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Wegweiser Demographischer Wandel 2020

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Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)<strong>Wegweiser</strong> <strong>Demographischer</strong> <strong>Wandel</strong> <strong>2020</strong>Analysen und Handlungskonzepte für Städte und Gemeinden


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Bibliografische Information der Deutschen BibliothekDie Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar. 2006 Verlag Bertelsmann Stiftung, GüterslohVerantwortlich:Kerstin SchmidtLektorat:Heike HerrbergHerstellung:Christiane RaffelKarten:Lutum + Tappert, BonnUmschlaggestaltung und Layout:Nicole Meyerholz, BielefeldUmschlagabbildung:Veit Mette, BielefeldSatz und Druck:Hans Kock Buch- und Offsetdruck GmbH, BielefeldISBN-10:3-89204-875-4ISBN-13:978-3-89204-875-6www.bertelsmann-stiftung.de/verlag


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Inhalt1. Einführung 6Kommunen und Regionen im Wettbewerb ± Perspektive und Konsequenz 6Johannes Meier, Andreas EscheStädte und Gemeinden gestalten den demographischen <strong>Wandel</strong> 8Kerstin Schmidt, Carsten Groûe Starmann2. Demographische Entwicklung der Kommunen im Jahr <strong>2020</strong> 11Ein Blick in die Zukunft: Deutschlands Kommunen im Wettbewerb um EinwohnerErgebnisse der kleinräumigen Bevölkerungsprognose <strong>2020</strong> 13E.-Jürgen Flöthmann, Uwe Tovote, Thomas SchleifneckerDie Demographietypen: Analyse und Handlungsansätze für Kommunen mit mehr als 5000 Einwohnern 24Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern 28Typ 1: Stabile Groûstädte mit geringem Familienanteil 31Typ 2: Schrumpfende Groûstädte im postindustriellen Strukturwandel 36Typ 3: Schrumpfende und alternde ostdeutsche Groûstädte 41Typ 4: Prosperierende Wirtschaftszentren 45Typ 5: Stabile Groûstädte mit hohem Familienanteil 50Typ 6: Aufstrebende ostdeutsche Groûstädte mit Wachstumspotenzialen 54Städte und Gemeinden mit 5000 bis 100 000 Einwohnern 59Typ 1: Stabile Mittelstädte und regionale Zentren mit geringem Familienanteil 62Typ 2: Suburbane Wohnorte mit hohen Wachstumserwartungen 66Typ 3: Suburbane Wohnorte mit rückläufigen Wachstumserwartungen 70Typ 4: Schrumpfende und alternde Städte und Gemeinden mit hoher Abwanderung 75Typ 5: Stabile Städte und Gemeinden im ländlichen Raum mit hohem Familienanteil 79Typ 6: Städte und Gemeinden im ländlichen Raum mit geringer Dynamik 83Typ 7: Prosperierende Städte und Gemeinden im ländlichen Raum 87Typ 8: Wirtschaftlich starke Städte und Gemeinden mit hoher Arbeitsplatzzentralität 91Typ 9: Exklusive Standorte 953. Kommunale Politikfelder aktiv gestalten 97Lokale und regionale Infrastrukturplanung 97Martina KocksChancen des Schrumpfens ± Stadtumbau als kommunale Gestaltungsaufgabe 106Thorsten Wiechmann, Stefan Siedentop3


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Wohnungsmärkte im <strong>Wandel</strong> 112Ruth Rohr-ZänkerKleine Gemeinden im ländlichen Raum 119Katrin Fahrenkrug, Michael MelzerKommunale Seniorenpolitik 126Birgit Ottensmeier, Hans Jörg RothenStandortfaktor Kinder- und Familienfreundlichkeit ± eine Aufgabe für die ganze Bürgergesellschaft 133Kerstin Schmidt, Carsten Groûe Starmann»Es bedarf eines ganzen Dorfes, um ein Kind zu erziehen.« 135Interview mit Prof. Dr. Hans Jürgen Schimke»Familien als Investoren erkennen« 137Interview mit Prof. Dr. Hans BertramBalance von Familie und Arbeitswelt 141Rocco Thiede, Anne Schamoni, Ulla KeienburgSegregierte Armut in den Städten ± Strategien sozial integrativer lokaler Politik 143Klaus Peter Strohmeier»Kommunale Verantwortung für Bildungsfragen« 148Interview mit Dr. Christof Eichert und Wilfried LohreDen Übergang zwischen Schule und Beruf kommunal gestalten 151Jens U. Prager, Clemens WielandStrategien lokaler Integrationspolitik 155Alexander Thamm, Claudia WaltherRegionale Kooperation: Eins und eins macht drei! 160Kirsten Witte, Frank Weiûenfels»Holt auf jeden Fall die Wirtschaft an Bord!« 163Interview mit Klaus WurpstVon der goldenen Ehrennadel zum Multi-Stakeholder-Management ±Bürgerengagement als strategische Ressource gestalten 166Andreas OsnerBürgerstiftungen 173Peter Walkenhorst4


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Demographie und wirtschaftliche Entwicklung 174Arno Brandt, Ulf-Birger Franz, Janin WiejaNachhaltige kommunale Finanzpolitik und demographischer <strong>Wandel</strong> 180Helmut Seitz4. Das Ganze im Blick 187Prozesse ressortübergreifend gestalten 187Carsten Groûe Starmann, Ingo Neumann, Kerstin Schmidt, Thorsten WiechmannDemographie strategisch gedacht ± fünf Schritte auf dem Weg zum Erfolg 188Carsten Groûe Starmann, Ingo Neumann, Kerstin Schmidt, Thorsten WiechmannInnovative Szenarioplanung im Landkreis Osnabrück 192Dirk Heuwinkel, Bernward LefkenAnhangMethodik 199Erläuterung der Indikatoren 200Arbeitskreis Bevölkerungsprognose 203Literatur 204Links 206Bildnachweis 2065


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>1. EinführungKommunen und Regionen im Wettbewerb ±Perspektive und KonsequenzJohannes Meier, Andreas EscheUm die Realitäten zu analysieren, ist eine Betrachtungder Bevölkerungsentwicklung im Durchschnitt aller Kommunennicht ausreichend. Infolge der Binnenwanderungwerden beispielsweise auch in den nächsten Jahrzehntendie Einwohnerzahlen gerade der Metropolregionen weiterwachsen, während Kommunen in strukturschwachen undländlichen Räumen dramatisch schrumpfen.Darüber hinaus sind vor allem die Veränderungen innerhalbder Bevölkerungsstruktur zu betrachten. So nimmtder Anteil der ¾lteren in den Kommunen zu, der Anteilder Kinder sinkt, und zugleich wachsen viele Kinder insozial schwierigen Verhältnissen auf.Zukunft neu denken ±Prioritäten setzenGemeinden, Städte, Kreise und Regionen Deutschlandswerden sich durch die demographischen Entwicklungenvon Grund auf wandeln. Die Veränderungen betreffenalle kommunalen Bereiche, die wir mit Lebensqualitätund Zukunftsfähigkeit verbinden: Schulen, Regional- undStadtplanung, Wohnungsmarkt, Wirtschaftsentwicklung,das Zusammenleben untereinander und die Entwicklungder kommunalen Finanzen.Die demographischen Fakten akzeptierenIn den letzten 15 Jahren haben die neuen Bundesländereinen Bevölkerungsschwund bislang nicht gekanntenAusmaûes erlebt: Zwei Millionen Menschen haben seitder Wende den Osten Deutschlands verlassen. Auch fürdie Zukunft wird eine Abwanderung auf hohem Niveauvorausgesagt. Mit dem Fortzug gut ausgebildeter undmobiler Personengruppen gehen Zukunftspotenziale verloren± natürliches Bevölkerungswachstum genauso wieWirtschaftswachstum.Diese vom Osten ausgehende Entwicklung erfasstaber auch strukturschwache und ländliche Regionen imWesten. Im Saarland, in Süd-Niedersachsen, im Ruhrgebiet,in Nord-Bayern und dem Norden von Schleswig-Holstein ist der demographische <strong>Wandel</strong> bereits heuteauf kommunaler Ebene stark zu spüren.Angesichts dieser Entwicklungen fordert der demographische<strong>Wandel</strong> die Kommunen heraus, ihre Zukunft neu zudenken. Denn Städte, Gemeinden und Kreise stehen vorgrundsätzlichen Herausforderungen, die sowohl die strategischePositionierung im Wettbewerb der Regionenbetrifft, ihre wirtschaftliche und städtebauliche Entwicklungals auch die Neuausrichtung der Infrastruktur.Wenn sich Kommunen im Wettbewerb untereinander,aber auch im Sinne der eigenen Zukunftsfähigkeit etablierenwollen, müssen sie mit wirtschaftlich tragfähigen,sozialen und kulturellen Differenzierungen neue Wegefinden und klare Prioritäten setzen. Letztendlich geht esdarum, die Attraktivität im Wettbewerb um Einwohnerund Betriebe zu erhöhen und die Infrastruktur anzupassen,aber auch langfristig die Lebensqualität in den Kommunenweiterzuentwickeln. Zukunftsrobuste und demographiesensibleZiele und Strategien sind notwendigeVoraussetzung für eine Gestaltungsaufgabe, die ähnlichder einer Unternehmenssanierung ist. Am schwierigstenist diese Aufgabe in Kommunen, die sich sowohl auf Alterungals auch Reduzierung der Zahl ihrer Einwohner einstellenmüssen.Die Entwicklung glaubwürdiger Perspektiven wirddamit zu einer der wichtigsten Aufgaben kommunalerPolitik. Dass dies möglich ist, zeigen viele positive Beispielevon Kommunen, die durch intelligente Wege ihreHandlungsspielräume erweitern konnten und sich aufzukünftige Entwicklungen erfolgreich vorbereiten.6


