzt die Arbeitgeberin die Checkerberichte<br />

ein, um den Zustand <strong>und</strong> das Angebot ihrer Filialen<br />

zu verbessern <strong>und</strong> führt bei einem unterdurchschnittlichen<br />

oder schlechten Prüfergebnis u.a. Gespräche mit den in Frage<br />

kommenden Mitarbeitern <strong>und</strong> Mitarbeiterinnen.<br />

Die Erteilung von Schulnoten, sei es wegen der Befolgung<br />

oder Nichtbefolgung von Weisungen, sei es bezogen auf<br />

das Angebot oder den Zustand einer Filiale, ermöglicht der<br />

Arbeitgeberin ein einheitliches Vorgehen bei der Beurteilung<br />

der Leistung <strong>und</strong> des Verhaltens der Leiter <strong>und</strong> Leiterinnen<br />

der kontrollierten Filialen. Deshalb spricht viel dafür, dass die<br />

Arbeitgeberin allgemeine Beurteilungsgr<strong>und</strong>sätze im Sinne<br />

des § 94 Abs. 2 BetrVG aufstellt, soweit sie Schulnoten in<br />

den R<strong>und</strong>gangbüchern <strong>und</strong> Checkerberichten praktiziert oder<br />

auch nur zulässt. Einer Entscheidung dieser Rechtsfrage durch<br />

das Beschwerdegericht bedarf es allerdings nicht.<br />

b) Trifft es zu, dass die Benotung das Mitbestimmungsrecht<br />

nach § 94 BetrVG auslöst, hat jedenfalls der Gesamtbetriebsrat<br />

seine Zustimmung zu erteilen. Nach § 50 Abs. 1 BetrVG<br />

ist der Gesamtbetriebsrat zuständig für die Behandlung von<br />

208 03/09<br />

Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen oder mehrere<br />

Betriebe betreffen <strong>und</strong> nicht durch die einzelnen Betriebsräte<br />

innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. Eine<br />

überbetriebliche Angelegenheit liegt danach schon dann vor,<br />

wenn mehrere Betriebe betroffen sind. Nicht erforderlich ist,<br />

dass es sich um sämtliche Betriebe des Unternehmens handelt.<br />

Der Begriff des „Nichtregelnkönnens“ setzt nicht notwendig<br />

die objektive Unmöglichkeit einer betrieblichen Regelung<br />

voraus. Ausreichend, aber regelmäßig auch zu verlangen ist<br />

vielmehr, dass ein sachlich zwingendes Erfordernis für eine betriebsübergreifende<br />

Regelung besteht (BAG vom 03.05.2006,<br />

AP Nr. 29 zu § 50 BetrVG 1972, zum Konzernbetriebsrat: BAG<br />

vom 22.07.2008, AP Nr. 14 zu § 87 BetrVG 1972). Allein der<br />

Wunsch des Unternehmens nach einer unternehmenseinheitlichen<br />

Regelung, sein Kosten- oder Koordinierungsinteresse<br />

sowie reine Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte genügen nicht,<br />

um die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zu begründen.<br />

Maßgeblich sind stets die konkreten Umstände des Unternehmens<br />

<strong>und</strong> seiner Betriebe (zum Konzern: BAG vom 19.06.2007,<br />

AP Nr. 4 zu § 58 BetrVG 1972).<br />

Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG ist mit dem<br />

Begriff des „Nichtregelnkönnens“ im Sinne des § 50 Abs. 1<br />

BetrVG nicht nur die objektive, sondern auch die „subjektive<br />

Unmöglichkeit“ gemeint. Eine solche wird dann angenommen,<br />

wenn eine auf die einzelnen Betriebe beschränkte Regelung<br />

deshalb nicht möglich ist, weil der Arbeitgeber den der<br />

Mitbestimmung unterfallenden Regelungsgegenstand mitbestimmungsfrei<br />

so vorgegeben hat, dass eine Regelung nur betriebsübergreifend<br />

erfolgen kann. Die Rechtsprechung wurde<br />

im Wesentlichen für freiwillige Leistungen des Arbeitgebers<br />

entwickelt, bei denen dieser mitbestimmungsfrei darüber entscheiden<br />

kann, ob er die Leistung überhaupt gewährt <strong>und</strong><br />

lediglich deren Verteilung der Mitbestimmung des Betriebsrats<br />

unterliegt. Sie ist aber auch bei anderen Gegenständen<br />

heranzuziehen, die nicht der erzwingbaren Mitbestimmung<br />

unterliegen (BAG vom 09.12.2003, AP Nr. 27 zu § 50 BetrVG<br />

1972; BAG vom 06.12.1988, AP Nr. 37 zu § 87 BetrVG 1972<br />

Lohngestaltung; zum Konzern: BAG vom 19.06.2007, a.a.O.).<br />

Nach § 94 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BetrVG bedarf die Aufstellung<br />

allgemeiner Beurteilungsgr<strong>und</strong>sätze der Zustimmung des<br />

Betriebsrats. Der Betriebsrat hat, wie aus dem Wortlaut<br />

eindeutig hervorgeht, kein lnitiativrecht (Fitting-Engels-<br />

Schmidt, Betriebsverfassungsgesetz, § 4 Rn 28; Klebe, in:<br />

Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, § 94 Rn 2). Es liegt also ein<br />

Fall der nicht erzwingbaren Mitbestimmung vor. Da das<br />

Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nur besteht, wenn<br />

der Arbeitgeber allgemeine Beurteilungsgr<strong>und</strong>sätze aufstellt,<br />

hängt es von der Art <strong>und</strong> Weise der Ausgestaltung der<br />

Beurteilungsgr<strong>und</strong>sätze durch den Arbeitgeber ab, ob das<br />

Mitbestimmungsrecht dem Betriebsrat oder Gesamtbetriebsrat<br />

zusteht. Sollen sie unternehmenseinheitlich gelten, ergibt<br />

sich schon daraus ein zwingendes Erfordernis für eine betriebsübergreifende<br />

Regelung, so dass der Gesamtbetriebsrat<br />

die Zustimmung zu erteilen hat (BAG vom 18.04.2000, a.a.O.).


Auch im vorliegenden Streitfall handelt es sich um eine überbetriebliche<br />

Angelegenheit, die nicht durch die einzelnen Betriebsräte<br />

geregelt werden kann. Dies gilt zunächst für die<br />

Schulnoten in den Checkerberichten. Die Checker werden unstreitig<br />

im gesamten Unternehmen der Arbeitgeberin eingesetzt.<br />

Die Arbeitgeberin praktiziert daher in allen ihren Betrieben<br />

die Erteilung von Schulnoten in den Checkerberichten<br />

oder lässt eine solche Praxis jedenfalls zu. Damit handelt es<br />

sich um eine Angelegenheit, die das Gesamtunternehmen<br />

betrifft. Sie kann nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb<br />

ihrer Betriebe geregelt werden, weil die Überprüfung<br />

<strong>und</strong> Bewertung der Filialen durch die Checker im gesamten<br />

Unternehmen stattfindet <strong>und</strong> die Praxis bzw. Duldung der<br />

Verwendung von Schulnoten nicht auf einzelne Regionen beschränkt<br />

ist.<br />

Nichts anderes gilt aber auch für die Erteilung von Schulnoten<br />

durch BZL <strong>und</strong> VKL. Unstreitig sind die von den VSV zu beachtenden<br />

Vorgaben in einem Verkaufsstellenhandbuch niedergelegt.<br />

Unstreitig werden die Beobachtungen der Vorgesetzten<br />

in einem R<strong>und</strong>gangbuch notiert. Nach dem Vorbringen<br />

des Betriebsrats in der Beschwerdeschrift trifft dies nicht nur<br />

für die Region 5, sondern auch für die übrigen Regionen zu.<br />

Soweit die Arbeitgeberin es nicht beanstandet, dass in den<br />

R<strong>und</strong>gangbüchern Schulnoten erteilt werden, bezieht sich daher<br />

auch dieses Verhalten auf das gesamte Unternehmen <strong>und</strong><br />

nicht nur auf einzelne Regionen. Wird davon ausgegangen,<br />

dass die Entscheidung der Arbeitgeberin, die Erteilung von<br />

Noten durch die BZL <strong>und</strong> VKL hinzunehmen, die Aufstellung<br />

allgemeiner Beurteilungsgr<strong>und</strong>sätze im Sinne von § 94 Abs. 2<br />

BetrVG darstellt, erfolgt mithin auch dies unternehmenseinheitlich,<br />

womit die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats begründet<br />

ist.<br />

■ Landesarbeitsgericht Düsseldorf<br />

vom 06.03.2009, 9 TaBV 347/08<br />

eingereicht von Rechtsanwältin Dirk Paschke,<br />

Münsterstraße 21, 3330 Gütersloh,<br />

Tel.: 05241/90330, Fax: 05241/14859<br />

info@t-s-c.eu<br />

267. Betriebsvereinbarung, Durchführungsanspruch,<br />

einstweilige Verfügung<br />

1. Besteht ein Verfügungsanspruch, der auf Durchführung<br />

einer BV gerichtet ist, <strong>und</strong> ist der Inhalt der BV eindeutig<br />

<strong>und</strong> nicht auslegungsfähig, ist in der aller Regel auch vom<br />

Vorliegen eines Verfügungsgr<strong>und</strong>es auszugehen.<br />

Die Erklärung der Arbeitgeberin, sie werde sich künftig nicht<br />

entgegen der BV verhalten mit ausschließender Erledigungserklärung<br />

(„damit ist die Angelegenheit erledigt“), stellt kein<br />

erledigendes Ereignis dar <strong>und</strong> lässt das Rechtsschutzinteresse<br />

des BRs nicht entfallen.<br />

2. Der Beteiligte zu 1) <strong>und</strong> Gesamtbetriebsrat hat auch den<br />

erforderlichen Verfügungsgr<strong>und</strong>. Dieser besteht, wenn die<br />

Besorgnis besteht, dass die Verwirklichung des Rechts ohne<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

alsbaldige einstweilige Regelung vereitelt oder wesentlich<br />

erschwert wird (§ 935, 940 ZPO).<br />

a. Dabei ist in Rechtsprechung <strong>und</strong> Literatur streitig, welche<br />

Anforderungen an das Vorliegen eines Verfügungsgr<strong>und</strong>es<br />

im Rahmen eines Beschlussverfahrens bei der Verletzung von<br />

Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates zu stellen sind.<br />

aa. Zum Teil wird verlangt, dass die auf eine Befriedigung gerichtete<br />

Unterlassungsverfügung erforderlich sein muss, um<br />

für die Zeit bis zum Inkrafttreten einer mitbestimmten Regelung<br />

den damit bezweckten notwendigen Schutz der Arbeitnehmer<br />

zu sichern. Allein der Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht<br />

oder die Betriebsvereinbarung soll danach<br />

die Eilbedürftigkeit noch nicht begründen. Maßgeblich sei<br />

nicht, ob dem Betriebsrat die Ausübung seiner Beteiligungsrechte<br />

ganz oder jedenfalls für die Vergangenheit unmöglich<br />

gemacht werde, sondern ob für die Zeit bis zum Inkrafttreten<br />

einer mitbestimmten Regelung der damit bezweckte notwendige<br />

Schutz der Arbeitnehmer unwiederbringlich vereitelt<br />

wird (LAG Hamm vom 04.05.2005 – 15 TaBV 54/05 – zitiert<br />

nach Juris Rn 82; GMPM/Matthes, a.a.0. Rn 37; Korinth, Einstweiliger<br />

Rechtsschutz, K Rn 113). Nach dieser Auffassung wäre<br />

es also erforderlich, konkrete Nachteile für die Belegschaft<br />

festzustellen. Auf den Zeitablauf hinsichtlich der Pflicht zur<br />

Durchführung der Betriebsvereinbarung käme es letztendlich<br />

nicht an.<br />

bb. Überzeugender ist es die Notwendigkeit des Erlasses<br />

einer einstweiligen Verfügung im Beschlussverfahren dann zu<br />

bejahen, wenn bei der Durchführung der beanstandeten<br />

Maßnahme das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates<br />

leerzulaufen droht Der Ausgang der zusätzlich erforderlichen<br />

Interessenabwägung hängt dann in erster Linie davon ab,<br />

ob die Rechtslage eindeutig zu Gunsten des Betriebsrates<br />

oder des Arbeitgebers spricht. Bei unklarer Rechtslage<br />

kommt es u. a. auf den Schaden an, der dem Arbeitgeber<br />

droht, wenn er die geplante Maßnahme auf Gr<strong>und</strong> einer<br />

Unterlassungsverfügung nicht durchführen darf (Walker, in:<br />

Schwab/Weth, a.a.0. Rn 65 <strong>und</strong> Rn 107; LAG Hessen vom<br />

04.10.2007, 5 TaBVGa 91/07 Rn 20, 21, zitiert nach Juris;<br />

LAG Köln vom 13.02.2002, 12 Ta 244/07, Rn 18, zitiert nach<br />

Juris). Für diese Auffassung sprechen vor allem zwei Aspekte:<br />

Zum einen sind nach § 85 Abs. 1 Satz 1 ArbGG Beschlüsse<br />

in anderen als vermögensrechtlichen Angelegenheiten erst<br />

nach Rechtskraft vollstreckbar. Das heißt, der Betriebsrat hätte<br />

über einen zum Teil mehrjährigen Zeitraum hinzunehmen,<br />

dass die Pflicht zur Durchführung der Betriebsvereinbarung<br />

missachtet wird. Dies selbst dann, wenn erst- <strong>und</strong> zweitinstanzlich<br />

der Verfügungsanspruch bejaht wird <strong>und</strong> eine<br />

eindeutige Rechtslage besteht. Zum anderen ist es dem<br />

Betriebsrat gr<strong>und</strong>sätzlich verwehrt, in Prozessstandschaft<br />

Rechte einzelner Arbeitnehmer der Belegschaft geltend zu<br />

machen. Sein Anspruch ist beschränkt auf Durchführung<br />

der von ihm abgeschlossenen Betriebsvereinbarung bzw.<br />

auf die Durchsetzung seines Mitbestimmungsrechtes (vgl.<br />

BAG vom 31.01.2003 a.a.0. <strong>und</strong> Fitting, BetrVG, 23. Aufl., § 77<br />

209


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

Rn 7 a.E). Wenn der Betriebsrat jedoch darauf verwiesen wird,<br />

nur eigene Rechte geltend zu machen, können auch nicht<br />

im Wege der Interessenabwägung Belange Dritter berücksichtigt<br />

werden. Im Einzelfall benachteiligte Arbeitnehmer<br />

können aus eigenem Recht im Wege der einstweiligen Verfügung<br />

oder im Hauptsacheverfahren entsprechende Ansprüche<br />

geltend machen. Weitere Anforderungen an den Verfügungsgr<strong>und</strong><br />

als den drohenden Zeitablauf <strong>und</strong> die Durchführung<br />

der erforderlichen Interessenabwägung im Hinblick<br />

auf die Erfolgsaussicht können insbesondere bei dem geltend<br />

gemachten Anspruch auf Durchführung einer bereits<br />

abgeschlossenen Betriebsvereinbarung nicht gestellt werden.<br />

In diesen Fällen ergibt sich, anders als bei der Durchsetzung<br />

von Mitbestimmungsrechten vor Zustandekommen eines<br />

Verhandlungsergebnisses, auch kein Spielraum für abweichende<br />

Handlungsmöglichkeiten des Betriebsrats. Der Betriebsrat<br />

müsste anderenfalls zusehen, wie die verbindlich abgeschlossene<br />

Betriebsvereinbarung, zumal ungekündigt, vom<br />

Arbeitgeber missachtet wird, obwohl § 77 Abs. 1 BetrVG eindeutig<br />

die Pflicht zur Durchführung der Betriebsvereinbarung<br />

durch den Arbeitgeber regelt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 06.04.2009, 9 TaBVGa 15/09<br />

268. Personalratsmitglied, fiktive Karrierenachzeichnung,<br />

Benachteiligungsverbot<br />

II. Die Berufung ist auch begründet. Der für die anspruchsbegründenden<br />

Tatsachen darlegungspflichtige Kläger hat keine<br />

hinreichenden Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass er ohne<br />

Freistellung als Personalratsmitglied ab dem 1. Dezember<br />

2004 Vergütung nach Vergütungsgruppe IV a BAT bzw.<br />

Entgelt nach Entgeltgruppe 10 TV-L erhalten hätte.<br />

1. Ein Anspruch des Klägers auf die begehrte Höhergruppierung<br />

setzt voraus, dass sein Arbeitsentgelt ansonsten hinter<br />

demjenigen seiner vergleichbaren <strong>Kollegen</strong> ohne Personalratsamt<br />

zurückb<strong>liebe</strong>. Ist dies der Fall, besteht ein unmittelbarer<br />

gesetzlicher Anspruch. Deshalb kann ein Personalratsmitglied<br />

den Arbeitgeber, ohne dass es auf dessen Verschulden<br />

ankäme, unmittelbar auf die Zahlung der Vergütung in Anspruch<br />

nehmen, wenn er ohne seine Freistellung mit Aufgaben<br />

betraut worden wäre, welche die Eingruppierung in der<br />

höheren Vergütungsgruppe rechtfertigen (BAG v. 27.6.2001 –<br />

7 AZR 496/99 – BAGE 98, 164 = AP BPersVG § 46 Nr. 23 =<br />

EzA BPersVG § 46 Nr. 1; v. 29.10.1998 – 7 AZR 676/96 – BAGE<br />

90, 106 = AP BPersVG § 46 Nr. 22 = EzA GG Art. 33 Nr. 20; v.<br />

26.9.1990 – 7 AZR 208/89 – BAGE 66, 85 = AP BPersVG § 8<br />

Nr. 4).<br />

a) Gemäß § 41 Abs. 1 NPersVG dürfen die Mitglieder des<br />

Personalrats wegen ihrer Tätigkeit, auch nach ihrem Ausscheiden<br />

aus dem Personalrat, nicht benachteiligt oder<br />

begünstigt werden. Dieses Benachteiligungsverbot erlangt<br />

besondere Bedeutung bei Personalratsmitgliedern, die über<br />

einen längeren Zeitraum wegen ihres Mandats vom Dienst<br />

210 03/09<br />

vollständig freigestellt sind. Gr<strong>und</strong>sätzlich darf es den freigestellten<br />

Personalratsmitgliedern nicht zum Nachteil gereichen,<br />

dass sie aufgr<strong>und</strong> der Freistellung ihr Fachwissen <strong>und</strong> ihre<br />

spezifische Berufserfahrung nicht so weiterentwickeln konnten<br />

wie dies Mitbewerbern möglich ist (Kümmel/Palm/Soluk,<br />

Personalvertretungs- <strong>und</strong> Gleichstellungsrecht in Niedersachsen,<br />

Stand: September 2008, § 41 Rz 5 m.w.N.). Deshalb muss<br />

der berufliche Werdegang von freigestellten Personalratsmitgliedern<br />

zur Gewährleistung von Höhergruppierungsmöglichkeiten<br />

fiktiv nachgezeichnet werden (BAG v. 27.6.2001 – 7<br />

AZR 496/99 – BAGE 98, 164 = AP BPersVG § 46 Nr. 23 = EzA<br />

BPersVG § 46 Nr. 1; Kümmel/Palm/Soluk, a.a.O.).<br />

b) Das Personalratsmitglied muss eine dienststellenübliche<br />

Entwicklung mitmachen; das ist diejenige, die bei objektiv vergleichbarer<br />

Tätigkeit Arbeitnehmer mit vergleichbarer fachlicher<br />

<strong>und</strong> persönlicher Qualifikation genommen haben (BAG<br />

v. 27.6.2001 – 7 AZR 496/99 – a.a.O.; Bieler/Müller-Fritzsche,<br />

NPersVG, 13. Auflage, § 41 Rn 16). Das Personalratsmitglied ist<br />

so zu behandeln wie ein vergleichbarer Kollege ohne Personalratsamt.<br />

Dabei ist auch darauf zu achten, dass das freigestellte<br />

Personalratsmitglied im Verhältnis zu den übrigen<br />

Beschäftigten nicht bevorzugt wird. Denn zur Wahrung der<br />

inneren Unabhängigkeit der Personalratsmitglieder verbietet<br />

§ 41 Abs. 1 NPersVG gleichermaßen eine Begünstigung wie<br />

eine Benachteiligung des freigestellten Personalratsmitglieds<br />

(BAG v. 27.6.2001 – 7 AZR 496/99 – a.a.O.; BAG v. 29.10.1998 –<br />

7 AZR 202/97 – ZTR 1999, 235).<br />

c) Die Voraussetzungen der Höhergruppierung nach diesen<br />

Gr<strong>und</strong>sätzen sind von dem Personalratsmitglied darzulegen<br />

(BAG v. 27.6.2001 – 7 AZR 496/99 – a.a.O.). Dies kann unter<br />

anderem durch das Vorbringen erfolgen, dass der öffentliche<br />

Arbeitgeber Angestellte mit bestimmten Laufbahnvoraussetzungen<br />

nach feststehenden Maßstäben <strong>und</strong>/oder Zeitabläufen<br />

auf freiwerdende oder neu geschaffene Stellen einer<br />

höheren Vergütungsgruppe befördert <strong>und</strong> Personalratsmitglieder<br />

wegen ihrer Freistellung hiervon ausnimmt (BAG v.<br />

27.6.2001 – 7 AZR 496/99 – a.a.O. Rz 24; BAG v. 29.10.1998 –<br />

7 AZR 676/96 – BAGE 90, 106 = AP BPersVG § 46 Nr. 22 = EM<br />

GG Art. 33 Nr. 20). Dabei ist wie bei § 37 Abs. 4 BetrVG auf<br />

die betriebsübliche berufliche Entwicklung nicht freigestellter<br />

<strong>Kollegen</strong> abzustellen.<br />

d) Die Vorschrift garantiert dem Personalratsmitglied allerdings<br />

nicht die der Höhe nach absolut gleiche Vergütung, die<br />

vergleichbare Arbeitnehmer erhalten. Nach dem Zweck der<br />

Vorschrift, das Personalratsmitglied vor finanziellen Nachteilen<br />

wegen der Ausübung der Personalratstätigkeit zu schützen,<br />

kommt es vielmehr darauf an, ob die Gehaltsentwicklung<br />

des Personalratsmitglieds während der Dauer seiner Personalratstätigkeit<br />

in Relation zu derjenigen vergleichbarer Arbeitnehmer<br />

zurückgeb<strong>liebe</strong>n ist (BAG v. 19.1.2005 – 7 AZR<br />

208/04 – ZBVR online 2006 Nr. 5, 2 bis 5; BAG v. 17.5.1977 – 1<br />

AZR 458/74 – AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 28 = EzA BetrVG 1972<br />

§ 37 Nr. 54, jeweils zu Betriebsratsmitgliedern).<br />

2. Bei Anlegung dieser Maßstäbe hat der Kläger nicht dar-


gelegt, dass seine dienststellenübliche berufliche Entwicklung<br />

ohne seine Eigenschaft als Personalratsmitglied im Sinne der<br />

von ihm begehrten Höhergruppierung verlaufen wäre. Dies<br />

gilt auch, wenn man, ihm <strong>und</strong> dem Arbeitsgericht folgend, nur<br />

die von ihm genannten 13 Arbeitnehmer in die Vergleichsgruppe<br />

einbezieht.<br />

a) Dienststellenüblich ist eine berufliche Entwicklung, die<br />

auf einem gleichförmigen Verhaltens des Arbeitgebers <strong>und</strong><br />

einer bestimmten Regel beruht. Der Begriff der Üblichkeit<br />

bezeichnet den Normalfall, nicht den Ausnahmefall (BAG v.<br />

19.1.2005 – 7 AZR 208/04 – ZBVR online 2006, Nr. 5, 2 bis<br />

5; BAG v. 15.1.1992 – 7 AZR 194/91 – AP BetrVG 1972 § 37<br />

Nr. 84 = EzA BetrVG 1972 § 37 Nr. 110). Nicht ausreichend für<br />

die Betriebsüblichkeit ist die Darlegung, einige andere Arbeitnehmer<br />

hätten einen entsprechenden beruflichen Aufstieg<br />

genommen. Der Geschehensablauf muss vielmehr derart<br />

typisch sein, dass aufgr<strong>und</strong> der betrieblichen Gegebenheiten<br />

<strong>und</strong> Gesetzmäßigkeiten gr<strong>und</strong>sätzlich, das heißt wenigstens<br />

in der überwiegenden Mehrheit der vergleichbaren Fälle,<br />

mit der Höhergruppierung gerechnet werden kann (BAG v.<br />

27.6.2001 – 7 AZR 496/99 – a.a.O.; BAG v. 15.1.1992 – 7 AZR<br />

194/91 – AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 84 = EzA BetrVG 1972 § 37<br />

Nr. 110; LAG München v. 22.12.2005 – 4 Sa 736/05 –; LAG<br />

Düsseldorf v. 16.7.2004 –9Sa1306/03 – LAGE BetrVG 2001<br />

§ 37 Nr. 3 = DB 2005, 400).<br />

b) Vorliegend zeigt der vom Kläger dargelegte Sachverhalt<br />

keine solche Gleichförmigkeit des Arbeitgeberverhaltens oder<br />

der Gegebenheiten innerhalb der Dienststelle auf, dass innerhalb<br />

der Vergleichsgruppe die Höhergruppierung als Regelfall<br />

anzusehen wäre. Eine – denkbar – knappe Mehrheit der<br />

vergleichbaren Arbeitnehmer, wie vorliegend zugunsten des<br />

Klägers angenommen, trägt eine solche Annahme nicht. Das<br />

Zahlenverhältnis von 7:6 Arbeitnehmern lässt nicht erkennen,<br />

dass die Höhergruppierung die Regel, das Verbleiben in der<br />

niedrigeren Entgeltgruppe die Ausnahme darstellt. In einer<br />

solchen Konstellation kann nicht davon gesprochen werden,<br />

dass der Kläger wegen seiner Eigenschaft als freigestelltes Personalratsmitglied<br />

von einer allgemeinen Regel ausgenommen<br />

<strong>und</strong> schlechter gestellt worden wäre als die überwiegende<br />

Mehrheit seiner vergleichbaren <strong>Kollegen</strong>. Legte man den vom<br />

Kläger verwendeten Maßstab an <strong>und</strong> ließe jede rechnerische<br />

Mehrheit genügen, wären die Ergebnisse oft zufällig <strong>und</strong> gäben<br />

unter Umständen Arbeitnehmern Ansprüche, ohne dass<br />

sie einen typischen Geschehensablauf dargelegt hätten. Das<br />

Gericht folgt der Beklagten darin, dass die Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts, die sich das erkennende Gericht<br />

zu eigen macht, der Gefahr einer Benachteiligung freigestellter<br />

Personalratsmitglieder bereits dadurch wirksam begegnet,<br />

dass sie es zur Darlegung des Anspruchs genügen lässt,<br />

eine regelhafte Entwicklung bei vergleichbaren Beschäftigten<br />

aufzuzeigen. Relativierte man auch dieses Erfordernis noch,<br />

bestünde die Gefahr, Personalratsmitglieder wegen ihrer Freistellung<br />

zu bevorzugen, was jedoch, wie oben unter 1. b) dar-<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

gestellt, durch § 41 Abs. 1 NPersVG ebenso verhindert werden<br />

soll wie ihre Benachteiligung.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 27.03.2009, 10 Sa 451/08 E<br />

269. Mitbestimmung des Betriebsrates in personellen Einzelmaßnahmen,<br />

Rechtsschutzinteresse, NV-Bühne<br />

Die Antragstellerin beschäftigt in ihrem Staatstheater 10 Beleuchtungsmeister,<br />

die unbefristet auf Gr<strong>und</strong>lage des TVöD<br />

angestellt sind. Im Dezember 2007/März 2008 teilte sie dem<br />

Betriebsrat mit, sie beabsichtige einen neuen Beleuchtungsmeister<br />

befristet auf Gr<strong>und</strong>lage des sog. Normalvertrag Bühne<br />

einzustellen. Nach § 67 NV Bühne ist eine Gage frei anzuhandeln.<br />

Trotz Widerspruchs des Betriebsrats vollzog die Antragstellerin<br />

die Einstellung. Einen Antrag nach § 100 BetrVG hat der<br />

Betriebsrat nicht gestellt. Die Antragstellerin begehrt nun mit<br />

mehreren Feststellungsanträgen zu klären, dass dem Betriebsrat<br />

bei einer Einstellung nach NV Bühne keine Mitbestimmungsrechte<br />

zustehen.<br />

Soweit sich die Feststellungsanträge auf die vollzogene Einzelmaßnahme<br />

beziehen, sind sie unzulässig, weil das Verfahren<br />

nach §§ 99, 100 BetrVG den Rechtsschutz umfassend ausgestaltet<br />

Ein weitergehendes Feststellungsinteresse des Arbeitgebers<br />

ist nicht gegeben.<br />

Soweit die Antragstellerin einen allgemeinen Feststellungsantrag<br />

für die Zukunft gestellt hat, ist dieser zulässig, aber unbegründet.<br />

Dem Betriebsrat stehen auch bei der Vereinbarung<br />

des NV Bühne Mitbestimmungsrechte zu, deren Umfang im<br />

vorliegenden Verfahren nicht im Einzelnen geklärt zu werden<br />

braucht. Zwar enthält der NV Bühne selbst keine Vergütungsordnung.<br />

Schon die Entscheidung des Arbeitgebers im Vorfeld,<br />

ob eine Einstellung auf der Basis des TVöD oder des NV<br />

Bühne erfolgen soll, stellt aber eine mitbestimmungspflichtige<br />

Eingruppierungsentscheidung dar (im Anschluss an BAG vom<br />

26.10.2004 – 1 ABR 37/03 – <strong>und</strong> vom 17.06.2008 – 1 ABR<br />

37/07).<br />

Dem steht auch § 118 Abs. 1 BetrVG nicht entgegen, da hier<br />

keine Beschäftigten betroffen sind, die an der Tendenzverwirklichung<br />

unmittelbar <strong>und</strong> maßgeblich beteiligt sind.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

Vom 07.04.2009, 11 TaBV 91/08<br />

270. Betriebsratswahl, Wahlanfechtung, Abwahl BR-<br />

Vorsitzender, ordnungsgemäße Einladung<br />

... II. Die Anträge sind zulässig, aber unbegründet.<br />

Die am 4. September 2008 erfolgte Abwahl des Betriebsratsvorsitzenden<br />

<strong>und</strong> seiner Stellvertreterin sowie die am selben<br />

Tag durchgeführte Neuwahl sind weder anfechtbar noch nichtig.<br />

Eine Wahl/Abwahl des Betriebsratsvorsitzenden <strong>und</strong> seines<br />

Stellvertreters ist auf ihre Rechtmäßigkeit hin gerichtlich<br />

überprüfbar (BAG v. 13.11.1991 – 7 ABR 8/91, AP Nr. 9 zu<br />

211


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

§ 26 BetrVG 1972; Fitting, 23. Auflage 2006, § 26 BetrVG,<br />

Rn 45 m.w.N.). Eine besondere Rechtsfolgenregelung bei<br />

Verstößen gegen Wahlvorschriften enthält das Gesetz nur in<br />

§ 19 BetrVG für die Betriebsratswahl selbst, die binnen einer<br />

Frist von zwei Wochen seit Bekanntgabe des Wahlergebnisses<br />

beim Arbeitsgericht angefochten werden kann. Das bedeutet,<br />

dass auch ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich nicht zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl führt,<br />

sondern sich auf die Wahl nur auswirkt, wenn diese fristgerecht<br />

von einem nach § 19 Abs. 2 BetrVG Anfechtungsberechtigten<br />

gerichtlich angefochten wird. Aber auch im Falle einer<br />

erfolgreichen Wahlanfechtung bleibt der Betriebsrat bis zur<br />

Rechtskraft der die Wahl anfechtenden gerichtlichen Entscheidung<br />

mit allen betriebsverfassungsrechtlichen Befugnissen im<br />

Amt; die gerichtliche Entscheidung hat rechtsgestaltenden<br />

Charakter <strong>und</strong> wirkt nur für die Zukunft (BAG v. 13. 3.1991 –<br />

7 ABR 5/90 – EzA § 19 BetrVG 1972 Nr. 29). Diese gesetzliche<br />

Rechtsfolgenregelung dient der Rechtssicherheit. Mit der<br />

betriebsverfassungsrechtlichen Stellung <strong>und</strong> Bedeutung des<br />

Betriebsrates wäre es unvereinbar, wenn die Gültigkeit seiner<br />

Wahl immer wieder in Zweifel gezogen werden könnte <strong>und</strong><br />

es längere Zeit ungewiss b<strong>liebe</strong>, ob der Betriebsrat überhaupt<br />

rechtmäßig amtiert. Deshalb nimmt es der Gesetzgeber im<br />

Interesse einer funktionierenden Betriebsverfassung hin, dass<br />

auch der unter Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften<br />

gewählte Betriebsrat endgültig im Amt bleibt, wenn die<br />

Wahl nicht rechtzeitig angefochten wird, <strong>und</strong> dass er bei<br />

erfolgreicher Anfechtung sein Amt erst mit der Rechtskraft<br />

der gerichtlichen Entscheidung verliert. Angesichts der Sonderregelung<br />

des § 19 BetrVG kann die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl,<br />

die jederzeit von jedermann geltend gemacht<br />

werden könnte, nur bei so schwerwiegenden offensichtlichen<br />

Gesetzesverstößen angenommen werden, dass nicht einmal<br />

der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl vorliegt.<br />

Zugunsten eines aus solchen Wahlen hervorgegangenen<br />

Betriebsrates ist ein Vertrauensschutz nicht geboten; vielmehr<br />

ist die Wahl von vornherein ungültig, so dass die Gewählten<br />

nicht die Rechtsstellung von Betriebsratsmitgliedern erlangen<br />

(BAG v. 27.4.1976 – 1 AZR 482/75 – AP Nr. 4 zu § 19 BetrVG<br />

1972 m.w.N.).<br />

Das Fehlen einer entsprechenden Anfechtungsregelung für<br />

betriebsratsinterne Wahlen kann nicht bedeuten, dass ein Gesetzesverstoß<br />

bei solchen Wahlen stets <strong>und</strong> ohne weiteres<br />

die Nichtigkeit der Wahl zur Folge haben müsste. Gerade die<br />

Wahl des Betriebsratsvorsitzenden <strong>und</strong> seines Stellvertreters,<br />

um die es hier geht, sind Organisationsakte, die die Funktionsfähigkeit<br />

des Betriebsrates erst herstellen. Der Betriebsratsvorsitzende<br />

oder im Falle seiner Verhinderung sein Stellvertreter<br />

beruft die Sitzungen des Betriebsrats ein, setzt die Tagesordnung<br />

fest <strong>und</strong> leitet die Verhandlung, er hat die Betriebsratsmitglieder<br />

zu den Sitzungen rechtzeitig unter Mitteilung der<br />

Tagesordnung zu laden (§ 29 12 BV 666/08 Abs. 2 BetrVG); er<br />

vertritt den Betriebsrat im Rahmen der von ihm gefassten Beschlüsse<br />

<strong>und</strong> ist zur Entgegennahme der dem Betriebsrat ge-<br />

212 03/09<br />

genüber abzugebenden Erklärungen berechtigt (§ 26 Abs. 2<br />

Satz 2 BetrVG). Wäre die Wahl des Vorsitzenden oder seines<br />

Stellvertreters bei einem Verstoß gegen Wahlvorschriften<br />

ohne weiteres von Anfang an nichtig, so könnte ein fehlerhaft<br />

gewählter Vorsitzender keine Betriebsratssitzung einberufen,<br />

keine Tagesordnung festsetzen <strong>und</strong> keine Betriebsratssitzung<br />

leiten. Die Arbeit des Betriebsrates wäre in einem solchen<br />

Falle weitgehend lahm gelegt. Bei Zweifeln darüber, ob die<br />

Wahl unter Verstoß gegen Wahlvorschriften erfolgt ist <strong>und</strong><br />

ob das Wahlergebnis durch den Verstoß beeinflusst werden<br />

konnte, b<strong>liebe</strong> bis zu einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung<br />

in der Schwebe, ob der Gewählte überhaupt berechtigt<br />

war, Vorsitzendenfunktionen auszuüben, <strong>und</strong> ob die<br />

Beschlüsse, die der Betriebsrat in den von ihm unter Festsetzung<br />

der Tagesordnung einberufenen Sitzungen gefasst hat,<br />

wirksam sind oder nicht. Ein solcher Schwebezustand, der<br />

unter Umständen lange andauern könnte, weil die gerichtliche<br />

Geltendmachung der Nichtigkeit nicht an Fristen geb<strong>und</strong>en<br />

ist, wäre mit einer funktionierenden Betriebsverfassung<br />

unvereinbar. Die hier erforderliche Rechtssicherheit gebietet<br />

es deshalb, die Rechtsfolge der Nichtigkeit der Wahl des Betriebsratsvorsitzenden<br />

oder seines Stellvertreters ebenso wie<br />

bei der Wahl des Betriebsrates selbst auf besonders krasse<br />

Fälle von Gesetzesverstößen zu beschränken, bei denen nicht<br />

einmal der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl<br />

vorliegt, im Übrigen aber in entsprechender Anwendung des<br />

§ 19 BetrVG nur die fristgeb<strong>und</strong>ene Anfechtung beim Arbeitsgericht<br />

zuzulassen mit der Folge, dass der fehlerhaft gewählte<br />

Betriebsratsvorsitzende oder sein Stellvertreter bis zur Rechtskraft<br />

der die Wahl für unwirksam erklärenden gerichtlichen<br />

Entscheidung im Amt bleibt. Diese Erwägungen gelten auch<br />

für die hier ebenfalls in Frage stehende gesonderte Abwahl<br />

des Betriebsratsvorsitzenden <strong>und</strong> seines Stellvertreters. Auch<br />

insofern entstünde ein nicht hinzunehmender Schwebezustand,<br />

sofern Zweifel darüber bestehen, ob die Abwahl unter<br />

Verletzung wesentlicher Vorschriften erfolgt ist.<br />

Vorliegend ist die zweiwöchige Anfechtungsfrist des § 19<br />

Abs. 2 Satz 2 BetrVG gewahrt. Die am 4. September 2008<br />

erfolgte Abwahl <strong>und</strong> Neuwahl des/der Betriebsratsvorsitzenden<br />

<strong>und</strong> seiner Stellvertreterin hat der Beteiligte zu 1) mit<br />

am 18. September 2008 beim Arbeitsgericht eingegangenem<br />

Schriftsatz angefochten.<br />

Der Beteiligte zu 1) ist als Betriebsratsmitglied auch anfechtungsbefugt.<br />

Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG sind zur<br />

Anfechtung einer Betriebsratswahl mindestens drei Wahlberechtigte,<br />

eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder<br />

der Arbeitgeber berechtigt. Bei einer betriebsratsinternen<br />

Wahl muss an die Stelle der Anfechtungsbefugnis von drei<br />

wahlberechtigten Arbeitnehmern die Anfechtungsbefugnis<br />

eines einzelnen Betriebsratsmitgliedes treten. Die Mindestzahl<br />

von drei Wahlberechtigten kann auf betriebsratsinterne<br />

Wahlen nicht übertragen werden. Wenn das Gesetz die<br />

Wahlanfechtungsbefugnis des einzelnen Wahlberechtigten<br />

bei Betriebsratswahlen daran knüpft, dass außer ihm noch


mindestens zwei weitere wahlberechtigte Arbeitnehmer die<br />

Wahl anfechten, so soll dieses Erfordernis sicherstellen, dass<br />

die Wahlanfechtung des einzelnen Arbeitnehmers wirklich<br />

ernst zu nehmen ist <strong>und</strong> der Fortbestand des gewählten<br />

Betriebsrats nicht durch eine querulatorische Wahlanfechtung<br />

unnötig in der Schwebe gehalten wird. Die Gefahr einer<br />

querulatorischen Wahlanfechtung ist bei der Anfechtung betriebsratsinterner<br />

Wahlen durch Mitglieder des Betriebsrates<br />

weitaus geringer, so dass hier die Wahlanfechtung durch<br />

ein Betriebsratsmitglied genügen muss. Das ist aber auch<br />

deswegen geboten, weil sonst bei kleineren Betriebsräten<br />

eine Wahlanfechtung durch eine überstimmte Minderheit<br />

von Betriebsratsmitgliedern gar nicht möglich wäre (BAG v.<br />

13.11.1991, a.a.O.)<br />

In entsprechender Anwendung von § 19 Abs. 1 BetrVG kann<br />

auch die Wahl des Betriebsratsvorsitzenden <strong>und</strong> seines Stellvertreters<br />

nur dann wirksam angefochten werden, wenn gegen<br />

wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit<br />

oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist <strong>und</strong><br />

eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch<br />

den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst<br />

werden konnte. Nicht jeder Verstoß, sondern nur ein<br />

Verstoß gegen wesentliche Vorschriften berechtigt demnach<br />

zur Anfechtung. Als wesentlich sind solche Vorschriften anzusehen,<br />

die tragende Gr<strong>und</strong>sätze der Betriebsratswahl bzw. der<br />

Wahl des Vorsitzenden enthalten. Hierzu zählen gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

die zwingenden Regelungen, während bloße Ordnungsvorschriften<br />

oder Sollbestimmungen die Anfechtung der Wahl<br />

im Allgemeinen nicht rechtfertigen (Fitting, 23. Auflage 2006,<br />

§ 19 BetrVG, Rn 10 m.w.N.).<br />

Ein solcher Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das<br />

Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren ist vorliegend<br />

nicht gegeben.<br />

Gemäß § 26 Abs. 1 BetrVG wählt der Betriebsrat aus seiner<br />

Mitte den Vorsitzenden <strong>und</strong> dessen Stellvertreter. Nähere<br />

Wahlvorschriften bestehen nicht. Mangels ausdrücklicher<br />

Vorschriften ist auch eine mündliche Stimmabgabe, unter<br />

Umständen sogar eine Wahl durch Zuruf ausreichend, sofern<br />

diese Stimmabgabe eine einwandfreie Feststellung des<br />

Wahlergebnisses gestattet (Fitting, 23. Auflage 2006, § 26<br />

BetrVG, Rn 9 m.w.N.). Die Wahl des Vorsitzenden <strong>und</strong> seines<br />

Stellvertreters sind gesondert, also in je einem Wahlgang<br />

vorzunehmen. Gewählt ist, wer jeweils die meisten Stimmen<br />

auf sich vereinigt. Im Einzelnen kann der Betriebsrat den<br />

Wahlmodus unter Beachtung der vorstehenden Gr<strong>und</strong>sätze<br />

selbst festlegen (Fitting, 23. Auflage 2006, § 26 BetrVG, Rn 12<br />

m.w.N.). Da das Gesetz für die Wahl keine qualifizierte<br />

Mehrheit fordert, ist gewählt, wer im jeweiligen Wahlgang<br />

die meisten Stimmen auf sich vereinigt.<br />

Eine für eine ordnungsgemäße Wahl erforderliche wesentliche<br />

Verfahrensvoraussetzung ist in jedem Falle die<br />

ordnungsgemäße Ladung der Betriebsratsmitglieder <strong>und</strong><br />

die Beschlussfähigkeit des Betriebsrats bei der Wahl (Fitting,<br />

23. Auflage 2006, § 26 Rn 46).<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

Beides war vorliegend gegeben. Der Betriebsrat war bei<br />

Durchführung der Abwahl sowie der Neuwahl am 4. September<br />

2008 beschlussfähig. Beschlussfähigkeit ist gemäß § 33<br />

Abs. 2 BetrVG gegeben, wenn mindestens die Hälfte der<br />

Mitglieder des Betriebsrats an der Beschlussfassung teilnimmt.<br />

An der Beschlussfassung hinsichtlich der Abwahl des<br />

Betriebsratsvorsitzenden sowie der stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden<br />

nahmen jeweils 14, an der Beschlussfassung<br />

hinsichtlich der Neuwahl jeweils 15 Betriebsratsmitglieder<br />

bzw. Ersatzmitglieder teil <strong>und</strong> damit mehr als die Hälfte<br />

der Mitglieder des Betriebsrats. Die Betriebsratsmitglieder<br />

waren auch ordnungsgemäß zur Sitzung am 4. September<br />

2008 gemäß § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG geladen worden.<br />

Dass es eine rechtzeitige Ladung gab, ist zwischen den<br />

Beteiligten nicht streitig. Diese Ladung erfolgte auch durch<br />

den Beteiligten zu 1) unter gleichzeitiger Übersendung der<br />

Tagesordnung.<br />

Ein Verstoß gegen eine wesentliche Verfahrensvorschrift ergibt<br />

sich auch nicht daraus, dass auf der Tagesordnung die<br />

Ab- <strong>und</strong> Neuwahl des Vorsitzenden <strong>und</strong> des Stellvertreters in<br />

der Sitzung am 4. September 2008 nicht vorgesehen gewesen<br />

wäre, weshalb eine wirksame Beschlussfassung über diese<br />

Punkte nicht möglich gewesen wäre.<br />

Die vorherige Mitteilung der Tagesordnung soll den Betriebsratsmitgliedern<br />

Gelegenheit geben, sich ein Bild über die in<br />

der Sitzung zu treffenden Entscheidungen zu machen <strong>und</strong> es<br />

ihnen ermöglichen, sich auf die Beratung der einzelnen Tagesordnungspunkte<br />

ordnungsgemäß vorzubereiten. Nur bei<br />

Kenntnis der Tagesordnung hat ein verhindertes Betriebsratsmitglied<br />

die Möglichkeit, seine Betriebsratskollegen schon<br />

vorher über seine Auffassung zu unterrichten <strong>und</strong> sie zu überzeugen.<br />

Außerdem eröffnet die vorherige Bekanntgabe der<br />

Tagesordnung dem Betriebsratsmitglied die Möglichkeit zu<br />

prüfen, ob es eine bestimmte Terminskollision zugunsten der<br />

Betriebsratssitzung oder zugunsten des anderen Termins löst<br />

(BAG v. 28.10.1992 – 7 ABR 14/92 –, AP Nr. 4 zu § 29 BetrVG<br />

1972; BAG v. 24.5.2006 – 7 ABR 201/05 –, AP Nr. 6 zu § 29<br />

BetrVG 1972).<br />

Diesen Gr<strong>und</strong>sätzen über Sinn <strong>und</strong> Zweck der Tagesordnung<br />

wird die Tagesordnung der Sitzung vom 4. September 2008<br />

hinsichtlich der Neuwahl in noch ausreichender Weise gerecht.<br />

Die Neuwahl des 1. <strong>und</strong> 2. Vorsitzenden war gemäß TOP 16<br />

der Tagesordnung für den 4. September 2008 vorgesehen.<br />

Es existierte mithin ein eigenständiger Tagesordnungspunkt<br />

hinsichtlich der Neuwahl. Für die Betriebsratsmitglieder war<br />

daher in hinreichend deutlicher Weise aus der Tagesordnung<br />

erkennbar, dass es im Rahmen der Sitzung zu einer Neuwahl<br />

kommen konnte. Gemäß TOP 12 sollten verschiedene Optionen<br />

zum Abbau bestehender Spannungen zwischen dem<br />

Vorsitzenden <strong>und</strong> der Stellvertreterin beraten <strong>und</strong> hierüber<br />

abgestimmt werden. Dort ist ausdrücklich nicht nur von einer<br />

diesbezüglichen Beratung, sondern auch von einer Abstimmung<br />

die Rede. Dies sieht auch der Beteiligte zu 1). Es sollte<br />

213


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

im Rahmen dieses Tagesordnungspunktes eine Entscheidung<br />

darüber getroffen werden, in welcher Weise zum Zwecke des<br />

Spannungsabbaus weiter verfahren werden sollte. Die vier<br />

Möglichkeiten, die insofern nach Auffassung des Betriebsrats<br />

in Betracht kamen, waren unter TOP 12 als Ziffern 1) bis 4)<br />

aufgelistet. Sodann finden sich diese Möglichkeiten nochmals<br />

als eigenständige Tagesordnungspunkte 13 bis 16. Die jeweils<br />

weiter notwendigen Schritte, je nachdem für welche<br />

Möglichkeit man sich unter TOP 12 entschied, waren aufgeführt.<br />

Eine solche Aufnahme der Optionen als eigenständige<br />

Tagesordnungspunkte <strong>und</strong> insbesondere auch der Neuwahl<br />

mit mehreren Unterpunkten, die regeln, worüber zu entscheiden<br />

ist, macht nur Sinn, wenn die Neuwahl – für den Fall,<br />

dass dies die Option sein sollte; für die sich das Gremium<br />

unter TOP 12 mehrheitlich entschied – noch in der Sitzung<br />

am 4. September 2008 erfolgen sollte. Die Optionen selbst<br />

waren bereits unter TOP 12 genannt. Ihre Wiederholung als<br />

eigenständige Tagesordnungspunkte musste bedeuten, dass<br />

die für die Durchführung der jeweiligen Option notwendigen<br />

Schritte im Anschluss an die Entscheidung für die jeweilige<br />

Option unmittelbar umgesetzt werden sollten.<br />

Dem steht auch nicht entgegen, dass unter TOP 12 nicht nur<br />

eine Beratung <strong>und</strong> Abstimmung über das weitere Vorgehen,<br />

sondern auch über den „Wahlmodus“ erfolgen sollte. Was<br />

hiermit in der konkreten Situation gemeint war, kann dahinstehen;<br />

denn jedenfalls ist nicht ersichtlich, weshalb eine zusätzlich<br />

vorgesehene Abstimmung über einen „Wahlmodus“<br />

den Schluss zulassen sollte oder gar müsste, man habe ausschließlich<br />

über diesen Wahlmodus entscheiden <strong>und</strong> nicht<br />

die Wahl durchführen wollen, nachdem sie als eigenständiger<br />

Tagesordnungspunkt ebenfalls, aufgeführt war <strong>und</strong> es unter<br />

TOP 16 ausdrücklich heißt: „Je nach Abstimmungsergebnis<br />

gegebenenfalls. ... 2) Vorschläge für die/den Vorsitzenden<br />

<strong>und</strong> Durchführung der geheimen Wahl. ... “.<br />

Aber auch die der Neuwahl vorangegangene Abwahl ist nicht<br />

wegen eines Verstoßes gegen eine wesentliche Verfahrensvorschrift<br />

unwirksam, weil sie auf der Tagesordnung nicht<br />

explizit vorgesehen war. Zwar war eine eigenständige Abwahl<br />

auf der Tagesordnung tatsächlich nicht genannt. Jedoch ist<br />

eine eigenständige „Abwahl“ auch nicht erforderlich. Der Vorsitzende<br />

<strong>und</strong> der stellvertretende Vorsitzende können jederzeit<br />

durch Betriebsratsbeschluss abberufen werden (Fitting,<br />

23. Auflage 2006, § 26 BetrVG Rn 20). In einem Beschluss, in<br />

dem der Betriebsrat einen neuen Vorsitzenden <strong>und</strong> einen<br />

neuen stellvertretenden Vorsitzenden wählt, ist zwingend die<br />

Abberufung des bisherigen Amtsinhabers enthalten, sofern er<br />

oder sie nicht im Rahmen der Neuwahl im Amt bestätigt wird.<br />

An seine oder ihre Stelle ist dann automatisch der oder die<br />

neu gewählte Vorsitzende getreten. Daraus ergibt sich, dass<br />

jedenfalls in der der eigenständigen Abwahl unmittelbar zeitlich<br />

nachfolgenden Neuwahl, wenn diese wirksam erfolgt ist,<br />

eine wirksame Abwahl der bisherigen Amtsinhaber enthalten<br />

ist.<br />

Auch sonstige Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften<br />

214 03/09<br />

im Zusammenhang mit den erfolgten Wahlen sind nicht<br />

gegeben. Entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 1)<br />

ist nicht erkennbar, dass die Tagesordnungspunkte 13, 14<br />

<strong>und</strong> 15 „gesetzeswidrig nicht abgearbeitet“ worden sein<br />

sollen, „obwohl sie ausweislich der Tagesordnung abzuarbeiten<br />

gewesen wären“. Vielmehr erfolgte ausweislich des<br />

Protokolls unter TOP 12 die laut Tagesordnung vorgesehene<br />

Abstimmung über die vier Optionen. In geheimer Wahl<br />

stimmte man über diese Lösungsansätze ab, also darüber,<br />

wie man als Betriebsratsgremium weiter vorgehen wollte,<br />

um die Spannungen zwischen dem Vorsitzenden <strong>und</strong> seiner<br />

Stellvertreterin abzubauen. An dieser Abstimmung nahmen<br />

15 Betriebsratsmitglieder teil. Zehn davon stimmten für<br />

die Option 4), also die Neuwahl des Vorsitzenden <strong>und</strong> des<br />

stellvertretenden Vorsitzenden. Damit war mehrheitlich die<br />

Entscheidung gefallen, dass es zu einer Neuwahl kommen<br />

sollte <strong>und</strong> die anderen drei Vorschläge nicht weiterverfolgt<br />

werden sollten. Deren weitere Behandlung. war damit<br />

entbehrlich. Welche zusätzliche Erörterung <strong>und</strong>/oder sogar<br />

Abstimmung unter den Tagesordnungspunkten 13 bis 15<br />

noch hätte erfolgen sollen, ist nicht erkennbar. Nach der<br />

Konzeption der vier verschiedenen Lösungsansätze, zwischen<br />

denen unter TOP 12 eine Entscheidung getroffen werden<br />

sollte, war die logische Folge, dass nur einer der TOPs 13 bis<br />

16 behandelt <strong>und</strong> dort, soweit erforderlich, eine weitere<br />

Abstimmung erfolgen würde. Anhaltspunkte dafür, dass<br />

„putschartig“ die Tagesordnung verkürzt worden sein soll,<br />

<strong>und</strong> damit in dem Demokratieprinzip widersprechender<br />

Weise Rechte des Betriebsrats verkürzt wurden, bestehen<br />

danach nicht.<br />

Ein Verstoß gegen eine wesentliche Wahlvorschrift ergibt sich<br />

auch nicht daraus, dass der Beteiligte zu 1) ausweislich des<br />

Protokolls darauf hingewiesen hatte, dass die Wahl unter TOP<br />

16 anfechtbar sei. Damit äußerte er seine Rechtsauffassung,<br />

die er nunmehr im vorliegenden Verfahren weiter verfolgt.<br />

Inwiefern sich aus dem Umstand, dass er diese Meinung bereits<br />

in der Betriebsratssitzung äußerte, ein Verstoß gegen<br />

Wahlvorschriften ergeben soll, ist nicht erkennbar. Dies gilt<br />

insbesondere vor dem Hintergr<strong>und</strong>, dass man seine Einwendung<br />

aufgriff <strong>und</strong> sie zum Anlass nahm, noch einmal darüber<br />

nachzudenken <strong>und</strong> abzustimmen, ob die Wahl unter<br />

TOP 16 vertagt werden sollte. Mehrheitlich entschied sich<br />

das Gremium gegen eine solche Verschiebung. Es beschloss,<br />

dass trotz der Bedenken des Vorsitzenden an diesem Tage<br />

abgestimmt werden sollte. Ein „putschartiges Vorgehen“ kann<br />

auch hierin nicht erblickt werden, denn wie oben dargestellt<br />

war die Wahl auf der Tagsordnung enthalten, so dass man<br />

lediglich ein Festhalten an der ohnehin vorgesehenen Tagesordnung<br />

beschloss.<br />

§ 26 BetrVG wurde auch nicht durch direkte Durchführung<br />

der Wahl ohne vorherige Bestimmung des Wahlmodus<br />

ignoriert. Wiederum ist nicht nachvollziehbar, inwiefern erst<br />

ein bestimmter Wahlmodus hätte festgelegt werden müssen.<br />

Dass es zur Neuwahl kommen sollte <strong>und</strong> keine der anderen


Optionen gewählt werden sollte, hatte der Betriebsrat unter<br />

TOP 12 festgelegt. Über einen diesbezüglichen weiteren<br />

„Wahlmodus“ bestand daher, wie schon ausgeführt, kein<br />

Abstimmungsbedarf mehr. § 26 BetrVG sieht für die Wahl<br />

des Betriebsratsvorsitzenden einen bestimmten Wahlmodus<br />

zudem gerade nicht vor, so dass – wie erfolgt – mit einfacher<br />

Mehrheit gewählt werden konnte. Eine geheime Wahl war<br />

zwar notwendig, weil der Betriebsrat dies in der von ihm<br />

aufgestellten Tagesordnung unter TOP 16 so vorgesehen<br />

hatte; die Wahl erfolgte ausweislich des Protokolls aber auch<br />

geheim, so dass auch hier ein Verstoß gegen Wahlvorschriften<br />

nicht gegeben ist.<br />

Dahinstehen kann, ob es eine wesentliche Verfahrensvorschrift<br />

für die Wahl des Betriebsratsvorsitzenden <strong>und</strong> seines<br />

Stellvertreters nach § 26 Abs. 1 BetrVG darstellt, dass aus<br />

den Reihen des Betriebsrats Vorschläge für den zu wählenden<br />

Vorsitzenden/Stellvertreter gemacht werden. Denn<br />

ausweislich des Protokolls gab es verschiedene Kandidaten<br />

aus den Reihen des Betriebsrates, die sich zur Wahl zur<br />

Verfügung stellten. Auch insoweit liegt ein Verstoß gegen<br />

eine wesentliche Wahlvorschrift daher nicht vor, zumal eine<br />

Wahlordnung, die genauere Regelungen für den Ablauf der<br />

Wahl enthält, anders als bei der Betriebsratswahl hier nicht<br />

besteht.<br />

Da bereits ein Verstoß gegen eine wesentliche Vorschrift<br />

über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren,<br />

der die erfolgten Abwahl <strong>und</strong> Neuwahl des Vorsitzenden<br />

<strong>und</strong> der stellvertretenden Vorsitzenden anfechtbar machen<br />

würde, nicht gegeben ist, fehlt es erst recht an einem<br />

Gr<strong>und</strong> für deren Nichtigkeit. Denn eine Nichtigkeit ist nur<br />

in besonderen Ausnahmefällen anzunehmen, in denen gegen<br />

wesentliche Gr<strong>und</strong>sätze des Wahlrechts in einem so hohen<br />

Maße verstoßen worden ist, dass nicht einmal der Anschein<br />

einer dem Gesetz entsprechenden Wahl gegeben ist (BAG<br />

v. 19.11.2003 – 7 ABR 25/03 –, AP Nr. 55 zu § 19 BetrVG<br />

1972; Fitting, 23. Auflage 2006, § 19 BetrVG, Rn 4 m.w.N.).<br />

Anhaltspunkte hierfür bestehen, wie dargelegt, nicht.<br />

■ Arbeitsgericht Frankfurt am Main<br />

vom 31.03.2008, 12 BV 666/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Hansjörg Berrisch,<br />

Frankfurter Straße 15, 35390 Gießen<br />

Tel.: 0641/948480, Fax: 0641/9484820<br />

info@linder-berrisch.de<br />

271. Betriebsratswahl, Anfechtung, Betriebsbegriff; Mitbestimmung<br />

des Betriebsrats in personellen Angelegenheiten,<br />

Einstellung, Leiharbeitnehmer<br />

II. 1. Der Zustimmungsersetzungsantrag <strong>und</strong> der Feststellungsantrag<br />

haben sich nicht mit Ablauf des 31. August 2008<br />

erledigt.<br />

Das wäre nur dann der Fall, wenn die Neuwahl des Betriebsrats<br />

vom 27./28. August 2008 wegen Verkennung des Betriebsbegriffs<br />

nichtig wäre. In diesem Fall wäre der früher<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

gewählte, aber zurückgetretene Betriebsrat bis zu einer wirksamen<br />

Neuwahl weiterhin im Amt (§§ 13 Abs. 2 Nr. 3, 22 BetrVG).<br />

Sein Übergangsmandat für den Betrieb der Beteiligten<br />

zu 3) wäre jedoch am 31. August 2008 abgelaufen (§ 21a<br />

Abs. 1 S. 3 BetrVG) mit der Folge, dass der Betrieb der Beteiligten<br />

zu 3) betriebsratslos geworden wäre <strong>und</strong> es für die<br />

Einstellung des Leiharbeitnehmers keiner Zustimmung mehr<br />

bedürfte.<br />

Die Betriebsratswahl vom 27./28. August 2008 ist jedoch nicht<br />

nichtig.<br />

Eine Betriebsratswahl ist nur dann nichtig, wenn gegen allgemeine<br />

Gr<strong>und</strong>sätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem<br />

Maße verstoßen worden ist, dass auch der Anschein einer dem<br />

Gesetz entsprechenden Wahl nicht vorliegt (BAG, Beschl. v. 22.<br />

März 2000 – 7 ABR 34/98 – AP Nr. 8 zu § 14 AUG = EzA § 14<br />

AUG Nr. 4). Das ist hier nicht der Fall.<br />

Möglicher Fehler ist vorliegend allein die Verkennung des<br />

Betriebsbegriffs des § 1 Abs. 1 BetrVG. Sonstige formelle oder<br />

materielle Fehler werden von den Beteiligten zu 1) <strong>und</strong> zu 3)<br />

nicht geltend gemacht. Eine Nichtigkeit der Wahl könnte sich<br />

folglich nur aus einer ganz offensichtlich groben Verkennung<br />

des Betriebsbegriffs ergeben. Das ist nicht der Fall.<br />

Die Frage, ob mehrere Betriebe oder ein gemeinsamer Betrieb<br />

mehrerer Unternehmen vorliegen, ist regelmäßig sehr kompliziert.<br />

Eine Verkennung des Betriebsbegriffs kann allenfalls<br />

dann zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl führen, wenn es<br />

sich ausnahmsweise um einen einfach gelagerten Sachverhalt<br />

handelt <strong>und</strong> eine grobe Verkennung der Rechtslage vorliegt.<br />

Um einen solch einfach gelagerten Sachverhalt handelt es sich<br />

vorliegend jedoch nicht.<br />

Zwar ist nicht ersichtlich, dass die Übertragung der Druckerei<br />

auf die Beteiligte zu 3) im Wege der Unternehmensspaltung<br />

(§ 123 UmwG) erfolgt ist, mit der Rechtsfolge der Vermutungsregelung<br />

des § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG. Zu berücksichtigen<br />

ist gleichwohl, dass die äußeren Umstände vorliegend den<br />

Umständen einer Unternehmensspaltung ähneln, an die die<br />

Vermutungsregelung des § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG anknüpft.<br />

Die örtlichen Gegebenheiten haben sich nicht geändert. Die<br />

Arbeitsabläufe sind vor <strong>und</strong> nach dem 29. Februar 2008 die<br />

gleichen. Die technischen Mitarbeiter der Druckerei erledigen<br />

weiterhin Arbeiten für den Verlag. Die Mitarbeiter des Verlags<br />

erledigen weiterhin Arbeiten für die Druckerei. Insbesondere<br />

hat die Beteiligte zu 3) keine eigene Personalverwaltung. Sie<br />

bedient sich der Personalverwaltung der Beteiligten zu 1).<br />

Zwar geschieht dies nach dem Vertrag vom 28. April 2007<br />

lediglich im Wege der Dienstleistung, ohne dass damit eine<br />

Bevollmächtigung zur Durchführung von personellen Einzelmaßnahmen<br />

verb<strong>und</strong>en ist <strong>und</strong> bei jedem nicht nur verwaltungsmäßigen<br />

Handeln die vorherige Weisung der Beteiligten<br />

zu 3) einzuholen ist. Zu berücksichtigen ist jedoch, ob<br />

<strong>und</strong> wie dieses tatsächlich umgesetzt wird, da die Beteiligte<br />

zu 3) keinen eigenen Verwaltungsapparat besitzt, zwei ihrer<br />

drei Geschäftsführer nicht vor Ort sind <strong>und</strong> der vor Ort tätige<br />

Geschäftsführer technischer Leiter der Druckerei ist. Bei dieser<br />

215


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

Sachlage kann dem Wahlvorstand keine offensichtlich grobe<br />

Verkennung des Betriebsbegriffs vorgeworfen werden, wie<br />

auch der Ausgang des einstweiligen Verfügungsverfahrens zu<br />

dem Aktenzeichen 4 BVGa 2/08, 2 TaBVGA 81/08 illustriert.<br />

2. Der Zustimmungsersetzungsantrag ist nicht deshalb unbegründet,<br />

weil die Beteiligte zu 1) den Betriebsrat nicht ausreichend<br />

gem. § 14 Abs. 3 AÜG i.V.m. § 99 Abs. 1 BetrVG unterrichtet<br />

hätte.<br />

a) Kein Streit besteht, dass dem Betriebsrat die Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis<br />

des Verleihers vorgelegt worden ist.<br />

Streit besteht lediglich darüber, ob im Übrigen der Unterrichtungspflicht<br />

des § 99 Abs. 1 BetrVG nachgekommen worden<br />

ist.<br />

b) Auch bei der Einstellung von Leiharbeitnehmern hat der<br />

Arbeitgeber den Betriebsrat gem. § 99 Abs. 1 BetrVG zu unterrichten.<br />

Dabei sind jedoch die Besonderheiten der Arbeitnehmerüberlassung<br />

zu berücksichtigen (BAG, Beschl. v. 14. Mai<br />

1974 – 1 ABR 40/73 – = AP Nr. 2 zu § 99 BetrVG). Deshalb<br />

hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat keine Bewerbungsunterlagen<br />

vorzulegen. Leiharbeitnehmer werden nicht aufgr<strong>und</strong><br />

einer Bewerbung bei dem Entleihunternehmen eingestellt,<br />

sondern durch den Verleiher dem Einsatzbetrieb zugewiesen<br />

(vgl. Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 3. Aufl., § 14, Rn 167<br />

m.w.N.). Der Betriebsrat rügt deshalb zu Unrecht, dass ihm<br />

keine Bewerbungsunterlagen vorgelegt worden sind. Die Bewerbungsunterlagen<br />

lagen dem Mitarbeiter der Personalabteilung<br />

der Beteiligten zu 1) als Prokuristen des Verleihers vor,<br />

nicht als Arbeitnehmer der Beteiligten zu 1).<br />

3. a) Der Betriebsrat hat keine berechtigten Zustimmungsverweigerungsgründe<br />

im Sinne des § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG<br />

vorgebracht.<br />

aa) Der Einsatz von Leiharbeitnehmern auf Dauerarbeitsplätzen<br />

stellt keinen Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 GG dar.<br />

Ein derartiger Einsatz verletzt weder die individuelle Koalitionsfreiheit<br />

noch die kollektive Koalitionsfreiheit. Dem<br />

einzelnen Arbeitnehmer wird durch den praktizierten Einsatz<br />

von Leiharbeitnehmern auf Dauerarbeitsplätzen nicht die<br />

Möglichkeit der koalitionsmäßigen Betätigung genommen.<br />

Auch das Recht der Koalitionen auf koalitionsmäßige Betätigung<br />

wird nicht entscheidend beeinträchtigt. Zwar eröffnet<br />

das derzeitige Recht der Arbeitnehmerüberlassung dem<br />

tarifgeb<strong>und</strong>enen Entleiher die Möglichkeit, auf Dauerarbeitsplätzen<br />

Leiharbeitnehmer einzusetzen, ohne dass für<br />

deren Arbeitsverhältnisse die im Betrieb maßgeblichen Tarifverträge<br />

zur Anwendung kommen. Der Entleiher wird jedoch<br />

durch Art. 9 Abs. 3 GG nicht in seiner Freiheit beschränkt<br />

zu entscheiden, ob er bestimmte Daueraufgaben in seinem<br />

Betrieb mit eigenen Vertragsarbeitnehmern durchführen,<br />

sie an Werk- oder Dienstvertragsnehmer vergeben oder mit<br />

Leiharbeitnehmern erledigen will. Die für den Entleiherbetrieb<br />

zuständigen Tarifvertragsparteien haben kein durch Art. 9<br />

Abs. 3 GG geschütztes Recht darauf, dass der Entleiher<br />

zur Erledigung der in seinem Betrieb anfallenden Arbeiten<br />

Arbeitsverträge abschließt (BAG, Beschl. v. 12. November<br />

216 03/09<br />

2002 – 1 ABR 1/02 – AP Nr. 41 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung<br />

= EzA § 99 BetrVG 2001 Nr. 1).<br />

bb) Der dauerhafte Einsatz von Leiharbeitnehmern im Entleiherbetrieb<br />

widerspricht nicht dem AÜG. Auch wenn ein reklamierter<br />

arbeitsmarktpolitischer Zweck der erweiterten Einsatzmöglichkeit<br />

von Leiharbeitnehmern ist, langfristig ihre Eingliederung<br />

in Dauerarbeitsverhältnisse zu bewirken, ist zu beachten,<br />

dass der Gesetzgeber durch den Entfall der zeitlichen<br />

Begrenzung der Entleihung (§ 3 Abs. 1 Nr. 6 AUG a.F.) die<br />

Möglichkeit eingeräumt hat, Leiharbeitnehmer auf Dauer zu<br />

entleihen.<br />

Es ist auch nicht zu erkennen, dass vorliegend die Entleihung<br />

rechtsmissbräuchlich ist. Zwar wird vertreten, dass die Berufung<br />

auf das AUG bei konzerninterner Arbeitnehmerüberlassung<br />

rechtsmissbräuchlich sei <strong>und</strong> damit gegen das AUG<br />

verstoße (Brors/Schüren, DB 2004, 2745; Ulber, AUG, 3. Aufl.,<br />

§ 1 AÜG, Rn 250d; LAG Berlin, Urt. v. 7. Januar 2005 –6Sa<br />

2008/04 – LAGE, § 14 TzBfG Nr. 19a; a.A. Wilhelmsen/Annuß,<br />

BB 2005, 437; LAG Nds., Beschl. v. 28. Februar 2006 – 13 TaBV<br />

56/05 – BB 2007, 2352, Rechtsbeschwerde – 1 ABR 41/06 –<br />

Rücknahme; v. 31. Oktober 2006 – 12 TaBV 1/06 – Rechtsbeschwerde<br />

– 1 ABR 5/07 – Einstellung wegen Erledigung; v.<br />

20. Februar 2007 – 9 TaBV 107/05 – Rechtsbeschwerde – 1<br />

ABR 42/07 – Einstellung wegen Erledigung u. v. 18. Februar<br />

2008 – 12 TaBV 142/07 – Rechtsbeschwerde anhängig zu 1<br />

ABR 35/08). Vorliegend handelt es sich aber schon nicht um<br />

konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung. Der Verleiher gehört<br />

nicht mehrheitlich zur WAZ-Mediengruppe. Die Beteiligte<br />

zu 1) ist lediglich mit 25% an dem Verleiher beteiligt. Der<br />

Verleiher ist auch außerhalb der WAZ-Mediengruppe tätig.<br />

cc) Der Ersatz tarifgeb<strong>und</strong>ener Arbeitsverhältnisse durch die<br />

dauerhafte Ausleihe von Arbeitnehmern nach dem AUG verstößt<br />

nicht gegen Art. 136 EG-Vertrag, der vorgibt, dass die<br />

Mitgliedsstaaten die Förderung der Beschäftigung <strong>und</strong> die<br />

Verbesserung der Lebens- <strong>und</strong> Arbeitsbedingungen verfolgen<br />

sollen. Art. 136 EG-Vertrag hat programmatischen Charakter,<br />

aber keinen Gesetzescharakter (Kerber, in: Calliess/Ruffert, EUV,<br />

EGV, Art. 136 Teil II EG-Vertrag, Rn 28). Zu berücksichtigen ist<br />

zudem, dass die auf der Basis des geänderten Kommissionsvorschlags<br />

vom 22. November 2002 am 22. Oktober 2008 beschlossene<br />

Leiharbeitsrichtlinie auf Art. 136 EG-Vertrag beruht<br />

<strong>und</strong> inhaltlich hinsichtlich der Verleihdauer, dem Gleichstellungsgebot<br />

<strong>und</strong> der Möglichkeit der tarifvertraglichen Abweichung<br />

vom Gleichstellungsgebot den Regelungen des AUG<br />

entspricht.<br />

dd) Der Einsatz der Arbeitnehmer verstößt schon deshalb<br />

nicht gegen Teil II Art. 12 Europäische Sozialcharta, weil diese<br />

Vertragsklausel lediglich die Vertragsstaaten völkerrechtlich<br />

verpflichtet, ohne für die Staatsangehörigen unmittelbare<br />

Rechte zu begründen. Welchen Verstoß gegen das Gebot<br />

dieser Klausel der Betriebsrat konkret rügt, ist zudem nicht<br />

dargetan.<br />

ee) Hinsichtlich des geltend gemachten Verstoßes gegen Teil<br />

II Art. 4 Europäische Sozialcharta gilt gleichfalls, dass aus der


völkerrechtlichen Vertragsklausel kein unmittelbarer Rechtsanspruch<br />

abzuleiten ist. Soweit mit dem Verweis auf diese<br />

Klausel gleichzeitig ein Verstoß gegen § 75 Abs. 1 BetrVG <strong>und</strong><br />

den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgr<strong>und</strong>satz sowie<br />

ein Verstoß gegen das Gleichstellungsgebot der §§ 3 Abs. 1<br />

Nr. 3, 9 Nr. 2 AÜG geltend gemacht ist, vermag dieses nicht<br />

die Zustimmungsverweigerung zu rechtfertigen.<br />

Gem. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG kann die Zustimmung nur verweigert<br />

werden, wenn die Einstellung selbst gegen ein Gesetz,<br />

einen Tarifvertrag oder eine sonstige Norm verstößt. Dafür genügt<br />

es nicht, dass einzelne Vertragsbedingungen rechtswidrig<br />

sind. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der<br />

Einstellung ist kein Instrument zur umfassenden Vertragsinhaltskontrolle<br />

(BAG, Beschl. v. 25. Januar 2005 – 1 ABR 61/03 –<br />

AP Nr. 48 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung = EzA § 99 BetrVG<br />

2001 Nr. 7).<br />

Die geringere Vergütung der Leiharbeitnehmer verletzt zudem<br />

weder den allgemeinen arbeitsvertraglichen Gleichbehandlungsgr<strong>und</strong>satz<br />

noch den Gr<strong>und</strong>satz von Recht <strong>und</strong> Billigkeit<br />

im Sinne des § 75 Abs. 1 BetrVG. Der Entleiher ist nicht<br />

Vertragsarbeitgeber des Leiharbeitnehmers. Er schuldet nicht<br />

dessen Vergütung. Leiharbeitnehmer <strong>und</strong> Vertragsarbeitnehmer<br />

stehen in unterschiedlichen Rechtsverhältnissen.<br />

Soweit der Betriebsrat geltend macht, der von dem Leiharbeitnehmer<br />

<strong>und</strong> seinem Verleiher in Bezug genommene Tarifvertrag<br />

sei unwirksam, sodass ein Verstoß gegen die §§ 3 Abs. 1<br />

Nr. 3, 9 Nr. 2 AÜG vorläge, handelt es sich um den Versuch<br />

einer Inhaltskontrolle des Vertrags. Diese Befugnis steht dem<br />

Betriebsrat des Entleihbetriebs nicht zu.<br />

Ein Beschäftigungsverbot im Sinne des § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG<br />

lässt sich nicht daraus herleiten, dass die Verletzung des<br />

Gleichstellungsgebots gem. § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG zur Versagung<br />

der Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung<br />

führt. Der Verleiher ist vorliegend im Besitz einer Erlaubnis.<br />

Ein etwaiger Verstoß gegen das Gleichstellungsgebot<br />

kann zwar gem. den §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 Nr. 3 AÜG zur Rücknahme<br />

oder zum Widerruf der Erlaubnis führen, aber nur mit<br />

Wirkung für die Zukunft.<br />

Auch aus der in § 9 Nr. 2 AUG angeordneten Unwirksamkeit<br />

einer das Gleichstellungsgebot missachtenden Vereinbarung<br />

zwischen Leiharbeitnehmer <strong>und</strong> Verleiher folgt kein gesetzliches<br />

Beschäftigungsverbot. Vielmehr ergibt sich aus den Regelungen<br />

in den §§ 10 Abs. 4, 13 AÜG, dass der bezweckte<br />

Schutz der Arbeitnehmer auf individualrechtlichem Weg erfolgt<br />

(BAG, Beschl. v. 25. Januar 2005, a.a.0.).<br />

ff) Hinsichtlich des geltend gemachten Verstoßes gegen Teil<br />

II Art. 21 der Europäischen Sozialcharta gilt gleichfalls, dass<br />

aus dieser völkerrechtlichen Vertragsklausel kein unmittelbarer<br />

Rechtsanspruch herzuleiten ist. Soweit der Betriebsrat damit<br />

zugleich die Verletzung seiner Beteiligungsrechte insbesondere,<br />

wie zusätzlich angeführt, nach den §§ 92a, 95 Abs. 1<br />

BetrVG geltend macht, berechtigt dieses nicht zu einer Zustimmungsverweigerung<br />

nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG. § 99<br />

Abs. 2 Nr. 1 BetrVG dient nicht der Sicherung der Beteiligungs-<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

rechte des Betriebsrats. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG ist nur gegeben,<br />

wenn die Einstellung für sich gegen ein Gesetz, einen<br />

Tarifvertrag oder eine sonstige Norm verstößt (BAG, Beschl. v.<br />

28. Januar 1986 – 1 ABR 10/84 – AP Nr. 34 zu § 99 BetrVG).<br />

gg) Soweit der Betriebsrat rügt, die Arbeitszeit des Leiharbeitnehmers<br />

verstoße gegen die Betriebsvereinbarung bezüglich<br />

der Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit, berechtigt<br />

das gleichfalls zu keinem Widerspruch nach § 99 Abs. 2 Nr. 1<br />

BetrVG.<br />

Betriebsvereinbarungen über die Verteilung der Arbeitszeit<br />

verbieten nicht die Einstellung als solches, sie hindern den Arbeitgeber<br />

allenfalls, den Leiharbeitnehmer ohne Zustimmung<br />

des Betriebsrats nach § 87 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG außerhalb<br />

der Grenzen der bestehenden Betriebsvereinbarung einzusetzen.<br />

hh) Soweit der Betriebsrat einen Verstoß gegen § 81 Abs. 1<br />

SGB IX rügt, rechtfertigt das gleichfalls nicht seine Zustimmungsverweigerung.<br />

Die Beteiligte zu 1) hat keine Pflicht nach § 81 Abs. 1 S. 1<br />

SGB IX verletzt, weil sie <strong>und</strong> nunmehr die Beteiligte zu 3)<br />

nicht Arbeitgeber der überlassenen Leiharbeitnehmer sind.<br />

Die Prüfpflicht trifft den Arbeitgeber. Wie Hamann (Schüren/Hamann,<br />

AÜG, 3. Aufl., § 14, Rn 193a) zutreffend ausführt,<br />

will der Entleiher gerade keine eigenen Arbeitnehmer einstellen<br />

<strong>und</strong> ist folglich auch nicht zur Prüfung nach § 81 Abs. 1<br />

S. 1 SGB IX verpflichtet.<br />

Soweit das Hessische Landesarbeitsgericht (Beschl. v. 24. April<br />

2007 – 4 TaBV 24/07 u. v. 27. Oktober 2007 – 4 TaBV 42/07)<br />

unter Berufung auf Großmann (GK-SGB IX, § 81 Rn 61, 62) die<br />

Ansicht vertritt, der Arbeitgeber müsse zunächst der Prüfpflicht<br />

des § 81 Abs. 1 S. 1 SGB IX genügen, bevor er einen<br />

freien Arbeitsplatz im Wege der internen Versetzung oder im<br />

Wege der Entleihung von Arbeitnehmern besetzt, überzeugt<br />

das nicht. In beiden Fällen stellt er dem allgemeinen Arbeitsmarkt<br />

keinen freien Arbeitsplatz zur Verfügung, braucht<br />

deshalb auch keine Prüfung nach § 81 Abs. 1 S. 1 SGB IX<br />

vorzunehmen (so für den Fall der internen Versetzung auf<br />

einen freien Arbeitsplatz die Rechtsbeschwerdeentscheidung<br />

des BAG zum Beschl. d. Hessischen Landesarbeitsgerichts –<br />

4 TaBV 42/07, Beschl. v. 17. Juni 2008 – 1 ABR 20/07 – NZA<br />

2008, 1139).<br />

Aus dem systematischen Zusammenhang der gesetzlichen<br />

Regelung ergibt sich zudem, dass Arbeitsplatz im Sinne des<br />

§ 81 Abs. 1 SGB IX der Arbeitsplatz im Sinne des § 73 Abs. 1<br />

SGB IX ist, wobei sich § 73 Abs. 1 auf die Pflichtquote in § 71<br />

SGB IX bezieht. Arbeitsplatz im Sinne des 2. Teils des SGB IX<br />

ist folglich der Arbeitsplatz, den der Arbeitgeber mit einem<br />

Vertragsarbeitnehmer besetzt (vgl. weiterführend Edenfeld,<br />

NZA 2006, 126).<br />

b) Der Betriebsrat hat weiter keinen berechtigten Zustimmungsverweigerungsgr<strong>und</strong><br />

nach § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG<br />

vorgebracht.<br />

Der Rüge, die vorgesehene wöchentliche Arbeitszeit für den<br />

Leiharbeitnehmer entspreche nicht dem zeitlichen Organi-<br />

217


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

sationskonzept des Betriebs, sodass sich Nachteile für die<br />

Stammbelegschaft ergäben (Veränderung der Stellenstruktur<br />

<strong>und</strong> des Stelleninhalts, innerbetriebliche Besetzung erschwert/unmöglich),<br />

hat das Arbeitsgericht zu Recht keine<br />

nachvollziehbare Begründung einer konkreten Beeinträchtigung<br />

der Mitglieder der Stammbelegung entnehmen können.<br />

Die Beschwerde bringt auch keine Konkretisierung einer<br />

individuellen Beeinträchtigung. Vielmehr wird nur darauf verwiesen,<br />

dass die Schutz- <strong>und</strong> Teilhaberechte der Mitglieder<br />

der Stammbelegschaft gefährdet seien. Abgesehen davon,<br />

dass solches in der schriftlichen Zustimmungsverweigerung<br />

nicht aufgeführt worden ist, bleibt unklar, welche individuellen<br />

Teilhabe- <strong>und</strong> Schutzrechte welcher Arbeitnehmer bedroht<br />

sind.<br />

Der Betriebsrat hat schließlich kein Zustimmungsverweigerungsrecht<br />

nach § 99 Abs. 5 BetrVG.<br />

Gem. § 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG kann der Betriebsrat die Zustimmung<br />

verweigern, wenn eine nach § 93 BetrVG erforderliche<br />

innerbetriebliche Ausschreibung unterb<strong>liebe</strong>n ist. Vorliegend<br />

ist die Ausschreibung am 25. April 2007 erfolgt, wenn auch<br />

erfolglos, sodass die Besetzung der Stelle sodann extern erfolgt<br />

ist.<br />

4. Der Feststellungsantrag ist gleichfalls begründet.<br />

Der Antrag ist zusammen mit dem Zustimmungsersetzungsantrag<br />

innerhalb der Frist von 3 Tagen (§ 100 Abs. 2 S. 3<br />

BetrVG) angebracht worden. Auf den Widerspruch des Betriebsrats<br />

vom 1. August 2007 hat die Beteiligte zu 1) am 2.<br />

August 2007 die Anträge nach den §§ 99 Abs. 4, 100 Abs. 2<br />

S. 3 BetrVG angebracht.<br />

Der Feststellungsantrag könnte in der Sache nur abgewiesen<br />

werden, wenn gemäß § 100 Abs. 3 S. 1 HS. 1 BetrVG<br />

festgestellt werden könnte, dass die vorläufige Einstellung<br />

offensichtlich aus sachlichen Gründen nicht erforderlich war<br />

(BAG, Beschl. v. 18. Oktober 1988 – 1 ABR 36/87 – AP Nr. 4<br />

zu § 100 BetrVG 1972 = EzA § 100 BetrVG 1972 Nr. 4). Das ist<br />

jedoch nicht der Fall.<br />

Mit dem Ausscheiden des bisherigen Leiters der Mechanischen<br />

Werkstatt zum 31. Juli 2007 war zum 1. August dessen<br />

Arbeitsplatz vakant. Seine Besetzung war für den Betriebsablauf<br />

notwendig. Die vorläufige Einstellung als Leiharbeitnehmer<br />

vor dem Abschluss des Zustimmungsverfahrens nach<br />

§ 99 BetrVG war folglich produktionsnotwendig.<br />

Soweit der Betriebsrat einwendet, die vorläufige Einstellung<br />

wäre entbehrlich gewesen, wenn das Einstellungsverfahren<br />

wegen des absehbaren Ausscheidens des Vorgängers noch<br />

früher eingeleitet worden wäre, vermag das nicht zu überzeugen.<br />

Auch bei einem früheren Beginn des Einstellungsverfahrens<br />

wäre es bei der gegebenen Situation zum gerichtlichen<br />

Ersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG gekommen, das<br />

bis zum 1. April 2007 nicht hätte abgeschlossen werden<br />

können.<br />

III. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde hinsichtlich des<br />

Zustimmungsersetzungsantrags beruht auf § 92 Abs. 1 S. 2<br />

ArbGG i.V.m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 ArbGG.<br />

218 03/09<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 19.11.2008, 15 TaBV 20/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Johannes Weberling,<br />

Prinzessinnenstraße 14, 10969 Berlin,<br />

Tel.: 030/6<strong>165</strong>9720, Fax: 030/6<strong>165</strong>9722<br />

RA.Dr.Weberling@presserecht.de<br />

Anmerkung:<br />

Rechtsbeschwerde beim BAG unter 1 ABR 3/09 anhängig. (rg)<br />

272. Schwerbehindertenvertretung, Amtszeitende<br />

I. Die Beteiligten streiten über die Existenz der Antragstellerin.<br />

Der zu 2) beteiligte Arbeitgeber betreibt einen Zeitungszustellbetrieb.<br />

Bis zum 30.06.2007 war er mit der Zustellung<br />

der Zeitung im Raum W. betraut. Bei ihm war ein Betriebsrat<br />

<strong>und</strong> die antragstellende Schwerbehindertenvertretung gewählt,<br />

wobei der Betriebsratsvorsitzende in das Amt der Vertrauensperson<br />

gewählt worden war (Wahlbekanntmachung<br />

vom 20.04.2006, Bl. 11 d.A.).<br />

Seit dem 01.07.2007 wird die Zeitung im Raum W. von einem<br />

anderen Unternehmen zugestellt. Der Arbeitgeber ist<br />

nur noch mit der Nachlieferung betraut <strong>und</strong> beschäftigt dafür<br />

noch zwei Arbeitnehmer, nämlich den früheren Betriebsratsvorsitzenden<br />

<strong>und</strong> ein weiteres früheres Betriebsratsmitglied.<br />

Die Schwerbehindertenvertretung ist der Ansicht, dass<br />

sie weiterhin bis zum Ablauf der regulären Amtszeit am<br />

30.11.2010 im Amt sei. Die Überlegungen zum Erlöschen des<br />

Betriebsratsamtes bei dauerhaftem Absinken der Arbeitnehmerzahl<br />

seien auf die Schwerbehindertenvertretung nicht<br />

übertragbar.<br />

Die Antragstellerin hat beantragt, festzustellen, dass die Antragstellerin<br />

bis zum Ablauf des 30.11.2010 im Amt ist, es sei<br />

denn, das Amt erlischt automatisch, weil die Vertrauensperson<br />

es niederlegt, sie aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet oder<br />

in Folge strafgerichtlicher Verurteilung die Fähigkeit, Rechte<br />

aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, verliert.<br />

Der Arbeitgeber hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen,<br />

da sein Betrieb nicht mehr schwerbehindertenvertretungsfähig<br />

sei.<br />

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 31.10.2007 den Antrag<br />

zurückgewiesen, weil mit dem Absinken der Zahl der<br />

regelmäßig beschäftigten schwerbehinderten Arbeitnehmer<br />

unter die Grenze des § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB IX kein Bedürfnis<br />

mehr für eine institutionalisierte Interessenvertretung gegeben<br />

sei.<br />

Wegen der näheren Begründung wird auf II. der Gründe<br />

des Beschlusses Bezug genommen, der der Antragstellerin<br />

am 19.11.2007 zugestellt worden ist <strong>und</strong> gegen den sie am<br />

29.11.2007 Beschwerde eingelegt hat, die sie am 04.01.2008<br />

begründet hat.<br />

Die Antragstellerin rügt, dass das Arbeitsgericht § 94 Abs. 1<br />

Satz 1 SGB IX fehlerhaft ausgelegt habe. Sie meint, dass § 94<br />

Abs. 7 Satz 3 SGB IX die vorzeitigen Erlöschensgründe abschließend<br />

aufführe. Das Absinken der Zahl der schwerbehin-


derten Arbeitnehmer unter die Grenze des § 94 Abs. 1 Satz 1<br />

SGB IX sei gerade nicht aufgeführt. Sinn <strong>und</strong> Zweck der Interessenvertretung<br />

entfalle bei einem Absinken der Zahl der<br />

schwerbehinderten Arbeitnehmer nicht. Es sei zum Beispiel<br />

weiterhin darüber zu wachen, ob der Arbeitgeber seiner Prüfpflicht<br />

nachkomme, freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten<br />

Menschen zu besetzen. Es sei auch kein Gr<strong>und</strong> ersichtlich,<br />

warum die Antrags- <strong>und</strong> Unterrichtungsrechte entfallen sollten.<br />

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Beschwerdebegründungsschrift<br />

vom 04.01.2008 Bezug genommen.<br />

Die Antragstellerin beantragt – nach gerichtlichem Hinweis in<br />

der mündlichen Anhörung vom 20.08.2008 – nunmehr noch,<br />

in Abänderung des angefochtenen Beschlusses festzustellen,<br />

dass sie weiterhin im Amt ist.<br />

Der Arbeitgeber beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.<br />

Auf seine Beschwerdeerwiderung vom 29.01.2008 wird Bezug<br />

genommen.<br />

II. 1. Die Beschwerde ist zulässig.<br />

Die Beschwerde ist statthaft (§ 87 Abs. 1 ArbGG) <strong>und</strong> form<strong>und</strong><br />

fristgerecht eingelegt <strong>und</strong> begründet worden (§§ 87<br />

Abs. 2, 89 Abs. 1 ArbGG, §§ 64 Abs. 6 Satz 1, 66 Abs. 1 Sätze 1<br />

<strong>und</strong> 2 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 3 ZPO).<br />