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Neu positionieren und KirchturmdenkenüberwindenDie vordringlichste Aufgabe einer strategischen Neuausrichtungist es, umfassend und rechtzeitig auf die veränderteSituation zu reagieren, denn die Folgen des demographischen<strong>Wandel</strong>s für einzelne Wohnstandorte, dieInfrastruktur, die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt sindfür die meisten Kommunen und Regionen das Thema Nr. 1der Zukunft. Dabei spielen gerade im Standortwettbewerbneben den harten Faktoren, wie Lage, Verfügbarkeit qualifizierterArbeitskräfte und Verkehrsanbindung, auch zunehmendweiche Faktoren, wie das Image des Standortes,das Bildungsangebot und die Lebensqualität, eine entscheidendeRolle.Zu einer aktiven Gestaltung des demographischen<strong>Wandel</strong>s gehört es dabei auch, intensiv mit lokalen undregionalen Akteuren zu kooperieren und das eigeneKirchturmdenken zu überwinden. Kommunale Entscheiderin Politik und Verwaltung sind aufgefordert, angemessenund zeitnah zu agieren und ihre Politik langfristigauszurichten.Demographietypen geben OrientierungAngesichts dieser Herausforderungen müssen im erstenSchritt die konkreten und absehbaren Entwicklungen vorOrt realistisch bewertet werden. Denn nur auf der Basisfundierter Analysen können Entwicklungen erkannt undnotwendige Weichenstellungen vorgenommen werden.Um diese Prozesse zu unterstützen, hat die BertelsmannStiftung den »<strong>Wegweiser</strong> <strong>Demographischer</strong> <strong>Wandel</strong>«entwickelt. Er soll Kommunen bei der Gestaltung desdemographischen <strong>Wandel</strong>s vor Ort helfen und erste Handlungsbedarfeund -optionen aufzeigen. Er richtet sich analle Kommunen mit mehr als 5000 Einwohnern ± fast3000 Städte und Gemeinden, in denen 85 Prozent derBevölkerung Deutschlands leben. Der <strong>Wegweiser</strong>· ist ein Frühwarn- und Informationssystem für kommunaleEntscheider und Bürger,· basiert auf 52 Indikatoren, die im Internet zur Verfügunggestellt werden,· unterstützt mit individuellen Demographieberichtendie Arbeit in Ausschüssen und Veranstaltungen und· beinhaltet differenzierte Handlungsempfehlungen für15 Demographietypen in ganz Deutschland.Die Demographietypen wurden mit Hilfe einer Clusteranalyseüber alle untersuchten Kommunen identifiziertund stellen den Kern des <strong>Wegweiser</strong>s dar: Sechs Typenbilden die Gruppe der Groûstädte mit mehr als 100 000Einwohnern, neun Typen alle Städte und Gemeinden zwischen5000 und 100 000 Einwohnern.Aktiv werden auf lokaler EbeneWer sich für eine aktive Gestaltung des demographischen<strong>Wandel</strong>s auf kommunaler Ebene einsetzen will, mussbedenken, dass es keine Patentrezepte gibt, die überallgleichermaûen Erfolg versprechen können. Vielmehr istes notwendig, die für unterschiedliche Demographietypenentwickelten Maûnahmenbündel den Bedingungen vorOrt entsprechend zu interpretieren und zu konkretisieren.Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisseneu interpretierenAus den Daten des <strong>Wegweiser</strong>s lassen sich die groûenregionalen und kommunalen Unterschiede in Bezug aufdie Auswirkungen des demographischen <strong>Wandel</strong>s und diedamit verbundenen Veränderungen der Bevölkerungsstrukturablesen. Diese Unterschiede werfen auch dieFrage auf, ob und ggf. in welcher Form das Leitbild vonder Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse Gültigkeit besitzt.Müssen wir dieses Leitbild neu interpretieren?Braucht es eine offene Diskussion über Mindeststandards,die beispielsweise in benachteiligten Räumen garantiertwerden müssen? Wie kann der demographische <strong>Wandel</strong>dazu veranlassen, über neue Formen des Zusammenlebensnachzudenken und Lebensqualität neu zu schaffen?Mit dem »<strong>Wegweiser</strong> <strong>Demographischer</strong> <strong>Wandel</strong>« undder vorliegenden Publikation möchten wir die Diskussionüber diese und viele andere Fragen anregen. Die detailliertenDaten und Handlungskonzepte zu Ihrer Kommunefinden Sie im Internet unter www.aktion2050.de/wegweiser.7


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>groûe Unsicherheit, wie vor Ort mit dem Thema umgegangenwerden soll. Dies betrifft vor allem inhaltlicheFragen in den zentralen Politikfeldern (»Welche Themenwerden mit welcher Priorität bearbeitet?«). Aber auchFragen der Prozessgestaltung sind von groûer Bedeutung(»Wer wird wie eingebunden?«).Besonders schwierig gestaltet sich in der kommunalenPraxis die notwendige Prioritätenbildung, denn diedefizitären kommunalen Haushalte setzen enge Grenzen.Die Gestaltung des demographischen <strong>Wandel</strong>s wird fürPolitik und Verwaltung in den Kommunen damit zu einerstrategischen Daueraufgabe. Dabei stellen sich z.B. folgendeFragen:· Wie werden wir in unseren Städten und Gemeindenmit immer weniger Kindern und immer mehr älterenMenschen leben?· Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem demographischen<strong>Wandel</strong> für die Wohnraumversorgung,den Finanzhaushalt, für Fragen des Städtebaus oderdie Planung neuer Einzelhandelsprojekte?· Welche Strategien und Konzepte müssen in zentralenkommunalen Politikfeldern wie Integration, Bildung,Kinder- und Familienfreundlichkeit oder Seniorenpolitikentwickelt und umgesetzt werden?· Welche Handlungsfelder haben für die Kommune diehöchste Priorität, und was muss ganz konkret getanwerden?· Wie können die Ideen und Potenziale der Bürgerinnenund Bürger in die Entwicklung stadtspezifischer Entwicklungskonzepteeingebracht werden?Fünf zentrale Handlungsfelder für KommunenAus Sicht der Bertelsmann Stiftung müssen in den folgendenfünf Handlungsfeldern vorausschauende und langfristigorientierte Strategien etabliert werden:1. Zukunftsorientierte SeniorenpolitikJede Kommune in Deutschland wird vom Alterungsprozessder Gesellschaft betroffen sein. Eine zukunftsorientiertekommunale Seniorenpolitik ist daher als zentralekommunale Querschnittsaufgabe anzusehen, die vonder Bau- und Verkehrsplanung bis zu Bildungs- undGesundheitsthemen reicht. Die Aktivierung der Potenzialeälterer Menschen steht dabei besonders im Fokus.2. Kinder- und familienfreundliche PolitikDas Thema Kinder- und Familienfreundlichkeit wird fürKommunen mehr und mehr zum Standortfaktor. Einekinder- und familienfreundliche Kommune bedeutet weitmehr, als die Kinderbetreuung zu verbessern. Es kommtauf ein klares Bekenntnis zur Zielgruppe an und erfordert,ein umfassendes und integriertes Angebot zu realisieren.3. Ausbalanciertes InfrastrukturmanagementDie Bevölkerungsstruktur in den Kommunen verändertsich. Eine zielgruppenorientierte Infrastrukturausstattungwird damit zum entscheidenden Faktor für ihreTragfähigkeit insgesamt, aber auch für die Attraktivitätder Kommune. Art und Umfang von neu zu schaffenden,zu erhaltenden oder anzupassenden Einrichtungenmüssen genau analysiert und auf die regionale Situationausgerichtet werden. Regionale Kooperationen sindfrühzeitig mitzudenken und zu realisieren.4. Urbanität und FlächenentwicklungAlle Kommunen haben im demographischen <strong>Wandel</strong>die zentrale Aufgabe, ihre Flächenentwicklung aktiv zusteuern. Hier gilt es, dem Grundsatz »Innenentwicklunggeht vor Auûenentwicklung« zu folgen. Konkret bedeutetdas eine Begrenzung der Siedlungsentwicklungauûerhalb der Zentren und Investitionen in Erhalt undAusbau der urbanen Zentren. So werden lebenswerteund lebendige Quartiere zu Standortfaktoren für dieStädte und Gemeinden.5. Sozialer Segregation entgegenwirken undaktive Integrationspolitik betreibenSegregation und Integration gehören insbesondere inden Groûstädten, aber auch in vielen kleineren Städtenzu den wichtigsten kommunalen Handlungsfeldern. Hiergeht es prioritär darum, eine sozial stabile und integrativeStadtteilpolitik zu etablieren und im Sinne ganzheitlicherAnsätze neu auszurichten.9


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>2. Demographische Entwicklung der Kommunen im Jahr <strong>2020</strong>Der »<strong>Wegweiser</strong> <strong>Demographischer</strong> <strong>Wandel</strong>«In ländlichen Räumen, städtischen Gebieten und europäischenMetropolregionen müssen kommunale Entscheidermaûgeschneiderte Konzepte für die Gestaltung des demographischen<strong>Wandel</strong>s entwickeln. Das erfordert eine fundierteAnalyse der Ausgangssituation in der Kommuneund eine genaue Identifizierung der Herausforderungenund wichtigsten Handlungsfelder.Für zukünftige Entwicklungsstrategien sind sowohlKenntnisse über Struktur und Entwicklung der Bevölkerungals auch über die wirtschaftliche und soziale Situationnotwendig. Diesen Entwicklungsprozess frühzeitig zu erkennenund in langfristig tragfähige Konzepte zu übertragen± unabhängig von kurzfristigen Wahlperioden ± istein wichtiger Erfolgsfaktor.Vor diesem Hintergrund hat die Bertelsmann Stiftungden »<strong>Wegweiser</strong> <strong>Demographischer</strong> <strong>Wandel</strong>« für Kommunenentwickelt. Er ist ein Frühwarn- und Informationssystemfür alle Kommunen mit mehr als 5000 Einwohnern, dasheiût 2959 Kommunen deutschlandweit. Der <strong>Wegweiser</strong>beinhaltet folgende Bausteine:Abb. 1: <strong>Wegweiser</strong> <strong>Demographischer</strong> <strong>Wandel</strong> ±Bausteine im ÜberblickGemeinden mit mehr als 5000 Einwohnern für die Jahre2003 bis <strong>2020</strong> dargestellt, differenziert nach Altersgruppen.In die Vorausberechnung flieûen die Daten allerBundesländer und der jeweils zugehörigen Kommunenein. Berücksichtigt wird die Entwicklung aus vier Basisjahren(2000±2003); diese wurden unter Status-quo-Bedingungengleichermaûen in die Zukunft projiziert. DieAnnahmen für die Bevölkerungsvorausberechnung sindfür alle Bundesländer einheitlich.Typisierung der 2959 KommunenDie Neuheit des <strong>Wegweiser</strong>s <strong>Demographischer</strong> <strong>Wandel</strong>ist die Typisierung der Städte und Gemeinden mit mehrals 5000 Einwohnern in Deutschland. Diese basiert aufacht Indikatoren. Mit der Typisierung wurde der Versuchunternommen, alle 2959 Kommunen so genannten Demographietypenzuzuordnen. Im Ergebnis wurden 15 Typenermittelt, die sich auf zwei Gruppen verteilen: Groûstädtemit mehr als 100 000 Einwohnern sowie Städte und Gemeindenzwischen 5000 und 100 000 Einwohnern.HandlungsstrategienDie Typisierung zielt darauf ab, differenzierte Handlungsstrategienfür die Gestaltung des demographischen <strong>Wandel</strong>szu entwickeln. Diese groûe Herausforderung wurdein einem interdisziplinären Team, im ständigen Dialogmit Wissenschaftlern und mit Kenntnis bereits vorliegenderTypisierungen bewältigt. Diese werden ab Seite 24vorgestellt.Der <strong>Wegweiser</strong> ist damit die bislang umfassendste flächendeckendeAnalyse für die Städte und Gemeinden in Deutschland.Die kleinräumige BevölkerungsprognoseIm folgenden Kapitel werden die Ergebnisse der kleinräumigenBevölkerungsvorausberechnung für alle Städte undEin Klick reicht aus:www.aktion2050.de/wegweiserDas Herzstück des <strong>Wegweiser</strong>s <strong>Demographischer</strong> <strong>Wandel</strong>ist der Online-<strong>Wegweiser</strong>. Dieser ist im Internet unter www.aktion2050.de/wegweiser zu finden. Hier können alle Kommunen,interessierte Bürgerinnen, Bürger und Fachleutedie Ergebnisse der Bevölkerungsvorausberechnung undder Typisierung sowie die Handlungsempfehlungen abrufen.Bei Eingabe des Ortsnamens (und bis zu fünf Vergleichskommunen)erscheinen alle relevanten Daten auf11


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Abb. 2: Startseite des Online-<strong>Wegweiser</strong>sAbb. 3: Prognosedaten im Online-<strong>Wegweiser</strong>dem Bildschirm und können in Entscheidungsvorlagen,Demographieberichte usw. eingearbeitet werden.Handlungsempfehlungenfür jeden DemographietypAlle Berechnungen, die der Clusterung zugrunde liegen,hat Bernd Behrensdorf vom ies in Hannover vorgenommen.Die Bevölkerungsprognose hat Uwe Tovote, ebenfallsies Hannover, berechnet. Wissenschaftlicher Beraterbei der Prognose war E.-Jürgen Flöthmann, UniversitätBielefeld.In der vorliegenden Publikation wie auch im Internet sindjedem Demographie- und Strukturtyp Handlungsempfehlungenzugeordnet, die im Internet ausführlich dargestelltwerden. Diese spezifischen Handlungsempfehlungen werdenergänzt durch Empfehlungen für übergreifende Politikfelder,die aus Sicht der Bertelsmann Stiftung im Zusammenhangmit dem demographischen <strong>Wandel</strong> relevantsind.Das Team des <strong>Wegweiser</strong>sDas <strong>Wegweiser</strong>-Projekt wurde unter Federführung derBertelsmann Stiftung von einem interdisziplinären Teamaus Wissenschaft und Praxis realisiert. Bei der BertelsmannStiftung wurde der <strong>Wegweiser</strong> <strong>Demographischer</strong><strong>Wandel</strong> von Jens Gebert, Carsten Groûe Starmann undKerstin Schmidt konzipiert und umgesetzt.An der Entwicklung und Interpretation der Typisierungwaren beteiligt: Katrin Fahrenkrug, Institut Raum & Energie,Wedel/Hamburg; Carsten Groûe Starmann; Anja Mareczek,GPA NRW Herne; Ingo Neumann, Leibniz-Institutfür ökologische Raumentwicklung (IöR), Dresden; ThomasSchleifnecker, Institut für Entwicklungsplanung undStrukturforschung GmbH an der Universität Hannover(ies); Kerstin Schmidt; Thorsten Wiechmann, IöR Dresden;Ruth Rohr-Zänker, ies Hannover.12


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Ein Blick in die Zukunft:Deutschlands Kommunen im Wettbewerb um EinwohnerErgebnisse der kleinräumigen Bevölkerungsprognose <strong>2020</strong>E.-Jürgen Flöthmann, Uwe Tovote, Thomas SchleifneckerSinkende Einwohnerzahlen alslangfristige PerspektiveDeutschlandweit reicht schon seit Jahrzehnten die durchschnittlicheKinderzahl für eine Bestandserhaltung nichtaus; die Bevölkerung altert, und der Strukturwandel in denklassischen Wirtschafts- und Industrieregionen dauertan. Daher wird es in den nächsten 30 Jahren ± das entsprichtdem mittleren Generationenabstand ± in vielenKommunen groûe demographische Veränderungen geben.Bereits heute nimmt der Wettbewerb zwischen den Städtenund Regionen um Einwohner deutlich zu.Um die Relevanz dieser Entwicklung deutlich zu machen,hat die Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mitdem Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung(ies) an der Universität Hannover für alle Kommunenmit mehr als 5000 Einwohnern ± und damit fürrund 85 Prozent der Menschen in Deutschland ± eine Bevölkerungsvorausberechnungauf Gemeindeebene durchgeführt.Mit dieser Prognose werden 2959 von rund12 000 Kommunen im gesamten Bundesgebiet erfasst.Schrumpfung und Wachstum liegen nah beieinanderDie kommunalen Vorausberechnungen zeigen auûerordentlichstarke regionale Unterschiede hinsichtlich Bevölkerungswachstumbzw. -schrumpfung. Die Abnahme der Einwohnerzahlen,die schon seit Jahren in den neuen BundesländernRealität ist, gewinnt an Dynamik und greiftzunehmend auf Regionen in den westdeutschen Bundesländernüber. Die räumlichen Muster zeigen eindrucksvoll,dass unter Deutschlands Kommunen Schrumpfungund Wachstum teils nah beieinander liegen ± und dieseGegensätze nehmen zu:· Obwohl die Kommunen der neuen Bundesländer besondersstark von der Schrumpfung betroffen sind,gibt es auch hier Gebiete mit zunehmenden Einwohnerzahlen,vor allem im Umland gröûerer Städte, insbesonderevon Berlin.· In den alten Bundesländern weisen einzelne Regionenebenfalls stark sinkende Einwohnerzahlen auf, etwadas Ruhrgebiet, Süd-Niedersachsen und das Saarland.Unmittelbar angrenzend finden sich teilweise Wachstumsgebiete,wie zum Beispiel das Münsterland indirekter Nachbarschaft zum Ruhrgebiet.· Vor allem die wirtschaftlich prosperierenden RegionenBaden-Württembergs und Bayerns bilden aktuell die demographischenWachstumsregionen. Dort gibt es nochzahlreiche Gemeinden, deren Wachstum auf Geburtenüberschüssenund/oder Wanderungsgewinnen beruht.· Während der nächsten Jahre ist im Umfeld vieler groûerStädte und Ballungsgebiete noch mit einer wachsendenBevölkerung zu rechnen. Während in diesenRegionen die Zunahme meist auf Wanderungsgewinnenbasiert, gibt es einzelne Gebiete, deren Bevölkerungaufgrund von Geburtenüberschüssen wächst.· Vor allem zahlreiche ländliche Räume werden innerhalbder nächsten 30 Jahre stark vom demographischen<strong>Wandel</strong> betroffen sein (z.B. Nord-Hessen, Nord-Thüringen). Diese Städte und Regionen werden alsLebens- und Arbeitsorte sehr an Bedeutung verlieren.Die Nähe zu den wirtschaftlich starken Zentren undattraktive Umfeldbedingungen entscheiden über positiveund negative Perspektiven.<strong>Demographischer</strong> <strong>Wandel</strong> gewinnt an FahrtDie Vorausberechnungen zeigen deutlich, dass auch unteroptimistischen Annahmen die WanderungsgewinneDeutschlands insgesamt nur noch kurze Zeit ausreichenwerden, um die Geburtendefizite zu kompensieren. Schonfür die nächsten Jahre wird erwartet, dass die Sterbeüberschüsse(Lebendgeborene abzüglich Sterbefälle) die Wan-13


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>dergewinne übersteigen und die Bevölkerungszahl langsamzunehmend schrumpft.Die steigenden Geburtendefizite werden den Rückgangder Einwohnerzahl beschleunigen. Dieser wird bis zumJahr <strong>2020</strong> mit etwa einer Million prognostiziert. Das entsprichteiner Abnahme gegenüber 2003 um rund 1,4 Prozent.Der Bevölkerungsbestand wird dann ein Niveau wieMitte der 90er Jahre erreichen.Die demographische Zukunft der BundesländerDer demographische <strong>Wandel</strong> ist zunehmend von regionalenUnterschieden gekennzeichnet: Während etwa Hamburgbis <strong>2020</strong> noch mit Einwohnerzuwächsen von knappdrei Prozent rechnen kann, werden für Sachsen-Anhalt12 Prozent Verluste erwartet.Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden im Jahr <strong>2020</strong>zwölf der 16 Bundesländer dünner besiedelt sein als 2003.Von dieser Entwicklung sind die ostdeutschen Länder, Bremenund das Saarland voraussichtlich am stärksten betroffen.Das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen wird bis <strong>2020</strong> einen Rückgang von 1,9 Prozentverzeichnen, das entspricht rund 330 000 Einwohnern.Bevölkerungszuwächse werden sich groûräumig aufBayern und Baden-Württemberg sowie auf Hamburg undAbb. 1: Bevölkerungsentwicklung 2003 bis <strong>2020</strong>in den Bundesländern (in Prozent)Schleswig-Holstein beschränken. Allerdings schwächt sichauch dort das Wachstum ab, und es tritt langfristig einBevölkerungsrückgang ein. Nach den Berechnungen werdenab 2018 alle Bundesländer abnehmende EinwohnerzahlenverzeichnenDer regional unterschiedliche, zeitversetzte Beginndes Bevölkerungsrückgangs ist in erster Linie auf Wanderungsbewegungenzurückzuführen: Die zunehmendenGeburtendefizite einzelner Regionen werden bislang undteilweise auch weiterhin durch Wanderungsgewinnekompensiert, während sie in anderen Regionen durchWanderungsverluste zusätzlich verschärft werden. GroûräumigeWanderungsbewegungen (zwischen den Bundesländern)sind vor allem arbeitsmarktbedingt, die Ursachenkleinräumiger Wanderungen liegen vielfach in derWohnungsmarkt- und Standortattraktivität.Die besondere Entwicklung im Land BrandenburgNach der Wiedervereinigung erlangte das Gebiet um Berlinseine ursprüngliche Umlandfunktion zurück. Der Ausbauder Infrastruktur, vor allem die Anbindung durchden öffentlichen Nahverkehr an die Hauptstadt mit einemeinheitlichen Tarifsystem sowie ein breites Angebot anBaugebieten führten zu einer auûergewöhnlich starkenSuburbanisierung.Obwohl davon nur die unmittelbar an Berlin grenzendenGemeinden betroffen waren, spiegelte sich dieserProzess in der demographischen Entwicklung des LandesBrandenburg insgesamt wider. Der Effekt war so ausgeprägt,dass die Wanderungsverluste, vor allem jüngererMenschen, in den übrigen Städten und Regionen Brandenburgsmehr als ausgeglichen wurden. Das Land gehörtevorübergehend zu den Bundesländern mit dem höchstenBevölkerungswachstum.Würde sich diese Entwicklung fortsetzen, könnte dasLand auch während der nächsten Jahre noch Zuwächseaufweisen. Doch in jüngster Zeit zeichnet sich eine Konsolidierungab. In diesem Fall werden die zunehmendenGeburtendefizite in Brandenburg nicht mehr durch Wanderungsgewinnekompensiert werden können, sodass bis<strong>2020</strong> das Wachstum der Bevölkerung in eine Abnahmeübergehen könnte, woraus insgesamt ein leichter Bevölkerungsverlustvon etwa einem Prozent resultiert.14