Der Zulässigkeit steht nicht die Frage der Prozessfähigkeit der<br />

Antragstellerin entgegen. Die Prozessfähigkeit der Antragstellerin<br />

ist zu fingieren. Streiten nämlich die Beteiligten über die<br />

Existenz oder die Parteifähigkeit eines Verfahrensbeteiligten,<br />

so ist die Existenz beziehungsweise die Parteifähigkeit als Prozessvoraussetzung<br />

zu fingieren (BAG, Urteil Vom 24.06.2004 –<br />

2 AZR 215/03 –, AP Nr. 278 zu § 613a BGB).<br />

2. Die Beschwerde ist unbegründet.<br />

Im Betrieb des Arbeitgebers existiert keine Schwerbehindertenvertretung<br />

mehr, weil er nicht mehr schwerbehindertenvertretungsfähig<br />

ist.<br />

Ebenso wenig wie für die Betriebsverfassung ist für die<br />

Schwerbehindertenverfassung geregelt, welche Folge das<br />

Absinken der Zahl der von den jeweiligen Organen repräsentierten<br />

Beschäftigten unter die Grenzen der Organfähigkeit<br />

des Betriebs hat. Für die Betriebsverfassung ist jedoch seit jeher<br />

anerkannt, dass der Betriebsrat bei dem Absinken der Zahl<br />

der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer unter die Grenze<br />

des § 1 Abs. 1 BetrVG als Organ erlischt (Fitting u.a., BetrVG,<br />

24. Auflage, § 21, Rn 31; Richardi/Thüsing, BetrVG, 11. Auflage,<br />

§ 21, Rn 23; GK-Kreutz, BetrVG, 8. Auflage, § 21, Rn 37). Da<br />

der Gesetzgeber die Organfähigkeit an eine bestimmte<br />

Betriebsgröße geknüpft hat, entfällt die Organfähigkeit des<br />

Betriebs mit dem dauerhaften Absinken der Arbeitnehmerzahl<br />

unter die vom Gesetz für erforderlich gehaltene Größe.<br />

Auch die Organfähigkeit des Betriebs für die Schwerbehindertenvertretung<br />

ist von Gesetzes wegen in § 94 Abs. 1 Satz 1<br />

SGB IX an eine bestimmte Zahl der regelmäßig beschäftigten<br />

schwerbehinderten Menschen geknüpft, so dass dieselben<br />

Gründen dafür streiten, dass das Absinken der Zahl der regelmäßig<br />

beschäftigten schwerbehinderten Menschen unter die<br />

in § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB IX genannte Zahl von fünf zu einem<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

Verlust der Organfähigkeit führt; der Raum, wie das Arbeitsgericht<br />

ausgeführt hat, für eine institutionalisierte Interessenvertretung<br />

der beschäftigten schwerbehinderten Menschen also<br />

nicht mehr gegeben ist.<br />

Dem steht nicht entgegen, dass § 94 Abs. 7 Satz 3 SGB IX<br />

ausdrücklich nur drei Tatbestände des Verlusts des Amts der<br />

Vertrauensperson regelt, denn dort ist nur der Amtsverlust des<br />

Inhabers des Wahlamtes geregelt, nicht aber der Untergang<br />

des Organs. Dieses ist für die Schwerbehindertenvertretung<br />

in den §§ 93 ff. SGB IX ebenso wenig geregelt, wie für den<br />

Betriebsrat im Betriebsverfassungsgesetz. Gleichwohl ist der<br />

Untergang des betrieblichen Organs selbstverständlich, wenn<br />

zum Beispiel der Betrieb durch Stilllegung untergeht (Masuch,<br />

in: Hauck/Noftz, SGB IX, § 94, Rn 39; GK-Schimanski, SGB IX,<br />

§ 94, Rn 162). § 94 Abs. 7 Satz 3 SGB IX streitet also nicht<br />

gegen den Untergang der Schwerbehindertenvertretung bei<br />

dem Verlust der Organfähigkeit des Betriebs.<br />

Dass die kollektivrechtlichen Beteiligungsrechte auch bei<br />

einem Absinken der Beschäftigtenzahl unter die Grenzen<br />

der Organfähigkeit des Betriebs weiterhin sinnvoll ausgeübt<br />

werden könnten, unterscheidet die Betriebsverfassung <strong>und</strong><br />

die Schwerbehindertenverfassung nicht, streitet also nicht für<br />

eine andere Bewertung des Absinkens der Beschäftigtenzahl<br />

unter die Grenzen der Organfähigkeit des Betriebs für die<br />

Wahl des Betriebsrats <strong>und</strong> für die Wahl der Schwerbehindertenvertretung.<br />

Einzig die Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung<br />

zum Zwecke der Einstellung schwerbehinderter<br />

Menschen (§§ 71, 81 Abs. 1, 95 Abs. 1 SGB IX) könnten<br />

dafür ins Feld geführt werden, dass die Schwerbehindertenvertretung<br />

trotz Absinkens der Zahl der regelmäßig<br />

beschäftigten schwerbehinderten Menschen unter die Zahl<br />

von fünf weiterhin bis zur regelmäßigen Neuwahl im Amt<br />

bleibt. Diese in der Kommentarenliteratur (Palen, in: Neumann<br />

u.a., SGB IX, 11. Auflage, § 94, Rn 43; Knittel, SGB IX, § 94,<br />

Rn 176) ohne nähere Begründung vertretene Auffassung<br />

erscheint jedoch nur insoweit gerechtfertigt, als in Betrieben<br />

mit einer Beschäftigungszahl von mehr als vier Arbeitnehmern<br />

bei einem Absinken der Zahl der beschäftigten schwerbehinderten<br />

Menschen unter die Zahl von fünf nicht ohne<br />

weiteres dauerhaft von einem Absinken der Zahl der regelmäßig<br />

beschäftigten schwerbehinderten Menschen unter fünf<br />

ausgegangen werden kann, weil der Arbeitgeber zum Beispiel<br />

bei Ersatzeinstellungen im Rahmen der §§ 71, 81 Abs. 1<br />

SGB IX gehalten ist, wieder schwerbehinderte Menschen<br />

einzustellen.<br />

Ist jedoch, wie vorliegend, die Zahl der regelmäßig beschäftigten<br />

Arbeitnehmer bereits selbst unter die Zahl von fünf gesunken,<br />

ist auch die Zahl der regelmäßig beschäftigten schwerbehinderten<br />

Menschen auf Dauer unter die in § 94 Abs. 1<br />

Satz 1 SGB IX normierte Zahl gesunken, so dass Ersatzeinstellungen<br />

von schwerbehinderten Menschen nicht mehr zu<br />

einer Organfähigkeit des Betriebs gemäß § 94 Abs. 1 Satz 1<br />

SGB IX führen können. Selbst wenn im Hinblick auf die Mög-<br />

219


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

lichkeit, dass gemäß § 94 Abs. 1 S. 4 <strong>und</strong> 5 SGB IX nichtorganfähige<br />

Betriebe mit anderen Betrieben eines Unternehmens<br />

zum Zweck der Bildung einer gemeinsamen Schwerbehindertenvertretung<br />

zusammengeschlossen werden können, angenommen<br />

würde, dass die Schwerbehindertenvertretung eines<br />

Betriebs, dessen regelmäßige Beschäftigtenzahl einschließlich<br />

der beschäftigten schwerbehinderten Menschen unter fünf<br />

gesunken ist, solange im Amt b<strong>liebe</strong>, bis eine gemeinsame<br />

Schwerbehindertenvertretung gebildet wäre, führte das vorliegend<br />

nicht dazu, dass die Antragstellerin weiter im Amt<br />

wäre, weil die Bildung einer gemeinsamen Schwerbehindertenvertretung<br />

deshalb ausscheidet, weil der zu 2) beteiligte<br />

Arbeitgeber nur den einen Betrieb betreibt.<br />

Nach allem unterliegt die Beschwerde der Zurückweisung.<br />

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 92 Abs. 1<br />

Satz 2 ArbGG i.V.m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 20.08.2008, 15 TaBV 145/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Johannes Weberling,<br />

Prinzessinnenstraße 14, 10969 Berlin,<br />

Tel.: 030/6<strong>165</strong>9720, Fax: 030/6<strong>165</strong>9722<br />

RA.Dr.Weberling@presserecht.de<br />

273. Mitbestimmung des Betriebsrats bei personellen<br />

Einzelmaßnahmen, Eingruppierung, Umgruppierung,<br />

Entgeltstufe<br />

1. Das Beteiligungsrecht des Betriebsrats nach § 99 BetrVG<br />

bei Eingruppierung <strong>und</strong> Umgruppierung erstreckt sich auch<br />

auf die Zuordnung zu den Entgeltstufen nach dem §§ 16,<br />

17 TVöD bzw. dem Haustarifvertrag der Stiftung W., soweit<br />

die vorausgegangene Berufserfahrung von Bedeutung ist (im<br />

Anschluss an BVerwG vom 27.08.2008 – 6 P 11/07 –) oder die<br />

Regel-Stufenlaufzeit verkürzt oder verlängert wird, hingegen<br />

nicht auf die automatische Höherstufung nach Ablauf der<br />

Regel-Stufenlaufzeit. Das ergibt sich aus Folgendem:<br />

a) Den Entgeltstufen nach dem TVöD oder dem Haustarifvertrag<br />

der Stiftung W. kommt die Bedeutung von Zwischenentgeltgruppen<br />

zu, da eine einmal erreichte Entgeltstufe nicht<br />

ohne weiteres wieder entzogen werden kann <strong>und</strong> die Höhe<br />

der Vergütung maßgeblich auch von der Entgeltstufe abhängt.<br />

b) Nach dem Haustarifvertrag der Stiftung W. besteht ein Bedürfnis<br />

zur Mitbeurteilung der Berücksichtigungsfähigkeit vorausgegangener<br />

Berufserfahrung durch den Betriebsrat nicht<br />

nur bei der erstmaligen Einstufung.<br />

Bei einer Verkürzung oder Verlängerung der Stufenlaufzeit erstreckt<br />

sich das Mitbeurteilungsrecht des Betriebsrats zumindest<br />

auf die Wahrung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgr<strong>und</strong>satzes<br />

als Bestandteil der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit.<br />

Soll die Stufenlaufzeit willkürlich verkürzt oder<br />

verlängert werden, steht dem Betriebsrat ein Zustimmungsverweigerungsrecht<br />

nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG zu.<br />

2. Bei einer automatischen Höherstufung nach Ablauf der<br />

220 03/09<br />

Regel-Stufenlaufzeit besteht kein Bedürfnis für eine Mitbeurteilung<br />

<strong>und</strong> damit für ein Beteiligungsrecht nach § 99 BetrVG.<br />

■ Arbeitsgericht Berlin<br />

vom 26.02.2009, 33 BV 16874/08<br />

274. Fehlerhafte Rechtmittelbelehrung, Wiedereinsetzung<br />

von Amts wegen<br />

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts wurde am 30.6.2006<br />

verkündet. Die mit Gründen versehene Ausfertigung wurde<br />

am 11.12.2006 den Beteiligten zustellt; in der beigefügten<br />

Rechtsmittelbelehrung wird als zulässiges Rechtsmittel der<br />

Antrag auf Zulassung der Beschwerde ausgewiesen <strong>und</strong> ausgeführt,<br />

dass sich Juristische Personen des öffentlichen Rechts<br />

<strong>und</strong> Behörden auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung<br />

zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren<br />

Dienst vertreten lassen könnten.<br />

Am 9.1.2007 stellte der Beteiligte beim Verwaltungsgericht<br />

Dresden den Antrag auf Zulassung der Beschwerde; das<br />

Schreiben ist von einer Mitarbeiterin aus der juristischen<br />

Direktion des Beteiligten unterschrieben. Mit der Eingangsbestätigung<br />

vom 2.2.2007 wies der damalige Vorsitzende des<br />

Senats beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht darauf hin,<br />

dass entgegen der Rechtsmittelbelehrung die Beschwerde<br />

das zulässige Rechtsmittel sein dürfte. Mit Schreiben vom<br />

9.2.2007 wurde seitens des Beteiligten der Antrag vom<br />

9.1.2007 dahingehend korrigiert, den Beschluss des Verwaltungsgerichts<br />

Dresden vom 30.6.2006 (PB 8 K 2564/05) auf<br />

die Beschwerde hin aufzuheben <strong>und</strong> den Antrag des Gesamtpersonalrats<br />

abzuweisen. Mit Schreiben vom 25.7.2008<br />

wies der Vorsitzende des Senats unter Bezugnahme auf<br />

§ 83 Abs. 2 BPersVG, § 89 Abs. 2 ArbGG darauf hin, dass<br />

die mit Schreiben vom 9.2.2007 eingelegte Beschwerde<br />

ebenso wenig wie der ursprünglich eingelegte Zulassungsantrag<br />

von einem Rechtsanwalt unterzeichnet worden sei.<br />

Die Rechtsbehelfsbelehrung des Verwaltungsgerichts dürfte<br />

auch insoweit fehlerhaft sein. Mit Schreiben vom 26.8.2008<br />

bestellte sich der Prozessbevollmächtigte des Beteiligten<br />

<strong>und</strong> machte sich Antragstellung <strong>und</strong> Beschwerdebegründung<br />

aus dem Schriftsatz des Beteiligten vom 9.2.2007 zu<br />

eigen. Die vom Verwaltungsgericht erteilte Rechtsmittelbelehrung<br />

sei mehrfach falsch. Aufgr<strong>und</strong> des Gebots des<br />

rechtsstaatlichen <strong>und</strong> fairen Verfahrens genieße der beteiligte<br />

Dienststellenleiter Vertrauensschutz hinsichtlich der nach<br />

der Rechtsmittelbelehrung ausgewiesenen Zulässigkeit der<br />

Beschwerdeerhebung durch eine juristische Mitarbeiterin.<br />

Dieser Vertrauensschutz werde verstärkt durch die jahrelange<br />

Praxis des Fachsenats beim Oberverwaltungsgericht, dass<br />

entsprechende Rechtsmittelbelehrungen bei Beschwerdeeinlegungen<br />

durch Behördenvertreter selbst unbeanstandet<br />

akzeptiert <strong>und</strong> dies erst durch den Beschluss vom 20.12.2005<br />

– PL 9 B 342/05 – korrigiert habe.<br />

Mit Schreiben vom 26.8.2008 beantragte der Prozessbevollmächtigte<br />

des Beteiligten, den Beschluss mit korrekter Rechts-


mittelbelehrung an ihn erneut zuzustellen. Mit Beschluss vom<br />

17.9.2008 wurde der Beschluss vom 30.6.2006 berichtigt.<br />

■ Sächsisches Oberverwaltungsgericht<br />

vom 05.03.2009, PL 8 B 57/07<br />

Rechtsanwalt Roland Gross,<br />

Anwaltshaus im Messehof Leipzig,<br />

Petersstraße 15, 04109 Leipzig<br />

Tel.: 0341/984620, Fax: 0341/9846224<br />

leipzig@advo-gross.de<br />

275. Personalratswahl, Gruppenwahl<br />

... II. Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht<br />

ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen,<br />

dass die Wahl zum Personalrat vom 23./24.5.2007 ungültig ist,<br />

weil bei der Wahl zwischen den Gruppen der Angestellten <strong>und</strong><br />

Arbeiter unterschieden wurde.<br />

Nach § 17 Abs. 1 SächsPersVG werden bei der Wahl zu den<br />

Personalvertretungen die Gruppen berücksichtigt. § 5 Satz 1<br />

SächsPersVG sieht vor, dass die Beamten, Angestellten <strong>und</strong><br />

Arbeiter je eine Gruppe bilden. In § 4 Abs. 3 SächsPersVG wird<br />

definiert, wer Angestellter i.S.d SächsPersVG ist: Beschäftigte,<br />

die nach dem für die Dienststelle maßgebenden Tarifvertrag<br />

oder nach ihrem Arbeitsvertrag als Angestellte beschäftigt<br />

werden oder die eine Tätigkeit ausüben, die in der Regel von<br />

Angestellten wahrgenommen wird. In § 4 Abs. 4 SächsPersVG<br />

wird festgesetzt, wer Arbeiter i.S.d. SächsPersVG ist: Beschäftigte,<br />

die nach dem für die Dienststelle maßgebenden Tarifvertrag<br />

Arbeiter sind, einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung<br />

Beschäftigen. Die Vorschrift macht somit die inhaltliche<br />

Festlegung, wer Angestellter oder Arbeiter i.S.d. SächsPersVG<br />

ist, von den maßgebenden tarifvertraglichen Regelungen abhängig.<br />

Dies ist hinsichtlich der Verbindlichkeit der tariflichen<br />

Regelungen auch für die jeweiligen Arbeitgeber (§ 3 Abs. 1<br />

TVG) konsequent.<br />

Mit dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) vom<br />

13. September 2005 <strong>und</strong> dem Tarifvertrag für den öffentlichen<br />

Dienst der Länder (TV-L) wurde die bisherige Unterscheidung<br />

zwischen Angestellten <strong>und</strong> Arbeitern indes aufgegeben. Nach<br />

§ 1 TV-L <strong>und</strong> § 1 TVöD gelten die tariflichen Regelungen<br />

nunmehr für Arbeitnehmerinnen <strong>und</strong> Arbeitnehmer ohne die<br />

historische gewachsene Unterscheidung nach Arbeitern <strong>und</strong><br />

Angestellten; der tarifvertraglich relevante Begriff ist nunmehr<br />

derjenige des Beschäftigten, der in einem Arbeitsverhältnis zu<br />

einem öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber steht.<br />

Da § 4 Abs. 3 <strong>und</strong> Abs. 4 SächsPersVG ausdrücklich auf die<br />

maßgebenden, also die aktuellen Tarifverträge abstellt, kann<br />

die alte Rechtslage, die dem Wortlaut von § 5 SächsPersVG zugr<strong>und</strong>e<br />

liegt, nicht schlicht perpetuiert werden Insofern kann<br />

nicht – unabhängig von den geltenden tariflichen Bestimmungen<br />

– in den Behörden geprüft werden, wer nach dem<br />

alten Tarifvertrag in welche Gruppe einzuordnen wäre <strong>und</strong><br />

nach dieser (fiktiven) Einteilung dann die relevante Gruppe<br />

gebildet werden. Denn die von § 17 Abs. 1 Satz 1 SächsPersVG<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

vorgesehene Gruppenwahl hat nach der Gruppe der Beamten<br />

einerseits <strong>und</strong> der Gruppe der Beschäftigten andererseits<br />

stattzufinden.<br />

Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:<br />

§§ 5 Satz 1, 4 Abs. 3 <strong>und</strong> Abs. 4 SächsPersVG hat sich im Hinblick<br />

auf die Trennung der Arbeitnehmer in die Gruppen der<br />

Angestellten <strong>und</strong> Arbeiter sich durch die neuen tarifrechtlichen<br />

Bestimmungen erledigt. Denn durch die Änderungen<br />

des öffentlichen Tarifrechts stimmen die gesetzgeberischen<br />

Gr<strong>und</strong>annahmen nicht mehr; sie gehen sogar ins Leere. Die<br />

deutliche gesetzgeberische Entscheidung in § 4 Abs. 3 <strong>und</strong><br />

Abs. 4 SächsPersVG, sich an den Tarifverträgen zu orientieren,<br />

spricht dafür, dass es die hier vorgesehene Trennung in drei<br />

Gruppen nicht mehr gibt, sondern nunmehr aufgr<strong>und</strong> der tarifvertraglichen<br />

Regelungen auch personal- vertretungsrechtlich<br />

nach Beamten <strong>und</strong> sonstigen Beschäftigten zu unterscheiden<br />

ist.<br />

Zum selben Ergebnis kommt man, wenn man § 5 Satz 1<br />

SächsPersVG vor dem Hintergr<strong>und</strong> der tariflichen Änderungen<br />

neu auslegt. Auch hier gilt, dass §§ 5 Satz 1, 4 Abs. 3 <strong>und</strong><br />

Abs. 4, SächsPersVG die Bildung der Gruppen abhängig von<br />

den tarifrechtlichen Entscheidungen macht. Deshalb ist § 5<br />

SächsPersVG – reduziert – so auszulegen, dass nur noch<br />

Beamte <strong>und</strong> die neue Gruppe der Beschäftigten, die von den<br />

bisherigen Arbeitern <strong>und</strong> Angestellten gebildet wird, relevant<br />

sind. Dieser Auslegung steht auch nicht der Wortlaut der<br />

Vorschrift entgegen, da es im tarifrechtlichen Sinn (§ 4 Abs. 3<br />

<strong>und</strong> Abs. 4 SächsPersVG) keine Angestellten <strong>und</strong> Arbeiter –<br />

mehr – gibt.<br />

Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> kann der Senat offen lassen, ob das<br />

gef<strong>und</strong>ene Ergebnis sich zusätzlich aus dem Rahmenrecht<br />

herleiten lässt. In § 98 Abs. 2 BPersVG wird geregelt, dass die<br />

Wahl nach Gruppen durchgeführt wird. Der B<strong>und</strong>esgesetzgeber<br />

hat auf die Änderungen im Tarifrecht sofort reagiert <strong>und</strong><br />

bereits mit Gesetz vom 14.9.2005 (BGBl I S. 2746) nicht nur<br />

§ 98 BPersVG (durch Streichung der bis dahin enthaltenen<br />

Klarstellung, dass die Gruppen aus Beamten, Angestellten <strong>und</strong><br />

Arbeiter bestehen) geändert, sondern auch die direkt für B<strong>und</strong>esbehörden<br />

geltenden Vorschriften an das Tarifrecht angepasst<br />

(etwa §§ 4, 5 BPersVG). Aus der Entstehungsgeschichte<br />

des neuen § 98 Abs. 1 BPersVG könnte man herleiten, dass<br />

der B<strong>und</strong> auch bei den Ländern die Einbeziehung des neuen<br />

Tarifvertrages fordert. Allerdings ist nach der Verfassungsnovelle<br />

vom 28.8.2006 (BGBl I S. 2034) mit dem Wegfall des<br />

bisherigen Art. 75 GG die Bedeutung des § 98 BPersVG für<br />

den Landesgesetzgeber unklar; nach Art. 125a Abs. 1 GG ist<br />

dieser Paragraf nunmehr (einfaches) B<strong>und</strong>esrecht, das aber<br />

vom Landesgesetzgeber abgeändert werden kann. Eine solche<br />

Abänderung fand indes seit der Verfassungsnovelle nicht<br />

statt. Selbst wenn der B<strong>und</strong> nun noch rahmenrechtliche Vorgaben<br />

für den Freistaat Sachsen machen könnte, würde dies<br />

das oben hergeleitete Ergebnis nicht infrage stellen, sondern<br />

unterstützen.<br />

Der Senat kann vor diesem Hintergr<strong>und</strong> die in dem Verfahren<br />

221


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

aufgeworfene Frage, ob die Teilnahme von Beschäftigten der<br />

Stadtverwaltung, die in der A. tätig sind, zu einer Unwirksamkeit<br />

der Wahl führt, offen lassen, da sich die Unwirksamkeit<br />

der Personalratswahl schon aus anderen Gründen ergibt.<br />

■ Sächsisches Oberverwaltungsgericht<br />

vom 26.01.2009, PL 9 A 470/08<br />

Rechtsanwalt Roland Gross,<br />

Anwaltshaus im Messehof Leipzig,<br />

Petersstraße 15, 04109 Leipzig<br />

Tel.: 0341/984620, Fax: 0341/9846224<br />

leipzig@advo-gross.de<br />

276. Personalratswahl, Anfechtung, Gruppenwahl<br />

Der zulässige Antrag des Beteiligten zu 1 ist nicht begründet.<br />

Die von ihm vorgetragenen Zulassungsgründe der ernstlichen<br />

Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen<br />

Entscheidung (§ 88 Abs. 2 Satz 2 SächsPersVG, § 124 Abs. 2<br />

Nr. 1 VwGO), der besonderen Schwierigkeit der Rechtssache<br />

(§ 88 Abs. 2 Satz 2 SächsPersVG, § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) <strong>und</strong><br />

auch eine gr<strong>und</strong>sätzliche Bedeutung (§ 88 Abs. 2 Satz 2 Sächs-<br />

PersVG, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.<br />

1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der<br />

verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 88 Abs. 2 Satz 2<br />

SächsPersVG, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).<br />

Ernstliche Zweifel liegen dann vor, wenn im Zulassungsverfahren<br />

tragende Rechtssätze oder erhebliche Tatsachenfeststellungen<br />

mit schlüssigen Gegenargumenten so in Frage gestellt<br />

werden, dass der Ausgang des Beschwerdeverfahrens<br />

zumindest als ungewiss zu beurteilen ist. Der Ausgang des<br />

Beschwerdeverfahrens ist indes nicht ungewiss, da das Verwaltungsgericht<br />

– zumindest im Ergebnis – zu Recht davon<br />

ausgegangen ist, dass die hier streitgegenständliche Personalratswahl<br />

ungültig ist. Nach § 17 Abs. 1 SächsPersVG werden<br />

bei der Wahl zu den Personalvertretungen die Gruppen<br />

berücksichtigt. § 5 Satz 1 SächsPersVG sieht vor, dass die Beamten,<br />

Angestellten <strong>und</strong> Arbeiter je eine Gruppe bilden. In<br />

§ 4 Abs. 3 SächsPersVG wird definiert, wer Angestellter i.S.d.<br />

SächsPersVG ist: Beschäftigte, die nach dem für die Dienststelle<br />

maßgebenden Tarifvertrag oder nach ihrem Arbeitsvertrag<br />

als Angestellte beschäftigt werden oder die eine Tätigkeit<br />

ausüben, die in der Regel von Angestellten wahrgenommen<br />

wird. In § 4 Abs. 4 SächsPersVG wird festgesetzt, wer<br />

Arbeiter i.S.d. SächsPersVG ist: Beschäftigte, die nach dem<br />

für die Dienststelle maßgebenden Tarifvertrag Arbeiter sind,<br />

einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigen. Die<br />

Vorschrift macht somit die inhaltliche Festlegung, wer Angestellter<br />

oder Arbeiter i.S.d. SächsPersVG ist, von den maßgebenden<br />

tarifvertraglichen Regelungen abhängig. Dies ist hinsichtlich<br />

der Verbindlichkeit der tariflichen Regelungen auch<br />

für die jeweiligen Arbeitgeber (§ 3 Abs. 1 TVG) konsequent.<br />

Mit dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) vom<br />

13. September 2005 <strong>und</strong> dem Tarifvertrag für den öffentlichen<br />

Dienst der Länder (TV-L) wurde die bisherige Unterscheidung<br />

222 03/09<br />

zwischen Angestellten <strong>und</strong> Arbeitern indes aufgegeben. Nach<br />

§ 1 TV-L <strong>und</strong> § 1 TVöD gelten die tariflichen Regelungen<br />

nunmehr für Arbeitnehmerinnen <strong>und</strong> Arbeitnehmer ohne die<br />

historisch gewachsene Unterscheidung nach Arbeitern <strong>und</strong><br />

Angestellten; der tarifvertraglich relevante Begriff ist nunmehr<br />

derjenige des Beschäftigten, der in einem Arbeitsverhältnis zu<br />

einem öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber steht.<br />

Da § 4 Abs. 3 <strong>und</strong> Abs. 4 SächsPersVG ausdrücklich auf die<br />

maßgebenden, also die aktuellen Tarifverträge abstellt, kann<br />

die alte Rechtslage, die dem Wortlaut von § 5 SächsPersVG zugr<strong>und</strong>e<br />

liegt, nicht schlicht perpetuiert werden. Insofern kann<br />

nicht – unabhängig von den geltenden tariflichen Bestimmungen<br />

– in den Behörden geprüft werden, wer nach dem<br />

alten Tarifvertrag in welche Gruppe einzuordnen wäre <strong>und</strong><br />

nach dieser (fiktiven) Einteilung dann die relevante Gruppe<br />

gebildet werden. Denn die von § 17 Abs. 1 Satz 1 SächsPersVG<br />

vorgesehene Gruppenwahl hat nach der Gruppe der Beamten<br />

einerseits <strong>und</strong> der Gruppe der Beschäftigten andererseits<br />

stattzufinden.<br />

Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:<br />

§§ 5 Satz 1, 4 Abs. 3 <strong>und</strong> Abs. 4 SächsPersVG hat sich im Hinblick<br />

auf die Trennung der Arbeitnehmer in die Gruppen der<br />

Angestellten <strong>und</strong> Arbeiter durch die neuen tarifrechtlichen<br />

Bestimmungen erledigt. Denn durch die Änderungen des öffentlichen<br />

Tarifrechts stimmen die gesetzgeberischen Gr<strong>und</strong>annahmen<br />

nicht mehr; sie gehen sogar ins Leere. Die deutliche<br />

gesetzgeberische Entscheidung in § 4 Abs. 3 <strong>und</strong> Abs. 4<br />

SächsPersVG, sich an den Tarifverträgen zu orientieren, spricht<br />

dafür, dass es die hier vorgesehene Trennung in drei Gruppen<br />

nicht mehr gibt, sondern nunmehr aufgr<strong>und</strong> der tarifvertraglichen<br />

Regelungen auch personalvertretungsrechtlich nach Beamten<br />

<strong>und</strong> sonstigen Beschäftigten zu unterscheiden ist.<br />

Zum selben Ergebnis kommt man, wenn man § 5 Satz 1<br />

SächsPersVG vor dem Hintergr<strong>und</strong> der tariflichen Änderungen<br />

neu auslegt. Auch hier gilt, dass § 5 Satz 1, § 4 Abs. 3 <strong>und</strong><br />

Abs. 4 SächsPersVG die Bildung der Gruppen abhängig von<br />

den tarifrechtlichen Entscheidungen macht. Deshalb ist § 5<br />

SächsPersVG – reduziert – so auszulegen, dass nur noch<br />

Beamte <strong>und</strong> die neue Gruppe der Beschäftigten, die von den<br />

bisherigen Arbeitern <strong>und</strong> Angestellten gebildet wird, relevant<br />

sind. Dieser Auslegung steht auch nicht der Wortlaut der<br />

Vorschrift entgegen, da es im tarifrechtlichen Sinn (§ 4 Abs. 3<br />

<strong>und</strong> Abs. 4 SächsPersVG) keine Angestellten <strong>und</strong> Arbeiter –<br />

mehr – gibt.<br />

Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> kann der Senat offen lassen, ob das<br />

gef<strong>und</strong>ene Ergebnis sich zusätzlich aus dem Rahmenrecht<br />

herleiten lässt. In § 98 Abs. 2 BPersVG wird geregelt, dass die<br />

Wahl nach Gruppen durchgeführt wird. Der B<strong>und</strong>esgesetzgeber<br />

hat auf die Änderungen im Tarifrecht sofort reagiert <strong>und</strong><br />

bereits mit Gesetz vom 14.9.2005 (BGBl I S. 2746) nicht nur<br />

§ 98 BPersVG (durch Streichung der bis dahin enthaltenen<br />

Klarstellung, dass die Gruppen aus Beamten, Angestellten <strong>und</strong><br />

Arbeiter bestehen) geändert, sondern auch die direkt für B<strong>und</strong>esbehörden<br />

geltenden Vorschriften an das Tarifrecht ange-


passt (etwa §§ 4, 5 BPersVG). Aus der Entstehungsgeschichte<br />

des neuen § 98 Abs. 1 BPersVG könnte man herleiten, dass<br />

der B<strong>und</strong> auch bei den Ländern die Einbeziehung des neuen<br />

Tarifvertrages fordert. Allerdings ist nach der Verfassungsnovelle<br />

vom 28.8.2006 (BGBl I S. 2034) mit dem Wegfall des<br />

bisherigen Art. 75 GG die Bedeutung des § 98 BPersVG für<br />

den Landesgesetzgeber unklar; nach Art. 125a Abs. 1 GG ist<br />

dieser Paragraf nunmehr (einfaches) B<strong>und</strong>esrecht, das aber<br />

vom Landesgesetzgeber abgeändert werden kann. Eine solche<br />

Abänderung fand indes seit der Verfassungsnovelle nicht<br />

statt. Selbst wenn der B<strong>und</strong> nun noch rahmenrechtliche Vorgaben<br />

für den Freistaat Sachsen machen könnte, würde dies<br />

das oben hergeleitete Ergebnis nicht infrage stellen, sondern<br />

unterstützen.<br />

Der Senat kann vor diesem Hintergr<strong>und</strong> die in dem Verfahren<br />

aufgeworfene Frage, ob die Teilnahme von Beschäftigten<br />

zu einer Unwirksamkeit der Wahl führt, offen lassen, da sich<br />

die Unwirksamkeit der Personalratswahl schon aus anderen<br />

Gründen ergibt. Selbst wenn der Beteiligte zu 1 mit seinem<br />

Vortrag hinsichtlich der Einbeziehung der beschäftigten Mitarbeiter<br />

Recht hätte, könnte dies das vom Verwaltungsgericht<br />

gef<strong>und</strong>ene Ergebnis nicht in Frage stellen.<br />

Besondere Schwierigkeiten im Sinne von § 88 Abs. 2 Satz 2<br />

SächsPersVG, § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sind mit der Rechtssache<br />

nicht verb<strong>und</strong>en. Die Frage der Gültigkeit der streitgegenständlichen<br />

Personalratswahl lässt sich – wie oben dargelegt –<br />

ohne weiteres auf der Gr<strong>und</strong>lage der Regelungen des Sächsischen<br />

Personalvertretungsgesetzes beantworten. Die Frage<br />

der Wahlberechtigung der bei A. beschäftigten Mitarbeiter ist<br />

nicht entscheidungserheblich (siehe oben).<br />

Der Beteiligte zu 1 hat mit seiner Antragsschrift auch nicht<br />

dargelegt, dass die Berufung wegen der von ihm behaupteten<br />

gr<strong>und</strong>sätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne<br />

von § 88 Abs. 2 Satz 2 SächsPersVG, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO<br />

zuzulassen ist. Hierfür hätte mit dem Zulassungsvorbringen<br />

eine gr<strong>und</strong>sätzliche, bisher höchstrichterlich oder vom Sächsischen<br />

Oberverwaltungsgericht nicht beantwortete Rechtsfrage<br />

aufgeworfen werden müssen, die sich in dem erstrebten<br />

Beschwerdeverfahren stellen würde <strong>und</strong> die im Interesse der<br />

Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Fortentwicklung des<br />

Rechts obergerichtlicher Klärung bedarf. Vom Beteiligten zu 1<br />

wird ausschließlich die gr<strong>und</strong>sätzliche Bedeutung hinsichtlich<br />

der Wahlberechtigung von bei A. beschäftigten Mitarbeitern<br />

vorgetragen. Diese Frage ist nach den unter Ziffer 1 dargelegten<br />

Erwägungen nicht entscheidungserheblich; sie würde sich<br />

daher in einem anschließenden Beschwerdeverfahren schlicht<br />

nicht stellen.<br />

Im Übrigen hat die Frage nach dem Wahlrecht zu den Personalvertretungen<br />

der kreisfreien Städte <strong>und</strong> Kreise für Beschäftigte,<br />

die Mitarbeiter der A. nach § 44b SGB II sind, nach<br />

der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts (Beschl.<br />

v. 15.5.2008 –2PB10/07 – zitiert nach juris) keine gr<strong>und</strong>sätzliche<br />

Bedeutung, nachdem das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht<br />

entschieden hat, dass die genannte Vorschrift verfassungs-<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

widrig <strong>und</strong> längstens bis 31.12.2010 anzuwenden ist (Urt. v.<br />

20.12.2007, NVwZ 2008, 183).<br />

■ Sächsisches Oberverwaltungsgericht<br />

vom 26.01.2009, PL 9 A 537/08<br />

Rechtsanwalt Roland Gross,<br />

Anwaltshaus im Messehof Leipzig,<br />

Petersstraße 15, 04109 Leipzig<br />

Tel.: 0341/984620, Fax: 0341/9846224<br />

leipzig@advo-gross.de<br />

277. Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenvertretung, Auflösung<br />

des Arbeitsverhältnisses, Einstellungsstopp<br />

Das Auflösungsbegehren ist jedoch materiell nicht berechtigt.<br />

Nach § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SächsPersVG ist das nach Absatz 2<br />

begründete Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn Tatsachen<br />

vorliegen, aufgr<strong>und</strong> derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung<br />

aller Umstände die Weiterbeschäftigung nicht zugemutet<br />

werden kann. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses<br />

ist dann unzumutbar, wenn der Arbeitgeber dem Jugend<strong>und</strong><br />

Auszubildendenvertreter zum maßgeblichen Zeitpunkt<br />

der Beendigung der Berufsausbildung keinen ausbildungsadäquaten<br />

Dauerarbeitsplatz bereitstellen kann (BVerwG,<br />

Beschl. v. 1.11.2005, BVerwGE 124, 292). Für die Frage, ob ein<br />

ausbildungsadäquater Dauerarbeitsplatz für ein Mitglied der<br />

Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenstufenvertretung zur Verfügung<br />

steht, kommt es nach der neueren Rechtsprechung des<br />

B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt<br />

<strong>und</strong> der der Antragsteller in der mündlichen Anhörung auch<br />

nicht (mehr) entgegen getreten ist, auf alle Dienststellen im<br />

Geschäftsbereich der übergeordneten Dienststelle an, bei<br />

welcher die Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenstufenvertretung<br />

gebildet ist (vgl. hierzu <strong>und</strong> zum Folgenden: BVerwG, Beschl.<br />

v. 19.1.2009 – 6 P 1/08 – zitiert nach Juris, unter Aufgabe<br />

der im Beschl. v. 1.11.2005, a.a.0., vertretenen gegenteiligen<br />

Auffassung)<br />

Diese stufenvertretungsspezifische Dienststellenbezogenheit<br />

des Weiterbeschäftigungsverlangens ist gerechtfertigt durch<br />

die für § 9 BPersVG (entspricht § 9 SächsPersVG) wesentlichen<br />

Schutzzwecke der Ämterkontinuität einerseits <strong>und</strong><br />

der Bewahrung des Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenvertreters<br />

vor nachteiligen Folgen seiner Amtsausübung andererseits.<br />

Der kollektivrechtliche Zweck, die amtierende Jugend- <strong>und</strong><br />

Auszubildendenvertretung vor dauernden oder vorübergehenden<br />

Änderungen ihrer Zusammensetzung zu schützen,<br />

wird erreicht, wenn ein Mitglied der Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenvertretung<br />

von seiner (nachgeordneten) Ausbildungsdienststelle<br />

in eine andere Dienststelle des Geschäftsbereichs<br />

überwechselt, weil nach der gemäß § 64 Abs. 1 Satz 2 <strong>und</strong><br />

§ 60 Abs. 4 BPersVG entsprechend anzuwendenden Vorschrift<br />

des § 29 Abs. 1 Nr. 4 BPersVG (entspricht: §§ 64 Abs. 1 Satz 2,<br />

61 Abs. 4 i.V.m. 29 Abs. 1 Nr. 4 SächsPersVG) sein Ausscheiden<br />

aus dem Zuständigkeitsbereich der übergeordneten<br />

Dienststelle, bei der die Stufenvertretung gebildet worden<br />

223


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

ist, nicht aber das Ausscheiden aus seiner (nachgeordneten)<br />

Ausbildungsdienststelle, das Ausscheiden aus der Stufenvertretung<br />

zur Folge hat. Der weitere Normzweck, den Jugend<strong>und</strong><br />

Auszubildendenvertreter vor Personalmaßnahmen zu<br />

schützen, die ihn an der Ausübung seines Amtes hindern<br />

oder seine Unabhängigkeit beeinträchtigen können, rechtfertigt<br />

es ebenfalls, den Weiterbeschäftigungsanspruch eines<br />

Mitglieds der Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenstufenvertretung<br />

auf alle Dienststellen des Geschäftsbereichs zu erstrecken.<br />

Da sich der Wirkungskreis der Stufenvertretung, wie sich aus<br />

§ 82 Abs. 1 BPersVG (entspricht: § 87 Abs. 1 SächsPersVG)<br />

ergibt, auf die übergeordnete Dienststelle selbst <strong>und</strong> alle ihr<br />

nachgeordneten Dienststellen bezieht, geraten die Mitglieder<br />

der Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenstufenvertretung in den<br />

für die bipolare personalvertretungsrechtliche Dienststellenverfassung<br />

typischen Interessengegensatz zum Leiter der<br />

übergeordneten Dienststelle <strong>und</strong> sind dementsprechend<br />

einem höheren Risiko ausgesetzt, nach Abschluss der Ausbildung<br />

in keiner der Dienststellen, die dem Leiter der<br />

übergeordneten Dienststelle unterstehen, weiterbeschäftigt<br />

zu werden. Dem muss der Schutzbereich des § 9 BPersVG bzw.<br />

SächsPersVG Rechnung tragen, auch wenn sich – wie der<br />

Antragsteller vor der Rechtsprechungsänderung zutreffend<br />

eingewandt hat – durch die Einbeziehung aller Dienststellen<br />

der übergeordneten Behörde die Chancen auf Durchsetzung<br />

des Weiterbeschäftigungsanspruchs bei Mitgliedern der<br />

Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenstufenvertretung in Abhängigkeit<br />

von der Größe des Geschäftsbereichs <strong>und</strong> der Anzahl<br />

der dazugehörigen Dienststellen deutlich verbessern. Ein<br />

Verstoß gegen das Begünstigungsverbot des § 8 SächsPersVG<br />

kann hierin schon deshalb nicht erblickt werden, weil der<br />

Gesetzgeber mit dem erweiterten Schutz für Jugend- <strong>und</strong><br />

Auszubildendenstufenvertreter im Vergleich zu Mitgliedern<br />

der örtlichen Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenvertretungen <strong>und</strong><br />

Nichtmitgliedern auf einen bei diesen nicht (in diesem Umfang)<br />

bestehenden typischen Interessengegensatz reagiert<br />

<strong>und</strong> damit nicht wesentlich gleiche Sachverhalte ungleich<br />

behandelt hat. Ein komplettes Einstellungsgebot folgt aus<br />

der Privilegierung der Jugendstufenvertreter dennoch nicht,<br />

weil es dem öffentlichen Arbeitgeber weiterhin möglich ist,<br />

die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung geltend zu<br />

machen, wenn in keiner Dienststelle des Geschäftsbereichs<br />

ein ausbildungsadäquater Dauerarbeitsplatz vorhanden ist.<br />

Hiervon ausgehend ist die im Streitfall maßgebliche übergeordnete<br />

Dienststelle das Sächsische Staatsministerium der<br />

Justiz, bei dem die Stufenvertretung gebildet ist, der der Beteiligte<br />

zu 1 angehört. Unerheblich ist daher, dass unstreitig<br />

kein Dauerarbeitsplatz beim Amtsgericht Chemnitz, der Ausbildungsdienststelle<br />

des Beteiligten zu 1, zur Verfügung stand.<br />

Auch darf sich die Prüfung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit<br />

nicht auf den Geschäftsbereich des Oberlandesgerichts<br />

beschränken, sondern muss den gesamten Geschäftsbereich<br />

des Staatsministeriums der Justiz in den Blick nehmen. Die<br />

insoweit zwischen den Beteiligten streitigen Fragen, ob das<br />

224 03/09<br />

Verwaltungsgericht schon im Hinblick auf die im September<br />

<strong>und</strong> November 2006 vorgenommenen Einstellungen fünf<br />

ehemaliger Soldaten von verfügbaren Stellen im Oberlandesgerichtsbezirk<br />

ausgehen durfte <strong>und</strong> ob die dortige Weiterbeschäftigung<br />

des Beteiligten zu 1 dem Antragsteller unzumutbar<br />

gewesen sein könnte, weil nach seinen Darlegungen in<br />

den Serviceeinheiten der ordentlichen Gerichte kein Beschäftigungsbedarf<br />

für Fachangestellte für Bürokommunikation besteht,<br />

bedürfen keiner Entscheidung. Denn jedenfalls zur Stellensituation<br />

im gesamten Justizbereich hat der Antragsteller<br />

die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Beteiligten<br />

zu 1 nicht zu begründen vermocht.<br />

Im Ansatz zutreffend macht der Antragsteller freilich geltend,<br />

dass darüber, ob ein geeigneter <strong>und</strong> besetzbarer Arbeitsplatz<br />

zur Verfügung steht, primär der Haushaltsgesetzgeber zu entscheiden<br />

hat (vgl. BVerwG, Besohl. v. 1.11.2005, a.a.0. <strong>und</strong><br />

Beschl. v. 30.5.2007 – BVerwG 6 PB 1.07 –). Entgegen der<br />

Auffassung des Beteiligten zu 1 ist es dabei unschädlich, dass<br />

sich der Antragsteller nicht auf ein vom Haushaltsgesetzgeber<br />

für alle freien oder frei werdenden Stellen ausgesprochenes<br />

Verbot der Wiederbesetzung, sondern auf einen verwaltungsseitigen<br />

– vom Kabinett am 11.7.2006 beschlossenen – Einstellungsstopp<br />

beruft, dessen Ausnahmen Ziffer 4.1.0. („Einstellungen<br />

aufgr<strong>und</strong> gesetzlicher Verpflichtungen, z.B. aufgr<strong>und</strong><br />

des Soldatenversorgungsgesetzes“) <strong>und</strong> 4.2 (Einstellungskorridor<br />

von 9 Absolventen justizspezifischer Ausbildungsgänge<br />

für den mittleren Dienst) dem Beteiligten zu 1 nicht zugute<br />

kämen. Denn nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts<br />

begründet auch ein verwaltungsseitiger Einstellungsstopp<br />

die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung,<br />

wenn er sich auf eine Entscheidung des Haushaltsgesetzgebers<br />

zurückführen lässt. Dabei muss es sich nicht um den Vollzug<br />

einer konkreten Regelung im Haushaltsgesetz handeln,<br />

welche die in Betracht zu ziehenden unbesetzten Stellen im<br />

Einzelnen erfasst, wie dies bei kw- oder ku-Vermerken der Fall<br />

ist. Vielmehr reicht es aus, dass sich der Haushaltsgesetzgeber<br />

auf globale Vorgaben zur Personaleinsparung in bestimmten<br />

Ressortbereichen beschränkt (BVerwG, Beschl. v. 2.11.1994,<br />

BVerwGE 97, 68). Gemessen daran genügt es hier, dass sich<br />

der Einstellungsstopp des Kabinetts auf die in § 8 Haushaltsgesetz<br />

2005/2006 normierte allgemeine Verpflichtung zum<br />

Personalabbau auf 80.000 Stellen bis 2010 zurückführen lässt.<br />

Allerdings muss ein verwaltungsseitiger Einstellungsstopp<br />

dem Zweck des § 9 BPersVG bzw. SächsPersVG, zuverlässigen<br />

Schutz gegenüber Benachteiligungen wegen der personalvertretungsrechtlichen<br />

Tätigkeit zu bieten, hinreichend<br />

Rechnung tragen. Lässt ein behördlicher Einstellungsstopp<br />

Ausnahmen zu, so dürfen diese nicht in erheblichem Umfang<br />

für Wertungen offen bleiben, sondern müssen so eindeutig<br />

gefasst sein, dass sich auch nur der Verdacht einer Benachteiligungsabsicht<br />

von vornherein, d.h. anhand objektiver<br />

Kriterien, ausschließen lässt (BVerwG, Beschl. v. 2.11.1994,<br />

a.a.0.). Daran fehlt es im Streitfall.<br />

Ziffer 4.4 des Kabinettsbeschlusses lässt „in besonders be-


gründeten Einzelfällen Ausnahmen mit Zustimmung des<br />

Ministerpräsidenten <strong>und</strong> des stellvertretenden Ministerpräsidenten“<br />

zu. Im Schreiben des Staatsministeriums der Justiz<br />

vom 1.8.2006 an die Präsidenten der Obergerichte <strong>und</strong> den<br />

Generalstaatsanwalt heißt es zudem, es stehe „gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

für die gesamte Justiz von 2006 bis 2011 ein Korridor von<br />

9 Einstellungen im mittleren Dienst ( ... ) zur Verfügung.<br />

Diese Einstellungen sind durch Absolventen mit justizspezifischen<br />

Ausbildungen des Ausbildungszentrums B. <strong>und</strong> der<br />

Fachhochschule der Sächsischen Verwaltung zu besetzen.<br />

Nur in Ausnahmefällen kann davon abgewichen werden, die<br />

Einwilligung des Staatsministeriums der Justiz hierfür ist dann<br />

vorab einzuholen“. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der<br />

möglichen Ausnahmen vom Einstellungsstopp, insbesondere<br />

des Absehens von einer justizspezifischen Fachausbildung,<br />

werden in keiner Weise näher konkretisiert, so dass sie sich<br />

auch nicht anhand objektiv feststehender Kriterien hinreichend<br />

eindeutig eingrenzen lassen. Sie bleiben in nicht unerheblichem<br />

Maße für Wertungen offen <strong>und</strong> erreichen nicht<br />

das Maß an Bestimmtheit, das von einem verwaltungsseitigen<br />

Einstellungsstopp zu fordern ist, wenn er der vorbeugenden<br />

Zielsetzung des § 9 SächsPersVG Rechnung tragen soll.<br />

Die vom Antragsteller unter Ziffer 4 des Schriftsatzes vom<br />

27.3.2009 geschilderte Verwaltungspraxis, wonach tatsächlich<br />

keine einzige Neueinstellung ohne justizspezifische Ausbildung<br />

erfolgt sei, ist in diesem Zusammenhang nicht von<br />

Belang.<br />

Scheidet der verwaltungsseitige Einstellungsstopp demgemäß<br />

aus, um die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung<br />

des Beteiligten zu 1 zu begründen, so kommt es darauf an, ob<br />

das weitere Vorbringen des Antragstellers hierzu ausreicht.<br />

Das ist in Ansehung der unter Ziffer 5 des Schriftsatzes vom<br />

27.3.2009 enthaltenen <strong>und</strong> auch in der mündlichen Anhörung<br />

nicht substantiiert ergänzten Ausführungen nicht der Fall.<br />

Danach sollen zum Ende der Ausbildung des Beteiligten zu 1<br />

am 24.8.2006 „rein rechnerisch zwar ca. 168,55 Stellen frei“ gewesen<br />

sein. Diese hätten jedoch sämtlich nicht für den Beteiligten<br />

zu 1 zur Verfügung gestanden, weil sie „zum Großteil“<br />

zur Aufstockung der Arbeitszeit für nicht in Vollzeit tätige<br />

Bedienstete sowie für Rückkehrer aus der Elternzeit – bei Beachtung<br />

der insgesamt 4.257 Beschäftigten im Bereich des<br />

mittleren Dienstes des Staatsministeriums der Justiz – vorzuhalten<br />

gewesen seien. Dieser Vortrag setzt voraus, dass es<br />

einen restlichen Teil von Stellen gab, zu dem keinerlei Angaben<br />

gemacht wurden. Auf Nachfrage in der Anhörung bestätigte<br />

der Antragsteller insoweit zudem ausdrücklich, er habe<br />

selbst nicht behauptet, dass es im gesamten Justizbereich<br />

keine einzige freie Stelle im mittleren Justizdienst gegeben<br />

habe, die für eine Besetzung mit dem Beteiligten zu 1 in Frage<br />

gekommen wäre. Auch der Einwand, dass es keinen Bedarf für<br />

Fachangestellte für Bürokommunikation in Serviceeinheiten<br />

der (ordentlichen) Gerichte gebe, wurde nicht auf den gesamten<br />

Justizbereich übertragen. Damit hat der Antragsteller,<br />

der darlegungs- <strong>und</strong> beweisbelastet ist (vgl. BVerwG, Beschl.<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

v. 2.11.1994, a.a.0.), nicht nachgewiesen, dass ihm die Weiterbeschäftigung<br />

des Beteiligten zu 1 im gesamten Geschäftsbereich<br />

des Staatsministeriums der Justiz unzumutbar ist.<br />

Die Folge, dass sich der Antragsteller nicht auf die Unzumutbarkeit<br />

der Weiterbeschäftigung nach § 9 Abs. 4<br />

Satz 1 Nr. 2 SächsPersVG berufen kann, bedarf entgegen<br />

dessen Auffassung unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs<br />

nicht deshalb der Korrektur, weil der Beteiligte<br />

zu 1 erst am 18.8.2006 <strong>und</strong> mithin eine knappe Woche<br />

vor Beendigung der Ausbildung zum Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenvertreter<br />

gewählt wurde. Der Gesetzgeber hat<br />

die Fiktion der Begründung eines Arbeitsverhältnisses auf<br />

unbestimmte Zeit nach § 9 Abs. 2 SächsPersVG – soweit<br />

hier relevant – zu dem bereits dargelegten Zweck des<br />

Schutzes der unabhängigen <strong>und</strong> ungestörten Amtsausübung<br />

geschaffen <strong>und</strong> ihn an das innerhalb der letzten drei Monate<br />

vor Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses<br />

schriftlich zu äußernde Weiterbeschäftigungsverlangen des<br />

Betroffenen geknüpft. Es entspricht der ganz herrschenden<br />

Auffassung in der Kommentarliteratur (vgl. Faber, in:<br />

Lorenzen/Etzel/Gerhold/Schlatmann/Rehak/Ders., BPersVG,<br />

§ 9 Rn 10; Altvater/Hamer/Ohnesorg/Peiseler, BPersVG, 5. Aufl.<br />

2004, § 9 Rn 3; Fischer/Goeres/Gronimus, in: GKÖD Bd. V K § 9<br />

Rn 9 <strong>und</strong> 10), dass der Schutz der Norm zwar nicht bereits<br />

mit der Wahlbewerbung einsetzt, wohl aber mit der Wahl,<br />

<strong>und</strong> zwar auch dann, wenn diese erst innerhalb der letzten<br />

drei Monate vor Beendigung der Ausbildung stattfindet. Ob<br />

anderes dann gilt, wenn zum Zeitpunkt der Wahl noch eine<br />

Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenstufenvertretung besteht, so<br />

dass die Amtszeit der neugewählten Vertretung nach § 64<br />

Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 61 Abs. 2 Satz 2 SächsPersVG erst mit Ablauf<br />

von deren Amtszeit beginnen würde (vgl. in diesem Sinn<br />

Faber, in: Lorenzen/Etzel/Gerhold/Schlatmann/Rehak/Ders.,<br />

a.a.O.; zweifelnd auch Fischer/Goeres/Gronimus, a.a.O., Rn 9),<br />

kann vorliegend offen bleiben, da vor der Wahl der Beteiligten<br />

zu 5 keine Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenvertretung existierte.<br />

In Übereinstimmung mit der zitierten Kommentarliteratur<br />

hat das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht seine Rechtsprechung<br />

zu dem Dreimonatszeitraum, in dem der Arbeitgeber mit<br />

einem Übernahmeverlangen nach § 9 Abs. 2 BPersVG rechnen<br />

<strong>und</strong> daher bei Einstellungsvorhaben die Möglichkeit eines<br />

Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes berücksichtigen muss,<br />

präzisiert <strong>und</strong> ausgeführt, dass diese keine uneingeschränkte<br />

Geltung beanspruche, wenn der Auszubildende erst während<br />

dieses Zeitraums die Mitgliedschaft in dem betreffenden<br />

personalvertretungsrechtlichen Organ erlangt; in diesem Fall<br />

genieße er erst mit der Wahl den Schutz des § 9 BPersVG<br />

(vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.11.2007, PersR 2008, 80). Der<br />

Normzweck entfällt also nicht etwa zur Gänze, wenn innerhalb<br />

des Dreimonatszeitraums gewählt wird. Eine weitere<br />

Differenzierung nach dem Zeitpunkt der Wahl innerhalb der<br />

letzten drei Monate vor Ausbildungsende verbietet sich auch<br />

im Hinblick auf die Kürze dieses Zeitraums.<br />

Der Schutz des § 9 SächsPersVG kann dem Beteiligten zu<br />

225


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

1 ferner nicht deswegen abgesprochen werden, weil der<br />

Antragsteller – unstreitig – nicht in der Absicht gehandelt<br />

hat, ihn wegen seiner Wahl zum Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenvertreter<br />

der Beteiligten zu 5 zu benachteiligen.<br />

Zur Rechtfertigung der Auflösung des nach § 9 Abs. 2<br />

SächsPersVG begründeten Arbeitsverhältnisses reicht es<br />

nämlich nicht aus, dass nachgewiesen werden kann, dass<br />

der Arbeitgeber die Betroffenen nicht wegen ihrer Tätigkeit<br />

in der Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenvertretung benachteiligt<br />

hat. Diese Frage, die nicht immer zuverlässig zu beantworten<br />

ist, soll gerade nicht Gegenstand des Verfahrens nach § 9<br />

Abs. 4 SächsPersVG sein. Das Gesetz knüpft die Möglichkeit<br />

der Auflösung des Arbeitsverhältnisses nämlich nicht schon<br />

daran, dass ausschließlich sachliche Gründe den Arbeitgeber<br />

zur Nichtübernahme bewogen haben. Vielmehr sind die<br />

Voraussetzungen einer Auflösung des kraft Gesetzes zustande<br />

gekommenen Arbeitsverhältnisses enger <strong>und</strong> qualifizierter,<br />

indem dem Arbeitgeber die Nachweisführung auferlegt wird,<br />

dass <strong>und</strong> aus welchen gewichtigen Gründen ihm die Weiterbeschäftigung<br />

ausnahmsweise („unter Berücksichtigung aller<br />

Umstände“) unzumutbar ist (ebenso zu § 9 BPersVG: BVerwG,<br />

Beschl. v. 2.11.1994, a.a.O.).<br />

■ Verwaltungsgericht Dresden<br />

vom 13.06.2008, PL 9 A 552/08<br />

mitgeteilt von Rechtsanwalt Roland Gross,<br />

Anwaltshaus im Messehof Leipzig,<br />

Petersstraße 15, 04109 Leipzig<br />

Tel.: 0341/984620, Fax: 0341/9846224<br />

leipzig@advo-gross.de<br />

278. Personalrat, Mitbestimmungsrecht, Versetzung Beamte,<br />

Mitwirkung, Zulassung der Beschwerde<br />

Einzigartig oder: Die Frau des Ministers<br />

Um die nachstehend wiedergegebene Entscheidung des Verwaltungsgerichts<br />

Dresden <strong>und</strong> die Entscheidung des Sächsischen<br />

Oberverwaltungsgerichts verstehen zu können, braucht<br />

der <strong>Leser</strong> nur wenige Hintergr<strong>und</strong>informationen:<br />

Bedingungen: Lehrer im Schuldienst des Freistaates Sachsen<br />

waren jedenfalls zum Zeitpunkt der Personalmaßnahme<br />

so gut wie ausschließlich teilzeitbeschäftigt.<br />

Schulleiter <strong>und</strong> ihre Stellvertreter<br />

konnten in Vollzeit tätig sein.<br />

Einsatz: Realschullehrerin auf der Stelle der stellvertretenden<br />

Schulleiterin eines Gymnasiums, aber<br />

nur haushaltsrechtlich, faktisch am Wohnort<br />

ihres Mannes, des Ministers, im nicht unterrichtenden<br />

Dienst.<br />

Transparenz: Null – Personalräte erfuhren von der Personalmaßnahme<br />

nur aus der Presse<br />

Regeln: ostdeutsches Landesrecht, insbesondere Sächsisches<br />

Personalvertretungsgesetz<br />

§ 89 Abs. 2 SächsPersVG: „Die Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzes<br />

über das Beschlussverfahren<br />

226 03/09<br />

gelten entsprechend. Für die Beschwerde<br />

gegen verfahrensbeendende Beschlüsse der<br />

Verwaltungsgerichte im Hauptsacheverfahren<br />

gelten § 124 Abs. 2 <strong>und</strong> § 124a der<br />

Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend.<br />

Über die Zulassung der Beschwerde kann<br />

ohne mündliche Verhandlung entschieden<br />

werden.“<br />

Der zulässige Antrag des Antragstellers zu 1 der Vorinstanz<br />

ist unbegründet. Weder hat die Angelegenheit gr<strong>und</strong>sätzliche<br />

Bedeutung nach § 88 Abs. 2 Satz 2 SächsPersVG, § 124 Abs. 2<br />

Nr. 3 VwGO (dazu 1.), noch liegen ernstliche Zweifel bezüglich<br />

der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts<br />

Dresden nach § 88 Abs. 2 Satz 2 SächsPersVG, § 124 Abs. 2<br />

Nr. 1 VwGO (dazu 2.) vor.<br />

1. Die vom Antragsteller zu 1 der Vorinstanz vorgetragenen<br />

Rechtsfragen, ob die Übernahme einer verbeamteten Lehrkraft<br />

aus dem Schuldienst eines anderen B<strong>und</strong>eslandes in den<br />

des Freistaates Sachsen unter Wahrung des Beamtenstatus<br />

eine Einstellung i.S.d. § 81 Abs. 1 Nr. 1 SächsPersVG oder eine<br />

Versetzung i.S.v. § 81 Abs. 1 Nr. 4 SächsPersVG darstelle <strong>und</strong>,<br />

ob der in § 81 Abs. 2 SächsPersVG formulierte Antragsvorbehalt<br />

bei länderübergreifenden Versetzungen von Landesbeamten<br />

zur Anwendung gelange, haben keine gr<strong>und</strong>sätzliche<br />

Bedeutung i.S.v. § 88 Abs. 2 Satz 2 SächsPersVG, § 124 Abs. 2<br />

Nr. 3 VwGO.<br />

Der Zulassungsgr<strong>und</strong> der gr<strong>und</strong>sätzlichen Bedeutung (§ 88<br />

Abs. 2 Satz 2 SächsPersVG, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt<br />

dann vor, wenn eine Entscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit,<br />

der Einheit der Rechtsordnung oder der Fortbildung<br />

des Rechts im Allgemeininteresse liegen. Nicht klärungsbedürftig<br />

ist hingegen eine Frage, deren Beantwortung sich<br />

ohne weiteres aus dem Gesetz ergibt.<br />

Die vom Antragsteller aufgeworfene Rechtsfrage nach der<br />

Einordnung einer länderübergreifenden Versetzung ist nach<br />

dem Wortlaut des § 81 SächsPersVG <strong>und</strong> auch in der<br />

Rechtsprechung bereits geklärt. Der Wortlaut von § 81 Abs. 1<br />

Nr. 1 SächsPersVG ist zunächst eindeutig. Er bezieht sich<br />

ausschließlich auf Einstellungen; § 18 Abs. 4 BRGG geht bei<br />

einem bestehenden Beamtenverhältnis bei einem Wechsel<br />

des Dienstherrn ausdrücklich von einer Versetzung aus.<br />

Das ist letztlich konsequent, da das Beamtenverhältnis<br />

nicht neu begründet wird, sondern nach der genannten<br />

Vorschrift mit dem neuen Dienstherrn fortgesetzt wird.<br />

Die Interessenkonstellation einer Einstellung ist somit nicht<br />

gegeben. Abgesehen von der Klarheit des Wortlauts spricht<br />

auch die Tatsache, dass die Versetzung nach § 81 Abs. 1 Nr. 4<br />

SächsPersVG eine eigenständige Regelung erfahren hat, dafür,<br />

dass kein Bedürfnis besteht, die vom B<strong>und</strong>esgesetzgeber<br />

ausdrücklich als Versetzung geregelte Maßnahme unter dem<br />

Begriff der Einstellung zu subsumieren.<br />

Dies entspricht auch der vorliegenden Rechtsprechung.<br />

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (PersV<br />

1992, 447/448) hat ausdrücklich entschieden, dass bei der


vorliegendem Konstellation nicht das Tatbestandsmerkmal<br />

der Einstellung, sondern der Versetzung zu einer anderen<br />

Dienststelle einschlägig sei. Das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht<br />

(PersV 1999, 496; PersR 1989, 11) hat diese Frage nicht<br />

weiter problematisiert, sondern schlicht vorausgesetzt, dass<br />

das Tatbestandsmerkmal der Versetzung zu einer anderen<br />

Dienststelle vorliegt. Dies entspricht dem eindeutigen Wortlaut<br />

der Vorschrift.<br />

Auch die zweite aufgeworfene Rechtsfrage beantwortet sich<br />

direkt aus dem Gesetz. Dieses gibt keinen Anhaltspunkt dafür,<br />

dass das Antragserfordernis des § 81 Abs. 2 SächsPersVG nur<br />

eingeschränkt bei Versetzungen in bestimmten Konstellationen<br />

gelten soll.<br />

2. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen<br />

Entscheidung nach § 88 Abs. 2 Satz 2 Sächs-<br />

PersVG, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nicht. Solche<br />

liegen dann vor, wenn der Antragsteller das Zulassungsverfahren<br />

tragende Rechtssätze oder erhebliche Tatsachenfeststellungen<br />

mit schlüssigen Gegenargumenten so in<br />

Frage stellt, dass der Ausgang des Beschwerdeverfahrens<br />

zumindest als ungewiss zu beurteilen ist. Der Antragsteller<br />

zu 1 der Vorinstanz trägt insoweit zum einen vor, dass das<br />

Verwaltungsgericht verkannt habe, dass die Versetzung der<br />

Beamtin aus Schleswig-Holstein zum Freistaat Sachsen den<br />

Mitbestimmungstatbestand der Einstellung nach § 81 Abs. 1<br />

Nr. 1 SächsPersVG erfülle. Dies ist nach den oben unter 1.<br />

dargelegten Gründen nicht der Fall. Soweit vorgetragen wird,<br />

die Versetzung nach § 18 Abs. 2 BRRG unterfalle § 81 Abs. 1<br />

Nr. 4 SächsPersVG, allerdings ohne den Antragsvorbehalt<br />

des § 81 Abs. 4 SächsPersVG, ist ebenfalls auf die unter<br />

1. enthaltenen Ausführungen zu verweisen. Nachdem die<br />

versetzte Beamtin keinen Antrag auf Beteiligung des örtlichen<br />

Personalrats gestellt hat, ist das Verwaltungsgericht zu Recht<br />

davon ausgegangen, dass kein Mitbestimmungstatbestand<br />

vorliegt.<br />

Soweit vorgetragen wird, es läge mit der Versetzung eine<br />

Beförderung i.S.v. § 81 Abs. 1 Nr. 2 SächsPersVG vor, so ist<br />

mit dem Verwaltungsgericht darauf hinzuweisen, dass ein<br />

Statuswechsel nicht stattgef<strong>und</strong>en hat; die versetzte Beamtin<br />

wird – weiterhin – in der Besoldungsgruppe Al3 geführt. Das<br />

Verwaltungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen,<br />

dass keine Übertragung einer höher bewerteten Tätigkeit<br />

(§ 81 Abs. 1 Nr. 3 SächsPersVG) erfolgt ist. Das Verwaltungsgericht<br />

hat hierzu ausgeführt, dass die versetzte Beamtin<br />

nicht zur stellvertretenden Schulleiterin an einem Gymnasium<br />

(in Leipzig) bestellt worden sei, sondern lediglich aus<br />

haushaltsrechtlichen Gründen auf der dafür zur Verfügung<br />

stehenden Planstelle „geführt“ werde. Damit seien ihr nicht<br />

die Aufgaben einer stellvertretenden Schulleiterin übertragen<br />

worden. Zudem sei die Frage der Höherwertigkeit der zu<br />

übertragenden Tätigkeit durch einen Vergleich mit der bisher<br />

wahrgenommenen Stelle <strong>und</strong> der neuen Stelle zu beantworten.<br />

Nach diesem Vergleich sei jedoch eine Gleichwertigkeit<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

der Stellen gegeben, da sie der gleichen Besoldungsgruppe<br />

angehörten.<br />

Mit dem Zulassungsantrag wird vorgetragen, dass neben den<br />

vom Verwaltungsgericht angeführten Kriterien die Wertigkeit<br />

einer Stelle auch durch andere Aspekte, die nicht bloß finanzieller<br />

Art sein müssen, bestimmt werde. Die Übertragung einer<br />

höher bewerteten Tätigkeit stelle häufig eine Vorentscheidung<br />

für eine spätere Versetzung, Abordnung oder Beförderung<br />

dar. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> sei zu berücksichtigen, dass<br />

die versetzte Beamtin im B<strong>und</strong>esland Schleswig-Holstein als<br />

Konrektorin im Realschulbereich tätig gewesen sei, in Sachsen<br />

jedoch eine gymnasiale Konrektorenstelle übertragen bekommen<br />

habe. Darin sei gleichermaßen eine Beförderung zu<br />

sehen. Es käme insoweit nicht auf die haushaltsrechtliche<br />

Motivation an.<br />

Mit diesem Vortrag werden Zweifel an der Entscheidung des<br />

Verwaltungsgerichts nicht begründet. Nach § 81 Abs. 1 Nr. 3<br />

SächsPersVG kommt es entscheidend auf die Übertragung<br />

einer Tätigkeit an. Unter Übertragung ist die Zuweisung der<br />

Aufgaben der entsprechenden Stelle zu verstehen, also die<br />

Wahrnehmung des Amtes oder der Auftrag zur Wahrnehmung<br />

der Geschäfte des jeweiligen Amtes. Dabei ist das Amt<br />

im funktionellen Sinne gemeint (zum Vorstehenden: Lorenzen<br />

et al., B<strong>und</strong>espersonalvertretungsgesetz, § 76 Rn 39 m.w.N.).<br />

Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> fehlt es schon an der Übertragung<br />

des Amtes, da – unstreitig – Aufgaben der Stelle an dem Gymnasium<br />

in Leipzig nicht übertragen wurden. Mit der bereits<br />

vor Antritt ihres Dienstes erfolgten Abordnung der versetzten<br />

Beamten an das Comenius-Institut in Radebeul ist auch offenk<strong>und</strong>ig,<br />

dass ein Amt im funktionellen Sinne nicht übertragen<br />

wurde. Schließlich ist weder ersichtlich noch vorgetragen,<br />

dass eine statusrechtliche Verbesserung(smöglichkeit) mit der<br />

Versetzung in den Dienst des Freistaates Sachsen verb<strong>und</strong>en<br />

gewesen wäre.<br />

■ Sächsisches Oberverwaltungsgericht<br />

Vom 21.05.2008, PL 9 B 475/06<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Roland Gross,<br />

Anwaltshaus im Messehof Leipzig,<br />

Petersstraße 15, 04109 Leipzig<br />

Tel.: 0341/984620, Fax: 0341/9846224<br />

leipzig@advo-gross.de<br />

279. Mitbestimmung des Personalrats, Dienststelleneigenschaft<br />

ARGE, Ersatzpersonalrat<br />

Der Antragsteller ist an der geplanten – gem. § 80. Abs. 3<br />

Nr. 1 SächsPersVG mitbestimmungspflichtigen – Änderung<br />

der Dienstvereinbarung durch die Geschäftsführung der ARGE<br />

zu beteiligen.<br />

Die Geschäftsführung der ARGE ist für die beabsichtigte Änderung<br />

der Dienstvereinbarung (§ 84 SächsPersVG) zuständig;<br />

im 1. Nachtrag zum Dienstleistungsüberlassungsvertrag II<br />

(vom 14./15.7.2005) werden ihr verschiedene dienstaufsichtliche<br />

Weisungsbefugnisse, darunter auch Regelungen der Ar-<br />

227


Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

beitszeit, übertragen: § 3 des Dienstleistungsüberlassungsvertrags<br />

enthält lediglich einen Zustimmungsvorbehalt der Stadt,<br />

der die der ARGE übertragene Entscheidungskompetenz<br />

auch in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten nicht in<br />

Frage stellt (dies übersieht das SächsLAG in seinem Beschluss<br />

vom 14.2.2008 – 6 TaBV 13/07 – <strong>und</strong> verneint deshalb zu<br />

Unrecht eine ausreichende personalvertretungsrechtliche<br />

Kompetenz der ARGE). Damit ist auch die „Dienststelleneigenschaft“<br />

der ARGE zu bejahen (a.A. VG Arnsberg, Beschl.<br />

vom 22.3.2007, PersR 2007, 255), wobei dahinstehen kann,<br />

ob man die ARGE als eine Behörde mit einer hybriden<br />

Struktur oder als teilrechtsfähige Organisation sui generis<br />

(vgl. dazu Kersten, ZfPR 2005, 130) betrachtet. Diese weite<br />

Auslegung des Dienststellenbegriffs ist nach Auffassung<br />

der Kammer auch im Hinblick auf die Regelung in Art. 26<br />

SächsVerfG geboten, wonach in „Einrichtungen“ des Landes<br />

(wozu auch die ARGE unbeschadet ihrer verfassungsrechtlich<br />

bedenklichen Organisationsform als gemeinsame Einrichtung<br />

einer kommunalen Körperschaft <strong>und</strong> des B<strong>und</strong>es – ¡vgl.<br />

dazu BVerfG, Urt. vom 20.12.2007, NVwZ 2008, 183 – zählt)<br />

Vertretungsorgane der Beschäftigten zu bilden sind.<br />

Die Kammer ist der Auffassung, dass die ARGE das Mitbestimmungsverfahren<br />

einzuleiten hat (§ 79 Abs. 2 SächsPersVG)<br />

<strong>und</strong> dabei den Personalrat Stadtverwaltung – gleichsam<br />

als „Ersatz-Personalrat“ (dass eine Ersatz-Zuständigkeit im<br />

Personalvertretungsrecht nicht systemfremd ist, lässt sich<br />

§ 87 Abs. 5 SächsPersVG entnehmen) – zu beteiligen hat; dies<br />

lässt sich mit der Überlegung rechtfertigen, dass die ARGE „im<br />

Auftrag“ des bzw. stellvertretend für den Dienststellenleiter<br />

der Stadt handelt <strong>und</strong> das Verfahren einleitet <strong>und</strong> dass die<br />

Beschäftigten der Stadt, die der ARGE zugeordnet sind,<br />

auch diesen Personalrat gewählt haben. Der Personalrat<br />

ist dadurch hinreichend demokratisch legitimiert (siehe<br />

auch SächsOVG, Beschl. vom 27.4.2007, PersR 2007, 251,<br />

das dem Antragsteller einen Anspruch auf Aushändigung<br />

eines (Wähler-)Verzeichnisses der in der ARGE beschäftigten<br />

Mitarbeitern der Stadtverwaltung einräumt). Dass die Kammer<br />

diese Wahl für unwirksam erklärt hat (Beschl. vom 25.4.2008 –<br />

9 K 1115/07 –), steht dem nicht entgegen, weil gegen diesen<br />

Beschluss Beschwerde erhoben wurde <strong>und</strong> der Beschluss<br />

damit in seiner Wirkung suspendiert ist. Zudem vermeidet<br />

diese Lösung eine personalratslose Zeit bei der ARGE (für die<br />

Beschäftigten der Stadt).<br />

■ Verwaltungsgericht Dresden<br />

vom 13.06.2008, PL K 2317/07<br />

mitgeteilt von Rechtsanwalt Roland Gross,<br />

Anwaltshaus im Messehof Leipzig,<br />

Petersstraße 15, 04109 Leipzig<br />

Tel.: 0341/984620, Fax: 0341/9846224<br />

leipzig@advo-gross.de<br />

228 03/09<br />

Tarifvertragsrecht<br />

280. Spezialitätsprinzip, Mischtätigkeit<br />

B. II. 4. Bei der Bewertung von Arbeitsvorgängen unter Rückgriff<br />

auf Tätigkeitsmerkmale, die aus verschiedenen Tarifverträgen<br />

zwischen der Gewerkschaft ÖTV bzw. ver.di <strong>und</strong> dem<br />

VKA stammen, ist § 22 BAT-O dahingehend auszulegen, dass<br />

auch in diesen Fällen eine Bewertung jedes einzelnen Arbeitsvorgangs<br />

anhand des dafür maßgeblichen speziellen Tätigkeitsmerkmals<br />

erfolgt <strong>und</strong> nicht etwa zunächst die gesamte<br />

Tätigkeit des Angestellten einem Tarifvertrag oder Tarifvertragsausschnitt<br />

mit den in ihm geregelten Tätigkeitsmerkmalen<br />

zuzuordnen ist. Dies gebietet das Spezialitätsprinzip. Das<br />

hat das Landesarbeitsgericht in mehrfacher Hinsicht nicht beachtet.<br />

a) Das Landesarbeitsgericht hat bei der Anwendung der Tätigkeitsmerkmale<br />

auf die Tätigkeit des Klägers zunächst überprüft,<br />

ob diese zu mindestens der Hälfte aus Arbeitsvorgängen<br />

besteht, die für sich genommen Tätigkeitsmerkmale erfüllen,<br />

die durch den TV TechnAng in die Anlage 1a zum BAT-ONKA<br />

eingefügt worden sind. Dies sei im Ergebnis nicht der Fall.<br />

Zwar erfülle der Arbeitsvorgang 2 – Angelegenheiten des<br />

Brandschutzes – ein solches vom Landesarbeitsgericht allerdings<br />

nicht näher bezeichnetes Tätigkeitsmerkmal aus dem<br />

TV TechnAng. Das reiche jedoch nicht aus, da der Arbeitsvorgang<br />

2 lediglich 30 Prozent der vom Kläger auszuübenden<br />

Tätigkeit darstelle, für die „Voraussetzungen der Tätigkeitsmerkmale“<br />

des TV TechnAng aber weitere Arbeitsvorgänge<br />

aus der Tätigkeit des Klägers nicht hinzugerechnet werden<br />

könnten. Hierfür komme allenfalls der Arbeitsvorgang 4 –<br />

Katastrophen- <strong>und</strong> Zivilschutz – in Betracht. Es sei jedoch<br />

bereits fraglich, ob die dort genannten „Teiltätigkeiten“ überhaupt<br />

einen Arbeitsvorgang bildeten. Die „Teiltätigkeiten“,<br />

aus denen sich der Arbeitsvorgang 4 zusammensetze, seien<br />

überdies nur teilweise dem Technikerbereich zuzuordnen. Da<br />

der Kläger keine Zeitanteile dieser Teiltätigkeiten aufgeführt<br />

habe, sei nicht feststellbar, dass für den überwiegenden Teil<br />

dieses Arbeitsvorgangs technische Fachkenntnisse erforderlich<br />

seien. Aus demselben Gr<strong>und</strong> entfalle auch die Möglichkeit<br />

einer „selbständigen Überprüfung“ für den Fall, dass die unter<br />

Nr. 4 zusammengefassten Tätigkeiten mehrere Arbeitsvorgänge<br />

darstellten. Damit sei die Tätigkeit des Klägers insgesamt,<br />

also auch der Arbeitsvorgang 2, den Tätigkeitsmerkmalen<br />

des Allgemeinen Teils zuzuordnen. Eine danach erfolgte<br />

Betrachtung aller vier Arbeitsvorgänge ermögliche eine Eingruppierung<br />

in der VergGr. III BAT-O nicht, da hier allenfalls<br />

der Arbeitsvorgang 1 – Leitung des Sachgebietes – die dafür<br />

erforderliche Anforderung einer Tätigkeit mit „besonderer<br />

Schwierigkeit“ erfülle, was aber mit einem Anteil von 25<br />

Prozent der Gesamtarbeitszeit nicht hinreichend sei. Hinsichtlich<br />

der übrigen Arbeitsvorgänge 2 bis 4 könne dahingestellt<br />

bleiben, ob einzelne Teiltätigkeiten hieraus ausnahmsweise<br />

den Grad der „besonderen Schwierigkeit im Tarifsinne“ er-


eichten. Es sei nicht ersichtlich, dass derartige Teiltätigkeiten<br />

den jeweiligen Arbeitsvorgängen das Gepräge gaben. Auch<br />

könnten einzelne Teiltätigkeiten mit möglicherweise höherem<br />

Schwierigkeitsgrad nicht aus einem der Arbeitsvorgänge 2<br />

bis 4 „herausgelöst“ <strong>und</strong> als eigener Arbeitsvorgang gewertet<br />

<strong>und</strong> dem (höherwertigen) Zeitanteil der Gesamttätigkeit zugeschlagen<br />

werden, da die „Teiltätigkeiten“ innerhalb der Arbeitsvorgänge<br />

nicht mit Zeitanteilen versehen worden seien.<br />

b) Diese Vorgehensweise des Landesarbeitsgerichts ist bereits<br />

im Ansatz verfehlt. Die Tätigkeitsmerkmale des Allgemeinen<br />

Teils der Anlage 1a zum BAT-ONKA stehen neben denjenigen<br />

der weiteren Tarifverträge, u.a. derjenigen für die Fachhochschulingenieure<br />

nach dem TV TechnAng. Nach dem übergreifenden<br />

Gr<strong>und</strong>satz der Spezialität kann ein Arbeitsvorgang, der<br />

ein Tätigkeitsmerkmal nach dem TV TechnAng erfüllt, nicht<br />

auch noch ein Tätigkeitsmerkmal nach dem Allgemeinen Teil<br />

der Anlage 1a zum BAT-ONKA erfüllen.<br />

Die Eingruppierung besteht in der Zuordnung einer Tätigkeit,<br />

bei mehreren Arbeitsvorgängen in der Zuordnung jedes<br />

einzelnen Arbeitsvorgangs, zu einem Tätigkeitsmerkmal der<br />

Vergütungsordnung. Die unter Anwendung von § 22 BAT-<br />

O unter Berücksichtigung der dazu ergangenen Senatsrechtsprechung<br />

bestimmten Arbeitsvorgänge sind dabei jeder für<br />

sich einem der Tätigkeitsmerkmale der Anlage 1a zum BAT-<br />

ONKA zuzuordnen. Dabei bleibt außer Betracht, dass möglicherweise<br />

die Tätigkeitsmerkmale durch verschiedene <strong>und</strong> zu<br />

einem unterschiedlichen Zeitpunkt abgeschlossene einzelne<br />

Tarifverträge in die Vergütungsordnung der Anlage 1a zum<br />

BAT-ONKA eingefügt worden sind. Es kommt allein auf einen<br />

Abgleich der Arbeitsvorgänge mit den zum maßgeblichen<br />

Zeitpunkt geltenden Tätigkeitsmerkmalen in ihrer Gesamtheit<br />

an. Dabei sind die Tätigkeitsmerkmale aus dem TV TechnAng<br />

vorrangig zu überprüfen. Wenn ein Arbeitsvorgang ein solches<br />

Tätigkeitsmerkmal erfüllt, dann ist die Anwendung weiterer<br />

Eingruppierungsvorschriften, etwa nach dem Allgemeinen<br />

Teil, nach dem Spezialitätsprinzip ausgeschlossen.<br />

aa) Bei der tariflichen Eingruppierung von Arbeitnehmern im<br />

öffentlichen Dienst unter Anwendung von Vergütungssystemen<br />

finden sich neben den allgemeinen Tätigkeitsmerkmalen<br />

häufig spezielle tarifliche Merkmale für bestimmte Tätigkeiten.<br />

Dabei kann u.U. eine Tätigkeit gr<strong>und</strong>sätzlich die Merkmale<br />

sowohl einer speziellen als auch einer allgemeinen Fallgruppe<br />

erfüllen, etwa die Berechnung von Vergütungen <strong>und</strong> Dienstbezügen<br />

(vgl. zu den speziellen Tätigkeitsmerkmalen den Tarifvertrag<br />

zur Änderung <strong>und</strong> Ergänzung der Anlage 1a zum<br />

BAT – Bezügerechner – vom 28. April 1978, GMBI 1978 S. 381).<br />

In derartigen Konstellationen sind nach dem Gr<strong>und</strong>satz der<br />

Spezialität, nach dem bei einer Konkurrenz zwischen einer<br />

allgemeinen <strong>und</strong> einer speziellen Norm derselben Normgeber<br />

die Spezialregelung vorgeht, allein die speziellen Tätigkeitsmerkmale<br />

maßgeblich. Diesen Rechtsgr<strong>und</strong>satz haben die Tarifvertragsparteien<br />

des öffentlichen Dienstes für das Verhältnis<br />

zwischen allgemeinen <strong>und</strong> besonderen Tätigkeitsmerkmalen<br />

der Vergütungsgruppen der Anlage 1a zum BAT in der Vor-<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

bemerkung Nr. 1 – für den Bereich B<strong>und</strong>/Länder – <strong>und</strong> in der<br />

Bemerkung Nr. 3 – für den Bereich VKA – zu allen Vergütungsgruppen<br />

ausdrücklich normiert. Die Bemerkung Nr. 3 lautet<br />

auszugsweise wie folgt:<br />

„Für Angestellte, deren Tätigkeit in der Anlage 1a außerhalb<br />

der Tätigkeitsmerkmale der jeweiligen Fallgruppe 1 des Tarifvertrages<br />

zur Änderung <strong>und</strong> Ergänzung der Anlage 1a zum<br />

BAT (Neufassung der Fallgruppen 1) vom 24. Juni 1975 in<br />

besonderen Tätigkeitsmerkmalen aufgeführt ist, gelten die Tätigkeitsmerkmale<br />

der jeweiligen Fallgruppe 1 des Tarifvertrages<br />

vom 24. Juni 1975 weder in der Vergütungsgruppe, in der<br />

sie aufgeführt sind, noch in einer höheren Vergütungsgruppe.<br />

... “<br />

Eine Eingruppierung nach den allgemeinen Tätigkeitsmerkmalen<br />

scheidet demnach aus, wenn es für die betreffende<br />

Tätigkeit spezielle tarifliche Tätigkeitsmerkmale gibt (st. Rspr.,<br />

Senat 5. Juli 2006 – 4 AZR 555/05 – AP BAT 1975 §§ 22, 23<br />

Lehrer Nr. 103; 10. September 1980 – 4 AZR 692/78 – AP BAT<br />

1975 §§ 22, 23 Nr. 40; 4. April 1984 – 4 AZR 81/82 – AP BAT<br />

1975 §§ 22, 23 Nr. 88; 18. Mai 1994 – 4 AZR 524/93 – m.w.N.,<br />

BAGE 77, 23, 39).<br />

bb) Hiervon ist zunächst auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen.<br />

Es hat dann jedoch geprüft, ob die gesamte Tätigkeit<br />

des Klägers überwiegend von den speziellen Tätigkeitsmerkmalen<br />

des TV TechnAng erfasst wird <strong>und</strong> dies verneint.<br />

Deshalb hat es diese speziellen Tätigkeitsmerkmale auch auf<br />

diejenigen Arbeitsvorgänge nicht angewandt, die nach seiner<br />

eigenen Auffassung ein spezielles Tätigkeitsmerkmal aus dem<br />

TV TechnAng erfüllen (hier: Arbeitsvorgang 2), <strong>und</strong> erneut alle<br />

Arbeitsvorgänge auf die Erfüllung von Tätigkeitsmerkmalen<br />

des allgemeinen Verwaltungsdienstes überprüft.<br />

cc) Dies ist rechtsfehlerhaft. Denn der Spezialitätsgr<strong>und</strong>satz<br />

gilt nicht nur dann, wenn die gesamte Tätigkeit eines Angestellten<br />

als solche einheitlich als Arbeitsvorgang gewertet<br />

wird <strong>und</strong> somit als ganze dem (speziellen) Tätigkeitsmerkmal<br />

zugewiesen wird, sondern auch dann, wenn sich die Tätigkeit<br />

aus mehreren Arbeitsvorgängen zusammensetzt.<br />

(1) Die Bemerkung Nr. 3 regelt umfassend die Konkurrenz der<br />

Tätigkeitsmerkmale innerhalb der gesamten Vergütungsordnung<br />

(Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Dassau, BAT, Stand Dezember<br />

2008, ErL 2 zu Vorbemerkungen B 1.1.3 i.V.m. ErL 5<br />

zu Bemerkung B 2.1.2). Nach dieser Regel ist auch vorzugehen,<br />

wenn sich die Tätigkeit des Angestellten aus mehreren<br />

Arbeitsvorgängen zusammensetzt. Der Bezugspunkt der Eingruppierung<br />

ist immer der Arbeitsvorgang als maßgebliche<br />

Einheit für die Zuordnung zu einem Tätigkeitsmerkmal. Bei<br />

Tätigkeiten, die sich aus mehreren Arbeitsvorgängen zusammensetzen,<br />

ist daher jeder Arbeitsvorgang für sich genommen<br />

einer Bewertung zu unterziehen. Dabei kann es geschehen,<br />

dass Tätigkeitsmerkmale heranzuziehen sind, die aufgr<strong>und</strong><br />

unterschiedlicher Tarifverträge zeitlich nacheinander in<br />

die Vergütungsordnung der Anlage 1a einbezogen worden<br />

sind. Letztlich ist jedes Tätigkeitsmerkmal jedoch einer Vergütungsgruppe<br />

zugeordnet. Dies ermöglicht die Bewertung von<br />

229


Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

mehreren Tätigkeitsmerkmalen „unterschiedlicher Herkunft“<br />

nach Vergütungsgruppen <strong>und</strong> anschließend nach § 22 Abs. 1<br />

Satz 2 BAT-O die Feststellung einer einheitlich maßgeblichen<br />

Vergütungsgruppe.<br />

(2) Diese Auslegung entspricht auch der Auffassung, die die<br />

Arbeitgebervertreter der BAT-Kommission am 7. Juli 1976 in<br />

ihren „Gr<strong>und</strong>sätzen zur Auslegung des § 22 Abs. 2 Unterabs.<br />

3 BAT“ beschlossen haben. Hier wird die gesonderte Betrachtung<br />

der einzelnen Arbeitsvorgänge beispielhaft wie folgt formuliert:<br />

„II. In Sonderfällen, in denen von den anfallenden Arbeitsvorgängen<br />

nicht mindestens die Hälfte einer einzigen Fallgruppe<br />

zuzuordnen ist, sind die folgenden Gr<strong>und</strong>sätze maßgebend:<br />

1. Enthält die gesamte auszuübende Tätigkeit des Angestellten<br />

neben anderen Arbeitsvorgängen auch solche,<br />

die unter ein Tätigkeitsmerkmal fallen, das die Eingruppierung<br />

von einer zeitlichen Anforderung in der Person<br />

des Angestellten abhängig macht, sind diese Arbeitsvorgänge<br />

diesem Tätigkeitsmerkmal zuzuordnen, sobald der<br />

Angestellte die zeitlichen Anforderungen erfüllt“ (zit. nach<br />

Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, Stand August 2006, BAT, § 22<br />

Rn. 163; auch abgedruckt bei Breier/Kiefer/Hoffmann/Dassau,<br />

Eingruppierung <strong>und</strong> Tätigkeitsmerkmale für Beschäftigte im<br />

öffentlichen Dienst, Stand Dezember 2008, § 22 BAT Erl. 9;<br />

Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Dassau, BAT, Stand Dezember<br />

2008, § 22 Erl. 9).<br />

Die isolierte Betrachtung <strong>und</strong> Bewertung des einzelnen Arbeitsvorgangs<br />

unabhängig von einem „Gepräge“ der Gesamttätigkeit<br />

des Angestellten führt dazu, dass Bewährungs- <strong>und</strong><br />

Zeitaufstiegszeiten sich jeweils auf das konkrete Tätigkeitsmerkmal<br />

beziehen, auch wenn dieses zeitlich nicht mindestens<br />

die Hälfte der Gesamttätigkeit ausmacht. Es ist dabei<br />

möglich <strong>und</strong> von den Tarifvertragsparteien auch so beabsichtigt,<br />

dass ein durch Bewährung oder Tätigkeitszeiten begründetes<br />

„Anwachsen“ der Wertigkeit eines Arbeitsvorgangs zunächst<br />

ohne Einfluss auf die Eingruppierung bleibt, wenn der<br />

Arbeitsvorgang allein noch nicht den für eine Eingruppierung<br />

maßgeblichen Zeitanteil erreicht, aber dann berücksichtigt<br />

werden kann <strong>und</strong> muss, wenn durch das „Anwachsen“ der<br />

Wertigkeit eines anderen Arbeitsvorgangs insgesamt Arbeitsvorgänge<br />

im zeitlichen Umfang von mindestens der Hälfte der<br />

Gesamttätigkeit die Anforderungen von Tätigkeitsmerkmalen<br />

der höheren Vergütungsgruppe erfüllen.<br />

(3) Nach alledem ergibt sich für die Eingruppierung nach<br />

Maßgabe des BAT <strong>und</strong> des BAT-O zunächst in einem ersten<br />

Schritt die Aufgabe, nach den dort geltenden Gr<strong>und</strong>sätzen<br />

(vgl. Protokollnotiz Nr. 1 zu § 22 Abs. 2 BAT-O) Arbeitsvorgänge<br />

zu bestimmen. Diese sind dann denjenigen Tätigkeitsmerkmalen<br />

zuzuordnen, deren Anforderungen sie im tariflich<br />

ausreichenden Maße erfüllen, was sich auch auf zeitliche<br />

<strong>und</strong> persönliche Anforderungen erstreckt. Erfüllen einzelne<br />

Arbeitsvorgänge die Anforderungen von speziellen Tätigkeitsmerkmalen,<br />

sind allein diese maßgebend. Die als erfüllt angesehenen<br />

Tätigkeitsmerkmale werden mit den auf sie entfal-<br />

230 03/09<br />

lenden Anteilen der Gesamtarbeitszeit des Angestellten den<br />

ihnen entsprechenden Vergütungsgruppen zugeordnet, <strong>und</strong><br />

die höchste Vergütungsgruppe, in der unter Einbeziehung der<br />

„Minderheitsanteile“ aus höheren Gruppen ein Gesamtzeitanteil<br />

von 50 Prozent oder mehr erreicht ist, ist diejenige, in<br />

der der Angestellte eingruppiert ist. Dabei werden diejenigen<br />

Tätigkeitsmerkmale, die durch nachträglich abgeschlossene,<br />

gesonderte Tarifverträge für einzelne Berufsgruppen in die<br />

Anlage 1a zum BAT-ONKA eingefügt worden sind, nicht anders<br />

behandelt als die Tätigkeitsmerkmale für den allgemeinen<br />

Verwaltungsdienst.<br />

dd) Gegen dieses Vorgehen auch bei der Eingruppierung „gemischter“<br />

Tätigkeiten wie der vorliegenden spricht nicht die<br />

Verwendung des Begriffs des „Technischen Angestellten“ in<br />

den Tätigkeitsmerkmalen, die durch den TV TechnAng in die<br />

Anl. 1a eingefügt worden sind. Entgegen der Sichtweise des<br />

Landesarbeitsgerichts handelt es sich dabei nicht um eine<br />

übergreifende Eigenschaft des Angestellten, die gesondert<br />

von einzelnen Arbeitsvorgängen ihm als Person, als Arbeitsvertragspartner,<br />

zugeordnet ist. Der Begriff des „Technischen<br />

Angestellten“ ist vielmehr ein tatbestandlicher Teil des Tätigkeitsmerkmals,<br />

der auch dann vorliegen muss, wenn der<br />

Angestellte nur eine Minderheit seiner Gesamttätigkeit als<br />

„Technischer Angestellter“ erbringt <strong>und</strong> im Übrigen im Sinne<br />

der allgemeinen Tätigkeitsmerkmale vertraglich beschäftigt<br />

ist. In den Senatsentscheidungen vom 22. März 2000 (- 4 AZR<br />

116/99 – AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 275) <strong>und</strong> vom 18. Mai<br />

1994 (- 4 AZR 412/93 – AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 175) wurde<br />

eine Bestimmung von Arbeitsvorgängen nicht vorgenommen<br />

oder ging es um einen einzigen Arbeitsvorgang, so dass sich<br />

die Urteile mit der hier zu entscheidenden Frage nicht ausdrücklich<br />

befasst haben. Dagegen hat der Senat die Anwendbarkeit<br />

der allgemeinen Tätigkeitsmerkmale auch dann angenommen,<br />

wenn ein technischer Angestellter lediglich deshalb<br />

nicht nach den Tätigkeitsmerkmalen des TV TechnAng<br />

eingruppiert ist, weil er die Qualifikationsanforderungen nicht<br />

erfüllt (Senat 22. Juli 1998 – 4 AZR 399/97- AP BAT 1975 §§ 22,<br />

23 Nr. 252). Der Rückgriff auf die allgemeinen Tätigkeitsmerkmale<br />

der Anlage 1a kann danach nur dann ausgeschlossen<br />

werden, wenn <strong>und</strong> soweit das Tätigkeitsmerkmal einer speziellen<br />

Fallgruppe auch tatsächlich erfüllt ist. Ist dies jedoch<br />

der Fall, dann bleibt es bei der entsprechenden tariflichen Bewertung<br />

mit demjenigen Zeitanteil, den der so zugeordnete<br />

Arbeitsvorgang aufweist.<br />

ee) Ein solches Vorgehen entspricht den allgemeinen Gr<strong>und</strong>sätzen<br />

der Eingruppierung <strong>und</strong> dem Sinn <strong>und</strong> Zweck der tariflichen<br />

Regelungen hierzu.<br />

(1) Die zentrale Kategorie der Eingruppierung ist der Arbeitsvorgang,<br />

der bei zutreffender Bestimmung keine tatsächlich<br />

trennbaren Tätigkeiten mit unterschiedlicher Wertigkeit enthält<br />

(st. Rspr., vgl. nur Senat 22. April 1998 – 4 AZR 20/97 –<br />

AP BAT 1975 §§ 22 23 Nr. 240). Er wird einem Tätigkeitsmerkmal,<br />

<strong>und</strong> zwar dem spezielleren, zugeordnet. Würde man bei<br />

dieser Zuordnung gleichsam vorab entscheiden müssen, ob


man das speziellere Tätigkeitsmerkmal überhaupt heranziehen<br />

darf, weil man den Angestellten unabhängig vom konkreten<br />

Arbeitsvorgang, um dessen tarifliche Bewertung es geht,<br />

zunächst einer Art Untergruppe von Angestellten zuordnen<br />

muss, wie etwa dem „Allgemeinen Verwaltungsdienst“ oder<br />

den „Technischen Angestellten“, dann müssten sich dafür Kriterien<br />

außerhalb der Betrachtung des einzelnen Arbeitsvorgangs<br />

finden lassen. Derartige Kriterien enthalten die komplexen<br />

<strong>und</strong> bis in alle Einzelheiten regelnden Eingruppierungsvorschriften<br />

des BAT-O/VKA jedoch nicht. Das Landesarbeitsgericht<br />

hat, ohne dies ausdrücklich auszuweisen, die Tätigkeitsmerkmale<br />

des TV TechnAng nur dann anwenden wollen,<br />

wenn die überwiegende Tätigkeit des Angestellten insgesamt<br />

technischen Zuschnitt in diesem Sinne habe. Es kann<br />

sich dafür auf keine tarifliche Regelung berufen. Eine solche<br />

sich nicht aus dem Tarifvertrag ergebende zusätzliche Kategorisierung<br />

im ohnehin schon sehr komplexen Zuordnungs<strong>und</strong><br />

Abwägungsvorgang der Eingruppierung bei derartigen<br />

Mischtätigkeiten hat keine rechtliche Gr<strong>und</strong>lage.<br />

Zudem b<strong>liebe</strong> völlig unklar, wie bei einer Mischtätigkeit<br />

mit überwiegend technisch geprägten Arbeitsvorgängen<br />

<strong>und</strong> nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts demnach<br />

einheitlich anzuwendenden Tätigkeitsmerkmalen aus dem<br />

TV TechnAng die nicht technisch geprägten Arbeitsvorgänge<br />

den dortigen Tätigkeitsmerkmalen zuzuordnen wären.<br />

(2) Das Spezialitätsprinzip wäre bei einer solchen Vorgehensweise<br />

durchbrochen. Eine beispielsweise zu 40 Prozent der<br />

Gesamttätigkeit zu erbringende reine Ingenieursarbeit müsste<br />

nach den Kriterien der allgemeinen Verwaltung tariflich<br />

bewertet werden; gerade dies haben die Tarifvertragsparteien<br />

aber durch das von ihnen festgeschriebene Spezialitätsprinzip<br />

ausgeschlossen. Eine etwa 40-prozentige Sachbearbeitertätigkeit<br />

nach VergGr. Vb Fallgr. 1a (Allgemeiner Teil der Anlage 1a<br />

zum BAT/BL) ist hiernach auch dann als solche tariflich zu<br />

werten, wenn der Angestellte in der übrigen Zeit Schreibarbeiten<br />

nach VergGr. VII Fallgr. 1 (Abschnitt N der Anlage 1a<br />

zum BAT/BL) leistet, nicht anders, als wenn er weitere 20 Prozent<br />

Sachbearbeitung nach VergGr. Vb Fallgr. 1c (Allgemeiner<br />

Teil der Anlage 1a zum BAT/BL) leistet. Erst im Abschluss ist<br />

die Gesamttätigkeit tariflich zu bewerten. Auf dem Weg dahin<br />

die tarifliche Bewertung desselben Arbeitsvorgangs in der<br />

einen Konstellation zu berücksichtigen, in der anderen dagegen<br />

nicht, widerspräche dem Willen der Tarifvertragsparteien.<br />

(3) Auch die Tarifgerechtigkeit gebietet diese Auslegung;<br />

das zeigt gerade der vorliegende Fall. Mit der Einführung der<br />

besonderen Tätigkeitsmerkmale für Fachhochschulingenieure<br />

durch den TV TechnAng wollte man einem entsprechenden<br />

Mangel im öffentlichen Dienst begegnen <strong>und</strong> Arbeitsmarkt-<br />

Anreize schaffen. Deshalb ist die Eingangsgruppe für die<br />

betroffenen technischen Fachhochschulabsolventen mit<br />

der VergGr. Vb <strong>und</strong> der Aufstieg in die VergGr. IVb nach<br />

sechsmonatiger Tätigkeit geschaffen worden; für ansonsten<br />

vergleichbare Fachhochschulabsolventen ist die Eingangsvergütungsgruppe<br />

nach wie vor die VergGr. Vc, etwa für<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

Sozialarbeiter <strong>und</strong> Sozialpädagogen. Diese von den Tarifvertragsparteien<br />

beabsichtigte Privilegierung würde außer Acht<br />

gelassen werden, wenn wegen der Zuordnung anderer Arbeitsvorgänge<br />

zu den Tätigkeitsmerkmalen der allgemeinen<br />

Verwaltung ein Arbeitsvorgang mit ausschließlicher Ingenieurstätigkeit<br />

nunmehr nach Maßgabe der Merkmale des<br />

allgemeinen Verwaltungsdienstes bewertet werden würde.<br />

Abgesehen von der Frage der Spezialität dürfte dabei eine –<br />

von den Tarifvertragsparteien für Fachhochschulingenieure<br />

so vorgesehene – vergleichbar hohe Vergütungsgruppe nicht<br />

im Ansatz erreichbar sein.<br />

5. c) ... Das in Satz 2 der Protokollnotiz zu § 22 Abs. 2 BAT-<br />

O vereinbarte Aufspaltungsverbot gestattet es nicht, einen<br />

Arbeitsvorgang nach Teiltätigkeiten unterschiedlicher Wertigkeit<br />

aufzuspalten. Eine Gewichtung findet an dieser Stelle des<br />

Eingruppierungsvorgangs nicht mehr statt; die Bewertung erfolgt<br />

einheitlich. Es bedarf dabei weder eines Überwiegens<br />

noch eines „Gepräges“ des Arbeitsvorgangs durch die für die<br />

Bewertung maßgebende Teiltätigkeit. Es genügt, wenn innerhalb<br />

eines Arbeitsvorgangs überhaupt konkrete Tätigkeiten<br />

verrichtet werden, die die Anforderungen des höheren<br />

Tätigkeitsmerkmals erfüllen. Dann ist der Arbeitsvorgang in<br />

seinem gesamten zeitlichen Umfang dem höheren Tätigkeitsmerkmal<br />

zuzuordnen (st. Rspr., z.B. Senat 18. Mai 1994 – AP<br />

BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 178; 28. Juni 1989 – 4 AZR 287/89 –<br />

ZTR 1989, 478). Lediglich dann, wenn die höher bewerteten<br />

Anteile der Arbeit kein „rechtserhebliches Ausmaß“ erlangen,<br />

können sie außer Acht gelassen werden. Bei der Anwendung<br />

dieses unbestimmten Rechtsbegriffs steht den Tatsacheninstanzen<br />

ein Beurteilungsspielraum zu (Senat 22. März 1995 –<br />

4 AZN 1105/94 – AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 193). Als rechtserheblich<br />

hat der Senat z.B. einen zeitlichen Anteil von 7<br />

Prozent selbständiger Leistungen in einem Arbeitsvorgang<br />

angesehen, der insgesamt 35 Prozent der Gesamtarbeitszeit<br />

ausgemacht hat (18. Mai 1994 – 4 AZR 461/93 – a.a.O.).<br />

■ B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

vom 28.01.2009, 4 AZR 13/08<br />

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281. Tarifbindung, dynamische Bezugnahme, Gleichstellungsabrede<br />

Wird in einer einzelvertraglichen Bezugnahmeklausel – bei<br />

einem Altvertrag vor dem 01.01.2002 – auf das Tarifrecht verwiesen,<br />

an das der Arbeitgeber bei Vertragsschluss aufgr<strong>und</strong><br />

eines Haus-Anerkennungstarifvertrages geb<strong>und</strong>en war, endet<br />

die Dynamik des in Bezug genommenen Tarifrechts mit der<br />

Kündigung des Haus- Anerkennungstarifvertrages (Gleichstellungsabrede).<br />

■ Landesarbeitsgericht Nürnberg<br />

vom 25.02.2009, 4 Sa 435/08<br />

231


Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

282. Besonderer Kündigungsschutz<br />

Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin genießt keinen besonderen<br />

Kündigungsschutz. Die Innungsversammlung musste<br />

nicht über die Kündigung entscheiden.<br />

I. Die Klägerin genießt keinen besonderen Kündigungsschutz.<br />

Die ordentliche Kündbarkeit des Arbeitsverhältnisses ist nicht<br />

nach § 34 Abs. 3 TVöD ausgeschlossen. Dies folgt aus zwei<br />

Erwägungen.<br />

1. Zum einen sind nur diejenigen Arbeitnehmer geschützt,<br />

die ununterbrochen bei demselben Arbeitgeber tätig sind<br />

(vgl. Eylert, in: Beck/Online § 34 TVöD Rz 33 m.w.N., auch zur<br />

Gegenmeinung). Dies ergibt die Auslegung des Tarifvertrages.<br />

a) Die Auslegung der normativen Bestimmungen in Tarifverträgen<br />

folgt nach ständiger Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

den für die Gesetzesauslegung geltenden Regeln.<br />

Sie hat vom Tarifwortlaut auszugehen. Über den reinen<br />

Wortsinn hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien<br />

<strong>und</strong> der damit von ihnen beabsichtigte Sinn <strong>und</strong> Zweck<br />

der Tarifnormen mit zu berücksichtigen, sofern <strong>und</strong> soweit sie<br />

in den tariflichen Bestimmungen ihren Niederschlag gef<strong>und</strong>en<br />

haben. Ferner ist auf den tariflichen Gesamtzusammenhang<br />

abzustellen. Bleiben bei entsprechender Auswertung<br />

von Tarifwortlaut <strong>und</strong> Gesamtzusammenhang als den stets<br />

<strong>und</strong> in erster Linie heranzuziehenden Auslegungskriterien im<br />

Einzelfall noch Zweifel, so können die Gerichte ohne Bindung<br />

an eine bestimmte Reihenfolge auf weitere Kriterien zurückgreifen,<br />

z.B. auf die Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung<br />

<strong>und</strong> die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages<br />

(BAG v. 4. April 2001 – 4 AZR 180/00 – AP § 1 TVG Auslegung<br />

Nr. 172; v. 21. August 1997 – 5 AZR 517/96 – AP § 616 BGB<br />

Nr. 98).<br />

b) Nach diesen Gr<strong>und</strong>sätzen ist § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD dahingehend<br />

auszulegen, dass sich der Verweis nur auf § 34 Abs. 3<br />

Satz 1 <strong>und</strong> Satz 2 TVöD bezieht <strong>und</strong> Beschäftigungszeiten bei<br />

einem Wechsel des Arbeitgebers nicht anerkannt werden sollen,<br />

soweit es um die tarifliche Unkündbarkeit geht.<br />

§ 34 Abs. 2 TVöD nimmt ausdrücklich nur auf § 34 Abs. 3<br />

Satz 1 <strong>und</strong> 2 TVöD <strong>und</strong> gerade nicht auf § 34 Abs. 3 Satz 3<br />

TVöD Bezug. Über den Wortlaut hinaus lässt auch die Entstehungsgeschichte<br />

erkennen, dass die Tarifvertragsparteien nur<br />

den Arbeitnehmer begünstigen wollten, der ununterbrochen<br />

bei demselben Arbeitgeber tätig ist. Denn ursprünglich enthielt<br />

§ 34 Abs. 2 TVöD eine Verweisung auf den gesamten § 34<br />

Abs. 3 TVöD. Die vorgenommene Einschränkung verdeutlicht,<br />

dass § 34 Abs. 3 Satz 3 TWO nicht mehr einbezogen werden<br />

sollte.<br />

c) Danach genießt die Klägerin keinen besonderen Kündigungsschutz,<br />

weil sie bei der Beklagten nicht mehr als 15<br />

Jahre beschäftigt ist.<br />

2. Die Klägerin kann sich auch deswegen nicht auf § 34 Abs. 2<br />

TVöD berufen, weil sie nicht zwischen Arbeitgebern gewechselt<br />

ist, die vom Geltungsbereich des BAT bzw. TVöD erfasst<br />

232 03/09<br />

wurden. Jedenfalls bei der Maler-Innung fand der BAT nicht<br />

uneingeschränkt Anwendung.<br />

II. Es bedurfte für die Kündigung keiner vorherigen Beschlussfassung<br />

der Innungsversammlung. Die Innungsversammlung<br />

ist nur für den Abschluss langfristiger Verträge, nicht für die<br />

Kündigung von Arbeitsverhältnissen zuständig.<br />

■ Arbeitsgericht Köln<br />

vom 05.03.2009, 10 Ca 7349/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. jur. Jürgen Höser,<br />

Kölner Straße 2, 50226 Frechen,<br />

Tel.: 02234/18200, Fax: 02234/182010/21<br />

office@hdup.de<br />

283. Eingruppierung, Bewährungsaufstieg, Altersteilzeit<br />

Arbeitnehmer nehmen auch in der Freistellungsphase der Altersteilzeit<br />

am Bewährungsaufstieg nach § 23a BAT teil, weil<br />

sie die notwendige Bewährungszeit in der Arbeitsphase vorgeleistet<br />

haben.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg<br />

vom 19.01.2009, 10 Sa 2021/08<br />

284. Altersteilzeit, Ermessen<br />

A. Mangels einer entsprechenden Rechtsgr<strong>und</strong>lage hat<br />

die Klägerin keinen Anspruch auf Abschluss des von ihr<br />

gewünschten Altersteilzeitvertrages ab dem 01.04.2008.<br />

I. Dem geltend gemachten Anspruch der Klägerin steht nicht<br />

entgegen, dass sie eine rückwirkende Vertragsänderung begehrt.<br />

1. Arbeitsvertragsparteien sind rechtlich nicht gehindert, das<br />

zwischen ihnen bereits begründete Arbeitsverhältnis zu ändern.<br />

Auch eine rückwirkende Vertragsänderung ist zulässig<br />

<strong>und</strong> unterliegt vorbehaltlich zwingenden Rechts keinen Beschränkungen<br />

(BAG v. 24.09.2003 – 5 AZR 282/02 – EzA § 615<br />

BGB 2002 Nr. 3; BAG v. 12.08.2008 – 9 AZR 620/07 – DB 2008,<br />

2839, 2840). Dementsprechend ist, soweit der Arbeitnehmer<br />

Anspruch auf Abschluss eines Änderungsvertrages zu einem<br />

bestimmten, in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt hat,<br />

der Arbeitgeber zur Abgabe einer auf dieses Datum bezogenen<br />

Willenserklärung zu verurteilen (BAG v. 27.04.2004 – 9<br />

AZR 522/03 – EM § 8 TzBfG Nr. 10; BAG v. 15.04.2008 – 9 AZR<br />

111/07 – EM § 4 TVG Altersteilzeit Nr. 27; BAG v. 12.08.2008 –<br />

9 AZR 620/07 – a.a.O.).<br />

2. Das gilt auch für die Verurteilung zum rückwirkenden<br />

Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsvertrages. Dem steht<br />

nicht entgegen, dass das Altersteilzeitarbeitsverhältnis aus<br />

sozialrechtlichen Gründen vor seinem Beginn vereinbart worden<br />

sein muss (vgl. R<strong>und</strong>schreiben der Spitzenverbände der<br />

Sozialversicherungsträger vom 09.03.2004, S. 30 unter 2.1.6.).<br />

Eine rückwirkende Umwidmung oder Umwandlung eines<br />

„normalen“ Arbeitsvertrages in einen Altersteilzeitarbeitsvertrag<br />

mit Wirkung gegenüber der Sozialversicherung oder<br />

der B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit ist damit zwar gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

ausgeschlossen. Die gerichtliche Verurteilung zum rückwir-


kenden Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses ist<br />

aber dennoch möglich (vgl. näher BAG v. 12.08.2008 – 9 AZR<br />

620/07 – a.a.O.).<br />

II. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts hat die<br />

Klägerin keinen Anspruch auf Annahme ihres Angebots<br />

auf Abschluss des begehrten Altersteilzeitarbeitsvertrages<br />

gemäß § 2 Abs. 1 TV ATZ-TgRV i.V.m. der von der Klägerin<br />

behaupteten ständigen Handhabung der Gewährung von Altersteilzeitanträgen<br />

in der Vergangenheit durch die Beklagte.<br />

1. Nach § 2 Abs. 1 TV ATZ-TgRV kann der Arbeitgeber mit Arbeitnehmern,<br />

die das 55. Lebensjahr <strong>und</strong> eine Beschäftigungszeit<br />

von fünf Jahren vollendet haben <strong>und</strong> in den letzten fünf<br />

Jahren an mindestens 1080 Kalendertagen in einer versicherungspflichtigen<br />

Beschäftigung nach dem Dritten Buch des<br />

Sozialgesetzbuches gestanden haben, die Änderung des Arbeitsverhältnisses<br />

in ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage des Altersteilzeitgesetzes vereinbaren.<br />

2. Die Klägerin erfüllt zwar die in § 2 Abs. 1 TV ATZ-TgRV<br />

genannten Voraussetzungen. Sie hat zu dem von ihr gewünschten<br />

Beginn des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses am<br />

01.04.2008 das 55. Lebensjahr vollendet <strong>und</strong> ist während<br />

der letzten fünf Jahre vor dem 01.04.2008 an mindestens<br />

1080 Kalendertagen sozialversicherungspflichtig beschäftigt<br />

gewesen. Die Entscheidung der Beklagten, mit der Klägerin<br />

keine Altersteilzeitarbeit zu vereinbaren, ist jedoch nicht zu<br />

beanstanden.<br />

a) Nach dem Wortlaut von § 2 Abs. 1 TV ATZ-TgRV kann<br />

der Arbeitgeber mit Arbeitnehmern, die das 55. Lebensjahr<br />

vollendet haben, die Änderung des Arbeitsverhältnisses in ein<br />

Teilzeitarbeitsverhältnis vereinbaren. Mit der Formulierung<br />

„kann“ wird regelmäßig ausgedrückt, dass dem Berechtigten<br />

die Entscheidung überlassen wird, ob er tätig wird oder nicht.<br />

Für die Auslegung dieser Tarifvorschrift gilt nichts anderes.<br />

Der Arbeitgeber ist demnach nicht verpflichtet, dem Antrag<br />

eines Arbeitnehmers auf Änderung des Arbeitsvertrages allein<br />

deshalb zu entsprechen, weil dieser die in der Vorschrift<br />

bestimmten Voraussetzungen erfüllt. Die Tarifvertragsparteien<br />

haben die Entscheidung über die vom Arbeitnehmer<br />

verlangte Vertragsänderung vielmehr in das Ermessen des<br />

Arbeitgebers gestellt (BAG v. 12.12.2000 – 9 AZR 706/99 –<br />

EzA § 4 TVG Altersteilzeit Nr. 1; BAG v. 10.05.2005 – 9 AZR<br />

294/04 – EzA § 4 TVG Altersteilzeit Nr. 15; LAG Düsseldorf v.<br />

15.05.2008 –5Sa125/08 – Rz 46, juris).<br />

b) Allerdings ist die Beklagte nicht frei in der Ausübung ihres<br />

Ermessens. Ersichtlich haben die Tarifvertragsparteien nicht<br />

allein die Selbstverständlichkeit wiederholt, dass der Arbeitgeber<br />

Vertragsfreiheit genießt <strong>und</strong> daher mit den Arbeitnehmern<br />

auf der Gr<strong>und</strong>lage des Altersteilzeitgesetzes Verträge<br />

schließen kann. Ein Arbeitnehmer hat vielmehr Anspruch darauf,<br />

dass der Arbeitgeber bei der Entscheidung über seinen<br />

Antrag billiges Ermessen wahrt (§ 315 Abs. 1 BGB). Der<br />

Arbeitgeber ist deshalb verpflichtet, bei seiner Entscheidung<br />

die wesentlichen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen<br />

<strong>und</strong> die beiderseitigen Interessen angemessen zu wahren<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

(vgl. BAG, Beschl. v. 10.05.2005 – 9 AZR 294/04 – a.a.O.; LAG<br />

Düsseldorf v. 15.05.2008 – 5 Sa 125/08 – Rz 47 juris). Für<br />

die Billigkeitskontrolle nach Maßgabe des § 315 Abs. 1 BGB<br />

gilt ein objektiver Maßstab, d. h. es sind alle Umstände zu<br />

berücksichtigen, die zu dem Zeitpunkt vorlagen, zu dem der<br />

Arbeitgeber die Ermessensentscheidung zu treffen hatte (vgl.<br />

BAG, Beschl. v. 03.12.2002 – 9 AZR 457/01 – EzA § 4 TVG<br />

Altersteilzeit Nr. 2; BAG, Beschl. v. 10.05.2005 – 9 AZR 294/04 –<br />

a.a.O.).<br />

c) Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist die der Beklagten<br />

nach § 2 Abs. 1 TV ATZ-TgRV zustehende Ermessensentscheidung<br />

nicht deshalb „auf Null“ reduziert, weil die Beklagte<br />

angeblich das ihr eingeräumte Ermessen über Jahre<br />

nicht ausgeübt hat <strong>und</strong> dadurch zu Gunsten der Klägerin eine<br />

die Beklagte bindende betriebliche Übung entstanden ist, das<br />

Angebot eines Arbeitnehmers auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrages<br />

anzunehmen.<br />

aa) Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung<br />

bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu<br />

verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen<br />

solle eine Leistung oder eine Vergünstigung. auf Dauer<br />

eingeräumt werden. Aus diesem als Vertragsangebot zu wertenden<br />

Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern<br />

stillschweigend angenommen wird (§ 151 Satz 1 BGB),<br />

erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen<br />

Leistungen. Entscheidend für die Entstehung eines Anspruchs<br />

ist nicht der Verpflichtungswille, sondern wie der Erklärungsempfänger<br />

die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers<br />

nach Treu <strong>und</strong> Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände<br />

(§§ 133, 157 BGB) verstehen musste <strong>und</strong> durfte.<br />

Inhalt einer betrieblichen Übung kann jeder Gegenstand sein,<br />

der arbeitsvertraglich geregelt werden kann (st. Rspr., z. B.<br />

BAG, Beschl. v. 01.11.2005 – 1 AZR 355/04 – EzA § 4 TVG<br />

Tariflohnerhöhung Nr. 46; BAG, Beschl. v. 11.04.2006 –9AZR<br />

500/05 – EzA § 667 BGB 2002 Nr. 1; BAG, Beschl. v. 13.06.2007<br />

– 5 AZR 849/06 – juris). Allerdings kann ein Anspruch aus betrieblicher<br />

Übung nur entstehen, wenn es an einer kollektivoder<br />

individualrechtlichen Gr<strong>und</strong>lage für die Leistungsgewährung<br />

fehlt (st. Rspr., z. B. BAG, Beschl. v. 20.06.2007 – 10 AZR<br />

410/06 – NZA 2008, 1293, 1295; BAG, Beschl. v. 28.05.2008 – 10<br />

AZR 274/07 – EzA § 242 BGB 2002 Betriebliche Übung Nr. 8).<br />

bb) Ungeachtet des Umstandes, dass die Beklagte u.U. jahrelang<br />

ihr tarifvertraglich eingeräumtes Ermessen bei der Entscheidung<br />

über ein Angebot eines Arbeitnehmers auf Abschluss<br />

eines Altersteilzeitvertrages gemäß § 2 Abs. 1 TV ATZ-<br />

TgRV nicht ausgeübt hat, waren Gr<strong>und</strong>lage der Annahme eines<br />

Angebots auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrages auch<br />

in der Vergangenheit – vor dem 01.12.2006 – die Bestimmungen<br />

des TV ATZ-TgRV, der entweder auf ein Arbeitsverhältnis<br />

kraft beiderseitiger Tarifgeb<strong>und</strong>enheit (vgl. § 3 Abs. 1 TVG)<br />

oder kraft einzelvertraglicher Bezugnahme auf das jeweilige<br />

Arbeitsverhältnis Anwendung findet. Die Annahme eines Angebots<br />

auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrages beruhte somit<br />

entweder auf einer tarifvertraglichen oder individualrecht-<br />

233


Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

lichen Gr<strong>und</strong>lage. Damit fehlt aber die Gr<strong>und</strong>voraussetzung<br />

für eine Reduzierung des der Beklagten gemäß § 2 Abs. 1<br />

TV ATZ-TgRV eingeräumten Ermessens „auf Null“ im Wege<br />

einer betrieblichen Übung. Eine solche Ermessenseinschränkung<br />

hätte im Übrigen zu einer von der Beklagten erkennbar<br />

nicht gewollten Verpflichtung, einen Altersteilzeitantrag<br />

über § 2 Abs. 2 TV ATZ-TgRV hinaus auch von Mitarbeitern<br />

vor Vollendung des 60. Lebensjahres annehmen zu müssen,<br />

geführt.<br />

d) In dem TV ATZ-TgRV werden keine Umstände genannt,<br />

die der Arbeitgeber bei seiner Ermessensentscheidung über<br />

einen Antrag auf Altersteilzeit nach § 2 Abs. 1 TV ATZ-TgRV zu<br />

berücksichtigen hat. Insbesondere war die Beklagte berechtigt,<br />

den Antrag der Klägerin auch aus anderen als den in § 2<br />

Abs. 3 TV ATZ-TgRV genannten dringenden dienstlichen bzw.<br />

betrieblichen Gründen abzulehnen. Die Vorschrift bezieht sich<br />

allein auf Arbeitnehmer i. S. von § 2 Abs. 2 TV ATZ-TgRV, also<br />

auf Arbeitnehmer ab Vollendung des 60. Lebensjahres. Das<br />

ergibt die Auslegung des TV ATZ-TgRV. Dem Wortlaut von § 2<br />

Abs. 3 TV ATZ-TgRV <strong>und</strong> seiner räumlichen Anordnung in der<br />

Tarifvorschrift ist diese Einschränkung nicht ohne weiteres zu<br />

entnehmen. Sie ergibt sich aber aus dem Inhalt des Tarifvertrags,<br />

nämlich aus der unterschiedlichen Ausgestaltung der<br />

Rechtsstellung der Arbeitnehmer, mit denen der Arbeitgeber<br />

Altersteilzeit vereinbaren kann. So haben die Tarifvertragsparteien<br />

die Rechte der Arbeitnehmer ab Vollendung des 60. Lebensjahres<br />

im Verhältnis zu denen der jüngeren Arbeitnehmer<br />

stärker ausgestaltet <strong>und</strong> einen Anspruch gegen den Arbeitgeber<br />

auf Vertragsänderung vereinbart. Der Arbeitgeber ist<br />

gehalten, dem Übergang in die Altersteilzeit zuzustimmen.<br />

Ihm ist kein Ermessen eingeräumt. Er muss den Antrag des<br />

Arbeitnehmers annehmen. Eine Ablehnung kommt nur nach<br />

Maßgabe von § 2 Abs. 3 Satz 1 TV ATZ-TgRV in Betracht. Mit<br />

dieser unterschiedlichen Rechtsstellung lässt sich eine Anwendung<br />

von § 2 Abs. 3 Satz 1 TV ATZ-TgRV auf Arbeitnehmer der<br />

Altersgruppe wie der Klägerin nicht vereinbaren. Sie führt zu<br />

einer Änderung des Inhalts des in § 2 Abs. 1 TV ATZ-TgRV<br />

begründeten Anspruchs. Aus dem Anspruch auf Ausübung<br />

billigen Ermessens wird im Ergebnis eine Pflicht des Arbeitgebers<br />

zum Abschluss des Änderungsvertrags, wenn er nur dringende<br />

dienstliche oder betriebliche Gründe berücksichtigen<br />

dürfte. Die von den Tarifvertragsparteien erkennbar gewollte<br />

Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern „mit“ <strong>und</strong> „ohne“<br />

Anspruch auf Vertragsänderung würde aufgehoben (vgl. BAG,<br />

Beschl. v. 12.12.2000 – 9 AZR 706/99 – EzA § 4 TVG Altersteilzeit<br />

Nr. 1; vgl. auch LAG Düsseldorf, Beschl. v. 15.05.2008 – 5<br />

Sa 125/08 – Rz 47, juris).<br />

e) Damit kann die Beklagte bei ihrer Entscheidung über einen<br />

Antrag auf Altersteilzeit nach § 2 Abs. 1 TV ATZ-TgRV, sofern<br />

sie diesen Antrag ablehnen will, im Rahmen des billigen<br />

Ermessens jeden sachlichen Gr<strong>und</strong>, der sich auf den Übergang<br />

zur Altersteilzeit bezieht, heranziehen (BAG, Beschl. v.<br />

26.06.2001 – 9 AZR 244/00 – EzA § 4 TVG Altersteilzeit Nr. 2;<br />

BAG, Beschl. v. 03.12.2002 – 9 AZR 457/01 – EzA § 4 TVG<br />

234 03/09<br />

Altersteilzeit Nr. 4; BAG, Beschl. v. 10.05.2005 – 9 AZR 294/04 –<br />

EzA § 4 TVG Altersteilzeit Nr. 15). Dazu können auch finanzielle<br />

Gründe gehören (BAG, Beschl. v. 12.12.2000 – 9 AZR 706/99 –<br />

a.a.O.; BAG, Beschl. v. 10.05.2005 – 9 AZR 294/04 – a.a.O.).<br />

aa) Durch Beschluss ihrer Geschäftsführung, mitgeteilt auf der<br />

Abteilungs- <strong>und</strong> Referatsleiterbesprechung am 30.11.2006,<br />

hat die Beklagte entschieden, aus finanziellen Erwägungen<br />

(Einsparung von Personalkosten im Anschluss an die bereits<br />

seit November 2002 für Beamte geltende Regelung im Hinblick<br />

auf die aus § 220 Abs. 3 Satz 2 SGB VI folgende Verpflichtung)<br />

mit Arbeitnehmern <strong>und</strong> Arbeitnehmerinnen, die zwar<br />

55 aber noch keine 60 Jahre alt sind, Altersteilzeitverträge nur<br />

noch dann abzuschließen, wenn entweder die betreffende<br />

Stelle des Mitarbeiters/der Mitarbeiterin direkt oder aber<br />

im Falle der Notwendigkeit einer Nachbesetzung dieser<br />

freiwerdenden Stelle bei Eintritt in die Freistellungsphase<br />

eine andere Stelle endgültig wegfällt. Der damit verb<strong>und</strong>ene<br />

Einspareffekt ist ein ausreichender Ablehnungsgr<strong>und</strong>.<br />

bb) Dem steht nicht entgegen, dass bei der geschilderten<br />

Handhabung der Beklagten bei der Entscheidung über die<br />

Annahme eines Altersteilzeitangebots die nach der Präambel<br />

des TV ATZ-TgRV verfolgten Ziele für die Altersgruppe der<br />

Klägerin nicht erreicht werden. Altersteilzeit eröffnet Beschäftigungsmöglichkeiten<br />

für Auszubildende <strong>und</strong> Arbeitslose nur,<br />

wenn frei werdende Stellen wieder besetzt werden. Die Beschäftigung<br />

eines sog. Wiederbesetzers führt aber bei der<br />

durch die B<strong>und</strong>esanstalt für Arbeit geförderten Altersteilzeitregelung<br />

zu einer Mehrbelastung des Arbeitgebers. Die Kostenbelastung<br />

hat die Beklagte mit insgesamt 183 % in der<br />

Freistellungsphase der Mitarbeiter, die die Altersteilzeit vereinbart<br />

haben, angegeben. Dieser Prozentsatz setzt sich zusammen<br />

aus den Kosten für die Mitarbeiter in der Altersteilzeit<br />

in Höhe von 83 % der Vergütung (vgl. § 5 Abs. 2 TV ATZ-TgRV)<br />

<strong>und</strong> den Kosten für den neu eingestellten Mitarbeiter in Höhe<br />

von 100 % der Vergütung. Auch die Klägerin verkennt eine<br />

Mehrbelastung nicht. Sie macht nur geltend, die zusätzlichen<br />

Kosten würden teilweise wegen der regelmäßig geringeren<br />

Vergütung der neu Eingestellten ausgeglichen, so dass insgesamt<br />

von einer Kostenbelastung in der Freistellungsphase von<br />

120 % ausgegangen werden könne. Dass gleichwohl zusätzliche<br />

Kosten beim beklagten Land verbleiben, stellt sie somit<br />

nicht in Abrede (vgl. auch BAG, Beschl. v. 12.12.2000 – 9 AZR<br />

706/99 – a.a.O.).<br />

f) Die Klägerin macht auch ohne Erfolg geltend, die Beklagte<br />

habe keine Einzelfallentscheidung getroffen.<br />

aa) An dieser Erwägung ist zwar richtig, dass eine Ermessensentscheidung<br />

i.d.R. eine Berücksichtigung der Umstände<br />

des Einzelfalles verlangt. Die Ermessensentscheidung schließt<br />

generell Vorentscheidungen des Arbeitgebers, wie er eine Tarifnorm<br />

in die Praxis umsetzt, nicht aus. Derartige Regelungen<br />

dienen zum einen der einheitlichen Anwendung der Tarifvorschriften.<br />

Sie tragen außerdem dem Bedürfnis nach Transparenz<br />

Rechnung. Der Arbeitnehmer weiß, welche Kriterien für<br />

die Entscheidung des Arbeitgebers maßgeblich sind. In eine


weitergehende Prüfung der zu berücksichtigenden Belange<br />

muss der Arbeitgeber danach erst dann eintreten, wenn der<br />

Arbeitnehmer über die im Tarifvertrag normierten Anspruchsvoraussetzungen<br />

hinaus auf seinen Fall bezogene Umstände<br />

darlegt (BAG, Beschl. v. 12.12.2000 – 9 AZR 706/99 – a.a.O.;<br />

LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 03.03.2005 – 4 Sa 990/04 – Rz<br />

36 juris).<br />

bb) Hieran fehlt es vorliegend. Zwar hat die Klägerin der<br />

Beklagten durch die von ihr vorgelegten entsprechenden<br />

Heimverträge nachgewiesen, eine pflegebedürftige Mutter<br />

<strong>und</strong> Schwiegermutter zu haben. Unter Berücksichtigung<br />

dieses Umstandes lässt sich aber ein gesteigertes Interesse an<br />

der Vereinbarung einer Altersteilzeitvereinbarung im Blockmodell<br />

für zehn Jahre nicht rechtfertigen, dies insbesondere<br />

unter Berücksichtigung der von der Beklagten vorrangig zu<br />

behandelnden finanziellen Erwägungen. Die Beklagte weist<br />

zutreffend darauf hin, dass eine akute erhöhte Pflegebedürftigkeit<br />

durch Inanspruchnahme der Freizeitregelung im<br />

Pflegezeitgesetz abgefedert werden kann (vgl. § 2 Abs. 1<br />

PflegeZG).<br />

g) Der Umstand, dass die Klägerin ihren Antrag auf Altersteilzeit<br />

erstmals am 28.11.2006 <strong>und</strong> damit vor dem in der<br />

Abteilungs- <strong>und</strong> Referatsleiterbesprechung am 30.11.2006<br />

mitgeteilten Entschluss der Geschäftsführung der Beklagten,<br />

künftig Altersteilzeitanträgen von Arbeitnehmern. vor Vollendung<br />

des 60. Lebensjahres nur noch dann stattzugeben, wenn<br />

die betreffende Stelle tatsächlich wegfalle, gestellt hatte,<br />

zwingt nicht zu einer anderen Beurteilung. Zum einen war<br />

nach einer Entscheidung der Geschäftsführung der Beklagten<br />

ihre Abteilung Verwaltung gehalten, Vereinbarungen über<br />

Altersteilzeitarbeit nicht länger als sechs Monate vor Beginn<br />

des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses zu treffen. Zum anderen<br />

durften sich die Sachbearbeiter dieser Abteilung daran orientieren,<br />

dass ab 01.12.2006 eine andere verwaltungsinterne<br />

Handhabung durch den bereits mehrfach erwähnten, in der<br />

Abteilungs- <strong>und</strong> Referatsleiterbesprechung am 30.11.2006<br />

mitgeteilten Beschluss der Geschäftsführung vorgegeben war<br />

(vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 03.03.2005 –4Sa990/04 –<br />

Rz 39 juris).<br />

III. Die Klägerin kann auch keinen Anspruch auf Abschluss<br />

eines Altersteilzeitvertrages beginnend ab dem 01.04.2008<br />

daraus herleiten, dass sich die Beklagte bei der Ausübung des<br />

ihr gemäß § 2 Abs. 1 TV ATZ-TgRV zustehenden Ermessens dadurch<br />

geb<strong>und</strong>en hätte, dass die Stelle des Beschäftigten, der<br />

einen Altersteilzeitantrag gestellt habe, nach dem Stellenplan<br />

einen kw-Vermerk haben müsse.<br />

1. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf hinweist,<br />

dass ihre Stelle als Gleichstellungsbeauftragte einen<br />

kw-Vermerk trage, übersieht sie; dass dieser mit den sonstigen<br />

kw-Vermerken nicht vergleichbar ist. Das folgt bereits daraus,<br />

dass die Beklagte die Stelle der Gleichstellungsbeauftragten<br />

gerade nicht wegfallen lassen kann, da bei Ausscheiden der<br />

Klägerin die Stelle der Gleichstellungsbeauftragten nach ge-<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

genwärtiger Sach- <strong>und</strong> Rechtslage gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1<br />

LGG erneut besetzt werden muss.<br />

2. Der Umstand, dass damit die Altersteilzeit für eine Arbeitnehmerin,<br />

die Gleichstellungsbeauftragte ist, nach der von der<br />

Beklagten ab dem 01.12.2006 eingeführten Handhabung hinsichtlich<br />

der Bewilligung von Altersteilzeitanträgen, ausscheidet,<br />

stellt keine § 16 Abs. 3 1. Halbs. LGG widersprechende<br />

Benachteiligung dieser Arbeitnehmerin gegenüber sonstigen<br />

Arbeitnehmern/Arbeitnehmerinnen dar. Dies wäre nur dann<br />

der Fall, wenn die hierin liegende Benachteiligung der Klägerin<br />

als Gleichstellungsbeauftragte im Verhältnis zu anderen<br />

vergleichbaren Arbeitnehmern/Arbeitnehmerinnen nicht aus<br />

sachlichen Erwägungen, sondern allein wegen ihrer Amtstätigkeit<br />

erfolgen würde (vgl. zu § 78 S. 2 BetrVG ErfK/Kania, 9.<br />

Aufl. 2009, § 78 BetrVG Rz 7). Das ist jedoch vorliegend nicht<br />

der Fall. Zum einen beruht die mit Wirkung vom 01.12.2006<br />

eingeführte Handhabung der Beklagten bei der Bewilligung<br />

von Altersteilzeitanträgen auf sachlichen Gründen, nämlich<br />

auf finanziellen Erwägungen. Zum anderen ist die Beklagte<br />

nach § 15 Abs. 1 Satz 1 LGG, wie bereits dargestellt, gehindert,<br />

die von der Klägerin bekleidete Stelle, der Gleichstellungsbeauftragten,<br />

wie andere Arbeitsplätze bei ihr, einzusparen.<br />

In diesem Zusammenhang verhilft der Klägerin auch nicht<br />

der Hinweis darauf, dass die von ihr vor der Ernennung zur<br />

Gleichstellungsbeauftragten bekleidete Planstelle im betrieblichen<br />

Sozialdienst von der Beklagten nicht gesetzlich vorgehalten<br />

werden müsse, also mit einem kw-Vermerk versehen<br />

werden könnte mit der Folge, dass ihrem Altersteilzeitantrag<br />

im Wege des Stellentausches stattgegeben werden könnte.<br />

Zum einen unterliegt es der unternehmerischen Entscheidung<br />

der Beklagten, eine Stelle mit einem kw-Vermerk zu versehen.<br />

Zum anderen hat die Beklagte unwidersprochen vorgetragen,<br />

wegen der Größe ihres Betriebes sei der Sozialdienst unentbehrlich.<br />

Zudem sei eine Auflösung oder Einschränkung des<br />

betrieblichen Sozialdienstes ohne Zustimmung der Personalvertretung<br />

nicht möglich.<br />

IV. Soweit die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 04.12.2008<br />

ihren Anspruch auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrages beginnend<br />

ab dem 01.04.2008 wegen einer Verletzung der der<br />

Beklagten obliegenden Fürsorgepflicht (vgl. § 241 Abs. 2 BGB)<br />

im Wege des Schadensersatzes (vgl. § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB)<br />

herleiten will, kann ihr nicht gefolgt werden. Die Klägerin wirft<br />

der Beklagten vor, sie habe die seit dem 01.12.2006 geltenden<br />

Regeln bei der Bewilligung von Altersteilzeit gemäß § 2 Abs. 1<br />

TV ATZ-TgRV nicht in der betrieblichen Öffentlichkeit, also<br />

nicht wie die Beklagte behauptet hat, im Intranet, publiziert.<br />

Selbst wenn man dies zu Gunsten der Klägerin unterstellt <strong>und</strong><br />

auch noch zu ihren Gunsten ein schuldhaftes Verhalten der<br />

Beklagten (vgl. § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 280 Abs. 1<br />

Satz 2 BGB) annimmt, hat die Klägerin doch keinen hieraus<br />

resultierenden Schaden substantiiert dargelegt. Sie hat zum<br />

einen lediglich pauschal darauf hingewiesen, sie habe sich im<br />

Hinblick auf die bisherige Handhabung bei der Bewilligung<br />

von Altersteilzeit darauf eingerichtet, dass ihr diese antragsge-<br />

235


Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

mäß gewährt werde. Zum anderen hat sie allgemein gehalten<br />

lediglich geltend gemacht, dass sie sich, wenn sie Kenntnis<br />

davon gehabt hätte, der kw-Vermerk an ihrer Stelle würde<br />

nach den „Geheimregelungen“ der Beklagten nicht ausreichen,<br />

um Altersteilzeit zu erhalten, bereits im Vorfeld für einen<br />

Stellentausch eingesetzt hätte, der sicherlich aufgr<strong>und</strong> des<br />

erheblichen Personalabbaus möglich gewesen wäre.<br />

■ Landesarbeitsgericht Düsseldorf<br />

vom 08.01.2009, 11 Sa 1068/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Marcus Schneider-Bodien,<br />

Königsallee 96, 40212 Düsseldorf,<br />

Tel.: 0211/320153/4, Fax: 0221/327815<br />

Kanzlei@kessel-rechtsanwaelte.de<br />

285. Ausschlussfrist, Schadensersatzanspruch<br />

Die Klage ist unbegründet.<br />

Die Vergütungsansprüche des Klägers sind verfallen, da<br />

sie nicht innerhalb der Ausschlussfrist des allgemeinverbindlichen<br />

<strong>und</strong> nach seinem Geltungsbereich auch auf das<br />

Arbeitsverhältnis des Klägers anwendbaren B<strong>und</strong>esrahmentarifvertrages<br />

für das Baugewerbe (BRTV) geltend gemacht<br />

wurden. ...<br />

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1, 1 Hs. BRTV verfallen alle beiderseitigen<br />

Ansprüche. aus dem Arbeitsverhältnis <strong>und</strong> solche, die<br />

mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, wenn sie<br />

nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber<br />

der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.<br />

Hiernach wären der Lohn für Oktober 2007 spätestens am<br />

15. Januar 2008 <strong>und</strong> der Lohn für November 2007 spätestens<br />

am 15. Februar 2008 schriftlich geltend zu machen gewesen.<br />

Eine solche schriftliche Geltendmachung behauptet der Kläger<br />

nicht.<br />

Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auch<br />

nicht als Schadensersatzanspruch gemäß §§ 286 Abs. 1,<br />

284 Abs. 2, 249 BGB wegen nicht erfolgter Aushändigung<br />

eines schriftlichen Arbeitsvertrages gemäß § 2 NachwG zu.<br />

Der Geschäftsführer der Beklagten befand sich zwar mit<br />

der Aushändigung der Niederschrift in Verzug, so dass er<br />

dem Kläger nach § 286 Abs. 1 BGB zum Ersatz des durch<br />

den eingetretenen Verzug adäquat verursachten Schadens<br />

verpflichtet ist (vgl. hierzu BAG U. v. 17. April 2002 –5AZR<br />

89/01 – AP Nr. 6 zu § 2 NachwG). Der Schaden ist in dem<br />

Erlöschen der Vergütungsansprüche infolge der Unkenntnis<br />

der tarifvertraglichen Ausschlussfrist zu sehen. Jedoch war<br />

dem Kläger die fristgerechte Geltendmachung jedenfalls<br />

des Schadensersatzanspruches mit der Beauftragung seines<br />

Prozessbevollmächtigten möglich, der die maßgeblichen<br />

tarifvertraglichen Ausschlussfristen zu beachten hatte <strong>und</strong><br />

dessen Kenntnis dem Kläger nach §§ 254 Abs. 2 Satz 2, 278<br />

BGB zuzurechnen ist. Spätestens nach Vorlage der Rechungen<br />

im Kammertermin vom 17. September 2008 hatten der Kläger<br />

<strong>und</strong> sein Prozessbevollmächtigter Kenntnis über den richtigen<br />

Anspruchsgegner. Der Eingang der vorliegenden Klage erst<br />

236 03/09<br />

am 3. Dezember 2008 <strong>und</strong> die auch davor weiterhin unterb<strong>liebe</strong>ne<br />

schriftliche Geltendmachung beim Anspruchsverpflichteten<br />

verdeutlichen, dass auch der Schadensersatzanspruch,<br />

der ausgehend vom 17. September 2008 spätestens am 17.<br />

November 2008 geltend zu machen gewesen wäre, verfallen<br />

ist.<br />

■ Arbeitsgericht Frankfurt am Main<br />

vom 22.04.2009, 15 Ca 8587/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Ijaz Chaudhry,<br />

Mainzer Landstraße 107, 60329 Frankfurt am Main,<br />

Tel.: 069/25627137, Fax: 069/25627138<br />

info@ra-chaudhry.de<br />

286. Geltendmachung, Verjährung, Hemmung der Verjährung<br />

II. ... 2. Der unter Berücksichtigung des Sachvortrags des Klägers<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich gegebene Anspruch auf die Sonderzahlung<br />

für das Jahr 2004 nach den Bestimmungen des Tarifvertrages<br />

über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens<br />

in der Eisen-, Metall-, Elektro- <strong>und</strong> Zentralheizungsindustrie<br />

Nordrhein-Westfalens vom 11.12.1996 ist allerdings<br />

verjährt. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung<br />

ausdrücklich erhoben.<br />

a) Ist auf der Gr<strong>und</strong>lage des Sachvortrags des Klägers davon<br />

auszugehen, dass das Tarifwerk der Metallindustrie Nordrhein-<br />

Westfalens nach dem Stand vom 01.03.1997 gemäß § 613a<br />

Abs. 1 Satz 2 BGB Inhalt des Arbeitsverhältnisses der Parteien<br />

geworden ist, so galt arbeitsvertraglich auch der Manteltarifvertrag<br />

in seiner damaligen Fassung, der in § 19 Bestimmungen<br />

über die Geltendmachung <strong>und</strong> den Ausschluss von<br />

Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis enthält. Danach hat<br />

der Arbeitnehmer Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zunächst<br />

innerhalb bestimmter Fristen dem Arbeitgeber gegenüber<br />

geltend zu machen. Gemäß § 19 Ziffer 5 des Manteltarifvertrages<br />

Metallindustrie in der am 01.03.1997 geltenden<br />

Fassung sind rechtzeitig gemachte Forderungen nicht ausgeschlossen,<br />

vielmehr gilt dann die zweijährige Verjährungsfrist<br />

des § 196 Abs. 1 Nr. 9 BGB, die mit dem Schluss des Kalenderjahres<br />

beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist. Bei<br />

dieser Bestimmung handelten sich um eine konstitutive Regelung,<br />

die in ihrem Anwendungsbereich in statischer Weise<br />

die Geltung der zweijährigen Verjährungsfrist des § 196 Abs. 1<br />

Nr. 9 BGB a.F. anordnet. Die Tarifvertragsparteien haben in<br />

dieser Tarifbestimmung nicht lediglich auf die Verjährungsregelungen<br />

verwiesen, die sich aus der Anwendung des BGB<br />

ergeben. Dies zeigt sich schon darin, dass § 196 Abs. 1 Nr. 9<br />

BGB in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung lediglich<br />

die Verjährung von Ansprüchen der gewerblichen Arbeiter –<br />

Gesellen, Gehilfen, Lehrlinge, Fabrikarbeiter –, der Tagelöhner<br />

<strong>und</strong> Handarbeiter wegen des Lohnes <strong>und</strong> anderer anstelle<br />

oder als Teil des Lohns vereinbarten Leistungen, mit<br />

Einschluss der Auslagen, sowie der Arbeitgeber wegen der<br />

auf solche Ansprüche gewährten Vorschüsse regelte. Demge-


genüber erfasst § 19 Ziffer 5 des Manteltarifvertrages Metallindustrie<br />

in der am 01.03.1997 geltenden Fassung sämtliche<br />

Ansprüche sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber<br />

aus dem Arbeitsverhältnis, unabhängig davon, ob sie nach<br />

Gesetz einer kürzeren oder längeren Verjährungsfrist unterliegen.<br />

Zudem haben die Tarifvertragsparteien für den Fall der<br />

erfolglosen Geltendmachung nicht lediglich auf die gesetzliche<br />

Verjährungsregelung verwiesen, sondern bestimmt, dass<br />

dann der Ausschluss nicht eintritt, sondern „die zweijährige<br />

Verjährungsfrist des § 196 Abs. 1 Nr. 9 BGB“ gilt. Die Tarifvertragsparteien<br />

haben damit im Anwendungsbereich von § 19<br />

des Manteltarifvertrages Metallindustrie in der am 01.03.1997<br />

geltenden Fassung eine zweijährige Verjährungsfrist nach erfolgloser<br />

Geltendmachung normiert, die sie der damals geltenden<br />

gesetzlichen Bestimmung. des § 196 Abs. 1 Nr. 9 BGB<br />

entnommen haben. Anhaltspunkte dafür, dass nach dem Willen<br />

der Tarifvertragsparteien die jeweils bestehenden gesetzlichen<br />

Verjährungsfristen gelten sollten, haben im Wortlaut<br />

des § 19 des genannten Tarifvertrages keinen Niederschlag<br />

gef<strong>und</strong>en.<br />

Dass es sich bei § 19 Ziffer 5 des Manteltarifvertrages Metallindustrie<br />

in der am 01.03.1997 geltenden Fassung um eine<br />

konstitutive Regelung mit einer statischen Bezugnahme auf<br />

die zweijährige Verjährungsfrist des § 196 Abs. 1 Nr. 9 BGB a.F.<br />

handelt, wird durch einen Vergleich mit den Verjährungsregelungen<br />

bestätigt, die von den Tarifvertragsparteien im einheitlichen<br />

Manteltarifvertrag vom 18.12.2003 normiert worden<br />

sind. Die Tarifvertragsparteien haben dort in § 19 Nr. 5 eine<br />

dreijährige Verjährungsfrist unter Nennung des § 195 BGG<br />

geregelt. Sie haben in Kenntnis der neuen gesetzlichen Verjährungsbestimmungen<br />

<strong>und</strong> im Bewusstsein dessen, dass der<br />

Manteltarifvertrag Metallindustrie vom 24.08.2001/11.09.2001<br />

für diejenigen Betriebe der Metallindustrie weiter gilt, die das<br />

Entgeltrahmenabkommen gemäß den Bestimmungen des so<br />

genannten ERA-Einführungstarifvertrages nicht eingeführt haben,<br />

die Geltung der zweijährigen Verjährungsfrist des § 196<br />

Abs. 1 Nr. 9 BGB a.F. bei erfolgloser Geltendmachung unverändert<br />

gelassen. Hieraus kann nur geschlossen werden, dass<br />

die Tarifvertragsparteien die Verjährungsfristen bei erfolgloser<br />

Geltendmachung in beiden Tarifwerken unterschiedlich<br />

regeln wollten (so bereits LAG Hamm, Urt. v. 22.02 2007 – 15<br />

Sa 1909/06 –; Urt. v. 24.06.2008 – 14 Sa 1448/07).<br />

b) Unter Berücksichtigung der Bestimmungen des § 19 des<br />

Manteltarifvertrages Metallindustrie in der am 01.03.1997 geltenden<br />

Fassung ist die Forderung des Klägers als verjährt<br />

anzusehen.<br />

aa) Die vom Kläger geltend gemachte Sonderzahlung war, gemäß<br />

§ 3 des Tarifvertrages über die tarifliche Absicherung eines<br />

Teiles eines 13. Monatseinkommens in der Eisen-, Metall-,<br />

Elektro- <strong>und</strong> Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens<br />

vom 11.12.1996 am 01. Dezember 2004 fällig. Ausgehend<br />

hiervon war dieser Anspruch gemäß § 19 Ziffer 2 des Manteltarifvertrages<br />

Metallindustrie in der am 01.03.1997 geltenden<br />

Fassung innerhalb von drei Monaten geltend zu machen.<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

Diese Frist hat der Kläger durch Klageschrift vom 28.01.2005,<br />

die der Beklagten am 08.02.2005 zugestellt worden ist, eingehalten.<br />

Da die Geltendmachung erfolglos geb<strong>liebe</strong>n ist,<br />

trat der Ausschluss der Forderung gemäß § 19 Ziffer 5 des<br />

gen. Manteltarifvertrages nicht ein. Vielmehr galt dann die<br />

zweijährige Verjährungsfrist des § 196 Abs. 1 Nr. 9 BGB a.F.,<br />

die mit dem Schluss des Kalenderjahres, in dem der Anspruch<br />

entstanden ist, begonnen hatte. Da der Kläger bereits am<br />

28.01.2005 Klage auf Zahlung der am 01.12.2004 fälligen<br />

Leistung erhoben hatte, war die Verjährung nach den bis zum<br />

31.12.2001 geltenden Verjährungsregeln unterbrochen worden;<br />

nach dem seit dem‘ 01.01.2002 geltenden neuen Recht<br />

war die Verjährung gemäß § 204 BGB wegen der Erhebung<br />

der Klage auf Leistung gehemmt.<br />

bb) Das vorliegende Verfahren ist allerdings im Termin vom<br />

20.04.2005 vor dem Arbeitsgericht dadurch zum Stillstand<br />

gekommen, dass im Einvernehmen mit dem Klägervertreter<br />

neuer Termin nur auf Antrag einer Partei anberaumt werden<br />

sollte. Nach altem Recht endete damit die Unterbrechung<br />

der Verjährung, sodass gemäß § 217 BGB a.F. eine neue<br />

Verjährungsfrist zu laufen begann. Nach neuem Recht endete<br />

die Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 2 BGB sechs<br />

Monate nach der letzten Verfahrenshandlung der Parteien.<br />

Unabhängig davon, ob nach altem Recht die Klageerhebung<br />

vom 28.01.2005 eine Unterbrechung der Verjährung zur Folge<br />

hatte oder ob nach neuem Recht von einer Hemmung der<br />

Verjährung auszugehen ist, war im Zeitpunkt des Antrags des<br />

Klägers auf Terminsbestimmung im vorliegenden Verfahren<br />

vom 16.01.2008 die maßgebliche zweijährige Verjährungsfrist<br />

gemäß § 19 des Manteltarifvertrages Metallindustrie in der<br />

am 01.03.1997 geltenden Fassung bereits abgelaufen. Der<br />

vom Kläger geltend gemachte Anspruch ist damit verjährt.<br />

III. Die erkennende Kammer hat die Revision gemäß § 72<br />

Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG zugelassen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Hamm<br />

vom 22.01.2009, 15 Sa 1022/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Steffen Müller,<br />

Von-Scheibler-Straße 10, 58636 Iserlohn,<br />

Tel.: 02371/835555, Fax: 02371/835556<br />

GM.Arbeitsrecht@t-online.de<br />

287. Eingruppierung, Bewährungsaufstieg, Zeiten ohne<br />

Tätigkeit<br />

1. Die Forderung einer „tarifgerechten Eingruppierung“ ist<br />

ausreichend im Sinne tariflicher Ausschlussfristen, wenn nur<br />

eine Vergütung nach der untersten Vergütungsgruppe begehrt<br />

wird.<br />

2. Regelt ein Tarifvertrag nicht, inwiefern bei einem Bewährungsaufstieg<br />

auch Zeiten ohne Arbeitsleistung zu berücksichtigen<br />

sind, dann zählen diese gr<strong>und</strong>sätzlich mit. Eine Ausnahme<br />

kann allenfalls dann gelten, wenn für diese Zeiten der<br />

Arbeitgeber keine Entgeltzahlungen zu erbringen hat.<br />

237


Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

3. Zeiten der Beschäftigungsverbote nach dem Mutterschutzgesetz<br />

sind immer mitzuzählen, da anderenfalls eine mittelbare<br />

Diskriminierung (§ 3 Abs. 2 AGG) vorliegen würde.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg<br />

vom 07.01.2009, 15 Sa 1717/08<br />

288. Eingruppierung, befristete höherwertige Tätigkeit,<br />

Zulage<br />

Wird ein Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber mit höherwertigen<br />

Tätigkeiten als Geschäftsführer bei einer für fünf<br />

Jahre befristet gebildeten Arbeitsgemeinschaft (gem. § 44b<br />

SGB II) betraut, dann muss der Arbeitnehmer nicht dauerhaft<br />

höhergruppiert werden. Es besteht nur ein Anspruch auf Zahlung<br />

einer Zulage nach § 24 Abs. 1 BAT-O.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg<br />

vom 19.02.2009, 15 Sa 2217/08<br />

289. Betriebliche Altersversorgung, Kohledeputat; Bergmannsrente<br />

I. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch aus § 7<br />

Abs. 1 BetrAVG <strong>und</strong> §§ 104 Abs. 1, 100, 101 Anlage 7 RWMTV<br />

auf Zahlung von 315,77 € Energiebeihilfe für das Jahr 2007.<br />

1. Bei der Hausbrandleistung <strong>und</strong> der daraus folgenden Energiebeihilfe<br />

nach § 54 MTVRW <strong>und</strong> §§ 100 Abs. 1, 101, 102<br />

Abs. 2 Anlage 7 RWMTV handelt es sich um Leistungen der<br />

betrieblichen Altersversorgung.<br />

a) Eine, betriebliche Altersversorgung im Sinne des § 1 Abs. 1<br />

Satz 1 BetrAVG, für die der Beklagte gemäß § 7 BetrAVG einzustehen<br />

hätte, liegt vor, wenn einem Arbeitnehmer Leistungen<br />

der Altersinvaliditäts- oder Hinterb<strong>liebe</strong>nenversorgung<br />

aus Anlass seines Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber zugesagt<br />

werden. Es muss sich um eine Leistung handeln, die<br />

einen Versorgungszweck erfüllt. Der Versorgungszweck unterscheidet<br />

die Leistung von anderen Leistungen des Arbeitgebers.<br />

Kennzeichen der Altersversorgung ist, dass sie durch<br />

ein biometrisches Risiko, etwa das Erreichen des Rentenalters<br />

<strong>und</strong> den Eintritt in den Ruhestand, ausgelöst wird. Dabei ist<br />

der Leistungsbegriff des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG nicht eng,<br />

sondern weit auszulegen. Er beschränkt sich nicht auf Geldleistungen.<br />

Auch Sach- <strong>und</strong> Nutzungsleistungen, insbesondere<br />

Deputate können erfasst werden. Dabei spielt es keine<br />

Rolle, ob derartige Leistungen auch den aktiven Mitarbeitern<br />

gewährt werden (BAG, Beschl. v. 11. August 1981 – 3 AZR<br />

395/80 – AP BetrAVG § 16 Nr. 11; BAG, Beschl. v. 12. Dezember<br />

2006 – 3 AZR 475/05 – BeckRS 2007, 48604; LAG Köln,<br />

Beschl. v. 7. April 2008 – 5 Sa 430/08 – BeckRS 2008, 55465;<br />

ErfK/Steinmeyer, 9. Aufl. 2009, § 1 BetrAVG Rn 5; HWk/Schipp,<br />

3. Auflage 2008, Vorb. BetrAVG Rn 55).<br />

b) Die 5. Kammer des LAG Köln hat jetzt angenommen, dass es<br />

sich bei der Energiebeihilfe nicht um eine betriebliche Altersversorgung<br />

handele, sondern um eine Leistung mit Fürsorgecharakter.<br />

Das verdeutlichten Regelungen, die an die Bedürftigkeit<br />

des Empfängers anknüpften. Eine weitere Durch-<br />

238 03/09<br />

brechung finde sich in den Ausschlusstatbeständen, beispielsweise<br />

bei längerfristiger anderweitiger versicherungspflichtiger<br />

Beschäftigung bzw. lang andauernder Selbständigkeit.<br />

Schließlich spreche auch das äußere Erscheinungsbild im Hinblick<br />

auf die Rechtsgr<strong>und</strong>lagen nicht dafür, dass hier eine Leistung<br />

der betrieblichen Altersversorgung anzunehmen wäre.<br />

Schließlich mangele es auch daran, dass die Leistungen nicht<br />

an ein bestimmtes biometrisches Ereignis anknüpften (LAG<br />

Köln, Beschl. v. 7. April 2008 – 5 Sa 430/08 – BeckRS 2008,<br />

55465; a. A. LAG Köln, Beschl. v. 27. November 2008 – 13 Sa<br />

952/08).<br />

c) Die Kammer schließt sich der Auffassung der 5. Kammer des<br />

LAG Köln im vorliegenden Fall nicht an.<br />

aa) Das BAG hat bereits in seiner Entscheidung aus dem Jahre<br />

1981 festgehalten, dass das Kohledeputat Teil der betrieblichen<br />

Altersversorgung sei: „Zutreffend ist ferner, dass die<br />

Hausbrandgewährung in Gestalt der Lieferung von Kohle (Deputat)<br />

oder der Einräumung eines Kohlebezugsrechts an Rentner<br />

in der geschichtlichen Entwicklung dieser Leistungsformen<br />

auf den Gedanken der nachwirkenden Fürsorgepflicht<br />

des Arbeitgebers zurückgeht. Darin kommt aber kein gr<strong>und</strong>legender<br />

Unterschied gegenüber der dem Pensionär gezahlten<br />

Altersrente zum Ausdruck. Auch die betriebliche Altersversorgung<br />

ist ursprünglich als Niederschlag der allgemeinen<br />

Fürsorgepflicht des Arbeitgebers verstanden worden. Erst<br />

die weitere Entwicklung die Ausdehnung der betrieblichen<br />

Altersversorgung sowie die intensivere Durchdringung der<br />

auf diesem Rechtsgebiet entstehenden Probleme haben die<br />

Überzeugung von dem Entgeltcharakter von Versorgungsleistungen<br />

gebildet. Fürsorgepflichten werden dann nicht mehr<br />

als Ausdruck der Fürsorge gewertet, wenn sie in der Gestalt<br />

abgesicherter Rechte (Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung,<br />

Einzelvertrag) in Erscheinung treten. Die Entwicklung<br />

von Leistungen mit rein fürsorgerischem Einschlag zu Leistungen<br />

mit verfestigter Rechtsgr<strong>und</strong>lage zeigt sich in gleicher<br />

Weise bei der Hausbrandgewährung an aktive Bergleute<br />

<strong>und</strong> Berginvaliden“ (BAG, Beschl. v. 11. August 1981 –3AZR<br />

395/80 – AP BetrAVG § 16 Nr. 11).<br />

bb) Insbesondere zu den hier streitgegenständlichen tarifvertraglichen<br />

Regelungen hat das BAG bereits klargestellt, dass<br />

es sich um Versorgungsansprüche handelt <strong>und</strong> diese an den<br />

Maßstäben der Rechtsprechung zur betrieblichen Altersversorgung<br />

gemessen (BAG, Beschl. v. 14. Juni 1983 – 3 AZR<br />

565/81 – BAGE 44, 61 = AP BGB § 242 Gleichbehandlung<br />

Nr. 58).<br />

cc) Das BAG hat auch klargestellt, dass es für die rechtliche<br />

Beurteilung der Zusage darauf ankommt, welches Ereignis<br />

den Anspruch auslöst; es kommt nicht darauf an, aus welchem<br />

Gr<strong>und</strong> die Zusage erteilt wurde. Leistungen der betrieblichen<br />

Altersversorgung unterscheiden sich durch ihre Zwecksetzung<br />

von sonstigen Leistungen, etwa zur Vermögensbildung,<br />

zur Überbrückung der Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> Abfindungen<br />

für den Verlust des Arbeitsplatzes. Wird eine Leistung zur<br />

Deckung des Versorgungsmehrbedarfs nach Ausscheiden aus


dem Berufsleben (Versorgungsfall Altersrente) zugesagt, dient<br />

sie der Altersversorgung (BAG, Beschl. v. 8. Mai 1990 – 3 AZR<br />

121/89 – AP BetrAVG § 7 Nr. 58).<br />

dd) Noch weitergehend hat das BAG jetzt festgestellt, dass<br />

eine betriebliche Altersversorgung vorliegt, wenn die im Betriebsrentengesetz<br />

abschließend aufgezählten Voraussetzungen<br />

erfüllt sind. Der Arbeitgeber müsse die Zusage aus Anlass<br />

eines Arbeitsverhältnisses erteilen. Die Leistungspflicht müsse<br />

nach dem Inhalt der Zusage durch ein im Gesetz genanntes<br />

biologisches Ereignis (Alter, Invalidität oder Tod) ausgelöst<br />

werden: Die zugesagte Leistung müsse einem Versorgungszweck<br />

dienen. Unter einer „Versorgung“ seien alle Leistungen<br />

zu verstehen, die den Lebensstandard des Arbeitnehmers<br />

oder seiner Hinterb<strong>liebe</strong>nen im Versorgungsfall, wenn auch<br />

nur zeitweilig, verbessern sollten (BAG, Beschl. v. 28. Oktober<br />

2008 – 3 AZR 317/07 – Pressemitteilung becklink 269304).<br />

ee) Auch für eine dem vorliegenden Fall ähnliche Regelung<br />

hat das BAG angenommen, dass es sich um Versorgungsleistungen<br />

handelt (BAG, Beschl. v. 2. Dezember 1986 – 3 AZR<br />

123/86 – AP BGB § 611 Deputat Nr. 9). Die Regelung lautete:<br />

„An Hausbrandkohlen gewährt Gottessegen den ausgeschiedenen<br />

Belegschaftsmitglieden für die Dauer eines Jahres<br />

die tarifl. Jahresmenge, wenn nachgewiesen wird, dass ein<br />

Doppelbezug nicht vorliegt <strong>und</strong> von dritter Seite auch keine<br />

kohlenähnl. Vergünstigungen gewährt werden. Solange der<br />

Ausgeschiedene einen Werkszuschuss bezieht, erhält er Hausbrandkohle<br />

wie ein Invalide ohne Nachweis der Bedürftigkeit.<br />

Im Übrigen gelten die tarifl. Bestimmungen.“<br />

ff) Die Leistung wird auch hier zur Deckung des Versorgungsmehrbedarfs<br />

nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben<br />

(Versorgungsfall Altersrente) zugesagt.<br />

Sie knüpft jedenfalls beim Kläger an den Bezug von Bergmannsrente<br />

<strong>und</strong> damit an ein biometrisches Ereignis an, da<br />

Bergmannsrente Invalidenrente ist <strong>und</strong> erst ab dem 50. Lebensjahr<br />

verlangt werden kann. Unerheblich ist es, wie gesehen,<br />

dass die Kohledeputatleistungen <strong>und</strong> Energiebeihilfen<br />

auch an aktive Arbeitnehmer erfolgen. Dass die Leistung dem<br />

Fürsorgegedanken entspringt, steht der Pflicht des Beklagten<br />

auch nicht entgegen, wie das BAG festgestellt hat.<br />

2. Der Kläger war auch bereits Betriebsrentenempfänger im<br />

Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung, § 7 Abs. 1 BetrAVG.<br />

a) Der Kläger war Betriebsrentner im Sinne des § 100 Abs. 1<br />

Anlage 7 RWMTV. Denn er ist Empfänger von Bergmannsrente.<br />

b) Die Bergmannsrente ist auch ein nach § 1 Abs. 1 BetrAVG<br />

versicherbares Risiko. Die Bergmannsrente knüpft an das Risiko<br />

der Invalidität an <strong>und</strong> ist damit eine Rente wegen verminderter<br />

Erwerbsfähigkeit (c). Sie ist keine Altersrente, obwohl<br />

sie vom Lebensalter abhängig ist. Sie wird wegen im<br />

Bergbau verminderter Berufsfähigkeit geleistet. Sie weist nach<br />

ihrem Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> ihrer Ausgestaltung die typischen Merkmale<br />

einer Berufsunfähigkeitsrente auf. § 45 Abs. 3 SGB VI stellt die<br />

gesetzliche Vermutung auf, dass die im Bergbau verminderte<br />

Berufsfähigkeit mit dem 50. Lebensjahr unwiderruflich einge-<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

treten ist. Der Normzweck der Rente besteht darin, die Lohneinbuße<br />

auszugleichen, die der Versicherte erleidet, weil er<br />

aufgr<strong>und</strong> des gesetzlich vermuteten Eintritts der verminderten<br />

Berufsfähigkeit seine berufliche Tätigkeit nicht mehr wahrnehmen<br />

kann <strong>und</strong>, da sein Arbeitsleben nicht abgeschlossen<br />

ist, zur Absicherung des Lebensstandards im Allgemeinen zur<br />

Aufnahme einer minderentlohnten Tätigkeit gezwungen ist<br />

(zum Ganzen: Kasseler Kommentar/Niesel, 59. EGL 2008, § 45<br />

SGB VI Rn 7, 8).<br />

c) Das relativ junge Alter des Klägers ist ebenfalls unerheblich,<br />

da das biometrische Ereignis Invalidität vorliegt <strong>und</strong> an dieses<br />

angeknüpft wird (vgl. BAG, Beschl. v. 17. September 2008 – 3<br />

AZR 865/06 – BeckRS 2009, 50313).<br />

3. Die Höhe des Anspruchs beläuft sich auf 2,5t Kohle <strong>und</strong><br />

damit auf 315,77 €.<br />

a) Aus § 104 Abs. 1 Anlage 7 RWMTV folgt der Anspruch auf<br />

eine Energiebeihilfe von 2,5t. Der Wert einer Tonne Kohle<br />

beläuft sich nach der Kenntnis des Gerichts derzeit auf ca.<br />

200 €. Nach dem R<strong>und</strong>schreiben der IG BCE vom 31. August<br />

1992 belief sich der Wert der Tonne Steinkohle auf 239 DM<br />

für ausgeschiedene Rentner <strong>und</strong> Witwen. Der Kläger bezieht<br />

sich außerdem auf Vergleichswerte bei <strong>Kollegen</strong> im Steinkohlebergbau.<br />

b) Der Beklagte durfte sich in Anbetracht der Vielzahl an Verfahren<br />

mit diesem Gegenstand nicht darauf berufen, den Wert<br />

einer Tonne Kohle, den die Tarifvertragspartner festzusetzen<br />

hatten, zu bestreiten. Jedenfalls war wegen des substantiierten<br />

Vortrags des Klägers zumindest von seinen Werten auszugehen.<br />

Selbst wenn dann von jeder Tonne noch 8 DM nach<br />

§ 104 Abs. 2 RWMTV abzuziehen wären, bestehen gegen den<br />

geltend gemachten Betrag keine Einwände.<br />

II. Der Kläger hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf Ruhegeldzahlungen<br />

in Höhe von monatlich 64,42 €, also für den<br />

streitigen Zeitraum 579,78 €, aus §§ 1, 5 der Versorgungsordnung<br />

(Heitkamp (VersO)) <strong>und</strong> § 7 Abs. 1 BetrAVG.<br />

1. Der Kläger erfüllte im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung<br />

die Voraussetzungen der VersO. Er bezog seit dem 1. April<br />

2007 eine Bergmannsrente, die als Erwerbs- <strong>und</strong> Berufsunfähigkeitsrente<br />

im Sinne des § 5 der VersO zu qualifizieren ist.<br />

a) § Nach § 5 VersO haben Berufs- <strong>und</strong> Erwerbsunfähige Anspruch<br />

auf Invalidenrente, die ihrer Höhe nach der Altersrente<br />

entspricht. Zur Auslegung dieser Begriffe wird auf die übliche<br />

Begriffsbestimmung in der gesetzlichen Rentenversicherung<br />

zurückgegriffen. Wenn Betriebspartner einen Rechtsbegriff<br />

wie den der Erwerbsunfähigkeit verwenden, ohne dessen<br />

Voraussetzungen selbst festzulegen, legen sie regelmäßig den<br />

Sprachgebrauch des Sozialversicherungsrechts zu Gr<strong>und</strong>e,<br />

aus dem sie diesen Begriff übernommen haben (BAG, Beschl.<br />

v. 20. Februar 2001 – 3 AZR 21/00 – NZA 2002, 351; Kemper,<br />

3. Auflage 2008, § 1 BetrAVG Rn 39; Höfer, EGL Juni 2006, ART<br />

Rn 865). Das gilt auch für Versorgungsordnungen, die noch<br />

die alten, bis Ende 2000 geltenden Begriffe der Erwerbs<strong>und</strong><br />

Berufsunfähigkeit fortführen (BRO, 4. Auflage 2006,<br />

Anhang § 1 BetrAVG Rn 175; Kemper, 3. Auflage 2008, § 1<br />

239


Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

BetrAVG, Rn 42; Langohr/Plato, 4. Auflage 2007, Allgemeine<br />

Gr<strong>und</strong>lagen, Rn 34; Höfer, EGL Juni 2006, ART Rn 865). Wie<br />

diese Begriffe zu verstehen sind, steht in der Literatur in Streit,<br />

jedenfalls soll auch weiterhin bei der Verwendung der Begriffe<br />

der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit die teilweise <strong>und</strong> volle<br />

Erwerbsminderung von der Versorgungsordnung erfasst sein<br />

(BRO, 4. Auflage 2006, Anhang § 1 BetrAVG, Rn 175; Kemper,<br />

3. Auflage 2008, § 1 BetrAVG, Rn 42; Langohr/Plato, 4. Auflage<br />

2007, Allgemeine Gr<strong>und</strong>lagen, Rn 34; Höfer, EGL Juni 2006,<br />

ART, Rn 866)<br />

b) Die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 3 SGB VI ist Berufsunfähigkeitsrente<br />

im Sinne des § 5 VersO. Sie ist keine Altersrente,<br />

obwohl sie vom Lebensalter abhängig ist. Sie wird<br />

wegen im Bergbau verminderter Berufsfähigkeit geleistet <strong>und</strong><br />

ist damit eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit<br />

(Kreikebohm/von Koch, 3. Auflage 2008, § 45 SGB VI, Rn 21).<br />

Sie weist nach ihrem Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> ihrer Ausgestaltung die typischen<br />

Merkmale einer Berufsunfähigkeitsrente auf. § 45 Abs. 3<br />

SGB VI stellt die gesetzliche Vermutung auf, dass die im Bergbau<br />

verminderte Berufsfähigkeit mit dem 50. Lebensjahr unwiderruflich<br />

eingetreten ist. Der Normzweck der Rente besteht<br />

darin, die Lohneinbuße auszugleichen, die der Versicherte<br />

erleidet, weil er aufgr<strong>und</strong> des gesetzlich vermuteten<br />

Eintritts der verminderten Berufsfähigkeit seine berufliche Tätigkeit<br />

nicht mehr wahrnehmen kann <strong>und</strong>, da sein Arbeitsleben<br />

nicht abgeschlossen ist, zur Absicherung des Lebensstandards<br />

im Allgemeinen zur Aufnahme einer minderentlohnten<br />

Tätigkeit gezwungen ist (zum Ganzen: Kasseler Kommentar/Niesel,<br />

59 EGL 2008, § 45 SGB VI, Rn 7, 8). Aus dieser<br />

Beschreibung folgt, dass die Bergmannsrente zwar Übergangscharakter<br />

hat, aber Invaliditätsrente im Sinne der Versorgungsordnung<br />

ist.<br />

2. Der Kläger hat daher einen Anspruch nach der VersO auf<br />

50 DM für die ersten zehn Jahre <strong>und</strong> für die weiteren 19 Jahre<br />

Betriebszugehörigkeit je 4 DM, also 50 DM + 76 DM = 126 DM<br />

= 64, 42 €, für neun Monate ergibt dies 579,78 €.<br />

■ Arbeitsgericht Köln<br />

vom 08.01.2009, 22 Ca 9333/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Ralf Gosda,<br />

Von-Geismar-Straße 2, 59229 Ahlen,<br />

Tel.: 02382/9187720, Fax: 02382/9187777<br />

nfo@sozietaet-quast.de<br />

290. Tarifvertrag, Tariffähigkeit<br />

1. Die Tariffähigkeit einer Spitzenorganisation nach § 2 Abs. 3<br />

TVG kann sich entweder aus der Tariffähigkeit aller seiner Mitgliedsorganisationen<br />

ergeben oder die Spitzenorganisation<br />

selbst kann die Voraussetzungen der Tariffähigkeit erfüllen.<br />

2. Für die Tariffähigkeit einer Spitzenorganisation auf Arbeitnehmerseite<br />

selbst ist zu verlangen, dass sie in entsprechender<br />

Weise die Anforderungen erfüllt, wie sie an die Tariffähigkeit<br />

einer einzelnen Gewerkschaft gestellt werden. Daraus<br />

folgt, dass eine Spitzenorganisation nicht tariffähig ist, wenn<br />

240 03/09<br />

sie nicht über eine ausreichende soziale Mächtigkeit verfügt,<br />

wie sie auch eine Einzelgewerkschaft aufweisen muss, um<br />

tariffähig zu sein.<br />

3. Im Bereich der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung<br />

folgt aus einer Vielzahl abgeschlossener Tarifverträge nicht<br />

schon die Indizwirkung der sozialen Mächtigkeit im Sinne des<br />

Tarifrechts. Denn in § 9 Nr. 2 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes<br />

(AUG) in der ab dem 01.01.2003 gültigen Fassung<br />

ist geregelt, dass Leiharbeitnehmer gr<strong>und</strong>sätzlich hinsichtlich<br />

der Vergütung <strong>und</strong> der sonstigen Arbeitsbedingungen mit<br />

den Stammarbeitnehmern des Entleiherbetriebes gleich zu<br />

behandeln sind (sog. Equal-Pay/Equal-Treatment), es sei denn,<br />

Tarifverträge lassen abweichende Regelungen zu. Es ist mithin<br />

möglich, den gesetzlich vorgegebenen Standard des „Equal-<br />

Pay/Equal-Treatment“ durch Tarifverträge abzusenken. Allein<br />

der Abschluss von Tarifverträgen nach dem Inkrafttreten der<br />

Neufassung des § 9 Nr. 2 AÜG kann daher nicht per se als<br />

Indiz für die Durchsetzungsfähigkeit einer Arbeitnehmerorganisation<br />

im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung gewertet<br />

werden.<br />

4. Die Durchsetzungsfähigkeit einer Spitzenorganisation, die<br />

nach ihrer Satzung ausschließlich tätig ist im Bereich der<br />

Arbeitnehmerüberlassung, kann sich zwar auch aufgr<strong>und</strong><br />

anderer Kriterien ergeben, nämlich insbesondere aufgr<strong>und</strong><br />

der Vielzahl der mittelbar durch ihre Mitgliederorganisationen<br />

vertretenen Leiharbeitnehmer <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> einer<br />

durchsetzungsfähigen Organisationsstruktur im Bereich der<br />

Arbeitnehmerüberlassung. Im vorliegenden Streitfall waren<br />

diese Kriterien jedoch nicht erfüllt.<br />

■ Arbeitsgericht Berlin<br />

vom 01.04.2009, 35 BV 17008/08<br />

291. Tarifvertrag, Bezugnahmeklausel, Insolvenzgeld<br />

Die Berufung ist begründet. Dem Kläger steht der geltend<br />

gemachte Anspruch auf Zahlung von Insolvenzgeld für die<br />

Monate Oktober bis Dezember 1998 zu. Ihm kann insbesondere<br />

nicht entgegengehalten werden, für die genannte Zeit<br />

nicht über einen durchsetzbaren <strong>und</strong> durch Insolvenzgeld gesicherten<br />

Arbeitsentgeltanspruch zu verfügen.<br />

Gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch<br />

nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die<br />

Vergangenheit zurückzunehmen, wenn sich im Einzelfall ergibt,<br />

dass bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig<br />

angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden<br />

ist, der sich als unrichtig erweist <strong>und</strong> soweit deshalb<br />

Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die<br />

Beklagte hat den Antrag des Klägers auf Zahlung von Insolvenzgeld<br />

abgelehnt, weil auch nach nochmaliger Überprüfung<br />

kein Anspruch auf die Gewährung dieser Leistung<br />

gegeben sei. Diese Entscheidung ist gerichtlich daraufhin zu<br />

überprüfen, ob die Beklagte bei dieser Überprüfung zu dem<br />

Ergebnis hätte kommen müssen, dass sie mit ihren früheren,<br />

bindend gewordenen Bescheiden den Anspruch des Klägers


auf Gewährung von Insolvenzgeld zu Unrecht abgelehnt hat.<br />

Dies war vorliegend der Fall.<br />

Nach § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der vorliegend ab 1. Januar<br />

1999 anwendbaren Fassung des Gesetzes vom 16. Dezember<br />

1997 (BGBl I S. 2970) haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld,<br />

wenn sie bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

über das Vermögen ihres Arbeitgebers, Abweisung des Antrags<br />

auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse<br />

oder vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland,<br />

wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht<br />

gestellt worden ist <strong>und</strong> ein Insolvenzverfahren offensichtlich<br />

mangels Masse nicht in Betracht kommt, (Insolvenzereignis)<br />

für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses<br />

noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Diese Voraussetzungen<br />

sind vorliegend erfüllt. Ein Antrag auf Eröffnung des<br />

Insolvenzverfahrens über das Vermögen der früheren Arbeitgeberin<br />

des Klägers war vom Amtsgericht Frankfurt am Main<br />

am 18. Mai 1999 mangels Masse abgewiesen worden; dieser<br />

hatte noch nicht erfüllte Ansprüche auf Arbeitsentgelt für die<br />

letzten drei Monate des zum 31. Dezember 1998 gekündigten<br />

Arbeitsverhältnisses.<br />

Des Weiteren hat der Kläger auch einen rechtswirksamen Leistungsantrag<br />

gestellt. Nach § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist lnsolvenzgeld<br />

innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten<br />

nach dem Insolvenzereignis zu beantragen. Dies war vorliegend<br />

der Fall, weil der Kläger den Leistungsantrag am 13. Juli<br />

1999, mithin innerhalb von zwei Monaten nach dem amtsgerichtlichen<br />

Abweisungsbeschluss gestellt hatte.<br />

Der Arbeitsentgeltanspruch des Klägers war schließlich auch<br />

nicht gemäß § 13 BRTV für Poliere des Baugewerbes schon<br />

zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Insolvenzgeld verfallen<br />

gewesen. Entgegen der Auffassung des SG <strong>und</strong> der Beklagten<br />

kann dieser – nicht für allgemeinverbindlich erklärte<br />

– Tarifvertrag keine Anwendung finden auf das zwischen der<br />

früheren Arbeitgeberin <strong>und</strong> dem Kläger existierende Arbeitsverhältnis.<br />

Die diesbezügliche arbeitsvertragliche Abrede in<br />

§ 4 entsprach nicht der für eine Einbeziehung des Tarifvertrages<br />

erforderlichen Bestimmtheit.<br />

Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts (BAG),<br />

der sich der Senat anschließt, ist Voraussetzung für eine wirksame<br />

Einbeziehung des Tarifvertrages, dass die arbeitsvertragliche<br />

Bezugnahme insoweit konkret <strong>und</strong> bestimmbar ist, als<br />

für die Vertragspartner erkennbar sein muss, ob überhaupt<br />

ein Tarifvertrag, welcher Tarifvertrag <strong>und</strong> in welchem Umfang<br />

dieser Inhalt des Individualarbeitsvertrags werden soll (Urteil<br />

vom 27. Oktober 2004 – 10 AZR 138/04 – EZA § 3 TVG Bezugnahme<br />

auf Tarifvertrag Nr. 28). Zwar mag vorliegend für<br />

den Kläger als Vertragspartner infolge der Abrede in § 4 des<br />

Arbeitsvertrages noch erkennbar gewesen sein, dass für das<br />

Arbeitsverhältnis überhaupt Bestimmungen eines Tarifvertrages<br />

gelten sollten. Nicht erkennbar war indes, um welchen<br />

Tarifvertrag es sich dabei handelte. Zu Recht hat der Kläger<br />

insoweit darauf hingewiesen, dass für „den Betrieb“ mehrere<br />

Tarifverträge infrage kämen. Es sollten jedoch – ausweislich<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

der arbeitsvertraglichen Abrede – nicht alle für den Betrieb<br />

geltenden Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis Anwendung<br />

finden, so dass nicht von einer Bezugnahme auf das gesamte<br />

geltende einschlägige Tarifwerk ausgegangen werden kann<br />

(vgl. hierzu Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 12. Januar<br />