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Abb. 2: Bevölkerungsentwicklung 2003 bis <strong>2020</strong> in den Landkreisen und kreisfreien Städten(in Prozent)unter ±12±12 bis unter ±7±7 bis unter ±2±2 bis unter 22 bis unter 77 bis unter 1212 und mehr15


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Die Bevölkerungsentwicklungin den Kreisen und kreisfreien StädtenAls Folge der regional sehr unterschiedlichen Entwicklungenwerden im Jahr <strong>2020</strong> wahrscheinlich in rund 60 Prozentaller Kreise und kreisfreien Städte Deutschlandsweniger Menschen leben als im Jahr 2003. Auf dieserräumlichen Bezugsebene liegt die Spannweite zwischen15 Prozent Zunahme und 40 Prozent Abnahme. Die Veränderungender weitaus meisten Kreise und kreisfreienStädte (rund 90 Prozent) liegen zwischen +7 und ±15 Prozent.Abbildung 2 zeigt, dass die gröûten Bevölkerungsverlusteüberwiegend in Regionen der neuen Bundesländerzu erwarten sind. Allerdings werden bis <strong>2020</strong> auch zunehmendKreise und kreisfreie Städte West-Deutschlandsvon dieser Entwicklung erfasst: vor allem entlang der frühereninnerdeutschen Grenze (Zonenrandgebiet) in Niedersachsen,Hessen und Bayern, aber auch altindustrialisierteRegionen im Ruhrgebiet und im Saarland.Die Regionen, die bis <strong>2020</strong> noch Zuwächse verzeichnenkönnen, konzentrieren sich auf die ökonomisch starkenBallungsräume München, Stuttgart, Rhein-Main, Köln/Bonn und Hamburg sowie auf die nordwestlichen Kreiseim Münster- und Emsland, die aufgrund ihrer vergleichsweisehohen Geburtenraten noch Geburtenüberschüsseund damit ein inneres, von der Migration unabhängigesWachstum aufweisen.Vielfältige Entwicklungsverläufein den Gemeinden mit über 5000 EinwohnernAuf kommunaler Ebene sind die Entwicklungsunterschiedeerwartungsgemäû noch deutlicher ausgeprägt als auf Länder-oder Landkreisebene. Die Veränderungen in den Gemeindenmit mehr als 5000 Einwohnern liegen im Zeitraumvon 2003 bis <strong>2020</strong> (in 90 Prozent der Fälle) zwischeneiner Zunahme der Bevölkerungszahl um 12 Prozent undeiner Abnahme um 15 Prozent. Werden auch die Gemeindenmit extremen Entwicklungen einbezogen, erweiternsich die Zuwächse und Verluste auf rund 50 Prozent.Die Polarisierung zwischen schrumpfenden und wachsendenGemeinden in Deutschland wird weiter zunehmen.Für rund ein Drittel werden deutliche Verluste erwartet,ein Drittel kann noch mit klaren Gewinnen rechnen, währenddas restliche Drittel quasi stagniert. Die räumlicheVerteilung zeigt, dass sich diese Entwicklungen jeweilsregional konzentrieren.Differenzierte Betrachtungenzeigen die WirklichkeitDie Vorausberechnung auf kommunaler Ebene stellt diebereits auf Kreisebene erkennbaren Muster noch prägnanterheraus. Die demographischen Unterschiede zwischenden Gemeinden sind besonders durch die Strukturender regionalen Arbeitsmärkte und Bildungsangebotebestimmt. Diese tragen wesentlich zu einer Umverteilungder Bevölkerung durch Binnenwanderungen bei.Auf Gemeindeebene weichen die Entwicklungen teilweisedeutlich von den Durchschnittswerten auf LandesoderKreisebene ab. Oft liegen Gemeinden mit starkemWachstum unmittelbar neben stark schrumpfendenGemeinden. Hier spielen Wohn- und Lebensbedingungensowie andere kommunale Attraktivitätsfaktoren eine entscheidendeRolle.Diese Diskrepanzen werden nach den vorliegendenSchätzungen noch zunehmen, weil sowohl die demographischenParameter, wie Wachstum und Alterung, als auchdie relevanten sozioökonomischen Rahmenbedingungen,wie regionale Wirtschaftskraft, Wohn- und Lebensbedingungen,zunehmend divergieren. Um diese Herausforderungenzu bewältigen, sind differenzierte Handlungskonzepteerforderlich.Alterung der Bevölkerung bis <strong>2020</strong>Neben dem absehbaren Rückgang der Bevölkerungszahlenbilden die altersstrukturellen Veränderungen (»demographischeAlterung«) ein wichtiges Merkmal demographischen<strong>Wandel</strong>s. Steigende Lebenserwartung und sinkendeKinderzahlen führen bereits seit Jahrzehnten zueiner Alterung der Gesellschaft.Dies wird sich auch zukünftig fortsetzen. Insbesonderedie Zahl der Kinder wird in den kommenden Jahrenweiter stark abnehmen, denn die geburtenstarken Jahrgängeder 60er und 70er Jahre wachsen aus der reproduktivenPhase heraus, wodurch sich die Zahl potenziellerMütter deutlich verringert. Gleichzeitig wird sich die16


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Abb. 4: Bevölkerungsanteile nach Altersgruppen inausgewählten Jahren bis <strong>2020</strong>Abb. 5: Veränderungen in den Altersgruppenzwischen 2003 und <strong>2020</strong>Zahl älterer Menschen stark erhöhen, da weiterhin miteiner steigenden Lebenserwartung gerechnet werdenkann. Als Folge nimmt die Zahl jüngerer Menschen immerweiter ab und die der ¾lteren immer mehr zu (vgl. Abb. 4).Während die Bevölkerung unter 50 Jahren im Jahr2003 noch einen Anteil an der Gesamtbevölkerung von63 Prozent aufwies, wird sich dieser bis <strong>2020</strong> auf fast 50Prozent reduzieren.Die Anteile aller älteren Bevölkerungsgruppen werdensteigen. Die 65-jährige und ältere Bevölkerung wirdvon rund 15 Millionen im Jahr 2003 auf schätzungsweise19 Millionen Einwohner bis <strong>2020</strong> ansteigen.Die stärksten Veränderungen betreffen die heutegröûte Gruppe der 30- bis 49-Jährigen. Wenn diese Menschenin die nächsthöhere Altersgruppe der 50- bis64-Jährigen aufrücken, bedeutet das für die Gruppe 30bis 49 eine Abnahme um etwa fünf Millionen. Hierbeihandelt es sich um die wichtige Gruppe der Familienbzw.Haushaltgründenden und der am Arbeitsmarktnachrückenden Jahrgänge.Die prozentual stärksten Zuwächse werden die Hochbetagtenaufweisen, d.h. die über 80-jährige Bevölkerung.Ihre Zahl wird sich zwischen 2003 und <strong>2020</strong> um 80 Prozent,ihr Bevölkerungsanteil von rund vier auf knappacht Prozent erhöhen.Die demographische Alterung Deutschlandsauf kommunaler EbeneUnterschiedliches TempoDie Alterung der Bevölkerung ist ein weltweites Phänomen.Deutschland weist neben Japan und Italien die stärkstedemographische Alterung auf. Regional und vor allem aufkommunaler Ebene führen Unterschiede bei der durchschnittlichenKinderzahl, der Lebenserwartung und der ZuundFortzügezugroûenDiskrepanzen.Diesewerdennichtnur in hohen und niedrigen Alterungskennziffern, sondernvor allem in der Geschwindigkeit des Prozesses deutlich.Viele regionale und kommunale Besonderheiten könnendiese Unterschiede nachhaltig beeinflussen.Das Durchschnittsalter in den betrachteten Gemeindenlag 2003 zwischen 35 und 50 Jahren, im Jahr <strong>2020</strong>18


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Abb. 6: Altersdurchschnitt in Städten und Gemeinden mit mehr als 5000 Einwohnern im Jahr <strong>2020</strong>(in Jahren)FlensburgKielStralsundNeumünsterLübeckRostockGreifswaldBremerhavenHamburgSchwerinNeubrandenburgOldenburgBremenLüneburgNeuruppinEberswaldeEssenKrefeldAachenKölnTrierDüsseldorfBonnKoblenzSaarbrückenMünsterDortmundMainzKaiserslauternOsnabrückSiegenOffenburgFreiburgBielefeldFrankfurtDarmstadtPaderbornMarburgGießenMannheimKarlsruhePforzheimVillingen-SchwenningenHannoverKasselCelleHildesheimFuldaAschaffenburgHeilbronnStuttgartReutlingenUlmRavensburgKonstanzBraunschweigGöttingenSchweinfurtNordhausenEisenachWürzburgMemmingenKemptenSuhlAnsbachCoburgBambergMagdeburgHalberstadtErfurtStendalErlangenNürnbergIngolstadtAugsburgJenaHalleGeraHofBayreuthBrandenburgDessauWeidenAmbergPlauenRegensburgMünchenLeipzigLandshutRosenheimPotsdamZwickauStraubingBerlinChemnitzCottbusPassauFrankfurtDresdenHoyerswerdaBautzenjünger als 4545 bis 4646 bis 4747 bis 48älter als 48Görlitz19