1993–2Sa1099/92 – LAG § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag<br />

Nr. 3), sondern lediglich der „für den Betrieb infrage<br />

kommende Tarifvertrag“. Welcher dies sein sollte, wurde im<br />

Arbeitsvertrag indes nicht bestimmt <strong>und</strong> war für den Kläger<br />

auch nicht erkennbar.<br />

Waren nach alledem die Arbeitsentgeltansprüche des Klägers<br />

nicht aufgr<strong>und</strong> einer tariflichen Ausschlussfrist verfallen, so<br />

konnte der Berufung der Erfolg nicht versagt bleiben.<br />

■ Hessisches Landessozialgericht<br />

vom 27.06.2008, L7AL66/05<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Gottfried Krutzki,<br />

Sandweg 9, 60316 Frankfurt am Main,<br />

Tel.: 063/490392, Fax: 069/449414<br />

Krutzki@sandweg9.de<br />

Bestandsschutz<br />

292. Außerordentliche Kündigung, Alkoholmissbrauch,<br />

Fahrverbot<br />

Die zulässige Klage ist in vollem Umfang unbegründet.<br />

Die mit ihr angefochtene außerordentliche Kündigung ist in<br />

Ermangelung eines wichtigen Gr<strong>und</strong>es im Sinne des § 626<br />

Abs. 1 BGB rechtsunwirksam. Für die Beklagte lagen keine Tatsachen<br />

vor, aufgr<strong>und</strong> derer es ihr unter Berücksichtigung aller<br />

Umstände des Einzelfalles <strong>und</strong> unter Abwägung der Interessen<br />

beider Vertragsteile nicht zuzumuten war, das Arbeitsverhältnis<br />

bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen.<br />

Zwar ist ein nicht auf Alkoholabhängigkeit beruhender Alkoholmissbrauch<br />

im Betrieb an sich geeignet, eine Kündigung –<br />

in der Regel nach erfolgloser Abmahnung – zu rechtfertigen,<br />

wenn es unter Alkoholeinwirkung zu Vertragspflichtverletzungen<br />

kommt oder der Alkoholkonsum selbst vertragswidrig<br />

ist. In schweren Fällen kann eine Abmahnung entbehrlich<br />

oder unter Umständen eine außerordentliche Kündigung berechtigt<br />

sein. Der Arbeitgeber kann auch bei einem relativen<br />

Alkoholverbot erwarten, dass der Arbeitnehmer zum Dienst<br />

erscheint, ohne zuvor in erheblichem Umfang alkoholische<br />

Getränke zu sich genommen zu haben.<br />

Im Streitfall bestand im Betrieb der Beklagten entgegen der<br />

Auffassung der Beklagten kein absolutes Alkoholverbot. In<br />

Betrieben ohne Betriebsrat kann ein solches ohne Einschränkung<br />

nur einzelvertraglich vereinbart werden. Eine solche<br />

einzelvertragliche Vereinbarung mit dem Kläger hat die<br />

Beklagte nicht dargelegt. Der Kläger hat auf dem Schreiben<br />

vom 03.05.2006 lediglich bestätigt, es gelesen <strong>und</strong> dessen<br />

Inhalt zur Kenntnis genommen zu haben.<br />

Indessen gilt in jedem Betrieb auch ohne ausdrückliches Ver-<br />

241


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

bot in einer Betriebsvereinbarung oder in einem Einzelarbeitsvertrag<br />

eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht des Arbeitnehmers,<br />

sich durch Alkoholgenuss nicht in einen Zustand zu<br />

versetzen, durch den er sich oder andere gefährden kann (so<br />

genanntes relatives Alkoholverbot). Die starren Promillegrenzen<br />

aus dem Strafrecht lassen sich indessen nicht auf das Arbeitsrecht<br />

übertragen. Die arbeitsrechtliche Pflichtverletzung<br />

richtet sich im Einzelfall nach der auszuübenden Tätigkeit<br />

sowie regionalen <strong>und</strong> branchenspezifischen Gesichtspunkten.<br />

Im Streitfall war der Kläger nach seiner eigenen Einlassung<br />

überwiegend mit Fahrertätigkeiten betraut. Er musste daher<br />

vor <strong>und</strong> während seiner Arbeitszeit die geltenden Promillegrenzen<br />

im Straßenverkehr beachten, dass heißt, seinen Alkoholkonsum<br />

so einzurichten, dass er in der Lage war, das<br />

ihm anvertraute Dienstfahrzeug während der Arbeitszeit ohne<br />

Alkoholeinfluss zu führen.<br />

Gegen diese Verpflichtung hat der Kläger im Wiederholungsfall<br />

verstoßen, wobei Einzelheiten des dem Bußgeldbescheid<br />

vom 26.07.2007 zu Gr<strong>und</strong>e liegenden Verhaltens des Klägers<br />

von keiner Partei vorgetragen wurde.<br />

Indessen wurde der Kläger mit dem Bußgeldbescheid vom<br />

26.07.2007 wegen Führen eines Kraftfahrzeuges unter Alkoholeinfluss<br />

belegt.<br />

Der Kläger ist wegen dieses Verhaltens auch unstreitig abgemahnt<br />

worden. Dennoch führte er wiederum das Dienstfahrzeug<br />

der Beklagten am 09.06.2008 um 08:15 Uhr unter<br />

Alkoholeinfluss bei einer Blutalkoholkonzentration von 0,64<br />

Promille.<br />

Gleichwohl war es der Beklagten zuzumuten, das Arbeitsverhältnis<br />

mit dem Kläger fortzusetzen <strong>und</strong> dem Kläger nochmals<br />

eine Chance zu geben. Hierfür spricht zum einen die Dauer<br />

des Beschäftigungsverhältnisses, nämlich zum Zeitpunkt der<br />

Kündigung von 23 Jahren; zum anderen muss bei der Beurteilung<br />

der Vorwerfbarkeit des Verhaltens vom 09.06.2008 die<br />

schwierige psychische Situation des Klägers an dem vorhergehende<br />

Wochenende gesehen werden. Es kann dem Kläger<br />

nicht widerlegt werden, er habe bei seinem Alkoholgenuss am<br />

08.06.2008 nicht bedacht, dass dieser zu einem unzulässigen<br />

Restalkoholgehalt am Folgetag habe führen können.<br />

Aufgr<strong>und</strong> dieser zu Gunsten des Klägers ausfallenden Interessenabwägung<br />

ist auch eine ordentliche Kündigung, in die die<br />

rechtsunwirksame außerordentliche Kündigung umgedeutet<br />

werden muss, rechtsunwirksam, da sozial ungerechtfertigt<br />

(vgl. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG). Der Kläger hat unstreitig Kündigungsschutz.<br />

Aufgr<strong>und</strong> seiner langen Beschäftigungszeit<br />

bei der Beklagten <strong>und</strong> der verminderten Vorwerfbarkeit<br />

hinsichtlich seines Verhaltens vom 09.06.2008 ist die Kammer<br />

zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte als verständig<br />

denkende Arbeitgeberin den Kläger nochmals vor Ausspruch<br />

einer Kündigung abmahnen muss.<br />

Auf die mangelnde Einsetzbarkeit des Klägers während des<br />

dreimonatigen Fahrverbotes kann sich die Beklagte nicht mit<br />

Erfolg berufen, da die Beklagte nicht dargelegt hat, dass für<br />

den Kläger während des Fahrverbotes keine anderweitige Be-<br />

242 03/09<br />

schäftigungsmöglichkeit, die sie dem Kläger aufgr<strong>und</strong> Direktionsrechtes<br />

hätte zuweisen können, in dem Betrieb bestand.<br />

Dabei ist unbeachtlich, dass zwischen den Parteien die Frage<br />

des Anteils der Fahrertätigkeiten in der Gesamttätigkeit des<br />

Klägers streitig ist. Zum einen war die Beklagte in der Lage,<br />

einen vorübergehenden Ausfall des Klägers wegen des gegen<br />

diesen verhängten Fahrverbotes zu überbrücken. Sie beschäftigt<br />

nämlich nach Angaben des Klägers mehrere Personen,<br />

die mit Fahrertätigkeiten betraut sind. Zum anderen hätte sie<br />

dem Kläger nach dessen Darstellung im Kammertermin befristet<br />

anderweitige Innendiensttätigkeiten zuweisen können.<br />

Dass ihr dieses nicht möglich oder nicht zuzumuten war, hat<br />

sie nicht unter entsprechendem Tatsachenvortrag verdeutlicht.<br />

■ Arbeitsgericht Iserlohn<br />

vom 05.11.2008, 1 Ca 1594/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Ingo Graumann,<br />

Von-Scheibler-Straße 10, 58636 Iserlohn,<br />

Tel.: 02371/835555, Fax: 02371/835556<br />

GM.Arbeitsrecht@t-online.de<br />

293. Beschäftigungsanspruch<br />

Die zulässige Klage ist begründet.<br />

Der Kläger hat einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung<br />

als Schichtführer in der Galvanik aus dem Arbeitsvertrag ohne<br />

Datum mit Änderungsvertrag vom 30.10.2004. Nach allgemeiner<br />

Auffassung steht dem Arbeitnehmer im bestehenden<br />

Arbeitsverhältnis gr<strong>und</strong>sätzlich ein Anspruch auf tatsächliche<br />

vertragsgemäße Beschäftigung zu; Umstände, die zu einer anderweitigen<br />

Bewertung führen sind nicht ersichtlich.<br />

Der Kläger ist daher zunächst gr<strong>und</strong>sätzlich von der Beklagten<br />

zu beschäftigen. Der Kläger hat auch einen Anspruch auf<br />

Beschäftigung als Schichtführer/Galvanik.<br />

Nach dem <strong>und</strong>atierten Arbeitsvertrag mit Änderungsvertrag<br />

vom 30.10.2004 ist der Kläger als Schichtführer/Galvanik beschäftigt.<br />

Das Gericht lässt insofern dahinstehen, ob, wie das Landesarbeitsgericht<br />

im einstweiligen Verfügungsverfahren meint, die<br />

Änderungsvereinbarung zum Arbeitsvertrag vom 30.10.2004<br />

nur den Absatz 1 der Ziffer 1 des Arbeitsvertrages verändert<br />

hat <strong>und</strong> der zweite Absatz des Arbeitsvertrages weiter Fortbestand<br />

hat (woran nach Meinung des Gerichts Zweifel bestehen,<br />

da es bei einer solchen Auslegung der Änderungsvereinbarung<br />

einer solchen überhaupt nicht bedurft hätte).<br />

Denn selbst wenn lediglich der 1. Absatz von Ziffer 1 des Arbeitsvertrages<br />

durch die Änderungsvereinbarung im Arbeitsvertrag<br />

ersetzt worden ist, hat der Kläger einen Anspruch auf<br />

Beschäftigung als Schichtführer/Galvanik.<br />

Nach dem Arbeitsvertrag ist der Kläger als Schichtführer/Galvanik<br />

beschäftigt, er kann lediglich anderweitig eingesetzt<br />

werden, soweit dies betrieblich erforderlich ist.<br />

Dafür, dass ein anderweitiger Einsatz betrieblich erforderlich<br />

ist, hat die Beklagte keinerlei Umstände vorgetragen; insbe-


sondere ist es kein hinreichender Gr<strong>und</strong>, dass das Arbeitsverhältnis<br />

fristlos gekündigt worden ist <strong>und</strong> ein anderer Mitarbeiter<br />

als Schichtführer in der Galvanik eingearbeitet wurde.<br />

Denn es ist einvernehmlich vereinbart worden, dass die außerordentliche,<br />

fristlose Kündigung keinerlei Wirkung entfalten<br />

soll; die bloße Einarbeitung eines anderen Arbeitnehmers<br />

während einer Erkrankungsphase steht dem Einsatz des<br />

Klägers nach Rückkehr aus der Erkrankung nicht entgegen.<br />

■ Arbeitsgericht Iserlohn<br />

vom 07.10.2008, 2 Ca 533/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Ingo Graumann,<br />

Von-Scheibler-Straße 10, 58636 Iserlohn,<br />

Tel.: 02371/835555, Fax: 02371/835556<br />

GM.Arbeitsrecht@t-online.de<br />

294. (Keine) Umdeutung von Tat- in Verdachtskündigung;<br />

Altersdiskriminierung (§ 622 Abs. 2 S. 2 BGB)<br />

... 2. Letzten Endes verbleibt der erkennenden Kammer auch<br />

im vorliegenden zivilrechtlichen Verfahren nichts anderes als<br />

bereits der Staatsanwaltschaft in ihrem gr<strong>und</strong>sätzlich mit weitergehenden<br />

Erkenntnismöglichkeiten ausgestatteten öffentlichrechtlichen<br />

Ermittlungsverfahren, nämlich im Gegensatz<br />

zu der Auffassung des Beklagten nach dem gegebenen Streitstand<br />

nicht bejahen zu können, dass sich die von ihm erhobenen<br />

Vorwürfe schlüssig <strong>und</strong> zwingend aus seinem Vortrag<br />

herleiten lassen. Damit ist nicht zu bejahen, dass die als Tatkündigung<br />

ausgesprochene außerordentliche Kündigung von<br />

einem wichtigen Gr<strong>und</strong> im Sinne des § 626 I BGB getragen ist.<br />

3. Die fristlose Arbeitgeberkündigung des Beklagten kann<br />

auch nicht im Sinne einer Verdachtskündigung gewürdigt<br />

werden. Dabei kann dahin stehen, ob sich dem Vortrag<br />

des Beklagten nur ein erster Anfangsverdacht oder aber<br />

schon ein dringender Tatverdacht entnehmen ließe, denn die<br />

vorherige Anhörung des gekündigten Arbeitnehmers ist nach<br />

ständiger <strong>und</strong> einhelliger Rechtsprechung der Gerichte für<br />

Arbeitssachen „Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung“<br />

(z.B. BAG, Beschl. v. 13.09.1995, 2 AZR 587/94).<br />

Verletzt der Arbeitgeber schuldhaft die ihm obliegende<br />

Pflicht, den Arbeitnehmer vor Ausspruch einer Verdachtskündigung<br />

zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu hören, ist<br />

die auf den Verdacht gestützte Kündigung unwirksam (BAG,<br />

Beschl. v. 30.04.1987, 2 AZR 283/86, BAG, Beschl. v. 13.09.95,<br />

2 AZR 587/94, BAG, Beschl. v. 26.092002, 2 AZR 424/01).<br />

Zu der insoweit erforderlichen vorherigen Anhörung ist es,<br />

was der Arbeitgeber hierzu vertreten hat, nicht gekommen.<br />

Soweit der Beklagte auf Befragen des Gerichts angegeben<br />

hat, bei der Übergabe des Kündigungsschreibens die Klägerin<br />

auf die Vorwürfe angesprochen zu haben, handelt es sich<br />

ersichtlich nicht um eine vorherige Anhörung.<br />

4. Zwar hat der Beklagte die fristlose Kündigung nicht hilfsweise<br />

auch als fristgerechte ausgesprochen; sie ist jedoch angesichts<br />

ihrer Unwirksamkeit in eine fristgerechte Kündigung<br />

umzudeuten. Denn es ist – auch vorliegend – von der typi-<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

schen Interessenlage des kündigenden Arbeitgebers auszugehen,<br />

das Arbeitsverhältnis jedenfalls, gegebenenfalls auch<br />

aufgr<strong>und</strong> Einhaltung der Kündigungsfrist, beenden zu wollen.<br />

4.1. Aufgr<strong>und</strong> umgedeuteter ordentlicher Kündigung endet<br />

das Arbeitsverhältnis im Falle der Wirksamkeit der in § 622<br />

II 2 BGB enthaltenen Altersgrenze von 25 Jahren, welche die<br />

Klägerin unterschreitet, mit Ablauf des 06.06.2007. In diesem<br />

Falle gilt nämlich die im Tatbestand wiedergegebene arbeitsvertragliche<br />

Vereinbarung, wonach eine Kündigungsfrist von<br />

4 Wochen ohne festen Endtermin angewendet werden könne.<br />

Die arbeitsvertragliche Vereinbarung einer kürzeren Kündigungsfrist<br />

ist jedoch nur wirksam gegenüber der in § 622 I<br />

BGB gesetzlich vorgesehenen (Gr<strong>und</strong>-) Kündigungsfrist von 4<br />

Wochen zum 15. bzw. dem Ende des nachfolgenden Kalendermonats;<br />

die Regelung bezieht sich nicht auf verlängerte<br />

Kündigungsfristen gemäß § 622 II 1 BGB. Ist der Klägerin jedoch<br />

die volle Betriebszugehörigkeit ab Oktober 2002 – ohne<br />

Altersbeschränkung – zuzurechnen, so ist zum Kündigungszeitpunkt<br />

jedenfalls eine verlängerte Kündigungsfrist zum Monatsende<br />

zu Gr<strong>und</strong>e zu legen.<br />

4.2. Mit beachtenswerten Gründen ist streitig geworden, ob<br />

die in § 626 II 2 BGB (richtig: § 622 Abs. 2 S. 2 BGB (gr))<br />

enthaltene Altersgrenze von 25 Jahren für die anrechenbare<br />

Betriebszugehörigkeit mit höherrangigem Recht vereinbar ist.<br />

Insoweit schließt sich die erkennende Kammer dem Vorlagebeschluss<br />

des LAG Düsseldorf (vom 21.11.2007, 12 Sa 1311/08,<br />

DB 2007) bzw. den hierin geäußerten Bedenken gegen die<br />

Wirksamkeit der angesprochenen gesetzlichen Regelung an<br />

<strong>und</strong> setzt den Rechtsstreit bis zur Klärung dieser Frage aus. Einer<br />

erneuten Vorlage an den Europäischen Gerichtshof durch<br />

die erkennende Kammer bedarf es auf Gr<strong>und</strong> der bereits dort<br />

eingeleiteten Überprüfung nicht mehr. „Durchzuentscheiden“<br />

ist hingegen nicht (vgl. zu diesem Thema Tavakoli/Westhauser,<br />

DB 2008, 702 ff.).<br />

■ Arbeitsgericht Bonn<br />

vom 13.08.2008, 2 Ca 754/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Peter A. Abmann,<br />

Beueler Bahnhofsplatz 18, 53225 Bonn,<br />

Tel.: 0228/949160, Fax: 0228/9491620<br />

rae@assbo.de<br />

295. Änderungskündigung, Anfechtung; verhaltensbedingte<br />

Kündigung, Arbeitszeitbetrug; Auflösungsantrag,<br />

Arbeitnehmer, Abfindungshöhe; betriebliche Übung,<br />

Rechtsbindungswille<br />

Die durchgehend zulässige Klage war nur in Teilen begründet.<br />

Der Vertrag vom 28.12.2007 hat die Arbeitsbedingungen<br />

zwischen den Parteien geändert (1). Die Kündigung vom<br />

11.03.2008 ist unwirksam (2) <strong>und</strong> das Arbeitsverhältnis ist auf<br />

Antrag des Klägers gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen<br />

(3); eine Weiterbeschäftigung des Klägers – zu welchen<br />

Bedingungen auch immer – kommt nicht in Betracht (4). Der<br />

Anspruch auf Abgeltung von Überst<strong>und</strong>en ist jedenfalls der<br />

243


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

Höhe nach unschlüssig (5). Der Kläger hat keinen Anspruch<br />

auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses im Volltext (6). Es besteht<br />

kein Anspruch auf Zahlung eines Urlaubsgeldes für das<br />

Jahr 2008 (7).<br />

1. Die Anfechtung ist unwirksam, weil die Drohung mit einer<br />

Kündigung hier nicht widerrechtlich war.<br />

a) Gemäß § 123 Abs. 1, zweite Alternative BGB kann derjenige,<br />

der widerrechtlich durch Drohung zur Abgabe einer Willenserklärung<br />

bestimmt wird, die Erklärung mit der Nichtigkeitsfolge<br />

des § 142 Abs. 1 BGB anfechten. Die in diesem Zusammenhang<br />

bestehende Jahresfrist ist eingehalten.<br />

Eine Drohung im Sinne dieser Norm setzt objektiv die Ankündigung<br />

eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung<br />

in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden<br />

abhängig hingestellt wird. Die Androhung des Arbeitgebers,<br />

das Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung beenden zu wollen,<br />

falls der Arbeitnehmer nicht selbst kündige oder einen<br />

Aufhebungsvertrag – oder wie hier einen Änderungsvertrag<br />

– abschließe, stellt die Ankündigung eines zukünftigen empfindlichen<br />

Übels dar, dessen Verwirklichung in der Macht des<br />

ankündigenden Arbeitgebers liegt (ständige Rechtsprechung<br />

BAG, Beschl. v. 16.11.1979, 2 AZR 1041/77, BAGE 32, 194; BAG,<br />

Beschl. v. 06.12.2001, 2 AZR 396/00, BAGE 100, 52; BAG, Beschl.<br />

v. 15.12.2005, 6 AZR 197/05, AP BGB 123 Nr. 66). Der bedrohte<br />

Arbeitnehmer muss einer Zwangslage ausgesetzt sein, die<br />

ihm subjektiv das Gefühl gibt, sich nur noch zwischen zwei<br />

Übeln entscheiden zu können, von dem ihm der Aufhebungsvertrag<br />

als das Geringere erscheint (APS Schmidt, 2. Auflage,<br />

Aufhebungsvertrag, Rn 77). Das bloße Ausnützen einer seelischen<br />

Zwangslage stellt dagegen noch keine Drohung dar<br />

(BGH, Beschl. v. 07.06.1988, AP BGB 123 Nr. 33).<br />

Eine Anfechtung ist dann wegen der Widerrechtlichkeit der<br />

Drohung möglich, wenn ein verständiger Arbeitgeber aufgr<strong>und</strong><br />

des vorliegenden Sachverhalts eine Kündigung nicht<br />

ernsthaft in Erwägung gezogen hätte (stg. Rspr., vgl. BAG,<br />

Beschl. v. 06.12.2001, EM § 611 BGB Aufhebungsvertrag, Nr. 39<br />

m.w.N.). Widerrechtlich ist eine Drohung mit einer verhaltensbedingten<br />

Kündigung auch dann, wenn es einer Abmahnung<br />

bedurft hätte (BAG, Beschl. v. 16.01.1992, EM § 123 BGB Nr. 36)<br />

oder wenn lediglich ein gewisser Anfangsverdacht für eine<br />

Pflichtverletzung bestand <strong>und</strong> der Arbeitgeber nichts unternommen<br />

hat, um die Verdachtsmomente aufzuklären (BAG,<br />

Beschl. v. 21.03.1996; EM § 123 BGB Nr. 42)<br />

b) Bezogen auf die vorstehenden Voraussetzungen stellte sich<br />

das in Aussichtstellen einer Kündigung zwar als Drohung dar,<br />

diese war jedoch nicht widerrechtlich. Der Arbeitgeber hatte<br />

zum Zeitpunkt des Abschlusses des Änderungsvertrages konkrete<br />

Verdachtsmomente – zumindest bezogen auf den Monat<br />

Dezember 2007 –, dass der Kläger Arbeitszeiten als geleistet<br />

notierte, die er nicht mehr an seinem Arbeitsplatz verbracht<br />

hat. Damit stand der dringende Verdacht des Arbeitszeitbetruges<br />

im Raum. Unstreitig hat der Kläger in dem zwischen<br />

ihm <strong>und</strong> dem Geschäftsführer der Beklagten geführten<br />

Gespräch die falschen Notierungen im Dezember 2007 ein-<br />

244 03/09<br />

geräumt. Daraufhin durfte ein verständiger Arbeitgeber den<br />

Ausspruch auch einer fristlosen Kündigung in Betracht ziehen.<br />

Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, dass die<br />

Vorwürfe gegenüber dem Kläger wie in einem Kündigungsschutzprozess<br />

beweisbar sind oder bewiesen werden. Für die<br />

Bewertung muss der sich dem Arbeitgeber darstellende Sachverhalt<br />

zu Gr<strong>und</strong>e gelegt werden.<br />

2. Die Kündigung vom 11.03.2008 ist unwirksam. Der Kläger<br />

hat rechtzeitig Kündigungsschutzklage erhoben. Die Kündigung<br />

erfolgte, weil der Kläger sich mit dem zunächst abgeschlossenen<br />

Änderungsvertrag vom 28.12.2007 nicht einverstanden<br />

erklären wollte, sondern ein gerichtliches Verfahren<br />

eingeleitet hatte. Es gibt keinen Kündigungsgr<strong>und</strong>, der<br />

unabhängig von den Gründen zu sehen wäre, die zum Abschluss<br />

des Änderungsvertrages geführt haben. Eine solche<br />

Kündigung war jedoch nach dem Abschluss des Änderungsvertrages<br />

aus denselben Gründen nicht mehr möglich, weil<br />

die Beklagte ausdrücklich auf den Ausspruch einer Kündigung<br />

in dem Zusammenhang verzichtet hat. Dies ist auch nochmals<br />

im Prozessvortrag von der Beklagten bestätigt worden.<br />

Aus der Tatsache, dass überhaupt ein Änderungsvertrag <strong>und</strong><br />

damit eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses vereinbart<br />

wurden, ist der Fortsetzungswille beider Parteien – auch der<br />

Beklagten – zu schließen. Die Beklagte handelt hier entgegen<br />

einem bereits durch den Änderungsvertrag abgeschlossenen<br />

Sachverhalt. Eine Kündigung aus denselben Gründen ist damit<br />

ausgeschlossen.<br />

3. Auf Antrag des Klägers war das Arbeitsverhältnis gegen<br />

Zahlung einer Abfindung aufzulösen.<br />

a) Nach § 9 KSchG kann das Arbeitsverhältnis auf Antrag des<br />

Arbeitgebers oder Arbeitnehmers durch Urteil aufgelöst werden,<br />

wenn festgestellt wird, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis<br />

nicht beendet hat. Der Arbeitnehmer kann die Auflösung<br />

des Arbeitsverhältnisses nur dann verlangen, wenn<br />

ihm die Fortsetzung nicht mehr zuzumuten ist. Bei dem Begriff<br />

der Zumutbarkeit handelt es sich um einen unbestimmten<br />

Rechtsbegriff, dessen Bestimmung auf den Zeitpunkt der<br />

letzten mündlichen Verhandlung zu beziehen ist. Die Unzumutbarkeit<br />

kann sich sowohl aus Umständen folgen, die aus<br />

einem Zeitraum vor wie nach dem Ausspruch der Kündigung<br />

liegen. Sie ist beispielsweise zu bejahen, wenn der Arbeitnehmer<br />

leichtfertig einer Straftat bezichtigt wird (LAG HB, Beschl.<br />

v. 29.06.2006 LAGE KSchG § 9 Nr. 38). Sie könnte auch in<br />

konkreten Sachverhalten liegen, die dem Arbeitnehmer nach<br />

der Rückkehr in den Betrieb drohen, beispielsweise eine unkorrekte<br />

Behandlung durch die <strong>Kollegen</strong>. (KR/Spilger, zu§9<br />

KSchG, Rn 41).<br />

b) Nach den vorstehenden Gr<strong>und</strong>sätzen war dem Kläger die<br />

Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar. Auf dessen<br />

Antrag war es zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist,<br />

den 31.10.2008, gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.<br />

Die arbeitgeberseitige Kündigung ist unwirksam – dies ist<br />

vorstehend unter 2. festgestellt <strong>und</strong> begründet worden.<br />

Der Kläger hat die streitbefangene Kündigung erhalten, nach-


dem er sich in einem gerichtlichen Verfahren gegen den abgeschlossenen<br />

Änderungsvertrag zur Wehr gesetzt hat. Dies<br />

ist eine berechtigte Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen.<br />

Die Beklagte hat dieses Verfahren jedoch zu Anlass genommen,<br />

den Kläger zu beschimpfen. Es ist nicht erkennbar,<br />

warum sich mit dem Klagantrag „offensichtlich der Betrüger<br />

im Kläger durchgesetzt“ hat. Vielmehr lässt die Art, in der der<br />

Vortrag der Beklagten geführt wird, in der Tat den Schluss<br />

zu, der Kläger müsse mit einer Stigmatisierung als „ewiger<br />

Betrüger“ bei der Beklagten rechnen. Die Beklagte gesteht<br />

in ihrem Vortrag auch zu, es werde nach der Rückkehr des<br />

Klägers nicht einfach, den <strong>Kollegen</strong> dessen Weiterbeschäftigung<br />

zu vermitteln. Auch wenn der Beklagten zuzugestehen<br />

ist, dass der Verdacht gegenüber dem Kläger in Bezug auf<br />

den Monat Dezember 2007 sehr konkret ist <strong>und</strong> vom Kläger<br />

in dem Gespräch auch bestätigt wurde. Eine pauschale<br />

Verdächtigung, dass der Kläger im gesamten Zeitraum seines<br />

26-jährigen Beschäftigungsverhältnisses falsche Zeiten aufgeschrieben<br />

habe, ist – wie die Beklagte selbst angibt – nicht<br />

gerichtsfest <strong>und</strong> erreicht noch nicht einmal das Stadium eines<br />

Anfangsverdachtes. Es handelt sich um eine leichtfertige Verdächtigung,<br />

die dem Kläger wohl auch in Zukunft anhaften<br />

würde. Gleiches gilt für sein Verhalten nach der Änderung<br />

des Arbeitsverhältnisses. Für eine Beibehaltung von arbeitsvertragswidrigem<br />

Verhalten spricht überhaupt nichts.<br />

c) Das Arbeitsverhältnis war gegen Zahlung einer angemessenen<br />

Abfindung aufzulösen (§ 10 KSchG). Die Verpflichtung<br />

des Arbeitgebers, eine angemessene Abfindung zu zahlen, ist<br />

darin begründet, dass der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz<br />

zu Unrecht verliert (Kiel, in: EK zu § 9 SchG Rn 1). Der Gesetzgeber<br />

verzichtet auf feste Regelsätze bei der Bemessung<br />

der Abfindung <strong>und</strong> bietet im Rahmen dieser Angemessenheit<br />

einen Ermessensspielraum unter Beachtung der Höchstgrenzen<br />

(KR/Spilger, zu § 10 KSchG, Rn 24). Dabei sind die Dauer<br />

des Arbeitsverhältnisses, die Höhe des Arbeitsentgeltes <strong>und</strong><br />

das Lebensalter des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Auch<br />

das Maß der Sozialwidrigkeit der Kündigung kann in die Erwägungen<br />

mit einbezogen werden (KR/Spilger, a.a.O., Rn 56).<br />

Dieses Maß ist als gering anzusehen, wenn der Arbeitnehmer<br />

durch pflichtwidriges Verhalten den Kündigungssachverhalt<br />

herbeigeführt hat, kann dies angemessen berücksichtigt werden<br />

(LAG SchlH, Beschl. v. 22.01.1987, NZA 1987, 601).<br />

d) Das durchschnittliche Entgelt des Klägers betrug auf der<br />

Basis von 13,50 € pro St<strong>und</strong>e 2.376,00 € pro Monat. Der Kläger<br />

war seit 1982 bei der Beklagten beschäftigt, so dass die<br />

Regelabfindung bei einem halben Bruttoentgelt pro Jahr der<br />

Beschäftigung 31.482,00 € beträgt. Die Kammer sah es als<br />

angemessen an, diesen Betrag im Hinblick auf das zugestandene<br />

Verhalten des Klägers im Monat Dezember 2008 zu<br />

dritteln. Die angemessene Abfindung beläuft sich damit auf<br />

10.494,00 €. Auch wenn hier wegen des Verzichts der Beklagten<br />

der wirksame Ausspruch einer verhaltensbedingten<br />

Kündigung nicht in Betracht kam, geht die Kammer davon<br />

aus, dass der Kläger sein vertragswidriges Verhalten in dem<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

Gespräch, das mit der Änderung des Arbeitsvertrages endete,<br />

eingestanden hat. Auch in allen nachfolgenden Äußerungen<br />

außerhalb <strong>und</strong> innerhalb des Prozesses geht er nur allgemein<br />

auf die Vorwürfe der Beklagten ein <strong>und</strong> nimmt „redliches<br />

Verhalten“ sowie korrektes Aufschreiben der St<strong>und</strong>en für sich<br />

in Anspruch. Den Vortrag der Beklagten, dass er nach der<br />

Vorlage der St<strong>und</strong>enaufzeichnung für Dezember 2007, in der<br />

die fehlerhaften St<strong>und</strong>ennotierungen für jeden einzelnen Tag<br />

aufgezeichnet sind, die Vorwürfe eingeräumt habe, kommentiert<br />

der Kläger nicht mehr. Dieser Vortrag ist deshalb von<br />

der Kammer als unstreitig angesehen worden. Damit hätte<br />

die Beklagte wohl einen Gr<strong>und</strong> zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses<br />

gehabt, auf den sie zugunsten des Klägers verzichtet<br />

hat. Die Regelabfindung wäre aus diesem Gr<strong>und</strong> nicht<br />

angemessen gewesen.<br />

4. Da die Arbeitsvertragsparteien das Arbeitsverhältnis wirksam<br />

mit Änderungsvertrag vom 28.02.2007 auf eine neue<br />

inhaltliche Basis gestellt haben, steht dem Kläger kein Anspruch<br />

Weiterbeschäftigung als Hofmeister zum St<strong>und</strong>enlohn<br />

von 14,15 € pro St<strong>und</strong>e zu. Der Weiterbeschäftigungsantrag<br />

bezog sich erkennbar nur auf die Festlegung der Arbeitsbedingungen,<br />

nicht auf die Weiterbeschäftigung an sich. Insofern<br />

war die Wertung des Antrags unabhängig von dem Tage<br />

der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach dem Ausspruch<br />

der Folgekündigung vom 11.03.2008 zu sehen. Dies gilt im<br />

Übrigen auch in Bezug auf den Auflösungsantrag des Klägers.<br />

Der Auflösungsantrag schließt den Weiterbeschäftigungsantrag<br />

aus.<br />

5. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Auszahlung von Überst<strong>und</strong>en<br />

im Umfang von 1.613,12 €. Die Parteien haben ein<br />

Arbeitszeitkonto geführt, welches nach unwidersprochener<br />

Darstellung der Beklagten im Sommer aufgebaut <strong>und</strong> im<br />

Winter abgebaut wird. Dieser Vortrag wurde so gewertet,<br />

dass zumindest während des laufenden Arbeitsverhältnisses<br />

eine Auszahlung von Plusst<strong>und</strong>en nicht vereinbart sein<br />

sollte. Eine solche Vereinbarung muss ihre Grenze jedoch<br />

im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses finden.<br />

Nach Beendigung müssen die Guthabenst<strong>und</strong>en in Geld<br />

ausgeglichen werden, da ein Ausgleich in Freizeit nicht<br />

mehr möglich ist. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde<br />

vom Gericht zum 31.10.2008 aufgelöst. Der Kläger hat in<br />

diesem Zusammenhang nicht schlüssig dargelegt, in welchem<br />

Umfang Guthabenst<strong>und</strong>en bezogen auf diesen Zeitpunkt<br />

vorlegen. Nach dem Auflagenbeschluss des Gerichts hat der<br />

Kläger zwar zur Behandlung des Monats Dezember 2007<br />

vorgetragen. Auch liegt eine streitige Schilderung zur Frage<br />

der Rückstellung des Arbeitszeitkontos zum 08.01.2008 vor.<br />

Andererseits gibt es keinen Vortrag dahingehend, wie sich das<br />

Arbeitsverhältnis zwischen dem Anfang des Jahres 2008 <strong>und</strong><br />

dem 31.10.2008 gestaltet hat. Insofern liegt der Bezifferung<br />

der Summe mit 1.613,12 für 114 St<strong>und</strong>en x einem St<strong>und</strong>enlohn<br />

von 14,15 € kein ausreichender Tatsachenvortrag<br />

zu Gr<strong>und</strong>e. Nach der hier vertretenen Rechtsauffassung ist<br />

eine Multiplikation mit dem in 2007 gültigen St<strong>und</strong>enlohn<br />

245


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

14,15 € bei gültigem Änderungsvertrag nicht der richtige<br />

St<strong>und</strong>ensatz.<br />

6. Der Kläger kann kein Zwischenzeugnis im Volltext verlangen.<br />

Die Beklagte hat ein Zwischenzeugnis unter dem Datum<br />

vom 24.06.2007 erteilt. Der Kammer liegt die Formulierung<br />

der Beklagten nicht in der Akte vor. Gleichwohl verlangt der<br />

Kläger ohne Bezug auf die bereits erteilten Formulierungen<br />

ein Zeugnis im Volltext. Der Kammer war es weder zuzumuten,<br />

noch möglich, die begehrten Änderungen des Zeugnisses<br />

aus dem bereits erteilten Text herauszufiltern. Im Übrigen<br />

ist darauf zu verweisen, dass das Arbeitsverhältnis mit dem<br />

31.10.2008 durch Auflösung nach §§ 9,10 KSchG sein Ende gef<strong>und</strong>en<br />

hat. Die Erteilung eines Zwischenzeugnisses ist nach<br />

Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich. Es<br />

handelt sich dann zwingend um ein Endzeugnis.<br />

7. Der Kläger hat keinen Anspruch auf ein Urlaubsgeld in<br />

Höhe von 500,00 €. Ein Anspruch aus betrieblicher Übung<br />

liegt nicht vor.<br />

a) Ein Anspruch aus betrieblicher Übung im Rechtssinne<br />

ist anzunehmen, wenn gleichförmiges <strong>und</strong> wiederholtes<br />

Verhalten des Arbeitgebers vorliegt, welches geeignet ist,<br />

auf einen Verpflichtungswillen des Arbeitgebers zur Leistung<br />

auch in Zukunft zu schließen. Auf die subjektive Vorstellung<br />

des Arbeitgebers kommt es dabei nicht an. Entscheidend<br />

ist, ob der Arbeitnehmer dem Verhalten des Arbeitgebers<br />

diesen Verpflichtungswillen entnehmen konnte (BAG, Beschl.<br />

v. 29.04.2003, 3 AZR 247/02; BAG, Beschl. v. 25.06.2002, 3 AZR<br />

360/01 zitiert nach juris). Aufgr<strong>und</strong> einer Willenserklärung, die<br />

von Arbeitnehmern stillschweigend angenommen wird (§ 151<br />

BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen<br />

Vergünstigungen. Bei der Anspruchsentstehung ist<br />

nicht der Verpflichtungswille des Arbeitgebers entscheidend,<br />

sondern wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das<br />

Verhalten nach Treu <strong>und</strong> Glauben unter Berücksichtigung<br />

aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen musste.<br />

Durch einen so genannten Freiwilligkeitsvorbehalt kann der<br />

Arbeitgeber eine vertragliche Bindung für die Zukunft auf<br />

Gr<strong>und</strong> eines gleichförmigen begünstigenden Verhalten in<br />

der Vergangenheit verhindern. Er muss das Fehlen jedes<br />

Rechtsbindungswillens bei diesem Verhalten aber zweifelsfrei<br />

deutlich machen (BAG, Beschl. v. 19.05.2006, 3 AZR 660/03<br />

zitiert nach juris). Bei einer dreimaligen vorbehaltslosen<br />

Zahlung von Weihnachtsgeld (über drei Jahre lang) kann<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich ein Anspruch aus betrieblicher Übung erwachsen<br />

sein. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn aus dem<br />

Verhalten des Arbeitgebers nur eine Zahlung für das jeweilige<br />

Jahr abzuleiten ist. Dies ist der Fall bei einer Zahlung nach<br />

„Gutdünken“. Es handelt sich nach der Rechtsprechung dann<br />

um Zahlungen „nach Gutdünken“, wenn eine Zahlung in<br />

jährlich unterschiedlicher Höhe erfolgt, <strong>und</strong> zwar in relevant<br />

wechselnder Höhe. Der Arbeitnehmer kann in einem solchen<br />

Fall nicht davon ausgehen, dass er auch in Zukunft eine<br />

Leistung in einer bestimmten Höhe vom Arbeitgeber erhält.<br />

Für den Arbeitnehmer ist vielmehr dann erkennbar, dass das<br />

246 03/09<br />

Weihnachtsgeld nur für das betreffende Jahr gezahlt wurde<br />

<strong>und</strong> der Arbeitgeber in jedem Jahr neu über die Vergabe des<br />

Weihnachtsgeldes entscheidet. Es mangelt dann insgesamt<br />

ein einer regelmäßigen gleichförmigen Wiederholung bestimmter<br />

Verhaltensweisen (vgl. BAG, Beschl. vom 28.02.1996,<br />

10 AZR 516/95).<br />

b) Danach liegt kein Anspruch aus betrieblicher Übung vor.<br />

Dies ergibt sich bereits aus dem klägerischen Sachverhaltsschilderungen.<br />

So trägt der Kläger vor, er habe im Jahr<br />

2006 475,00 € <strong>und</strong> im Jahr 2007 nur 450,00 € als Urlaubsgeld<br />

erhalten. Allein aus den Zahlungen in unterschiedlicher Höhe<br />

ist abzuleiten, dass ein Bindungswille des Arbeitgebers nicht<br />

bestand, so dass kein Anspruch gegeben ist.<br />

■ Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven<br />

vom 06.11.2008, 2 Ca 2067/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Klaus-Dieter Franzen,<br />

Schwachhauser Heerstraße 25, 28211 Bremen,<br />

Tel.: 0421/200730, Fax: 0421/2007399<br />

franzen@dasgesetz.de<br />

296. Außerordentliche Kündigung, Pflichtverletzung, Abmahnungserfordernis<br />

Die Klage ist begründet.<br />

I. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 22.<br />

August 2008 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet.<br />

Eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1<br />

BGB ist berechtigt, wenn sie aufgr<strong>und</strong> eines wichtigen Gr<strong>und</strong>es<br />

ausgesprochen wird, aufgr<strong>und</strong> dessen es dem Arbeitgeber<br />

unzumutbar ist, den Arbeitnehmer auch nur bis zum<br />

Ablauf der geltenden Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen.<br />

Ein wichtiger Gr<strong>und</strong> ist dann gegeben, wenn Tatsachen vorliegen,<br />

die unter Berücksichtigung aller Umstände <strong>und</strong> unter<br />

Berücksichtigung der Interessen beider Vertragsteile dem<br />

Kündigenden die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar<br />

machen. Im Rahmen der außerordentlichen Kündigung<br />

ist zunächst zu prüfen, ob ein arbeitsvertraglicher<br />

Pflichtverstoß bzw. der Kündigungssachverhalt unabhängig<br />

von den Besonderheiten des Einzelfalles an sich geeignet ist,<br />

einen wichtigen Gr<strong>und</strong> zur fristlosen Kündigung abzugeben.<br />

Danach ist zu klären, ob es dem Arbeitgeber im konkreten<br />

Fall unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände<br />

des Einzelfalles <strong>und</strong> der beiderseitigen Interessen unzumutbar<br />

ist, den Arbeitnehmer auch nur für die Dauer der<br />

ordentlichen Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen (BAG, Urteil<br />

vom 11. Dezember 2003 – 2 AZR 36/03 – in Juris m.w.N.).<br />

Auch wenn dem Kläger wegen der Müllentsorgung eine<br />

Pflichtverletzung vorzuwerfen ist – sofern es sich tatsächlich<br />

um Papiermüll gehandelt haben sollte, ist dies unerheblich,<br />

da er sich dann auch um die Entsorgung als Papiermüll<br />

hätte kümmern müssen – wäre zunächst vor Ausspruch einer<br />

außerordentlichen Kündigung eine vorherige Abmahnung<br />

auszusprechen, § 314 Abs. 2 BGB. Eine vorherige Abmahnung<br />

ist nur dann entbehrlich, wenn es sich um besonders


schwerwiegende Verstöße handelt, weil der Arbeitnehmer<br />

in diesem Fall von vornherein erkennen muss, dass er mit<br />

seinem Verhalten seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt (BAG,<br />

Urteil vom 10. Februar 1999 – 2 ABR 31/98 – AP KSchG<br />

1969 § 15 Nr. 42). Pflichtwidrigkeiten im Leistungs- oder<br />

Verhaltensbereich müssen, wenn es sich um steuerbares<br />

Verhalten handelt, gr<strong>und</strong>sätzlich vorher abgemahnt werden,<br />

bevor sie zum Anlass einer fristlosen Kündigung genommen<br />

werden können, wenn das bisherige Fehlverhalten noch<br />

keine klare Negativprognose zulässt <strong>und</strong> deswegen von der<br />

Möglichkeit zukünftigen vertragsgerechten Verhaltens ausgegangen<br />

werden kann (BAG, Beschl. v. 27.04.2006 – Az. 2 AZR<br />

415/05 – NZA 2006, 1033). Regelmäßig wird nämlich erst nach<br />

einer Abmahnung die erforderliche Wahrscheinlichkeit dafür<br />

bestehen, dass sich der Arbeitnehmer auch in Zukunft nicht<br />

vertragstreu verhalten wird. Dies gilt auch, wenn sich das Fehlverhalten<br />

im Vertrauensbereich auswirkt. Dementsprechend<br />

bedarf es einer Abmahnung, wenn der Arbeitnehmer mit<br />

vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei<br />

nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest<br />

nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses<br />

gefährdendes Fehlverhalten angesehen (BAG, Beschl.<br />

07.07.2005 – Az. 2 AZR 581/04 – NZA 2006, 98). Unter den<br />

gegebenen Umständen war eine Abmahnung des Klägers<br />

zu vertragsgerechtem Verhalten nicht entbehrlich. Aus den<br />

Umständen, insbesondere aus der Tatsache, dass der Kläger<br />

nicht heimlich vorgegangen ist, geht hervor, dass der Kläger<br />

durch sein Tun nicht den Bestand des Arbeitsverhältnisses<br />

gefährdet sah. So hat der Kläger Herrn S. informieren lassen<br />

<strong>und</strong> zumindest hinterher mit dem Pförtner gesprochen. Auch<br />

aus der Tatsache, dass der Kläger nach 23.00 Uhr noch einmal<br />

zurückgekehrt ist, ergibt sich kein heimliches Vorgehen. Da<br />

Herr V. das betreffende Fahrzeug hatte <strong>und</strong> seine Schicht erst<br />

um 22.00 Uhr begann, ist nachvollziehbar, dass der Kläger<br />

noch einmal wiedergekommen ist.<br />

Aus dem Verhalten des Klägers kann daher auch nicht geschlossen<br />

werden, dass er sich nach einer entsprechenden Abmahnung<br />

nicht vertragstreu verhält Es ist anzunehmen, dass<br />

der Kläger, sofern man ihm deutlich macht, dass eine Müllentsorgung<br />

auf dem Betriebsgelände nicht geduldet wird, sich<br />

durchaus entsprechend verhält.<br />

Zudem ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeit auch zu berücksichtigen,<br />

dass gegenüber Herrn V., der ebenfalls an dem<br />

Vorgang beteiligt war, keine Konsequenzen gezogen wurden,<br />

obwohl dieser sogar in seiner Arbeitszeit geholfen hat, den<br />

Müll des Klägers zu entsorgen.<br />

■ Arbeitsgericht Darmstadt<br />

vom 16.12.2008, 3 Ca 381/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Werner Mansholt,<br />

Rheinstraße 30, 64283 Darmstadt,<br />

Tel.: 06151/26264, Fax: 06151/25461<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

297. Betriebsbedingte Kündigung, Begründungserfordernis;<br />

Auflösungsantrag, Anwaltshandeln<br />

1. Die Zusammenführung von zwei bisher voll ausgelasteten<br />

Arbeitsplätzen zu einem verbleibenden Arbeitsplatz bedarf<br />

einer besonderen substantiierten Begründung, die den 50%igen<br />

Wegfall des bisherigen Arbeitsbedarfs nachvollziehbar<br />

erläutert.<br />

2. Der Gr<strong>und</strong> für eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses<br />

nach § 9 KSchG kann sich aus dem Verhalten eines<br />

Prozessbevollmächtigen im gerichtlichen Verfahren ergeben,<br />

das sich die Partei zurechnen lassen muss. Ein untauglicher –<br />

weil ohne entsprechenden Titel vorgenommener – Zwangsvollstreckungsversuch<br />

reicht hierfür in aller Regel noch nicht<br />

aus. Demgegenüber kann die anwaltliche Unterstellung gegenüber<br />

einem Vorgesetzten des klagenden Arbeitnehmers,<br />

er werde aufgr<strong>und</strong> seiner persönlichen Abhängigkeit von der<br />

Beklagten im Prozess als Zeuge die Unwahrheit sagen, einen<br />

Auflösungsgr<strong>und</strong> darstellen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 10.12.2008, 3 Sa 781 08<br />

Anmerkung:<br />

Im entschiedenen Fall allerdings abgelehnt. (rg)<br />

298. Außerordentliche Kündigung Betriebsrat, Zustimmungsersetzung,<br />

Verdachtskündigung<br />

... II. 2. Nach § 103 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung<br />

von Mitgliedern des Betriebsrats der – hier verweigerten<br />

– Zustimmung des Betriebsrats. Nach § 103 Abs. 2 Satz 1<br />

BetrVG i.V.m. § 15 Abs. 1 KSchG hat der Arbeitgeber dann<br />

einen Anspruch auf Ersetzung der Zustimmung, wenn die<br />

beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung<br />

aller Umstände des Einzelfalles gerechtfertigt ist.<br />

a) Dies setzt zunächst einen wichtigen Gr<strong>und</strong> im Sinne des<br />

§ 626 Abs. 1 BGB voraus. Ein solcher liegt nach Auffassung<br />

der Beschwerdekammer vor. Es besteht der eine außerordentliche<br />

Kündigung in der Form einer Verdachtskündigung<br />

auch ohne vorherige Abmahnung rechtfertigende dringende<br />

Verdacht einer sehr schweren Vertragspflichtverletzung durch<br />

den Beteiligten zu 3. Der Verdacht geht dahin, dass der Beteiligte<br />

zu 3 zumindest wesentliche Teile der bis zum 17.10.2007<br />

noch nicht für Sitzungen verwendeten Reste seiner auf Kosten<br />

der Beklagten zu 1 getätigten Einkäufe vom 13.10.2007,<br />

15.10.2007 <strong>und</strong> 16.10.2007, unstreitig bestehend aus einer<br />

größeren Anzahl an Sechserpacks mit 1/2 Literflaschen KLC<br />

Mineralwasser, 10 Packungen à 16 Senseo-Kaffeepads <strong>und</strong><br />

5 Packungen à 20 Cocktailservietten bestimmungswidrig, eigennützig<br />

verwenden wollte.<br />

aa) Das Verhalten eines Arbeitnehmers ist regelmäßig an<br />

sich geeignet einen wichtigen Gr<strong>und</strong> im Sinne von § 626<br />

Abs. 1 BGB darzustellen, wenn er hierdurch – gegebenenfalls<br />

nach vorausgegangener einschlägiger Abmahnung(en) – eine<br />

oder mehrere ihm arbeitsvertraglich obliegende Pflichten<br />

247


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

gröblichst verletzt <strong>und</strong> dadurch eine auch noch in die Zukunft<br />

wirkende sehr schwerwiegende Störung des Arbeitsverhältnisses<br />

im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen<br />

Verb<strong>und</strong>enheit, im persönlichen Vertrauensbereich oder im<br />

Unternehmensbereich herbeigeführt hat. In Betracht kommen<br />

dabei gr<strong>und</strong>sätzlich insbesondere Verhaltensweisen, die sich<br />

als Straftaten gegen den Arbeitgeber bzw. einen Vorgesetzten<br />

darstellen, wie Diebstahl, Betrug, Untreue (zu Eigentums<strong>und</strong><br />

Vermögensdelikten zum Nachteil des Arbeitgebers<br />

vgl. etwa BAG, Beschl. v. 6.7.2000 – 2 AZR 454/99 – zitiert<br />

nach Juris), Körperverletzung, Nötigung sowie ähnlich gravierende<br />

Verstöße gegen betriebliche Treuepflichten. Aber<br />

auch nicht ganz so schwerwiegende Pflichtverletzungen<br />

können irgendwann – je nach Anzahl <strong>und</strong> Eindringlichkeit<br />

vorangegangener einschlägigen Abmahnungen – soweit eine<br />

Weiterbeschäftigung auch nur für die Zeit der Kündigungsfrist<br />

inzwischen nicht mehr zumutbar erscheint, an sich geeignet<br />

sein, einen wichtigen Gr<strong>und</strong> i.S.v. § 626 BGB darzustellen.<br />

Bei besonders gravierenden Pflichtverletzungen kann im<br />

Einzelfall schon der bloße Verdacht eine Kündigung rechtfertigen.<br />

Allerdings müssen in diesem Fall (1) starke Verdachtsmomente<br />

knapp unterhalb der Schwelle der Gewissheit<br />

vorliegen, auf objektive Tatsachen gegründet, (2) diese<br />

Verdachtsmomente geeignet sein, das für die Fortsetzung<br />

des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören<br />

<strong>und</strong> (3) der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur<br />

Aufklärung des Sachverhaltes unternommen, insbesondere<br />

den Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben<br />

haben (BAG, Beschl. v. 13.03.2008 – 2 AZR 961/06 –, NZA<br />

2008, 809; BAG, Beschl. v. 10.2.2005 – 2 AZR 189/04 –, NZA<br />

2005, 1056; BAG, Beschl. v. 6.11.2003 – 2 AZR 631/02 –, NZA<br />

2004, 919).<br />

Letztlich ist bei den meisten zum Anlass für eine Kündigung<br />

genommenen Pflichtverletzungen davon auszugehen, dass<br />

sie ganz ohne eine oder mehrere vorangegangene einschlägige<br />

Abmahnungen noch nicht zum Ausspruch einer ordentlichen<br />

<strong>und</strong> erst Recht einer außerordentlichen Kündigung geeignet<br />

sind (Müller-Glöge, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht,<br />

9. Aufl., (ErfK-Bearb.), § 626 BGB, Rn 25 ff.). Es sei denn,<br />

solche sind wegen der Art, der Schwere der Pflichtverletzung<br />

(z.B.: besonders grober Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen<br />

Pflichten <strong>und</strong>/oder Verhalten welches auch bei einem<br />

verständigen Arbeitgeber gr<strong>und</strong>sätzlich zu einem nicht mehr<br />

zu kittenden Vertrauensverlust führt) oder ihrer Folgen (z.B.:<br />

nicht wieder gut zu machender hoher Schaden verursacht)<br />

<strong>und</strong> der auch für den Arbeitnehmer ohne weiteres gegebenen<br />

Erkennbarkeit der Pflichtverletzung <strong>und</strong> deren Kündigungsrelevanz<br />

(Arbeitnehmer konnte eigentlich nicht mehr mit einer<br />

Billigung durch den Arbeitgeber rechnen, sondern musste<br />

bei Aufdeckung ohne weiteres die sofortige Kündigung<br />

befürchten) ausnahmsweise entbehrlich ( ErfK-Müller-Glöge,<br />

§ 626 BGB, Rn 28 ff.).<br />

Ist ein Vorfall bzw. eine Pflichtverletzung an sich geeignet<br />

einen Kündigungsgr<strong>und</strong> darzustellen, so ist dennoch immer<br />

248 03/09<br />

auch die Rechtfertigung der Kündigung in dem jeweiligen<br />

Einzelfall zu überprüfen, insbesondere unter Berücksichtigung<br />

des auch oben schon zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgr<strong>und</strong>satzes<br />

<strong>und</strong> einer umfassenden Interessensabwägung<br />

(u.a. unter Berücksichtigung der sozialen Belange<br />

des Arbeitnehmers, darunter auch der Länge seiner Betriebszugehörigkeit).<br />

Immer ist dabei zu beachten, dass der Arbeitgeber<br />

verpflichtet ist die ihm gr<strong>und</strong>sätzlich zur Verfügung<br />

stehenden Sanktionen verhältnismäßig einzusetzen. Dies bedeutet<br />

insbesondere, dass eine außerordentliche Kündigung<br />

nur das letzte denkbare Mittel (ultima ratio) darstellt, wenn<br />

mildere (z.B. Ermahnung, Abmahnung) nicht mehr zumutbar<br />

sind (APS-Dörner, a.a.O., § 626 BGB, Rn 34).<br />

Der Arbeitgeber hat alle tatsächlichen Voraussetzungen, für<br />

das Vorliegen eines Kündigungsgr<strong>und</strong>es (BAG, Beschl. v.<br />

06.08.1987 – 2 AZR 226/87 –, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 109;<br />

Reinecke, NZA 1989, 584 ff.) <strong>und</strong> gegebenenfalls für den Ausspruch<br />

wirksamer vorheriger Abmahnungen darzulegen <strong>und</strong><br />

im Bestreitensfall zu beweisen. Vom Arbeitnehmer vorgetragene<br />

Rechtfertigungsgründe für das beanstandete Verhalten<br />

sind vom Arbeitgeber gegebenenfalls zu widerlegen (BAG,<br />

Beschl. v. 24.11.1983 – 2 AZR 327/82 –, AP Nr. 76 § 626 BGB;<br />

Becker/Schaffner, BB 1992, 562). Entsprechendes gilt, soweit<br />

der Arbeitnehmer Umstände vorträgt, die einen zunächst<br />

ausreichenden lndizwert des Sachverhaltes entkräften (BAG,<br />

Beschl. v. 14.9.1994 – 2 AZR 164/94 – zitiert über Juris).<br />

bb) Hat der Beteiligte zu 3 willentlich von ihm auf Kosten<br />

der Beteiligten zu 1 eingekaufte, nach seinem Auftrag allein<br />

für die Versorgung der Teilnehmer an den Sitzungen der<br />

„Vertretungseinheit H.“ <strong>und</strong> des Betriebsrates bestimmte, Getränke,<br />

Nahrungsmittel <strong>und</strong> Servietten unerlaubt einem anderen<br />

eigennützigen Zweck zugeführt oder ebendies versucht,<br />

so handelt es sich insoweit um eine auch ohne vorherige<br />

Abmahnung an sich für eine außerordentliche Kündigung geeignete<br />

sehr schwere Vertragspflichtverletzung. Dabei kann es<br />

dahingestellt bleiben, ob hierdurch ein Straftatbestand erfüllt<br />

ist <strong>und</strong> wenn ja eher eine versuchte oder vollendete Unterschlagung<br />

(nur wenn die Beklagte schon Eigentum an den<br />

Waren erlangt hatte), ein versuchter oder vollendeter Betrug<br />

(wenn aufgr<strong>und</strong> der Einlagerung in der Garage noch gar kein<br />

Eigentum an den Waren verschafft, dies jedoch vorgespiegelt<br />

wurde) oder gar eine Untreue in Betracht kommt. Die betrieblichen<br />

Treuepflichten sind durch eine solche Handlungsweise<br />

in jedem Falle so gravierend verletzt, dass der Beteiligte zu<br />

3 bei deren Offenbarwerden ohne weitere Abmahnung mit<br />

einer sofortigen Kündigung rechnen musste. Es kann nicht<br />

mehr damit gerechnet werden, dass ein damit einhergehender<br />

Vertrauensverlust wieder herstellbar ist. Ohne ein solches<br />

Vertrauen ist der Beteiligten zu 1 eine auch nur vorübergehende<br />

weitere Beschäftigung des Beteiligten zu 3 nicht zumutbar.<br />

Denn eine zukünftige vertragsgemäße Beschäftigung,<br />

ohne dass die Gefahr weiterer entsprechender Verhaltensweisen<br />

verbleibt, ist in einem solchen Fall nur schwer vorstellbar.<br />

cc) Gleiches gilt bei einer derartig gravierenden Pflichtver-


letzung auch dann, wenn – wie vorliegend – zwar nicht die<br />

Voraussetzungen für eine entsprechende Tat – aber für eine<br />

entsprechende Verdachtskündigung vorliegen.<br />

Nach Überzeugung der Kammer lagen für eine solche Pflichtverletzung,<br />

durch den Beteiligten zu 3, auf objektive Tatsachen<br />

gegründete starke Verdachtsmomente knapp unterhalb<br />

der Schwelle der Gewissheit vor.<br />

Zum einen hat der Beteiligte zu 3 zumindest den wesentlichen<br />

Teil der restlichen Waren, ohne dafür eine überzeugende<br />

Rechtfertigung vorzutragen, nicht in den Betrieb verbracht<br />

sondern vorhandenen falls außerhalb des Zugriffsbereiches<br />

der Beteiligten zu 1 <strong>und</strong> jeder Person die möglicherweise<br />

einmal vertretungsweise die entsprechenden Sitzungen leitet<br />

aufbewahrt. Jedenfalls der Aufbewahrung der Kaffeepads <strong>und</strong><br />

der Cocktailservietten im Betriebsratsbüro stand ein Platzmangel<br />

nicht entgegen. Der Beteiligte zu 3 hat offenbar zu keiner<br />

Zeit einen ernsthaften Vorstoß gegenüber der Depotleitung<br />

unternommen, im Betrieb außerhalb des Betriebsratsbüros,<br />

ggf. auch nach Auswechslung von Schlössern, sichere Lagerkapazitäten<br />

zu erhalten. Es gibt keinen Gr<strong>und</strong> zur Annahme,<br />

dass die Waren in der Garage des Beteiligten zu 3 vor Zugriffen<br />

Dritter sicherer waren als in einem der leerstehenden<br />

Büroräume im Depot H. Eine Erlaubnis oder eine Duldung der<br />

Depotleitung hat der Beteiligte zu 3 zwar pauschal behauptet.<br />

Er hat jedoch keine ausreichenden konkreten Tatsachen vorgetragen<br />

die zutreffendenfalls diese Annahme gerechtfertigt<br />

hätten.<br />

Weiterhin hat der Beteiligte zu 3 am 17.10.2007 sämtliche<br />

Waren abgerechnet <strong>und</strong> dabei suggeriert, dass diese bereits<br />

jetzt, spätestens aber mit der letzten Betriebsratssitzung im<br />

Monat Oktober verbraucht sind. Dabei waren noch erhebliche<br />

Reste vorhanden <strong>und</strong> der Beteiligte zu 3 hatte offenbar gar<br />

nicht die Absicht diese in der für Oktober noch verbleibenden<br />

Betriebsratssitzung anzubieten. Dies ist jedenfalls tatsächlich<br />

nicht erfolgt. Die eingereichte Teilnehmerliste kann erkennbar<br />

nur den Sinn machen, darzustellen, wofür die eingekauften<br />

Waren Verwendung gef<strong>und</strong>en haben bzw. finden sollten. Etwas<br />

anderes hat der Beteiligte zu 3 gegenüber der Arbeitnehmerin<br />

W. auch nicht mündlich zum Ausdruck gebracht. Er gab<br />

keine Erklärung dazu ab, ob noch etwas übrig ist oder nicht.<br />

Der Beteiligte zu 3 hat darüber hinaus ohne nachvollziehbare<br />

Begründung noch am 16.10.2007, also nur einen Tag<br />

nach Durchführung der Sitzung der Vertretungseinheit H. <strong>und</strong><br />

lange bevor die nächste Sitzung der Vertretungseinheit H.<br />

kurz bevorstand, größere Mengen KLC Mineralwasser auf Kosten<br />

der Beteiligten zu 1 eingekauft, obwohl dessen Einsatz<br />

bei normalen Betriebsratssitzungen weder üblich war noch<br />

anschließend tatsächlich erfolgte.<br />

Der Beteiligte zu 3 hat, am 29.10.2007 erstmals mit dem Vorwurf<br />

konfrontiert, statt zur sofortigen Aufklärung beizutragen,<br />

Maßnahmen ergriffen die geeignet waren sein vorangegangenes<br />

Tun zu verschleiern. So telefonierte er ungestört mit seiner<br />

Ehefrau <strong>und</strong> ließ anschließend einen nicht unerheblichen<br />

Zeitraum verstreichen, bevor er sich zum Aufbruch zur Garage<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

bereit erklärte. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden,<br />

dass jedenfalls aus dem Haus oder unter Zuhilfenahme Dritter<br />

(etwa als Fahrer) die notwendigen Waren erst herbeigeschafft<br />

wurden. Auch seine Äußerung „So F. jetzt können wir fahren“<br />

<strong>und</strong> die – bis zur Widerlegung des Gegenteils per Einzelverbindungsnachweis<br />

aufrechterhaltene – Behauptung, nur mit<br />

dem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden I. <strong>und</strong> vergeblich zum<br />

Anschluss des Arbeitsdirektors R. telefoniert zu haben, passen<br />

in dieses Bild <strong>und</strong> untermauern den entstandenen negativen<br />

Eindruck.<br />

Der Beteiligte zu 3 hat seinen Vortrag, mit dem er sein Verhalten<br />

rechtfertigen wollte, verändert, sobald dieser widerlegt<br />

wurde <strong>und</strong> sich daher insgesamt widersprüchlich eingelassen.<br />

Dies trifft auf die o.g. Telefonate zu aber auch auf das System<br />

bei den Einkäufen. Hieß es zunächst, dass die Einkäufe an Freitagen<br />

oder Samstagen nahe im Vorfeld der Sitzungen, für welche<br />

diese bestimmt waren, erfolgt, wurde daraus schließlich<br />

nach <strong>und</strong> nach der völlig gegenläufige Vortrag, diese seien<br />

an beliebigen Wochentagen alle 6 bis 8 Wochen auf Vorrat<br />

erfolgt.<br />

Bei der restlichen Ware handelt es sich um Gegenstände von<br />

denen davon ausgegangen werden kann, dass diese vom<br />

Beteiligten zu 3 ohne Schwierigkeit zu seinem eigenen finanziellen<br />

Vorteil auch anderweitig genutzt werden konnten.<br />

Insbesondere das Mineralwasser <strong>und</strong> die Cocktailservietten<br />

hätte der Beteiligte zu 3 auch selbst privat nutzen können,<br />

die Kaffeepads jedenfalls Dritten zuwenden können.<br />

Zwar nicht ein einzelner aber alle oben genannten Verdachtsmomente<br />

zusammen können nicht mehr als zufällig erachtet<br />

werden. Sie ergeben vielmehr ein aus diesen Mosaiksteinen<br />

zusammengesetztes Gesamtbild, welches die Beschwerdekammer<br />

zu dem Ergebnis kommen ließ, dass kein vernünftiger<br />

Zweifel an dem pflichtwidrigen Vorhaben des Beteiligten<br />

zu 3 mehr gerechtfertigt erscheint.<br />

Weiterhin waren die oben genannten Verdachtsmomente geeignet,<br />

das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche<br />

Vertrauen zu zerstören. Die Beteiligte zu 1 musste<br />

danach davon ausgehen, dass der Beteiligte zu 3 mit hoher<br />

Wahrscheinlichkeit willentlich auf ihre Kosten eingekaufte,<br />

nach seinem Auftrag allein für die Versorgung der Teilnehmer<br />

an den Sitzungen der „Vertretungseinheit H.“ <strong>und</strong> des Betriebsrates<br />

bestimmte, Getränke, Nahrungsmittel <strong>und</strong> Servietten<br />

unerlaubt einem anderen eigennützigen Zweck zugeführt<br />

oder ebendies versucht hat.<br />

Schließlich hat die Beteiligte zu 1 – jedenfalls soweit zur Erhellung<br />

beitragend – alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung<br />

des Sachverhaltes unternommen, insbesondere aber<br />

dem Beteiligten zu 3 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.<br />

Soweit die Beteiligte zu 1 keine Anstrengungen unternommen<br />

hat festzustellen ob die betroffenen Waren nach<br />

Rückkehr des Beteiligten zu 3 von seinen Telefonaten <strong>und</strong><br />

Fahrzeit zur Garage dort <strong>und</strong> nach Herbeischaffung durch<br />

den Beteiligten zu 3 im Betrieb tatsächlich noch vollständig<br />

vorhanden waren, hat sie dies als zutreffend unterstellt bzw.<br />

249


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

hätten gegenteilige Feststellungen den Verdacht lediglich erhärten,<br />

entsprechende Feststellungen diesen aber nicht entkräften<br />

können. Soweit die Beteiligte zu 1 nicht mehr Anstrengungen<br />

unternommen hat, sämtliche Einkäufe des Beteiligten<br />

zu 3 allen Verbräuchen für Sitzungen gegenüberzustellen,<br />

gibt es keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass dies im<br />

nachhinein noch zu verwertbaren Ergebnissen geführt hätte.<br />

Am 29.10.2007 hat der Beteiligte zu 3 zudem ausreichend Gelegenheit<br />

zur Stellungnahme erhalten. Es gibt keine Anhaltspunkte<br />

dafür, dass diese Anhörung nicht den vom B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

hierfür aufgestellten Gr<strong>und</strong>sätzen entsprach. Danach<br />

richtet sich der Umfang nach den Umständen des Einzelfalles<br />

<strong>und</strong> muss nicht den Anforderungen genügen die an eine<br />

Anhörung des Betriebsrates nach § 102 Abs. 1 BetrVG gestellt<br />

werden. Es reicht allerdings nicht, den Arbeitnehmer mit einer<br />

allgemein gehaltenen Wertung zu konfrontieren. Die Anhörung<br />

muss sich auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen.<br />

Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, bestimmte,<br />

zeitlich <strong>und</strong> räumlich eingegrenzte Tatsachen zu bestreiten<br />

oder den Verdacht entkräftende Tatsachen zu bezeichnen <strong>und</strong><br />

so zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden<br />

Geschehnisse beizutragen (BAG, Beschl. 13.03.2008 –<br />

2 AZR 961/06 –, NZA 2008, 809). Der Beteiligte zu 3 wurde<br />

am 29.10.2007 dann auch nicht nur mit einer Wertung, wie<br />

etwa „sie haben etwas unterschlagen“ konfrontiert. Ihm wurden<br />

vielmehr unstreitig die Tatsachen mitgeteilt, welche die<br />

Beteiligte zu 1 veranlasst haben davon auszugehen, dass bestimmte<br />

Waren aus seinen letzten Einkäufen noch vorhanden<br />

sein müssten. Weiterhin wurde ihm unstreitig mitgeteilt, dass<br />

man diese Waren im Betrieb nicht auffinden konnte <strong>und</strong> ihm<br />

zumindest konkludent zu verstehen gegeben, dass man ihn<br />

als den Verantwortlichen für deren Unauffindbarkeit sieht.<br />

Damit hatte der Beteiligte zu 3 die Möglichkeit zu diesen<br />

Tatsachen Stellung zu nehmen <strong>und</strong> insbesondere Umstände<br />

vorzutragen die dazu führen, dass sein Verhalten in diesem<br />

Zusammenhang als rechtens anzusehen ist. Stattdessen lieferte<br />

er im Zuge der Anhörung sowie im Laufe des Verfahrens<br />

selbst weitere Verdachtsmomente.<br />

dd) Auch eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung<br />

der besonderen Umstände des Einzelfalles führt letztlich zu<br />

keinem anderen Ergebnis. Zwar ist der Beteiligte zu 3 bereits<br />

seit 11 Jahren für die Beteiligte zu 1 tätig. Aber allein schon<br />

der laxe Umgang mit den einen Vermögenswert darstellenden<br />

Pfandflaschen zeigt deutlich, wie gering der Beteiligte<br />

zu 3 seine (Neben)pflichten gegenüber betrieblichen Werten<br />

einschätzt. Es besteht daher kein ausreichender Gr<strong>und</strong> sein<br />

Bestandsinteresse, trotz Vorliegens eines an sich geeigneten<br />

Kündigungsgr<strong>und</strong>es, über dem Interesse der Beteiligten an<br />

einer Vertragsbeendigung anzusiedeln.<br />

■ Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt<br />

vom 15.01.2009, 3 TaBV 10/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Jürgen Schmitt,<br />

Friedrichstraße 5, 70174 Stuttgart,<br />

250 03/09<br />

Tel.: 0711/22419900, Fax: 0711/22419979<br />

kanzlei@shp-anwaltskanzlei.de<br />

299. Außerordentliche Kündigung, F<strong>und</strong>unterschlagung<br />

1. Die außerordentliche Kündigung ist rechtsunwirksam.<br />

Es liegt kein wichtiger Gr<strong>und</strong> gemäß § 626 Abs. 1 BGB vor.<br />

Kündigungsgr<strong>und</strong> im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ist jeder<br />

Sachverhalt, der objektiv das Arbeitsverhältnis in dem Gewicht<br />

eines wichtigen Gr<strong>und</strong>es belastet. Dabei müssen Umstände<br />

gegeben sein, die nach verständigem Ermessen die<br />

Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar erscheinen<br />

lassen.<br />

a) Gr<strong>und</strong>sätzlich ist das Einbehalten von gef<strong>und</strong>enen Sachen<br />

im Laden des Arbeitgebers geeignet, eine Kündigung – auch<br />

eine außerordentliche Kündigung – zu rechtfertigen. Während<br />

seiner Arbeitszeit ist der Arbeitnehmer bei dem F<strong>und</strong> von<br />

Sachen im Unternehmen des Arbeitgebers nur Besitzdiener im<br />

Sinne des § 855 BGB. Wie die Beklagte jedoch selbst in ihrer<br />

Organisationsanweisung mitgeteilt hat, ist dies nicht der Fall,<br />

wenn ein Arbeitnehmer außerhalb der Arbeitszeit im Laden<br />

der Beklagten Gegenstände findet. In diesem Fall gilt das allgemeine<br />

F<strong>und</strong>recht gemäß der §§ 956 ff. BGB. Bereits hieraus<br />

ergeben sich erhebliche Zweifel, inwieweit das Verhalten der<br />

Klägerin Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis der Parteien<br />

haben kann, Anstelle der Klägerin hätte der Bon auch von jedem<br />

Dritten aufgef<strong>und</strong>en werden können. Eine Verpflichtung,<br />

hierüber dem Marktleiter oder ähnlichen Personen Anzeige zu<br />

erstatten, besteht nicht.<br />

Die Klägerin könnte jedoch verpflichtet sein, den F<strong>und</strong> den<br />

zuständigen Behörden zu melden. Diese Verpflichtung ist jedoch<br />

gemäß § 965 Abs. 2 BGB dann suspendiert, wenn der<br />

Finder den Empfangsberechtigten nicht kennt oder ihm dessen<br />

Aufenthalt unbekannt ist <strong>und</strong> der Wert der Sache 10,00 €<br />

nicht übersteigt. Ob die Klägerin sich einer solchen Pflicht<br />

entzogen hatte ist zweifelhaft. Unstreitig lag der Wert des<br />

Payback-Gutscheines erheblich unter 10,00 €, nämlich nur<br />

bei 5,00 €. Jedoch war auf dem Gutschein der Name des<br />

rechtmäßigen Besitzers angegeben. Es fehlten jedoch Adresse<br />

<strong>und</strong> Telefonnummer. Die Klägerin hätte erheblichen Aufwand<br />

betreiben müssen, um die entsprechenden Informationen zu<br />

erhalten, So ergibt sich beispielsweise, wenn man im Telefonbuch<br />

nachforscht, für den Namen W. im Bereich G. kein<br />

Eintrag. Es wäre somit eine Nachforschung entweder über die<br />

Payback-Zentrale oder über das Einwohnermeldeamt nötig<br />

gewesen, um den früheren Besitzer des Gutscheines zu finden.<br />

Ein solcher Aufwand ist jedoch bei dem geringen Wert<br />

des Gutscheines nicht angemessen.<br />

Somit hat die Klägerin auch keine F<strong>und</strong>unterschlagung begangen.<br />

b) Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass die Klägerin<br />

verpflichtet gewesen sei, den F<strong>und</strong> der Beklagten mitzuteilen<br />

beziehungsweise den Gutschein der Beklagten zu übergeben,<br />

würde das diesbezügliche Unterlassen nicht eine außeror-


dentliche Kündigung rechtfertigen. Da die Klägerin nicht davon<br />

ausgehen konnte, dass es sich um ein schlechthin nicht<br />

hinnehmbares Verhalten gehandelt hatte, wäre hier zumindest<br />

von der Beklagten eine Abmahnung als milderes Mittel<br />

auszusprechen gewesen. Dies ist jedoch nicht geschehen.<br />

2. Auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung<br />

der Beklagten vom 25. Juli 2008 beendet das Arbeitsverhältnis<br />

der Parteien nicht.<br />

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet das Kündigungsschutzgesetz<br />

Anwendung, da die Beklagte gemäß § 23 KSchG<br />

mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt <strong>und</strong> das Arbeitsverhältnis<br />

der Parteien bereits mehr als 6 Monate gemäß § 1 Abs. 1<br />

KSchG bestanden hatte.<br />

Gemäß § 1 Abs. 1, 2 KSchG ist eine Kündigung dann unwirksam,<br />

wenn sie nicht aus verhaltensbedingten, personenbedingten<br />

oder betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt<br />

ist.<br />

Die Beklagte kann sich nicht auf verhaltensbedingte Gründe<br />

berufen. Wie bereits oben dargelegt, war nach Auffassung des<br />

Gerichts das Verhalten der Klägerin rechtmäßig.<br />

Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, ist das Verhalten<br />

der Klägerin – im Gegensatz zu der Auffassung der Beklagten<br />

– nicht so geartet, dass diese davon ausgehen muss,<br />

dass die Beklagte hierauf nur mit einer Kündigung reagieren<br />

könne. Insbesondere ist die Auffassung der Beklagten, dass<br />

das vorliegende Verfahren eine irgendwie geartete Ähnlichkeit<br />

mit dem vom Arbeitsgericht Berlin, Az.: 2 Ca 3632/08 vom<br />

21. August 2008 vergleichbar sie, nicht zu folgen. In jenem<br />

Verfahren bestand gegen die Arbeitnehmerin der dringende<br />

Verdacht, dass sie sich Leergutbons, die von K<strong>und</strong>en verloren<br />

gegangen sind <strong>und</strong> die von dem Arbeitgeber aufbewahrt<br />

wurden, angeeignet hat. Dies ist jedoch ein gänzlich anderer<br />

Sachverhalt. Die Leergutbons befanden sich im Besitz des Arbeitgebers.<br />

Gegenüber der Arbeitnehmerin bestand der Verdacht,<br />

dass sie diesen Besitz gebrochen habe <strong>und</strong> sich diese<br />

Leergutbons angeeignet hat. Nur dieser Vorwurf rechtfertigt<br />

die dort für rechtmäßig erachtete außerordentliche Kündigung.<br />

■ Arbeitsgericht Darmstadt<br />

vom 23.12.2008, 4 Ca 289/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Marco Tron,<br />

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300. Betriebsbedingte Kündigung, Verhältnismäßigkeitsprinzip,<br />

Vorrang der Änderungskündigung<br />

I. ... 1. Eine Beendigungskündigung ist unter Beachtung des<br />

in § 1 Abs. 2 S. 2 KSchG zum Ausdruck kommenden Gr<strong>und</strong>satz<br />

der Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht als ultima-ratio<br />

geboten <strong>und</strong> deshalb sozial ungerechtfertigt, wenn der zu<br />

kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in<br />

demselben Betrieb auch zu veränderten Arbeitsbedingungen<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

weiter beschäftigt werden kann. Nach der Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts ist anstelle der Beendigungskündigung<br />

dann eine entsprechende Änderungskündigung<br />

auszusprechen. Für eine Beendigungskündigung liegen dann<br />

keine dringenden betrieblichen Erfordernisse im Sinne des § 1<br />

Abs. 2 KSchG vor. Das Merkmal der „Dringlichkeit“ der betrieblichen<br />

Erfordernisse konkretisiert insoweit den Gr<strong>und</strong>satz der<br />

Verhältnismäßigkeit. Aus ihm ergibt sich, dass der Arbeitgeber<br />

vor jeder ordentlichen Beendigungskündigung von sich aus<br />

dem Arbeitnehmer gr<strong>und</strong>sätzlich eine Beschäftigung auf<br />

einem freien Arbeitsplatz auch zu geänderten Arbeitsbedingungen<br />

anbieten muss. Eine Änderungskündigung darf<br />

nur in Extremfällen unterbleiben, wenn der Arbeitgeber<br />

bei vernünftiger Betrachtung nicht mit einer Annahme des<br />

neuen Vertragsangebotes durch den Arbeitnehmer rechnen<br />

konnte <strong>und</strong> ein derartiges Angebot vielmehr beleidigenden<br />

Charakter gehabt hätte. Gr<strong>und</strong>sätzlich soll der Arbeitnehmer<br />

selbst entscheiden können, ob er eine Weiterbeschäftigung<br />

unter gegebenenfalls erheblich verschlechterten Arbeitsbedingungen<br />

für zumutbar hält oder nicht (vgl. BAG, Beschl. v.<br />

21.09.2006 – 2 AZR 607/05).<br />

■ Arbeitsgericht Iserlohn<br />

vom 26.02.2009, 4 Ca 1494/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Ingo Graumann,<br />

Von-Scheibler-Straße 10, 58636 Iserlohn,<br />

Tel.: 02371/835555, Fax: 02371/835556<br />

GM.Arbeitsrecht@t-online.de<br />

301. Ausbildungsverhältnis, Praktikum, Probezeit<br />

I. Die Kündigung der Beklagten vom 18.08.2008 hat das<br />

Ausbildungsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Die<br />

Kündigung ist nicht als Probezeitkündigung nach § 22 Abs. 1<br />

BBiG gerechtfertigt. Für eine außerordentliche Kündigung<br />

nach § 22 Abs. 2 Ziffer 1 BBiG liegen keine Anhaltspunkte<br />

vor, insofern fehlt es auch an dem Formerfordernis der<br />

Begründung der Kündigung gemäß § 22 Abs. 3 BBiG.<br />

1. Gemäß § 20 BIBiG beginnt das Ausbildungsverhältnis mit<br />

einer Probezeit von mindestens einem <strong>und</strong> längstens 4 Monaten.<br />

Sinn <strong>und</strong> Zweck dieser Regelung ist es, sicherzustellen,<br />

dass der Ausbildende den Auszubildenden dahingehend<br />

überprüfen kann, ob dieser für den zu erlernenden Beruf geeignet<br />

ist <strong>und</strong> sich in das betriebliche Geschehen mit seinen<br />

Lernpflichten einordnen kann. Andererseits muss die Prüfung,<br />

ob der gewählte Beruf seinen Vorstellungen <strong>und</strong> Anlagen<br />

entspricht, auch dem Auszubildenden möglich sein. Diese<br />

Prüfungspflicht beider Parteien entfällt nicht aufgr<strong>und</strong> einer<br />

Vorbeschäftigung des Auszubildenden im Rahmen einer Einstiegsqualifizierung,<br />

eines Praktikums oder einer anderweitigen<br />

Tätigkeit für den Arbeitgeber (vgl. z.B. BAG, Beschl. vom<br />

15.05.2001 – 2 AZR 10/00 –; vom 16.12.2004 – 6 AZR 127/04 –;<br />

LAG Berlin, Beschl. vom 12.10.1998 – 9 Sa 73/98).<br />

2. Der Beklagten ist es gemäß § 242 BGB verwehrt, sich auf<br />

die im Ausbildungsvertrag vereinbarte Probezeit zu berufen.<br />

251


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

a. Ein Verhalten ist als rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn<br />

besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen<br />

lassen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn<br />

durch das Verhalten der einen Vertragspartei für die andere<br />

Vertragspartei ein schützenswertes Vertrauen auf den Fortbestand<br />

des bisherigen geschaffen worden ist (vgl. BAG, Beschl.<br />

vom 26.06.2008 – 2 AZR 23/07). Ein Verstoß gegen Treu <strong>und</strong><br />

Glauben ist dann Betracht zu ziehen, wenn der Arbeitnehmer<br />

aufgr<strong>und</strong> des Verhaltens des Arbeitgebers berechtigterweise<br />

darauf vertrauen durfte, das Arbeitsverhältnis werde z.B. nach<br />

Ablauf einer vereinbarten Befristung fortgesetzt. Der Arbeitgeber<br />

muss dann bei Vertragsabschluss oder während des<br />

Beschäftigungsverhältnisses objektiv einen entsprechenden<br />

Vertrauenstatbestand geschaffen haben (vgl. BAG, Beschl. v.<br />

24.10.2001 – 7 AZR 620/00).<br />

b. Die Berufung der Beklagten auf die vereinbarte Probezeit<br />

ist rechtsmissbräuchlich im Sinne dieser Rechtsprechung.<br />

Das von der Klägerin in der Zeit vom 01.11.2007 bis zum<br />

31.07.2008 absolvierte Praktikum war de facto bereits Ausbildungszeit<br />

<strong>und</strong> erfüllte alle Bedingungen an eine Probezeit im<br />

Sinne des § 20 BBiG.<br />

Gemäß § 13 BBiG hat sich der Auszubildende zu bemühen,<br />

die erforderlichen Kenntnisse <strong>und</strong> Fähigkeiten zu erwerben,<br />

die erforderlich sind, um das Ausbildungsziel zu erreichen. Ein<br />

Praktikum ist dagegen im Regelfall dadurch gekennzeichnet,<br />

dass der Praktikant sich ein Bild vom Arbeitsleben verschafft.<br />

Ein Praktikum beschränkt sich darauf, dem Arbeitgeber <strong>und</strong><br />

seinen Mitarbeitern „über die Schulter zu schauen“ <strong>und</strong> ein<br />

bestimmtes Berufsbild kennen zu lernen. Eine Arbeitsleistung<br />

wird nicht geschuldet, es besteht keine Arbeitspflicht <strong>und</strong><br />

gr<strong>und</strong>sätzlich keine Weisungsgeb<strong>und</strong>enheit hinsichtlich der<br />

Arbeitszeit. In der Regel ist ein Praktikum teil einer – schulischen<br />

oder akademischen – Ausbildung.<br />

Die Klägerin hat bei der Beklagten jedoch kein Praktikum in<br />

diesem Sinne absolviert. Sie wurde vielmehr wie eine Auszubildende<br />

eingesetzt <strong>und</strong> mit allen Arbeiten des Berufsbildes<br />

der Kauffrau im Einzelhandel vertraut gemacht. Sie war hinsichtlich<br />

Zeit, Ort <strong>und</strong> Art ihrer Arbeitsleistung weisungsgeb<strong>und</strong>en.<br />

Die entsprechenden Formulierungen; im Praktikumsvertrag<br />

sprechen hierzu eine deutliche Sprache. Die Klägerin<br />

war verantwortlich in die Betriebsabläufe eingeb<strong>und</strong>en.<br />

Das ist als unstreitig anzusehen. Angesichts des ausführlichen<br />

Vortrags der Klägerin genügt das einfache Bestreiten der Beklagten<br />

nicht. Diese hätte vielmehr aufgr<strong>und</strong> ihrer Kenntnis<br />

aus eigenem Erleben qualifiziert bestreiten müssen, um den<br />

Vortrag der Klägerin streitig zu stellen.<br />

Aufgr<strong>und</strong> dieser Tätigkeit während des Praktikums konnten<br />

sich die Parteien gegenseitig in der Art <strong>und</strong> Weise kennen<br />

lernen, die Sinn <strong>und</strong> Zweck der Probezeit gemäß § 20 BBiG<br />

ist (vgl. Arbeitsgericht Wetzlar, Beschl. vom 24.10.1989 – 1 Ca<br />

317/89 –, in ARSt 90, 85). Trotz des vorausgegangenen Aushilfsarbeitsverhältnisses<br />

hatten die Parteien im Praktikumsvertrag<br />

eine neue Probezeit vereinbart. Dass das Praktikum<br />

bereits als Ausbildungszeit zu sehen war, ergibt sich auch<br />

252 03/09<br />

daraus, dass eigentlich beide Seiten im Oktober 2007 ein<br />

Ausbildungsverhältnis beginnen wollten, davon lediglich im<br />

Hinblick auf das fortgeschrittene Schuljahr abgesehen haben.<br />

Ansonsten hätte zunächst das Aushilfsarbeitsverhältnis fortgesetzt<br />

werden können, in dem die Klägerin bei erheblich<br />

geringerer Arbeitsleistung annähernd den gleichen Verdienst<br />

erzielt hätte. Demgegenüber hat die Beklagte während des<br />

Praktikums die volle Arbeitsleistung der Klägerin gegen eine<br />

Vergütung in Höhe der Ausbildungsvergütung im ersten Ausbildungsjahr<br />

erhalten. Nachdem die im Praktikumsvertrag vereinbarte<br />

Probezeit verstrichen war <strong>und</strong> die Beklagte mit der<br />

Klägerin bereits im Juli einen Ausbildungsvertrag mit Wirkung<br />

ab 01.08.2008 abgeschlossen hatte, konnte die Klägerin darauf<br />

vertrauen, dass dieser Ausbildungsvertrag auch erfüllt<br />

wurde <strong>und</strong> die Beklagte nicht von ihrem formalen Kündigungsrecht<br />

innerhalb der Probezeit zu Beginn des Ausbildungsverhältnisses<br />

Gebrauch macht.<br />

■ Arbeitsgericht Iserlohn<br />

vom 04.12.2008, 4 Ca 1874/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Ingo Graumann,<br />

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302. Verhaltensbedingte Kündigung, Rauchverbot<br />

Rauchen in einem Bereich eines Lebensmittel-Betriebes, in<br />

dem ein Rauchverbot gilt, kann jedenfalls nach wiederholter<br />

Abmahnung eine ordentliche Kündigung auch bei langer Betriebszugehörigkeit<br />

des Arbeitnehmers rechtfertigen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 01.08.2008, 4 Sa 590/08<br />

303. Betriebsbedingte Kündigung, Kurzarbeit, Erkrankung<br />

1. Führt ein Arbeitgeber Kurzarbeit ein, so kann die Kündigung<br />

eines (einzelnen) Arbeitnehmers aus betriebsbedingten Gründen<br />

nur dann sozial gerechtfertigt sein, wenn weitere inneroder<br />

außerbetriebliche Gründe vorliegen, die ergeben, dass<br />

nicht nur vorübergehend (wofür die Einführung von Kurzarbeit<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich spricht) das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung<br />

des gekündigten Arbeitnehmers, dauerhaft wegfällt.<br />

(siehe hierzu: BAG, Urteil vom 26.06.1997, EzA § 1 KSchG betriebsbedingte<br />

Kündigung Nr. 93; BAG, Urteil vom 17.10.1980,<br />

EzA § 1 KSchG betriebsbedingte Kündigung Nr. 15). Dass dies<br />

hier in Bezug auf den Kläger der Fall ist, ist nicht zu erkennen,<br />

da der Kläger offenbar im Betrieb an verschiedenen Stellen,<br />

an denen auch die anderen Arbeitnehmer, für die die Beklagte<br />

die Einführung von Kurzarbeit erwägt, beschäftigt war.<br />

2. Auch aus der Tatsache, dass der Kläger seit längerer Zeit arbeitsunfähig<br />

erkrankt ist, lässt sich nicht herleiten, dass für ihn<br />

dauerhaft ein Beschäftigungsbedürfnis nicht mehr besteht.<br />

Auch der geschäftsplanmäßige Vorsitzende der 5. Kammer


des Arbeitsgerichts Iserlohn ist seit längerer Zeit zur Entlastung<br />

des Arbeitsgerichts Dortm<strong>und</strong> abgeordnet (<strong>und</strong> steht<br />

daher zur Arbeitsleistung in Iserlohn nicht zur Verfügung),<br />

hieraus ist jedoch nicht abzuleiten dass für ihn ein Beschäftigungsbedürfnis<br />

am Arbeitsgericht Iserlohn (dauerhaft) nicht<br />

besteht, vielmehr ist im Hinblick auf steigende Eingangszahlen<br />

das Gegenteil richtig. Die Erkrankung des Klägers ist, über<br />

das oben angeführte Argument hinaus, auch deshalb für ein<br />

fehlendes Beschäftigungsbedürfnis nicht aussagekräftig, da<br />

die Beklagte eine nicht genannte Zahl von Aushilfen (In welchem<br />

Umfang?) beschäftigt.<br />

■ Arbeitsgericht Iserlohn<br />

vom 17.03.2009, 5 Ca 2412/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Ingo Graumann,<br />