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>wird es wahrscheinlich zwischen 40 und 56 Jahren liegen.Während die Bevölkerungen einzelner Gemeindenlangsam altern, deren Durchschnittsalter bis <strong>2020</strong> lediglichum zwei Jahre steigt, weisen andere einen auûerordentlichschnellen Anstieg um 12 Jahre auf.Entscheidender Einflussfaktor: WanderungenAuf kommunaler Ebene beeinflussen Wanderungen oft denGrad der Alterung: Zahlreiche Universitätsstädte habenvergleichsweise junge Bevölkerungen, in Kurorten odereinzelnen landschaftlich reizvollen Gemeinden dominiertin der Regel die alte Bevölkerung. Diese Beispiele beruhenauf einer so genannten »aktiven Alterung«: Die Zuwanderungenjunger Bevölkerungsgruppen führen zu einerVerjüngung, die Zuwanderungen älterer Menschen zueiner Alterung der Bevölkerung.Umgekehrt können Wanderungen zu einer so genannten»passiven Alterung« führen, wenn etwa junge Menschenaus einer Gemeinde fortziehen und die ¾lterendableiben, d.h. die Bevölkerung dort auch ohne Zuzügeälterer Menschen altert.Im Jahr <strong>2020</strong> werden neben den neuen Bundesländernvor allem die südlichen und östlichen Landesteile Niedersachsens,Teile Nord-Hessens und Nord-Bayerns sowiedas Saarland eine überdurchschnittlich hohe Alterungaufweisen. Hier handelt es sich überwiegend um strukturschwacheRegionen, die Wanderungsverluste junger Menschenverzeichnen. Einzelne, teilweise peripher gelegeneGemeinden mit überdurchschnittlicher Alterung sind häufigtouristisch geprägt oder durch andere Merkmale, dievor allem für ältere Menschen attraktiv sind.In den prosperierenden Regionen Bayerns und Baden-Württembergs sowie im Westen Niedersachsens und imnördlichen Nordrhein-Westfalen überwiegen (noch) relativjunge Bevölkerungen. In den erstgenannten Gebietenmit hoher Wirtschaftskraft resultiert der niedrige Altersdurchschnittvor allem aus der Zuwanderung junger Menschen.Arbeitsmarktstrukturen und Bildungsangebote sinddie wichtigsten Pullfaktoren der Wanderungen. Zunehmendziehen Menschen im Rahmen dieser Migrationnicht in die Kernstädte, sondern direkt in die Umlandgemeinden,woraus relativ viele Familiengründungenund ein niedriges Durchschnittsalter resultieren.In den ländlich strukturierten Regionen West-Niedersachsensund den angrenzenden Gebieten im nördlichenNordrhein-Westfalen führen seit längerem die vergleichsweisehohen Geburtenraten zu Geburtenüberschüssenund zu einer verhältnismäûig jungen Bevölkerungsstruktur.Insgesamt werden nach den Prognosen die Unterschiedezwischen Regionen mit geringer Alterung unddenen mit starker Alterung bis <strong>2020</strong> noch zunehmen. Dieräumliche Verteilung der jüngeren und älteren Bevölkerungsgruppenwird sich in den Städten und RegionenDeutschlands während der nächsten Jahre also noch wesentlichverschieben.Der Anteil der Kinder und Jugendlichen bis 17 Jahrewird <strong>2020</strong> in Extremfällen bei unter zehn Prozent und inanderen deutlich über 20 Prozent liegen. Auch der Bevölkerungsanteilder Hochbetagten über 80 Jahre weist einehohe Spanne auf: Die Extremwerte liegen hier zwischenvier und 17 Prozent.Unterschiede verstärken sich ±der Durchschnitt ist nirgendwoResümeeDie Ergebnisse verweisen auf groûe Unterschiede, die inder Altersstruktur bis <strong>2020</strong> erwartet werden. Sie resultierenaus bereits heute abweichenden Strukturen unddemographischen Veränderungen mit sehr unterschiedlicherDynamik. So wird der erwartete Zuwachs bei denHochbetagten in den betrachteten Gemeinden über 5000Einwohner zwischen ±2 und +300 Prozent liegen. Beiden Kindern und Jugendlichen reicht die Spanne von Rückgängenüber 60 Prozent bis zu Zuwächsen von 40 Prozent.Um die Herausforderungen des demographischen <strong>Wandel</strong>sanzunehmen und aktiv gestalten zu können, benötigenStädte und Gemeinden Informationen über ihre spezifischeSituation und Perspektive. Der »<strong>Wegweiser</strong><strong>Demographischer</strong> <strong>Wandel</strong>« stellt dafür eine Vielzahl anInformationen bereit, die eine erste Orientierung ermöglichen.Konzepte und Handlungsstrategien müssen aberimmer auf die örtliche Situation zugeschnitten werden.20


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Das PrognosemodellBevölkerungsprognosen treffen Aussagen darüber, welcheSituation eintreten wird, wenn sich die Entwicklungder vergangenen Jahre fortsetzt. Sie schreiben den Statusquo bis zum Zieljahr unter der Annahme fort, dass sichdie Rahmenbedingungen nicht verändern. Ist das Eintretender prognostizierten Situation nicht erwünscht, mussgehandelt werden. Fehlen geeignete Steuerungsmaûnahmenoder Einflussmöglichkeiten oder können sie nurbegrenzt wirksam werden, ist es ebenfalls erforderlich zuhandeln: Man muss sich rechtzeitig auf die absehbarenVeränderungen einstellen und Vorsorge treffen.Die Bevölkerungsprognose dieses <strong>Wegweiser</strong>s wurdemit einem so genannten Komponentenmodell berechnet.Es baut auf dem Zusammenhang auf, wonach sich dieEndbevölkerung aus der Anfangsbevölkerung unter Berücksichtigungvon Sterbefällen, Geburten sowie Zu- undAbwanderungen ergibt:· Dazu wird jede dieser Komponenten für jedes Jahr getrenntprognostiziert, bevor sie in die Vorausschätzungder Bevölkerung zum nächsten Zeitabschnitt eingehen(Komponentenmethode).· Der Berechnung der natürlichen Bevölkerungsentwicklungliegen alters- und regionsspezifische Geburtenziffernsowie alters- und geschlechtsspezifische Sterbewahrscheinlichkeitenzugrunde.· Zu- und Abwanderungen werden für jede regionaleEinheit getrennt berechnet und gehen als spezifischeWanderungsraten ein (siehe Abbildung 9).· Das Modell arbeitet hierarchisch und ermittelt zunächstdie Ergebnisse für den Bund und dann schrittweisefür die nachgeordneten Ebenen Länder, Kreiseund Kommunen. So ist sichergestellt, dass sich dieGemeindeergebnisse in die übergeordneten Entwicklungeneinordnen.Jede räumliche Einheit kann also mit spezifischen Parameternberechnet werden. Diese Stärke des Modells birgtaber auch Unsicherheiten, und diese steigen mit zunehmenderKleinräumigkeit der Prognose bzw. sinkenderGröûe der Prognoseeinheiten. Denn bei kleinen Einheitenwie der Gemeindeebene kommen Sonderentwicklungen(z.B. hohe Zuwanderung infolge neuer Baugebiete, Abwanderungdurch Schlieûung gröûerer Betriebe) sehr vielstärker zum Tragen als auf aggregierten Ebenen. Je gröûeralso die Prognoseeinheit, desto stärker werden Sonderereignissenivelliert und desto »sicherer« sind die Ergebnisse.Die Geburten und Wanderungen wurden über vierBasisjahre (2000±2003) gemittelt, um Sonderentwicklungenzu nivellieren. Die Entscheidung, nur Gemeinden mitmehr als 5000 Einwohnern in die Prognose einzubeziehen,ist Ergebnis einer Abwägung: So sollten die Ergebnisse aufder einen Seite methodisch belastbar sein, während aufder anderen Seite eine möglichst flächendeckende Prognoseangestrebt wurde. Als Resultat liegen damit immerhinfür knapp 3000 Gemeinden, in denen rund 85 Prozentder Bevölkerung Deutschlands leben, erstmals abgestimmteund belastbare Prognoseergebnisse vor.Abb. 8: Grundlegende Ausgangsparameter undAnnahmenKomponenten undAusgangsbedingungFertilitätMortalitätAuûenwanderungBevölkerungsbewegungenBevölkerungsstandund AusgangsjahrGebietsstandAllgemeine Annahmen/Stand· West-Deutschland: konstante Fruchtbarkeitsraten(regionalisiert)· Ost-Deutschland: Anpassung der Fruchtbarkeitauf das westdeutsche Niveau bis2010, danach konstant (regionalisiert)· kontinuierliche Steigerung der Lebenserwartungwie in der mittleren Variante der10. koordinierten Bevölkerungsprognose 1· gleiche Lebenserwartung der Frauen inOst- und West-Deutschland· Angleichung der Lebenserwartung derMänner in Ost-Deutschland auf das Niveauder Männer in West-Deutschland bis 2010· durchschnittlicher jährlicher Auûenwanderungssaldovon 150 000 Personenpro Jahr für Deutschland· Fortschreibung auf Grundlage der Geburtenund Wanderungen (Zu- und Fortzüge)im Mittel der Jahre 2000 bis 2003· 31.12.2003, Bevölkerung am Ortder Hauptwohnung nach Angaben derstatistischen Landesämter· 31.12.2003 sowie bekannte Gebietsstandsänderungenaus dem Jahr 2004Ausgangsbasis der Prognoserechnungen ist die »Bevölkerungam Ort der Hauptwohnung« (Erstwohnsitze) am31.12.2003. Basisjahre für die Fortschreibung der Gebur-1 Männer: von 75,8 Jahren 2004 auf 78,1 Jahre <strong>2020</strong>; Frauen: von81,6 Jahren 2004 auf 83,8 Jahre <strong>2020</strong>.22


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Abb. 9: Das PrognosemodellBevölkerung im AusgangsjahrAlterung um 1 Jahr±Fortzügealtersjahr-/geschlechtsspezifischeFortzugsratenFrauen 15 bis 50 JahreÜberlebende±abzüglich Todesfällenach altersjahr-/geschlechtsspezifischerSterbewahrscheinlichkeitPrognostizierte Bevölkerung++ZuzügeSonstige Zu-/Abwanderungaltersjahr-/geschlechtsspezifischeZuzugsratenBerücksichtigungsonstiger EinflüsseGeburtenaltersjahr-/geschlechtsspezifischeGeburtsratenten und Wanderungen sind die gemittelten Werte derJahre 2000 bis 2003.Bevölkerungsprognosen erfordern neben einem geeignetenRechenmodell auch eine Reihe von Annahmen zurkünftigen Entwicklung. Sie werden normativ auf Grundlageplausibler Überlegungen und Einschätzungen vorgenommenund sind in gewisser Weise die Stellhebeleiner Prognose. Dieser sensible Arbeitsschritt wurde fürdie vorliegende Prognose offensiv angegangen. Alle wichtigenArbeitsschritte wurden in mehreren Runden anerkannterPrognoseexperten diskutiert und abgestimmt.Besonders wichtig waren Überlegungen zur künftigenZuwanderung nach Deutschland. Die jährlichen Zuwanderungsüberschüsseschwanken hierzulande seit den 1990erJahren zwischen 780 000 und 140 000 Personen. Prognosender letzten Jahre (beispielsweise die 10. koordinierteBevölkerungsvorausberechnung des StatistischenBundesamtes) gehen von einem jährlichen Wanderungsüberschusszwischen 100 000 und 300 000 Personen ±meist aber der mittleren Variante von 200 000 Personen ±aus.Allerdings bestehen aktuell Zweifel, ob diese Zahlenkünftig erreicht werden. Im Jahr 2003 fielen sie bereitsunter 150 000, und 2004 sank der Auûenwanderungsüberschussauf nur noch 83 000 Personen. Weitere Hinweise,wie stark rückläufige Asylbewerber- und Spätaussiedlerzahlensowie geringe Zuzugserwartungen durchdie EU-Ost-Erweiterung, führten dazu, mit einer eherzurückhaltenden Annahme des Wanderungssaldos vondurchschnittlich 150 000 Personen zu arbeiten.Die vorliegende, kleinräumige Bevölkerungsprognosebasiert auf den Berechnungen vom Uwe Tovote vom Institutfür Entwicklungsplanung und Strukturforschung (ies)an der Universität Hannover. Sie wurde wissenschaftlichbegleitet von E.-Jürgen Flöthmann, Universität Bielefeldund Universität Rostock.23


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Die Demographietypen: Analyse und Handlungsansätzefür Kommunen mit mehr als 5000 EinwohnernFür die Gestaltung des demographischen <strong>Wandel</strong>s gibt eskeine Patentrezepte. Die Unterschiede in der Ausgangslageder Städte, Gemeinden und Kreise erfordern lokalhöchst differenzierte Handlungsstrategien.Vor diesem Hintergrund hat die Bertelsmann Stiftungin Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten ausWissenschaft und Praxis eine Typisierung von Kommunenvorgenommen. Diese berücksichtigt· alle Städte in Deutschland mit mehr als 5000 Einwohnern,· insgesamt 2959 Städte und Gemeinden,· rund 85 Prozent der Bevölkerung Deutschlands,und basiert auf acht demographischen, sozioökonomischenund wirtschaftlichen Indikatoren.Insgesamt wurden 15 Demographietypen ermittelt, diesich auf zwei Gruppen aufteilen.Aufgrund der Komplexität des demographischen <strong>Wandel</strong>sist eine differenzierte Betrachtung notwendig. Dabeiist ein Kompromiss erforderlich zwischen einer unübersichtlichen,aber präziseren Einzelfallbetrachtung undeiner zu aggregierten und damit unübersichtlicheren, aberteilweise pauschalisierenden Betrachtungsweise.Genau dies kann mit Hilfe der Typisierung auf Basiseiner Clusteranalyse erreicht werden. Die Städte undGemeinden werden somit zu relativ homogenen Gruppenzusammengefasst, die durch gemeinsame Merkmale charakterisiertsind.Groûstädte mit mehr als 100 000 Einwohnern Anzahl ProzentTyp 1 Stabile Groûstädte mit geringem Familienanteil 21 25,6Typ 2 Schrumpfende Groûstädte im postindustriellen Strukturwandel 19 23,2Typ 3 Schrumpfende und alternde ostdeutsche Groûstädte 5 6,1Typ 4 Prosperierende Wirtschaftszentren 19 23,2Typ 5 Stabile Groûstädte mit hohem Familienanteil 11 13,4Typ 6 Aufstrebende ostdeutsche Groûstädte mit Wachstumspotenzialen 7 8,5gesamt 82 100,024


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Städte und Gemeinden mit 5000 bis 100 000 Einwohnern Anzahl ProzentTyp 1 Stabile Mittelstädte und regionale Zentren mit geringem Familienanteil 514 17,9Typ 2 Suburbane Wohnorte mit hohen Wachstumserwartungen 90 3,1Typ 3 Suburbane Wohnorte mit rückläufigen Wachstumserwartungen 361 12,5Typ 4 Schrumpfende und alternde Städte und Gemeinden mit hoher Abwanderung 352 12,2Typ 5 Stabile Städte und Gemeinden im ländlichen Raum mit hohem Familienanteil 740 25,7Typ 6 Städte und Gemeinden im ländlichen Raum mit geringer Dynamik 579 20,1Typ 7 Prosperierende Städte und Gemeinden im ländlichen Raum 165 5,7Typ 8 Wirtschaftlich starke Städte und Gemeinden mit hoher Arbeitsplatzzentralität 71 2,5Typ 9 Exklusive Standorte 5 0,2gesamt 2877 100,0Zielsetzung der TypisierungDer <strong>Wegweiser</strong> <strong>Demographischer</strong> <strong>Wandel</strong> möchte denKommunen möglichst passgenaue Impulse und Anregungenfür die aktive Gestaltung des demographischen <strong>Wandel</strong>sgeben. Dennoch gibt es keine Handlungsempfehlungen,die für alle Städte und Gemeinden gleichermaûengültig sind; sie würden die sehr unterschiedlichen lokalenAusgangsbedingungen, Entwicklungsperspektiven,Handlungsressourcen und Gestaltungsspielräume nichtberücksichtigen.Die Orientierung auf die Erarbeitung von Handlungsempfehlungenmachte es erforderlich, Groûstädte als eigeneGruppe zu erfassen. Mit ihrer Komplexität und Vielfalt anFunktionen und Nutzungen, dem Aufgabenspektrum vonPolitik und Verwaltung sowie ihren institutionellen undpersonellen Ressourcen sind sie im Vergleich zu kleinerenStädten und Gemeinden eine »eigene Welt«, die folgerichtigeigene Handlungsempfehlungen erfordert. Daherwurden Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern (82)und Städte und Gemeinden mit weniger als 100 000 Einwohnern(2877) jeweils gesondert gruppiert.Für jeden der insgesamt 15 ermittelten kommunalenTypen wurden spezifische Herausforderungen formuliertund differenzierte Handlungsempfehlungen entwickelt.Sie liefern den Kommunen Orientierungen angesichts derUnsicherheit über die Ausprägung der demographischenVeränderungen, der Handlungsspielräume und Entwicklungschancen.Sie beschreiben Möglichkeitsräume, benennenHandlungsprioritäten und liefern Anregungen für einzielgerichtetes politisches und planerisches Handeln.Aber auch diese gruppenspezifischen Handlungsempfehlungenkönnen die besonderen Bedingungen einer Kommunenicht vollständig erfassen, und sie können nicht unmittelbarin Maûnahmen umgesetzt werden. Dafür ist dieBetrachtung des konkreten Einzelfalls, der spezifischenRahmenbedingungen und endogenen Potenziale erforderlich.Die Handlungsempfehlungen müssen also vor Ort25


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>bewertet und diskutiert werden, und sie müssen im Kontextder politischen Ziele und Strategien der Kommunenbetrachtet werden. Erst auf dieser Grundlage könnenPrioritäten gesetzt und Handlungskonzepte konkretisiertwerden.Methodik der TypisierungDie Typisierung der Städte und Gemeinden erfolgte anhandeiner Clusteranalyse: eines Klassifikationsverfahrens,das die untersuchten Raumeinheiten zu möglichst homogenenGruppen zusammenfasst. Ihre besondere Leistungsfähigkeitbesteht darin, eine gröûere Zahl von Merkmalenberücksichtigen zu können.Um den unterschiedlichen Entwicklungspotenzialender Städte und Gemeinden gerecht zu werden, muss dieKlassifikation neben ihrem demographischen Profil auchihre sozialen und wirtschaftlichen Probleme und Perspektivenwiderspiegeln.Demographische Entwicklungen wurden daher um IndikatorenausdenBereichenSoziales,ArbeitundWirtschaftergänzt, die für die kommunale Entwicklungsfähigkeitbesondere Aussagekraft haben. Damit wird zudem vermieden,dass Bevölkerungswachstum und relativ geringeAnteile alter Menschen an der Gesamtbevölkerung per sewichtigster Gradmesser für eine positive Perspektive sindbzw. eine schrumpfende Bevölkerungszahl und relativviele alte Menschen selbstverständlich für eine negativePerspektive stehen. Diese Bewertung würde die Ungleichzeitigkeitdemographischer Entwicklungen fälschlich alsstrukturelle Unterschiede interpretieren und Fehlschlüssehinsichtlich der Herausforderungen und Handlungsempfehlungenziehen.Den Variablen, die für die Entwicklungsperspektivender Städte und Gemeinden besonders aussagekräftig sind,lag ein Set von 52 Indikatoren zugrunde, die den Kommunengleichermaûen als Frühwarnsystem und Informationsplattformdienen soll.Um die Übersichtlichkeit und Verständlichkeit zusichern, musste die Zahl der Variablen für die Clusteranalysedeutlich reduziert werden. Auf der Grundlageinhaltlicher Bewertungen und mit Hilfe einer Korrelationsanalyseder statistischen Merkmale wurden acht Indikatorenals die aussagekräftigsten ausgewählt. Sie kennzeichnenin ihrer Summe die Situation, die Zukunftsperspektiveund die Gestaltungsspielräume in den Kommunen:· Prognose der Bevölkerungsentwicklung 2003 bis<strong>2020</strong> (Index 2003 = 100): Die Prognose vereint dieTrends der natürlichen Bevölkerungsentwicklung undWanderungsmuster. Sie beschreibt die bisherige unddie zu erwartende Entwicklungsdynamik und ist somitkonstituierend für das demographische Profil einerKommune.· Medianalter <strong>2020</strong> (Jahre): Die Prognose des Medianaltersbündelt Informationen zur aktuellen und zukünftigenAltersstruktur. Damit beschreibt sie gleichermaûenSituation und Dynamik des Alterungsprozessesin einer Kommune.· Arbeitsplatzzentralität 2003 (Verhältnis zwischender Anzahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigteram Arbeitsort und derjenigen am Wohnort): Arbeitsplatzzentralitätkennzeichnet die Funktion einer Kommune,vorrangig Wohnort oder Wirtschaftsstandortmit überlokaler Reichweite zu sein. Sie liefert damitAufschlüsse zu den Entwicklungsschwerpunkten einerKommune.· Arbeitsplatzentwicklung 1998 bis 2003 (Index1998 = 100): Der Indikator beschreibt die wirtschaftlicheDynamik einer Kommune.· Arbeitslosenquote 2003: Der Indikator steht für dieArbeitsmarktsituation in einer Kommune und ist zugleichein Merkmal für das Ausmaû sozialer Belastungenund Probleme.· Kommunale Steuereinnahmen pro Einwohner (gemitteltüber die Jahre 2000 bis 2003): Der Indikatorkennzeichnet die Stärke der lokalen Wirtschaft undder Bewohner und ist ein wichtiger Bestandteil desfinanziellen Handlungsspielraums einer Kommune.· Qualifikationsniveau der Bewohner (Anteil von Beschäftigtenmit Hochschulabschluss an allen sozialversicherungspflichtigBeschäftigten am Wohnort 2003):Der Indikator steht ebenso für das Ausbildungs- undQualifikationsniveau der Bevölkerung wie für die26