Von-Scheibler-Straße 10, 58636 Iserlohn,<br />

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304. Verhaltensbedingte Kündigung, Missbrauch betrieblicher<br />

Kontrolleinrichtung; Abmahnung<br />

I. ... 1. Gr<strong>und</strong>sätzlich ist anerkannt; dass der Missbrauch<br />

von betrieblichen Kontrolleinrichtungen, denen irgendeine<br />

Bedeutung zukommt, geeignet ist, eine verhaltensbedingte –<br />

auch außerordentliche Kündigung – zu rechtfertigen (vergleiche<br />

BAG, Urteil vom 08.09.1988 – 2 ARB 18/88 –; KR-<br />

Fischermeyer, 8. Auf., § 626 BGB Rn 444). Gleiches gilt für<br />

den Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung,<br />

die abgeleistete, vom Arbeitgeber sonst kaum sinnvoll zu<br />

kontrollierende Arbeitszeit oder Arbeitsmenge korrekt zu<br />

dokumentieren. Dabei kommt es nicht entscheidend auf<br />

die strafrechtliche Würdigung, sondern auf den mit der<br />

Pflichtverletzung verb<strong>und</strong>enen schweren Vertrauensbruch<br />

an. Überträgt ein Arbeitgeber den Nachweis der täglich<br />

geleisteten Arbeitszeit dem Arbeitnehmer selbst, <strong>und</strong> füllt der<br />

Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare<br />

falsch aus, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch<br />

dar (vergleiche BAG, Urteil vom 21.04.2005 –<br />

2 AZR 255/04).<br />

2. Es steht bereits nicht fest, ob die Klägerin – wie die Beklagte<br />

unterstellt – falsche Angaben zu den gefertigten Stückzahlen<br />

eingetragen hat. Die Beklagte schließt dies lediglich daraus,<br />

dass die vorherigen Eintragungen aufgr<strong>und</strong> der Korrektur mittels<br />

Tipp-Ex nicht mehr nachvollziehbar sind. Weitere Anhaltspunkte<br />

für ihre Schlussfolgerung hat sie nicht vorgetragen.<br />

Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> bleibt als Verstoß gegen arbeitsvertragliche<br />

Verpflichtungen lediglich die Art der Korrektur. Dieses<br />

Verhalten ist nicht zu schwerwiegend, als dass nicht zuvor<br />

der Ausspruch einer Abmahnung erforderlich gewesen wäre.<br />

a. Nach dem Ultima-Ratio-Prinzip hat der Arbeitgeber bei einem<br />

Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten jeweils mit<br />

dem mildesten zur Verfügung stehenden Mittel zu reagieren.<br />

Daher ist vor dem Ausspruch einer verhaltensbedingten Kün-<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

digung stets gr<strong>und</strong>sätzlich der Ausspruch einer einschlägigen<br />

Abmahnung erforderlich.<br />

Auch bei Störungen im Vertrauensbereich ist das Abmahnungserfordernis<br />

stets zu prüfen <strong>und</strong> eine Abmahnung jedenfalls<br />

dann vor Ausspruch der Kündigung erforderlich, wenn es<br />

um ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers geht, <strong>und</strong><br />

eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann.<br />

Das bedeutet, dass bei einer Kündigung aus verhaltensbedingten<br />

Gründen eine Abmahnung nur dann entbehrlich ist,<br />

wenn es um schwere Pflichtverletzungen geht, deren Rechtswidrigkeit<br />

dem Arbeitnehmer ohne Weiteres erkennbar ist<br />

<strong>und</strong> bei dem eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber<br />

offensichtlich ausgeschlossen ist (vergleiche BAG,<br />

Beschl. vom 10.02.1999 – 2 ABR 31/98).<br />

2. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf<br />

Entfernung der Abmahnung vom 07.12.2007 aus der Personalakte.<br />

I. Gr<strong>und</strong>sätzlich kann der Arbeitnehmer die Berechtigung einer<br />

Abmahnung überprüfen lassen, wenn sie nach Inhalt oder<br />

Form seine Rechtsstellung beeinträchtigt. Dies ergibt sich aus<br />

der entsprechenden Anwendung der §§ 242, 1004 BGB. Bei<br />

der Beurteilung der Frage, ob eine Abmahnung zu Recht erteilt<br />

wurde, kommt es allein darauf an, ob der Arbeitgeber<br />

ein tatsächlich geschehenes Verhalten des Arbeitnehmers als<br />

vertragswidriges Fehlverhalten ansieht <strong>und</strong> es zukünftig nicht<br />

mehr sanktionslos hinnehmen will Es kommt nicht darauf an,<br />

ob das Verhalten dem Arbeitnehmer subjektiv vorwerfbar ist.<br />

Entscheidend ist nur, ob Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis<br />

nicht oder nicht richtig erfüllt wurden. Ob dieses Fehlverhalten<br />

dem Arbeitnehmer zum Vorwurf gemacht werden kann,<br />

ist ggf. in einem nachfolgenden Kündigungsschutzverfahren<br />

zu prüfen (vergleiche BAG, Beschl. vom 18.01.1996 – 6 AZR<br />

314/95 –). Eine Abmahnung ist auch dann zu Unrecht erteilt,<br />

wenn sie das beanstandete Verhalten des Arbeitnehmers<br />

nicht konkret genug beschreibt. Eine Abmahnung muss das<br />

Verhalten, das dem Arbeitnehmer zum Vorwurf gemacht wird,<br />

genau bezeichnen. Dazu ist erforderlich, dass das gerügte<br />

Verhalten exakt nach Art <strong>und</strong> Zeitpunkt beschrieben wird.<br />

Schlagwortartige Bezeichnungen, Pauschalurteile oder übertriebene<br />

Darstellungen der Folgen des Verhaltens verbieten<br />

sich (vergleiche Arbeitsgericht Wetzlar, DB 1990, 2486; Praxis<br />

Arbeitsrecht – Bertram, Teil III Rn 19, 21). Werden in einer<br />

Abmahnung mehrere Pflichtverletzungen gerügt, so müssen<br />

alle Vorwürfe diesen Anforderungen entsprechen (vergleiche<br />

BAG, Beschl. vom 13.031991 – 5 AZR 133/90).<br />

II. Diesen Anforderungen entspricht die Abmahnung vom<br />

05.12.2007 nicht.<br />

Die Beklagte beschreibt pauschal Beschwerden anderer Arbeitnehmer,<br />

ohne diese Vorfälle zeitlich <strong>und</strong> inhaltlich zu konkretisieren.<br />

Diese pauschalen Vorwürfe sind nicht geeignet,<br />

einem Dritten bewertbare Informationen über die Klägerin zu<br />

vermitteln.<br />

■ Arbeitsgericht Iserlohn<br />

vom 16.04.2009, 5 Ca 2911/08<br />

253


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Ingo Graumann,<br />

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Tel.: 02371/835555, Fax: 02371/835556<br />

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305. Befristung des Arbeitsverhältnisses, Vertretung, unterschiedliche<br />

Eingruppierung von Vertreter <strong>und</strong> Vertretenen<br />

II. 1. Die Voraussetzungen des Befristungsgr<strong>und</strong>es zur<br />

Vertretung eines anderen Arbeitnehmers (§ 14 Abs. 1 S. 2<br />

Nr. 3 TzBfG) liegen nicht vor. Nach der höchstrichterlichen<br />

Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts muss für den<br />

Befristungsgr<strong>und</strong> der Vertretung eine Kausalität zwischen<br />

dem Ausfall des vertretenen Arbeitnehmers <strong>und</strong> dem Einsatz<br />

des befristet zur Vertretung eingestellten Arbeitnehmers<br />

bestehen (BAG, Urt. v. 15.02.2006 – 7 AZR 232/05 –, NZA<br />

2006, S. 781 ff.).<br />

Dabei unterscheidet das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht drei Varianten<br />

des Kausalzusammenhangs. Die erste Variante des Kausalzusammenhangs<br />

liegt vor, wenn es sich um den Fall einer unmittelbaren<br />

Vertretung handelt, wenn also der Vertreter mit<br />

Aufgaben betraut worden ist, die zuvor dem vorübergehend<br />

abwesenden Arbeitnehmer übertragen waren.<br />

In einer zweiten Variante wird der Kausalzusammenhang auch<br />

dann angenommen, wenn die Tätigkeit des zeitweise ausgefallenen<br />

Arbeitnehmers nicht von dem Vertreter, sondern<br />

einem anderen Arbeitnehmer oder mehreren anderen Arbeitnehmern<br />

ausgeübt wird, die dann ihrerseits von dem befristet<br />

eingestellten Arbeitnehmer vertreten werden.<br />

Der dritten Variante hält das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht schließlich<br />

den Kausalzusammenhang auch dann für gegeben, wenn<br />

der Arbeitgeber den Vertretungsfall zum Anlass einer Umorganisation<br />

nimmt <strong>und</strong> dem Vertreter Aufgaben, die er auch<br />

einem vorübergehend abwesenden Arbeitnehmer übertragen<br />

könnte, überträgt <strong>und</strong> insoweit eine erkennbare Zuordnung<br />

der Tätigkeit des Vertreters zu einem vorübergehend abwesenden<br />

Arbeitnehmer vorgenommen hat, wobei weitere<br />

Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber die Aufgaben des<br />

Vertreters im Wege des Direktionsrechts an den Vertretenen<br />

übertragen könnte. Das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht verlangt insoweit,<br />

dass der befristet beschäftigte Arbeitnehmer Aufgaben<br />

wahrnimmt, die der Arbeitgeber einem vorübergehend<br />

abwesenden Arbeitnehmer bei dessen unveränderter Weiterarbeit<br />

oder nach seiner Rückkehr tatsächlich <strong>und</strong> rechtlich<br />

übertragen könnte (BAG, Urt. v. 15.02.2006 – 7 AZR 232/05<br />

–, NZA 2006, S. 781, dort Leitsatz 3, Rz 17). Die Begründung<br />

hierfür liegt im Organisationsrecht des Arbeitgebers. Er ist<br />

bei dem zeitweisen Ausfall eines Mitarbeiters frei darin, die<br />

Arbeitsaufgaben neu zu verteilen. Der für diesen Sachgr<strong>und</strong><br />

der Vertretung notwendige Kausalzusammenhang besteht,<br />

wenn der Vertreter mit Aufgaben betraut wird, die von<br />

dem Vertretenen ausgeübt werden könnten (BAG, Urt. v.<br />

254 03/09<br />

18.04.2007 – 7 AZR 255/06 –, AP-Nr. 2 zu § 14 TzBfG Vertretung).<br />

2. Unter Anwendung dieser Gr<strong>und</strong>sätze ist im vorliegenden<br />

Fall festzustellen, dass der notwendige Kausalzusammenhang<br />

nicht gegeben ist. Zwar ist die gedankliche Zuordnung durch<br />

die Festlegung in § 1 des Arbeitsvertrages, dass Befristungsgr<strong>und</strong><br />

die Vertretung von Frau X sei, hergestellt. Es mangelt<br />

jedoch, wie das Arbeitsgericht mit Recht festgestellt hat, an<br />

der weiteren vom B<strong>und</strong>esarbeitsgericht verlangten Voraussetzung,<br />

dass der vertretenen Arbeitnehmerin, Frau X, bei ihrer<br />

Rückkehr im Wege des Direktionsrechts die Aufgaben übertragen<br />

werden könnten, die die Klägerin ausgeübt hat.<br />

a) Grenze des Direktionsrechts ist die jeweilige tarifliche Vergütungsgruppe.<br />

Die Zuweisung von Tätigkeiten einer anderen<br />

tariflichen Wertigkeit bedarf einer Vertragsänderung (BAG,<br />

Urt. v. 30.08.1995 – 1 AZR 47/05 –, NZA 1996, S. 440). Sowohl<br />

die Zuweisung von geringerwertigen Tätigkeiten als auch die<br />

dauerhafte Zuweisung von höherwertigen Tätigkeiten setzt<br />

eine Vertragsänderung voraus. Hierzu ist festzustellen, dass<br />

die Regierungsbeschäftigte X zuletzt als Kanzleikraft beschäftigt<br />

war <strong>und</strong> tarifgerecht in Vergütungsgruppe VII BAT eingruppiert<br />

war. Demgegenüber war die Klägerin als Geschäftsstellenverwalterin<br />

einer Serviceeinheit in Vergütungsgruppe<br />

Vc BAT eingruppiert <strong>und</strong> stieg durch den Bewährungsaufstieg<br />

in Vergütungsgruppe Vb auf. Die tarifliche Basis für die Eingruppierung<br />

der Klägerin in die Vergütungsgruppe Vc BAT<br />

besteht, worauf das Arbeitsgericht bereits hingewiesen hat,<br />

darin, dass sich die Tätigkeit aufgr<strong>und</strong> ihrer Schwierigkeit aus<br />

der Vergütungsgruppe VI b BAT heraushebt. Dieses Heraushebungsmerkmal<br />

der Schwierigkeit hat bei der Regierungsangestellten<br />

X, wie aus deren Eingruppierung in die Vergütungsgruppe<br />

VII BAT ersichtlich ist, nicht vorgelegen.<br />

Nach der Überleitung in den TV-L ist die Klägerin auf der<br />

bestehenden arbeitsvertraglichen Gr<strong>und</strong>lage in die Entgeltgruppe<br />

9 eingruppiert, während die Regierungsbeschäftigte X<br />

auf der Gr<strong>und</strong>lage ihres Arbeitsvertrages nur in Entgeltgruppe<br />

5 eingruppiert ist. Arbeitsvertraglich ist diese Situation bei der<br />

Regierungsbeschäftigten X unverändert geb<strong>liebe</strong>n.<br />

Eine diesbezügliche Änderung des mit Frau X abgeschlossenen<br />

Arbeitsvertrages ist nicht erfolgt. Zwar ist unter dem<br />

Datum des 26.08.2006 mit der Regierungsbeschäftigten X eine<br />

Abänderung ihres Arbeitsvertrages vereinbart worden (BI. 57<br />

d. A.). Gegenstand dieses Abänderungsvertrages ist aber lediglich,<br />

dass die Justizangestellte X auf unbestimmte Zeit<br />

weiterbeschäftigt wird. Änderungen hinsichtlich der auszuübenden<br />

Tätigkeit <strong>und</strong> der maßgebenden Vergütungsgruppe<br />

enthält der Abänderungsvertrag hingegen nicht. Ausgehend<br />

von den jeweiligen arbeitsvertraglichen Gr<strong>und</strong>lagen war für<br />

die Regierungsbeschäftigte X über den Befristungsablauf am<br />

31.12.2007 hinaus die Entgeltgruppe 5 TV-L maßgebend, während<br />

für die Klägerin die Entgeltgruppe 9 TV-L galt.<br />

b) Die Maßgeblichkeit der tariflichen Entgeltgruppen für die<br />

Begrenzung des Direktionsrechts folgt aus der Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts. So hat das B<strong>und</strong>esarbeits-


gericht in der Entscheidung vom 18.04.2007 (7 AZR 255/06,<br />

AP-Nr. 2 zu § 14 TzBfG Vertretung, dort Rz 25) den ursächlichen<br />

Zusammenhang zwischen dem zeitweiligen Ausfall<br />

<strong>und</strong> der befristeten Einstellung daraus geschlossen, dass die<br />

dortige Klägerin als Kanzleikraft in Verwaltungssachen mit<br />

Tätigkeiten der Vergütungsgruppe VII BAT beschäftigt war<br />

<strong>und</strong> die von ihr vertretene Justizangestellte ebenfalls als<br />

Kanzleikraft in Verwaltungssachen mit der Vergütungsgruppe<br />

VII BAT beschäftigt war.<br />

In der Entscheidung vom 15.02.2006 (7 AZR 232/05 NZA<br />

2006, S. 781, dort Rz 22 f.) hat es das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht für<br />

unschädlich gehalten, wenn der vertretenen Arbeitnehmerin<br />

einzelne geringerwertige Arbeitsvorgänge zugewiesen worden<br />

wären, solange die Zuweisung nicht den überwiegenden<br />

Teil der Tätigkeiten <strong>und</strong> damit die tarifliche Eingruppierung<br />

in Frage gestellt hätten.<br />

Aus allem folgt, dass das beklagte Land nicht die Möglichkeit<br />

gehabt hätte, ohne Vertragsänderung Frau R die Tätigkeiten<br />

zuzuweisen, die die Klägerin ausgeführt hatte.<br />

c) Die dagegen gerichteten Gegenargumente der Beklagtenseite<br />

vermögen nicht zu überzeugen.<br />

Soweit sich die Beklagtenseite darauf beruft, dass die Regierungsbeschäftigte<br />

R schon vor Abschluss des letzten befristeten<br />

Vertrages im Stellenplan auf einer Vc-Stelle geführt worden<br />

ist, geht die Kammer von der Richtigkeit dieses Vortrages<br />

aus, da sich dies unmittelbar aus dem begleitenden Vermerk<br />

zur Sonderurlaubsbewilligung vom 06.07.2006 (BI. 63 d. A.)<br />

ergibt <strong>und</strong> mit einem entsprechenden Erledigungsvermerk<br />

abgezeichnet ist. Die Aufnahme an dieser Stelle in den Stellenplan<br />

führt jedoch nicht unmittelbar zu einer arbeitsvertraglichen<br />

Änderung. Dies scheitert schon daran, dass dies der Justizbeschäftigten<br />

R in keiner der Sonderurlaubsbewilligungen<br />

mitgeteilt worden ist. Es kommt hinzu, dass der Abänderungsvertrag<br />

mit der Justizangestellten R vom 26.08.2006 (BI. 57 d.<br />

A.) diesbezüglich keinerlei Änderungen enthält. Die Aufnahme<br />

in den Stellenplan begründete keine Rechtsverbindlichkeit im<br />

Arbeitsverhältnis mit der Justizangestellten R Arbeitsvertraglich<br />

wäre die Beklagtenseite an einer späteren Änderung des<br />

Stellenplans nicht gehindert gewesen.<br />

Die Kammer vermag auch nicht dem Argument der Beklagtenseite<br />

zu folgen, die Justizangestellte R wäre bei ihrer Rückkehr<br />

ebenso wie alle anderen betroffenen Kanzleikräfte mit<br />

den Aufgaben einer Geschäftsstellenverwalterin einer Serviceeinheit<br />

betraut <strong>und</strong> entsprechend höhergruppiert worden.<br />

Denn diese Absicht ist bis zum Ablauf des hier streitigen Befristungsendes<br />

nicht realisiert worden. Dabei unterstreicht der<br />

unter dem 26.08.2006 geschlossene Änderungsvertrag mit<br />

der Regierungsbeschäftigten X, dass anderweitige arbeitsvertragliche<br />

Abänderungen auch während des Sonderurlaubs getroffen<br />

wurden.<br />

Schließlich vermag die Kammer nicht dem Argument der Beklagtenseite<br />

zu folgen, dass die Justizangestellte X jedenfalls<br />

aus Gleichbehandlungsgründen einen Anspruch auf höherwertige<br />

Tätigkeiten <strong>und</strong> eine Höhergruppierung in Entgelt-<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

gruppe IX gehabt hätte. Selbst wenn man davon ausgeht,<br />

dass ein solcher Anspruch bestand <strong>und</strong> nicht erst von weiterer<br />

Eignungsbeurteilung abhing, hätte dieser erst realisiert <strong>und</strong><br />

ggf. durchgesetzt werden müssen. Die Absicht, einen solchen<br />

Anspruch erfüllen zu wollen, ersetzt jedenfalls nicht die notwendige<br />

Änderung des Arbeitsvertrages.<br />

Aus allem ergibt sich, dass die Befristung, wie vom Arbeitsgericht<br />

angenommen, bereits daran scheiterte, dass der vertretenen<br />

Arbeitnehmerin Frau X wegen der unterschiedlichen<br />

Entgeltgruppen nicht ohne arbeitsvertragliche Abänderung<br />

die Arbeiten der Klägerin hätten übertragen werden können.<br />

3. Unabhängig vom Vorstehenden würde eine Befristung auch<br />

daran scheitern, dass ein Vertretungsfall aufgr<strong>und</strong> der unstreitigen<br />

Umstände des Falles nicht gegeben ist. Denn es<br />

ist unstreitig, dass die frühere Tätigkeit der Regierungsangestellten<br />

X nach der Umstellung der Gr<strong>und</strong>buchabteilungen auf<br />

das elektronische Gr<strong>und</strong>buch in der bisherigen Form entfallen<br />

war. Damit besteht keine Basis für die Annahme, dass bei Abschluss<br />

des letzten befristeten Vertrages überhaupt noch ein<br />

Vertretungsbedarf bestand, zumal unstreitig ist, dass Zweck<br />

der Einführung des EDV-Systems in den Gr<strong>und</strong>buchabteilungen<br />

die Reduzierung des Beschäftigungsumfangs <strong>und</strong> damit<br />

der Abbau von Arbeitskräften war.<br />

Auch aus diesem Gr<strong>und</strong> konnte die Befristung keinen Bestand<br />

haben.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 26.01.2009, 5 Sa 1025/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Hans-Helmut Schaefer,<br />

Elisenstraße 28, 50667 Köln,<br />

Tel.: 0221/2570406, Fax: 0221/2570407<br />

info@thiel-schaefer.de<br />

306. Außerordentliche Kündigung, ungerechtfertigte Beschwerde,<br />

Maßregelungsverbot<br />

I. Nach § 626 Abs. I BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem<br />

Gr<strong>und</strong> ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt<br />

werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Gr<strong>und</strong> derer dem<br />

Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstande des Einzelfalles<br />

<strong>und</strong> unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile<br />

die Fortsetzung das Arbeitsverhältnisses zum Ablauf der<br />

Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des<br />

Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Ein außerordentlicher<br />

Kündigungsgr<strong>und</strong> im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB<br />

kann sowohl in der Verletzung von Hauptpflichten als auch in<br />

der Verletzung von Nebenpflichten liegen.<br />

Die vorsätzliche Herabwürdigung <strong>und</strong> Diffamierung eines<br />

Vorgesetzten durch einen Arbeitnehmer kann gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

einen geeigneten wichtigen Gr<strong>und</strong> für eine außerordentliche<br />

Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellen (vgl.<br />

BAG, Beschl. v. 10. Oktober 2002, 2 AZR 418/01, AP BGB § 626<br />

Nr. 180, DB 2003, 1797 m.w.N.). Entsprechendes gilt für bewusst<br />

wahrheitswidrig aufgestellte Tatsachenbehauptungen,<br />

etwa wenn sie den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen.<br />

255


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

Das Gr<strong>und</strong>recht der Meinungsfreiheit schützt zum einen<br />

weder Formalbeleidigungen <strong>und</strong> bloße Schmähungen noch<br />

bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen. Zum anderen<br />

ist dieses Gr<strong>und</strong>recht nicht schrankenlos gewährt, sondern<br />

wird insbesondere durch das Recht der persönlichen Ehre<br />

gemäß Artikel 5 Abs. 2 Gr<strong>und</strong>gesetz beschränkt <strong>und</strong> muss in<br />

ein ausgeglichenes Verhältnis mit diesem gebracht werden.<br />

Zwar können die Arbeitnehmer unternehmensöffentlich Kritik<br />

am Arbeitgeber <strong>und</strong> den betrieblichen Verhältnissen, gegebenenfalls<br />

auch überspitzt <strong>und</strong> polemisch, äußern. lm groben<br />

Maße unsachliche Angriffe, die u.a. zur Untergrabung der<br />

Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber<br />

dagegen nicht hinnehmen. Dabei ist die strafrechtliche<br />

Beurteilung kündigungsrechtlich nicht ausschlaggebend.<br />

Auch eine einmaliger Ehrverletzung ist kündigungsrelevant<br />

<strong>und</strong> umso schwerwiegender, je unverhältnismäßiger <strong>und</strong> je<br />

überlegter sie erfolgte (BAG; a.a.O, m.w.N.).<br />

Im Vorliegenden Fall kann dahinstehen, ob die Klägerin tatsächlich<br />

am 16. Oktober 2008 von ihrem Vorgesetzten Dr.<br />

med. H. als „halber Kanacke“ bezeichnet worden ist. Denn<br />

selbst unterstellt, dies wäre nicht der Fall gewesen, kann daraus<br />

<strong>und</strong> aus den weiteren noch auszuführenden Gesamtumständen<br />

im vorliegenden Fall nicht davon ausgegangen werden,<br />

dass die Klägerin damit im Wege der von ihr verfassten<br />

Beschwerde am 17. Oktober 2008 bewusst wahrheitswidrig<br />

eine Tatsachenbehauptung aufgestellt, damit den Tatbestand<br />

der üblen Nachrede erfüllt <strong>und</strong> damit einen wichtigen Gr<strong>und</strong><br />

im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB gesetzt hat.<br />

Nachdem die Klägerin entsprechend ihrer Behauptung am 16.<br />

Oktober 2008 wahrgenommen haben will, dass sie durch den<br />

Dr. med. H. als „halber Kanacke“ bezeichnet wurde – wobei<br />

ausdrücklich dahinstehen kann, ob eine solche Titulierung tatsachlich<br />

stattgef<strong>und</strong>en hat –, wandte sich die Klägerin mittels<br />

eines Beschwerdeformulars an die Beklagte. Sie nahm damit<br />

ein ihr zustehendes Recht aus § 13 AGG wahr. Gemäß § 13<br />

AGG haben Beschäftigte das Recht, sich bei den zuständigen<br />

Stellen des Betriebes, des Unternehmens oder der Dienststelle<br />

zu beschweren, wenn sie sich im Zusammenhang mit ihrem<br />

Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber, von Vorgesetzten,<br />

anderen Beschäftigten oder Dritten wegen eines in § 1 AGG<br />

genannten Gr<strong>und</strong>es benachteiligt fühlen.<br />

Die Klägerin wählte für ihre zu diesem Zeitpunkt aus ihrer<br />

Sicht berechtigte Beschwerde den internen Weg zur Beschwerdestelle<br />

der Beklagten. Sie wählte ausdrücklich nicht<br />

den Weg an die Öffentlichkeit, z.B. in dem sie sich an eine<br />

Zeitung oder andere öffentliche Medien wandte.<br />

Im vorliegenden Fall muss davon ausgegangen werden, dass<br />

die Beschwerde der Klägerin vom 16. Oktober 2008 die erste<br />

ist, welche die Klägerin in ihrer ca. 6-jährigen Tätigkeit<br />

bei der Beklagten verfasst hat. Es ist also nicht so, dass die<br />

Klägerin immer wieder Beschwerden verfasst hätte, welche<br />

sich nach eingehender Überprüfung durch die Beklagte als<br />

falsch herausgestellte hätten. Es kann der Klägerin nicht vorgeworfen<br />

werden, dass sie ihr Recht gemäß § 13 AGG aus-<br />

256 03/09<br />

übt <strong>und</strong> eine Beschwerde verfasst. Es kann nicht festgestellt<br />

werden, dass eine bewusst wahrheitswidrig aufgestellte Tatsachenbehauptung<br />

seitens der Klägerin vorliegt, wenn sich<br />

im Wege einer Aufklärungsmaßnahme nach einer erhobenen<br />

Beschwerde nach „Vernehmung“ des beschuldigten Vorgesetzten<br />

aus Sicht der Beklagten herausstellt, dass die erhobenen<br />

Vorwürfe falsch sind. Zumal die Klägerin auch im<br />

Kammertermin an ihrer Behauptung festgehalten hat, die Bezeichnung<br />

durch den Vorgesetzten Dr. H. als „halber Kanacke“<br />

tatsächlich wahrgenommen zu haben. Würden Beschwerden,<br />

wenn sich diese vom Inhalt her als fälsch erwiesen, immer für<br />

den Beschwerdeführer die Gefahr einer fristlosen Kündigung<br />

seinerseits auslösen, so würde das gesamte auch vom AGG<br />

vorgesehene Beschwerdeverfahren at absurdum geführt.<br />

Auch aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten hat die fristlose<br />

Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst.<br />

Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 AGG darf der Arbeitgeber<br />

Beschäftigte nicht wegen der Inanspruchnahme von Rechten<br />

nach diesem Abschnitt benachteiligen, § 16 Abs. 1 Satz 1 AGG<br />

verbietet also eine Benachteiligung von Arbeitnehmern für<br />

den Fall, dass sie eine Beschwerde gemäß § 13 AGG einreichen.<br />

Zwar hat die Beklagte gegen dieses Maßregelungsverbot<br />

durch den Ausspruch der Kündigung vom 03. November<br />

2008 nicht deswegen verstoßen, weil die Klägerin „an<br />

sich“ eine Beschwerde erhoben hat. Eine unzulässige Maßregelung<br />

in Form der ausgesprochenen Kündigung erfolgte jedoch<br />

dadurch, dass die Beklagte von einem falschen Inhalt<br />

der erhobenen Beschwerde ausging. Ob § 16 Abs. 1 Satz 1<br />

AGG Maßregelungen auch bei vermeintlich inhaltlich falschen<br />

Beschwerden auf Gr<strong>und</strong>lage des den Arbeitnehmern zustehenden<br />

Beschwerderechts gemäß § 13 AGG, gänzlich verbietet,<br />

oder ob der Arbeitgeber berechtigt wäre, gegebenenfalls<br />

eine Abmahnung auszusprechen, kann (hier) dahinstehen.<br />

Eine fristlose Kündigung jedenfalls ist aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten<br />

nicht das mildeste Mittel. Eine Unzumutbarkeit<br />

der Weiterbeschäftigung der Klägerin bis zum<br />

Ende der ordentlichen Kündigung am 31. März 2009 ist nicht<br />

ersichtlich, zumal die Klägerin nicht ausschließlich Tätigkeiten,<br />

für Dr. med. H. erbrachte, sondern auch für andere Chefärzte.<br />

II. Das Arbeitsverhältnis wird auch nicht auf Gr<strong>und</strong> der<br />

hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen, verhaltensbedingten<br />

Kündigung zum 31. März 2009 sein Ende finden. Die<br />

ordentliche Kündigung ist nicht sozial gerechtfertigt. Ein<br />

verhaltensbedingter Gr<strong>und</strong> für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

liegt nicht vor.<br />

Gemäß § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung sozial ungerechtfertigt,<br />

wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person<br />

oder dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch<br />

dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung<br />

des Arbeitnehmers in diesem Bereich entgegenstehen,<br />

bedingt ist. In Abgrenzung zu Kündigungsgründen in<br />

der Person ist unter einem kündigungsrelevanten Verhalten<br />

eine solche Handlungsweise zu sehen, die dem Arbeitnehmer<br />

vorwerfbar, d. h. von ihm steuerbar ist. Anders als bei der


personenbedingten Kündigung setzt eine verhaltensbedingte<br />

Kündigung voraus, dass dem Arbeitnehmer vorgeworfen werden<br />

kann, er hätte sich auch anders verhalten können (Erfurter<br />

Kommentar/Oetker, 8. Auflage 2008, § 1 KSchG, Rn 188<br />

m.w.N.).<br />

Im vorliegenden Fall sind solche verhaltensbedingten Gründe,<br />

die die Kündigung der Klägerin sozial rechtfertigen könnten,<br />

nicht ersichtlich. Diesbezüglich wird zunächst auf die obigen<br />

Ausführungen unter I. verwiesen. Eine vorsätzliche Herabsetzung<br />

<strong>und</strong> Diffamierung des Dr. med. H. wurde durch die Ausführungen<br />

der Klägerin in ihrem Beschwerdeschreiben vom<br />

17. Oktober 2008 nicht begangen.<br />

Jedenfalls aber muss im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung<br />

festgehalten werden, dass nach Abwägung aller Umstände<br />

die ausgesprochene Kündigung nicht das mildeste<br />

Mittel war. Zu Gunsten der Klägerin ist dabei zu berücksichtigen,<br />

dass sie seit sechs Jahren bei der Beklagten beschäftigt<br />

ist <strong>und</strong> bislang nicht abgemahnt wurde. Sie ist geschieden<br />

<strong>und</strong> alleinerziehende Mutter eines Kindes. Schließlich hat sie<br />

mit Verfassung der Beschwerde ihr Recht aus § 13 AGG wahrgenommen.<br />

Zu Gunsten der Beklagten ist festzuhalten, dass<br />

eine vorsätzliche Herabwürdigung von Vorgesetzten gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

nicht geduldet werden muss. Hat eine solche Herabwürdigung<br />

– wobei erneut ausdrücklich offen bleiben kann,<br />

ob die Vorwürfe der Klägerin gegenüber Dr. med. H. haltlos<br />

sind –, seine Ursache in einer Beschwerde gemäß § 13 AGG,<br />

so kann diese (eventuell falsche) Beschwerde nicht zu einer<br />

sofortigen Kündigung, der Klägerin führen. Vielmehr ist hier<br />

vom Erfordernis einer vorherigen Abmahnung auszugehen,<br />

zumal es sich im vorliegenden Fall um eine erstmalige etwaige<br />

falsche Beschwerde der Klägerin gehandelt hätte.<br />

■ Arbeitsgericht Kassel<br />

vom 11.02.2009, 8 Ca 424/08<br />

eingereicht von Rechtsanwältin Jacqueline Greinert,<br />

Querallee 38, D-34119 Kassel<br />

Tel.: 0561/6028580, Fax: 0561/60285818<br />

info@jgreinert.de<br />

307. Befristung des Arbeitsverhältnisses, Sachgr<strong>und</strong>, Vertretung<br />

1. Eine Befristung ist auch dann nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3<br />

TzBfG sachlich gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber dem Vertreter<br />

Aufgaben zuweist, die zwar der Vertretene bis zu seinem<br />

Ausfall nicht verrichtet hat, die er aber aufgr<strong>und</strong> des<br />

Arbeitsvertrages des Vertretenen nach dessen Rückkehr zuweisen<br />

könnte (Anschluss an BAG, Urteil vom 15.2.2006 – 7<br />

AZR 232/06 – <strong>und</strong> 18.4.2007 – 7 AZR 255/06).<br />

2. Durch diese Zuordnung wird der den Arbeitnehmern<br />

nach Art. 12 Abs. 1 GG zu gewährende Mindestbestandsschutz<br />

gewahrt <strong>und</strong> auch dem Gebot zur Verhinderung<br />

des Missbrauchs durch aufeinander folgende befristete<br />

Arbeitsverträge nach der Richtlinie 1999/70/EG des Rates<br />

vom 28. Juni 1999 zur Durchführung der EGB-UNICE-CEEP-<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge genügt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 26.11.2008, 9 Sa 846/08<br />

308. Verdachtskündigung, Anforderungen, Diebstahl<br />

II. b) ... cc) Vorliegend fehlt es jedoch zumindest nach dem<br />

zweitinstanzlichen Freispruch des Beteiligten zu 3) an einem<br />

dringenden Verdacht strafbarer Handlungen zum Nachteil der<br />

Arbeitgeberin.<br />

1) Allerdings ist der dringende Verdacht einer Straftat zu<br />

Lasten des Arbeitgebers an sich geeignet, einen wichtigen<br />

Gr<strong>und</strong> für die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses<br />

abzugeben. Eine Verdachtskündigung kommt aber<br />

nur in Betracht, wenn dringende, auf objektive Tatsachen<br />

beruhende schwerwiegende Verdachtsmomente vorliegen<br />

<strong>und</strong> diese geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses<br />

erforderliche Vertrauen bei einem verständigen<br />

<strong>und</strong> gerecht abwägenden Arbeitgeber zu zerstören.<br />

Der Arbeitgeber muss alle zumutbaren Anstrengungen zur<br />

Aufklärung des Sachverhalts unternehmen <strong>und</strong> dem Arbeitnehmer<br />

Gelegenheit zur Stellungnahme geben (BAG, Beschl.<br />

v. 4.6.1964 – 2 AZR 310/63 – BAGE 16, 72 = AP BGB § 626<br />

Verdacht strafbarer Handlung Nr. 13 = EzA BGB § 626 Nr. 5;<br />

Beschl. v. 10.2.2005 – 2 AZR 189/04 – AP KSchG 1969 § 1<br />

Nr. 79 = EM KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 3; Beschl. v.<br />

29.11.2007 – 2 AZR 724/06 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer<br />

Handlung Nr. 40 = EM BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer<br />

Handlung Nr. 5). Dabei sind an die Darlegung <strong>und</strong> Qualität<br />

der schwerwiegenden Verdachtsmomente besonders strenge<br />

Anforderungen zu stellen, weil bei einer Verdachtskündigung<br />

immer die Gefahr besteht, dass ein Arbeitnehmer betroffen<br />

ist, der die Tat nicht begangen hat (BAG, Beschl. v. 4.6.1964 –<br />

2 AZR 310/63 – a.a.O.; zuletzt Beschl. v. 29.11.2007 –2AZR<br />

724/06 – a.a.O.).<br />

Der schwerwiegende Verdacht muss objektiv durch Tatsachen<br />

begründet sein. Er muss ferner dringend sein, das heißt,<br />

bei einer kritischen Prüfung muss eine auf Beweisanzeichen<br />

(Indizien) gestützte große Wahrscheinlichkeit für die<br />

erhebliche Pflichtverletzung gerade dieses Arbeitnehmers<br />

bestehen (BAG, Beschl. v. 29.11.2007 – 2 AZR 724/06 – a.a.O.<br />

m.w.N.). Bloße auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen<br />

gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur<br />

Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (BAG,<br />

Beschl. v. 10.2.2005 – 2 AZR 189/04 – AP KSchG 1969 § 1<br />

Nr. 79 = EM KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 3). Schließlich<br />

muss der Arbeitgeber alles ihm Zumutbare zur Aufklärung<br />

des Sachverhalts getan haben (BAG, Beschl. v. 4. Juni 1964<br />

’- 2 AZR 310/63 – a.a.O. <strong>und</strong> v. 29.11.2007 – 2 AZR 724/06 –<br />

a.a.O.).<br />

Der Verdacht kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung<br />

in der Tatsacheninstanz rückwirkend durch Be<strong>und</strong><br />

Entlastungstatsachen ausgeräumt oder verstärkt werden<br />

257


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

(ErfK/Müller-Glöge, 9. Aufl. 2009, § 626 BGB Rz 182). Der<br />

Arbeitgeber kann Kündigungsgründe, die ihm nach Einleitung<br />

des Zustimmungsersetzungsverfahrens bekannt werden, in<br />

das Verfahren einführen, wenn er sie vorher dem Betriebsrat<br />

mitgeteilt <strong>und</strong> ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben<br />

hat (BAG, Beschl. v. 16.9.1999 – 2 ABR 68/98 – BAGE 92, 289 =<br />

AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 38 = EzA BetrVG 1972 § 103 Nr. 40;<br />

ErfK/Kania, 9. Aufl. 2009, § 103 BetrVG Rz 14; KR/Fischermeier,<br />

8. Aufl., § 626 BGB Rz 216).<br />

2) Bei Anlegung dieses Maßstabes besteht ein dringender Tatverdacht<br />

gegen den Beteiligten zu 3) nicht. Dabei kann dahingestellt<br />

bleiben, ob die strafgerichtliche Verurteilung des Beteiligten<br />

zu 3) seinerzeit ausreichte, um einen dringenden Tatverdacht<br />

zu rechtfertigen. Zwischen den Beteiligten ist außer<br />

Streit, dass der Beteiligte zu 3) inzwischen durch das Landgericht<br />

A-Stadt auf seine Berufung vom Vorwurf des Diebstahls<br />

freigesprochen wurde. Der gleichwohl verbleibende Tatverdacht<br />

ist jedenfalls nicht dringend <strong>und</strong> vermag daher eine<br />

Verdachtskündigung nicht zu stützen.<br />

a) Wird ein Verdächtiger im Strafverfahren wegen mangelnder<br />

Beweise freigesprochen, ist dem Arbeitgeber zwar nicht<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich die Möglichkeit abgeschnitten, gleichwohl<br />

wegen Verdachts wirksam zu kündigen. Da der Freispruch<br />

mangels Beweises den Verdacht gegen den Arbeitnehmer<br />

jedoch entkräften kann, ist in diesem Falle besonders sorgfältig<br />

zu prüfen, ob die Dringlichkeit des Verdachts <strong>und</strong><br />

die Erschütterung des Vertrauens des Arbeitgebers noch<br />

ausreichen, um eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen<br />

(LAG Hamm 19.10.2007 – 10 Sa 813/07 – nv).<br />

b) Es verbleibt der von der Arbeitgeberin vorgetragene Umstand,<br />

der Beteiligte zu 3) sei in drei Fällen auf Videoaufnahmen<br />

zu sehen, wie er Gegenstände aus dem Lager genommen<br />

habe, deren Unauffindbarkeit nicht anders als durch Diebstahl<br />

oder Unterschlagung zu erklären sei. Dies kann einen dringenden<br />

Tatverdacht auch dann nicht begründen, wenn man<br />

zugunsten der Arbeitgeberin davon ausgeht dass der Beteiligte<br />

zu 3), was er bestreitet, dieselben Teile entnahm, deren<br />

Verbleib sich später nicht klären ließ. Die Materialentnahme<br />

durch Monteure stellt als solche keinen betriebsunüblichen<br />

Vorgang dar; dies ist zwischen den Beteiligten außer Streit. Für<br />

den späteren Verbleib der Gegenstände bestehen mehrere<br />

Erklärungsmöglichkeiten. So könnten sie vom Beteiligten zu<br />

3) ins Lager oder auf den zugehörigen Tresen zurückgelegt<br />

<strong>und</strong> entweder unerkannt dort verb<strong>liebe</strong>n oder von befugten<br />

oder unbefugten Dritten wieder fortgenommen worden<br />

sein. Auch lässt der Vortrag der Arbeitgeberin nicht erkennen,<br />

weshalb ein Verbauen der Teile durch den Beteiligten zu 3)<br />

oder andere Arbeitnehmer mit Sicherheit auszuschließen ist.<br />

Zwar ist ein Verdacht gegen den Beteiligten zu 3) damit nicht<br />

völlig ausgeräumt. Es handelt sich jedoch nicht um einen zur<br />

Kündigung erforderlichen dringenden Verdacht.<br />

c) Die Arbeitgeberin kann eine außerordentliche Kündigung<br />

auch nicht mit Erfolg auf die von ihr behaupteten Manipulationen<br />

von Arbeitswerten durch den Beteiligten zu 3) stützen.<br />

258 03/09<br />

aa) Es besteht nicht der dringende Verdacht, dass der Beteiligte<br />

zu 3) wissentlich <strong>und</strong> willentlich zum Schaden der Arbeitgeberin<br />

Manipulationen an den Arbeitswerten vornahm,<br />

um zu erreichen, dass die K<strong>und</strong>en weniger als an sich geschuldet<br />

an Werklohn zahlten. Dies hat das Arbeitsgericht mit<br />

zutreffender Begründung erkannt. Zwischen den Beteiligten<br />

ist außer Streit, dass die vom Datenverarbeitungssystem vorgegebenen<br />

Arbeitswerte nicht ausnahmslos gelten, sondern<br />

in begründeten Fällen zu korrigieren sind. Der Beteiligte zu<br />

3) hat zu allen Abrechnungen Erklärungen abgegeben, aus<br />

denen sich ein sachlicher Gr<strong>und</strong> für die Herabsetzung der<br />

Arbeitswerte nachvollziehen lässt. Teilweise hat er darüber<br />

hinaus unwidersprochen vorgetragen, dass er die Genehmigung<br />

durch seinen Vorgesetzten eingeholt hatte. Dies hat das<br />

Arbeitsgericht zutreffend erkannt <strong>und</strong> gewürdigt.<br />

Die Tatsache, dass der Beteiligte zu 3) mit den Eigentümern<br />

der betreffenden Fahrzeuge in privatem Kontakt stand, ändert<br />

an dem gef<strong>und</strong>enen Ergebnis nichts. Es mag zutreffen,<br />

dass dieser Umstand die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass der<br />

Beteiligte zu 3) bei der Verringerung der Arbeitswerte nicht<br />

ausschließlich die Interessen der Arbeitgeberin verfolgte. Von<br />

einem dringenden Verdacht der Untreue oder anderer Straftaten<br />

zu Lasten der Arbeitgeberin kann gleichwohl nicht gesprochen<br />

werden. Die Gesamtschau führt nicht, wie dies erforderlich<br />

wäre, zu schwerwiegenden Verdachtsmomenten gegen<br />

den Beteiligten zu 3), die eine große Wahrscheinlichkeit<br />

von strafbaren Handlungen nahe legten.<br />

bb) Soweit die Arbeitgeberin die Kündigung darauf stützen<br />

möchte, dass der Beteiligte zu 3) jedenfalls eigenmächtig gehandelt<br />

habe, als er die Reduzierung der Arbeitswerte vornahm,<br />

kann dies keinen Erfolg haben. Das Gericht kann dabei<br />

dahingestellt bleiben lassen, ob der Beteiligte zu 3) seine<br />

vertraglichen Pflichten verletzte oder ob er, wie er vorträgt,<br />

als stellvertretender Teamleiter zu den Änderungen berechtigt<br />

war. Jedenfalls lag nach der gebotenen (§ 103 Abs. 2<br />

BetrVG) Abwägung aller Umstände des Einzelfalls kein wichtiger<br />

Gr<strong>und</strong> vor, ohne einschlägige Abmahnung das seit 1983<br />

bestehende Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen. Der Beteiligte<br />

zu 3) hatte zwar zwei Abmahnungen erhalten; die erste<br />

hat die Arbeitgeberin aber zurückgenommen, <strong>und</strong> die zweite<br />

bezieht sich auf das fehlerhafte Ausführen von Reparaturen.<br />

Die Verletzung einer Pflicht, Änderungen an Rechnungen<br />

durch Vorgesetzte überprüfen oder abzeichnen zu lassen, ist<br />

mit dem abgemahnten Vorwurf nicht vergleichbar. Der Vorwurf,<br />

der der Abmahnung zugr<strong>und</strong>e liegt, entstammt einem<br />

anderen Pflichtenkreis <strong>und</strong> ist daher nicht einschlägig.<br />

d) Soweit die Arbeitgeberin die Kündigung darauf stützt,<br />

der Beteiligte zu 3) sei einer ungenehmigten Nebentätigkeit<br />

nachgegangen, wäre dies gleichfalls nicht geeignet, vorliegend<br />

eine außerordentliche Kündigung eines derart langen<br />

Arbeitsverhältnisses zu begründen. Die Ausübung einer Nebentätigkeit<br />

außerhalb der Arbeitszeit ist gr<strong>und</strong>sätzlich erlaubt<br />

(ErfK/Müller-Glöge, 9. Aufl. 2009, § 626 BGB Rz 118).<br />

Will ein Arbeitgeber eine Nebentätigkeit zum Anlass für eine


außerordentliche Kündigung nehmen, so müssen besondere<br />

Umstände hinzutreten, etwa Wettbewerbshandlungen oder<br />

die Ausübung während der Arbeitszeit.<br />

aa) Solche besonderen Umstände, die eine außerordentliche<br />

Kündigung ohne einschlägige Abmahnung rechtfertigen,<br />

sind hier nicht ersichtlich. Die Arbeitgeberin hat nicht vorgetragen<br />

ist, in welchem Umfang der Beteiligte zu 3) der<br />

Nebentätigkeit nachgegangen sein soll. Damit bleibt offen,<br />

inwieweit die betrieblichen Interessen der Arbeitgeberin beeinträchtigt<br />

gewesen sein könnten. Der bloße Umstand, dass<br />

es sich um eine Tätigkeit als Türsteher vor „Etablissements“ im<br />

Bereich des Steintor-Viertels in A-Stadt gehandelt haben soll,<br />

ist jedenfalls nicht geeignet, ohne weiteres eine so schwerwiegende<br />

Beeinträchtigung der Interessen der Arbeitgeberin<br />

zu begründen, dass eine Kündigung ohne Einhaltung der<br />

Kündigungsfrist <strong>und</strong> ohne einschlägige Abmahnung geboten<br />

wäre. Die Arbeitgeberin trägt selbst nicht vor, dass gerade die<br />

Eigenart der behaupteten Nebentätigkeit sie zum Ausspruch<br />

einer fristlosen Kündigung veranlasse.<br />

bb) Der Umstand, dass der Beteiligte zu 3) gemäß Ziff. 7. des<br />

Arbeitsvertrages gehalten war, der Arbeitgeberin die Nebentätigkeit<br />

mitzuteilen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die<br />

fristlose Kündigung eines fast 25-jährigen Arbeitsverhältnisses<br />

ohne vorangegangene einschlägige Abmahnung wegen der<br />

Verletzung dieser Nebenpflicht wäre offensichtlich unverhältnismäßig.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 20.03.2009, 10 TaBV 71/08<br />

309. Betriebsbedingte Kündigung, Willkürüberprüfung,<br />

Auflösungsantrag<br />

1. ... a. Gemäß § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung dann<br />

sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe, die in der Person<br />

oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen oder durch<br />

dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung<br />

des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen,<br />

bedingt ist.<br />

Die Beklagte hat betriebsbedingte Gründe zur Rechtfertigung<br />

der Kündigung vorgetragen. Im Rechtsstreit über die<br />

Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung im Sinne<br />

von § 1 Abs. 2 KSchG hat das Gericht voll nachzuprüfen,<br />

ob die vom Arbeitgeber behaupteten inner- oder außerbetrieblichen<br />

Gründe für die Kündigung vorliegen <strong>und</strong> ob<br />

sie sich im betrieblichen Bereich dahin auswirken, dass für<br />

die Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers<br />

kein Bedürfnis mehr besteht. Inner- oder außerbetriebliche<br />

Umstände begründen nur dann ein dringendes betriebliches<br />

Erfordernis, wenn sie sich konkret auf die Einsatzmöglichkeit<br />

des gekündigten Arbeitnehmers auswirken. Diese Voraussetzung<br />

ist nicht nur dann erfüllt, wenn die veränderten<br />

betrieblichen Verhältnisse zum Wegfall eines bestimmten<br />

Arbeitsplatzes führen. Es genügt vielmehr, wenn aufgr<strong>und</strong><br />

der außer- oder innerbetrieblichen Gründe das Bedürfnis<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

für die Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers<br />

entfallen ist (BAG, Beschl. vom 30.5.1985 in EZA § 1 KSchG<br />

betriebsbedingte Kündigung Nr. 36).<br />

Unter innerbetrieblichen Faktoren sind alle betrieblichen<br />

Maßnahmen auf technischem, organisatorischem oder wirtschaftlichem<br />

Gebiet zu verstehen, durch die der Arbeitgeber<br />

eine Entscheidung über die der Geschäftsführung zugr<strong>und</strong>e<br />

liegende Unternehmenspolitik im Hinblick auf den Markt<br />

oder hinsichtlich der unternehmensinternen Organisation des<br />

Betriebs <strong>und</strong> der Produktion verwirklicht. Zum Entscheidungsspielraum<br />

des Arbeitgebers gehört die Befugnis, die Zahl der<br />

Arbeitskräfte zu bestimmen, mit denen eine Arbeitsaufgabe<br />

erledigt werden soll (BAG in AP 102 zu § 1 KSchG 1969 betriebsbedingte<br />

Kündigung). Allerdings hat der Arbeitgeber im<br />

Kündigungsschutzprozess seine Unternehmensentscheidung,<br />

den Personalbestand auf Dauer zu reduzieren, hinsichtlich<br />

ihrer organisatorischen Durchführbarkeit zu verdeutlichen,<br />

damit das Gericht unter anderem prüfen kann, ob die<br />

getroffene Entscheidung nicht offensichtlich unsachlich,<br />

unvernünftig oder willkürlich ist (BAG in AP 111 zu § 1 KSchG<br />

1969 betriebsbedingte Kündigung).<br />

Die Beklagte hat nun dargetan, ein Bedarf für mehr als 1,9<br />

Stellen in der Personalabteilung bestehe dauerhaft nicht. Die<br />

diesbezüglich getroffene unternehmerische Entscheidung sei<br />

auch bereits umgesetzt worden. Den entsprechenden Vortrag<br />

der Beklagten hat die Klägerin bestritten <strong>und</strong> ausgeführt, die<br />

behauptete Reduzierung des Personalbestands in der Personalabteilung<br />

auf Dauer sei nicht hinreichend konkret dargetan.<br />

Überdies hätten in der Personalabteilung bis 31.12.2007<br />

knapp 4 Mitarbeiter zur Verfügung gestanden <strong>und</strong> einer Auszubildenden<br />

gegenüber sei auch zum Ausdruck gebracht worden,<br />

dass diese nach ihrer Ausbildung im Bereich Personal<br />

eingesetzt werden könne, sofern nur erst das Arbeitsverhältnis<br />

mit der Klägerin rechtswirksam beendet werden könne.<br />

Die Beklagte hat unter Berücksichtigung der Einlassungen der<br />

Klägerin die Umsetzung der von der Beklagten behaupteten<br />

unternehmerischen Entscheidung dahingehend, dass in der<br />

Personalabteilung ab dem Jahr 2008 auf Dauer entsprechend<br />

dem Arbeitsvolumen lediglich 1,9 Stellen zum Einsatz kommen,<br />

nicht hinreichend dargetan.<br />

Seitens des Gerichts wird nun nicht verkannt, dass die Beklagte<br />

(siehe insbesondere die Darlegungen im Schriftsatz<br />

vom 23.05.2008 Bl. 216 bis 218d. A) Ausführungen zum Tätigkeitsbereich<br />

sowie zum Arbeitsvolumen bezüglich der im<br />

Personalbereich verbleibenden Mitarbeiterinnen M. (Arbeitszeitdeputat<br />

50 St<strong>und</strong>en im Monat), L. (Arbeitszeitdeputat 100<br />

St<strong>und</strong>en im Monat) <strong>und</strong> W. (Arbeitszeitdeputat 167 St<strong>und</strong>en<br />

im Monat) gemacht hat. Die entsprechenden Darlegungen zu<br />

den in der Personalabteilung anfallenden Tätigkeiten reichen<br />

aber nicht aus. Weitergehend wäre vielmehr darzustellen gewesen,<br />

welche konkreten Arbeitsvorgänge an einzelnen exemplarisch<br />

vorzutragenden Arbeitstagen nach der behaupteten<br />

Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung erledigt<br />

wurden bzw. im Personalbereich zur Erledigung anfielen.<br />

259


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

b. Der Arbeitgeber hat nämlich, wie bereits dargetan, im Kündigungsschutzprozess<br />

eine getroffene unternehmerische Entscheidung<br />

so zu verdeutlichen <strong>und</strong> zu konkretisieren, dass das<br />

Gericht eine dahingehende Überprüfung vornehmen kann,<br />

ob die getroffene Entscheidung nicht offensichtlich willkürlich<br />

ist. Dies erfordert aber im zur Entscheidung stehenden<br />

Fall eine Konkretisierung des Vortrags anhand der Darstellung<br />

konkret erledigter bzw. anfallender Arbeitsvorgänge. Die Beklagte<br />

als Arbeitgeber hat nicht nur darzustellen, in welchem<br />

Umfang die bisher vom Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten<br />

zukünftig im Vergleich zum bisherigen Zustand entfallen<br />

bzw. beginnend ab Januar 2008 bereits entfallen sind. Auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage seiner unternehmerischen Vorgaben muss er konkret<br />

darstellen, wie die einzelnen anfallenden Arbeiten vom<br />

verb<strong>liebe</strong>nen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen<br />

erledigt werden (siehe zum Problemkreis etwa BAG in AP<br />

123 § 1 KSchG 1969 betriebsbedingte Kündigung). Ohne den<br />

nach obigen Ausführungen gebotenen konkreten Vortrag zu<br />

den anfallenden Arbeitsvorgängen ist aber im Ergebnis die<br />

gerichtliche Überprüfung nicht möglich, ob die behauptete<br />

Umsetzung der Unternehmensentscheidung erfolgt ist <strong>und</strong><br />

der Beschäftigungsbedarf auf Dauer entfallen ist.<br />

2. Auf den mit Schriftsatz der beklagten Partei zum 03.07.2008<br />

hilfsweise für den Fall des Unterliegens gestellten Auflösungsantrag<br />

hin war das Arbeitsverhältnis der Parteien aber antragsgemäß<br />

zum 29.02.2008 aufzulösen. Allerdings hielt das<br />

Gericht einen Abfindungsbetrag in Höhe von € 37.500,00 für<br />

angemessen, was etwa 12 Bruttomonatsvergütungen der Klägerin<br />

entspricht (ausgehend von einem Bruttomonatsgehalt<br />

von € 3.125,00).<br />

Nachdem das Gericht festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis<br />

nicht durch die seitens der Beklagten ausgesprochene ordentliche<br />

betriebsbedingte Kündigung aufgelöst worden ist,<br />

hat es nach § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG auf entsprechenden Antrag<br />

der Beklagten hin das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung<br />

einer angemessenen Abfindung aufzulösen. Es liegen nämlich<br />

hinreichend Gründe vor, die eine den Betriebszwecken<br />

dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber <strong>und</strong><br />

Arbeitnehmerin nicht erwarten lassen. Anerkannt ist, dass als<br />

Auflösungsgründe solche Umstände in Betracht kommen, die<br />

das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer sowie dessen<br />

Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Als Auflösungsgr<strong>und</strong><br />

ist auch nicht etwa ein schuldhaftes Verhalten<br />

eines Arbeitnehmers erforderlich (vgl. etwa BAG ab AP 18 zu<br />

§ 9 KSchG 1969).<br />

Die Beklagte hat in ihrem Schriftsatz vom 03.07.2008 das Vorliegen<br />

eines Auflösungsgr<strong>und</strong>s im Sinne des § 9 KSchG schlüssig<br />

dargetan. So hat sie insbesondere ausgeführt, dass sämtliche<br />

3 Mitarbeiterinnen in der Abteilung nicht bereit seien,<br />

mit der Klägerin weiterhin zusammen zu arbeiten. Dies sei<br />

bedingt durch die seitens der Klägerin erfolgten kränkenden<br />

Äußerungen insbesondere gegenüber der Personalleiterin der<br />

Beklagten sowie durch das prozessuale Verhalten der Klägerin,<br />

die u. a. schriftsätzlich vorgetragen habe, die Beklagte<br />

260 03/09<br />

habe die Kündigungsgründe „hervorgezaubert <strong>und</strong> konstruiert“.<br />

Die seitens der Beklagten vorgetragenen Auflösungsgründe<br />

sind von der Klägerin nicht bzw. nicht hinreichend bestritten<br />

worden (vgl. § 138 Abs. 2 <strong>und</strong> 3 ZPO). Festzuhalten ist vielmehr,<br />

dass die Klägerin im Kammertermin vom 08.07.2008<br />

zwar dem seitens der Beklagten – hilfsweise – gestellten Auflösungsantrag<br />

entgegengetreten ist, aber ohne weitere Begründung<br />

ausdrücklich erklärte, dass sie im Hinblick auf den<br />

mit dem Schriftsatz vom 03.07.2008 hilfsweise gestellten Auflösungsantrag<br />

„keine Gewährung eines Schriftsatzrechts beantrage“.<br />

Der rechtlichen Beurteilung ist zunächst zugr<strong>und</strong>e<br />

zu legen, dass sämtliche in der Abteilung tätigen Mitarbeiter<br />

nicht mehr mit der Klägerin weiter zusammenarbeiten wollen.<br />

Das Gericht verkennt nun nicht, dass die bloße Weigerung<br />

von Arbeitskolleginnen, mit der Klägerin zusammen zu arbeiten<br />

allein nicht geeignet ist, den Auflösungsantrag nach<br />

§ 9 Abs. 1 S. 2 KSchG zu rechtfertigen. Unter Beachtung des<br />

oben dargestellten weitergehenden Vortrags der Beklagten<br />

zu den Auflösungsgründen <strong>und</strong> Bewertung der danach gegebenen<br />

„Verursachungsanteile“ erscheint im zur Entscheidung<br />

stehenden Fall jedoch die rechtliche Beurteilung gerechtfertigt,<br />

wonach hier eine den Betriebszwecken dienliche weitere<br />

Zusammenarbeit nicht zu erwarten ist.<br />

Nach § 9 Abs. 2 KSchG ist das Arbeitsverhältnis bei einer<br />

ordentlichen Kündigung zu dem Zeitpunkt aufzulösen, zu<br />

dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte,<br />

d. h. hier zum 29.02.2008.<br />

Was die Höhe der Abfindung anbelangt (vgl. die §§ 9, 10<br />

KSchG), so ist diese vom Gericht nach pflichtgemäßem<br />

Ermessen festzusetzen (siehe hier etwa BAG in AP 68 zu<br />

§ 626 BGB). Maßgebliche Bemessungskriterien sind danach<br />

vor allem soziale Faktoren wie insbesondere das Lebensalter<br />

<strong>und</strong> die Dauer der Betriebszugehörigkeit. Ausgehend hiervon<br />

erschien eine Abfindung in der Größenordnung von etwa 12<br />

Bruttomonatsvergütungen der am 20.05.1967 geborenen <strong>und</strong><br />

seit 16.10.1995 für die Beklagte bzw. deren Rechtsvorgängerin<br />

tätigen Klägerin angemessen (vgl. auch § 10 Abs. 1 KSchG).<br />

Auch auf der Gr<strong>und</strong>lage des Sachvortrags der Beklagten<br />

kann im Übrigen nicht davon ausgegangen werden, dass<br />

bei der Klägerin ein so erhebliches Auflösungsverschulden<br />

bezüglich ihres während des Kündigungsschutzprozesses<br />

gezeigten Verhaltens vorliegt, das eine Reduzierung des<br />

Abfindungsbetrags rechtfertigen könnte.<br />

■ Arbeitsgericht Stuttgart<br />

vom 29.07.2009, 11 Ca 7943/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Jürgen Schmitt,<br />

Friedrichstraße 5, 70174 Stuttgart,<br />

Tel.: 0711/22419900, Fax: 0711/22419979<br />

kanzlei@shp-anwaltskanzlei.de


310. Außerordentliche Kündigung, Zustimmungsverfahren<br />

Integrationsamt, Alkoholabhängigkeit<br />

... 1.1. Die Entscheidung über die Zustimmung zur Kündigung<br />

von schwerbehinderten Menschen ist eine Ermessensentscheidung<br />

(dazu Kuhlmann, Behindertenrecht 2006,<br />

93/97 f., m.w.N.), die am Zweck des Sonderkündigungsschutzes<br />

ausgerichtet ist (ausführlich dazu BayVGH, Beschl. vom<br />

18.6.2008 Az. 12 BV 05.2467). Für die Zustimmung zu einer<br />

außerordentlichen Kündigung gilt nichts anderes, wenn der<br />

Kündigungsgr<strong>und</strong> – wie hier – im Zusammenhang mit der<br />

Behinderung steht (§ 91 Abs. 4 SGB IX). Das Integrationsamt<br />

hat im Rahmen der Ermessensausübung das Interesse des Arbeitgebers<br />

an der Erhaltung seiner Gestaltungsmöglichkeiten<br />

gegen das Interesse des schwerbehinderten Arbeitnehmers<br />

an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes abzuwägen (BVerwG,<br />

Beschl. vom 31.7.2007 Az. 5 B 81/06 <strong>und</strong> vom 2.7.1992,<br />

BVerwGE 90, 287/292 f.; BayVGH, Beschl. vom 16.12.2008 Az.<br />

12 ZB 07.3381). Dabei ist dem Fürsorgegedanken des Gesetzes<br />

Rechnung zu tragen, das die Nachteile schwerbehinderter<br />

Arbeitnehmer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgleichen<br />

will <strong>und</strong> dafür in Kauf nimmt, dass die Gestaltungsfreiheit des<br />

Arbeitgebers eingeengt wird. Besonders hohe Anforderungen<br />

an die Zumutbarkeit beim Arbeitgeber sind im Rahmen<br />

der Abwägung dann zu stellen, wenn die Kündigung auf<br />

Gründen beruht, die in der Behinderung selbst ihre Ursache<br />

haben. So kann der Arbeitgeber in Ausnahmefällen sogar<br />

verpflichtet sein, den schwerbehinderten Arbeitnehmer<br />

„durchzuschleppen“, während andererseits die im Interesse<br />

der Schwerbehindertenfürsorge gebotene Sicherung des<br />

Arbeitsplatzes auf jeden Fall dort ihre Grenze findet, wo eine<br />

Weiterbeschäftigung des Schwerbehinderten allen Gesetzen<br />

wirtschaftlicher Vernunft widersprechen, insbesondere dem<br />

Arbeitgeber einseitig die Lohnzahlungspflicht auferlegen<br />

würde (vgl. BVerwG, Beschl. vom 19.10.1995, BVerwGE 99,<br />

336/339).<br />

Sinn <strong>und</strong> Zweck des sozialrechtlichen Sonderkündigungsschutzes<br />

ist es nicht, eine zusätzliche, zweite Kontrolle der<br />

arbeitsrechtlichen Zulässigkeit der Kündigung zu schaffen.<br />

Die §§ 85 ff. SGB IX sollen nach ihrer Regelungskonzeption<br />

erkennbar keinen umfassenden Schutz schwerbehinderter<br />

Arbeitnehmer vor einer Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses<br />

bieten (BVerwG, Beschl. vom 11.5.2006 Behindertenrecht<br />

2007, 107 <strong>und</strong> vom 11.9.1990 Buchholz 436.61 § 15 SchwbG<br />

1986 Nr. 4). Das Integrationsamt hat im Zustimmungsverfahren<br />

nach § 85 ff. SGB IX deshalb gr<strong>und</strong>sätzlich nicht zu prüfen,<br />

ob die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses des<br />

Schwerbehinderten etwa sozial gerechtfertigt im Sinn von § 1<br />

Abs. 2 KSchG ist (vgl. BVerwG, Beschl. vom 2.7.1992, BVerwGE<br />

90, 287/294 = DVBl 1992, 1490, Leitsatz 3). Denn diese<br />

Prüfung ist allein von den Arbeitsgerichten vorzunehmen.<br />

Ist die beabsichtigte Kündigung allerdings nach arbeitsrechtlichen<br />

Vorschriften offensichtlich unwirksam, d.h. dass die<br />

Unwirksamkeit der Kündigung „ohne jeden vernünftigen<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

Zweifel in rechtlicher <strong>und</strong> tatsächlicher Hinsicht offen zu<br />

Tage liegt, sich jedem K<strong>und</strong>igen gerade zu aufdrängt“, ist der<br />

Zustimmungsantrag abzulehnen, bzw. eine erteilte Zustimmung<br />

vom Gericht aufzuheben. Die Integrationsbehörde soll<br />

nicht an einer offensichtlich rechtswidrigen Kündigung zum<br />

Nachteil des Schwerbehinderten mitwirken (BVerwG, Beschl.<br />

vom 2.7.1992, a.a.O.; BayVGH, Beschl. vom 18.6.2008, Az. 12<br />

BV 05.2467; GK zum KSchG, Luchterhand, 5. Aufl. 1998, §§ 15<br />

bis 20 SchwbG Rn 83).<br />

Maßgeblich für die Entscheidung des Beklagten über den<br />

Widerspruch des Klägers gegen diese Zustimmungsentscheidung<br />

(zuletzt dazu BVerwG, Beschl. vom 10.11.2008, Az. 5<br />

B 79.08), <strong>und</strong> damit maßgebliche Sach- <strong>und</strong> Rechtslage für<br />

die Beurteilung eines bestehenden, gegen das Interesse des<br />

Schwerbehinderten abzuwägenden Kündigungsinteresses<br />

des Arbeitgebers, ist der der Kündigung zugr<strong>und</strong>e liegende<br />

historische Sachverhalt. Gr<strong>und</strong>sätzlich beurteilt sich die<br />

Frage, ob ein Kündigungssachverhalt vorliegt, aus dem der<br />

Arbeitgeber das seinem Antrag zugr<strong>und</strong>e liegende Kündigungsinteresse<br />

herleitet, nach dem historischen Sachverhalt,<br />

der den Kündigungsgr<strong>und</strong> bildet <strong>und</strong> bis zum Zugang der<br />

Kündigungserklärung vorliegt (vgl. BVerwG, Beschl. vom<br />

7.3.1991, ZfSH/SGB 1991, 311 = Behindertenrecht 1991,<br />

113; OVG NRW, Beschl. vom 23.1.1992 NZA 1992, 844;<br />

VGH BW, Beschl. vom 15.7.1997 Behindertenrecht 1998,<br />

75; BayVGH, Beschl. vom 20.6.2006 Az. 9 ZB 06.930 <strong>und</strong><br />

vom 31.1.2005 Az. 9 ZB 04.2740). Für diesen Zeitpunkt hat<br />

die Behörde für ihre Entscheidungsfindung all diejenigen<br />

Umstände zu berücksichtigen, die von den Beteiligten an sie<br />

herangetragen worden sind oder die sich ihr sonst hätten<br />

aufdrängen mussten. Denn nur die vom Arbeitgeber geltend<br />

gemachten Kündigungsgründe sind mit dem Schutzinteresse<br />

des behinderten Arbeitnehmers abzuwägen. Tatsachen <strong>und</strong><br />

Umstände, die erst nach diesem Zeitpunkt eingetreten<br />

sind, gehören daher nicht zu dem zugr<strong>und</strong>e zulegenden<br />

Sachverhalt. Andernfalls würde die Behörde die Zustimmung<br />

zu einer Kündigung bestätigen oder versagen, die sich auf<br />

nicht vom Arbeitgeber geltend gemachte Kündigungsgründe<br />

stützen würde (vgl. BVerwG a.a.O.).<br />

1.2 Das zugr<strong>und</strong>e gelegt, ist die Zustimmung des Integrationsamtes<br />

zur außerordentlichen Kündigung des Klägers durch<br />

die Beigeladene rechtlich nicht zu beanstanden.<br />

1.2.1 Verfahrensvorschriften wurden bei der Zustimmung<br />

nicht verletzt.<br />

a) Die Beigeladene hat die Zustimmung zur Kündigung am<br />

22. Juli 2005 <strong>und</strong> damit innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des<br />

§ 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX beantragt. Die Frist begann nach<br />

§ 91 Abs. 2 Satz 2 SGB IX mit dem Zeitpunkt, in dem die Beigeladene<br />

von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen<br />

Kenntnis erlangt hat. Insoweit kommt es auf den Zeitpunkt<br />

an, zu dem der bei der Beigeladenen Kündigungsberechtigte<br />

eine zuverlässige <strong>und</strong> möglichst vollständige Kenntnis vom<br />

Kündigungssachverhalt hatte, die ihm die Entscheidung ermöglichte,<br />

ob die Fortsetzung, des mit dem Kläger beste-<br />

261


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

henden Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (BVerwG,<br />

Beschl. vom 15.9.2005 Az. 5 B 48/05). Eine solche Kenntnis<br />

bestand frühestens seit dem 13. Juli 2005. An diesem Tag<br />

ist der Beigeladenen die ergänzende betriebsärztliche Stellungnahme<br />

vom 12. Juli 2005 zugegangen, mit der sich Dr.<br />

med. B. zu der für eine außerordentliche Kündigung des Klägers<br />

wesentliche Frage der Erfolgsaussichten einer (weiteren)<br />

Suchttherapie äußerste.<br />

b) Die Durchführung eines Präventionsverfahrens nach § 84<br />

SGB IX ist nicht Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Zustimmungsentscheidung<br />

des Integrationsamtes (BVerwG, Beschl.<br />

vom 29.8.2007 NJW 2008, 166 = Behindertenrecht 2007, 193).<br />

Der Kläger könnte hieraus auch keine Restitutionsklage begründen<br />

(vgl. BAG, Beschl. vom 8.11.2007 NJW 2008, 1757).<br />

c) Der Kläger wurde vor der Zustimmung gehört (§ 91 Abs. 1,<br />

§ 87 Abs. 2 SGB IX). Die Stellungnahme des Personalrats hat<br />

der Widerspruchsausschuss beim Integrationsamt im Widerspruchsverfahren<br />

nachgeholt; eine Schwerbehindertenvertretung<br />

bestand nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts<br />

bei der Beigeladenen im Zeitraum des Zustimmungsbzw.<br />

Widerspruchsverfahrens nicht.<br />

1.2.2 Die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des<br />

Klägers ist materiell rechtmäßig.<br />

a) Das Integrationsamt musste die Zustimmung nicht etwa<br />

deshalb verweigern, weil eine arbeitsrechtliche Unwirksamkeit<br />

der außerordentlichen Kündigung ohne jeden vernünftigen<br />

Zweifel in rechtlicher <strong>und</strong> tatsächlicher Hinsicht offen<br />

zu Tage liegt. Ein solcher Fall besteht nicht. Zwar hat das<br />

Arbeitsgericht Nürnberg mit Endurteil von 23. Februar 2006<br />

festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die<br />

schriftliche Kündigung der Beigeladenen vom 3. August<br />

2005 nicht aufgelöst worden ist <strong>und</strong> dazu unter anderem<br />

ausgeführt, die Beigeladene sei beweisfällig dafür geb<strong>liebe</strong>n,<br />

dass sie die Personalvertretung ordnungsgemäß beteiligt<br />

habe. Insoweit handelt es sich jedoch, die Richtigkeit der vom<br />

Arbeitsgericht vertretenen Auffassung unterstellt, nicht um<br />

einen offen zu Tage liegenden Mangel. Der vom Arbeitsgericht<br />

gerügte Verfahrensfehler ergibt sich nicht offenk<strong>und</strong>ig<br />

aus den von der Beigeladenen dem Integrationsamt vorgelegten<br />

Schriftstücken. Das Integrationsamt brauchte in<br />

dieser Richtung auch keine Ermittlungen anzustellen, weil<br />

es die arbeitsrechtliche Zulässigkeit der (beabsichtigten)<br />

Kündigung – wie dargelegt – nicht zu prüfen hatte.<br />

Unabhängig davon hat das Landesarbeitsgericht Nürnberg<br />

die Zwangsvollstreckung aus dem Endurteil des Arbeitsgerichts<br />

Nürnberg mit Beschluss vom 22. August 2008 einstweilen<br />

eingestellt. Es hat damit zu erkennen gegeben, dass der<br />

Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nach seiner Rechtsauffassung<br />

ungewiss ist, mithin Zweifel an der Rechtsauffassung<br />

des Arbeitsgerichts bestehen.<br />

b) Das Integrationsamt ist bei seiner Ermessensentscheidung<br />

von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen, wenn es<br />

angenommen hat, der Kläger sei nicht (mehr) in der Lage, die<br />

von ihm geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.<br />

262 03/09<br />

Die gegenteilige Auffassung des Verwaltungsgerichts lässt<br />

außer Acht, dass mit dem Änderungsvertrag lediglich die<br />

stellvertretende Betriebsleiterfunktion widerrufen, der Kläger<br />

von der Badeaufsicht entb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> in die Vergütungsgruppe<br />

VI b BAT herabgestuft wurde. Im Übrigen hat der<br />

Änderungsvertrag die geschuldete Arbeitsleistung nicht<br />

neu bestimmt. Diese richtete sich mangels ausdrücklicher<br />

Regelung im ursprünglichen Arbeitsvertrag in erster Linie<br />

nach der Ausbildung. Mithin schuldete der Kläger weiterhin<br />

die von einem Schwimmmeister an sich zu erbringenden<br />

Tätigkeiten. Tatsächlich sind dem Kläger nach Abschluss des<br />

Änderungsvertrags Aufgaben verb<strong>liebe</strong>n, die nach Art <strong>und</strong><br />

Gewicht dem Berufsbild des Schwimmmeisters noch entsprachen.<br />

Der Kläger war nach dem Entzug der Badeaufsicht<br />

selbständig <strong>und</strong> alleine für die Pflege <strong>und</strong> Wartung der technischen<br />

Anlage zuständig; daneben sind ihm die Pflege der<br />

Außenanlagen sowie Aufgaben bei der Lehrlingsausbildung<br />

verb<strong>liebe</strong>n, wie er selbst in der mündlichen Verhandlung<br />

vortrug.<br />

Die selbständige Pflege <strong>und</strong> Wartung der technischen Anlage<br />

<strong>und</strong> damit den Kern der verb<strong>liebe</strong>nen Aufgaben konnte der<br />

Kläger infolge seiner Alkoholabhängigkeit nicht mehr erbringen.<br />

Insoweit hat die Beigeladene im Antragsverfahren unter<br />

Hinweis auf die vorgelegte Stellungnahme des Betriebsarztes<br />

der AMD TÜV GmbH dargetan, dass aufgr<strong>und</strong> der Alkoholabhängigkeit<br />

des Klägers eine Alleinarbeit im Technikbereich<br />

ausscheide. Darüber hinaus hat die Beigeladene im Verwaltungsverfahren<br />

zum Anforderungsprofil für Beschäftigte im<br />

Bereich Bäderbetrieb ein Schreiben der N-Ergie Aktiengesellschaft<br />

vom 28. Januar 2005 vorgelegt. Danach sollten für die<br />

Funktion „Schwimmmeister“ mit Blick auf eine Alkoholabhängigkeit<br />

folgende Gr<strong>und</strong>sätze beachtet werden: „Kein Einsatz<br />

im Aufsichtsdienst ... , keine Arbeiten an der Chlorungsanlage<br />

... , sonstige Tätigkeiten nur unter Beaufsichtigung ... “. Diese<br />

Anforderungen sind in Hinblick auf die erhebliche Verantwortung,<br />

die ein Schwimmmeister nicht nur bei der Badeaufsicht,<br />

sondern auch im Zusammenhang mit der Betriebs- <strong>und</strong><br />

Verkehrssicherheit eines Schwimmbades für Leib <strong>und</strong> Leben<br />

der Badegäste hat, ohne Weiteres nachvollziehbar. Der Kläger<br />

hat sie weder im Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen<br />

Verfahren substantiiert in Abrede gestellt.<br />

Auch die Äußerung des Betriebsrates vom 17. Mai 2006<br />

bestätigt, dass der Kläger zu einer selbständigen Arbeitsleistung<br />

nicht mehr imstande war. Dort bezieht sich der<br />

Personalrat unter anderem auf die ihm von Vertretern des<br />

Personalamtes erläuterten Kündigungsgründe. Danach sei im<br />

Rahmen der knappen Personalausstattung die erforderliche<br />

Beaufsichtigung des Klägers nicht möglich; die für diesen<br />

Beruf unverzichtbaren Dienste in der Badeaufsicht könnten<br />

nicht dauerhaft von <strong>Kollegen</strong> übernommen werden. Der<br />

Betriebsrat hat dem in seiner Stellungnahme gegenüber dem<br />

Integrationsamt nichts entgegengesetzt <strong>und</strong> damit seine<br />

Billigung zum Ausdruck gebracht. Kann der Kläger nach<br />

allem die ihm als Schwimmmeister obliegende Arbeitsleistung


nicht mehr erbringen, ist es in diesem Zusammenhang ohne<br />

Bedeutung, ob die Arbeiten an der Chloranlage tatsächlich,<br />

wie im Rahmen der Berufungserwiderung vorgetragen,<br />

ausschließlich vom Aufsichtsdienst erledigt werden. Ebenso<br />

wenig kommt es mithin auf die vom Kläger aufgeworfene<br />

Frage nach einem Nachweis krankheitsbedingter Fehlzeiten<br />

an.<br />

c) Die Ermessensentscheidung des Integrationsamtes beruht<br />

in Hinblick auf eine etwaige Umsetzung des Klägers nicht auf<br />

einem unzureichend ermittelten Sachverhalt.<br />

Hinsichtlich der für die Abwägung bedeutsamen Umstände<br />

darf sich das Integrationsamt im Gr<strong>und</strong>satz nicht darauf beschränken,<br />

die Behauptungen der Verfahrensbeteiligten lediglich<br />

auf ihre Schlüssigkeit hin zu überprüfen. Die Behörde<br />

muss vielmehr dem Untersuchungsgr<strong>und</strong>satz (§ 20 SGB X)<br />

folgend alle Tatsachen ermitteln, die unter Berücksichtigung<br />

des Antrags auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung erforderlich<br />

sind, um die gegensätzlichen Interessen gegeneinander<br />

abzuwägen <strong>und</strong> sich von der Richtigkeit der für ihre<br />

Entscheidung wesentlichen Behauptungen der Verfahrensbeteiligten<br />

eine eigene Überzeugung zu bilden (vgl. dazu bereits<br />

ausführlich Beschluss des Senats vom 18.6.2008 Az. BV<br />

05.2467 unter Hinweis auf BVerwG, Beschl. vom 19.10.1995<br />

BVerwGE 99, 3361338 <strong>und</strong> vom 6.2.1995 Buchholz 436.61 § 15<br />

SchwbG 1985 Nr. 9). Die Behörde braucht allerdings, sofern<br />

sich ihr nicht aufgr<strong>und</strong> der Gesamtlage des Falles Bedenken<br />

aufdrängen, keine Ermittlungen zu einem Tatumstand durchzuführen,<br />

der von niemandem bestritten ist (vgl. von Wulffen,<br />

SGB X, 6. Aufl. 2008, Rn 4 zu § 20). So liegen die Dinge hier.<br />

Die Beigeladene hatte zur Begründung ihres Antrags auf Zustimmung<br />

unter anderem ausgeführt, der Kläger dürfe weder<br />

in der Aufsicht noch alleine in der Technik beschäftigt werden,<br />

was eine Weiterbeschäftigung unmöglich mache. Der Kläger<br />

hat der darin liegenden Beschränkung seines Einsatzbereiches<br />

nicht widersprochen <strong>und</strong> auch keine anderen Stellen benannt.<br />

Das Integrationsamt durfte deshalb auch mit Blick auf die<br />

spezifische Ausbildung des Klägers ohne weitere Ermittlungen<br />

davon ausgehen, dass andere geeignete Stellen, auf denen<br />

der Kläger beschäftigt werden könnte, im Zeitpunkt der Kündigung<br />

nicht vorhanden sind. Etwas anderes hat sich auch<br />

nicht im Widerspruchsverfahren ergeben. Der Kläger sprach in<br />

der Widerspruchsbegründung eine Umsetzungsmöglichkeit<br />

schon nicht an. Der Personalrat äußerte sich im Widerspruchsverfahren,<br />

ohne Gegenteiliges darzutun, dahin, das Personalamt<br />

habe ihm erläutert, dass eine Umsetzung des Klägers in<br />

einen anderen Bereich mangels offener Stellen nicht möglich<br />

gewesen sei.<br />

d) Zu Unrecht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen,<br />

das Integrationsamt habe im Hinblick auf Umsetzungsmöglichkeiten<br />

das ihm eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt.<br />

Das Verwaltungsgericht hat nicht hinreichend gewürdigt, dass<br />

die Beigeladene in ihrem Antrag auf Zustimmung, wie bereits<br />

dargelegt, ausgeführt hat, nach Mitteilung des Betriebsarztes<br />

dürfe der Kläger weder in der Aufsicht noch alleine in<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

der Technik eingesetzt werden, was eine Weiterbeschäftigung<br />

unmöglich mache. Der Kläger hat das, wie ebenfalls bereits<br />

dargelegt, nicht in Abrede gestellt <strong>und</strong> keinen Arbeitsplatz benannt,<br />

auf den er umgesetzt werden könnte. Stattdessen hat<br />

er im Ausgangs- <strong>und</strong> im Widerspruchsverfahren im Kern lediglich<br />

eingewendet, ein Fehlverhalten seinerseits sei anhand der<br />

dem Integrationsamt übermittelten Unterlagen nicht eindeutig<br />

belegbar; eine negative Zukunftsprognose verbiete sich,<br />

weil er bislang noch keine vollständige Therapiekette durchlaufen<br />

habe. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> ist davon auszugehen,<br />

dass sich das Integrationsamt darauf beschränkt hat, seine<br />

ermessensleitenden Erwägungen in dem Bescheid nur insoweit<br />

darzulegen, als es durch die Einwendungen des Klägers<br />

veranlasst war. Dafür spricht auch, dass der Ausgangsbescheid<br />

unter Nr. I. (tatsächliche Gründe) ausdrücklich darauf verweist,<br />

dass der Kläger nach den Ausführungen der Beigeladenen<br />

weder in der Badeaufsicht noch alleine im Technikbereich<br />

eingesetzt werden könne. Zudem bezieht sich das Integrationsamt<br />

im Rahmen seiner Ermessensabwägung auch auf<br />

die Stellungnahmen des Betriebsarztes. Das geschieht zwar<br />

ausdrücklich nur mit Blick auf die vom Arzt ausgesprochene<br />

negative Zukunftsprognose, ist aber ebenfalls ein Hinweis darauf,<br />

dass das Integrationsamt die Frage der Umsetzung im<br />

Rahmen der Ermessensabwägung berücksichtigt hat.<br />

e) Die angefochtene Zustimmung ist auch nicht etwa deshalb<br />

ermessensfehlerhaft, weil das Integrationsamt bei seiner Interessenabwägung<br />

auf die Möglichkeiten einer Suchttherapie,<br />

wie sie in der betriebsärztlichen Stellungnahme vom 5. Juli<br />

2005 aufgezeigt wurden, nicht näher eingegangen ist.<br />

Mit Blick darauf, dass der Kläger bereits zwei Entziehungskuren<br />

erfolglos durchlaufen hatte <strong>und</strong> mit der ergänzenden betriebsärztlichen<br />

Stellungnahme vom 12. Juli 2005 keine dem<br />

Kläger günstige Prognose vorlag, bedurfte es seitens des Integrationsamtes<br />

in dieser Richtung keiner weiteren Erwägungen.<br />

Das gilt umso mehr, als die Wahl <strong>und</strong> Durchführung einer<br />

der konkreten Alkoholabhängigkeit angemessenen Therapie<br />

in erster Linie Angelegenheit des Klägers war, die er im Zusammenwirken<br />

mit den Ärzten seines Vertrauens wahrzunehmen<br />

hatte.<br />

f) Angesichts der ausführlichen Stellungnahme des Betriebsrates<br />

vom 17. Mai 2006 durfte der Widerspruchsausschuss<br />

bei seiner Ermessensabwägung davon ausgehen, dass eine<br />

(Weiter-)Beschäftigung des Klägers im Bereich Technik zu erheblichen<br />

Einschränkungen im betrieblichen Ablauf geführt<br />

hat bzw. führen werde. Der Kläger hat dieser Stellungnahme<br />

nicht widersprochen, so dass es insoweit eigener weiterer Ermittlungen<br />

seitens des Integrationsamtes nicht bedurfte. Im<br />

Übrigen obliegt es der Beigeladenen nicht, mit Blick auf eine<br />

Beschäftigung des Klägers im Bereich Technik notfalls eine<br />

(weitere) Arbeitskraft, gegebenenfalls als aufsichtsführende<br />

Person einzusetzen. Der Kläger verkennt insoweit, dass das<br />

die Grenze der Zumutbarkeit überschritte. Der Beigeladenen<br />

würde damit im Ergebnis einseitig die Lohnzahlung auferlegt,<br />

weil sie für einen Arbeitsplatz zwei Arbeitnehmer beschäfti-<br />

263


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

gen müsste. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen,<br />

dass die Kündigung nur mittelbar im Zusammenhang mit<br />

der Behinderung des Klägers steht. Die – für die Kündigung<br />

ausschlaggebende Alkoholabhängigkeit des Klägers war für<br />

die Feststellung des beim Kläger vorhandenen Grades der Behinderung<br />

nur mittelbar von Bedeutung war. Das Amt für Versorgung<br />

<strong>und</strong> Familienförderung hat insoweit nicht die Alkoholabhängigkeit<br />

an sich berücksichtigt, sondern ausweislich<br />

des Bescheids vom 9. Februar 2005 eine „seelische Störung<br />

nach Alkoholkrankheit“ sowie „Leberschaden <strong>und</strong> wiederkehrende<br />

Entzündungen der Bauchspeicheldrüse“.<br />

g) Schließlich belegt der gesamte Hergang, wie er sich aus<br />

den mit dem Antrag auf Zustimmung vorgelegten Unterlagen<br />

ergibt, dass dem Kläger mit der Änderung des Arbeitsvertrags<br />

eine letzte Chance gegeben werden sollte, sich zu bewähren,<br />

nicht aber – wie es das Verwaltungsgericht offenbar interpretiert<br />

– ein auf zwei Jahre befristeter Arbeitsversuch. Der Kläger<br />

selbst strebte im Januar 2005 die erneute Übertragung der<br />

Badeaufsicht an, um wieder uneingeschränkt als Schwimmmeister<br />

tätig sein zu können.<br />

Nach allem kann entgegen den Feststellungen des Verwaltungsgerichts<br />

keine Rede davon sein, dass die Vorgehensweise<br />

der Beigeladenen fürsorgerisches Denken <strong>und</strong> Fühlen<br />

vermissen lässt. Im Gegenteil, die Beigeladene hat dem Kläger,<br />

obgleich seine Tätigkeit mit einer hohen Verantwortung für<br />

Leib <strong>und</strong> Leben Dritter verb<strong>und</strong>en ist, bis zur schließlich ausgesprochenen<br />

Kündigung mehrfach die Chance eingeräumt,<br />

seine Alkoholabhängigkeit in den Griff zu bekommen, um so<br />

weiterhin im Bäderbetrieb tätig sein zu können. Der Kläger<br />

hat diese Möglichkeiten nicht hinreichend genutzt.<br />

■ Bayerischer Verwaltungsgerichtshof<br />

vom 18.03.2009, 12 B 08.3327<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Bertram Bauer,<br />

Martin-Luther-Ring 6-8, 91522 Ansbach,<br />

Tel.: 0981/9712700, Fax: 0981/97127030<br />

info@rae-pbw.de<br />

311. Betriebbedingte Kündigung, Vergütungsreduzierung,<br />

Sonderkündigungsschutz<br />

1. Eine Beendigungskündigung ist nicht durch dringende betriebliche<br />

Erfordernisse i.S. von § 1 KSchG bedingt, wenn die<br />

Möglichkeit der Weiterbeschäftigung auf demselben Arbeitsplatz<br />

zu einer geringeren Vergütung besteht.<br />

2. Bietet der Arbeitgeber allen Arbeitnehmern die Weiterbeschäftigung<br />

zu einer (vorliegend 1/3) geringeren Vergütung<br />

an <strong>und</strong> beschäftigt er nur die Arbeitnehmer weiter, die das<br />

Angebot angenommen haben, so umgeht er die ihm obliegende<br />

Verpflichtung zum Ausspruch einer Änderungskündigung<br />

nach § 2 KSchG, wenn er im Wege einer nachfolgenden<br />

unternehmerischen Entscheidung beschließt, einen Teil seiner<br />

Arbeiten fremd zu vergeben <strong>und</strong> Arbeitnehmern eine Beendigungskündigung<br />

ausspricht, die das Angebot abgelehnt haben.<br />

264 03/09<br />

3. Eine Betriebsvereinbarung verstöß gegen § 75 Abs. 11<br />

BetrVG, wenn sie Sonderkündigungsschutz nur zu Gunsten<br />

der Arbeitnehmer begründet, die das Angebot des Arbeitgebers<br />

zu einer Weiterbeschäftigung zu einer geringeren<br />

Vergütung angenommen haben. Eine auf dieser Gr<strong>und</strong>lage<br />

getroffene Sozialauswahl ist grob fehlerhaft i.S. von § 1 Abs. 5<br />

KSchG.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 17.04.2009, 12 Sa 1553/08<br />

312. Betriebsbedingte Kündigung, Leiharbeitnehmer<br />

Beschäftigt ein Arbeitgeber dauerhaft Leiharbeitnehmer, so<br />

hat er zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung<br />

eines Stammarbeitnehmers zunächst den Einsatz des Leiharbeitnehmers<br />

zu beenden, soweit dieser auf einem für die<br />

Stammarbeitskraft geeigneten Arbeitsplatz beschäftigt wird.<br />

Wird der Leiharbeitnehmer zur Krankheitsvertretung beschäftigt,<br />

so erfolgt der Einsatz gleichwohl auf Dauerarbeitsplätzen,<br />

wenn der Vertretungsbedarf ständig <strong>und</strong> ununterbrochen anfällt<br />

<strong>und</strong> der Arbeitgeber hierfür im Tätigkeitsbereich der zu<br />

kündigenden Stammarbeitskraft dauerhaft Personal beschäftigt.<br />

Ein solcher – geeigneter – Arbeitsplatz steht dem Ausspruch<br />

einer betriebsbedingten Kündigung einer Stammarbeitskraft<br />

entgegen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg<br />

vom 03.03.2009, 12 Sa 2468/08<br />

313. Abmahnung, Beleidigung<br />

Die Berufung ist form- <strong>und</strong> fristgerecht eingelegt <strong>und</strong> begründet<br />

worden. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das<br />

Arbeitsgericht hat mindestens im Ergebnis völlig zu Recht<br />

die Klage abgewiesen. Die Rechtsausführungen des Klägers<br />

führen zu keiner anderen Bewertung.<br />

Die Kammer geht davon aus, dass der Kläger die Äußerungen<br />

so getätigt hat, wie sie in der Abmahnung beschrieben werden.<br />

Der Kläger bestreitet dies allerdings. Andererseits räumt<br />

er auf Seite 3 des Schriftsatzes vom 3. August 2006 selbst ein:<br />

„Der technische<br />

Direktor Herr S. bestätigt dann zwar die mit der Abmahnung<br />

monierte Äußerung. ... “. Insofern ist der Kläger genauso wie<br />

die Beklagte, die erste Instanz <strong>und</strong> auch das Berufungsgericht<br />

der Ansicht, dass die Beklagte in diesem Punkt den ihr obliegenden<br />

Beweis erbracht hat. Damit gilt die Tatsache als<br />

erwiesen.<br />

In rechtlicher Hinsicht hat das Arbeitsgericht völlig zu Recht<br />

festgestellt, dass die Äußerung des Klägers beleidigenden<br />

Charakter hat. Der Abwägung des Arbeitsgerichts schließt sich<br />

die erkennende Kammer an (§ 69 Abs. 2 ArbGG).<br />

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis des<br />

Klägers auf das Internetlexikon Wikipedia. Dort wird ausgeführt,<br />

dass das Wort „ficken“ in der Intimsprache zwar wohl<br />

vulgär, aber nicht unbedingt negativ besetzt sei. Dies mag<br />

sein. Vorliegend geht es jedoch nicht um die Intimsprache.


Der Kläger wollte nicht zum Ausdruck bringen, dass er schon<br />

Geschlechtsverkehr mit sämtlichen Beschäftigten der Beklagten<br />

hatte. Insofern ist der Hinweis des Klägers zutreffend,<br />

dass mit diesem Wort eine besondere Intensität ausgedrückt<br />

werden sollte im Sinne „von jemandem einen bösen Streich<br />

gespielt bekommen oder übers Ohr gehauen zu werden („verarscht<br />

werden“)“. Sicher wollte er damit unterstreichen, ganz<br />

heftig benachteiligt zu werden. Dies hat auch niemand anders<br />

aufgefasst. Als Arbeitnehmer sollte man jedoch in der Lage<br />

sein, für diesen Tatbestand Worte zu ergreifen, die nicht von<br />

anderen als beleidigend empf<strong>und</strong>en werden müssen. Dazu<br />

scheint der Kläger jedoch nicht in der Lage zu sein. Ihm<br />

ist jedoch zuzumuten, auch in einer emotionalen Erregung<br />

Worte zu finden, die einen Sachverhalt noch angemessen<br />

beschreiben. Insofern hätte er problemlos sagen können, er<br />

werde in diesem Betrieb permanent benachteiligt. Dem Kläger,<br />

nach eigener Einschätzung ein Fre<strong>und</strong> offener Worte, war<br />

eine solche Äußerung jedoch nicht klar genug. Den Betrieb<br />

bezeichnet er schon abwertend als „Laden“. Den Kreis der<br />

ihn diskriminierenden Mitarbeiter dehnt er auf „euch allen“<br />

<strong>und</strong> die Anzahl der Handlungen auf „sowieso nur“ aus. Das<br />

einzige, was jetzt noch fehlt, ist ein verstärkendes Wort für<br />

„benachteiligen“. Mit dem Begriff „ficken“ meint der Kläger<br />

dies gef<strong>und</strong>en zu haben. In der Tat ist es in der Abwertung<br />

<strong>und</strong> im beleidigenden Charakter kaum noch zu überbieten.<br />

Insofern hat die Beklagte völlig zu Recht eine Abmahnung<br />

ausgesprochen. Ein Entfernungsanspruch steht dem Kläger<br />

nicht zu.<br />

Dass dieses Ergebnis zutreffend ist, ergibt sich auch aus einer<br />

anderen Überlegung. Käme dem Kläger tatsächlich ein Entfernungsanspruch<br />

zu, dann dürfte er auch künftig ungehindert<br />

ähnliche Äußerungen gegenüber Vorgesetzten oder <strong>Kollegen</strong><br />

erheben. Die Kammer hält es für absolut weit hergeholt, diese<br />

Rechtsansicht für vertretbar zu halten.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin<br />

vom 08.11.2006, 15 Sa 1297/06<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Gisbert Seidemann,<br />

Budapester Straße 40, 10787 Berlin<br />

Tel.: 030/2545910<br />

info@advocati.de<br />

Anmerkung:<br />

Beachte auch die abgedruckte NZB-Entscheidung des BAG<br />

Nr. 327 (AE) zu Az. 6 AZN 1193/06. (rg)<br />

314. Krankheitsbedingte Kündigung, außerordentliche<br />

Kündigung<br />

1. Die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist darf<br />

nicht zur umfirmierten ordentlichen Kündigung werden. Der<br />

Ausnahmecharakter muss sich vielmehr im Kündigungsgr<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> Ergebnis der Interessenabwägung abbilden. Dies kommt<br />

dann in Betracht, wenn nach der Ges<strong>und</strong>heitsprognose das zu<br />

erwartende Missverhältnis von Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung<br />

so krass ist, dass von einem sinnentleerten Arbeitsverhältnis<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Prozessuales<br />

gesprochen werden kann, weil die wirtschaftlichen Belastungen<br />

unter dem Gesichtspunkt einer ganz erheblichen Störung<br />

des Austauschverhältnisses von nicht absehbarer Dauer die<br />

Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses als unzumutbar<br />

erscheinen lassen können.<br />

2. Offengelassen hat die Kammer, ob eine Unwirksamkeit<br />

einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist schon<br />

aus Gründen der fehlerhaften Berechnung der Auslauffrist<br />

herrühren kann.<br />

3. Die außerordentliche Kündigung muss das letzte Mittel<br />

sein, die entstandene Interessenkollision aufzulösen. Hierbei<br />

schuldet der Arbeitgeber auch versuchsweise Arbeitseinsätze,<br />

die bislang noch nicht unternommen wurden, ggf. unterstützt<br />

durch entsprechende Nachschulungsmaßnahmen, bevor festgestellt<br />

werden könnte, dass ein solcher Einsatz keine realistische<br />

Alternative zu der bisherigen, nicht mehr zumutbaren<br />

Tätigkeit ist. Hierbei sind dem Arbeitgeber auch gewisse<br />

Maßnahmen der Umorganisation zumutbar. Erst deren absolute<br />

Unmöglichkeit oder deren Scheitern an der Leistungsfähigkeit<br />

der Arbeitnehmerin wären für das Vorliegend des<br />

wichtigen Kündigungsgr<strong>und</strong>es konstitutiv.<br />

4. Auf der Interessenebene ist eine erhöhte Fürsorgepflicht<br />

zu berücksichtigen bei Arbeitnehmern/innen, die ihren Lebensmittelpunkt<br />

nach Deutschland verlegt haben, um in den<br />

Dienst des konkreten Arbeitgebers zu treten <strong>und</strong> von deutscher<br />

Seite angeworben wurden.<br />

■ Arbeitsgericht Berlin<br />

vom 14.01.2009, 55 Ca 9798/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Friedemann Koch,<br />

Marburger Straße 16, 10789 Berlin,<br />

Tel.: 030/21248990, Fax: 030/212489920<br />

kanzlei@friedemann-koch.de<br />

Prozessuales<br />

315. Rechtsweg, studienbegleitendes Praktikum, Berufsausbildung<br />

1. Die Parteien streiten über die Zulässigkeit des Rechtswegs.<br />

Die am 15.11.1984 geborene Klägerin ist Studentin der Biologie.<br />

Für das Sommersemester 2008 (01.04. – 30.09.2008) war<br />

sie beurlaubt (Blatt 16 d.A.).<br />

Nach vorangegangenen Gesprächen sowie entsprechendem<br />

Schriftverkehr über die Erstellung <strong>und</strong> Betreuung einer<br />

Diplomarbeit schloss die Klägerin unter dem 23.04.2008 eine<br />

schriftliche Praktikumsvereinbarung mit folgendem Inhalt:<br />

„ ... Das Praktikum erfolgt auf eigenen Wunsch von Frau C.<br />

Frau C. ordnet sich dem Arbeitsablauf am Institut in jeder<br />

Hinsicht unter <strong>und</strong> ist für durch sie verursachte Schäden voll<br />

haftungsfähig. Dieses Praktikum erfolgt entsprechend den<br />

Dienstzeitvereinbarungen des Instituts <strong>und</strong> ohne jegliche Art<br />

von Vergütung. Ein Praktikumsplatz wird für die gesamte Zeit<br />

von der Abteilung Primatologie zur Verfügung gestellt. Zu den<br />

265


Rechtsprechung<br />

Prozessuales<br />

Praktikumsaufgaben von Frau C. gehören u.a. die Mitarbeit in<br />

der Forschungsgruppe von Dr. H. sowie die Erstellung einer<br />

Diplomarbeit zum Thema: „Sex differences in faunivory in<br />

Bonobos“. Ansprechpartner für die Praktikantin ist Herr Dr. H.<br />

... “<br />

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage KI1<br />

(Blatt 5 d.A.) Bezug genommen.<br />

Die Klägerin trat ihr Praktikum im Forschungscamp im Mai<br />

2008 an. Während eines Forschungseinsatzes zur Beobachtung<br />

<strong>und</strong> Verfolgung von Bonobos am 22.05.2008 verlief sich<br />

die Klägerin <strong>und</strong> kehrte nicht ins Camp zurück. Die Beklagte<br />

führte eine aufwändige Rettungsaktion durch, das Verschwinden<br />

verursachte ein großes Medieninteresse. 12 Tage nach<br />

ihrem Verschwinden wurde die Klägerin wieder aufgef<strong>und</strong>en.<br />

Auf Weisung der beklagten Partei kehrte die Klägerin zur<br />

medizinischen Kontrolle <strong>und</strong> Behandlung nach Deutschland<br />

zurück.<br />

Mit Schreiben vom 17.06.2008 (Anlage K 16, Blatt 82 d.A.)<br />

teilte das Institut der Klägerin mit, dass ihr ein erneuter Forschungsaufenthalt<br />

im Hinblick auf die bei der Rettungsaktion<br />

entstandene, anhaltende Turbulenz in der gesamten Fauna<br />

im Forschungsfeld <strong>und</strong> die dadurch bedingten Beeinträchtigungen<br />

der Forschungen vor Ort, sowie im Hinblick auf die<br />

bereits verausgabten beträchtlichen Reisekosten nicht angeboten<br />

werden könne. Die nachhaltige Störung der Arbeit der<br />

Forschungsgruppe werde auf ein leichtfertiges Verhalten der<br />

Klägerin im kongolesischen Forschungsfeld zurückgeführt. Ob<br />

sich eine andere Möglichkeit finden könne, das Thema der<br />

Diplomarbeit in vergleichbarer Feldforschung anderweitig zu<br />

verfolgen, solle mit dem Betreuer der Arbeit an der Universität<br />

besprochen <strong>und</strong> gegebenenfalls das Thema der Arbeit<br />

neu bestimmt werden. Wegen der weiteren Einzelheiten des<br />

Schreibens wird auf die Anlage K I 6, Blatt 82 d.A. Bezug<br />

genommen.<br />

Mit ihrer am 03.09.2008 eingegangenen Klage begehrt die<br />

Klägerin die Beschäftigung im Rahmen eines Praktikums am<br />

Institut bis voraussichtlich 30.06.2009 im Forschungscamp,<br />

hilfsweise die Feststellung, dass die beklagte Partei der Klägerin<br />

im Falle der Nichtbeschäftigung zum Schadensersatz<br />

verpflichtet ist. ...<br />

2. Das Arbeitsgericht Leipzig ist für die Entscheidung des<br />

Rechtsstreits nicht zuständig. Der Rechtsweg zu den Gerichten<br />

für Arbeitssachen ist nicht eröffnet.<br />

1. Gemäß § 2 Abs. 3a ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen<br />

zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen<br />

Arbeitnehmern <strong>und</strong> Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis,<br />

gemäß § 2 Abs. 3b ArbGG ergibt sich die Zuständigkeit für<br />

Streitigkeiten über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses.<br />

Unabhängig davon, ob ein Beschäftigungsantrag<br />

als Bestandsstreitigkeit im Sinne der (Nr. 3b) oder als<br />

Streitigkeit aus dem Arbeitsverhältnis (Nr. 3a) anzusehen ist,<br />

ist Voraussetzung für eine Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen<br />

die Arbeitnehmereigenschaft der Klägerin.<br />

2. Die Klägerin ist nicht als Arbeitnehmerin im Sine des § 5<br />

266 03/09<br />

Abs. 1 ArbGG anzusehen. Sie ist weder als Arbeiterin oder<br />

Angestellte noch als zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigte<br />

anzusehen.<br />

a) Als Arbeitnehmer ist anzusehen, wer aufgr<strong>und</strong> eines privatrechtlichen<br />

Vertrages oder eines ihm gleichgestellten Rechtsverhältnisses<br />

im Dienst eines anderen in persönlicher Abhängigkeit<br />

zur Arbeit verpflichtet ist. Zum Wesen des Arbeitsverhältnisses<br />

gehört auch der Austausch von Lohn <strong>und</strong> Arbeit,<br />

der Arbeitnehmer verfolgt typischerweise das Ziel, für seine<br />

Arbeit ein Entgelt zu erhalten. Kein Arbeitsverhältnis liegt daher<br />

vor, wenn die Parteien jede Vergütungspflicht ausdrücklich<br />

ausschließen. Bereits aus diesem Gr<strong>und</strong> ist das Bestehen<br />

eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien zu verneinen,<br />

auf die Verpflichtung zur Erbringung von Arbeitsleistungen<br />

kommt es insoweit nicht an.<br />

b) Die Klägerin ist auch nicht als zu ihrer Berufsausbildung<br />

Beschäftigte anzusehen.<br />

Der Begriff der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten wird<br />

im ArbGG nicht näher definiert. Nach § 1 Abs. 1 BBiG ist<br />

Berufsausbildung ein Teilbereich der Berufsbildung. § 5 Abs. 1<br />

Satz 1 ArbGG ist aufgr<strong>und</strong> der gesetzgeberischen Absicht,<br />

dass die Gerichte für Arbeitssachen auch außerhalb des<br />

klassischen Arbeits- <strong>und</strong> Berufsausbildungsverhältnisses für<br />

sachnahe Streitigkeiten zuständig sein sollen, weit auszulegen<br />

(Schwab/Weth/Klimt, 2. Auflage, § 5 Rn 154 m.w.N.). Auch unter<br />

Berücksichtigung dieser weiten Auslegung ist die Klägerin<br />

jedoch nicht als zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigte im<br />

Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG anzusehen.<br />

Im Vordergr<strong>und</strong> der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung<br />

stand der Wunsch der Klägerin, die für den Abschluss<br />

ihres Hochschulstudiums erforderliche Diplomarbeit<br />

zu einem bestimmten Thema zu erstellen <strong>und</strong> diese von Herrn<br />

Prof. H. betreuen zu lassen. Der Klägerin wurde die Möglichkeit<br />

eröffnet, im Rahmen des Forschungsprojektes der beklagten<br />

Partei entsprechende Studien vorzunehmen <strong>und</strong> ihre<br />

Diplomarbeit im Rahmen des Forschungsprojektes vorzubereiten<br />

<strong>und</strong> zu erstellen. Der Umstand, dass die Klägerin sich<br />

für ein Semester hat beurlauben lassen, ist insoweit nicht von<br />

entscheidungserheblicher Bedeutung.<br />

Soweit sich die Klägerin darauf beruft, sie sei in zeitlicher <strong>und</strong><br />

örtlicher Hinsicht verpflichtet gewesen, Praktikumsleistungen<br />

im Forschungscamp zu erbringen, begründet dies keine Eigenschaft<br />

als Auszubildende. Es ist zum einen nicht ersichtlich,<br />

dass die Klägerin verpflichtet war, Leistungen zu erbringen,<br />

die in keinem Bezug zu ihrer Diplomarbeit <strong>und</strong> der dafür<br />

erforderlichen Forschungsarbeit standen. Zum anderen<br />

dürfte es selbstverständlich sein, dass die Klägerin bei den<br />

Forschungsarbeiten an Vorgaben geb<strong>und</strong>en war. Dies ergibt<br />

sich aus der Natur der Sache (Art der Tätigkeit, Arbeit in einer<br />

unbekannten <strong>und</strong> nicht ungefährlichen Umgebung, Arbeit in<br />

einem Team), diese Weisungen begründen jedoch nicht die<br />

Annahme eines Ausbildungsverhältnisses.<br />

Für die Entscheidung des Rechtsstreits sind die Gerichte für<br />

Arbeitssachen damit nicht zuständig.


■ Arbeitsgericht Leipzig<br />

vom 30.10.2008, 1 Ca 3787/08<br />

Rechtsanwalt Roland Gross,<br />

Anwaltshaus im Messehof Leipzig,<br />

Petersstraße 15, 04109 Leipzig<br />

Tel.: 0341/984620, Fax: 0341/9846224<br />

leipzig@advo-gross.de<br />

Anmerkung:<br />

Siehe auch abgedruckte Entscheidung Nr. 324 (AE) des Sächsischen<br />

Landesarbeitsgerichts zu Az. 4 Ta 16/09. (rg)<br />

316. Prozesskostenhilfe, Aufhebung, Nachverfahren<br />

1. Aus § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO folgt lediglich eine Verpflichtung<br />

der Partei, sich darüber zu erklären, ob eine Änderung<br />

ihrer (persönlichen <strong>und</strong> wirtschaftlichen) Verhältnisse eingetreten<br />

ist. Erforderlich hierfür ist eine Aufforderung des Gerichts<br />

an die Partei, eine solche Erklärung abzugeben.<br />

2. Zu einer erneuten vollständigen Erklärung über die persönlichen<br />

<strong>und</strong> wirtschaftlichen Verhältnisse ist die Partei im<br />

Nachverfahren nicht verpflichtet.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 09.03.2009, 1 Ta 20/09<br />

317. Prozesskostenhilfe, sofortige Beschwerde<br />

1. Eine nach Ablauf der Notfrist von einem Monat eingelegte<br />

sofortige Beschwerde gegen einen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe<br />

aufhebenden Beschluss ist zu verwerfen. Die<br />

Notfrist beginnt, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit der<br />

Zustellung der Entscheidung, spätestens jedoch mit Ablauf<br />

von fünf Monaten nach der Verkündung des Beschlusses.<br />

2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht<br />

in Betracht, wenn kein Sachvortrag bezüglich der die Wiedereinsetzung<br />

begründenden Tatsachen erfolgt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 06.03.2009, 1 Ta 26/09<br />

318. Prozesskostenhilfe, Nachverfahren, Erklärung<br />

1. Auf Verlangen des Gerichts hat sich die Partei gemäß § 120<br />

Abs. 4 Satz 2 ZPO darüber zu erklären, ob eine Änderung ihrer<br />

persönlichen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten<br />

ist.<br />

2. Die Vorlage einer vollständigen Erklärung über die persönlichen<br />

<strong>und</strong> wirtschaftlichen Verhältnisse ist nicht erforderlich.<br />

Eine Aufforderung seitens des Rechtspflegers zur (nochmaligen)<br />

Darlegung der persönlichen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Verhältnisse<br />

im Nachverfahren ist unzulässig.<br />

3. Hat die Partei auf Aufforderung des Rechtspflegers mitgeteilt,<br />

ob eine Änderung ihrer persönlichen <strong>und</strong> wirtschaftlichen<br />

Verhältnisse eingetreten ist, so kann der Rechtspfleger,<br />

will er sich mit der erhaltenen Auskunft nicht begnügen, der<br />

Partei konkret aufgeben, welche Unterlagen sie zum Nachweis<br />

ihrer Erklärung einzureichen hat.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 13.03.2009, 1 Ta 31/09<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Prozessuales<br />

319. Prozesskostenhilfe, Beschwerde, verspätete Einreichung<br />

von Unterlagen<br />

Auch wenn im Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufhebung<br />

des Beschlusses zur Gewährung der Prozesskostenhilfe<br />

die Voraussetzungen für eine Aufhebung vorgelegen haben,<br />

bleibt es dem Beschwerdeführer unbenommen, fehlende Angaben<br />

<strong>und</strong> Nachweise zu den wirtschaftlichen <strong>und</strong> persönlichen<br />

Verhältnissen im Rahmen des Beschwerdeverfahrens<br />

nachzuholen, da § 120 Abs. 4 S. 2 ZPO keine Frist für die Abgabe<br />

der gebotenen Parteierklärung vorsieht.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 02.04.2009, 1 Ta 43/09<br />

320. Prozesskostenhilfe, Nachverfahren, Rechtskraft<br />

1. Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

(Beschluss vom 19.07.2006 – 2 AZB 18/06 –) erstreckt sich<br />

der Umfang der Prozessvollmacht <strong>und</strong> damit auch die<br />

Zustellungsbevollmächtigung auch auf die nachträgliche<br />

Überprüfung der persönlichen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Verhältnisses<br />

der Prozesskostenhilfe nach § 120 Abs. 2 ZPO, wenn die<br />

Partei den Prozesskostenhilfeantrag nicht selbst gestellt hat,<br />

sondern dieser durch ihren Prozessbevollmächtigten gestellt<br />

wurde.<br />

2. Im PKH-Änderungsverfahren von § 120 Abs. 4 ZPO besteht<br />

keine Befugnis des Rechtspflegers, dem Rechtsmittel nicht<br />

abzuhelfen allein mit der Begründung, es sei nicht binnen<br />

Monatsfrist (§ 127 Abs. 2, S. 1 i.V.m Abs. 3 S. 1 ZPO) eingelegt.<br />

Gemäß § 572 Abs. 2, 1. Halbsatz ZPO hat das Gericht oder<br />

der Vorsitzende, dessen Entscheidung angefochten wird, der<br />

Beschwerde abzuhelfen, soweit es/er sie für „begründet“ erachtet.<br />

Entscheidungen in PKH-Sachen erwachsen gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

nicht in Rechtskraft. Dagegen hat nach § 572 Abs. 2 ZPO<br />

allein das Beschwerdegericht zu prüfen, ob die Beschwerde<br />

an sich statthaft <strong>und</strong> ob sie in der gesetzlichen Form <strong>und</strong> Frist<br />

eingelegt wurde.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 03.04.2009, 1 Ta 46/09<br />

321. Prozesskostenhilfe, Nachverfahren, amtlicher Vordruck<br />

1. Nach § 124 Nr. 2 letzte Alternative ZPO kann das Gericht die<br />

Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei<br />

eine Erklärung nach § 120 Abs. 4 S. 2 ZPO nicht abgegeben<br />

hat. Die Aufforderung, „die Einkommens- <strong>und</strong> Vermögensverhältnisse“<br />

darzulegen, geht über die Verpflichtung der Partei<br />

nach § 120 Abs. 4 S. 2 ZPO hinaus. Gemäß dieser Norm hat<br />

sich die Partei auf Verlangen des Gerichts nur darüber zu erklären,<br />

ob eine Änderung der Verhältnisse eingetreten ist. Zu<br />

einer erneuten vollständigen Erklärung über die Einkommens-<br />

267


Rechtsprechung<br />

Prozessuales<br />

<strong>und</strong> Vermögensverhältnisse insgesamt, ist die Partei nicht verpflichtet.<br />

2. Der Mangel einer zu weit reichenden Aufforderung wird<br />

im Rahmen des Beschwerdeverfahrens dadurch geheilt, dass<br />

dem Beschwerdeführer entsprechend seiner gesetzlichen Verpflichtung<br />

seitens des Beschwerdegerichts aufgegeben wird,<br />

seiner Mitwirkungsverpflichtung nach § 120 Abs. 3 S. 2 ZPO<br />

nachzukommen <strong>und</strong> sich darüber zu erklären, ob <strong>und</strong> gegebenenfalls<br />

welche Änderungen seiner persönlichen <strong>und</strong> wirtschaftlichen<br />

Verhältnisse seit der Gewährung der Prozesskostenhilfe<br />

eingetreten sind.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 22.04.2009, 1 Ta 59/09<br />

322. Prozesskostenhilfe, Nachverfahren, amtlicher Vordruck<br />

1. Nach dem Wortlaut des § 120 Abs. 4 S. 2 ZPO hat sich die<br />

Partei auf Verlangen des Gerichts „darüber zu erklären, ob<br />

eine Änderung der Verhältnisse eingetreten ist“. Eine nähere<br />

inhaltliche Ausgestaltung der Erklärungspflicht erschließt sich<br />

aus dem Gesetzeswortlaut nicht. Jedoch steht aufgr<strong>und</strong> dieser<br />

Gesetzesfassung fest, dass eine nochmalige Ausfüllung des<br />

Formulars über die persönlichen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Verhältnisse<br />

der Partei im Sinne von § 117 Abs. 3 ZPO nicht besteht,<br />

da § 120 Abs. 4 S. 2 ZPO gerade nicht auf § 117 Abs. 3 ZPO<br />

verweist, sondern lediglich bestimmt, dass sich die Partei „darüber<br />

zu erklären habe“, ob eine Änderung der Verhältnisse<br />

eingetreten sei. Legt der Rechtspfleger seinem Aufforderungsschreiben<br />

gemäß § 120 Abs. 4 S. 2 ZPO dennoch ein solches<br />

Formular bei, ohne die Partei darauf hinzuweisen, dass es<br />

ihr freistehe, das beigefügte Formular auszufüllen oder die<br />

geforderte Erklärung in sonstiger Weise abzugeben, ist dies<br />

zu weitgehend.<br />

2. Die Aufforderung, „möglichst umgehend die Einkommens<strong>und</strong><br />

Vermögensverhältnisse darzulegen“, ist ebenfalls zu weitgehend.<br />

Eine Verpflichtung zu einer solchen vollständigen<br />

Erklärung über die Einkommens- <strong>und</strong> Vermögensverhältnisse<br />

ergibt sich aus § 120 Abs. 4 S. 2 ZPO nicht.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 21.04.2009, 1 Ta 90/09<br />

323. Rechtliches Gehör, Nichtzulassungsbeschwerde<br />

2. Zu Recht beruft sich der Kläger jedoch auf eine entscheidungserhebliche<br />

Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches<br />

Gehör (§ 72 Abs. 2 Nr. 3, § 72a Abs. 1 ArbGG, Ad. 103 Abs. 1<br />

GG).<br />

a) Wird mit einer Nichtzulassungsbeschwerde eine entscheidungserhebliche<br />

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches<br />

Gehör geltend gemacht, muss nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3<br />

ArbGG die Beschwerdebegründung die Darlegung der Verletzung<br />

dieses Anspruchs <strong>und</strong> deren Entscheidungserheblichkeit<br />

enthalten. Hierzu hat der Beschwerdeführer substantiiert vorzutragen.<br />

Will er geltend machen, das Landesarbeitsgericht<br />

268 03/09<br />

habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es<br />

seine Ausführungen nicht berücksichtigt habe, muss er konkret<br />

<strong>und</strong> im Einzelnen schlüssig dartun, welches wesentliche<br />

<strong>und</strong> entscheidungserhebliche Vorbringen das Landesarbeitsgericht<br />

bei seiner Entscheidung übergangen haben soll (BAG,<br />

v. 31. Mai 2006 – 5 AZR 342/06 (F) – RAGE 118, 229). Demnach<br />

hat der Beschwerdeführer auch nachvollziehbar darzulegen,<br />

dass das Landesarbeitsgericht nach seiner Argumentationslinie<br />

unter Berücksichtigung des entsprechenden Gesichtspunkts<br />

möglicherweise anders entschieden hätte. Will<br />

der Beschwerdeführer geltend machen, ein angebotener Beweis<br />

sei nicht erhoben worden, so muss er vortragen, wo<br />

<strong>und</strong> bei welcher Gelegenheit bzw. in welchem Schriftsatz mit<br />

konkreter Blattzahl er diesen Vortrag jeweils geleistet hat. Diesen<br />

Anforderungen ist wie bei einer Verfahrensrüge auch im<br />

Beschwerdeverfahren nachzukommen (BAG, v. 23. Mai 2007 –<br />

5 AZN 491/07 –; v. 18. Oktober 2000 – 2 AZR 380/99 – BAGE<br />

96, 123).<br />

b) Die Beschwerdebegründung genügt diesen Anforderungen.<br />

Der Kläger hat geltend gemacht, nicht nur in seinem<br />

Schriftsatz vom 23. Mai 2007, sondern auch in seiner Berufungsbegründung<br />

vom 25. September 2007 dem Vorbringen<br />

der Beklagten entgegengetreten zu sein, wonach die Mitarbeiter<br />

in der Lage gewesen seien, die Handschuhe aus einem<br />

unverschlossenen Schrank zu entnehmen. Vielmehr seien<br />

die Handschuhe bei der Beklagten in einem verschlossenen<br />

Schrank gelagert. Für diesen Schrank besäßen ausschließlich<br />

die <strong>Kollegen</strong> S., B. <strong>und</strong> T. einen Schlüssel. Er, der Kläger,<br />

habe in den letzten Monaten Arbeitshandschuhe durch<br />

Nachfrage bei den vorbeschriebenen Zeugen <strong>und</strong> <strong>Kollegen</strong><br />

nur ausgetauscht, wenn seine Handschuhe kaputt gewesen<br />

seien, was die <strong>Kollegen</strong> bestätigen könnten. Zu keinem<br />

Zeitpunkt seien ihm beispielsweise zehn Handschuhe oder<br />

eine Mehrzahl an Handschuhen aus dem Schrank ausgegeben<br />

worden. Aus dem Gr<strong>und</strong>e habe er auch nicht die Handschuhe<br />

wie ein „Hamster“ sammeln können. Deshalb sei es ihm nicht<br />

möglich gewesen, an zehn Paar Handschuhe heranzukommen,<br />

um diese später zu stehlen. Dieses Vorbringen <strong>und</strong> den<br />

Beweisantritt habe das Landesarbeitsgericht nicht übergehen<br />

dürfen.<br />

Der Kläger macht auch in der Sache erfolgreich eine entscheidungserhebliche<br />

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches<br />

Gehör geltend, § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG, Art. 103 GG. Dies führt<br />

zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht,<br />

§ 72a Abs. 7 ArbGG.<br />

aa) Der in Art. 103 Abs. 1 GG verankerte Anspruch auf<br />

rechtliches Gehör gewährleistet dem an einem gerichtlichen<br />

Verfahren Beteiligten das Recht, sich zu dem einer gerichtlichen<br />

Entscheidung zugr<strong>und</strong>e liegenden Sachverhalt <strong>und</strong> zur<br />

Rechtslage zu äußern (BVerfG, v. 17. Mai 1983 – 2 8vR 731/80 –<br />

BVertGE 64, 135). Nach Art. 103 Abs. 1 GG sind die Gerichte<br />

verpflichtet, das Vorbringen der Verfahrensbeteiligten zur<br />

Kenntnis zu nehmen <strong>und</strong> bei der Urteilsfindung in Erwägung<br />

zu ziehen (BVerfG, v. 23. Juni 1999 – 2 BvR 762/98 – NJW


2000, 131) <strong>und</strong> erhebliche Beweisantritte zu berücksichtigen<br />

(BVerfG, v. 22. November 2004 – 1 BvR 1935/03 – NJW 2005,<br />

1487; v. 31. Oktober 1990 – 2 BvR 183/90 – NJW 1991, 285).<br />

Die Nichtberücksichtigung eines entscheidungserheblichen<br />

Beweisangebots verletzt den Anspruch der betroffenen Partei<br />

auf rechtliches Gehör, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze<br />

mehr findet (BVerfG, v. 8. November 1978 – 1 BvR 158178 –<br />

BVerfGE 50, 32; v. 20. April 1982 – 1 BvR 1429/81 – BVerfGE<br />

60, 250; v. 30. Januar 1985 – 1 BvR 393/84 – BVerfGE 69, 141).<br />

bb) Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt.<br />

Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, der Kläger habe Gelegenheit<br />

gehabt, an die entsprechenden Gegenstände heranzukommen.<br />

Auch wenn ihm jeweils nur ein Paar Handschuhe<br />

herausgegeben worden seien <strong>und</strong> nicht etwa ein ganzer 30er-<br />

Pack Handschuhe, wie sie in der Tasche vorgef<strong>und</strong>en worden<br />

seien, so habe dennoch die Möglichkeit bestanden, auch diese<br />

einzelnen Paare zu sammeln. Darüber hinaus hätten sich in<br />

seinem Arbeitsbereich unverschlossene Schränke bef<strong>und</strong>en,<br />

in denen ebenfalls Arbeitshandschuhe wie diejenigen, die der<br />

Kläger bei sich geführt habe, verwahrt würden <strong>und</strong> aus denen<br />

sich die Arbeitnehmer bei Bedarf bedienen dürften. Letzteres<br />

war vom Kläger jedoch mit dem Vorbringen bestritten worden,<br />

dass Handschuhe allein in einem verschlossenen Schrank<br />

aufbewahrt würden, für den lediglich drei Mitarbeiter einen<br />

Schlüssel hätten. Dieses Vorbringen <strong>und</strong> den entsprechenden<br />

Beweisantritt hat das Landesarbeitsgericht übergangen.<br />

d) Das Landesarbeitsgericht hat den Anspruch des Klägers<br />

auf rechtliches Gehör auch in entscheidungserheblicher Weise<br />

verletzt. Bei Berücksichtigung seines Vorbringens <strong>und</strong> Vernehmung<br />

der Mitarbeiter als Zeugen wäre es möglicherweise zu<br />

einem anderen Ergebnis gelangt.<br />

e) Die Verletzung des Klägers in seinem Anspruch auf rechtliches<br />

Gehör führt gemäß § 72a Abs. 7 ArbGG zur Aufhebung<br />

des angefochtenen Urteils <strong>und</strong> zur Zurückverweisung des<br />

Rechtsstreits zur neuen Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung an<br />

das Landesarbeitsgericht.<br />

■ B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

vom 10.02.2009, 3 AZN 1003/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Jürgen Schmitt,<br />

Friedrichstraße 5, 70174 Stuttgart,<br />

Tel.: 0711/22419900, Fax: 0711/22419979<br />

kanzlei@shp-anwaltskanzlei.de<br />

324. Rechtsweg, studienbegleitendes Praktikum, Berufsausbildung<br />

II. ... 2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet.<br />

Das Arbeitsgericht hat mit in jeder Hinsicht zutreffender Begründung<br />

den Rechtsweg zu dem zuständigen Landgericht<br />

München für zulässig erklärt. Auf die diesbezüglichen Ausführungen<br />

in der angefochtenen Entscheidung wird daher Bezug<br />

genommen.<br />

Auf die Ausführungen in der Beschwerdebegründung rechtfertigen<br />

keine andere Beurteilung der Sach- <strong>und</strong> Rechtslage.<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Prozessuales<br />

Vorliegend geht es gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3a <strong>und</strong> b ArbGG nicht<br />

um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit zwischen einem Arbeitnehmer<br />

<strong>und</strong> einem Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis<br />

oder über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses.<br />

Die Klägerin war keine Arbeitnehmerin gemäß § 5<br />

Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Dies hat das Arbeitsgericht überzeugend<br />

begründet. Die dagegen gerichteten Angriffe der sofortigen<br />

Beschwerde greifen nicht durch.<br />

a) Ein Arbeitsvertrag liegt schon deshalb nicht vor, weil die<br />

Klägerin unstreitig kein Entgelt für die zu erbringenden Arbeitsleistungen<br />

erhielt.<br />

b) Zwischen den Parteien bestand auch kein Berufsausbildungsverhältnis<br />

im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Studenten,<br />

die innerhalb ihres Studiums <strong>und</strong> als dessen Bestandteil<br />

Praktika absolvieren, werden vom Berufsbildungsgesetz<br />

nicht erfasst (Leinemann/Taubert, BBiG, § 19 Rn 9; BAG, vom<br />

19.06.1974 – 4 AZR 436/73 – DB 1974, 1920). Durch die Neufassung<br />

des § 3 Abs. 2 Nr. 1 BBiG ist nunmehr ausdrücklich<br />

klargestellt, dass die berufliche Bildung, die in berufsqualifizierenden<br />

oder vergleichbaren Studiengängen an Hochschulen<br />

durchgeführt wird, nicht als Berufsbildung im Sinne von § 1<br />

Abs. 1 BBiG gilt.<br />

Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt, diente die<br />

Durchführung des Praktikums <strong>und</strong> der Aufenthalt in dem<br />

Forschungscamp der Erstellung der für den Abschluss des<br />

Studiums der Klägerin erforderlichen Diplomarbeit, mag dies<br />

auch letztlich nicht im Vordergr<strong>und</strong> gestanden haben. Hierfür<br />

spricht u. a. auch die E-Mail vom 25.03.2008 (Bl. 50 d.A.), wonach<br />

die Praktikumsvereinbarung dazu diente, die Betreuung<br />

der Diplomarbeit in eine Form zu bringen <strong>und</strong> der Klägerin<br />

mögliche Reisekosten zu erstatten. Dass die E-Mail von der<br />

Sekretärin Frau N. verfasst wurde, ändert hieran nichts. Ob<br />

im Vorfeld eine andere Form des Praktikums angedacht war,<br />

welche letztlich nicht realisiert wurde, ist insoweit ebenfalls<br />

ohne Belang. Es kommt auch nicht darauf an, dass die Klägerin<br />

Urlaub beantragt hat. Dieser Umstand führt nicht dazu,<br />

dass die Klägerin ihren Status als eingeschriebene Studentin<br />

verliert (vgl. Immatrikulationsbescheinigung vom 21.03.2008,<br />

Bl. 26 d.A.). Schließlich kommt es auch nicht darauf an, ob<br />

die Studienordnung für die Erstellung der Diplomarbeit oder<br />

aus anderen Gründen die Absolvierung eines entsprechenden<br />

Praktikums vorsieht.<br />

Letztendlich ist, wie der Beklagte richtig ausführt, festzuhalten,<br />

dass die Klägerin nach wie vor nicht einmal ansatzweise<br />

darzulegen vermochte, welche angebliche Arbeitsleistung<br />

von ihr im Rahmen des Praktikums gefordert wurde oder<br />

erbracht werden sollte, die nicht einem unmittelbaren<br />

Zusammenhang mit der Diplomarbeit stand. Tatsächlich<br />

war die Klägerin gegenüber dem Beklagten zu keinerlei<br />

Arbeitsleistung verpflichtet. Soweit in der Praktikumsvereinbarung<br />

davon die Rede ist, dass zu den Aufgaben der<br />

Klägerin u.a. die Mitarbeit in der Forschungsgruppe von<br />

Herrn Dr. H. gehörte, so handelt es sich hierbei nur um<br />

den Hinweis, dass die Klägerin der Forschungsgruppe von<br />

269


Rechtsprechung<br />

Prozessuales<br />

Herrn Dr. H. zugeordnet war. In fachlicher Hinsicht unterstand<br />

die Klägerin, so die unstreitigen Angaben des Beklagten,<br />

da es bei dem Praktikum ausschließlich um die Anfertigung<br />

der Diplomarbeit ging, keiner Weisungsgeb<strong>und</strong>enheit des<br />

Beklagten oder von Herrn Dr. H. Natürlich musste sich die<br />

Klägerin allerdings in zeitlicher <strong>und</strong> örtlicher Hinsicht in die<br />

Forschungsgruppe integrieren <strong>und</strong> insoweit auch Weisungen<br />

entgegennehmen, da es sich bei dem Aufenthalt in Kongo<br />

ja nicht um einen „normalen“ Auslandsaufenthalt, sondern<br />

um einen Aufenthalt unter erschwerten <strong>und</strong> gefährlichen<br />

Bedingungen handelte.<br />

Soweit die Klägerin darauf abstellt, dass die von ihr gesammelten<br />

Daten <strong>und</strong> Auswertungen auch von dem Beklagten<br />

verwendet werden konnten, führt auch dies vorliegend zu<br />

keinem anderen Ergebnis. Selbst wenn der Beklagte Zugriff<br />

auf entsprechende Daten gehabt hätte – der Beklagte trägt<br />

insoweit vor, dass die Klägerin selbst gar keine Daten gesammelt<br />

oder Auswertungen über das Verhalten der Bonobos vorgenommen<br />

habe, die auch dem Beklagten zugute gekommen<br />

seien oder von diesem hätten verwertet werden können –, die<br />

die Klägerin erhoben hätte, wäre dies nach dem unstreitigen<br />

Sachvortrag des Beklagten völlig normal gewesen. Es ist im<br />

Forschungsbereich allgemein üblich, dass die Diplomanden<br />

oder Promotionsstipendiaten die von ihnen ermittelten Daten<br />

auch dem jeweiligen Forschungsinstitut zur Verfügung stellen,<br />

damit die Daten in die dortigen Forschungsergebnisse<br />

Eingang finden können. Es handelt sich dabei um die (einzige)<br />

Gegenleistung, die der Diplomand oder Promotionsstipendiat<br />

dafür erbringt, dass ihm im erheblichen Umfang der<br />

Zugang zu entsprechenden Forschungseinrichtungen ermöglicht<br />

wird.<br />

Unter Berücksichtigung dieser Gesamtumstände, ist somit,<br />

wie auch das Arbeitsgericht Leipzig richtig ausführt, davon<br />

auszugehen, dass der Status der Klägerin als Studentin<br />

<strong>und</strong> die Erstellung einer Diplomarbeit zum Zwecke des<br />

Abschlusses des Studiums für die im April 2008 abgeschlossene<br />

Praktikumsvereinbarung <strong>und</strong> die Durchführung des<br />

Praktikums ausschlaggebend war. Die Klägerin ist damit nicht<br />

als zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigte anzusehen. Vor<br />

diesem Hintergr<strong>und</strong> war die Klägerin zu keinem Zeitpunkt zur<br />

Erbringung einer Arbeitsleistung gegenüber dem Beklagten<br />

verpflichtet. Sie hat vielmehr ihre Diplomarbeit unter Nutzung<br />

der Forschungsressourcen des Beklagten angefertigt. Damit<br />

wurde aber mit der der Beklagten gegenüber fachlich nicht<br />

weisungsgeb<strong>und</strong>enen Klägerin auch unter Berücksichtigung<br />

einer weiten Auslegung des § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG kein<br />

Arbeitsverhältnis begründet.<br />

Nach alledem war daher die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.<br />

Die Kostenentscheidung hat entsprechend § 91 Abs. 1 ZPO<br />

zuungunsten der Klägerin auszufallen, weil sie im Beschwerdeverfahren<br />

unterlegen ist.<br />

Da nach der gesetzlichen Neuregelung bei dem Zuständigkeitsstreit<br />

der Rechtsstreit nicht insgesamt einer Erledigung<br />

270 03/09<br />

zugeführt werden kann, ist der Beschwerdewert unterhalb<br />

des Hauptsachewertes anzusetzen. Entsprechend gängiger<br />

Bewertungsregelung ist eine Festsetzung auf ein Drittel des<br />

Hauptsachewertes angebracht (vgl. Schneider, Streitwertkommentar,<br />

9. Auflage, Rn 1255).<br />

Da der Klägerin für ihr Praktikum im Forschungscamp seitens<br />

des Beklagten unstreitig keine Vergütung gezahlt wurde, ist<br />

der Beschwerdewert vorliegend auf 2.000,00 € geschätzt worden.<br />

■ Sächsisches Landesarbeitsgericht<br />

vom 09.03.2009, 4 Ta 16/09<br />

Rechtsanwalt Roland Gross,<br />

Anwaltshaus im Messehof Leipzig,<br />

Petersstraße 15, 04109 Leipzig<br />

Tel.: 0341/984620, Fax: 0341/9846224<br />

leipzig@advo-gross.de<br />

Anmerkung:<br />

Siehe auch abgedruckte Entscheidung Nr. 315 (AE) des Arbeitsgerichts<br />

Leipzig zu Az. 1 Ca 3787/08. (rg)<br />

325. Prozesskostenhilfe, Vergleichsstreitwert<br />

Für zusätzlich in den Vergleich aufgenommene Streitgegenstände<br />

muss noch vor Beendigung des Verfahrens die Bewilligung<br />

von Prozesskostenhilfe oder ihre nachträgliche Erstreckung<br />

gesondert beantragt werden.<br />

■ Landesarbeitsgericht Nürnberg<br />

vom 06.02.2009, 4 Ta 170/08<br />

326. Prozesskostenhilfe, amtlicher Vordruck<br />

1. Im Rahmen der Überprüfung der Einkommens- <strong>und</strong> Vermögensverhältnisse<br />

gemäß § 120 Abs. 4 ZPO besteht kein Formularzwang.<br />

2. Es kann daher nicht erneut die Vorlage eines ausgefüllten<br />

Formulars über die persönlichen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Verhältnisse<br />

verlangt werden; ausreichend ist daher auch eine schriftliche<br />

Darlegung der Partei, dass sich die Einkommens- <strong>und</strong><br />

Vermögensverhältnisse nicht wesentlich verbessert haben.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 23.01.2009, 5 Ta 18/09<br />

327. Nichtzulassungsbeschwerde, gr<strong>und</strong>sätzliche Bedeutung,<br />

fehlender Tatbestand<br />

II. 1. Die von dem Kläger aufgeworfene Frage von gr<strong>und</strong>sätzlicher<br />

Bedeutung, ob die Nichtzulassungsbeschwerde stets<br />

schon dann erfolgreich ist, wenn das anzufechtende Urteil<br />

entgegen § 69 Abs. 3 ArbGG keinen entsprechenden Tatbestand<br />

enthält, ist im Streitfall nicht entscheidungserheblich.<br />

a) Die Beschwerde weist zutreffend auf die Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts hin, nach der eine Entscheidung,<br />

gegen die der Rechtsbehelf der Nichtzulassungsbeschwerde<br />

statthaft ist, ersehen lassen muss, von welchem Sach- <strong>und</strong><br />

Streitstand das Berufungsgericht ausgegangen ist, welches


Ziel der Rechtsmittelführer verfolgt hat <strong>und</strong> welche Feststellungen<br />

der Entscheidung zugr<strong>und</strong>e gelegt worden sind (BAG,<br />

v. 17. Juni 2003 – 2 AZR 123/02 – AP ZPO 1977 § 543 Nr. 13<br />

= EzA BGB 2002 § 626 Nr. 4, zu I 1 der Gründe; v. 18. Mai<br />

2006 – 6 AZR 627/05 – AP KSchG 1969 § 15 Ersatzmitglied<br />

Nr. 2 = EzA ArbGG 1979 § 69 Nr. 5; v. 19. Juni 2007 – 2 AZR<br />

599/06 –; v. 28. November 2007 – 6 AZN 643/07). Das ist<br />

bei einem Urteil ohne Tatbestand regelmäßig nicht gewährleistet.<br />

Es ist deshalb durchaus erwägenswert, auch im arbeitsgerichtlichen<br />

Verfahren von einem mit der Nichtzulassungsbeschwerde<br />

angreifbaren Urteil zu verlangen, dass es<br />

den Streitstand <strong>und</strong> Streitstoff so wiedergeben muss, dass<br />

die Nachprüfung auf das Vorhandensein der geltend gemachten<br />

Zulassungsgründe ermöglicht wird. Eine Ausnahme gilt<br />

jedoch schon im Revisionsverfahren, wenn der Zweck des<br />

Revisionsverfahrens, dem Revisionsgericht die Nachprüfung<br />

des Berufungsurteils <strong>und</strong> insbesondere dessen Rechtsanwendung<br />

auf den festgestellten Sachverhalt zu ermöglichen, im<br />

Einzelfall deswegen erreicht werden kann, weil der Sach- <strong>und</strong><br />

Streitstand sich aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen<br />

Urteils in einem für die Beurteilung der aufgeworfenen<br />

Rechtsfrage ausreichenden Umfang ergibt (BAG, v. 17. Juni<br />

2003 – 2 AZR 123/02 – a.a.O.; v. 18. Mai 2006 – 6 AZR 627/05<br />

– a.a.O.; v. 19. Juni 2007 – 2 AZR 599/06 –).<br />

b) Diesen Anforderungen ist hier genügt. Obgleich das Landesarbeitsgericht<br />

unter teilweiser Bezugnahme auf den Tatbestand<br />

des Arbeitsgerichts nach § 69 Abs. 2 ArbGG von der<br />

Fertigung eines eigenen Tatbestands im Wesentlichen abgesehen<br />

hat, ergeben sich der vom Landesarbeitsgericht beurteilte<br />

Lebenssachverhalt <strong>und</strong> das aus diesem von der Beklagten<br />

abgeleitete Recht zur Abmahnung aus dem Urteilstenor,<br />

dem vorhandenen Tatbestand <strong>und</strong> den Entscheidungsgründen:<br />

Gegenstand des Rechtsstreits ist eine von der Beklagten<br />

ausgesprochene Abmahnung gestützt auf beleidigende<br />

Äußerungen des Klägers. Der Kläger will die Entfernung der<br />

Abmahnung aus der Personalakte erreichen. Mit seinem Klageantrag<br />

ist der Kläger vor dem Arbeitsgericht unterlegen.<br />

Ziel seiner Berufung ist folgerichtig weiterhin die Aufrechterhaltung<br />

seines Klageantrags. Der wesentliche Inhalt desjenigen<br />

Vorbringens, mit dem die Beklagte die Abmahnung begründet<br />

hat, ist im Berufungsurteil, zum Teil durch wörtliche<br />

Wiedergabe aus dem schriftsätzlichen Vortrag des Klägers,<br />

aufgeführt. Das Berufungsurteil ermöglicht damit die Überprüfung,<br />

ob die Revision auf die Beschwerde des Klägers hin<br />

wegen eines der in § 72 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 ArbGG genannten<br />

Gründe zuzulassen ist. Der Kläger nennt in der Beschwerde<br />

keinen Gr<strong>und</strong>, dessen Oberprüfung Tatsachenstoff erfordern<br />

würde, der nicht aus dem Berufungsurteil erkennbar wäre.<br />

■ B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

vom 24.01.2008, 6 AZN 1193/06<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Gisbert Seidemann,<br />

Budapester Straße 40, 10787 Berlin,<br />

Tel.: 030/2545910<br />

info@advocati.de<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Prozessuales<br />

Anmerkung:<br />

Siehe auch die abgedruckte vorangegangene Entscheidung<br />

des LAG Berlin Nr. 313 (AE) vom 08.11.2006 zu Az. 15 Sa<br />

1297/06, deren Entscheidungsgründe im Wesentlichen wiedergegeben<br />

sind. (rg)<br />

328. Feststellungsinteresse; Kostenentscheidung, nach<br />

„Rücknahme“ der Kündigung<br />

I. Der Kläger hat kein berechtigtes Feststellungsinteresse gem.<br />

§§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 495 Abs. 1, 256 Abs. 1 ZPO.<br />

Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens<br />

oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben<br />

werden, wenn die klagende Partei ein rechtliches Interesse<br />

daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche<br />

Entscheidung alsbald festgestellt wird. Ein Rechtsverhältnis<br />

ist gegeben, wenn zwischen mehreren Personen oder zwischen<br />

Personen <strong>und</strong> Sachen rechtliche Beziehungen bestehen<br />

(etwa BAG, Urteil vom 16.04.1997, 4 AZR 270/96, AP Nr. 1<br />

zu § 22 MTAng-LV; Urteil vom 24.06.1999, 6 AZR 605/97, AP<br />

Nr. 5 zu § 611 BGB Nebentätigkeit; LAG Düsseldorf, Urteil vom<br />

26.06.2003, 11 Sa 368/03, DB 2003, 2706). Bloße Elemente<br />

oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses können dagegen<br />

nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein (BAG, Urteil<br />

vom 25.10.2001, 6 AZR 718/00, SAGE 99, 250 = AP Nr. 1 zu<br />

§ 6 BMT-G II; BGH, Urteil vom 03.05.1977, VI ZR 36/74, BGHZ<br />

68, 331 = NJW 1977, 1288). Allerdings muss sich eine Feststellungsklage<br />

nicht notwendig auf das gesamte Rechtsverhältnis<br />

erstrecken. Vielmehr ist es möglich, diese auf einzelne<br />

Beziehungen oder Folgen aus dem Rechtsverhältnis, auf bestimmte<br />

Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang<br />

einer Leistungspflicht zu beschränken (BAG, Urteil vom<br />

21.11.2002, 6 AZR 34/01, AP Nr. 74 zu § 256 ZPO 1977; Urteil<br />

vom 25.10.2001, a.a.O.).<br />

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gänzlich erfüllt.<br />

Zwar stellt die Wettbewerbsvereinbarung vom 06.09.2007<br />

i.S.d. §§ 74 ff. HGB ein Rechtsverhältnis i.S.d. § 256 ZPO dar.<br />

Der Kläger hat jedoch zurzeit kein rechtliches Interesse an<br />

alsbaldiger Feststellung der (teilweisen) Unverbindlichkeit<br />

bzw. Unzulässigkeit der Wettbewerbsvereinbarung. Die<br />

Wettbewerbsvereinbarung kann frühestens dann Rechtswirkungen<br />

erzielen, sobald feststeht, dass das Arbeitsverhältnis<br />

beendet werden soll. Deshalb ist gr<strong>und</strong>sätzlich davon auszugehen,<br />

dass nicht schon im laufenden Arbeitsverhältnis<br />

sondern frühestens mit Beginn des Verbotszeitraums auf<br />

Feststellung geklagt werden kann, dass das von Arbeitsgeber<br />

vorformulierte Wettbewerbsverbot nicht verbindlich ist (vgl.<br />

ErfK/Schaub, § 74a HGB Rn 13; siehe auch LAG Hamm, Urteil<br />

vom 14.04.2003, 7 Sa 1881/02, NZA-RR 2003, 513). Auf eine<br />

reine Begutachtung einer Wettbewerbsvereinbarung durch<br />

das Gericht hat der Arbeitnehmer ebenso wenig Anspruch<br />

wie auf eine allgemeine Überprüfung der Rechtswirksamkeit<br />

von Vertragsgestaltungen (LAG Hamm, Urteil vom 14.04.2003,<br />

7 Sa 1881/02, a.a.O. m.w.N.).<br />

271


Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

Nachdem die Beklagte die ausgesprochene Kündigung „zurückgenommen“<br />

hat <strong>und</strong> ebenfalls erklärt hat, auf das Wettbewerbsverbot<br />

zu verzichten, wodurch sie nach Ablauf eines<br />

Jahres von der Verpflichtung zur Zahlung einer Karenzentschädigung<br />

frei wird, ist völlig unklar, ob die streitige Wettbewerbsvereinbarung<br />

jemals Wirkung entfalten wird. Die Beendigung<br />

des Arbeitsverhältnisses steht momentan, nachdem<br />

der Kläger das Angebot auf Fortführung des Arbeitsverhältnisses<br />

angenommen hat, nicht im Raum. Jedenfalls sind Anhaltspunkte<br />

hierfür nicht ersichtlich. Weder ist ein entsprechender<br />

Abkehrwille des Klägers selbst vorgetragen, noch sind Tatsachen<br />

erkennbar, die darauf schließen lassen, die Beklagte<br />

wolle erneut kündigen. Ein anzuerkennendes rechtliches Interesse<br />

des Klägers an einer alsbaldigen Feststellung ist daher<br />

nicht gegeben.<br />

Für den 2. Hilfsantrag ist ein Rechtsschutzinteresse des Klägers<br />

darüber hinaus bereits deshalb zweifelhaft, weil der Kläger<br />

aufgr<strong>und</strong> des Verzichts der Beklagten auf das Wettbewerbsverbot<br />

von der sich daraus ergebenden Unterlassungsverpflichtung<br />

befreit ist, die Beklagte jedoch erst nach Ablauf<br />

eines Jahres von der Entschädigungspflicht frei wird. Ein Interesse<br />

des Klägers an einer Feststellung der Unwirksamkeit<br />

des vereinbarten Wettbewerbsverbots ist in dieser Situation<br />

nicht erkennbar. ...<br />

Der Kläger hat die Kosten zu tragen, soweit er unterlegen ist.<br />

Der Beklagten waren nach § 91a Abs. 1 WO jene Kosten aufzuerlegen,<br />

die sich auf den für erledigt erklärten Teil der Klage<br />

beziehen. Nach § 91a Abs. 1 ZPO entscheidet das Gericht über<br />

die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- <strong>und</strong><br />

Streitstandes nach billigem Ermessen. Soweit sich der Kläger<br />

gegen die ihm ausgesprochene Kündigung gewandt hat <strong>und</strong><br />

die Beklagte die Kündigung in der Folge „zurückgenommen“<br />

hat, steht dieses Verhalten der Beklagten einer freiwilligen<br />

Erfüllung eines Klaganspruchs gleich. In einem solchen Fall<br />

sind die Kosten ohne weitere Sachprüfung dem Arbeitgeber<br />

aufzuerlegen. Bei einer „Rücknahme“ einer Kündigung ist wie<br />

bei der freiwilligen Erfüllung einer Forderung in der Regel<br />

davon auszugehen, dass die Klage begründet <strong>und</strong> erfolgreich<br />

gewesen wäre. Nur wenn die Beklagte in einem solchen Fall<br />

darlegt, dass sie andere Gründe als die Begründetheit der<br />

Klage hatte, sich in die Rolle des Unterlegenen zu begeben,<br />

ist eine Sachprüfung geboten (LAG Hessen, Beschluss vom<br />

14.05.2008, 8/15 Ta 490/07, juris; auch LAG Köln, Beschluss<br />

vom 14.03.1995, 4 Ta 62/95, NZA 1995, 1016). Solche anderen<br />

Gründe sind von der Beklagten nicht vorgetragen worden.<br />

■ Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven<br />

vom 08.10.2008, 6 Ca 6251/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Klaus-Dieter Franzen,<br />

Schwachhauser Heerstraße 25, 28211 Bremen,<br />

Tel.: 0421/200730, Fax: 0421/2007399<br />

franzen@dasgesetz.de<br />

272 03/09<br />

329. Berufung, Beschwerdewert, fehlerhafte Gegenstandswertfestsetzung<br />

Lässt das Arbeitsgericht die Berufung gegen ein Urteil nicht<br />

gesondert zu <strong>und</strong> kommt es infolgedessen darauf an, ob der<br />

Wert des Beschwerdegegenstandes gem. § 64 Abs. 2 lit. b)<br />

ArbGG 600 Euro übersteigt, so bindet eine erstinstanzliche,<br />

„auf der Gr<strong>und</strong>lage des Regelstreitwertes“ erfolgte fehlerhafte<br />

Festsetzung des Urteilsstreitwertes auf 4.000 Euro das Landesarbeitsgericht<br />

nicht, wenn sie auch von der Höhe her offensichtlich<br />

fehlerhaft ist.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 30.09.2008, 13 Sa 221/08<br />

Sonstiges<br />

330. Geltungsbereich von Ausschlussfristen, Schadensersatzansprüche,<br />

Herausgabeanspruch; Dienstbekleidung<br />

als Sachleistung; Vergütungsanspruch, Aufrechnung<br />

unpfändbarer Lohnforderung<br />

Die Lohnforderung des Klägers für den Monat Mai 2007 ist<br />

nicht infolge der vom Beklagten dagegen erklärten Aufrechnung<br />

mit seinen behaupteten Gegenforderungen von 765,05<br />

EUR nach § 389 BGB erloschen, denn diese Lohnforderung ist<br />

unter Zugr<strong>und</strong>elegung der Monatstabelle in der Anlage zu<br />

§ 850c ZPO in vollem Umfang unpfändbar angesichts der zwei<br />

Unterhaltspflichten des Klägers, der seiner Ehefrau <strong>und</strong> nach<br />

seinem unwidersprochen geb<strong>liebe</strong>nen <strong>und</strong> damit nach § 138<br />

Abs. 3 ZPO als unstreitig zu qualifizierenden Vortrag in der<br />

Klageschrift auch gegenüber einem Kind unterhaltspflichtig<br />

ist mit der Folge, dass unterhalb eines monatlichen Nettolohnes<br />

des Klägers von 1.480,00 EUR alles unpfändbar ist. Es<br />

ist nicht ersichtlich <strong>und</strong> vom Beklagten auch nicht dargelegt,<br />

dass der Nettolohn des Klägers für den Monat Mai 2007 diesen<br />

Betrag übersteigt. Gegen eine unpfändbare Forderung kann<br />

nicht wirksam aufgerechnet werden (§ 394 Satz 1 BGB).<br />

Gegen eine unpfändbare Lohnforderung kann aufgerechnet<br />

werden mit Schadensersatzansprüchen aus vorsätzlicher<br />

unerlaubter Handlung <strong>und</strong> auch mit Ansprüchen aus vorsätzlicher<br />

Vertragsverletzung (BAG, Urteil vom 28.8.1964 –<br />

1 AZR 414/63 – AP Nr. 9 zu § 394 BGB; Palandt-Grüneberg,<br />

BGB, 66. Auflage 2007, § 394 Rz 2 m.w.N.). Der Beklagte<br />

hat zwar pauschal behauptet, dass seine zur Aufrechnung<br />

gestellten Schadensersatzforderungen aus einer vorsätzlichen<br />

unerlaubten Handlung des Klägers resultierten, jedoch ist das<br />

für das Gericht nicht feststellbar mangels eines hinreichend<br />

substantiierten Tatsachenvortrages des Beklagten dazu. Allein<br />

die als richtig unterstellte Behauptung des Beklagten, der<br />

Kläger habe die Bohrmaschine <strong>und</strong> den Bandschleifer des<br />

Beklagten mit nach Hause genommen, besagt noch nicht,<br />

dass der Kläger deswegen eine unerlaubte Handlung im<br />

Sinne der §§ 823 ff. BGB begangen hat <strong>und</strong> diese Maschinen


in der Absicht rechtswidriger Zueignung für sich hat behalten<br />

wollen.<br />

Abgesehen davon kann der Beklagte die geltend gemachten<br />

Kosten für den Austausch der Schlösser in seiner Werkshalle<br />

schon deshalb nicht beanspruchen, weil der Kläger nach seiner<br />

Behauptung den Hallenschlüssel nie erhalten hat, der Beklagte<br />

hat aber nicht einmal substantiiert unter Beweisantritt<br />

dargelegt, wann genau, wo <strong>und</strong> durch wen der Kläger den<br />

Hallenschlüssel erhalten haben soll.<br />

Unbegründet ist auch der Schadensersatzanspruch des Beklagten<br />

wegen der behaupteten Nichtrückgabe der Jacke mit<br />

dem Firmenlogo, denn diese Jacke hat der Kläger ohnehin<br />

für sich als eine besondere Leistung des Beklagten behalten<br />

dürfen. Das ergibt sich aus § 3 Ziffer 1b) des Arbeitsvertrages<br />

der Parteien (Bl. 30 f. der Akte des Arbeitsgerichts Verden 1<br />

Ca 225/07), wonach dem Kläger Jacken mit Logo neben dem<br />

festgelegten Arbeitsentgelt als „besondere Leistungen“ des<br />

Beklagten gewährt werden. Diese Jacken konnte der Kläger<br />

mithin für sich behalten, was zusätzlich unterstrichen wird<br />

durch die Überschrift des § 3 „Besondere Bezüge“.<br />

Unbegründet ist auch die vom Beklagten verlangte Zurückzahlung<br />

der Lohnüberzahlung aus März 2007 für 2,5 St<strong>und</strong>en<br />

in Höhe von 33,60 EUR nebst der Mehrwertsteuer darauf, denn<br />

diese behauptete Gegenforderung des Beklagten ist ohnehin<br />

verfallen aufgr<strong>und</strong> der Ausschlussfrist des § 15 Nr. 1 BRTV<br />

mangels rechtzeitiger schriftlicher Geltendmachung gegenüber<br />

dem Kläger innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit.<br />

Ein Anspruch des Arbeitgebers auf Rückzahlung überzahlter<br />

Vergütung entsteht bereits im Zeitpunkt der Überzahlung <strong>und</strong><br />

wird in der Regel zugleich fällig, so dass der Lauf der Ausschlussfrist<br />

für den Rückzahlungsanspruch bereits zu diesem<br />

Zeitpunkt beginnt (BAG, Urteil vom 16.10.2007 – 9 AZR 144/07<br />

– AP Nr. 2 zu § 106 GewO). Es ist aber nicht ersichtlich <strong>und</strong><br />

vom Beklagten auch nicht dargelegt worden, dass er diese<br />

Ausschlussfrist gewahrt hat.<br />

Unbegründet ist auch die Rückforderung des Beklagten wegen<br />

der behaupteten Überzahlung des Klägers mit je 4,5 St<strong>und</strong>en<br />

am 2.5., 7.5. <strong>und</strong> 9.5.2007 in Höhe von 151,20 EUR nebst<br />

der Mehrwertsteuer darauf, denn trotz des Bestreitens des Klägers<br />

hat der Beklagte nicht einmal unter Beweisantritt näher<br />

dargelegt, ob <strong>und</strong> inwiefern insoweit tatsächlich eine Überzahlung<br />

des Klägers erfolgt sein soll. Zudem verkennt der<br />

Beklagte, dass er auf seine behaupteten Rückforderungen wegen<br />

überzahlter Vergütung vom Kläger keine Mehrwertsteuer<br />

verlangen kann. Vorsorglich wird der Beklagte darauf hingewiesen,<br />

dass er nicht jetzt noch nachträglich gegen den Kläger<br />

Schadensersatzansprüche verfolgen kann wegen der behaupteten<br />

Nichterfüllung seiner Eigentumsherausgabeansprüche<br />

bezüglich Bohrmaschine, Bandschleifer <strong>und</strong> Jacke mit Firmenlogo,<br />

da diese Schadensersatzansprüche aufgr<strong>und</strong> der bislang<br />

nicht erfolgten gerichtlichen Geltendmachung durch Klageerhebung<br />

nach § 15 Nr. 2 BRTV verfallen sind. Diese Schadensersatzansprüche<br />

wegen Nichterfüllung des Herausgabeanspruchs<br />

unterliegen den Ausschlussfristen (Urteil des LAG<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

Niedersachsen vom 4.11.2003 – 13 Sa 423/03 – LAGE § 611<br />

BGB Nr. 9).<br />

Nach der ständigen Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

fallen absolute Rechte <strong>und</strong> mithin auch Eigentumsherausgabeansprüche<br />

nach § 985 BGB nicht unter tarifliche oder<br />

vertragliche Ausschlussfristen (Urteil vom 27.2.2002 –9AZR<br />

543/00 – AP Nr. 162 zu § 4 TVG Ausschlussfristen; Urteil vom<br />

15.7.1987 – 5 AZR 215/86 – AP Nr. 14 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht).<br />

Zutreffend hat das LAG Niedersachsen in dem<br />

vorstehend genannten Urteil vom 4.11.2003 ausgeführt:<br />

„Von dem Anspruch auf Herausgabe des Eigentums zu<br />

trennen sind aber die mit dessen Nichterfüllung verb<strong>und</strong>enen<br />

Schadensersatzansprüche. Hierunter fallen Ansprüche aus<br />

Verzögerung ebenso wie Ansprüche wegen Nichterfüllung<br />

des Herausgabeanspruchs. Diese Schadensersatzansprüche,<br />

<strong>und</strong> zwar einschließlich des als Surrogat an die Stelle des<br />

Herausgabeanspruchs tretenden Nichterfüllungsschadens,<br />

unterfallen den Ausschlussfristen.“<br />

Diese differenzierte Bewertung ergibt sich aus dem Sinn <strong>und</strong><br />

Zweck von Ausschlussfristen. Sie dienen in erster Linie dazu,<br />

dass kurzfristig bestehende Ansprüche geklärt werden <strong>und</strong><br />

zeitnah über Bestand oder Nichtbestand von Ansprüchen entschieden<br />

werden kann. Der Anspruchsgegner soll innerhalb<br />

kurzer Frist Klarheit darüber haben, welche Ansprüche gegen<br />

ihn geltend gemacht werden, um Aufklärung betreiben zu<br />

können <strong>und</strong> Beweise sichern zu können. Diese Schutzfunktion<br />

der Ausschlussfristen greift ein für Schadensersatzansprüche,<br />

der Antragsgegner kann sich nach Ablauf der Ausschlussfrist<br />

darauf verlassen, dass Ansprüche gegen ihn nicht mehr geltend<br />

gemacht werden. Eines solchen Schutzes bedarf es bei<br />

einem Eigentumsherausgabeanspruch aber nicht, hier muss<br />

ohnehin der Anspruchssteller den unberechtigten Besitz des<br />

Anspruchsgegners beweisen, der Anspruchsgegner ist auch<br />

nicht schutzwürdig, weil er seinen fortbestehenden unberechtigten<br />

Besitz kennt.<br />

Die Differenzierung ist auch nicht künstlich, sie entspricht<br />

nämlich § 197 BGB 2002. Während der Herausgabeanspruch<br />

aus Eigentum gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB 2002 in 30 Jahren<br />

verjährt, unterfallen Schadensersatzansprüche wegen Nichtherausgabe,<br />

nämlich der Schadensersatzanspruch statt Leistung.<br />

oder der Schadensersatzanspruch wegen verspäteter<br />

Rückgabe,, der regelmäßigen Verjährung des § 195 BGB 2002<br />

(Palandt, BGB, 62. Auflage, § 197 Rn 3). Diese Differenzierung,<br />

die der Gesetzgeber nunmehr für Verjährungsfristen gewählt<br />

hat, ist auch für Ausschlussfristen sachgerecht.“<br />

Der Beklagte hat seine Schadensersatzansprüche wegen der<br />

behaupteten Nichterfüllung seiner Eigentumsherausgabeansprüche<br />

gegenüber dem Kläger rechtzeitig geltend gemacht<br />

mit dem ihm am 21.6.2007 zugegangenen Geltendmachungsschreiben<br />

vom 18.6.2007 (Bl. 35f d.A.). Der Kläger hat darauf<br />

binnen zwei Wochen <strong>und</strong> mithin bis zum 5.7.2007 nicht<br />

reagiert, so dass die Schadensersatzansprüche nunmehr nach<br />

§ 15 Nr. 2 BRTV innerhalb von zwei Monaten <strong>und</strong> mithin bis<br />

zum 5.9.2007 gerichtlich hätten geltend gemacht werden<br />

273


Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

müssen, was mithin eine Klageerhebung erfordert. Eine Klage<br />

bzw. Widerklage ist aber bislang nicht erfolgt.<br />

■ Arbeitsgericht Verden<br />

vom 28.11.2008, 1 Ca 261/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Klaus-Dieter Franzen,<br />

Schwachhauser Heerstraße 25, 28211 Bremen,<br />

Tel.: 0421/200730, Fax: 0421/2007399<br />

franzen@dasgesetz.de<br />

331. Urlaubsanspruch, einstweilige Verfügung, Zwangsgeld<br />

<strong>und</strong> Ersatzzwangshaft<br />

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist gemäß<br />

§§ 935, 940 ZPO zulässig (vgl. Schäfer, Der einstweilige<br />

Rechtsschutz im Arbeitsrecht, Rn 98 ff. m.w.N.).<br />

Der Antrag ist auch begründet. Dabei ergibt sich der Verfügungsanspruch<br />

aus § 1 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 BUrlG.<br />

Der Verfügungskläger verfügt unstreitig noch über einen Urlaubsanspruch<br />

in Höhe von 19,5 Tagen, den die Verfügungsbeklagte<br />

nach den Wünschen des Klägers festzulegen hat; da<br />

die Urlaubserteilung nicht im Ermessen des Arbeitgebers liegt,<br />

kann der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Urlaubserteilung<br />

in einem bestimmten Zeitraum gerichtlich durchsetzen. Der<br />

Arbeitgeber als Schuldner des Anspruchs ist nach § 7 Abs. 1<br />

BUrlG verpflichtet, den Arbeitnehmer nach seinen Wünschen<br />

für die Dauer des Urlaubs von der Arbeitspflicht zu befreien.<br />

Seiner Verpflichtung zur Urlaubserteilung kann sich der Arbeitgeber<br />

im Urlaubsjahr nur <strong>und</strong> nur so lange entziehen,<br />

wie ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 7 Abs. 1 BUrlG<br />

besteht.<br />

Ein solches Leistungsverweigerungsrecht hat die Verfügungsbeklagte<br />

im Streitfall nicht dargelegt. Es ergibt sich nicht aus<br />

der nichtförmlichen Urlaubsbeantragung durch den Verfügungskläger.<br />

Das Gesetz sieht eine besondere Form für die<br />

Geltendmachung des Urlaubswunsches durch den Arbeitnehmer<br />

nicht vor. Selbst wenn der Verfügungskläger im Streitfall<br />

verpflichtet wäre, einen schriftlichen Urlaubsantrag auf<br />

einem bestimmten Formblatt auszufüllen, wäre die Nichtausfüllung<br />

lediglich eine Ordnungswidrigkeit, die aber keinesfalls<br />

dazu führen könnte, dass der Urlaubsantrag des Klägers als<br />

nicht gestellt gilt. Eine andere Betrachtungsweise würde gegen<br />

gr<strong>und</strong>legende Prinzipien des Urlaubsrechts verstoßen.<br />

Der Verfügungsbeklagten steht auch kein Leistungsverweigerungsrecht<br />

aus den Gründen des § 7 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 2 <strong>und</strong><br />

Abs. 2 S. 1 BUrlG zu, die die Ablehnung des Urlaubswunsches<br />

rechtfertigten könnten. Dringende betriebliche Belange im<br />

Sinne der vorgenannten gesetzlichen Bestimmungen liegen<br />

nicht bereits dann vor, wenn personelle Engpässe oder sonstige<br />

Störungen des Betriebsablaufes zu besorgen sind. Dem<br />

Arbeitgeber ist vielmehr zuzumuten, die regelmäßig durch Urlaub<br />

zu erwartenden Engpässe einzukalkulieren <strong>und</strong> dementsprechend<br />

Personal vorzuhalten. Dringend sind daher betriebliche<br />

Belange nur dann, wenn nicht vorhersehbare Umstände<br />

(z.B. Krankheit) zu Personalmangel führen <strong>und</strong> dem Arbeitge-<br />

274 03/09<br />

ber eine zusätzliche Belastung durch urlaubsbedingte Ausfälle<br />

nicht zugemutet werden kann.<br />

Der bloße Hinweis der Verfügungsbeklagten auf die Abteilungsbesetzung<br />

ist kein Ersatz für die Darlegung dringender<br />

betrieblicher Belange. Die Verfügungsbeklagte hat weder dargelegt,<br />

wie sie die regelmäßig durch Urlaub zu erwartenden<br />

Engpässe einkalkuliert noch dargestellt, dass ihr durch die<br />

begehrte Urlaubsgewährung eine zusätzliche unzumutbare<br />

Belastung entsteht.<br />

Der sich nach alldem zu Gunsten des Verfügungsklägers ergebende<br />

Verfügungsanspruch indiziert auch den Verfügungsgr<strong>und</strong>.<br />

Der Verfügungskläger hat nicht darzulegen, aus welchen<br />

Gründen die Gewährung des Urlaubs gerade in der von<br />

ihm beantragten Zeit für ihn von besonderer Bedeutung ist.<br />

Da die Verfügungsbeklagte nicht ansatzweise dem Urlaubswunsch<br />

des Klägers entgegenstehende dringende betriebliche<br />

Erfordernisse genannt hat, war es nicht möglich, eine<br />

Abwägung der Interessen der Prozessparteien vorzunehmen.<br />

Im Übrigen droht der Verfall des Urlaubsanspruchs des Verfügungsklägers<br />

zumindest nach der Verfallsbestimmung in § 7<br />

Abs. 3 BUrlG.<br />

Dem Antrag war daher mit der im Tenor angegebenen Kostenfolge,<br />

die auf § 91 ZPO beruht, stattzugeben.<br />

Da nach Auffassung der Kammer sich die Vollstreckbarkeit<br />

des titulierten Anspruchs nach § 888 ZPO richtet (so auch<br />

Lansnicker, Prozesse in Arbeitssachen, 6 Rn 363) ist die Androhung<br />

von Zwangsgeld <strong>und</strong> Ersatzzwangshaft unschädlich,<br />

wenn auch nicht notwendig (vgl. § 888 Abs. 2 ZPO).<br />

■ Arbeitsgericht Iserlohn<br />

vom 28.11.2008, 1 Ga 30/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Ingo Graumann,<br />

Von-Scheibler-Straße 10, 58636 Iserlohn,<br />

Tel.: 02371/835555, Fax: 02371/835556<br />

GM.Arbeitsrecht@t-online.de<br />

332. AGG, Benachteiligung, Statistik<br />

1. Statistische Daten können im Gr<strong>und</strong>satz ein Indiz für eine<br />

geschlechtsspezifische Benachteiligung im Rahmen des § 22<br />

AGG sein, wenn sie im Bezugspunkt der konkreten Maßnahme<br />

(Einstellung, Beförderung) aussagekräftig sind.<br />

2. Ein solches Datum kann beispielsweise das Verhältnis zwischen<br />

männlichen <strong>und</strong> weiblichen Bewerbungen einerseits<br />

<strong>und</strong> der Geschlechterverteilung bei den schließlich getroffenen<br />

Auswahlentscheidungen andererseits sein.<br />

3. Demgegenüber hat die Geschlechterverteilung in der Gesamtbelegschaft<br />

im Verhältnis zu der Geschlechterverteilung<br />

in den Führungspositionen keinen entsprechenden Aussagewert,<br />

denn diese sagt nichts über die Frage der Qualifikation<br />

für <strong>und</strong> die Anzahl von Bewerbungen auf Führungspositionen<br />

aus.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg<br />

vom 12.02.2009, 2 Sa 2070/08


333. AGG, Benachteiligung, Herkunftsdefinition, Mobbing;<br />

Prozessstandschaft, NATO-Truppenstatut; Kostenerstattung,<br />

außergerichtliche Kosten<br />

II. Die Klage ist jedoch unbegründet, da dem Kläger Schmerzensgeld,<br />

Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche<br />

schon dem Gr<strong>und</strong>e nach nicht zustehen.<br />

Im Einzelnen gilt Folgendes:<br />

1. Ansprüche des Klägers auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2<br />

AGG bestehen nicht.<br />

Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG kann ein Beschäftigter wegen<br />

eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist eine angemessene<br />

Entschädigung in Geld verlangen. Voraussetzung<br />

hierfür ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des<br />

§ 7 AGG. Danach dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in<br />

§ 1 AGG genannten Gr<strong>und</strong>es benachteiligt werden. Behauptet<br />

der Arbeitnehmer eine Benachteiligung wegen eines in § 1<br />

AGG genannten Gr<strong>und</strong>es so hat er gemäß § 22 AGG zumindest<br />

Indizien zu beweisen, die eine solche Benachteiligung<br />

vermuten lassen. Er muss somit zunächst den Vollbeweis führen,<br />

dass die von ihm angegriffene Maßnahme wie behauptet<br />

stattgef<strong>und</strong>en hat. Auch trifft ihn die volle Beweislast für das<br />

Vorliegen eines Benachteiligungsmerkmals im Sinn des § 1<br />

AGG (vgl. Thüsing, in: MünchK zum Bürgerlichen Gesetzbuch,<br />

5. Aufl., Rn 6, 8 zu § 22 AGG). Hinsichtlich des Beruhens der<br />

Benachteiligung auf einem Gr<strong>und</strong> gemäß § 1 AGG greift an<br />

die Beweislastregelung des § 22 AGG, d.h., der Arbeitgeber<br />

muss bei Vorliegen geeigneter Indizien beweisen, dass kein<br />

Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung<br />

vorgelegen hat.<br />

Vorliegend trägt der Kläger vor, am 06.01.2008 <strong>und</strong> 15.01.2008<br />

durch die Herren V. <strong>und</strong> P. als „Schwuchtel“ bezeichnet worden<br />

zu sein. Zu Recht weist der Klägervertreter darauf hin,<br />

dass unter sexueller Identität im Sinn des § 1 AGG die Präverenz<br />

bei der sexuellen Partnerwahl zu verstehen ist also<br />

Heterosexualität, Homosexualität oder Bisexualität. Damit ist<br />

bei Verwendung des herabsetzenden Begriffs „Schwuchtel“<br />

jedenfalls ein Merkmal des § 1 AGG betroffen, wobei es keine<br />

Rolle spielt, ob der Kläger tatsächlich homosexuell ist oder<br />

nicht, § 7 Abs. 1 Hs. 2 AGG.<br />

Ob bei Verwendung des Begriffs „Schwuchtel“ durch einen<br />

Vorgesetzten ohne weitere Voraussetzungen ein Schmerzensgeld<br />

bzw. Entschädigungsanspruch ausgelöst wird kann dahinstehen,<br />

weil der Kläger für die entsprechenden Behauptungen<br />

letztendlich beweisfällig geb<strong>liebe</strong>n ist.<br />

Der Kläger bietet zum Beweis seiner Behauptungen allein<br />

die Einvernahme der eigenen Person an. Diese Einvernahme<br />

hatte nicht zu erfolgen. Eine Vernehmung gemäß § 447 ZPO<br />

schied schon deshalb aus, weil es an dem Einverständnis<br />

der Beklagten zur Einvernahme des Klägers, das ausdrücklich<br />

hätte erklärt werden müssen (vgl. Zöller, ZPO, 25. Aufl., Rn 2<br />

zu § 447), fehlt.<br />

Auch eine Parteieinvernahme gemäß § 448 ZPO von Amts wegen<br />

war nicht veranlasst. Voraussetzung hierfür wäre gewe-<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

sen, dass auf Gr<strong>und</strong> einer Gesamtwürdigung aller Umstände<br />

<strong>und</strong> des Sachvortrags der Parteien eine gewisse Wahrscheinlichkeit<br />

für die Richtigkeit der streitigen Behauptung spricht,<br />

d.h. es muss mehr für sie als gegen sie sprechen, „ein Beweis“<br />

muss erbracht sein (vgl. Zölle, a.a.O., Rn 4 zu § 448 ZPO; BAG,<br />

Urteil vom 20.10.1987, Az: 3 AZR 200/86). Vorliegend sind<br />

keinerlei Umstände ersichtlich, aus denen auf eine gewisse<br />

Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit der klägerischen Behauptungen<br />

geschlossen werden könnte.<br />

Allerdings sichert Artikel 103 Abs. 1 GG i.V.m. Artikel 2 Abs. 1<br />

GG <strong>und</strong> dem im Artikel 20 Abs. 3 GG gewährleisteten Rechtsstaatsprinzip<br />

den Anspruch auf rechtliches Gehör vor Gericht<br />

<strong>und</strong> das mit ihm im Zusammenhang stehende Recht auf Gewährleistung<br />

eines wirkungsvollen Rechtsschutzes. Dies hat<br />

für den Fall eines „4-Augen-Gesprächs“ der beteiligten Parteien<br />

zur Folge, dass eine Parteivernehmung oder eine Parteianhörung<br />

nach § 141 ZPO dann zu erfolgen hat, wenn ein<br />

Gespräch allein zwischen den Parteien stattgef<strong>und</strong>en hat <strong>und</strong><br />

deshalb kein Zeuge, auch kein „gegnerischer“ Zeuge zugegen<br />

war (vgl. BAG, Urteil vom 22.05.2007, Az: 3 AZN 1155/06<br />

m.w.N.). Vorliegend behauptet der Kläger nicht, dass die Bezeichnung<br />

„Schwuchtel“ durch gesetzliche Vertreter der Beklagten<br />

oder der Streitkräfte erfolgte. Vielmehr geht es um<br />

Bemerkungen eines in der betrieblichen Hierarchie kaum über<br />

den Kläger stehenden Vorarbeiters. Damit liegt kein Fall der<br />

Beweisnot vor, der Anlass zur Durchführung einer Parteieinvernahme<br />

der beweisbelasteten Partei gegeben hätte. Vielmehr<br />

wäre es Sache des Klägers gewesen, die Zeugen X. <strong>und</strong><br />

Y. für die Richtigkeit seiner Behauptungen als Beweis anzubieten.<br />

Bei Zweifeln an der Richtigkeit der Aussage wäre eine<br />

Parteianhörung nach § 141 ZPO oder eine Parteivernehmung<br />

nach § 448 ZPO durchzuführen gewesen.<br />

Die Verwirklichung weiterer Diskriminierungsmerkmale im<br />

Sinn des § 1 AGG trägt der Kläger nicht vor. Weder durch<br />

die behauptete Bezeichnung als „Ossi“ noch durch die<br />

behaupteten Bemerkungen hinsichtlich seiner Herkunft „aus<br />

dem Osten“ verb<strong>und</strong>en mit der Bemerkung „Lusche“ bzw.<br />

der Bemerkung, dass „die aus dem Osten nichts taugen“<br />

würden, stellt eine Diskriminierung wegen ethnischer Herkunft<br />

im Sinn des § 1 AGG dar. Das Merkmal der ethnischen<br />

Herkunft bezieht sich auf nicht vererbliche Merkmale wie<br />

die Zugehörigkeit des Menschen zu einem bestimmten<br />

Kulturkreis, zu einer gemeinsamen Religion <strong>und</strong> Sprache.<br />

Kennzeichnend ist, dass die betreffenden Menschen auf<br />

Gr<strong>und</strong> dieser Merkmale eine dauerhafte Einheit bilden (z.B.<br />

Kurden, Sorben, Sinti <strong>und</strong> Roma), Maßgeblich ist die Wahrnehmung<br />

als „andere Gruppe“ in Gebräuchen, Herkunft <strong>und</strong><br />

Erscheinung. Äußeres Erscheinungsbild, Sprache <strong>und</strong> Religion<br />

können hier wichtige Merkmale sein, den Typus der Ethnie zu<br />

beschreiben. Maßgeblich ist insgesamt die Wahrnehmung als<br />

„andere Gruppe“ in Gebräuchen, Herkunft <strong>und</strong> Erscheinung,<br />

(vgl. Lingemann, Müller, Die Auswirkungen des allgemeinen<br />

Gleichbehandlungsgesetzes auf die Arbeitsvertragsgestaltung,<br />

Betriebsberater 2007, Seite 2013 ff.; Thüsing, a.a.O.,<br />

275


Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

Rn 54, 55 zu § 1 AGG). Keine Ethnien sind demzufolge Ost<strong>und</strong><br />

Westdeutsche, Bayern <strong>und</strong> Schwaben, Düsseldorfer <strong>und</strong><br />