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Attraktivität der Kommune als Wohnort für Hochqualifizierteund Besserverdienende.· Anteil Mehrpersonenhaushalte mit Kindern (Anteilan allen Haushalten 2003): Der Indikator verweistauf die Haushaltsstruktur der Kommune und auf ihreAttraktivität als Wohnort für Familien.Für die Gruppierung wurden alle Indikatoren standardisiert,um inhaltliche Verzerrungen aufgrund der Maûeinheitenund Merkmalsdimensionen zu vermeiden.Durchführung der ClusteranalyseZiel der Analyse war es, möglichst eindeutige Typen vonStädten und gröûeren Gemeinden zu erhalten. Die Typisierungerfolgte durch eine hierarchische Clusterung mitHilfe des Ward-Verfahrens (vgl. www.aktion2050.de/wegweiser).Damit werden in einem iterativen Prozess Gruppengebildet, die hinsichtlich ihrer Merkmale in sich möglichsthomogen sind, untereinander aber möglichst groûeUnterschiede aufweisen.ErgebnisDie Ergebnisse der Klassifizierung sind sowohl hinsichtlichdes Charakters der jeweiligen Gruppe als auch imHinblick auf die Zugehörigkeit einzelner Kommunen zueinem bestimmten Cluster plausibel.Gleichwohl ist innerhalb der Cluster eine teils erheblicheVarianz zwischen den 2959 Kommunen festzustellen.In jedem Cluster dominieren bestimmte demographischeTendenzen; eindeutige demographische Profile, die füralle Clusterkommunen gelten, gibt es nicht.Die Indikatoren Bevölkerungsentwicklung und Medianalterweisen in den meisten Clustern ein breites Spektrumauf. Dafür gibt es zwei Gründe. So trugen nicht nurdie demographischen, sondern auch die weiteren Indikatorenzur Typenbildung bei; insbesondere Arbeitsplatzzentralität,Steuerkraft und Arbeitsplatzentwicklung warensehr wirksam für die Typisierung.Zudem schwächen sich Zusammenhänge zwischendemographischen, sozialen und wirtschaftlichen Strukturenund Entwicklungen durch die extreme Vielfalt derUntersuchungseinheiten (Kommunen unterschiedlichsterGröûe) und den flächendeckenden Charakter der Analyse(alte und neue Bundesländer, Verdichtungsräume undperiphere Räume) ab. So verbinden sich zum Beispiel inmanchen Gemeinden hohes Arbeitsplatzwachstum mitBevölkerungsschrumpfung oder hohe Arbeitsplatzverlustemit Bevölkerungsgewinnen.Vor diesem Hintergrund muss für die meisten Clustereine relativ hohe Varianz bei einzelnen Variablen akzeptiertwerden. Die Folge ist, dass bei etwa 75 Prozent derKommunen eines Clusters ähnliche Ausprägungen vorzufindensind. Zudem gibt es aber auch in jedem Clustereindeutige Auûenseiter hinsichtlich einzelner Merkmale.Die vorliegende Typisierung mit den daraus abgeleitetenHandlungsstrategien ist eine wichtige Hilfestellung.Gleichwohl ist jede Kommune gefordert, ihren eigenenWeg zu gehen. Die für die Demographietypen passendenMaûnahmenbündel müssen vor Ort für jede Stadt undjede Gemeinde konkretisiert werden.27


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Städte mit mehr als 100000 EinwohnernIn Deutschland gibt es 82 Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern.In dieser Gruppe befinden sich die BundeshauptstadtBerlin, die Stadtstaaten Hamburg und Bremen sowie,mit Ausnahme von Schwerin in Mecklenburg-Vorpommern,die Hauptstädte aller Bundesländer. Ein Schwerpunktder Gruppe liegt mit 30 Städten in Nordrhein-Westfalen.Zwei Drittel der Städte dieser Gruppe (55) sindmittlere Groûstädte mit weniger als 250 000 Einwohnern.Das demographische Profil der Städte und die Prognosefür ihre Bevölkerungsentwicklung bis <strong>2020</strong> sindsehr unterschiedlich. Dabei wird die Entwicklung durchwegvon einem Zusammenhang zwischen der Bevölkerungsentwicklungbis <strong>2020</strong> und dem Medianalter <strong>2020</strong>bestimmt, wodurch die wachsenden Städte eine relativjunge und die schrumpfenden Städte eine relativ alteBevölkerung aufweisen werden.Die höchsten Wachstumserwartungen liegen bei zehnProzent, die höchsten prognostizierten Verluste bei 20 Prozent.Für jeweils etwa 40 Prozent der Städte ist von einerweitgehend stabilen Einwohnerzahl (35 Städte) bzw.einer sinkenden Einwohnerzahl (32 Städte) auszugehen.Ein Wachstum um mehr als drei Prozent können nurknapp 20 Prozent erwarten, das sind 15 der 82 Städte.Auch die Alterung der Bevölkerung verläuft sehr unterschiedlich.Zu den »jungen« Städten, die auch weiterhinverhältnismäûig langsam altern, gehören vor allem Universitätsstädtewie Freiburg, Göttingen, Jena, Heidelbergund Münster. Auch in den nationalen Wirtschaftszentrenwerden hohe Zuwanderungsgewinne von jungen Erwachsenendie Alterungstendenzen weiter verzögern und abschwächen.Zu den besonders stark alternden Städten gehörendemgegenüber altindustrielle Groûstädte wie Essenund Gelsenkirchen.In den vergangenen Jahren hat sich in den groûenStädten kein eindeutiger Zusammenhang zwischen derBevölkerungsentwicklung und der Arbeitsplatzentwicklunggezeigt. Für nahezu zwei Drittel (51 Städte) blieb dieZahl der Beschäftigten während der wirtschaftsschwachenJahre 1998 bis 2003 weitgehend stabil; in 17 Städtensank die Beschäftigtenzahl um mehr als fünf Prozent,und in 14 Städten wuchs sie um über fünf Prozent.Alle Groûstädte zeichnen sich gegenüber kleinerenStädten und Gemeinden durch ihre soziale Heterogenitätund gesellschaftliche Polarisierung aus. Sie sind durchden demographischen <strong>Wandel</strong> mit besonderen Herausforderungenkonfrontiert und weisen bei den Indikatoren zursozialen Lage und den daraus resultierenden Integrationsanforderungengroûe Unterschiede zu kleineren Kommunenauf.Aber auch innerhalb der Groûstädtegruppe variierendie Indikatoren zur sozialen Lage. Zum Beispiel liegen dieArbeitslosenquoten zwischen knapp zehn und über 20 Prozent,der Anteil ausländischer Haushalte streut in denStädten der alten Bundesländer zwischen vier und 20 Prozent.Die durchschnittliche Kaufkraft der Privathaushalteist in manchen Städten doppelt so hoch wie in anderen.Entwicklungsperspektiven, Herausforderungen undHandlungsspielräume sind also auch für die Gruppe derGroûstädte unterschiedlich, sodass der demographische<strong>Wandel</strong> jeweils spezifische Antworten verlangt.Durch die Clusteranalyse wurden sechs unterschiedlicheDemographietypen für die Gruppe der 82 Groûstädtemit mehr als 100 000 Einwohnern ermittelt. Aufder Grundlage der Mittelwerte der acht Indikatoren (sieheSeite 25 f.) und ihrer räumlichen Verteilung lassen siesich wie folgt charakterisieren:· Cluster 1 (21 Städte): Stabile Groûstädte mit geringemFamilienanteil· Cluster 2 (19 Städte): Schrumpfende Groûstädte impostindustriellen Strukturwandel· Cluster 3 (5 Städte): Schrumpfende und alternde ostdeutscheGroûstädte· Cluster 4 (19 Städte): Prosperierende Wirtschaftszentren· Cluster 5 (11 Städte): Stabile Groûstädte mit hohemFamilienanteil· Cluster 6 (7 Städte): Aufstrebende ostdeutsche Groûstädtemit Wachstumspotenzialen28