Kölner. Wir sind ein Volk – auch diskriminierungsrechtlich (so<br />

zutreffend Thüsing, a.a.O.).<br />

Weitere Diskriminierungsmerkmale werden vom Kläger nicht<br />

vorgetragen. Damit scheidet § 15 AGG als Rechtsgr<strong>und</strong>lage<br />

für den geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch aus.<br />

2. Auch weitere Anspruchsgr<strong>und</strong>lagen für den geltend gemachten<br />

Schmerzensgeldanspruch bestehen nicht.<br />

Es kann dahinstehen, ob der Kollege des Klägers, Herr V. am<br />

15.01.2008 die behaupteten Äußerungen dem Kläger gegenüber<br />

getan hat <strong>und</strong> ob diese gegebenenfalls eine so schwere<br />

Verletzung des Persönlichkeitsrechts zur Folge hatten, dass<br />

Schmerzensgeldansprüche gemäß §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB<br />

i.V.m. § 185 StGB in Betracht kommen. Eine Haftung der Beklagten<br />

bzw. der Streitkräfte für deliktisches Handeln des <strong>Kollegen</strong><br />

des Klägers scheidet schon deshalb aus, weil der Arbeitskollege<br />

des Klägers ihm gegenüber nicht Verrichtungsgehilfe<br />

des Arbeitgebers im Sinn des § 831 BGB war.<br />

Auch eine Verletzung eigener Pflichten der Streitkräfte, die<br />

zur Begründung von Schadensersatzpflichten gemäß §§ 280,<br />

278 BGB führen könnten des Arbeitgeber ist nicht ersichtlich.<br />

Der Kläger hat sich nach eigenem Sachvortrag erst nach den<br />

Vorfällen vom 15.01.2009 an seinen Vorsätzen gewandt. Eine<br />

Verletzung der Fürsorgepflicht durch unterlassene Verhinderung<br />

weiterer Beleidigungen scheidet somit aus.<br />

Auch kann der Beklagten bzw. den Streitkräften das möglicherweise<br />

schuldhafte Handeln Herrn V. nicht unmittelbar<br />

gemäß § 278 BGB zugerechnet werden. Zwar haftet der<br />

Arbeitgeber dem betroffenen Arbeitnehmer gegenüber<br />

gemäß § 278 BGB für schuldhaft begangene Persönlichkeitsrechtsverletzungen<br />

durch einen von ihm als Erfüllungsgehilfen<br />

eingesetzten Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber hat<br />

demzufolge für die schuldhafte Verletzung der auf seine<br />

Erfüllungsgehilfen übertragenen arbeitsvertraglichen Schutzpflichten,<br />

etwa die Pflicht zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts<br />

einzustehen. Notwendig ist jedoch immer,<br />

dass die schuldhafte Handlung in einem inneren sachlichen<br />

Zusammenhang mit den Aufgaben steht, die der Schuldner<br />

dem Erfüllungsgehilfen im Hinblick auf die Vertragserfüllung<br />

zugewiesen hat. Dies ist regelmäßig nur dann der Fall,<br />

wenn die Erfüllungsgehilfen gegenüber dem betroffenen<br />

Arbeitnehmer die Fürsorgepflicht konkretisieren bzw. ihm<br />

gegenüber Weisungsbefugnisse haben. Eine Zurechnung<br />

kommt hingegen nicht in Betracht, wenn, wie vorliegend<br />

behauptet, gleichgestellte <strong>Kollegen</strong> einander beschimpfen<br />

(vgl. BAG, Urteil vom 16.05.2007, Az: 8 AZR 709/06).<br />

Schließlich können die geltend gemachten Schmerzensgeldansprüche<br />

auch nicht unter dem Stichwort „Mobbing“<br />

zugesprochen werden. „Mobbing“ ist kein Rechtsbegriff<br />

<strong>und</strong> damit auch keine Anspruchsgr<strong>und</strong>lage für Ansprüche<br />

des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber oder gegen<br />

Vorgesetzte bzw. einen oder mehrerer Arbeitskollegen (vgl.<br />

BAG, Urteil vom 16.05.2007 a.a.0.). Es ist deshalb jeweils<br />

276 03/09<br />

zu prüfen, ob der in Anspruch genommene in den vom<br />

Kläger genannten Einzelfällen arbeitsrechtliche Pflichten, ein<br />

absolutes Recht des Arbeitnehmers im Sinn des § 823 Abs. 1<br />

BGB, ein Schutzgesetz im Sinn des § 823 Abs. 2 BGB verletzt<br />

oder eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung im Sinn<br />

des § 826 BGB begangen hat. In diesem Zusammenhang<br />

ist zu beachten, dass es Fälle gibt, in denen die einzelnen,<br />

vom Arbeitnehmer dargelegten Handlungen oder Verhaltensweisen<br />

seiner Arbeitskollegen oder seiner Vorgesetzten<br />

bzw. seines Arbeitgebers für sich allein betrachtet noch<br />

keine Rechtsverletzungen darstellen, die Gesamtschau der<br />

einzelnen Handlungen oder Verhaltensweisen jedoch zu<br />

einer Vertrags- oder Rechtsgutverletzung führt, weil deren<br />

Zusammenfassung auf Gr<strong>und</strong> der ihnen zugr<strong>und</strong>e liegenden<br />

Systematik <strong>und</strong> Zielrichtung zu einer Beeinträchtigung eines<br />

geschützten Rechts des Arbeitnehmers führt.<br />

Solche Verhaltensweisen können Schmerzensgeldansprüche<br />

gemäß §§ 280, 278, 253 Abs. 2, 823 BGB dann auslösen, wenn<br />

nicht nur ganz geringfügige Verletzungen der Ges<strong>und</strong>heit verursacht<br />

worden oder eine schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts<br />

vorliegt, bei der Genugtuung durch Unterlassen,<br />

Gegendarstellung oder Widerruf nach Art der Verletzung auf<br />

andere Weise nicht zu erreichen ist.<br />

Vorliegend sind solche Verhaltensweisen letztendlich nicht<br />

ausreichend vorgetragen <strong>und</strong> unter Beweis gestellt.<br />

Soweit der Kläger Bemerkungen der Vorarbeiter P. vom<br />

06.01.2008, 17.30 Uhr <strong>und</strong> 15.01.2008, 4.05 Uhr, 4.50 Uhr<br />

behauptet, fehlt es an ausreichenden Beweisangeboten (siehe<br />

oben).<br />

Konkret werden sodann noch vier weitere Äußerungen<br />

des Vorarbeiters <strong>und</strong> des <strong>Kollegen</strong> V. vom Vormittag des<br />

15.01.2008 behauptet. Dem übrigen Sachvortrag fehlt es an<br />

der notwendigen Konkretisierung. Die Rede ist pauschal von<br />

„monatelangen Demütigungen“ <strong>und</strong> anderen Äußerungen,<br />

die „immer wieder“ gefallen seien. Wann konkret wer was<br />

gesagt hat, wird nicht vorgetragen. Eine nähere Konkretisierung<br />

erfolgt auch nicht hinsichtlich der an anderer Stelle<br />

vorgetragenen Behauptung des Klägers, ihm sei erinnerlich,<br />

dass der Zeuge V. „immer Strafputzen“ verteilte, wenn Kritik<br />

an seiner Person geübt wurde.<br />

Verbleibt es somit bei maximal vier beleidigenden Äußerungen<br />

an einem Vormittag so kann von einer systematischen<br />

Vorgehensweise mit dem Ziel durch „Einschüchterungen, Anfeindungen,<br />

Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen<br />

gekennzeichnetes Umfeld“ (Belästigungsbegriff aus<br />

§ 3 Abs. 3 AGG, der für alle Benachteiligungen von Arbeitnehmern<br />

heranzuziehen ist) nicht gesprochen werden.<br />

Soweit für den 15.01.2008, 5.10 Uhr behauptet wird, der Vorarbeiter<br />

habe gegenüber einem neuen Mitarbeiter gesagt, „der<br />

Kläger komme aus dem Osten <strong>und</strong> die taugen alle nichts“<br />

liegt zwar eine ausreichende Konkretisierung des Sachvortrags<br />

vor. Diese Äußerung allein ist selbst bei Wahrunterstellung<br />

nicht geeignet Schmerzensgeldansprüche auszulösen,<br />

nachdem eine durch diese Behauptung ausgelöste Ges<strong>und</strong>-


heitsstörung nicht behauptet wird. Damit scheiden Schmerzensgeldansprüche<br />

gemäß §§ 280, 278, 253 Abs. 2 BGB aus.<br />

Auch §§ 823, 831 BGB kommen als Anspruchsgr<strong>und</strong>lage nicht<br />

in Betracht. Persönlichkeitsverletzungen können einen Anspruch<br />

auf Geldentschädigung für immaterielle Schäden nur<br />

dann begründen, wenn eine schwerwiegende Verletzung des<br />

allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliegt, bei der die Beeinträchtigung<br />

nach Art der Verletzung nicht in anderer Weise<br />

befriedigend ausgeglichen werden kann. Eine solch schwerwiegende<br />

Verletzung des Persönlichkeitsrechts kann das Gericht<br />

in der behaupteten Äußerung aber nicht erkennen. Nur<br />

ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Behauptungen<br />

im Übrigen nicht ausreichend unter Beweis gestellt sind. Die<br />

Parteivernehmung des beweisbelasteten Klägers kommt nicht<br />

in Betracht (siehe oben). Eine ladungsfähige Anschrift des<br />

benannten Zeugen wurde entgegen der Ankündigung im<br />

Schriftsatz vom 09.05.2008 nicht nachgereicht.<br />

Damit bleibt als Zwischenergebnis festzuhalten, dass der Kläger<br />

unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Schmerzensgeldzahlung<br />

verlangen kann. Die Klage war deshalb in Ziff. 1 abzuweisen.<br />

3. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Erstattung der<br />

Kosten der außergerichtlichen oder gerichtlichen Rechtsverfolgung<br />

zu. Dem steht schon die Tatsache entgegen, dass<br />

sich die Beklagte bzw. die B. dem Kläger gegenüber nicht<br />

schadensersatzpflichtig gemacht hat (siehe oben), wodurch<br />

es einem Kostenerstattungsanspruch von vornherein an der<br />

notwendigen Rechtsgr<strong>und</strong>lage fehlt.<br />

Im Übrigen besteht nach der Bestimmung des § 12a ArbGG<br />

selbst für die obsiegende Partei kein Anspruch auf Erstattung<br />

der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten.<br />

Dieser Ausschluss betrifft nach ständiger Rechtsprechung des<br />

B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts nicht nur im gerichtlichen Verfahren<br />

anfallende Vertreterkosten sondern auch vorprozessuale Kosten<br />

unabhängig davon, ob später ein Prozess geführt wird<br />

oder nicht (vgl. Schwab, Veth, Komm. z. ArbGG, Rn 16 zu § 12a<br />

m.w.N.). Die Vorschrift des § 1a Abs. 1 Satz 1 ArbGG betrifft<br />

im Übrigen nicht nur den prozessualen Kostenerstattungsanspruch<br />

sondern entfaltet auch materiell rechtliche Wirkungen.<br />

Der Annahme eines nach materiell rechtlichen Normen ersatzfähigen<br />

Schadens steht in Höhe der Kosten für die Zuziehung<br />

eines Prozessbevollmächtigten § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG entgegen<br />

(vgl. BAG, Urteil vom 30.04.1992, Az: 8 AZR 288/91).<br />

Ob bei Schadensersatzansprüchen nach § 15 AGG von diesen<br />

Gr<strong>und</strong>sätzen abzuweichen wäre, (dagegen: Roloff, Beck’scher<br />

online Kommentar, Rn 4 zu § 15 AGG) kann dahinstehen, da<br />

dem Kläger, wie dargelegt, keine Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche<br />

nach § 15 AGG zustehen.<br />

■ Arbeitsgericht Würzburg<br />

vom 23.01.2009, 3 Ca 664/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt German Cramer,<br />

Rückertstraße 25, 97421 Schweinfurt,<br />

Tel.: 09721/209320, Fax: 09721/2093232<br />

rechtsanwaelte@cramer-rothm<strong>und</strong>.de<br />

334. AGG, geschlechtsspezifische Benachteiligung<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

1. Für einen Anspruch aus § 15 AGGG ist eine hinreichende Erfolgsaussicht<br />

gegeben, wenn ausreichende Indizien im Sinne<br />

des § 22 AGG für eine geschlechtsspezifische Benachteiligung<br />

vorgetragen sind.<br />

2. Trägt eine schwangere Arbeitnehmerin vor, dass ihr befristetes<br />

Arbeitsverhältnis nach Mitteilung der Schwangerschaft<br />

nicht verlängert worden ist, während die befristeten Arbeitsverhältnisse<br />

aller vergleichbaren Arbeitnehmer verlängert<br />

worden sind, liegen ausreichende lndiztatsachen für eine<br />

Umkehr der Beweislast gemäß § 22 AGG vor.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 06.04.2009, 5 Ta 89/09<br />

335. Urlaubsanspruch, zusammenhängende Gewährung,<br />

Rechtsmissbrauch<br />

1. Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte die Urlaubsansprüche<br />

der Klägerin dadurch erfüllt hat, dass sie ihr im Jahr<br />

2007 insgesamt 31 Tage Urlaub bewilligte, die auf insgesamt<br />

11 Zeiträume verteilt waren <strong>und</strong> zwischen 0,5 Arbeitstage <strong>und</strong><br />

10 Arbeitstage betrugen.<br />

2. 1. Das Arbeitsgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt,<br />

dass der Klägerin kein Anspruch auf eine weitere Urlaubsabgeltung<br />

zusteht. Denn ihr Urlaubsanspruch ist, soweit er nicht<br />

von der Beklagten nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

abgegolten worden ist, durch Erfüllung erloschen.<br />

Unstreitig hat die Beklagte der Klägerin im Jahre 2007 an<br />

insgesamt 31 Tagen Urlaub bewilligt. Hierdurch ist Erfüllung<br />

des Urlaubsanspruchs eingetreten, § 362 BGB.<br />

1.1. Der Erfüllungswirkung steht vorliegend nicht entgegen,<br />

dass der Urlaub nicht zusammenhängend festgelegt worden<br />

ist. Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 BUrlG ist der Urlaub allerdings<br />

zusammenhängend zu gewähren, es sei denn, dass dringende<br />

betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende<br />

Gründe eine Teilung des Urlaubs erforderlich machen. Aus<br />

dieser nach § 13 Abs. 1 BUrlG unabdingbaren Vorschrift folgt,<br />

dass der Arbeitnehmer gr<strong>und</strong>sätzlich einen Anspruch auf ungeteilten<br />

Urlaub des laufenden Urlaubsjahres hat.<br />

1.2. Hiervon kann nur abgewichen werden, wenn dringende<br />

betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende<br />

Gründe eine Teilung des Urlaubs erforderlich machen.<br />

Dringende betriebliche Gründe für eine Teilung sind vorliegend<br />

nicht vorgetragen worden.<br />

Es liegen jedoch Gründe in der Person des Arbeitnehmers für<br />

die Teilung des Urlaubs vor.<br />

1.2.1. Die Urlaubsgewährung durch die Beklagte erfolgte vorliegend<br />

in jedem Fall ausschließlich auf einen entsprechenden<br />

Antrag der Klägerin hin. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte<br />

direkt oder indirekt Einfluss auf die jeweiligen Anträge<br />

der Klägerin genommen hat, sind nicht ersichtlich.<br />

277


Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

In der Rechtsprechung <strong>und</strong> Kommentarliteratur wird überwiegend<br />

die Auffassung vertreten, dass ein bloßer Wunsch des<br />

Arbeitnehmers auf einen geteilten Urlaub nicht ausreicht, um<br />

eine Teilung im Sinne des § 7 Abs. 2 Satz 1 BUrlG zu rechtfertigen<br />

(LAG Düsseldorf, vom 25.10.2004, 10 Sa 1306/04, LAGE § 7<br />

BUrlG Nr. 41; LAG Düsseldorf, vom 25.07.2007, 12 Sa 944/07,<br />

LAGE § 7 BUrlG Abgeltung Nr. 21; ErfK/Dörner, 9. Aufl., § 7<br />

BUrlG Rz 24; Leinemann/Linck, 2. Aufl., § 7 BUrlG, Rz. 60; Friese,<br />

Urlaubsrecht, F VII Rz 220).<br />

Demgegenüber wird eingewandt, dass der Arbeitnehmer<br />

seinen Erholungszweck <strong>und</strong> seine Wiederauffrischung der<br />

Arbeitskraft auch erreichen kann, wenn er den Urlaub auf<br />

mehrere Einzelteile verteilt. Dadurch könne sogar ein höherer<br />

Erholungszweck eintreten. Deshalb könne der Arbeitnehmer<br />

zwar die zusammenhängende Gewährung durchsetzen, § 7<br />

Abs. 2 BUrlG habe jedoch keine Auswirkung, wenn eine<br />

Aufteilung des Urlaubs dem Wunsch <strong>und</strong> dem Einverständnis<br />

des Arbeitnehmers entspricht (BeckOK-Lampe, § 7 BUrlG, Rz<br />

14).<br />

Die erkennende Kammer schließt sich der letztgenannten<br />

Auffassung an.<br />

Dem B<strong>und</strong>esurlaubsgesetz kann nicht entnommen werden,<br />

dass der bloße Wunsch des Arbeitnehmers auf einen geteilten<br />

Urlaub nicht als ein in der Person des Arbeitnehmers liegender<br />

Gr<strong>und</strong> im Sinne von § 7 Abs. 2 Satz 1 BUrlG anzusehen ist. Vielmehr<br />

muss diese Vorschrift im Zusammenhang mit § 7 Abs. 1<br />

Satz 1 BUrlG gesehen werden. Danach hat der Arbeitgeber<br />

die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen,<br />

es sei denn, dass ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche<br />

Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer<br />

entgegenstehen. Sind derartige entgegenstehende Gründe<br />

wie vorliegend nicht vorhanden, besteht ein Anspruch des<br />

Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber darauf, seinen Urlaub<br />

entsprechend seinen Wünschen festzulegen. Wünscht<br />

der Arbeitnehmer mithin eine Aufteilung seines Urlaubsanspruchs<br />

auf mehrere einzelne Urlaubszeiträume, führt dieser<br />

Urlaubswunsch des Arbeitnehmers dazu, dass hinsichtlich des<br />

beantragten <strong>und</strong> gewährten Urlaubs Erfüllung des Urlaubsanspruchs<br />

eintritt (vgl. BAG, vom 08.12.1992, 9 AZR 81/92, n.v.).<br />

Hierzu steht im Widerspruch, wenn der Wunsch des Arbeitnehmers<br />

auf eine Urlaubserteilung nicht als in der Person<br />

des Arbeitnehmers liegender Gr<strong>und</strong> im Sinne von § 7 Abs. 2<br />

Satz 1 BUrlG anerkannt wird. Denn dann hätte die Beachtung<br />

des § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG durch den Arbeitgeber zur Folge,<br />

dass eine Urlaubsgewährung unter Berücksichtigung der Urlaubswünsche<br />

des Arbeitnehmers nicht zu einer Erfüllung des<br />

Urlaubsanspruchs führt mit der Folge, dass der Arbeitgeber<br />

den Urlaub ein zweites Mal, nunmehr allerdings zusammenhängend,<br />

gewähren müsste.<br />

1.2.2. Auch Sinn <strong>und</strong> Zweck des Erholungsurlaubs sprechen<br />

nicht gegen eine Teilung des Urlaubs, wenn diese auf dem<br />

ausdrücklichen Wunsch des Arbeitnehmers beruht <strong>und</strong> solange<br />

den Urlaubsanträgen des Arbeitnehmers selbst nicht<br />

entnommen werden kann, dass in Folge der Aufteilung eine<br />

278 03/09<br />

sinnvolle Erholungsphase des Arbeitnehmers nicht gewährleistet<br />

ist, etwa wenn in einem Kalenderjahr ausschließlich<br />

jeweils nur für 1 oder 2 Tage Urlaub beantragt wird.<br />

Zum einen kann in der Regel davon ausgegangen werden,<br />

dass ein Arbeitnehmer im Rahmen seiner Selbstbestimmung<br />

einschätzen kann, welche Aufteilung des Urlaubsanspruchs<br />

für ihn persönlich <strong>und</strong> seine Erholungswünsche am Besten ist.<br />

Zum anderen würde eine Nichtakzeptierung des bloßen Urlaubswunsches<br />

des Arbeitnehmers im Rahmen des § 7 Abs. 2<br />

Satz 1 BUrlG dazu führen, dass der Arbeitgeber verpflichtet<br />

wäre, bei dem Arbeitnehmer in jedem Einzelfall den Gr<strong>und</strong> für<br />

eine Urlaubsteilung zu hinterfragen <strong>und</strong> zu bewerten, ob der<br />

angegebene Gr<strong>und</strong> die Teilung des Urlaubs erforderlich im<br />

Sinne des Gesetzes macht. Der Arbeitnehmer kann hiergegen<br />

zu Recht einwenden, dass die Art <strong>und</strong> Weise seiner Freizeitgestaltung<br />

den Arbeitgeber nichts angeht, solange keine Anhaltspunkte<br />

dafür vorliegen, dass eine dem Urlaubszweck eindeutig<br />

widersprechende Freizeitgestaltung beabsichtigt ist.<br />

Schließlich geht auch das B<strong>und</strong>esurlaubsgesetz selbst nicht<br />

davon aus, dass nur eine zusammenhängende Urlaubsgewährung<br />

dem bestehenden Erholungsbedürfnis des Arbeitnehmers<br />

Rechnung trägt. § 7 Abs. 2 Satz 2 BUrlG regelt zwar, dass<br />

bei einer Urlaubsteilung einer der Urlaubsteile mindestens 12<br />

aufeinander folgende Werktage umfassen muss. Gerade diese<br />

Vorschrift ist jedoch von der Unabdingbarkeit des § 13 Abs. 1<br />

BUrlG ausgenommen worden. Dies bedeutet, dass hiervon<br />

auch zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden<br />

kann. Die Aufteilung des Urlaubs im Kalenderjahr steht also<br />

im Be<strong>liebe</strong>n der Parteien (ErfK/Dörner, § 13 BUrlG Rz 21). Nach<br />

dem B<strong>und</strong>esurlaubsgesetz ist folglich eine Vereinbarung zulässig,<br />

auch wenn sie eine Urlaubsteilung vorsieht, die nicht<br />

zumindest einen Urlaubsteil von 12 aufeinander folgenden<br />

Werktagen umfasst.<br />

1.2.3. Die Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts steht<br />

vorstehenden Ausführungen nicht entgegen.<br />

Das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht hat in einem Urteil vom 29.07.1965<br />

(5 AZR 380/64, AP Nr. 1 zu § 7 BUrlG) entschieden, dass eine<br />

Vereinbarung zwischen Arbeitgeber <strong>und</strong> Arbeitnehmer unzulässig<br />

ist, die einer Aufstückelung des Erholungsurlaubes in<br />

vielfache Halbtages- <strong>und</strong> Einzelst<strong>und</strong>enteile vorsieht, da damit<br />

Sinn <strong>und</strong> Zweck des dem Arbeitnehmer unabdingbar zustehenden<br />

Erholungsurlaubs völlig verfehlt werden. Gemessen<br />

an dem unersetzlichen Wert des Erholungsurlaubes, der seine<br />

Wirksamkeit nur in einer längeren geschlossenen Urlaubsperiode<br />

entfalten könne, käme eine einverständliche Urlaubsregelung<br />

entsprechend der Vereinbarung der Parteien des dort<br />

entschiedenen Falles auch bei Vorliegen dringender persönlicher<br />

Gründe auf Seiten des Klägers einer mit § 13 Abs. 1 Satz 3<br />

BUrlG unvereinbaren Abdingung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs<br />

gleich.<br />

Diese Entscheidung betrifft nicht die Frage, ob der Urlaubswunsch<br />

des Arbeitnehmers ein in seiner Person liegender<br />

Gr<strong>und</strong> im Sinne des § 7 Abs. 2 Satz 1 BUrlG ist.<br />

In einem Urteil vom 08.12.1992 (9 AZR 81/92) hat das B<strong>und</strong>es-


arbeitsgericht hinsichtlich der Gewährung von einem Urlaubstag<br />

auf Antrag der dortigen Klägerin für den Rosenmontag<br />

entschieden, dass der Urlaubsanspruch in Höhe eines Tages<br />

erloschen ist. Bedenken gegen die Zulässigkeit der Gewährung<br />

eines Teilurlaubs von nur 1 Tag sind in dieser Entscheidung<br />

nicht geäußert worden.<br />

In dem Urteil des BAG vom 21.11.2006 (9 AZR 97/06, AP<br />

Nr. 59 zu § 11 BUrlG) wird schließlich ohne weiterer Begründung<br />

ausgeführt, dass nach § 7 Abs. 2 BUrlG möglichst eine<br />

zusammenhängende Gewährung erforderlich <strong>und</strong> dass eine<br />

Stückelung auf einzelne Tage unzulässig ist. Auch diese Entscheidung<br />

betrifft nicht den Fall, ob der auf Wunsch des Arbeitnehmers<br />

gewährte Urlaub zu einer Erfüllung des Urlaubsanspruchs<br />

führt.<br />

2. Die Berufung der Klägerin ist allerdings auch unbegründet,<br />

wenn entgegen vorstehender Ausführungen eine Erfüllung<br />

des Urlaubsanspruchs nicht eingetreten ist. Denn das<br />

Urlaubsabgeltungsverlangen der Klägerin ist jedenfalls rechtsmissbräuchlich<br />

im Sinne des § 242 BGB, da die Klägerin sich<br />

mit ihrem Begehren in Widerspruch zu ihrem eigenen Verhalten<br />

setzt.<br />

Das LAG Düsseldorf (Urteil vom 25.10.2004, 10 Sa 1306/04,<br />

LAGE § 7 BUrlG Nr. 41) hat diesbezüglich ausgeführt, der<br />

Anspruch aus § 7 Abs. 2 BUrlG könne zwar nicht allein mit der<br />

Begründung versagt werden, der Arbeitnehmer verhalte sich<br />

widersprüchlich, wenn er auf der einen Seite den Urlaub<br />

geteilt – auch unter Verstoß gegen den Mindesturlaub<br />

nach § 7 Abs. 2 Satz 2 BUrlG – beantragt <strong>und</strong> zugebilligt<br />

bekommt <strong>und</strong> andererseits später den Verstoß gegen § 7<br />

Abs. 2 BUrlG reklamiert <strong>und</strong> nochmals Urlaub beansprucht. Es<br />

sei Sache des Arbeitgebers, den gesetzlichen Mindesturlaub<br />

unter Beachtung des § 7 Abs. 2 BUrlG zu gewähren <strong>und</strong><br />

damit dem ges<strong>und</strong>heitspolitischen Ziel des Gesetzes, dem<br />

Arbeitnehmer in regelmäßigen Abständen hinreichend Zeit<br />

zur Erholung zu geben, Rechnung zu tragen. Es könne<br />

deshalb nur in engen Grenzen ein widersprüchliches <strong>und</strong><br />

damit rechtsmissbräuchliches Verhalten des Arbeitnehmers<br />

angenommen werden (h.M. vgl. Neumann/Fenksi, a.a.O, § 7<br />

Rn 62; GK/BUrlG/Bachmann, a.a.O., § 7 Rn 99 m.w.N.). Es<br />

liege deshalb noch kein widersprüchliches Verhalten vor,<br />

wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den Urlaub auf<br />

dessen Wunsch gewährt. Denn von Rechtsmissbrauch kann<br />

nur gesprochen werden, wenn die Rechtsausübung des<br />

Arbeitnehmers als solche zu missbilligen ist, weil sie zur<br />

Verfolgung eines rücksichtslosen Eigennutzes zum Nachteil<br />

des Arbeitgebers dient (vgl. BAG, Urteil vom 09.12.2003 – 9<br />

AZR 328/02 –, EzA § 242 BGB 2002 Rechtsmissbrauch Nr. 2).<br />

Unter Zugr<strong>und</strong>elegung dieser Gr<strong>und</strong>sätze ist die Kammer zu<br />

dem Ergebnis gelangt, dass vorliegend besondere Umstände<br />

vorhanden sind, die die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen<br />

Verhaltens der Klägerin rechtfertigen.<br />

Zu berücksichtigen ist, dass die Urlaubsgewährung im Jahr<br />

2007 auf ausdrückliches Verlangen <strong>und</strong> allein im Interesse der<br />

Klägerin erfolgt ist. Der Klägerin sind zudem im August 2007<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

zusammenhängend 12 Werktage Urlaub gewährt worden, so<br />

dass der Vorschrift des § 7 Abs. 2 Satz 2 BUrlG damit Rechnung<br />

getragen ist. Auch die verb<strong>liebe</strong>nen Urlaubstage sind<br />

nicht in so kleine Teile aufgesplittet worden, dass bezogen<br />

auf das Urlaubsjahr eine Erholung der Klägerin nicht möglich<br />

war. Vielmehr hatte die Klägerin neben den zwei Wochen im<br />

August 2008 weitere 12. Kalendertage um Ostern herum frei<br />

<strong>und</strong> jeweils eine Woche Ende Oktober <strong>und</strong> Ende November<br />

2007.<br />

Unter diesen Umständen ist es rechtsmissbräuchlich, wenn<br />

die Klägerin nunmehr einwendet, der Arbeitgeber habe<br />

den Urlaubsanspruch nicht erfüllt, der gesamte Jahresurlaub<br />

müsse nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nunmehr<br />

abgegolten werden.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 23.04.2009, 7 Sa <strong>165</strong>5/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Hans-Jürgen Hiekel,<br />

Adenauerplatz 1, 33602 Bielefeld,<br />

Tel.: 0521/965350, Fax: 0521/9653599<br />

Bielefeld@brandi.net<br />

336. AGG, Belästigung, Mobbing, Ausforschungsbeweis<br />

I. ... 3. Die Klage ist unzulässig, soweit mit den Klageanträgen<br />

zu 1) <strong>und</strong> 2) gegenüber der Beklagten zu 1), bzw. Beklagten<br />

zu 2) beantragt wird, dass „Mobbing-Handlungen der Beklagten<br />

zu 2) gegen die Klägerin, insbesondere Anspielungen<br />

auf das Alter der Klägerin( ... )“ nicht mehr stattfinden sollen,<br />

bzw. von der Beklagten zu 2) zu unterlassen sind. Dieser Antrag<br />

ist insoweit zu unbestimmt, §§ 253, 495 ZPO i.V.m. § 46<br />

Abs. 2 ArbGG. Das Bestimmtheitserfordernis soll unter anderem<br />

den Streitgegenstand festlegen <strong>und</strong> eine Zwangsvollstreckung<br />

aus dem Urteil heraus ermöglichen, ohne das Vollstreckungsverfahren<br />

selbst mit Sachfragen zu belasten (vgl.<br />

Musielak, ZPO, 6. Auflage, Rn 29 zu § 353 ZPO m.w.N.). Letzteres<br />

wäre aber vorliegend der Fall. Weder der Begriff des<br />

„Mobbing“, noch die Formulierung „Anspielung auf das Alter“<br />

ist hinreichend bestimmt. Hier ist jeweils eine beinahe unbegrenzte<br />

Anzahl von unterschiedlichen Fallgestaltungen möglich,<br />

bei welchen im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens<br />

erst einmal geklärt werden müsste, ob es sich hierbei<br />

um eine Mobbinghandlung, bzw. um eine Anspielung auf das<br />

Alter handelt. Letzteres wäre z.B. auch bei einem einfachen<br />

Geburtstagsglückwunsch der Fall. Der Antrag ist allerdings<br />

zulässig, soweit er sich auf die weiteren aufgeführten Handlungen<br />

bezieht. Diese sind hinreichend bestimmt.<br />

II. 1. Der Klägerin steht kein Anspruch gegen die Beklagte zu<br />

1) zu, Nachfragen der Beklagten zu 2) zu unterbinden, wann<br />

diese gedenke in Ruhestand zu gehen oder Äußerungen wie,<br />

sie solle es sich zu Hause schön machen, §§ 242 BGB, bzw.<br />

§ 12 AGG analog (vgl. hierzu BAG, Urt. v. 25.10.2007, Az: 8 AZR<br />

593/06). Gleiches gilt für den Unterlassungsantrag gegenüber<br />

der Beklagten zu 2), §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB analog.<br />

Es kann im Ergebnis dahingestellt bleiben, wann bei einer<br />

279


Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

dauernden Nachfrage nach dem beabsichtigten Ruhestand,<br />

bzw. einer mehrfach geäußerten Aussage, dass es sich die Klägerin<br />

zu Hause schön machen solle, die Grenze der Lästigkeit<br />

zur reinen Schikane überschritten wird.<br />

Der Sachvortrag der Klägerin ist insoweit unsubstantiiert. Insbesondere<br />

betrifft dies die Behauptung, dass die Beklagte zu<br />

2) die Klägerin „regelmäßig“ befragt haben soll, wann diese<br />

gedenke, in Ruhestand zu gehen, bzw. die Frage nach der Beendigung<br />

des Dienstverhältnisses, der Rente bzw. dem Aufhören<br />

<strong>und</strong> dem Alter immer erfolgt seien, sobald sich irgendeine<br />

Gelegenheit geboten habe, teilweise mehrfach wöchentlich.<br />

Unabhängig davon, dass sich der Unterlassungsantrag – soweit<br />

er zulässig ist – nur auf die Frage nach dem beabsichtigten<br />

Ruhestand bezieht, ist auch der entsprechende Beweisantritt<br />

auf Gr<strong>und</strong> der Vielzahl der behaupteten Ereignisse daher<br />

ein Ausforschungsbeweis, dem seitens des Gerichts nicht<br />

nachzugehen war. Die Klägerin müsste im Einzelnen darlegen,<br />

zu welchen Zeitpunkten welche Aussagen <strong>und</strong> in welchem<br />

Zusammenhang durch die Beklagte zu 2) getätigt worden sein<br />

sollen.<br />

Bezüglich der behaupteten Aussage der Beklagten zu 2),<br />

die Klägern solle es sich „doch mit ihrem Mann zu Hause<br />

schön“ machen, hat die Klägerin eine solche Äußerung nur<br />

für einen einzigen Zeitpunkt konkretisiert <strong>und</strong> substantiiert<br />

vorgetragen. Dies betrifft das Gespräch am 06.12.2007. Im<br />

Übrigen hat sie pauschal <strong>und</strong> daher prozessual unbeachtlich<br />

vorgetragen, dass dies „immer wieder“ in den Folgemonaten<br />

nach dem Ausscheiden ihres Mannes im September 2005<br />

erfolgt sein soll. Unabhängig von der Frage, ob diese<br />

Äußerung am 06.12.2007 tatsächlich so gefallen ist, vermag<br />

das Gericht selbst bei Wahrunterstellung insoweit nicht zu<br />

erkennen, in wieweit durch eine solche einmalige Aussage<br />

eine Rechtsverletzung stattgef<strong>und</strong>en haben soll, welche einen<br />

Unterlassungsanspruch begründen könnte.<br />

2. Der Klägerin steht weder ein Anspruch auf Schmerzensgeld<br />

auf Gr<strong>und</strong> einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung, noch<br />

aus einem deliktischen Handeln zu, §§ 241 Abs. 2, 253 Abs. 2,<br />

278, § 280 Abs. 1, 823 Abs. 1, 823 Abs. 2, 826, 831 BGB, Art. 1<br />

Abs. 1, 2 Abs. 1 GG.<br />

Bei dem Begriff des so genannten „Mobbing“ handelt es sich<br />

nicht um einen Rechtsbegriff <strong>und</strong> damit auch um keine verselbständigte<br />

Anspruchsgr<strong>und</strong>lage. Es muss jeweils geprüft<br />

werden, ob der in Anspruch Genommene in den von der<br />

Klägerin genannten Einzelfällen arbeitsrechtliche Pflichten,<br />

ein absolutes Recht des Arbeitnehmers i.S.d. § 823 Abs. 1<br />

BGB, ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB verletzt oder<br />

eine sittenwidrige Schädigung i.S.d. § 826 BGB begangen hat.<br />

In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass es Fälle gibt,<br />

in welchen die einzelnen, vom Arbeitnehmer dargelegten<br />

Handlungen oder Verhaltensweisen seiner Arbeitskollegen,<br />

Vorgesetzten oder seines Arbeitgebers für sich allein betrachtet<br />

noch keine Rechtsverletzungen darstellen, jedoch die Gesamtschau<br />

der einzelnen Handlungen oder Verhaltensweisen<br />

280 03/09<br />

zu einer Vertrags- oder Rechtsgutsverletzung führt, weil deren<br />

Zusammenfassung auf Gr<strong>und</strong> der ihnen zugr<strong>und</strong>e liegenden<br />

Systematik <strong>und</strong> Zielrichtung zu einer Beeinträchtigung eines<br />

geschützten Rechtes des Arbeitnehmers führt. Letzteres ist<br />

insbesondere dann der Fall, wenn unerwünschte Verhaltensweisen<br />

bezwecken oder bewirken, dass die Würde des Arbeitnehmers<br />

verletzt <strong>und</strong> ein durch Einschüchterungen, Anfeindungen,<br />

Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen<br />

gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Dies entspricht<br />

der in § 3 Abs. 3 AGG erfolgten Definition des Begriffes<br />

„Belästigung“, die eine Benachteiligung i.S.d. § 1 AGG darstellt.<br />

Da ein Umfeld gr<strong>und</strong>sätzlich nicht durch ein einmaliges,<br />

sondern durch ein fortdauerndes Verhalten geschaffen wird,<br />

sind alle Handlungen bzw. Verhaltensweisen, die dem systematischen<br />

Prozess der Schaffung eines bestimmten Umfeldes<br />

zuzuordnen sind, in die Betrachtung mit einzubeziehen (vgl.<br />

BAG, Urt. v. 24.04.2008, Az: 8 AZR 347/07).<br />

Es reicht insoweit aber nicht aus, dass Maßnahmen des Arbeitgebers<br />

Belastungen für Arbeitnehmer mit sich bringen.<br />

Selbst wenn diese Maßnahmen als Wahrnehmung vermeintlicher<br />

Rechte unwirksam waren, kann hieraus allein nicht<br />

auf Mobbing geschlossen werden. Erst wenn man aus den<br />

gemachten Fehlern schließen kann, dass der Arbeitnehmer<br />

zermürbt werden sollte, ergibt sich eine andere Beurteilung.<br />

Auch wenn es zu justiziablen Auseinandersetzungen zwischen<br />

Arbeitgeber <strong>und</strong> Arbeitnehmer z. B. um die Reichweite<br />

des Direktionsrechts kommt, handelt es sich um im<br />

Arbeitsleben normale Konflikte, die unter Zuhilfenahme der<br />

Arbeitsgerichte geklärt werden müssen (vgl. LAG Schleswig-<br />

Holstein, Urt. v. 15.10.2008, Az: 3 Sa 196/08). Die Darlegungs<strong>und</strong><br />

Beweislast für das Vorliegen einer Mobbinghandlung<br />

trägt nach allgemeinen Gr<strong>und</strong>sätzen der betroffene Arbeitnehmer.<br />

Der Arbeitnehmer hat konkret die Tatsachen anzugeben,<br />

aus denen er das Vorliegen von Mobbing ableitet (vgl.<br />

BAG, Urt. v. 16.05.2007, Az: 8 AZR 709/06). Pauschaler <strong>und</strong><br />

wertender Vortrag mit Worten wie z.B. „gängeln“ (vgl. LAG<br />

Schleswig-Holstein, Urt. v. vom 28.03.2006, Az: 5 Sa 595/06),<br />

„beschimpft“ ( LAG Nürnberg, Urt. v. 05.09.2006, Az: 6 Sa<br />

537/04), „verbalen Übergriffen, Beleidigungen <strong>und</strong> massiven<br />

Drohungen“ (LAG Köln, vom 21.04.2006 – 12 (7) Sa 64/06)<br />

ist nicht ausreichend (vgl. LAG Schleswig- Holstein, Urt. v.<br />

15.10.2008, Az: 3 Sa 196/08).<br />

Im Hinblick auf die Beklagte zu 2) gilt, dass diese als Vorgesetzte<br />

der Klägerin die arbeitsvertragliche Verpflichtung<br />

hat, Verhaltensweisen zu unterlassen, die es bezwecken oder<br />

bewirken, dass die Würde der Klägerin verletzt wird <strong>und</strong><br />

ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen,<br />

Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld<br />

geschaffen wird (vgl. BAG, Urt. v. 25.10.2007, Az: 8 AZR<br />

593/06).<br />

Vorliegend hat die Klägerin im Rahmen der ihr obliegenden<br />

Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast weder durch die einzelnen dargelegten<br />

Handlungen, noch in der Gesamtschau dem Gr<strong>und</strong>e


nach einen Schadensersatzanspruch gegenüber den Beklagten<br />

nachweisen können. ...<br />

Soweit ein Beweisantritt erfolgte, ist dieser auf Gr<strong>und</strong> der<br />

möglichen Vielzahl der Geschehnisse als Ausforschungsbeweis<br />

unzulässig. Auf diesen Aspekt wurde bereits durch die<br />

Beklagtenseite hingewiesen, weshalb es eines richterlichen<br />

Hinweises nach § 139 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG nicht<br />

bedurfte.<br />

■ Arbeitsgericht Nürnberg<br />

vom 17.12.2008, 8 Ca 2028/08 A<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Bertram Bauer,<br />

Martin-Luther-Ring 6-8, 91522 Ansbach,<br />

Tel.: 0981/9712700, Fax: 0981/97127030<br />

info@rae-pbw.de<br />

337. Zwangsvollstreckung, Zeugnis, Kosten der Erledigung<br />

I. Mit Vergleich vom 18.08.2008 verpflichtete sich die Beklagte<br />

unter anderem, der Klagepartei ein wohlwollendes, qualifiziertes<br />

Arbeitszeugnis auszustellen <strong>und</strong> zu übersenden, welches<br />

sich auf die Leistungen <strong>und</strong> das Verhalten im Arbeitsverhältnis<br />

erstreckt, mit der Gesamtbewertung „gut“ (vgl. Bl. 154 d.A.).<br />

Die Beklagte wurde durch die Klagepartei mehrmals zur Erfüllung<br />

der im Vergleich übernommen Verpflichtung aufgefordert,<br />

zunächst mit Fristsetzung bis 11.09.2008, dann nochmals<br />

mit Schreiben vom 13.10.2008 unter Fristsetzung bis zum<br />

20.10.2008.<br />

Mit Antrag vom 21.10.2008 beantragte die Klägerin wegen<br />

der Nichtausstellung <strong>und</strong> Übersendung des Zeugnisses die<br />

Zwangsvollstreckung nach § 888 ZPO. Mit Schreiben vom<br />

08.12.2008 teilte die Klagepartei mit, dass am 05.12.2008<br />

ein Arbeitszeugnis eingegangen sei. Die Klagepartei erklärte<br />

daraufhin den Zwangsvollstreckungsantrag für erledigt. Die<br />

Beklagte widersprach der Erledigterklärung innerhalb der<br />

gesetzten zweiwöchigen Stellungnahmefrist nicht.<br />

Nach Ansicht der Klägerin habe sich die Beklagte bereits im<br />

Verzug bef<strong>und</strong>en. Daher sei die Einleitung der Zwangsvollstreckung<br />

gerechtfertigt gewesen <strong>und</strong> die Kosten des Verfahrens<br />

der Beklagten aufzuerlegen.<br />

Die Beklagte verwahrte sich gegen eine Kostentragungspflicht.<br />

Ihrer Ansicht nach habe sie keine Veranlassung zur<br />

Zwangsvollstreckung gegeben, da sie am 16.10.2008 bei dem<br />

Prozessbevollmächtigten der Klägerin angefragt habe, ob sie<br />

ein Zeugnis formulieren <strong>und</strong> vorlegen solle oder ob die Klägerin<br />

selbst eine von ihr gewünschte Formulierung vorgeben<br />

wolle. Mit Schreiben vom 17.10.2008 habe der Klägervertreter<br />

dies abgelehnt <strong>und</strong> noch vor einer Weiterleitungsmöglichkeit<br />

an sie die Zwangsvollstreckung eingeleitet. Zeitgleich sei das<br />

Zeugnis erstellt <strong>und</strong> der Klägerin übersandt worden.<br />

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten<br />

Schriftsätze verwiesen.<br />

Die Kosten des Zwangsvollstreckungsverfahrens waren der<br />

Beklagten aufzuerlegen, §§ 91a, 888, 891 S. 3. ZPO.<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

Infolge der Zustimmungsfiktion gem. § 91a Abs. 1 Satz 2 ZPO<br />

ist für das Gericht bindend von einer tatsächlichen Erledigung<br />

der Hauptsache auszugehen.<br />

Nach Erledigterklärung beider Parteien hat das Gericht gem.<br />

§ 91a Abs. 1 S. 1, S. 2 ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen<br />

Sach- <strong>und</strong> Streitstandes nach billigem Ermessen über<br />

die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden. Unter Berücksichtigung<br />

des bisherigen Akteninhalts <strong>und</strong> Abschätzung des<br />

voraussichtlichen Ausgangs des Rechtsstreits sind die Kosten<br />

des Verfahrens der Beklagten aufzuerlegen.<br />

Der Antrag war bei Anhängigkeit zulässig <strong>und</strong> begründet. Die<br />

Zwangsvollstreckung hatte vorliegend einheitlich nach § 888<br />

ZPO zu erfolgen (vgl. LAG Thüringen, Beschl. v. 23.12.2000, Az:<br />

5 Ta 58/00).<br />

Entgegen der Ansicht der Beklagten mangelte es der Klagepartei<br />

nicht an dem auch für das Zwangsvollstreckungsverfahren<br />

erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Letzteres fehlt im<br />

Rahmen der Zwangsvollstreckung zunächst gr<strong>und</strong>sätzlich nur,<br />

wenn der Schuldner die Handlung unstreitig bereits vorgenommen<br />

hat (vgl. Musielak, ZPO, 6. Auflage, Rn 4 zu § 888<br />

ZPO). Die Beklagte hat sich vorliegend zur Ausstellung <strong>und</strong><br />

Übersendung des Arbeitszeugnisses verpflichtet. Dies ist bis<br />

zum 21.10.2008 unstreitig nicht erfolgt.<br />

Unabhängig hiervon wurde der Beklagten auch zweimalig<br />

eine Frist zur Erfüllung der in dem Vergleich übernommenen<br />

Verpflichtung seitens der Klagepartei gesetzt. Dies geschah<br />

sogar unter Androhung der Zwangsvollstreckung. Das Telefonat<br />

am 16.10.2008 ändert hieran nichts, selbst wenn der<br />

Sachvortrag der Beklagten als wahr unterstellt wird. Der Beklagten<br />

stand vielmehr ein ausreichender Zeitraum zur Verfügung,<br />

um die titulierte <strong>und</strong> fällige Verbindlichkeit zu erfüllen.<br />

Da sie dies unterlassen hat, waren ihr die Kosten des Verfahrens<br />

aufzuerlegen.<br />

■ Arbeitsgericht Nürnberg<br />

vom 28.02.2009, 8 Ca 8422/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Bertram Bauer,<br />

Martin-Luther-Ring 6-8, 91522 Ansbach,<br />

Tel.: 0981/9712700, Fax: 0981/97127030<br />

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338. Mobbing, Schmerzensgeld<br />

Die zulässige Klage ist unbegründet. Ein Anspruch auf Ersatz<br />

des immateriellen Schadens lässt sich weder aus vertraglicher<br />

noch aus deliktischer Handlung herleiten.<br />

I. Allgemeine Gr<strong>und</strong>lage vertraglicher Schadensersatzansprüche<br />

ist § 280 Abs. 1 BGB. Nach allgemeiner Ansicht stellt ein<br />

Mobbing durch den Arbeitgeber regelmäßig eine Verletzung<br />

der Fürsorgepflicht <strong>und</strong> damit einer arbeitsvertraglichen Nebenleistungspflicht<br />

dar (vgl. LAG Thüringen, v. 10.04.2001 – 5<br />

Sa 403/00 –, NZA-RR 2001, 347). Die Verletzung arbeitgeberseitiger<br />

Fürsorgepflichten kann auch den Ersatz immaterieller<br />

Schäden zur Folge haben. Der Anspruch auf Schmerzensgeld<br />

ist durch die Neufassung des § 253 BGB nicht mehr nur ein<br />

281


Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

deliktischer Anspruch, sondern auch ein schuldrechtlicher. Gemäß<br />

§ 253 Abs. 2 BGB kann, soweit wegen einer Verletzung<br />

des Körpers, der Ges<strong>und</strong>heit, der Freiheit oder des sexuellen<br />

Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten ist, wegen des<br />

Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung<br />

in Geld gefordert werden. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

ist allerdings nicht in § 253 Abs. 2 BGB erwähnt<br />

<strong>und</strong> wird daher nicht von seinem Anwendungsbereich erfasst.<br />

Soweit somit die Klägerin ihren Schmerzensgeldanspruch auf<br />

vertraglicher Gr<strong>und</strong>lage der §§ 280 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB<br />

stützen will, kommt es auf einen Verletzung der abschließend<br />

in § 253 Abs. 2 BGB aufgezählten Rechtsgüter Körper, Ges<strong>und</strong>heit,<br />

Freiheit <strong>und</strong> sexuelle Selbstbestimmung an. Die Klägerin<br />

führt vorliegend eine Ges<strong>und</strong>heitsbeeinträchtigung durch<br />

Vorlage eines ärztlichen Attestes vom 11./12.11.2007 an, welches<br />

lautet:<br />

„O.g. Patientin befand sich vom 06.09.-29.09.06 in nervenärztlicher<br />

Behandlung in unserer Praxis.<br />

Eine Wiedervorstellung erfolgte am 09.11.07.<br />

Im Jahre 2006 bestanden erhebliche Symptome einer depressiven<br />

Belastungsstörung sowohl psychischer als auch physischer<br />

Art. Es war eine medikamentöse Einstellung sowie stützende<br />

Gespräche notwendig. Insbesondere bestand damals<br />

eine Belastungssituation am Arbeitsplatz.<br />

Obwohl das Arbeitsverhältnis mittlerweile gekündigt ist,<br />

schildert die Patientin weiterhin ausgeprägte Unsicherheiten,<br />

Ängstlichkeiten, Depressivität <strong>und</strong> emotionale Unausgeglichenheit,<br />

längerfristig anhaltend.<br />

Aus nervenärztlicher Sicht ist für die Verfassung der Patientin<br />

o.g. Situation verantwortlich zu machen, die bisher nicht<br />

verarbeitet werden konnte. Eine weitere nervenärztliche Behandlung<br />

ist erforderlich.“<br />

Mit Vorlage dieses Attest hat die Klägerin nach Auffassung<br />

der Kammer jedoch nicht hinreichend substantiiert dargelegt,<br />

dass Mobbinghandlungen der Beklagten ursächlich für die behaupteten<br />

<strong>und</strong> von der Beklagten bestrittenen, in dem Attest<br />

aufgeführten Erkrankungen waren. Zwar ist in dem Attest als<br />

Ursache für die angeführten Erkrankungen der Klägerin „insbesondere“<br />

die Belastungssituation am Arbeitsplatz angegeben.<br />

Allein daraus kann jedoch nach Auffassung der Kammer<br />

nicht entnommen werden, dass <strong>und</strong> welche Mobbinghandlungen<br />

für die behaupteten Ges<strong>und</strong>heitsbeeinträchtigungen<br />

kausal waren. Zwar ist zwischen den Parteien unstreitig, dass<br />

die Klägerin mit den zugewiesenen Aufgaben <strong>und</strong> unter den<br />

damals bestehenden Bedingungen nicht einverstanden war.<br />

Allein eine Belastungssituation am Arbeitsplatz, die auch zu<br />

psychischen Problemen führen kann, ist jedoch in dem heutigen<br />

Berufsleben nicht selten <strong>und</strong> bedeutet nicht immer ein<br />

Mobbingverhalten des Arbeitgebers. Eine Kausalität zwischen<br />

den behaupteten psychischen Ges<strong>und</strong>heitsbeeinträchtigungen<br />

<strong>und</strong> einem (schuldhaften) Verhalten der Beklagten ergibt<br />

sich aus dem Attest nicht zwingend. Dabei hat die Kammer<br />

auch berücksichtigt, dass in dem Attest aufgeführt ist, dass<br />

„insbesondere“ die Belastungssituation am Arbeitsplatz be-<br />

282 03/09<br />

stand. Das weist darauf hin, dass neben der von der Klägerin<br />

empf<strong>und</strong>enen Belastungssituation möglicherweise auch<br />

andere, z.B. private Gründe für die Erkrankung der Klägerin<br />

ursächlich waren. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass<br />

sich die Klägerin bereits am 06.09.2006, nachdem sie die ihr<br />

zugewiesenen Tätigkeiten also gerade einmal drei Wochen<br />

(nämlich vom 14.07. bis zum 06.08.2006) ausgeübt hat, in<br />

nervenärztliche Behandlung begeben hat. Auch das legt die<br />

Vermutung nahe, dass auch andere Umstände für die Erkrankungen<br />

ursächlich gewesen sein könnten.<br />

Jedenfalls enthält das Attest einen Beleg dafür, dass die Erkrankung<br />

auf eine Mobbingattacke zurückzuführen ist, nicht.<br />

Das Attest spricht nur von „einer Belastungssituation am Arbeitsplatz“<br />

<strong>und</strong> enthält damit weder eine Aussage zu irgendeinem<br />

Handeln des Arbeitgebers, welches der Arzt auch nicht<br />

kennen dürfte, noch zu dessen Kausalität für die Ges<strong>und</strong>heitsbeeinträchtigung.<br />

II. Auch ein deliktischer Anspruch im Sinne des § 823 Abs. 1<br />

BGB in Verbindung mit Artikel 1, 2 GG lässt sich nicht feststellen.<br />

Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf<br />

Leistung von Schmerzensgeld nach §§ 847 Abs. 1, 823 BGB<br />

wegen eines Mobbingverhaltens dem Gr<strong>und</strong>e nach nicht zu.<br />

1. Der Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB setzt<br />

voraus, dass das Leben, der Körper, die Ges<strong>und</strong>heit, die Freiheit,<br />

das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen<br />

widerrechtlich verletzt wird. Dabei muss die Verletzung ursächlich<br />

auf ein Handeln, Tun oder Unterlassen des Schädigers<br />

zurückgeführt werden können. Es muss ein Ursachenzusammenhang<br />

zwischen dem Verhalten des Schädigers <strong>und</strong> der<br />

Rechtsgutverletzung bestehen (haftungsbegründende Kausalität)<br />

<strong>und</strong> zwischen der Verletzung des Rechtsguts <strong>und</strong> dem<br />

geltend gemachten Schaden (haftungsausfüllende Kausalität).<br />

Ferner setzen Schadensersatzansprüche gemäß § 823 Abs. 1<br />

BGB ein Verschulden des Schädigers voraus, also Vorsatz oder<br />

Fahrlässigkeit im Sinne von § 276 BGB.<br />

Unstreitig ist als sonstiges Recht in § 823 Abs. 1 BGB auch das<br />

allgemeine Persönlichkeitsrecht zu verstehen. Das durch Art. 1<br />

<strong>und</strong> 2 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht ist<br />

auch im Privatrechtsverkehr <strong>und</strong> damit im beruflichen <strong>und</strong><br />

arbeitsvertraglichen Bereich zu beachten (vgl. BAG, Urteil vom<br />

29.10.1997 – 5 AZR 508/95 – = NZA 1998, 307). Wegen einer<br />

Verletzung des Persönlichkeitsrechtes kann aber Ersatz<br />

des immateriellen Schadens in Geld nur verlangt werden,<br />

wenn es sich um eine schwerwiegende Verletzung handelt<br />

<strong>und</strong> wenn Genugtuung durch Unterlassung, Widerruf oder<br />

Gegendarstellung auf andere Weise nicht zu erreichen ist (vgl.<br />

BAG, Urteil vom 29.04.1983 – 7 AZR 678/79 – = juris; LAG<br />

Rheinland-Pfalz, v. 03.05.2006 –9Sa43/06). Das durch Art. 1<br />

<strong>und</strong> 2 GG eingeräumte Recht auf Achtung der Menschenwürde<br />

<strong>und</strong> der freien Entfaltung der Persönlichkeit schützt<br />

auch einen Arbeitnehmer, der sich einem Verhalten von Arbeitgeber<br />

oder Arbeitskollegen gegenüber sieht, das als Mobbing<br />

zu bezeichnen ist. Das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht versteht unter<br />

Mobbing das systematische Anfeinden, Schikanieren <strong>und</strong>


Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch<br />

Vorgesetzte (vgl. Beschluss vom 15.01.1997 – 7 ABR 14/96 – =<br />

AP Nr. 118 zu § 37 BetrVG 1972).<br />

Ob ein demnach erforderliches systematisches Anfeinden,<br />

Schikanieren <strong>und</strong> Diskriminieren vorliegt, hängt immer von<br />

den Umständen des Einzelfalles ab. Dabei ist eine Abgrenzung<br />

zu dem in einem Betrieb im Allgemeinen üblichen oder<br />

rechtlich erlaubten <strong>und</strong> deshalb hinzunehmenden Verhalten<br />

erforderlich. Nicht jede Auseinandersetzung oder Meinungsverschiedenheit<br />

zwischen <strong>Kollegen</strong> <strong>und</strong>/oder Vorgesetzten<br />

<strong>und</strong> Untergebenen erfüllt den Begriff des Mobbings (vgl.<br />

LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 19.03.2002 – 3 Sa 1/02 –<br />

= DB 2002, 1056). Die Darlegungslast für die tatsächlichen<br />

Umstände, die ein Mobbingverhalten des Arbeitgebers, der<br />

Vorgesetzten oder der Arbeitskollegen begründen sollen, hat<br />

derjenige substantiiert vorzutragen, der den Schmerzensgeldanspruch<br />

geltend macht, also der Arbeitnehmer.<br />

Zu berücksichtigen ist dabei, dass im Arbeitsleben übliche<br />

Konfliktsituationen, die sich durchaus auch über einen<br />

längeren Zeitraum erstrecken können, nicht geeignet sind,<br />

derartige rechtliche Tatbestände zu erfüllen (so auch LAG<br />

Schleswig-Holstein, v. 19. März 2002 – 3 Sa 1/02 – NZA-RR<br />

2002, 457) <strong>und</strong> es daher gilt; sog. folgenloses (so Benecke,<br />

NZA-RR 2003, 225, 228) oder sozial- <strong>und</strong> rechtsadäquates<br />

Verhalten (so Rieble/Klumpp, ZIP 2002, 369) auf Gr<strong>und</strong> einer<br />

objektiven Betrachtungsweise, d.h. ohne Rücksicht auf das<br />

subjektive Empfinden des betroffenen Arbeitnehmers, ist<br />

von der rechtlichen Bewertung auszunehmen. Weisungen,<br />

die sich im Rahmen des dem Arbeitgeber zustehenden<br />

Direktionsrechts bewegen <strong>und</strong> bei denen sich nicht eindeutig<br />

eine schikanöse Tendenz entnehmen lässt, dürften nur in<br />

seltenen Fällen eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts<br />

darstellen (vgl. BAG, Urteil vom 16.05.2007, 8 AZR 709/06, AP<br />

Nr. 5 zu § 611 BGB Mobbing). Gleiches kann für den Rahmen<br />

des Direktionsrechts überschreitende Weisungen gelten,<br />

denen jedoch sachlich nachvollziehbare Erwägungen des<br />

Arbeitgebers zugr<strong>und</strong>e liegen (BAG, Urteil vom 16.05.2007, 8<br />

AZR 709/06, AP Nr. 5 zu § 611 BGB Mobbing; vgl. hierzu auch<br />

Benecke, NZARR 2003, 225; Rieble/Klumpp, ZIP 2002, 369).<br />

2. Ausgehend von diesen Gr<strong>und</strong>sätzen ist es der Klägerin im<br />

vorliegenden Fall nicht gelungen, ein Mobbingverhalten der<br />

Beklagten substantiiert <strong>und</strong> schlüssig darzulegen.<br />

a) Soweit die Beklagte der Klägerin ab dem 14.07.2006 Archivierungstätigkeiten<br />

zugewiesen hat, kann darin nach Auffassung<br />

der Kammer ein systematisches <strong>und</strong> schikanöses Verhalten<br />

der Beklagten nicht gesehen werden.<br />

(1) Die Klägerin war eingestellt als Sachbearbeiterin im Revisionsbereich.<br />

Der Arbeitsvertrag der Klägerin enthält eine<br />

Klausel, wonach die Beklagte die Klägerin auch auf einer anderen<br />

Stelle als zunächst angewiesen einsetzen kann, sofern die<br />

neue Aufgabe ihren Kenntnissen <strong>und</strong> Fähigkeiten entspricht.<br />

Es ist nach Auffassung der Kammer zumindest nicht offenk<strong>und</strong>ig,<br />

dass Ablage- <strong>und</strong> Dokumentationsarbeiten nicht, dem<br />

Tätigkeitsbereich einer Sachbearbeiterin im kaufmännischen<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

Bereich unterfallen. Ob die Arbeitsanweisung tatsächlich vom<br />

Direktionsrecht der Beklagten gedeckt war, darauf kommt es<br />

nach Auffassung der Kammer vorliegend nicht an. Wie oben<br />

ausgeführt, scheidet eine schikanöse Tendenz selbst bei Überschreitung<br />

des Weisungsrechtes aus, wenn der Arbeitsanweisung<br />

sachliche Erwägungen zugr<strong>und</strong>e liegen. Das ist vorliegend<br />

der Fall: Die Beklagte hat unbestritten vorgetragen, dass<br />

Hintergr<strong>und</strong> der zunächst ausgesprochenen Kündigung die<br />

unternehmerische Entscheidung war, die bisher von der Klägerin<br />

ausgeübten Außenrevisionstätigkeiten einzustellen. Es<br />

ist auch unstreitig, dass diese unternehmerische Entscheidung<br />

zum Zeitpunkt der Rücknahme der Kündigung bereits umgesetzt<br />

war. So sah sich die Beklagte vor der Aufgabe, eine<br />

neue Beschäftigung für die Klägerin zu finden, die der einer<br />

kaufmännischen Sachbearbeiterin entsprach. Dabei hat sie die<br />

der Klägerin zugewiesenen Tätigkeiten als vertragsgemäß angesehen.<br />

Die ihrer Entscheidung zugr<strong>und</strong>e liegenden Erwägungen hat<br />

die Beklagte danach hinreichend schlüssig dargelegt, so dass<br />

die Kammer selbst bei Überschreitung des Direktionsrechtes<br />

durch die Beklagte eine schikanöse Tendenz aufgr<strong>und</strong> der<br />

Zuweisung der unstreitig durch die Klägerin ausgeführten<br />

Tätigkeiten nicht zu erkennen vermag. Soweit die Klägerin<br />

sich darauf beruft, dass sowohl die Archivierung als auch das<br />

Heraussuchen der Unterlagen des Gesellschafters S. nicht erforderlich<br />

gewesen seien, so ist dies nach Auffassung der Kammer<br />

unerheblich, denn es ist nicht Sache des angewiesenen<br />

Arbeitnehmers, die Erforderlichkeit <strong>und</strong> Zweckmäßigkeit von<br />

Arbeitsanweisungen zu beurteilen. Eine systematische Schikane<br />

kann darin jedenfalls nicht gesehen werden.<br />

(2) Ungeachtet dessen ist auch zu berücksichtigen, dass nach<br />

den oben dargelegten, vom BAG aufgestellten Gr<strong>und</strong>sätzen<br />

eine rechtlich relevante Verletzung des Persönlichkeitsrechts<br />

eine schwerwiegende Verletzung voraussetzt, für die Genugtuung<br />

auf andere Weise, insbesondere durch Unterlassung<br />

nicht erlangt werden kann. Der Arbeitnehmer hat jedoch<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich die Möglichkeit, sich gegen unrechtmäßige<br />

Arbeitsanweisungen tatsächlich <strong>und</strong> rechtlich zur Wehr zu setzen.<br />

Dabei verkennt die Kammer nicht, dass ein Arbeitnehmer,<br />

der auf den Arbeitsplatz angewiesen ist, in aller Regel in der<br />

schwächeren Position ist. Sofern er eine Arbeitsanweisung wegen<br />

Überschreitung des Direktionsrechts nicht befolgt, setzt<br />

er sich womöglich des Vorwurfs einer Arbeitsverweigerung<br />

mit der Gefahr einer fristlosen Kündigung aus. Diese Gefahr<br />

darf aber nicht dazu führen, dass der Arbeitnehmer sehenden<br />

Auges alles „schluckt“ <strong>und</strong> sich im Nachhinein auf Mobbing<br />

beruft <strong>und</strong> Schadensersatz- <strong>und</strong> Schmerzensgeldansprüche<br />

geltend macht. Vorliegend war es der Klägerin unbenommen,<br />

in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren klären zu lassen, ob<br />

die Arbeitsanweisung vom Direktionsrecht der Beklagten gedeckt<br />

war, <strong>und</strong> auf vertragsgemäße Beschäftigung zu klagen.<br />

Dass die Klägerin dies nicht getan hat <strong>und</strong> in dem Bestreben,<br />

ihren Arbeitsplatz zu behalten, sich den Anweisungen der<br />

283


Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

Beklagten gebeugt hat, kann nicht zu Lasten der Beklagten<br />

gehen.<br />

b) Soweit die Klägerin sich auf die in dem Archiv bestehenden<br />

Bedingungen beruft, dass nämlich die Lagerhalle unbeheizt<br />

<strong>und</strong> verdreckt war, <strong>und</strong> damit eine Verletzung ihres<br />

Persönlichkeitsrechtes begründet, hat die Klägerin damit eine<br />

schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung durch ein systematisches<br />

Vorgehen mit schikanöser Tendenz nicht hinreichend<br />

schlüssig dargelegt.<br />

(1) Soweit die Klägerin sich darauf beruft, dass die Räumlichkeiten<br />

unbeheizt waren, scheidet eine schikanöse Tendenz<br />

schon deshalb aus, da die Beklagte nach ihrem unbestrittenen<br />

Vortrag davon zumindest keine Kenntnis hatte. In den Lagerräumen<br />

befand sich unstreitig eine Heizung. Dass diese nicht<br />

funktionierte, hat die Klägerin weder in ihrem anwaltlichen<br />

Schreiben vom 11.08. noch in dem vom 11.09.2006 der Beklagten<br />

mitgeteilt. Die Klägerin hat nicht schlüssig dargelegt,<br />

dass die Beklagte Kenntnis von der mangelnden Funktionsfähigkeit<br />

der Heizung hatte <strong>und</strong> sie trotzdem zur Arbeit dort<br />

aufgefordert hat. Eine schikanöse Tendenz hat die Klägerin<br />

nicht hinreichend schlüssig dargelegt.<br />

(2) Soweit die Klägerin sich darauf beruft, dass „der Lagerraum<br />

völlig verdreckt, in höchstem Maße unhygienisch <strong>und</strong><br />

der Arbeitsplatz absolut unzumutbar“ war, kann darin durchaus<br />

eine Verletzung der Fürsorgepflicht durch die Beklagte<br />

liegen. Eine schikanöse Tendenz vermag die Kammer jedoch<br />

auch hier nicht zu erkennen.<br />

(a) Soweit die Klägerin sich auf die Hygiene der Toilette beruft,<br />

hat die Beklagte unmittelbar nach der Abmahnung dieses<br />

Zustandes durch den Klägervertreter ein Reinigungsunternehmen<br />

mit der Reinigung der Toiletten beauftragt. Zum Nachweis<br />

hat die Beklagte eine Rechnung über die „Reinigung der<br />

WC-Anlagen im Archiv“ beigefügt (Bl. 75 d.A.). Die Klägerin<br />

hat auch nicht bestritten, dass die Reinigung am 18.08.2006<br />

erfolgt ist.<br />

(b) Soweit sich die Beklagte auf die verdreckten Lagerräume<br />

beruft, vermag die Kammer darin möglicherweise eine Verletzung<br />

der Fürsorgepflicht, nicht aber ein systematisches Vorgehen<br />

mit schikanöser Tendenz erkennen. Archive sind üblicherweise<br />

nicht in gleichem Maße staubfrei wie sonstige<br />

Büroräume. Unstreitig hat die Beklagte dieses Archiv vor Aufnahme<br />

der Tätigkeit durch die Klägerin nicht so umfangreich<br />

gereinigt, dass auch alle Aktenschränke gesäubert worden<br />

sind; andererseits ist für die Kammer nicht erkennbar, dass<br />

die Verunreinigung in einem Maße bestand, die eine Ges<strong>und</strong>heitsgefährdung<br />

der Klägerin hätten bedeuten können. Es<br />

ginge nach Auffassung der Kammer zu weit, allein aufgr<strong>und</strong><br />

dessen eine schikanöse Tendenz anzunehmen. Anders wäre<br />

es zu beurteilen, wenn die Akten zwecks Schikane der Klägerin<br />

an einen ungeeigneten Arbeitsplatz verbracht worden<br />

wären. Hier ist der Klägerin lediglich eine Aufgabe übertragen<br />

worden, bei der streitig ist, ob sie vom Direktionsrecht<br />

der Beklagten umfasst war; der aber sachliche Erwägungen<br />

zugr<strong>und</strong>e lagen (s.o.). Die Klägerin hatte die ihr übertrage-<br />

284 03/09<br />

nen Tätigkeiten sodann dort zu verrichten, wo sich die zu<br />

bearbeitenden Akten befanden; es herrschten dort nicht die<br />

gleichen Bedingungen wie in den anderen Büroräumen. Die<br />

Kammer vermag insoweit aber keine Umstände zu erkennen,<br />

die auf ein systematisches Vorgehen mit schikanöser Tendenz<br />

schließen lassen. Vielmehr hatte die Klägerin in dem Archiv<br />

nur die angeordneten Tätigkeiten zu verüben, um dann nach<br />

deren Abschuss ggf. wieder an einem anderen Ort eingesetzt<br />

zu werden.<br />

Auch soweit die Klägerin sich auf den Zustand des Archivs beruft,<br />

gilt auch insoweit, dass nach den oben dargelegten, vom<br />

BAG aufgestellten Gr<strong>und</strong>sätzen eine rechtlich relevante Verletzung<br />

des Persönlichkeitsrechts eine schwerwiegende Verletzung<br />

voraussetzt, für die Genugtuung auf andere Weise, insbesondere<br />

durch Unterlassung nicht erlangt werden kann. Die<br />

Klägerin hätte gr<strong>und</strong>sätzlich die Möglichkeit gehabt, die Beklagte<br />

gerichtlich wegen der Verletzung ihrer Fürsorgepflicht<br />

in Anspruch zu nehmen <strong>und</strong> sich gegen die ihrer Meinung<br />

nach unrechtmäßige Arbeitsanweisung tatsächlich <strong>und</strong> rechtlich<br />

zur Wehr zu setzen. Es gilt insoweit das oben unter 2.b)<br />

(2) Gesagte.<br />

c) Entgegen der Auffassung der Klägerin erscheinen die oben<br />

angesprochenen Umstände weder für sich gesehen – wie bereits<br />

ausgeführt – noch in ihrer Gesamtheit als eine Strategie<br />

des Arbeitgebers, die auf ein systematisches Mobbing der<br />

Kägerin abzielt, um sie aus dem Arbeitsverhältnis zu drängen.<br />

Der Klägerin sind Tätigkeiten zugewiesen worden, bei<br />

denen streitig ist, ob sie vom Direktionsrecht der Beklagten<br />

gedeckt waren. Dass sich diese Zuweisung über einen relativ<br />

langen Zeitraum von insgesamt 6 Monaten erstreckte<br />

(Juli 2006 bis Januar 2007), lag nicht zuletzt daran, dass die<br />

Klägerin einen großen Teil der Zeit entweder arbeitsunfähig<br />

oder aber beurlaubt war <strong>und</strong> die anstehenden Aufgaben somit<br />

nicht zügiger erledigt werden konnten. Die Tätigkeiten<br />

waren in den Räumlichkeiten vorzunehmen, in denen sich<br />

die zu bearbeitenden Akten befanden. Die Räume mögen<br />

verschmutzt gewesen sein <strong>und</strong> nicht dem üblicherweise an<br />

Arbeitsräume zu stellenden Anforderungen entsprochen haben.<br />

Das lag aber an den tatsächlichen Gegebenheiten, dass<br />

es sich eben um ein Archiv handelte. Allein aufgr<strong>und</strong> dessen<br />

kann die Kammer aber keine seitens der Beklagten beabsichtigte<br />

systematische Herabwürdigung der Klägerin gesehen<br />

werden. Die Beklagte sah sich vielmehr vor die Aufgabe gestellt,<br />

der Klägerin nach Wegfall ihres früheren Arbeitsplatzes<br />

eine vertragsgemäße Beschäftigung zuzuweisen. Der Konflikt,<br />

der aufgr<strong>und</strong> dieser betriebsbedingten Situation entstanden<br />

ist, wird nicht allein dadurch zum Mobbing, dass die Klägerin<br />

darunter zu leiden beginnt. Allein die möglicherweise nicht<br />

der Fürsorgepflicht entsprechenden Arbeitsbedingungen <strong>und</strong><br />

die möglicherweise nicht vom Direktionsrecht gedeckte Aufgabenzuweisung<br />

lassen nicht darauf schließen, dass die Klägerin<br />

systematisch herabgewürdigt werden sollte.<br />

■ Arbeitsgericht Dortm<strong>und</strong><br />

vom 25.11.2008, 9 Ca 4081/08


eingereicht von Rechtsanwalt Ingo Graumann,<br />

Von-Scheibler-Straße 10, 58636 Iserlohn,<br />

Tel.: 02371/835555, Fax: 02371/835556<br />

GM.Arbeitsrecht@t-online.de<br />

339. Mobbing, Persönlichkeitsrechtsverletzung, Direktionsrecht<br />

1. Bei der Gesamtbetrachtung zahlreicher einzelner behaupteter<br />

Schikanehandlungen durch eine Vorgesetzte sind Konfliktsituationen<br />

auszunehmen, die im Arbeitsleben üblich sind<br />

(vgl. Rspr. d. BAG, v. 16.05.2007, 8 AZR 709/06; 24.06.2008, 8<br />

AZR 347/07).<br />

2. Damit scheiden gr<strong>und</strong>sätzlich alle Konflikte für die Beurteilung<br />

einer schadenersatzbegründenden Persönlichkeitsrechtsverletzung<br />

aus, die im Zusammenhang mit der Ausübung<br />

des Direktionsrechts stehen, soweit diese wiederum<br />

nicht offensichtlich willkürlich <strong>und</strong> schikanös ist.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 09.03.2009, 9 Sa 378/08<br />

340. Urlaubsanspruch, einstweilige Verfügung<br />

Die gemäß §§ 567, 569, 572 ZPO, §§ 78, 62 II ArbGG zulässige<br />

sofortige Beschwerde des Antragstellers ist in der Sache<br />

erfolglos.<br />

Der Antragsteller kann die begehrte Urlaubsfreistellung nicht<br />

im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzen, wie das<br />

Arbeitsgericht mit seinen Beschlüssen vom 23. <strong>und</strong> 24.06.2009<br />

zutreffend begründet hat. Die Beschwerdekammer macht sich<br />

dessen Gründe zu eigen, stimmt ihnen zu <strong>und</strong> nimmt zur Vermeidung<br />

unnötiger Wiederholungen auf diese Bezug. Die Beschwerdebegründung<br />

veranlasst keine andere Entscheidung,<br />

sondern gibt lediglich folgende kurze Hinweise.<br />

Zwar bestehen gegen die Zulässigkeit einer Klage (beziehungsweise<br />

eines Eilantrags), mit der (dem) die Gewährung<br />

von Urlaub oder die Freistellung zu solchem beantragt wird,<br />

keine Bedenken. Jedoch ist Ausgangspunkt für die Prüfung<br />

eines solchen Anspruchs § 7 BUrlG, wonach gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

der Arbeitgeber den Urlaub gewährt, wenn auch unter<br />

Berücksichtigung der Urlaubswünsche des Arbeitnehmers.<br />

Der Antragsteller hat vorliegend jedoch weder in der Antragsschrift<br />

noch in der Beschwerdebegründung dargetan <strong>und</strong><br />

glaubhaft gemacht, seine Wünsche in Form des konkreten<br />

Urlaubszeitraums – ab 29.06. bis 20.07.2009 – gegenüber dem<br />

Arbeitgeber beantragt oder auch nur geäußert zu haben. Der<br />

Antragsteller hätte es selbst in der Hand gehabt, spätestens<br />

nach erneutem Vertrösten im April auf eine „mögliche<br />

Gewährung des Erholungsurlaubs im Juni 2009“ sowie im<br />

Hinblick auf den erforderlichen zeitlichen Vorlauf bei der<br />

Buchung eines Flugs nach Afghanistan, einen konkreten<br />

Urlaubsantrag zu stellen. Im Falle der Ablehnung oder<br />

fehlenden Reaktion wäre sodann der rechtlich richtige Weg<br />

gewesen, im normalen Urteilsverfahren auf die Gewährung<br />

des gewünschten Urlaubs zu klagen.<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

Hinzu kommt, dass der Antragsteller selbst davon spricht, dass<br />

der Geschäftsführer ihm Urlaub „im Juni 2009“ als möglich<br />

in Aussicht gestellt, beziehungsweise „für Juni zugesichert“<br />

habe. Warum der Antragsteller dennoch keinen Antrag für<br />

seinen begehrten mehrwöchigen Urlaub im/für Juni gestellt<br />

hat, sondern den Urlaubsbeginn nun für den 29.06.2009 begehrt,<br />

also gerade nur zwei Tage im Juni, die übrigen im Juli,<br />

für den keinerlei Zusage behauptet wird, gelegen sind, hat er<br />

ebenfalls nicht nachvollziehbar erklärt.<br />

Der Antragsteller hat die Dringlichkeit seines Anliegens<br />

selbst verursacht, indem er ohne substantiiert vorgetragene<br />

Bewilligung eines konkret beantragten Urlaubszeitraums<br />

eigenmächtig den Flug in die Heimat gebucht hat. Es ist<br />

nicht Sache der Arbeitsgerichte, ein solches Vorgehen mit<br />

dem Erlass einer einstweiligen Verfügung zu unterstützen.<br />

Zur Bewertung steht vorliegend auch nicht das hinhaltende<br />

Verhalten des Geschäftsführers der Antragsgegnerin an, den<br />

Sachvortrag des Antragstellers als richtig unterstellt.<br />

■ Hessisches Landesarbeitsgericht<br />

vom 25.06.2009, 11 Ta 349/09<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Ijaz Chaudhry,<br />

Mainzer Landstraße 107, 60329 Frankfurt am Main,<br />

Tel.: 069/25627137, Fax: 069/25627138<br />

info@ra-chaudhry.de<br />

341. Die von der Katze gebissene arbeitnehmerähnliche<br />

Person<br />

Helfer bei einer tierärztlichen Operation als arbeitnehmerähnliche<br />

Person, Haftungsprivileg des Tierarztes nach § 104 Abs. 1<br />

SGB VII, Verweisung des Geschädigten an die gesetzliche Unfallversicherung<br />

Tatbestand:<br />

Der Kläger begehrt von der beklagten Tierärztin Schmerzensgeld<br />

<strong>und</strong> Schadensersatz, weil er bei der Behandlung von<br />

der Katze gebissen wurde. Die Beklagte betäubte den Kater,<br />

um einen Abszess an der Pfote zu entfernen. Im Verlauf des<br />

Eingriffs biss der Kater den ihn festhaltenden Kläger in den<br />

Finger. Der Kläger behauptete, die beklagte Tierärztin habe<br />

ihn aufgefordert, den Kater zur Beruhigung am Kopf zu kraulen.<br />

Nachdem die Tierhaftpflichtversicherung unter Hinweis<br />

darauf, dass sich bei dem Vorfall keine Tiergefahr verwirklicht<br />

habe, die Haftung abgelehnt hatte, begehrte der Kläger jetzt<br />

von der Beklagten Ersatz der (human-) ärztlichen Behandlungskosten,<br />

Schmerzensgeld sowie Ersatz der anwaltlichen<br />

Geschäftsgebühr. Die beklagte Tierärztin bestritt, den Kläger<br />

aufgefordert zu haben, den Kater am Kopf zu kraulen. Die<br />

Beklagte war darüber hinaus der Ansicht, ihr komme das Haftungsprivileg<br />

des § 104 Abs. 1 SGB VII zugute, da der Kläger<br />

als „Wie-Versicherter“ im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB VII zu behandeln<br />

sei.<br />

Entscheidungsgründe:<br />

Die zulässige Klage ist unschlüssig. Es kann dahingestellt bleiben,<br />

ob die Beklagte als Tierärztin bei der Behandlung des<br />

285


Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

Katers die Ursache für die durch den Tierbiss zugefügte Verletzung<br />

des Klägers gesetzt hat. Die Beklagte hat nämlich, wenn<br />

man ein haftungsbegründendes Fehlverhalten hier unterstellt,<br />

für die geltend gemachten Ansprüche auf Ersatz materiellen<br />

<strong>und</strong> immateriellen Schadens nicht einzustehen, weil im Verhältnis<br />

dieser Prozessparteien auf den Schadensfall die Vorschrift<br />

des § 104 Abs. 1 SGB VII anzuwenden ist.<br />

1. Danach ist ein Unternehmer den in seinem Unternehmen<br />

tätigen Versicherten nach anderen gesetzlichen Vorschriften –<br />

aus Arbeitsvertrag <strong>und</strong> aus Deliktsrecht – zum Ersatz des Personenschadens<br />

aus einem Arbeitsunfall nur dann verpflichtet,<br />

wenn er den Arbeitsunfall vorsätzlich herbeigeführt hat oder<br />

wenn der Schaden bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr<br />

eingetreten ist. Im Übrigen ist die zivilrechtliche Haftung<br />

des Unternehmers für Personenschäden ausgeschlossen (dem<br />

Geschädigten gegenüber), insbesondere also für durch leichte<br />

oder grobe Fahrlässigkeit verschuldete Arbeitsunfälle. Das Gesetz<br />

verweist den geschädigten Arbeitnehmer damit unter<br />

Ausschluss der Individualhaftung auf die Leistungen aus der<br />

gesetzlichen Unfallversicherung. Dieser jetzt in § 104 Abs. 1<br />

SGB VII statuierte Haftungsausschluss gilt gemäß § 2 Abs. 2<br />

SGB VII auch für Personen, die wie nach Absatz 1 Nr. 1 Versicherte<br />

tätig werden <strong>und</strong> deren Arbeitsunfälle. Sie genießen<br />

auch bei nur vorübergehender Tätigkeit denselben Unfallversicherungsschutz<br />

wie diejenigen, die aufgr<strong>und</strong> eines Arbeits-,<br />

Dienst- oder Lehrvertrags im Unternehmen beschäftigt sind<br />

<strong>und</strong> dabei einen Personenschaden erleiden. § 539 Abs. 2 RVO<br />

hatte noch ausdrücklich angeordnet, dass dies auch bei nur<br />

vorübergehender Tätigkeit gilt. Auch heute unter der Geltung<br />

von § 2 Abs. 2 SGB VII genügt jedoch eine geringfügige <strong>und</strong><br />

kurze Hilfe.<br />

2. Ob <strong>und</strong> wann der gesetzliche Unfallversicherungsschutz<br />

nach § 539 Abs. 2 RVO bzw. jetzt nach § 2 Abs. 2 SGB VII zu<br />

bejahen <strong>und</strong> die zivilrechtliche Haftung des Unternehmers<br />

folglich ausgeschlossen ist, hängt nach der ausdehnenden<br />

Rechtsprechung des B<strong>und</strong>essozialgerichts, der sich der B<strong>und</strong>esgerichtshof<br />

angeschlossen hat, nicht von der arbeitsrechtlichen<br />

Eingliederung des Verunglückten in den Unfallbetrieb<br />

im Sinne eines Abhängigkeitsverhältnisses persönlicher oder<br />

wirtschaftlicher Art ab. Es genügt, dass die Tätigkeit, bei der es<br />

zu einem Personenschaden kommt, wegen ihrer Ähnlichkeit<br />

mit einer im Rahmen eines Arbeitnehmerverhältnisses geleisteten<br />

Arbeit es rechtfertigt, den Verunglückten im Unfallversicherungsschutz<br />

einem Arbeitnehmer gleichzustellen. Die<br />

Tätigkeit muss dem in Betracht kommenden Unternehmen<br />

dienen <strong>und</strong> dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des<br />

Unternehmers entsprechen. Der Art nach muss die Tätigkeit<br />

sonst von Personen verrichtet werden können, die in einem<br />

Betrieb des betroffenen Gewerbes üblicherweise beschäftigt<br />

werden. Dagegen kommt es für die Abgrenzung nicht auf<br />

die Beweggründe <strong>und</strong> Interessen des Tätigen <strong>und</strong> auch nicht<br />

darauf an, ob solche Tätigkeiten regelmäßig gegen Entgelt<br />

oder unentgeltlich erbracht werden. Hieraus folgt, dass auch<br />

Tätigkeiten, die aus Gefälligkeit erbracht werden <strong>und</strong> nur aus<br />

286 03/09<br />

einem einzelnen Handgriff oder einer kurzen Leistung bestehen,<br />

unter § 2 Abs. 2 SGB VII fallen <strong>und</strong> damit die Individualhaftung<br />

ausschließen, sofern die anderen oben aufgezeigten<br />

Umstände erfüllt sind.<br />

3. Nach diesen von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien<br />

stellt sich die Verletzung, die der Kläger davongetragen<br />

hat, als er die Katze bei der tierärztlichen Behandlung auf<br />

dem Behandlungstisch festhielt, als die Folge eines Arbeitsunfalls<br />

i.S.d. § 2 Abs. 2 SGB VII (i.V.m. § 104 Abs. 1 SGB VII)<br />

dar. Damit die aus tiermedizinischer Sicht notwendige Behandlung<br />

durchgeführt werden konnte, musste die erkrankte<br />

Katze fixiert werden. Denn nur bei Ruhigstellung des Tiers<br />

konnten die invasiven Maßnahmen von der Beklagten als<br />

Tierärztin eingeleitet <strong>und</strong> abgewickelt werden. Das Festhalten<br />

des Tiers durch den Kläger war somit eine Assistenz, auf die<br />

die Beklagte zur Erledigung der übernommenen tierärztlichen<br />

Aufgaben angewiesen war <strong>und</strong> die in den Aufgabenbereich<br />

der Personen gehört, die in der Praxis eines niedergelassenen<br />

Tierarztes als Gehilfen beschäftigt werden. Das Festhalten<br />

des Tiers war auch eine dem Unternehmen der Beklagten –<br />

nämlich der Ausübung der tierärztlichen Tätigkeit – dienende<br />

Arbeit. Denn durch die Hilfe des Klägers ist für diesen Teilbereich<br />

der Einsatz eines tierärztlichen Gehilfen erspart worden.<br />

Dass die Beklagte als Unternehmerin mit der Assistenz durch<br />

den betriebsfremden Kläger einverstanden war, folgt zwanglos<br />

aus der Tatsache, dass sie das Festhalten des Tiers durch<br />

den Kläger akzeptiert <strong>und</strong> dazu – nach der Darstellung des<br />

Klägers – sogar ausdrücklich aufgefordert hat. Unerheblich ist<br />

auch, dass die Verletzung möglicherweise schon recht bald<br />

nach dem Beginn der Mitwirkung eingetreten ist. Denn auf<br />

die Dauer der „Arbeitsleistung“ kommt es, wie der B<strong>und</strong>esgerichtshof<br />

dargelegt hat, nicht an.<br />

Soweit der Kläger meint, es habe nur eine Gefälligkeitsleistung<br />

wie zwischen guten Bekannten, vorgelegen, irrt er. Diese hat<br />

ihren Gr<strong>und</strong> gerade in einer besondern persönlichen Beziehung<br />

zwischen den Beteiligten. Eine solche fehlt hier gänzlich.<br />

Die Beklagte war nur die vom Kläger aufgesuchte notdiensthabende<br />

Tierärztin, besondere persönliche Beziehungen zwischen<br />

den Parteien bestanden also nicht. Gr<strong>und</strong>sätzlich können<br />

auch Gefälligkeitsleistungen § 2 Abs. 2 SGB VII unterfallen<br />

(<strong>und</strong> werden dies auch regelmäßig tun), wenn wie hier die<br />

vorstehend ausgeführten Voraussetzungen gegeben sind.<br />

■ Amtsgericht Berlin Lichtenberg<br />

vom 19.03.2009, 14 C 29/08 HS<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Heiner Willems,<br />

Steinplatz 1, 10623 Berlin,<br />

Tel.: 030/31506747, Fax: 030 /31506749<br />

willems@lsrw.de<br />

342. AGG, Altersdiskriminierung; AGB-Kontrolle, Transparenzgebot<br />

II. Aufgr<strong>und</strong> des Eingangssatzes sowie in § 7 Abs. 1 der<br />

Arbeitsvertragsänderung (Altersteilzeitvereinbarung) i.V.m.


Nr. 4.1 der Betriebsvereinbarung Nr. 10/07 beginnt das Altersteilzeitverhältnis<br />

zwischen den Parteien am 01.11.2009 <strong>und</strong><br />

die Freistellungsphase am 01.11.2012. Das Arbeitsverhältnis<br />

endet zum Ablauf des 31.10.2015. Das Vorbringen des Klägers<br />

vermag hieran nichts zu ändern.<br />

1. Der Hauptantrag scheitert, weil § 7 Abs. 1 der Altersteilzeitvereinbarung<br />

keine unzulässige Benachteiligung des Klägers<br />

wegen seiner Schwerbehinderteneigenschaft darstellt <strong>und</strong> einer<br />

AGB-Kontrolle standhält. Auch aus anderen Vorschriften<br />

ergibt sich nicht die Unwirksamkeit der Klausel. Aus der Betriebsvereinbarung<br />

Nr. 10/07 selbst ergibt sich nichts anderes.<br />

a) Die Klausel scheitert nicht an § 7 Abs. 2 AGG i.V.m. §§ 3<br />

Abs. 1, 2 AGG, 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX.<br />

Zwar wird der Kläger im Vergleich zu den nicht schwerbehinderten<br />

Arbeitnehmern unterschiedlich behandelt. Anders als<br />

diese hat er über die Vollendung des 61. Lebensjahres hinaus<br />

keinen Anspruch auf Altersteilzeitarbeit. Er kann auch nicht<br />

ab diesem Zeitpunkt höhere Rentenansprüche erwerben <strong>und</strong><br />

gleichzeitig zu einem späteren Zeitpunkt einen Anspruch auf<br />

Altersteilzeit haben. Mit dem Kläger altersmäßig vergleichbare,<br />

nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer können bis zur<br />

Vollendung des 63. Lebensjahres weiterarbeiten. Bei gleichem<br />

Zugangsfaktor (§ 77 SGB VI) haben diese eine höhere Rente<br />

auf Gr<strong>und</strong> höherer Entgeltpunkte (§§ 66, 64 SGB VI).<br />

Das geschieht jedoch nicht unmittelbar wegen des Vorhandenseins<br />

einer Schwerbehinderung. Die zu Gr<strong>und</strong>e liegenden<br />

Regelungen knüpfen vielmehr an die Möglichkeit vorzeitiger<br />

Inanspruchnahme der Altersrente an. Die Regelung kann aber<br />

dazu führen, dass behinderte Menschen in besonderer Weise<br />

benachteiligt werden <strong>und</strong> stellt deshalb eine mittelbare Ungleichbehandlung<br />

dar.<br />

Diese unterschiedliche Behandlung wegen der Behinderung<br />

ist jedoch zulässig. Sie wird durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich<br />

gerechtfertigt <strong>und</strong> das gewählte Mittel ist auch zur Erreichung<br />

dieses Zieles angemessen <strong>und</strong> erforderlich (§§ 81<br />

Abs. 2 Satz 2 SGB IX, 3 Abs. 2 AGG).<br />

Dabei ist zu beachten, dass bei der Beklagten die Altersteilzeitvereinbarungen<br />

nicht nur mit Blick auf die Übergangsfrist<br />

bei der Anhebung des gesetzlichen Rentenalters <strong>und</strong> zur<br />

Förderung eines gleitenden Übergangs in die Rente getroffen<br />

wurden, sondern vor allem deshalb, um nach einer Restrukturierung<br />

des operativen Geschäfts entsprechend einem<br />

geschlossenen Interessenausgleich betriebsbedingte Kündigungen<br />

zu vermeiden. Durch Altersteilzeitverträge geförderte<br />

Neueinstellungen können auch dann als arbeitsmarktbzw.<br />

sozialpolitisches Ziel eine mittelbare Ungleichbehandlung<br />

rechtfertigen, wenn keine Neueinstellungen geplant<br />

sind, sondern nur Kündigungen vermieden werden sollen<br />

(BAG, Urteile vom 18.11.2003 – 9 AZR 122/03 – <strong>und</strong> vom<br />

27.04.2004 – 9 AZR 18/03). Zwar trat das AGG erst nach diesen<br />

Entscheidungen in Kraft. Allerdings bestand für Schwerbehinderte<br />

bereits damals ein Diskriminierungsschutz (§ 81 Abs. 2<br />

SGB IX sowie die Richtlinien 2000/43/EG, 2000/78/EG <strong>und</strong><br />

2002/73/EG). Die Regelung über das Ende der Altersteilzeit ist<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

angemessen. Denn der Kläger ist auch bei frühestmöglicher<br />

Inanspruchnahme von Altersrente durch die gesetzlich vorgesehene<br />

<strong>und</strong> aus öffentlichen Mitteln finanzierte Rente für<br />

schwerbehinderte Menschen ausreichend sozial abgesichert<br />

(vgl. BAG, Urteil vom 18.11.2003 – 9 AZR 122/03). Sie ist<br />

auch erforderlich. Die sich aus der vorgesehenen frühestmöglichen<br />

Inanspruchnahme von Altersrente ergebenden<br />

Beschäftigungseffekte können bei einer Regelung, die auf die<br />

Regelaltersgrenze abstellt, nicht erzielt werden. Damit ergibt<br />

sich kein den Kläger nicht so belastendes Mittel, um das<br />

unternehmerische Ziel des sozialverträglichen Stellenabbaus<br />

erreichen zu können.<br />

b) Entgegen der Auffassung des Klägers ist § 7 Abs. 1 des<br />

Altersteilzeitvertrages keine überraschende Klausel im Sinne<br />

des § 305c Abs. 1 BGB.<br />

Da die Beklagte eine Vielzahl von Verträgen gleich lautenden<br />

Wortlauts formuliert hat, handelt es sich bei der Klausel<br />

um eine allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne des § 305<br />

Abs. 1 Satz 1 BGB. Überraschend im Sinne des § 305c Abs. 1<br />

BGB ist eine Vertragsklausel, wenn sie objektiv ungewöhnlich<br />

ist <strong>und</strong> der andere Teil nicht mit ihr zu rechnen braucht<br />

(Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl. 2008, § 305c Rn 3, 4). Vorliegend<br />

wurde die Vorschrift mit fettgedrucken Überschrift<br />

„Ende des Arbeitsverhältnisses“ deutlich hervorgehoben. Es<br />

ist nicht ungewöhnlich, im Rahmen einer Altersteilzeitvereinbarung<br />

das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der frühestmöglichen<br />

Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters zu beenden.<br />

Die Klausel steht auch nicht im Widerspruch zu früherem Geschehen.<br />

Der Kläger war bei Unterzeichnung des Vertrages am<br />

20.11.2006 darüber informiert, dass die näheren Modalitäten<br />

zu Beginn <strong>und</strong> Ende der Altersteilzeit noch mit dem Betriebsrat<br />

vereinbart werden mussten.<br />

Nachdem die Beklagte zuvor bei Informationsveranstaltungen<br />

auch auf den Zeitpunkt des frühestmöglichen Rentenbezug<br />

bei Schwerbehinderten <strong>und</strong> das beabsichtigte Ende des Arbeitsverhältnisses<br />

bei Altersteilzeit hingewiesen <strong>und</strong> ihm die<br />

Beklagte auch kein anderes Signal gesetzt hatte, liegt vorliegend<br />

kein Fall vor, der mit dem Fall, der dem Urteil des BAG<br />

vom 08.08.2007 – 7 AZR 605/06 – zugr<strong>und</strong>e lag, zu vergleichen<br />

ist. Denn dort war es vor Vertragsschluss zu Verhandlungen<br />

über die streitige Klausel gekommen. Zudem hatte der<br />

Arbeitnehmer ein Schreiben erhalten, aufgr<strong>und</strong> dessen er vermuten<br />

konnte, dass die Arbeitgeberin auf seine Forderungen<br />

eingehen werde.<br />

Die Vertragsklausel widerspricht auch nicht § 1 des Altersteilzeitvertrages.<br />

Denn diese Vorschrift spricht vom Beginn „spätestens<br />

vom 31.12.2009“.<br />

c) Auch ein Verstoß der Klausel gegen das Transparenzgebot<br />

des § 307 Abs. 1 BGB liegt nicht vor.<br />

Das Transparenzgebot verpflichtet den Verwender von Allgemeinen<br />

Geschäftsbedingungen, die Rechte <strong>und</strong> Pflichten seines<br />

Vertragspartners möglichst klar <strong>und</strong> durchschaubar darzustellen.<br />

Es schließt das Bestimmtheitsgebot ein <strong>und</strong> verlangt,<br />

dass die tatbestandlichen Voraussetzungen <strong>und</strong> Rechtsfolgen<br />

287


Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

einer Klausel so genau beschrieben werden, dass für den<br />

Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume<br />

entstehen. Eine Formularbestimmung genügt dem Bestimmtheitsgebot<br />

nur dann, wenn sie im Rahmen des rechtlich <strong>und</strong><br />

tatsächlich Zumutbaren die Rechte <strong>und</strong> Pflichten des Vertragspartners<br />

des Klauselverwenders so klar <strong>und</strong> präzise wie<br />

möglich umschreibt. Dazu gehört auch, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen<br />

wirtschaftliche Nachteile <strong>und</strong> Belastungen<br />

soweit erkennen lassen, wie dies nach den Umständen<br />

gefordert werden kann. Abzustellen ist bei der Bewertung<br />

der Transparenz auf die Erwartungen <strong>und</strong> Erkenntnismöglichkeiten<br />

eines durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders<br />

im Zeitpunkt des Vertragsschlusses (BAG, Urteil vom<br />

08.08.2007 – 7 AZR 605/06).<br />

Diesen Anforderungen wird die Klausel nach Auffassung der<br />

Kammer gerecht. Sie ist deutlich sichtbar unter eindeutiger<br />

Überschrift in den Vertrag aufgenommen worden. In Informationsveranstaltungen<br />

wurde im November 2006 auch für den<br />

Fall einer Schwerbehinderung auf den zur Beendigung der Altersteilzeit<br />

führenden frühestmöglichen Renteneintritt hingewiesen.<br />

Zwar wurde im Altersteilzeitvertrag nicht konkret auf<br />

den Rentenbeginn hingewiesen <strong>und</strong> nicht die hinzunehmenden<br />

Renteneinbußen dargestellt. Dies konnte die Beklagte<br />

jedoch zu dem Zeitpunkt des Abschlusses auch nicht, weil<br />

die Betriebsvereinbarung Nr. 10/07 noch nicht abgeschlossen<br />

war. Ein Abwarten war wegen der gesetzlichen Übergangsfrist<br />

des 30.11.2006 nicht möglich. Deshalb wurde den Arbeitnehmern<br />

auch ein Rücktrittsrechts ab Feststehen der näheren<br />

Modalitäten durch die Betriebsvereinbarung Nr. 10/07<br />

eingeräumt. Darin ist ein angemessener Interessenausgleich<br />

zu sehen.<br />

d) Auch aus anderen Vorschriften ergibt sich keine Unwirksamkeit<br />

der das Ende des Altersteilzeitarbeitverhältnisses<br />

regelnden § 4.1 der Betriebsvereinbarung Nr. 10/07 <strong>und</strong><br />

§ 7 Abs. 1 des Altersteilzeitvertrages. § 7 Abs. 1 des Altersteilzeitvertrages<br />

ist eine wirksame Zweckbefristung des<br />

Arbeitsverhältnisses (vgl. BAG, Urteile vom 27.04.2004 – 9 AZR<br />

18/03 – <strong>und</strong> vom 16.11.2005 – 7 AZR 86/05). Zwar greift § 8<br />

Abs. 3 AItTZG, der regelt, dass eine Vereinbarung zwischen<br />

Arbeitnehmer <strong>und</strong> Arbeitgeber über die Altersteilzeitarbeit<br />

zulässig ist, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu<br />

einem Zeitpunkt vorsieht, in dem der Arbeitnehmer Anspruch<br />

auf eine Rente wegen Alters hat, worunter auch der Zeitpunkt<br />

frühestmöglicher Inanspruchnahme einer Altersrente fällt,<br />

wegen der Schwerbehinderung des Klägers nicht direkt. Dennoch<br />

ist die Befristung nach § 14 Abs. 1 Nr. 6 TzBfG sachlich<br />

gerechtfertigt. Denn der Kläger ist durch die gesetzliche Rente<br />

wirtschaftlich versorgt. Hierfür ist nicht erforderlich, dass er<br />

ungekürzte Rente erhält.<br />

§ 41 Satz 2 SGB VI führt ebenfalls nicht zu einer anderen<br />

Beurteilung. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass<br />

auch bei vorgezogenem Renteneintritt eine den Fällen des<br />

§ 8 Abs. 3 AItTZG im Wesentlichen vergleichbare soziale Absicherung<br />

vorliegt <strong>und</strong> mit dem Ziel eines sozialverträglichen<br />

288 03/09<br />

Stellenabbaus schutzwürdige Interessen der Beklagten für die<br />

Befristung des Altersteilzeitvertrags auf den 30.10.2015 anzuerkennen<br />

sind. Zudem sind die Belange des Klägers durch<br />

die vorgesehene Abfindungszahlung <strong>und</strong> die Deckelung der<br />

hinzunehmenden Abschläge auf maximal 7,2 % angemessen<br />

berücksichtigt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg<br />

vom 23.10.2008, 16 Sa 57/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Hans-Uwe Richter,<br />

Kurfürsten-Anlage 59, 69115 Heidelberg,<br />

Tel.: 06221/98120, Fax: 06221/183952<br />

m.steinbeck@kanzlei-schlatter.de<br />

343. AGG, ethnische Diskriminierung<br />

1. Erhält eine Bewerberin auf einen ausgeschriebenen Arbeitsplatz<br />

frühzeitig eine Absage, weil sie „keine deutsche Muttersprachlerin“<br />

sei, hat die die Auswahlentscheidung treffende<br />

Person eine Indiztatsache im Sinne von § 22 AGG für eine<br />

Diskriminierung der Bewerberin wegen derer ethnischer Herkunft<br />

gesetzt.<br />

2. Dies gilt auch dann, wenn perfekte Deutschkenntnisse in<br />

Wort <strong>und</strong> Schrift zwingende Voraussetzung für die Besetzung<br />

der Stelle sind.<br />

■ Arbeitsgericht Berlin<br />

vom 11.02.2009, 55 Ca 16952/08<br />

344. Streik, Versammlung, Strafbarkeit<br />

1. Wenn Gewerkschaftler von der Geschäftsstelle zu einem<br />

Ladenlokal ziehen <strong>und</strong> dort eine Veranstaltung abhalten, stellt<br />

dies rechtlich eine Versammlung dar.<br />

2. In Abgrenzung zu einer bloßen Veranstaltung handelt es<br />

sich dann um eine Versammlung i.S.d. Versammlungsgesetzes,<br />

wenn diese einen Rahmen bietet, in denen Außenstehende<br />

zum Zwecke der kollektiven Teilnahme einer öffentlichen<br />

Meinungsbildung einbezogen werden sollen, auch wenn<br />

die Veranstaltung informative Elemente enthält. Der interaktive<br />

Charakter zwischen den streikenden Mitarbeitern <strong>und</strong><br />

den Passanten ist hier beabsichtigt <strong>und</strong> gewünscht.<br />

3. Wer eine derartige Versammlung unter Verletzung der<br />

Anmeldepflicht organisiert <strong>und</strong> durchführt, verstößt gegen<br />

das Versammlungsgesetz <strong>und</strong> macht sich strafbar.<br />

■ Amtsgericht München<br />

vom 26.01.2009, 845 Cs 113 Js 11159/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Ulrich Brötzmann,<br />

Bonifaziusplatz 1b, 55118 Mainz,<br />

Tel.: 0 61 31/61 81 56, Fax: 0 61 31/61 81 57<br />

E–Mail: post@kanzlei-broetzmann.de<br />

Anmerkung:<br />

Der Angeklagte hatte eine Streikaktion vor einem Bekleidungsgeschäft<br />

in München organisiert, die nicht tarifgeb<strong>und</strong>en<br />

ist. Durch die Aktion sollte der Abschluss eines<br />

verbindlichen Tarifvertrages erreicht <strong>und</strong> damit Lohnerhö-


hungen durchgesetzt werden. Zu diesem Zweck wurden<br />

die Mitarbeiter der Filiale durch ein Flugblatt zum Streik<br />

aufgerufen. Cirka 15 Beschäftigte beteiligten sich daran. Man<br />

versammelte sich zunächst im Gewerkschaftshaus <strong>und</strong> zog<br />

dann, ausgestattet mit Transparenten <strong>und</strong> Streikwesten,<br />

vor das Ladenlokal. Die Aktion dauerte ca. anderthalb<br />

St<strong>und</strong>en. Es wurden Flugblätter auch an Passanten verteilt.<br />

Die K<strong>und</strong>gebung war nicht beim zuständigen Kreisverwaltungsreferat<br />

angemeldet worden. Das AG München hat den<br />

Streikorganisator zu einer Geldstrafe wegen Verstoßes gegen<br />

das Versammlungsgesetz in Höhe von 20 Tagessätzen zu<br />

je € 80,– verurteilt. Die Versammlung fand am 30.05.2008<br />

statt. Das Bayerische Versammlungsgesetz, das ja durch<br />

die Eilentscheidung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts vom<br />

17.02.2009 teilweise einstweilen außer Kraft gesetzt wurde,<br />

trat erst am 22.07.2008 in Kraft. (rg)<br />

345. Anwaltliches Berufsrecht, Sachlichkeitsgebot<br />

Bekanntlich gilt für die Kommunikation der Rechtsanwälte<br />

untereinander das Sachlichkeitsgebot. Dabei ist allerdings zu<br />

beachten, dass die anwaltliche Berufsausübung gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

der freien <strong>und</strong> unreglementierten Selbstbestimmung des einzelnen<br />

Anwalts unterliegt (BVerfGE 63, 266, 282 ff.). Die Wahrnehmung<br />

seiner Aufgabe als unabhängiges Organ der Rechtspflege<br />

erlaubt es dem Anwalt nicht, immer so schonend mit<br />

den Verfahrensbeteiligten umzugehen, dass diese sich nicht<br />

in ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt fühlen. Das Verhalten<br />

des Rechtsanwalts mag sogar ungehörig sein oder als Verstoß<br />

gegen den guten Ton oder das Taktgefühl empf<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> allgemein als unsachlich gewertet werden.<br />

Solange es sich dabei nicht um die bewusste Verbreitung von<br />

Unwahrheiten oder solcher herabsetzender Äußerungen handelt,<br />

zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf<br />

keinen Anlass gegeben hat, muss es hingenommen werden.<br />

Dies ist selbst dann der Fall, wenn es dem Ansehen des Anwaltsstandes<br />

abträglich ist (BVerfGE 76, 171).<br />

Angesichts dieser Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts<br />

ist das Beschwerdeverfahren nur sehr begrenzt geeignet<br />

einen vorbildlichen Stil unter Rechtsanwälten durchzusetzen.<br />

Wiewohl sich die Rechtsanwaltskammer einen gepflegten<br />

Umgangston im Sinne des auf Aquaviva (1543-1615) zurückgeführten<br />

geflügelten Wortes „fortiter in re, suaviter in modo“<br />

(Stark in der Sache, milde in der Art.) wünschen würde, kann<br />

berufsrechtlich nur sanktioniert werden, was nach Inhalt <strong>und</strong><br />

Form einer strafbaren Beleidigung gleich kommt. Das wäre<br />

bei bewusst unwahren Behauptungen oder neben der Sache<br />

liegenden Herabsetzungen anzunehmen.<br />

Die Beschwerdeabteilung konnte sich von einer derart gewichtigen<br />

Berufspflichtverletzung angesichts der auch noch<br />

bestrittenen Tatsachen weder im Sinne der Beschwerde noch<br />

im Sinne der Gegenbeschwerde überzeugen, weshalb beide<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

Beschwerden zurückzuweisen waren. Ihnen bleibt natürlich,<br />

wie teils erwogen, der Zivil- oder Strafrechtsweg offen.<br />

■ Entscheidung der RAK Frankfurt am Main<br />

vom 16.12.2008, III B 1949/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Michael Lodzik,<br />

Rheinstraße 30, 64283 Darmstadt,<br />

Tel.: 06151/26264, Fax: 06151/25461<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

346. Streitwert im Kündigungsschutzverfahren, Vergütung<br />

neben – Weiterbeschäftigungsantrag<br />

1. Bei der Bewertung eines Kündigungsschutzantrags gem.<br />

§ 42 Abs. 4 S. 1 GKG ist als Bruttomonatsverdienst dasjenige<br />

Bruttoentgelt zugr<strong>und</strong>e zu legen, das der Arbeitnehmer bei<br />

Fortbestand des Arbeitsverhältnisses in den ersten ein, zwei<br />

bzw. drei Monaten nach dem streitigen Beendigungszeitpunkt<br />

verlangen könnte.<br />

2. Der im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens gestellte<br />

allgemeine Weiterbeschäftigungsantrag ist gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

mit einem Bruttomonatsentgelt zu bewerten, sofern<br />

nicht besondere Umstände im Einzelfall eine abweichende<br />

Bewertung gebieten.<br />

3. Beantragt ein Arbeitnehmer neben einem Kündigungsschutzantrag<br />

im Wege der objektiven Klagehäufung die<br />

Feststellung, dass der Arbeitgeber zur Zahlung eines näher<br />

bezifferten Lohns verpflichtet sei, oder begehrt er eine<br />

entsprechende Verurteilung des Arbeitgebers zur monatlichen<br />

Zahlung (§§ 258, 259 ZPO), so ist der Wert dieses<br />

Feststellungs- bzw. Entgeltantrags wegen des sozialen Schutzzwecks<br />

des § 42 Abs. 4 S. 1 GKG jedenfalls dann auf ein<br />

Bruttomonatsgehalt zu beschränken, wenn der zusätzliche<br />

Feststellungs- bzw. Zahlungsantrag ausschließlich mit der<br />

Begründetheit bzw. Unbegründetheit der Kündigung steht<br />

<strong>und</strong> fällt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 20.01.2009, 1 Ta 1/09<br />

Anmerkung:<br />

Siehe hierzu Nr. 348 „Überdehung des sozialen Schutzzwecks“.<br />

(me)<br />

347. Streitwert, Abmahnung, Zeugnis<br />

1. Der Antrag auf Entfernung einer Abmahnung aus der<br />

Personalakte ist unter Beachtung der Ermessenskriterien von<br />

§§ 3 ff. ZPO in der Regel mit einem Bruttomonatsverdienst zu<br />

bewerten.<br />

2. Bei mehreren, relativ kurzfristig aufeinander folgenden Abmahnungen<br />

ist indes ab der zweiten Abmahnung lediglich ein<br />

Gegenstandswert von einem Drittel des Bruttomonatsgehalts<br />

in Ansatz zu bringen.<br />

289


Rechtsprechung<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

3. Der Antrag auf Erteilung oder Änderung eines qualifizierten<br />

Zeugnisses ist in typisierender Betrachtungsweise gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

mit einem Bruttomonatsverdienst festzusetzen, der<br />

Antrag auf Erteilung oder Änderung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich mit einem halben Bruttomonatsgehalt.<br />

Eine Unterscheidung nach der Relevanz oder Komplexität<br />

der beantragten Änderungen findet nicht statt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 23.04.2009, 1 Ta 87/09<br />

348. Streitwert im Kündigungsschutzverfahren, Vergütungsanspruch<br />

II. Die Beschwerde ist zulässig (§ 33 Abs. 3 <strong>und</strong> 4 RVG); sie ist<br />

auch in der Sache gerechtfertigt.<br />

1. Das Arbeitsgericht hat den Streitwert gemäß § 42 Abs. 4<br />

GKG im Einklang mit der bisher ständigen Rechtsprechung<br />

des Landesarbeitsgerichts für die neben der Kündigungsschutzklage<br />

geltend gemachten <strong>und</strong> von der Kündigungsschutzklage<br />

abhängigen Vergütungsansprüche keinen gesonderten<br />

Wert festgesetzt (Beschl. vom 08.12.2004 – 1 Ta<br />

194/04 –; Beschl. v. 25.07.2005 – 1 Ta 128/05 im Anschluss an<br />

BAG, Beschl. v. 16.01.1968, AP Nr. 17 zu § 12 ArbGG 1953).<br />

2. Die Beschwerdekammer hält aber in Abstimmung mit der<br />

ebenfalls für Streitwertbeschwerden zuständigen 2. Kammer<br />

an dieser Auffassung nicht länger fest, sondern folgt nunmehr<br />

ganz der herrschenden Meinung (hierzu Hauck/Helml, ArbGG,<br />

§ 12 Rz 159a ff. m.N.w.). Für die neben der Kündigungsschutzklage<br />

geltend gemachten <strong>und</strong> von der Kündigungsschutzklage<br />

abhängigen Vergütungsansprüche ist gemäß §§ 3 ff.<br />

ZPO ein gesonderter Streitwert festzusetzen <strong>und</strong> mangels<br />

wirtschaftlicher Identität zu dem Streitwert gemäß § 42 Abs. 4<br />

GKG hinzuzurechnen. Die bisher vertretene Auffassung des<br />

Landesarbeitsgerichts überdehnt die sozialpolitische Funktion<br />

des § 42 Abs. 4 GKG.<br />

3. Die Beschwerdekammer weist allerdings vorsorglich darauf<br />

hin, dass diese Streitwertfestsetzung von der Frage zu unterscheiden<br />

ist, ob im Rahmen der Prozesskostenhilfe die Beiordnung<br />

eines Anwalts gemäß § 121 Abs. 2 ZPO für diese geltend<br />

gemachten Forderungen erforderlich ist. Das wird abgesehen<br />

von den Fällen, in denen ein Verfall der Ansprüche droht oder<br />

die Vergütungsforderungen vorgerichtlich geltend gemacht<br />

<strong>und</strong> bestritten worden sind, nicht der Fall sein.<br />

■ Landesarbeitsgericht Kiel<br />

vom 28.11.2008, 1 Ta 109/08<br />

349. Prozesskostenhilfe, maßgebliches Einkommen, Ehefrau<br />

II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, hat jedoch in der Sache<br />

keinen Erfolg. Das maßgebliche Einkommen der Ehefrau des<br />

Klägers ist wie das Einkommen des Klägers, d.h. gleichfalls<br />

nach § 115 ZPO zu berechnen. Von ihm sind deshalb nicht nur<br />

die in § 82 Abs. 2 SGB XII bezeichneten Beträge, sondern auch<br />

der Erwerbstätigenfreibetrag nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1<br />

Buchst. b ZPO abzuziehen (so auch Kalthoener/Büttner/Wrobel-<br />

Sachs, PKH/BerH, 4. Aufl., Rn 269; Groß, in: Schoreit/Groß, Be-<br />

290 03/09<br />

ratungshilfe <strong>und</strong> Prozesskostenhilfe, 9. Aufl., § 115 ZPO Rn 47;<br />

Musielak/Fischer, ZPO, 6. Aufl., § 115 Rn 19; Zöller/Philippi, ZPO,<br />

27. Aufl., § 115 Rn 29; MünchKommZPO/Motzer, 3. Aufl., § 115<br />

Rn 32). Der Erwerbstätigenfreibetrag nach § 115 Abs. 1 Satz 3<br />

Nr. 1 Buchst. b ZPO soll pauschal die erhöhten Aufwendungen<br />

abgelten, die einem im aktiven Arbeitsleben stehenden<br />

Arbeitnehmer treffen (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, v. 21. März<br />

2006 – 2 Ta 25/06). Dieser Zweck gebietet es, ihn sowohl vom<br />

Einkommen der Prozesskostenhilfe beantragenden Partei als<br />

auch vom Einkommen der unterhaltsberechtigten Person i.S.v.<br />

§ 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 ZPO in Abzug zu bringen.<br />

Dies entsprach ständiger Praxis unter Geltung des § 115<br />

ZPO in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung<br />

(Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe <strong>und</strong><br />

Beratungshilfe, 3. Aufl., Rn 269; Dehn, in: Schoreit/Dehn, Beratungshilfe<br />

<strong>und</strong> Prozesskostenhilfe, 8. Aufl., § 115 ZPO Rn 24;<br />

Musielak/Fischer, ZPO, 3. Aufl., § 115 Rn 19; Zöller/Philippi,<br />

ZPO, 24. Aufl., § 115 Rn 33a; MünchKommZPO/Wax, 2. Aufl.,<br />

§ 115 Rn 41; Hk-ZPO/Rathmann/Pukall, § 115 Rn 19). Hieran<br />

hat sich weder etwas geändert für die Zeit vom 1. Januar bis<br />

31. März 2005 durch die Änderung des § 115 ZPO aufgr<strong>und</strong><br />

Art. 34 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts<br />

in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003 (BGBl 1<br />

S. 3022, 3064), der § 76 Abs. 2, 2a BSHG durch § 82 Abs. 2<br />

<strong>und</strong> 3 SGB XII ersetzt hat, noch für die Zeit ab dem 1. April<br />

2005 durch die Fassung des § 115 ZPO, die er durch Art. 1<br />

Nr. 2a des, Gesetzes über die Verwendung elektronischer<br />

Kommunikationsformen in der Justiz vom 22. März 2005 (BGBl<br />

I S. 837) erhalten hat. Ausweislich der Gesetzesbegründung<br />

(BT-Drucks. 15/4952 S. 46) wurde die bisherige Verweisung<br />

auf die Regelung des § 82 Abs. 3 SGB XII (Abzug von 30%<br />

des Bruttoeinkommens) wegen der fehlenden Obergrenze für<br />

nicht sachgerecht erachtet <strong>und</strong> allein vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />

durch den nunmehr in § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Buchst. b ZPO<br />

enthaltenen Pauschalabzug ersetzt.<br />

Entgegen der Rechtsauffassung der Rechtsbeschwerde steht<br />

der Berücksichtigung eines Erwerbstätigenfreibetrages beim<br />

Einkommen der unterhaltsberechtigten Person auch nicht der<br />

Wortlaut des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Buchst. b ZPO entgegen,<br />

wonach der Erwerbstätigenfreibetrag nur den Parteien<br />

zugute kommen soll. Diese Formulierung der Bestimmung<br />

ist, da die Partei nur ihr eigenes Einkommen einzusetzen hat<br />

<strong>und</strong> das Einkommen der unterhaltsberechtigte Person dieses<br />

Einkommen nicht erhöht, d.h. eine Zusammenrechnung<br />

der Einkommen nicht stattfindet (Kalthoener/Btittner/Wrobel-<br />

Sachs, PKH/BerH, 4. Aufl., Rn 210 m.w.N.; Zöller/Philippi, ZPO,<br />

27. Aufl., § 115 Rn 7 m.w.N.), nur konsequent. Insbesondere<br />

schließt sie die Berücksichtigung eines Erwerbstätigenfreibetrages<br />

beim Einkommen der unterhaltsberechtigten Person<br />

entsprechend dem Zweck der Regelung nicht aus.<br />

■ B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

vom 04.05.2009, 3 AZB 76/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Stefan Bender,<br />

Bahnhofstraße 3, 55268 Nieder-Olm,<br />

Tel.: 06136/5038, Fax: 06136/922878<br />

jura-olm@t-online.de


350. Streitwert, Beschwerdeverfahren, Aussetzung Forderungsklage<br />

II. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wurde gemäß<br />

§ 25 Abs. 2 GKG festgesetzt. Insoweit ist für das<br />

Beschwerdeverfahren betreffend die Frage, ob ein Aussetzungsgr<strong>und</strong><br />

nach § 148 ZPO bei einer Forderungsklage des<br />

Arbeitnehmers gegeben ist, bis zur Erledigung der Parteien<br />

ein Streitwert in Höhe von 1.023,84 € angemessen (1/5<br />

des Hauptsachewerts bei einer Beschwerde gegen den<br />

Aussetzungsbeschluss nach § 148 ZPO; vgl. Thomas/Putzo,<br />

ZPO, 28. Auflage § 148 Anm. 7).<br />

Für das Beschwerdeverfahren ab Erledigung ist gemäß § 34<br />

GKG i.V.m. Nr. 8610 eine weitere Streitwertreduzierung auf<br />

60,00 € geboten.<br />

■ Sächsisches Landesarbeitsgericht<br />

vom 12.01.2009, 4 Ta 207/08<br />

eingereicht von Rechtsanwältin Kerstin Holliger,<br />

Anwaltshaus im Messehof Leipzig,<br />

Petersstraße 15, 04109 Leipzig<br />

Tel.: 0341/984620, Fax: 0341/9846224<br />

leipzig@advo-gross.de<br />

351. Streitwert in Beschlussverfahren, soziale Angelegenheit<br />

I. Der Beteiligte zu 1) (Gesamtbetriebsrat) hat im Beschwerderechtszug<br />

die Feststellung begehrt, die Beteiligte zu 2)<br />

(Arbeitgeberin) sei verpflichtet, den Inhalt eines bestimmten<br />

„Tarifpaketes“ ohne Anrechnung/Verrechnung von übertariflichen<br />

Zulagen an die Arbeitnehmer ungekürzt weiterzugeben.<br />

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens, das mit<br />

einem Vergleichsabschluss endete, waren im Übrigen vier<br />

Hilfsanträge. Wirtschaftlich betroffen von der fraglichen<br />

Maßnahme wären ca. 360 Arbeitnehmer gewesen. Das<br />

Einsparvolumen für die Arbeitgeberin bei einer Berechtigung<br />

zur Anrechnung/Verrechnung hätte jährlich ca. 80.640,00 €<br />

ausgemacht.<br />

Der Absichtserklärung des Gerichts, den Gegenstandswert der<br />

anwaltlichen Tätigkeit für das Beschwerdeverfahren <strong>und</strong> den<br />

Vergleich auf jeweils 88.400,00 € festzusetzen, hat die Arbeitgeberin<br />

mit dem Hinweis darauf widersprochen, es handele<br />

sich um eine nicht vermögensrechtliche Streitigkeit, für die<br />

bei der Wertfestsetzung vom Ausgangswert des § 23 Abs. 3<br />

Satz 2, 2. Halbsatz RVG auszugehen sei. Der Betriebsrat hat<br />

demgegenüber angesichts des Einsparpotenzials <strong>und</strong> der Zahl<br />

der betroffenen Arbeitnehmer der geäußerten Absicht zugestimmt.<br />

II. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für die Beschwerde<br />

<strong>und</strong> den Vergleich ist gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2, 2.<br />

Halbsatz RVG auf 20.000,00 € festzusetzen. Beschwerde <strong>und</strong><br />

Vergleich betreffen einen nichtvermögensrechtlichen Gegenstand.<br />

Die Lage des Falles rechtfertigt den Ansatz des fünffachen<br />

Ausgangswertes von 4.000,00 €.<br />

1. Nach der zutreffenden <strong>und</strong> von der Kammer befolgten<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

Rechtssprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts (Beschluss vom<br />

09.11.2004 – ABR 11/02 (A) – NZA 2005 Seite 70 f.) ist von<br />

einem vermögensrechtlichen Gegenstand auszugehen, wenn<br />

mit dem Recht oder Rechtsverhältnis, auf das sich die<br />

Tätigkeit des Anwalts bezieht, vornehmlich wirtschaftliche<br />

Zwecke verfolgt werden. Vermögensrechtlich ist danach der<br />

Gegenstand der Tätigkeit insbesondere dann, wenn sie auf<br />

die Durchsetzung oder Abwehr von Ansprüchen gerichtet ist,<br />

die auf Geld oder geldwerte Leistung zielen. Demgegenüber<br />

hat die Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte<br />

keinen vermögensrechtlichen Charakter (BAG,<br />

a.a.O., 6. a der Gründe).<br />

Im vorliegenden Fall stützt der Gesamtbetriebsrat sein Begehren<br />

auf § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG <strong>und</strong> macht damit ein<br />

Mitbestimmungsrecht in sozialen Angelegenheiten geltend.<br />

Vermögensrechtlicher Natur sind demgegenüber lediglich die<br />

Folgen der Ausübung dieses Mitbestimmungsrechtes für Arbeitnehmer<br />

<strong>und</strong> Arbeitsgeber.<br />

Bei solchen nicht vermögensrechtlichen Gegenständen ist<br />

der Wert der anwaltlichen Tätigkeit stets gemäß § 23 Abs. 3<br />

Satz 2, 2. Halbsatz festzusetzen (noch zu § 8 Abs. 2 Satz 2, 2.<br />

Halbsatz BRAGO: BAG, a.a.O., zu 4. der Gründe)<br />

2. Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz RVG ist ausgehend<br />

vom Hilfswert von 4.000,00 € der konkrete Wert entsprechend<br />

der „Lage des Falles“ festzusetzen. Diese wird durch<br />

die Bedeutung der Angelegenheit sowie die den anwaltlichen<br />

Arbeitsumfang bestimmenden tatsächlichen <strong>und</strong> rechtlichen<br />

Schwierigkeiten gekennzeichnet (BAG, Beschluss vom<br />

17.10.2001 – 7 ABR 42/99 – Juris).<br />

Bei Anwendung dieser Gr<strong>und</strong>sätze auf den vorliegenden<br />

Fall erscheint eine Verfünffachung des Ausgangswertes von<br />

4.000,00 € angemessen. Der Fall unterscheidet sich vom<br />

„Durchschnittsverfahren“ insbesondere durch seine wirtschaftlichen<br />

Auswirkungen, aber auch durch seine rechtlichen<br />

Schwierigkeiten. Auch wenn es sich um einen nichtvermögensrechtlichen<br />

Gegenstand handelt, wird doch seine Bedeutung<br />

für die Beteiligten durch die finanziellen Auswirkungen<br />

der Streitentscheidung wesentlich gekennzeichnet. Auch die<br />

Zahl der betroffenen Arbeitnehmer spricht für eine deutliche<br />

Erhöhung des Hilfswertes von 4.000,00 €. Umgekehrt wäre es<br />

unangemessen, der Gegenstandswertfestsetzung den vollen<br />

Betrag etwaiger Einsparungen der Arbeitgeberin für einen<br />

bestimmten Zeitraum zu Gr<strong>und</strong>e zu legen. Dies auch deshalb,<br />

weil die Antragstellung des Gesamtbetriebsrates auf eine<br />

Feststellung gerichtet ist.<br />

■ Hessisches Landesarbeitsgericht<br />

vom 23.10.2008, 5/4 TaBV 1/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Werner Mansholt,<br />

Rheinstraße 30, 64283 Darmstadt,<br />

Tel.: 06151/26264, Fax: 06151/25461<br />

291


Rechtsprechung<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

352. Streitwert im Beschlussverfahren, einstweilige Verfügung,<br />

Auflösungsantrag Betriebsrat, Suspendierung<br />

Amtsausübung<br />

1. Mit dem in der Antragsschrift angekündigten Hauptantrag<br />

auf Auflösung des bei ihr gebildeten Betriebsrats hat<br />

die Arbeitgeberin die Beseitigung dieses betriebsverfassungsrechtlichen<br />

Organs insgesamt geltend gemacht. Die betriebsverfassungsrechtliche<br />

Bedeutung dieses Begehrens entspricht<br />

den Auswirkungen einer erfolgreichen Wahlanfechtung. Es<br />

erscheint daher gerechtfertigt, die vom B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

für diese Fallgestaltungen vorgenommene Wertfestsetzung<br />

(Beschluss vom 17.10.2001 – 7 ABR 42/99 – juris), der das Hessische<br />

Landesarbeitsgericht folgt (Beschluss vom 16.11.2007 –<br />

5 Ta 392/07), auch vorliegend zu praktizieren.<br />

Demnach ist bezogen auf einen aus einer Person bestehenden<br />

Betriebsrat der doppelte Ausgangswert des § 23 Abs. 3 Satz 2,<br />

2. Halbsatz RVG, also € 8.000,00 zugr<strong>und</strong>e zu legen. Die Größe<br />

des Betriebsrats <strong>und</strong> die damit wachsende Bedeutung der<br />

Streitsache ist weiterhin durch Hinzurechnung von jeweils<br />

einem halben Ausgangswert je Staffel im Sinne des § 9 BetrVG<br />

zu berücksichtigen. So ergeben sich für den Ausgangsfall<br />

€ 10.000,00.<br />

2. Hinsichtlich des schließlich zur Entscheidung gestellten<br />

Antrags vom 25.11.2008, der auf eine Suspendierung der<br />

Amtsausübung durch den Betriebsratsvorsitzenden beschränkt<br />

ist, hat das Arbeitsgericht den Gegenstandswert der<br />

anwaltlichen Tätigkeit im Einklang mit der von ihm zitierten<br />

Rechtsprechung des Hessischen Landesarbeitsgerichts zutreffend<br />

auf € 4.000,00 festgesetzt. Es ist kein Gesichtspunkt<br />

erkennbar, der eine Heraufsetzung des Hilfswertes gem. § 23<br />

Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz RVG rechtfertigen könnte.<br />

■ Hessisches Landesarbeitsgericht<br />

vom 16.03.2009, 5 Ta 103/09<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Werner Mansholt,<br />

Rheinstraße 30, 64283 Darmstadt,<br />

Tel.: 06151/26264, Fax: 06151/25461<br />

353. Rechtsschutzversicherung, Kostenschutz für Geschäftsgebühr<br />

nach Zugang einer Kündigung<br />

Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf<br />

Vergütung seiner vorgerichtlichen Tätigkeit zu. Der Anspruch<br />

ergibt sich aus §§ 611, 675 BGB.<br />

Unstreitig beauftragte der Beklagte den Kläger, seine rechtlichen<br />

Interessen im Zusammenhang mit einer Kündigung<br />

zunächst außergerichtlich wahrzunehmen. Aufgr<strong>und</strong> dieser<br />

Beauftragung ist eine 1,3 Geschäftsgebühr angefallen, die jedoch<br />

zu 0,65 auf die Verfahrensgebühr angerechnet wird. Zutreffend<br />

hat der Kläger die Geschäftsgebühr ausgehend von<br />

einem Gegenstandswert von EUR 9.900,00 ermittelt.<br />

Der Anspruch des Klägers scheitert auch nicht an einer irgendwie<br />

gearteten Pflichtverletzung. Denn eine Pflichtverletzung<br />

ist dem Kläger nicht vorzuwerfen.<br />

Die Pflicht zur Aufklärung über die zu erwartenden Kosten<br />

292 03/09<br />

hat der Kläger nicht verletzt. Ausweislich der Mandatsbedingungen<br />

(dort Ziffer 2) hat der Kläger den Beklagten darüber<br />

aufgeklärt, dass sich die zu erhebenden Gebühren nach dem<br />

Gegenstandswert richten. In der „Belehrung zu Rechtsschutzversicherungen“,<br />

die der Beklagte ebenfalls gegengezeichnet<br />

hat, ist weiter die Belehrung enthalten, dass für die außergerichtliche<br />

Tätigkeit eine Geschäftsgebühr anfällt.<br />

Auch liegt keine Aufklärungspflichtverletzung im Hinblick auf<br />

die Rechtschutzversicherung des Beklagten vor.<br />

Eine entsprechende Pflichtverletzung des Klägers liegt schon<br />

deshalb nicht vor, weil der Kläger den Beklagten zum einen<br />

durch die „Belehrung zu Rechtsschutzversicherungen“ ausdrücklich<br />

darauf hingewiesen hat, dass einzelne Rechtsschutzversicherungen<br />

die Auffassung vertreten, dass im Falle einer<br />

arbeitgeberseitigen Kündigung sofort Prozessauftrag erteilt<br />

werden müsse.<br />

Zum anderen aber dürfte dem Beklagten selbst wenn eine<br />

Belehrung unterb<strong>liebe</strong>n wäre (<strong>und</strong> man darin eine Pflichtverletzung<br />

sehen würde), ein Schaden nicht entstanden sein,<br />

da nach diesseitiger Auffassung die Rechtsschutzversicherung<br />

des Beklagten eintrittspflichtig wäre.<br />

Auch unter Berücksichtigung des für den Rechtschutzversicherungsvertrag<br />

des Beklagten geltenden § 17 Abs. 5 lit. c) cc)<br />

ARB 2000 ergibt sich nichts anderes. Danach folgt allein, dass<br />

der Versicherungsnehmer alles zu vermeiden hat, was eine<br />

unnötige Erhöhung der Kosten [ ... ] verursachen könnte. Dies<br />

gilt jedoch nur, soweit die Interessen des Versicherungsnehmers<br />

nicht unbillig beeinträchtigt werden. Eine solche unbillige<br />

Beeinträchtigung läge aber vor, wenn der Versicherungsnehmer<br />

in jedem Fall sofort Klage erheben <strong>und</strong> sich mit seinem<br />

(bei unwirksamer Kündigung auch zukünftigen) Arbeitgeber<br />

gerichtlich auseinandersetzen müsste. Die Möglichkeit,<br />

die Angelegenheit – gerade im Interesse der weiteren Zusammenarbeit<br />

mit dem Arbeitgeber – ohne großen Aufwand<br />

<strong>und</strong> ohne große Aufmerksamkeit aus der Welt zu schaffen,<br />

wäre dem Versicherungsnehmer von Anfang an genommen.<br />

Dies ist unbillig <strong>und</strong> kann auch nicht damit begründet werden,<br />

dass ein außergerichtliches Vorgehen regelmäßig keinen<br />

Erfolg hat. Ein solcher Erfahrungssatz besteht nicht. Darüber<br />

hinaus wäre eine solche Argumentation schon deshalb unzulässig,<br />

weil jeder Einzelfall anders gelagert ist.<br />

Im Übrigen entspricht der Versuch einer vorherigen außergerichtlichen<br />

Beilegung eines Rechtsstreits in vollem Umfang<br />

der Intention des Gesetzgebers. Dieser stellt die gütliche<br />

Beilegung eines Rechtsstreits zur Vermeidung von gerichtlichen<br />

Verfahren ganz eindeutig in den Vordergr<strong>und</strong>. Hierzu<br />

setzt sich eine Rechtsschutzversicherung, die für das zunächst<br />

außergerichtliche Vorgehen des Versicherungsnehmers nicht<br />

einstehen will, in klaren Widerspruch.<br />

Es werden durch ein vorheriges außergerichtliches Vorgehen<br />

die Kosten letztlich auch nicht „unnötig erhöht“. Denn die<br />

Kosten sind nicht höher, sondern sogar geringer, wenn das<br />

außergerichtliche Vorgehen erfolgreich ist. Ob das Vorgehen<br />

letztendlich Erfolg hat oder nicht, stellt sich naturgemäß erst


hinterher heraus. Die Frage, ob durch ein Vorgehen „unnötige“<br />

Kosten verursacht werden, kann aber in diesem Zusammenhang<br />

allein aus einer ex-ante-Sicht <strong>und</strong> nicht aus einer<br />

ex-post-Sicht beurteilt werden. Gerade im vorliegenden Fall,<br />

in dem die Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung<br />

auf der Hand lag, war die Erfolgsaussicht eines außergerichtlichen<br />

Vorgehens <strong>und</strong> der damit einhergehenden Vermeidung<br />

eines Rechtsstreits unzweifelhaft gegeben.<br />

■ Amtsgericht Essen-Borbeck<br />

vom 23.03.2009, 6 C 287/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Christian Nohr,<br />

Moltkestraße 29, 45138 Essen,<br />

Tel.: 0201/754475, Fax: 0201/754470<br />

nohr@kanzlei-nohr.de<br />

354. Streitwert, Versetzung<br />

1. Der Klägervertreter weist im Schriftsatz vom 14.08.2007 zu<br />

Recht darauf hin, dass der Gegenstandswert des Antrages 1<br />

mit einem Bruttogehalt angemessen bewertet ist.<br />

2. (Der unter Ziffer 1 als Begründung in Bezug genommene<br />

Schriftsatz wird auszugsweise wiedergegeben:)<br />

Der Streit um die Wirksamkeit der Versetzung gemäß Berufungsantrag<br />

zu Ziff. 1 ist vermögensrechtlicher Natur <strong>und</strong> mit<br />

einem Bruttomonatsgehalt zu bewerten (LAG Köln, Beschluss<br />

vom 14.05.1999 – 5 Ta 128/99 –; LAG Nürnberg, Beschluss vom<br />

27.12.1994 –8Ta150/94 –, ARST 1995, 142; LAG Hamburg,<br />

Beschluss vom 30.08.1991 – 1 Ta 7/91 –, LAGE § 12 ArbGG<br />

1979 Streitwert Nr. 93; LAG Berlin, Beschluss vom 27.11.2000 –<br />

7 Ta 6117/00 – (Kost), AE 2001, Nr. 124).<br />

Auch nach dem Sächsischen LAG ist die gegen eine Weisung<br />

des Arbeitgebers gerichtete Klage mit einer Monatsvergütung<br />

zu bewerten (Beschluss vom 31.03.1999 – 2 Sa 1384/97 –, DB<br />

99, 1508).<br />

Bei gravierenden Auswirkungen der Versetzung auf den Arbeitnehmer,<br />

wie sie hier vorliegen, sah das LAG Bremen einen<br />

Streitwertrahmen von drei Monatsgehältern in Anlehnung<br />

an § 12 Abs. 7 ArbGG a.F. (Beschluss vom 31.08.1988 – 4 Ta<br />

41/88 –, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 75).<br />

Gemäß Ziff. 1 der Berufungsbegründung vom 03.01.2007 <strong>und</strong><br />

gemäß dort beigefügten Anlagen K 1a bis K 1c beträgt das<br />

monatliche Bruttogehalt des Klägers durchschnittlich 2.400,00<br />

EUR. In dieser Höhe bitten wir den Streitwert für den Versetzungsantrag<br />

festzusetzen, wobei wir uns auf Ziff. III 2 der<br />

Berufungsbegründung beziehen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg<br />

vom 30.08.2007, 9 Sa 83/06<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Ekkehard Schulz,<br />

Wallstraße 20, 79089 Freiburg,<br />

Tel.: 0761/31106, Fax: 0761/382596<br />

03/09<br />

Rechtsprechung<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

355. Streitwert im Beschlussverfahren, personelle Einzelmaßnahme<br />

Beantragt der Arbeitgeber festzustellen, dass die Zustimmung<br />

des Betriebsrats zur Einstellung eines Arbeitnehmers mangels<br />

eines ordnungsgemäßen Widerspruchs des Betriebsrats als<br />

erteilt gilt, <strong>und</strong> hilfsweise, für den Fall eines doch ordnungsgemäßen<br />

Widerspruchs, die Zustimmung des Betriebsrats zur<br />

Einstellung zu ersetzen, so ist der Streitwert einheitlich für<br />

beide Anträge, mit denen im Wesentlichen das gleiche Interesse<br />

verfolgt wird, auf EUR 4.000,00 festzusetzen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 16.12.2008, 9 Ta 537/08<br />

356. Streitwert im Beschlussverfahren, BR-Schulung<br />

Die nach § 33 Abs. 3 RVG zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin<br />

hat nur teilweise Erfolg. Das Arbeitsgericht hat den Gegenstandswert<br />

des Verfahrens mit 5.000,00 € um 2.000,00 €<br />

zu hoch bemessen. Andererseits kann der Beschwerdeführerin<br />

nicht darin beigetreten werden, dass eine weitere Minderung<br />

auf einen Wert des Verfahrensgegenstandes von lediglich<br />

1.842,60 € geboten sei.<br />

Die Festsetzung des Gegenstandswertes für das vorliegende<br />

Beschlussverfahren, in dem der Betriebsrat festgestellt wissen<br />

wollte, dass die Betriebsratsmitglieder W. <strong>und</strong> P. für die Teilnahme<br />

an der Schulungsveranstaltung Betriebsratswahlen in<br />

der Zeit vom 14.12. bis zum 16.12.2005 unter Fortzahlung<br />

der Bezüge <strong>und</strong> Übernahme der Kosten freizustellen waren,<br />

richtet sich nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG, wonach der Gegenstandswert<br />

nach billigem Ermessen zu bestimmen ist. § 23<br />

Abs. 3 Satz 2 RVG (früher: § 8 Abs. 2 BRAGO) stellt eine Auffangnorm<br />

für Angelegenheiten dar, für die Wertvorschriften<br />

fehlen. Der Auffangtatbestand ist insbesondere für nicht vermögensrechtliche<br />

Streitigkeiten bedeutsam, deren Wert auf<br />

anderem Wege nicht bestimmt werden kann. Die Wertfestsetzung<br />

nach billigem Ermessen kommt im Anwendungsbereich<br />

des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG aber immer erst hinter allen sonstigen<br />

Bewertungsfaktoren zum Zuge. Für das arbeitsgerichtliche<br />

Beschlussverfahren folgt daraus, dass die wirtschaftliche<br />

Bedeutung des jeweiligen Verfahrensgegenstandes vielfach<br />

für die Bewertung ausschlaggebend ist. Im Übrigen werden<br />

nach ständiger Rechtsprechung sämtlicher Landesarbeitsgerichte<br />

für die Wertfestsetzung die Bedeutung der Sache, deren<br />

Schwierigkeit <strong>und</strong> Umfang als Bewertungsmaßstab herangezogen.<br />

Die rechtlichen <strong>und</strong> tatsächlichen Besonderheiten des<br />

Falles sind dabei angemessen zu berücksichtigen.<br />

Abgestellt auf diese Kriterien bewertet die Beschwerdekammer<br />

im Regelfall das um die Erforderlichkeit einer<br />

einwöchigen Schulungsveranstaltung eines Betriebsratsmitglieds<br />

geführte Beschlussverfahren gemäß § 37 Abs. 6<br />

BetrVG mit dem Ausgangswert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG,<br />

da eine nicht vermögensrechtliche Angelegenheit vorliegt<br />

<strong>und</strong> ausschließlich wirtschaftliche Aspekte wie die Vergütungskosten,<br />

Reiseauslagen <strong>und</strong> Schulungskosten insoweit<br />

293


Impressum<br />

nicht die entscheidenden Bewertungskriterien darstellen –<br />

zuletzt Beschluss vom 13.07.2005 – 17 Ta 304/05 –. Zwar<br />

ist der Beschwerdeführerin darin zu folgen, dass durchaus<br />

der wirtschaftliche Hintergr<strong>und</strong>, hier die dem Arbeitgeber<br />

erwachsenen Kosten, auch in betriebsverfassungsrechtlichen<br />

Streitigkeiten maßgeblicher Anknüpfungspunkt für<br />

die Streitwertbemessung sein kann. Sie verkennt allerdings,<br />

dass vorliegend die Bedeutung der Angelegenheit nicht<br />

auf die durch die Schulungsveranstaltung erwachsenen<br />

Kosten begrenzt ist. Wie schon vom Betriebsrat in seiner<br />

Stellungnahme vom 06.09.2005 zu Recht herausgestellt, ging<br />

es vorrangig um betriebsverfassungsrechtliche Fragen, hier<br />

etwa, ob ein wirksamer Entsendungsbeschluss vorlag, ob<br />

insoweit der Betriebsrat oder der Wahlvorstand zuständig war<br />

<strong>und</strong> insbesondere, ob die Schulungsteilnahme der beiden<br />

Betriebsratsmitglieder i.S.v. § 37 Abs. 6 BetrVG erforderlich<br />

war.<br />

Damit lag eine Fallgestaltung vor, die entsprechend der st.<br />

Rspr. der Beschwerdekammer im Hinblick auf die streitige<br />

Schulungsteilnahme des ersten Betriebsratsmitglieds in Anlehnung<br />

an den Ausgangswert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG zu<br />

bewerten war. Dies allerdings nicht mit dem vollen Ausgangs-<br />

Impressum<br />

AE-Arbeitsrechtliche Entscheidungen<br />

Herausgeber, Chefredaktion- <strong>und</strong> Anschrift:<br />

Rechtsanwalt Dr. Hans-Georg Meier<br />

Budapester Straße 40<br />

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<strong>und</strong> die Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DeutschenAnwaltverein<br />

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294 03/09<br />

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Gültig ist die Preisliste Nr. 4 vom 1.1.2007<br />

Lektorat<br />

Anne Krauss<br />

Satz<br />

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Druck<br />

Hans Soldan Druck GmbH, 45356 Essen<br />

Erscheinungsweise<br />

Die AE erscheint vierteljährlich<br />

wert von 4.000,00 €. Bei einer Schulungsdauer von lediglich<br />

drei Tagen ist die Hälfte des Ausgangswertes anzusetzen – vgl.<br />

LAG Düsseldorf, Beschluss vom 23.05.1990 –7Ta42/90 – AE<br />

1999, 50 L. Dem entsprechenden Wertansatz mit 2.000,00 €<br />

ist ein weiterer Betrag von 1.000,00 € zuzuschlagen. Zu Recht<br />

hat das Arbeitsgericht den Streitwertansatz für die streitige<br />

Schulungsteilnahme des zweiten Betriebsratsmitglieds nicht<br />

schlicht verdoppelt, sondern dem Massencharakter des Verfahrens<br />

<strong>und</strong> dem dadurch erheblich geringeren Aufwand für<br />

die Beteiligten <strong>und</strong> Verfahrensbevollmächtigten hinsichtlich<br />

der Bewertung Rechnung getragen. Allenfalls war eine weitere<br />

kursorische Prüfung auch im Hinblick auf die Beschlussfassung<br />

<strong>und</strong> Erforderlichkeit der Schulung geboten. Dem kann<br />

regelmäßig mit dem hälftigen Betrag im Vergleich zu der Bewertung<br />

der ersten Schulungsteilnahme entsprochen werden,<br />

hier sodann mit einem weiteren Wertansatz von 1.000,00 €.<br />

■ Landesarbeitsgericht Düsseldorf<br />

vom 22.09.2005, 17 Ta 521/05<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Christian Puhr-Westerheide,<br />

Beethovenstraße 21, 47226 Duisburg,<br />

Tel.: 02065/30000, Fax: 02065/300050<br />

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Inland € 96,– (zzgl. Versand)<br />

Einzelheft € 25,– (zzgl. Versand)<br />

Alle Preise verstehen sich inkl. Mehrwertsteuer. Der Abonnementpreis<br />

wird im Voraus in Rechnung gestellt.<br />

Das Abonnement verlängert sich zu den jeweils gültigen Bedingungen<br />

um ein Jahr, wenn es nicht 8 Wochen vor Ablauf des Bezugsjahres<br />

gekündigt wird.<br />

Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitsrecht erhalten die<br />

AE im Rahmen ihrer Mitgliedschaft.<br />

Urheber- <strong>und</strong> Verlagsrecht<br />

Die in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beiträge – auch die bearbeiteten<br />

Gerichtsentscheidungen <strong>und</strong> Leitsätze – sind urheberrechtlich<br />

geschützt. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken <strong>und</strong><br />

ähnlichen Einrichtungen. Kein Teil dieser Zeitschrift darf außerhalb<br />

der Grenzen des Urhebergesetzes ohne schriftliche Genehmigung<br />

des Verlages in irgendeiner Form – durch Fotokopie, Mikrofilm oder<br />

andere Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere<br />

von Datenverarbeitungsanlagen verwendbare Sprache,<br />

übertragen werden. Namentlich gezeichnete Artikel müssen nicht die<br />

Meinung der Redaktion wiedergeben. Manuskripte <strong>und</strong> Einsendungen<br />

sind bitte an die Redaktionsanschrift zu senden.<br />

Manuskripte<br />

Die AE beinhaltet aktuelle arbeitsrechtliche Entscheidungen sowie<br />

Beiträge für die Anwaltspraxis. Manuskripte sind an die Redaktionsanschrift<br />

zu richten. Unverlangt eingesandte Manuskripte – für die<br />

keine Haftung übernommen wird – gelten als Veröffentlichungsvorschlag<br />

zu den Bedingungen des Verlages. Es werden nur unveröffentlichte<br />

Originalarbeiten übernommen. Die Verfasser erklären sich<br />

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erwirbt der Verlag vom Verfasser das ausschließliche Recht zur<br />

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auch das Recht zur Einspeicherung in Datenbanken sowie das Recht<br />

zur weiteren Vervielfältigung zu gewerblichen Zwecken im Wege eines<br />

fotomechanischen oder eines anderen Verfahrens.


Rezensionen<br />

Besgen/Prinz<br />

Handbuch Internet.Arbeitsrecht<br />

Deutscher AnwaltVerlag , 2. Aufl. 2009, 568 Seiten, broschiert,<br />

EUR 59,00<br />

ISBN 978-3-8240-1016-5<br />

Auch dieses Buch erscheint bereits in der zweiten Auflage <strong>und</strong><br />

sein Umfang zeigt, welchen Stellenwert das Internet inzwischen<br />

in der Arbeitswelt einnimmt. Dargestellt werden zunächst<br />

die individualrechtlichen Auswirkungen der dienstlichen<br />

<strong>und</strong> privaten Nutzung von Internet, Intranet <strong>und</strong> E-mail.<br />

Es folgt die kollektivrechtliche Seite dieser Arbeitsmittel. Nach<br />

der Darstellung der Probleme mit mobilen Kommunikationssystemen<br />

wird u.a. die Telearbeit arbeitsrechtlich besprochen,<br />

natürlich der technische Arbeitsschutz aber auch die Auswirkungen<br />

der datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Nachdem<br />

heute Gehaltsabrechnungen nicht selten von Dienstleistern<br />

im Ausland erledigt werden, widmen sich die Autoren zu<br />

Recht den Folgen grenzüberschreitenden Verkehrs arbeitnehmerbezogener<br />

Daten. Steuerrechtliche Bewertungen der privaten<br />

Nutzung der betrieblichen Geräte/Systeme bilden den<br />

Abschluss.<br />

Für den eher EDV-fernen Rezensenten besonders erfreulich ist<br />

eine Beschreibung der verschiedenen Speichermöglichkeiten,<br />

die die Systeme automatisch vornehmen <strong>und</strong> nicht so leicht<br />

zu löschen sind <strong>und</strong> ein Glossar diverser Begriffe aus dem<br />

EDV-Bereich, von Access-Provider bis Zertifikat.<br />

Ob EDV-phob oder begeisterter Nutzer, die Rechtssicherheit<br />

bei Nutzung, Überwachung <strong>und</strong> Datenschutz ist ein alltägliches<br />

Problem, so dass dieses Werk zur Hand sein sollte.<br />

Dr. Hans-Georg Meier<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin<br />

Bettina Schmidt<br />

Schwerbehindertenarbeitsrecht<br />

Nomos Verlagsgesellschaft, 1. Aufl. 2008, 265 Seiten, EUR 39,00<br />

EAN 9763832930714<br />

Sozialrecht ist Schnittstellenrechtsgebiet. Um Fachanwalt für<br />

Medizinrecht, Verkehrsrecht, Versicherungsrecht oder Familienrecht<br />

werden zu können, muss man auch sozialrechtliche<br />

Kenntnisse nachweisen. Eine besonders enge Verknüpfung<br />

besteht zum Arbeitsrecht. Die Schnittstelle zwischen Arbeits<strong>und</strong><br />

Sozialrecht geht weit über die Frage hinaus, ob die Beendigung<br />

des Arbeitsverhältnisses von der B<strong>und</strong>esagentur für<br />

Arbeit mit einer Sperrzeit geahndet wird. Viele andere arbeitsrechtliche<br />

Sachverhalte lassen sich ohne solide Kenntnisse des<br />

SGB III nicht beantworten. Ein arbeitsrechtliches Statusverfahren<br />

kann nicht geführt werden, ohne die Rechtsprechung der<br />

Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zum Beschäftigungsbegriff<br />

i.S.d. § 7 SGB IV zu kennen. Eine sachgerechte Beratung von<br />

03/09<br />

Rezensionen<br />

älteren Arbeitnehmern beim Übergang in die (Alters-)Rente<br />

ist nicht möglich, ohne auch Kenntnisse im SGB VI zu haben.<br />

Einem besonderen Aspekt der arbeits- <strong>und</strong> sozialrechtlichen<br />

Schnittstelle widmet sich Bettina Schmidt, Fachanwältin für<br />

Arbeitsrecht <strong>und</strong> Fachanwältin für Sozialrecht, in ihrem<br />

aktuellen Werk „Schwerbehindertenarbeitsrecht“. In ihrem<br />

Handbuch stellt sie nicht allein den Kündigungsschutz<br />

schwerbehinderter Arbeitnehmerinnen <strong>und</strong> Arbeitnehmer<br />

dar (110 Seiten), sondern beschreibt auch die sonstigen<br />

arbeitsrechtlichen Regelungen im SGB IX, die weit über das<br />

Feststellungsverfahren nach § 69 SGB IX hinausgehen.<br />

Die Ausführungen zum Feststellungsverfahren, zur Heilungsbewährung<br />

<strong>und</strong> Gleichstellung sind dabei nicht nur für den<br />

arbeitsrechtlichen Praktiker von Bedeutung. Auch der sozialrechtliche<br />

„Spezialist“ kann mit Gewinn die sachk<strong>und</strong>igen<br />

Ausführungen der Autorin im ersten Teil des Handbuchs anwenden.<br />

Es ist nicht zuletzt der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichtes<br />

zu § 84 Abs. 1 <strong>und</strong> 2 SGB IX – Prävention <strong>und</strong> betriebliches<br />

Eingliederungsmanagement – zu verdanken, dass auch<br />

in der betrieblichen Praxis das besondere „Schwerbehindertenarbeitsrecht“<br />

zur Kenntnis genommen wird <strong>und</strong> anwaltlichen<br />

Beratungsbedarf zur Folge hat. Anschaulich zeigt das<br />

Handbuch nicht nur die Folgen des Benachteiligungsverbots<br />

behinderter Arbeitnehmer, das durch das AGG noch einmal<br />

verdeutlicht wurde, die Verpflichtung des Arbeitgebers seinen<br />

Betrieb behinderungsgerecht einzurichten, den Beschäftigungsanspruch<br />

nach § 81 Abs. 4 SGB IX, sondern widmet<br />

sich auch ausführlich den durch das Gesetz zur Bekämpfung<br />

der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter (BGBl I, 2000, 13494)<br />

in das SGB IX eingefügten Regelungen zur Prävention <strong>und</strong><br />

zum betrieblichen Eingliederungsmanagement. Schmidts Ausführungen<br />

sind dabei nicht nur der Rechtsanwältin <strong>und</strong> dem<br />

Rechtsanwalt als Berater von Arbeitgebern <strong>und</strong> Arbeitnehmern<br />

ans Herz gelegt, sondern gerade auch, wenn in der<br />

eigenen Kanzlei schwerbehinderte Arbeitnehmerinnen <strong>und</strong><br />

Arbeitnehmer beschäftigt werden.<br />

Im zweiten Teil des Handbuchs geht Schmidt auf den Kündigungsschutz<br />

nach §§ 85 ff. SGB IX ein. Ihr gelingt es dabei,<br />

sehr übersichtlich die Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichtes<br />

zu § 90 Abs. 2a SGB IX darzustellen. Die tabellarische<br />

Übersicht auf Seite 143/144 des Handbuchs sollte ebenso wie<br />

der Gesetzestext bei jedem Mandantengespräch zur Anwendung<br />

kommen, in dem das Arbeitsverhältnis eines schwerbehinderten<br />

Menschen gekündigt werden soll oder ein schwerbehinderter<br />

Arbeitnehmer um anwaltliche Beratung bittet.<br />

Das Buch wird schließlich um einen ausführlichen Anhang<br />

ergänzt, in dem sich etwa die gemeinsame Empfehlung der<br />

BAR zur Verbesserung der gegenseitigen Information <strong>und</strong> Kooperation<br />

aller beteiligten Akteure nach § 13 Abs. 2 SGB IX,<br />

aber auch ein Gleichstellungsantrag <strong>und</strong> ein Antrag auf Zustimmung<br />

zur Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers<br />

finden lassen.<br />

295


Rezensionen<br />

Das Handbuch, das in der Nomos Praxisreihe erschienen ist,<br />

ist nicht nur dem Arbeitsrechtler zu empfehlen, sondern sollte<br />

auch in der sozialrechtlichen Handbibliothek nicht fehlen.<br />

Martin Schafhausen,<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht,<br />

Fachanwalt für Sozialrecht, Frankfurt am Main<br />

Bauer/Diller<br />

Wettbewerbsverbote – Rechtliche <strong>und</strong> taktische Hinweise<br />

für Arbeitgeber, Arbeitnehmer <strong>und</strong> vertretungsberechtigte<br />

Organmitglieder<br />

C.H. Beck Verlag, 5. Auflage 2009, 488 Seiten, EUR 48,00<br />

ISBN 978-3-406-59015-3<br />

Aus der Sicht des Rezensenten nimmt die Zahl der nachvertraglichen<br />

Wettbewerbsverbote nicht zu sondern eher ab.<br />

Bei den Arbeitgebern scheint sich zunehmend die Erkenntnis<br />

durchzusetzen, dass solche Wettbewerbsverbote teuer sind<br />

<strong>und</strong> kaum ein Arbeitnehmer bei einer nachfolgenden Wettbewerbstätigkeit<br />

wirklich so viel „Schaden“ anrichten kann,<br />

um diesen Aufwand zu rechtfertigen. Bei den Verbleibenden<br />

werden dafür die Streitigkeiten um so komplizierter. Es wächst<br />

auch der Versuch, Karenzentschädigungen mit Mandantenschutzklauseln,<br />

Geheimhaltungsklauseln, Vertragsstrafevereinbarungen<br />

etc. zu umgehen. Diesen ausgefeilten Techniken<br />

professionell zu nutzen oder ihnen zu begegnen ist Zweck<br />

des Werkes, dem man die große Erfahrung der Autoren mit<br />

diesen Rechtsproblemen anmerkt. Die Überarbeitung bot<br />

sich an mit Rücksicht auf Gesetzesänderungen im Handels-,<br />

Sozialversicherungs- <strong>und</strong> Steuerrecht, aber auch wegen der<br />

vom B<strong>und</strong>esarbeitsgericht in den letzten Jahren auch in diesem<br />

Gebiet immer detaillierter werdenden Rechtsprechung<br />

zu den AGB. Im Zusammenhang mit Management-Buy-outs<br />

hat sich zunehmend die Problematik des Zusammentreffens<br />

arbeitsrechtlicher/dienstvertragsrechtlicher Wettbewerbsverbote<br />

mit solchen in Gesellschafts- <strong>und</strong> Unternehmenskaufverträgen<br />

ergeben, was von den Autoren mit vertiefter Bearbeitung<br />

berücksichtigt wurde. Zahlreiche Beispiele, Muster<br />

<strong>und</strong> Checklisten mit Hinweisen zur praktischen <strong>und</strong> vor allem<br />

taktischen Handhabung machen das Werk für den Praktiker<br />

besonders empfehlenswert.<br />

Dr. Hans-Georg Meier<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin<br />

Bernd Klemm/Dr. Hendrik Kornbichler/Dr. Hans-Peter Löw/<br />

Dr. Ingrid Ohmann-Sauer/Dr. Eckard Schwarz <strong>und</strong> Thomas<br />

Ubber (Hrsg.)<br />

Beck’sches Formularbuch Arbeitsrecht<br />

Verlag C.H. Beck, 2. aktualisierte <strong>und</strong> erweiterte Auflage, 2009,<br />

1603 Seiten in Leinen mit CD-Rom, EUR 148,00<br />

ISBN 978-3-406-57570-9<br />

Vier Jahre nach der ersten ist nunmehr die zweite Auflage<br />

dieses umfangreichen Formularbuchs erschienen, wobei<br />

296 03/09<br />

Entscheidungen bis in das Jahr 2009 hinein erfasst wurden,<br />

z.B. die Entscheidung des EuGH vom 20. Januar 2009 zu den<br />

Gr<strong>und</strong>sätzen der Urlaubsabgeltung <strong>und</strong> Übertragung, ebenso<br />

die arbeitsrechtlichen Auswirkungen der Konjunkturpakete<br />

der B<strong>und</strong>esregierung. Die beigefügte CD-Rom enthält sämtliche<br />

Muster (ohne Anmerkungen).<br />

Das Werk wurde aber nicht nur aktualisiert sondern auch<br />

inhaltlich erweitert um die Kapitel Compliance im Arbeitsrecht<br />

<strong>und</strong> Mitbestimmung auf Unternehmensebene. Zweisprachige<br />

Formulare wurden aufgenommen <strong>und</strong> neue Formulare<br />

in einzelne Kapitel integriert, z.B. eine Betriebsvereinbarung<br />

Betriebliches Eingliederungsmanagement <strong>und</strong> eine<br />

Individualvereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit. Klugerweise<br />

haben die Autoren zur Beschränkung des ohnehin wie<br />

oben ersichtlich umfangreichen Werkes auf das bisherige Kapitel<br />

Personalvertretungsrecht verzichtet, das ohnehin in den<br />

Kontext einer privatwirtschaftlich ausgerichteten Darstellung<br />

nicht passte, jedenfalls verzichtbar war.<br />

Im Übrigen bleibt das Werk umfassend von der Anbahnung<br />

des Arbeitsverhältnisses über seine Begründung <strong>und</strong> die<br />

einzelnen Vergütungsmöglichkeiten, sonstige Absprachen<br />

bis hin zur US-Stock-Option, von der Befristung über die<br />

Teilzeit bis zu Sonderformen des Arbeitsverhältnisses <strong>und</strong><br />

des Arbeitseinsatzes (Ausland, Arbeitnehmerüberlassung).<br />

Die Änderung <strong>und</strong> Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist in<br />

diversen Mustern erfasst, natürlich z.B. unter Einschluss von<br />

Sonderkündigungsschutz <strong>und</strong> Massenentlassungsanzeigen.<br />

Dienstverträge, die Verträge freier Mitarbeiter <strong>und</strong> Handelsvertreter<br />

wurden berücksichtigt. Im kollektivrechtlichen<br />

Teil geht es sowohl um das Betriebsverfassungsrecht als<br />

auch das Tarifvertragsrecht. Es folgen Mustervereinbarungen<br />

zur betrieblichen Altersversorgung <strong>und</strong> die bereits erwähnten<br />

neuen Kapitel bzw. Ergänzungen der Vertragsmuster<br />

Deutsch/Englisch. Ein umfangreiches Sachregister ermöglicht<br />

den einwandfreien Zugriff auf Problemstellungen.<br />

Hier wird dem Praktiker eine umfassende <strong>und</strong> praxisorientierte<br />

Hilfe geboten.<br />

Dr. Hans-Georg Meier<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin<br />

Bauer/Göpfert/Hausmann/Krieger<br />

Umstrukturierung, Handbuch für die arbeitsrechtliche<br />

Praxis<br />

Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln, 2. Aufl. 2009, 447 Seiten Lexikonformat,<br />

geb<strong>und</strong>en, EUR 79,80<br />

ISBN 978-3-504-42611-8<br />

Die gegenwärtige Finanz- <strong>und</strong> daraus folgend Wirtschaftskrise<br />

hat Umstrukturierungsprozesse erneut in den Blick der Öffentlichkeit<br />

gerückt. Hier mag eine mengenmäßige Veränderung<br />

eingetreten sein, aber auch danach wird die Umstrukturierung<br />

von Betrieben <strong>und</strong> Unternehmen zum täglichen rechtlichen<br />

Geschäft gehören. Überwiegend wird es das Geschäft<br />

größerer <strong>und</strong> großer Kanzleien sein, aber auch auf alle anderen<br />

werden die entsprechenden Fragestellungen gelegentlich<br />

zukommen. Da ist es umso wichtiger, sich rasch <strong>und</strong> mit


einfachem Zugriff informieren zu können. Zu diesem Zweck<br />

ist dieses Buch bestens geeignet. Es erläutert in der Reihenfolge,<br />

in der eine Umstrukturierung arbeitsrechtlich zu bearbeiten<br />

ist, anhand von zahlreichen Beispielen <strong>und</strong> Mustern,<br />

die Probleme <strong>und</strong> ihre Lösungen. Ein Anhang mit einschlägigen<br />

Checklisten (z.B. eine Due Dilligence-Checkliste), Standardschreiben<br />

<strong>und</strong> Vertragsmustern ist dabei sehr hilfreich. Im<br />

Einzelnen werden die folgenden Themen behandelt:<br />

Verschiedene Formen von Umstrukturierungen werden<br />

dargestellt, deren Vorbereitung <strong>und</strong> die notwendige Organisation<br />

dafür, sodann wird bezeichnet, welche einzelnen<br />

Betriebsänderungsarten sich aus Umstrukturierungen ergeben<br />

können. Kommt man zur Erkenntnis der Existenz einer<br />

Betriebsänderung, werden Interessenausgleich <strong>und</strong> Sozialplan<br />

dargestellt, aber auch die Alternative eines Tarifsozialplans.<br />

Für den Fall, dass die Umstrukturierung zu einem Betriebsübergang<br />

führt, wird die Unterrichtung der Arbeitnehmer<br />

<strong>und</strong> ihr Widerspruchsrecht erläutert sowie die Informations-,<br />

Beratungs- <strong>und</strong> Anzeigepflichten des Arbeitgebers gegenüber<br />

dem Betriebsrat im Überblick. Sodann werden die<br />

Folgen einer solchen Maßnahme auf die Existenz <strong>und</strong> die<br />

Arbeitsweise der Arbeitnehmervertretungen ausgeführt <strong>und</strong><br />

die Auswirkungen auf Kollektivvereinbarungen. Am Ende<br />

der Umstrukturierung stehen dann häufig betriebsbedingte<br />

Kündigungen, deren Probleme aufgezeigt werden, aber auch<br />

Wege zu deren Vermeidung. In der Praxis bereits eingesetzte<br />

Abwehrstrategien der Belegschaften werden erörtert <strong>und</strong><br />

die Reaktionen des Arbeitgebers darauf. Schließlich werden<br />

die zurzeit aktuellen Besonderheiten bei Krise <strong>und</strong> Insolvenz<br />

diskutiert.<br />

Eine Anmerkung zu den angebotenen Mustern ist notwendig:<br />

Die Autoren stehen für den Stand der Rechtsprechung <strong>und</strong><br />

benutzen darüber hinaus sinnvolle Ergänzungen. Dennoch<br />

sind im Moment so viele Details noch streitig, dass die genaue<br />

Abfrage des jeweiligen Rechtsprechungsstands des BAG –<br />

auch mit diesem Buch in der Hand – unerlässlich bleibt.<br />

Dr. Hans-Georg Meier<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin<br />

Gross/Thon/Ahmad/Woitaschek<br />

BetrVG – Kommentar zum Betriebsverfassungsgesetz<br />

Verlag Luchterhand, 2. Aufl. 2008, 830 Seiten, geb<strong>und</strong>en<br />

EUR 66,00<br />

ISBN 978-3-472-07275-1<br />

Der in Zusammenarbeit von Fachanwälten <strong>und</strong> Richtern herausgegebene<br />

Kommentar ist erstmals im Jahr 2006 erschienen<br />

<strong>und</strong> präsentiert sich – nachdem er von der Praxis hervorragend<br />

angenommen worden ist – nun bereits in der zweiten<br />

Auflage.<br />

Das überarbeitete Werk ist bereits optisch gewachsen. Das<br />

Seitenformat ist größer geworden, was sich auf die Lesbarkeit<br />

03/09<br />

Rezensionen<br />

positiv auswirkt; das Schriftbild erscheint, wie von den Autoren<br />

beabsichtigt, klarer <strong>und</strong> übersichtlicher. Auch die Seitenanzahl<br />

ist erheblich angestiegen, doch bleibt der Kommentar<br />

weiterhin handlich klein <strong>und</strong> damit ein idealer Begleiter im<br />

Alltag.<br />

Neben der eigentlichen Kommentierung weist die Neuauflage<br />

nun auch etliche Zusatzmaterialien auf, die die Arbeit<br />

beträchtlich erleichtern. So wurde der Kommentar nicht nur<br />

um einen zusammenfassenden Abdruck des BetrVG ergänzt,<br />

sondern auch um einen Anhang mit aktuellen Gesetzestexten<br />

wie etwa der Wahlordnung, der Insolventordnung <strong>und</strong> des<br />

RVG. Für den anwaltlichen Nutzer besticht der Kommentar<br />

zusätzlich durch die neu eingefügte tabellarische Übersicht zu<br />

den Gegenstandswerten im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren,<br />

die, alphabetisch nach Streitgegenständen sortiert, auf<br />

einschlägige Rechtsprechung verweist.<br />

Die Kommentierung selbst ist in der Neuauflage weiter<br />

entwickelt, vertieft <strong>und</strong> durch die Aufnahme neuer<br />

Rechtsprechung <strong>und</strong> Gesetzgebung auf den Rechtsstand<br />

zum 01.08.2008 aktualisiert worden. Ein Schwerpunkt der<br />

Überarbeitung lag auf den Regelungen zu Gesamt- <strong>und</strong><br />

Konzernbetriebsräten, ein weiterer auf den Regelungen der<br />

sozialen Mitbestimmung nach § 87 BetrVG. In § 75 BetrVG<br />

haben die Antidiskriminierungsregelungen ihren Eingang<br />

gef<strong>und</strong>en, nun ergänzt um die mittlerweile in Kraft getretenen<br />

Reglungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes<br />

(AGG). Obgleich das Risikobegrenzungsgesetz bei Redaktionsschluss<br />

des Kommentars noch nicht in Kraft getreten<br />

war, sind auch dessen Auswirkungen auf die Unterrichtungs<strong>und</strong><br />

Beteiligungspflichten des Arbeitgebers gegenüber Wirtschaftsausschuss<br />

<strong>und</strong> Betriebsrat in die Kommentierung zu<br />

§§ 106 ff. BetrVG bereits eingearbeitet <strong>und</strong> entsprechend<br />

erläutert worden. Insgesamt überzeugt die Kommentierung<br />

durch ihre klare Systematik <strong>und</strong> eine praxisgerechte, an der<br />

Rechtsprechung der Arbeitsgerichte orientierte Darstellung.<br />

Sie ist, wie für einen Kurzkommentar geboten, prägnant<br />

gehalten <strong>und</strong> erfasst bei punktgenauer Konzentration auf das<br />

Wesentliche alle relevanten Fragestellungen des kollektiven<br />

Arbeitsrechts. Neu ist dabei die zusätzliche Aufnahme praktischer<br />

Arbeitshilfen. Regelmäßig eingearbeitete Praxistipps,<br />

Checklisten <strong>und</strong> nützliche Formulierungsvorschläge für prozessuale<br />

Anträge erleichtern die praktische Anwendung, das<br />

sorgfältig aufgebaute <strong>und</strong> erheblich erweiterte Inhaltsverzeichnis<br />

ermöglicht überdies eine schnelle Orientierung.<br />

Der Kommentar wird damit seinem Anspruch, dem juristischen<br />

Laien wie auch dem arbeitsrechtlich versierten Berater<br />

im betriebsverfassungsrechtlichen Alltag eine zuverlässige,<br />

f<strong>und</strong>ierte <strong>und</strong> gut handhabbare Hilfestellung zu geben, uneingeschränkt<br />

gerecht <strong>und</strong> überzeugt auch in der zweiten<br />

Auflage durch die fachlich erstklassige Kommentierung <strong>und</strong><br />

die gebotene Praxisnähe.<br />

Dr. Nathalie Oberthür<br />

Fachanwältin für Arbeitsrecht,<br />

Fachanwältin für Sozialrecht, Köln<br />

297


Stichwortverzeichnis<br />

Stichwortverzeichnis<br />

(Zahlenangaben sind lfd. Nummern der Entscheidungen)<br />

Abmahnung<br />

Beleidigung – 313<br />

Bestimmtheit – 304<br />

AGB-Kontrolle<br />

Altersteilzeitvereinbarung – 342<br />

doppelte Schriftformklausel – 255<br />

Muster-Spielervertrag DFB – 246<br />

Transparenzgebot – 342<br />

überschneidende Klausel – 256, 342<br />

unangemessene Benachteiligung – 243, 244, 246, 247<br />

AGG<br />

Altersdiskriminierung – 332, 342<br />

Herkunftsdefinition – 333<br />

Indiztatsachen – 332, 334,343<br />

Statistik – 332<br />

Altersteilzeit<br />

Bewährungsaufstieg – 282<br />

Ermessen – 284<br />

Anfechtung<br />

Änderungsvertrag – 295<br />

Arbeitgeberhaftung<br />

arbeitnehmerähnliche Person – 341<br />

Arbeitsunfall – 341<br />

Arbeitnehmerähnliche Person<br />

Arbeitgeberhaftung – 341<br />

mitwirkender Patient – 341<br />

Arbeitnehmerstatus<br />

Praktikant an der Uni – 315<br />

Arbeitsunfall<br />

Definition – 341<br />

Arbeitsvertrag<br />

sittenwidrig – 247<br />

Auflösungsantrag<br />

Abfindungshöhe – 309<br />

Arbeitgeber – 297, 309<br />

Arbeitnehmer – 295<br />

Auflösungsurteil<br />

Abfindungshöhe – 295<br />

Aufrechnung<br />

Darlegung unerlaubter Handlung – 330<br />

Ausbildungsverhältnis<br />

Übernahmepflicht – 253<br />

Auslegung<br />

des Arbeitsvertrages – 255<br />

Provisionsregelung – 255<br />

Ausschlussfrist<br />

Geltungsbereich – 330<br />

Schadensersatz – 285<br />

Außerordentliche Kündigung<br />

Alkoholmissbrauch – 292<br />

Fahrverbot – 292<br />

krankheitsbedingte – 314<br />

Maßregelungsverbot – 306<br />

unberechtigte Beschwerde – 306<br />

Befristung des Arbeitsverhältnisses<br />

Altersgrenze – 256<br />

Ausbildungsanschluss – 253<br />

Hochschulrecht – 245<br />

Vertretung – 305, 307<br />

298 03/09<br />

Berufsausbildungsverhältnis<br />

Anrechnung eines Praktikums – 301<br />

Probezeit – 301<br />

Berufung<br />

Beschwerdewert – 329<br />

Berufungswert<br />

erstinstanzliche Festsetzung – 329<br />

Beschäftigungsanspruch<br />

Arbeitsverhältnis bestehend – 293<br />

Betriebliche Altersversorgung<br />

Bergmannsrente – 289<br />

Kohledeputat – 289<br />

Betriebliche Übung<br />

Rechtsbindungswille – 295<br />

Betriebsänderung<br />

einstweilige Verfügung – 260<br />

Betriebsbedingte Kündigung<br />

anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit – 300<br />

Kurzarbeit – 303<br />

Leiharbeitnehmer – 312<br />

unternehmerische Entscheidung – 297, 309, 311, 312<br />

Vorrang der Änderungskündigung – 300<br />

Betriebsratsinterne Wahlen<br />

Abberufung – 270<br />

Betriebsratsmitglied<br />

außerordentliche Kündigung – 298<br />

Benachteilungsverbot – 268<br />

Betriebsratswahl<br />

Anfechtung, Nichtigkeit – 362, 270, 271<br />

einstweilige Verfügung – 261, 262<br />

Betriebsvereinbarung<br />

Durchführungsanspruch – 267<br />

Gleichbehandlungsgebot – 265<br />

Beweisantritt<br />

Ausforschungsbeweis – 336<br />

Beweisverwertungsverbot<br />

Telefonlautsprecher – 244<br />

Dienstkleidung<br />

Sachleistung – 330<br />

Direktionsrecht<br />

befristete Funktionszuweisung – 251<br />

billiges Ermessen – 254<br />

Konkretisierung der Tätigkeit – 254<br />

Eingruppierung<br />

Altersteilzeit – 283<br />

Befähigung/tatsächlicher Einsatz – 287<br />

befristeter höherwertiger Einsatz – 288<br />

Bewährungsaufstieg – 287<br />

Einigungsstelle<br />

offensichtliche Unzuständigkeit – 257, 259<br />

Einstweilige Verfügung<br />

Beschlussverfahren – 267<br />

Betriebsänderung – 260<br />

Betriebsratswahl – 261, 262<br />

späte Antragstellung – 340<br />

Urlaub – 331, 340<br />

Verfügungsgr<strong>und</strong> – 340<br />

Zwangsvollstreckung – 331


Feststellungsklage<br />

Feststellungsinteresse – 251, 328<br />

Gerichtliche Hinweispflicht<br />

Gerichtsstandsvereinbarung – 247<br />

Gesamtbetriebsrat<br />

Zuständigkeit – 266<br />

Gewerkschaft<br />

Tariffähigkeit – 290<br />

Gleichbehandlung<br />

Sonderzahlung – 265<br />

Insolvenzgeld<br />

Berechnung – 291<br />

Voraussetzungen – 291<br />

Jugend- <strong>und</strong> Auszubildendenvertretung<br />

Auflösung des Arbeitsverhältnisses – 258, 263, 264, 277<br />

Klageantrag<br />

Klagehäufung – 251<br />

Kostenentscheidung<br />

nach Hauptsachenerledigung – 328, 337<br />

Krankheitsbedingte Kündigung<br />

außerordentliche – 314<br />

Kündigung<br />

siehe auch unter betriebsbedingte –, krankheitsbedingte-,<br />

verhaltensbedingte-, außerordentliche <strong>und</strong> personenbedingte –<br />

Änderungskündigung – siehe dort<br />

Schwerbehinderte – siehe dort<br />

Lizenzspielervertrag<br />

Mustervertrag DFB – 246<br />

Lohnwucher – 247<br />

Mitbestimmung des Betriebsrates in personellen Angelegenheiten<br />

Beurteilungsgr<strong>und</strong>sätze – 266<br />

Eingruppierung – 269, 273<br />

Einstellung nach NV-Bühne – 269<br />

Leiharbeitnehmer – 271<br />

Mobbing<br />

Begriffsbestimmung – 333<br />

Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast – 336<br />

Voraussetzungen – 338, 339<br />

Nachweisgesetz<br />

tarifliche Ausschlussfrist – 285<br />

Nichtzulassungsbeschwerde<br />

Urteil ohne Tatbestand – 327<br />

Verletzung rechtlichen Gehörs, Darlegung – 323<br />

Parteivernehmung<br />

Voraussetzungen – 333<br />

Personalrat<br />

Dienststelleneigenschaft ARGE – 279<br />

Mitbestimmung bei Einstellung – 278<br />

Personalratsmitglied<br />

Benachteiligung – 268<br />

Personalratswahl<br />

Anfechtung – 275, 276<br />

Gruppenwahl – 275, 276<br />

Persönlichkeitsrecht<br />

Mithören am Telefon – 244<br />

Praktikum<br />

Berufsausbildungsverhältnis – 301, 315<br />

Probezeit<br />

Anrechnung eines Praktikums – 301<br />

Provisionsvereinbarung<br />

Auslegung – 255<br />

Prozesskostenhilfe<br />

Aufhebung – 316, 318, 321, 383<br />

Beschwerde – 317, 320, 321<br />

Ehegatteneinkommen – 349<br />

Prozessbevollmächtigter – 320<br />

Vergleich – 325<br />

verspätete Einreichung von Unterlagen – 316, 319<br />

Vordruckzwang – 326<br />

Rechtliches Gehör<br />

Beweisangebot übergangen – 323<br />

Rechtsanwalt<br />

Sachlichkeitsgebot – 345<br />

Rechtsmissbrauch<br />

eigenes Verhalten – 335<br />

Rechtsmittelbelehrung<br />

Wiedereinsetzung – 274<br />

Rechtsschutzversicherung<br />

vorgerichtliche Tätigkeit – 353<br />

Rechtswahl<br />

Voraussetzungen – 247<br />

Schadensersatz<br />

Kausalität – 285<br />

Schwerbehinderte<br />

Zustimmungsverfahren Integrationsamt – 310<br />

Schwerbehindertenvertretung<br />

Amtszeit – 272<br />

Sonderkündigungsschutz<br />

tariflich – 282<br />

Sozialauswahl<br />

grob fehlerhaft – 311<br />

Streik<br />

VersammlungsG – 344<br />

Streitwert<br />

Abmahnung – 347<br />

Aussetzung des Verfahrens – 350<br />

Beschlussverfahren – siehe dort<br />

Klagehäufung – 251<br />

Kündigungsschutzverfahren – siehe dort<br />

Versetzung – 354<br />

Streitwert im Beschlussverfahren<br />

Auflösung des Betriebsrates – 352<br />

einstweilige Verfügung Amtsausübung BR – 352<br />

nichtvermögensrechtliche Streitigkeit – 351<br />

personelle Einzelmaßnahme – 355<br />

Schulung Betriebsrat – 356<br />

rechtliche Schwierigkeit – 351<br />

vermögensrechtliche Streitigkeit – 351<br />

wirtschaftlicher Wert – 351<br />

Streitwerte im Kündigungsschutzverfahren<br />

Berechnung des Arbeitseinkommens – 346, 348<br />

Vergütungsanspruch neben – 346<br />

Tarifbindung<br />

Bezugnahme auf Tarifvertrag – 250, 281<br />

Dynamische Bezugnahme – 250, 281<br />

Tarifkonkurrenz<br />

Spezialiatätsprinzip – 280<br />

Mischtätigkeit – 280<br />

Tarifvertrag<br />

Bezugnahmeklausel – 291<br />

Teilzeitarbeitnehmer<br />

Änderung der zeitlichen Lage – 252<br />

Gleichbehandlungsgr<strong>und</strong>satz – 252<br />

Verteilung auf die Woche – 252<br />

Telefon<br />

Mithören – 244<br />

Treu <strong>und</strong> Glauben<br />

widersprüchliches Verhalten – 335<br />

Stichwortverzeichnis<br />

03/09<br />

299


Stichwortverzeichnis<br />

Unkündbarkeit, tarifliche<br />

gleicher Arbeitgeber – 282<br />

Unterlassungsantrag<br />

Bestimmtheit – 336<br />

Urlaubsanspruch<br />

dringende betriebliche Gründe – 331<br />

einstweilige Verfügung – 331, 340<br />

Erfüllung – 335<br />

Verdachtskündigung<br />

Anforderungen – 308<br />

Freispruch – 308<br />

nachfolgendes Verhalten – 298<br />

Umdeutung – 294<br />

Verhaltensbedingte Kündigung<br />

Alkoholgenuss – 292, 310<br />

Arbeitszeitbetrug – 295<br />

Diebstahl – 298<br />

Fahrverbot – 292<br />

300 03/09<br />

Fremdunterschlagung – 299<br />

Kontrolleinrichtungen, Missbrauch – 304<br />

Leugnen – 298<br />

Rauchverbot – 302<br />

Schlechtleistung – 296<br />

Schutzbehauptung – 298<br />

Verdacht – 298<br />

Verjährung<br />

Geltendmachung – 286<br />

Hemmung – 286<br />

Vertragsstrafe<br />

unangemessene Benachteiligung – 243, 244<br />

Wahlen<br />

Betriebsratswahlen – siehe dort<br />

Wiedereinsetzung<br />

Vortragspflicht – 317<br />

Zwangsvollstreckung<br />

Kosten der Erledigung – 337

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