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Matrix der Handlungsempfehlungen für die Kommunen mit mehr als 100 000 EinwohnernIn den Groûstädten ist die Initiierung eines ressortübergreifenden Gesamtprozesses von zentraler Bedeutung. Ziel ist es, den demographischen <strong>Wandel</strong>umfassend zu bearbeiten und im Dialog mit den lokalen Akteuren aus Politik, Verwaltung und Bürgerschaft, den kommunalen Entscheidern und den FachressortsMaûnahmenpakete zu entwickeln.Angesichts der komplexen Herausforderungen in den Groûstädten muss Bildung hier das zentrale Thema sein. In seiner groûen Spannbreite reicht es vonder frühkindlichen Förderung über Ganztagsschulen bis zur Qualifizierung älterer Arbeitnehmer.Angesichts der Finanzsituation in den Kommunen müssen klare Prioritäten gesetzt werden, obwohl generell alle Bereiche wichtig sind. Im Folgenden werdendie prioritären Handlungsfelder für die Groûstadttypen aufgezeigt.GroûstadttypenCluster 1:Stabile Groûstädte mit geringem FamilienanteilCluster 2:Schrumpfende Groûstädte im postindustriellen StrukturwandelCluster 3:Schrumpfende und alternde ostdeutsche GroûstädteCluster 4:Prosperierende WirtschaftszentrenCluster 5:Stabile Groûstädte mit hohem FamilienanteilCluster 6:Aufstrebende ostdeutsche Groûstädte mit WachstumspotenzialenPrioritäre Handlungsansätze1. sozialer Segregation entgegenwirken und aktive Integrationspolitik betreiben2. bürgerschaftliche Verantwortung stärken3. Kinder- und Familienfreundlichkeit leben1. sozialer Segregation entgegenwirken und aktive Integrationspolitik betreiben2. zukunftsorientierte Seniorenpolitik realisieren3. Kinder- und Familienfreundlichkeit leben4. regionale Wirtschaftsförderung intensivieren als Voraussetzung für wirtschaftlicheProsperität1. bedarfsgerechten Stadtumbau mit höchster Priorität weiterverfolgen2. regionale Clusterpolitik realisieren3. Kinder- und Familienfreundlichkeit leben4. seniorengerechte Stadt verwirklichen1. sozialer Segregation entgegenwirken und aktive Integrationspolitik betreiben2. Kinder- und Familienfreundlichkeit leben1. Kinder- und Familienfreundlichkeit leben2. Wohnstadtteile generationenverbindend weiterentwickeln3. sozialer Segregation entgegenwirken und aktive Integrationspolitik betreiben4. Handelszentralität sichern und Stadtimage schärfen5. berufliche Qualifizierungsoffensive durchführen, um den Anteil der Hochqualifiziertenzu steigern1. regionale Clusterpolitik realisieren2. Entwicklung zu einer europäischen Metropolregion beschleunigen3. bedarfsgerechten Stadtumbau weiterführenHerausforderungen und Handlungsansätzein GroûstädtenAufgrund der komplexen Herausforderungen in den heterogenenGroûstädten sind nahezu alle kommunalenHandlungsfelder von den Auswirkungen des demographischen<strong>Wandel</strong>s betroffen (siehe Abbildung 1). Bei der Entwicklungvon Handlungsstrategien kommt es deshalbgerade in den groûen Städten darauf an, integrierte undressortübergreifende Gesamtkonzepte zu entwickeln. Dabeiist es ganz entscheidend, die Fachressorts der Kommunenmit ihren ± auch externen Akteuren ± einzubinden,das Know-how zu bündeln und dies in eine gemeinsame,zukunftweisende und demographierobuste Stadtpolitikeinflieûen zu lassen. Die Bausteine einer integrierten undressortübergreifenden Gesamtstrategie werden ausführlichin Kapitel 4 dargestellt.Ein wichtiges Beispiel für die Notwendigkeit integrierterStrategien zeigt sich in der stark zunehmenden Segregation,die sich gerade in den Groûstädten manifestiert.»Zum einen entstehen die Polarisierungen durch das unterschiedlicheReproduktionsschema in deutschen Familienund in Familien mit Migrationshintergrund, die bishernoch eine höhere Zahl an Kindern zur Welt bringen.Zum anderen durch die Abwanderung der besser verdienendenaus der Stadt hinaus ins Umland. Das bedeutetfür die Städte, dass sich ihre Einwohner zunehmend zusammensetzenaus Singles einerseits und gering verdienendenFamilien (Familien mit Migrationshintergrund,Alleinerziehenden, Sozialhilfeempfängern, Arbeitslosen,Senioren) andererseits.«Soziale Segregation ist städtisch, sagt Prof. KlausPeter Strohmeier von der Ruhr-Universität Bochum, undsie ist eine der gröûten Herausforderungen, die auf dieGroûstädte zukommt.Ausführliche Informationen zu den übergreifendenHandlungsfeldern finden sich in Kapitel 3 dieser Publikation.Anregungen für clusterspezifische Handlungskonzeptestehen als Download unter www.aktion2050.de/wegweiser bereit.29


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Abb. 1: Mindestens elf zentrale Handlungsfelder auf kommunaler Ebene11. Arbeitsmarkt1. Infrastrukturplanung10. EhrenamtlichesEngagement2. Finanzen9. BildungEntwicklungkommunalspezifischerStrategien3. Urbanität/Innenstädte/Stadtgestalt4. Soziale Segregation8. Seniorenpolitik7. Kinder- und Familienfreundlichkeit6. Integration5. Wohnungsmarkt/Leerstand30


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Typ 1:Stabile Groûstädte mit geringem FamilienanteilRäumliche EinordnungDie 21 Groûstädte dieses Demographietyps* verteilen sich auf die alten Bundesländer und konzentrieren sich hier aufdie Agglomerationsräume und die verstädterten Räume höherer Dichte. Ostdeutsche Groûstädte sind in diesem Clusternicht enthalten.Die Städte dieses Demographietyps finden Sie in der Tabelle auf Seite 33.Die Groûstädte des Clusters 1 liegen überwiegend zentralräumlich.Neun Groûstädte befinden sich abseits derMetropolregionen ± Kiel, Osnabrück, Bielefeld, Paderborn,Kassel, Koblenz, Trier, Augsburg, Saarbrücken ±,die anderen zwölf verteilen sich auf sieben europäischeMetropolregionen.Neben dem Stadtstaat Bremen sind mit Kiel, Hannover,Wiesbaden und Saarbrücken ebenso wie in Cluster 4vier Landeshauptstädte vereint. In zwölf der 21 Groûstädtewohnen zwischen 150 000 und 500 000 Einwohner.Die mittleren Groûstädte sind somit überproportionalstark vertreten. Dennoch gibt es sowohl kleine Groûstädtewie Trier mit gerade 100 000 Einwohnern als auch mitKöln (965 000 Einwohner) eine Millionenstadt.Charakteristische EntwicklungenDie wirtschaftlichen und demographischen Entwicklungender Groûstädte dieses Demographietyps verliefen imVergleich zu den anderen Groûstädte-Clustern in denletzten Jahren relativ gut. Die Cluster 1 und 4 weisen¾hnlichkeiten in der Kombination von eher positivendemographischen und ökonomischen Entwicklungen auf.Die Merkmale sind in diesem Cluster allerdings wenigerstark ausgeprägt als bei den prosperierenden Wirtschaftszentrendes Clusters 4.Die Bevölkerungsentwicklung wird auch für die kommendenJahre weitgehend stabil prognostiziert. Die Alterungsprozesseverlaufen im Vergleich zum Durchschnittaller Groûstädte-Cluster leicht verzögert. Neben einer relativhohen Arbeitsplatzzentralität zählen vor allem ihreAttraktivität für Berufseinsteiger und als AusbildungsundHochschulstandort zu ihren Stärken. Dadurch wandernin hohem Maûe insbesondere die 18- bis 24-Jährigenzu.Stabile BevölkerungsentwicklungNach Rückgängen in den 1990er Jahren verläuft derzeitdie Bevölkerungsentwicklung weitgehend stabil. Bereitszwischen 1996 und 2003 veränderte sich die Einwohnerzahlin jeder einzelnen Stadt nicht über einen relativengen Korridor von plus fünf Prozent bis minus vier Prozenthinaus. Und im Jahr <strong>2020</strong> wird voraussichtlich in 13der 21 Städte die Zahl der Einwohner in etwa der aktuellenentsprechen. Keine der Städte wird die Fünf-Prozent-Marke stark überschreiten.Für Groûstädte (bzw. insbesondere für die Kernstädte)ist es typisch, dass dort unterproportional viele Familienmit Kindern und ausgesprochen viele Singles leben. Indiesem Cluster sind die Städte mit einem besondersgeringen Anteil an Mehrpersonenhaushalten mit Kindernkonzentriert. Sieben der insgesamt elf Groûstädte, derenAnteil an Mehrpersonenhaushalten mit Kindern unter20 Prozent liegt, befinden sich in diesem Cluster. In diesenGroûstädten gibt es somit in vier von fünf Haushaltenkeine Kinder. Der Anteil an ausländischen Haushalten inden stabilen Groûstädten des Clusters 1 beträgt gut elfProzent und entspricht damit in etwa dem Durchschnittder Groûstädte in den alten Bundesländern.Positive Wanderungsbilanzen* Die Begriffe »Demographietyp« und »Cluster« werden synonym verwendet.Trotz der niedrigen Geburtenraten und der weiterhin stattfindendenAbwanderungen von Familien in den suburba-31


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Profil des Demographietyps 1nen Raum entwickeln sich die Bevölkerungen dieser Groûstädteweitgehend stabil. Dies ist vor allem auf die positiveWanderungsbilanz bei den jungen Erwachsenen zurückzuführen.Die Städte verzeichnen hohe Wanderungsgewinne inder Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen, also bei den Bildungswanderernund Berufseinsteigern. Auch wenn siedeutlich unter denen der Groûstädte des Clusters 4 liegen,sind sie doch weit überproportional im Vergleichaller Groûstädte-Cluster. Hinsichtlich der Wanderungssaldennehmen hier einige der Universitätsstädte sogarüber alle untersuchten Groûstädte hinweg Spitzenwerteein.Die Wanderungsverluste in der mittleren Generationbzw. bei den Familien mit Kindern sind in den Groûstädtendieses Typs leicht überproportional. So verloren inden letzten Jahren etwas mehr als die Hälfte der 21 StädteFamilien, also 30- bis 49-Jährige sowie Kinder und Jugendlicheunter 18 Jahre. Zwar waren diese Verluste meistmoderat und auch typisch für Kernstädte. In einzelnenStädten (Göttingen, Kiel) fielen die Wanderungsverlusteallerdings ausgesprochen hoch aus. Etwas weniger alsdie Hälfte der Städte hatte bei den Familien mit Kinderndagegen einen weitgehend ausgeglichenen Wanderungssaldo.Leicht verzögerter AlterungsprozessDer Alterungsprozess verläuft aufgrund der hohen Zuwanderungjunger Erwachsener im Vergleich zu den anderenGroûstädten etwas verzögert. Die Altersgrenze, die die Bevölkerungin zwei gleich groûe Gruppen teilt (Medianalter),wird bis <strong>2020</strong> gegenüber 2003 voraussichtlich um vierJahre auf 44 Jahre ansteigen und damit geringfügig unterdem Durchschnitt von 45 Jahren liegen. Gleichzeitig wirdder Anteil der Senioren, also der über 60-Jährigen, vonknapp einem Viertel im Jahre 2003 auf 28 Prozent imJahre <strong>2020</strong> unterproportional zunehmen. Die Hochaltrigen,d.h. die über 80-Jährigen, werden <strong>2020</strong> mit knappsieben Prozent einen doppelt so hohen Anteil haben wieheute.Stabile bis wachsende wirtschaftliche EntwicklungDie Arbeitsplatzentwicklung der letzten Jahre verlief weitgehendstabil und damit positiver als in den meisten anderenDemographietypen. In drei der 21 Städte kam eszwischen 1998 und 2003 zu Arbeitsplatzgewinnen umetwas mehr als fünf Prozent. Der durchschnittliche Wertvon zwei Prozent ist deutlich überproportional im Vergleichzum Mittel aller Groûstädte-Cluster und wird nurvon den prosperierenden Wirtschaftszentren des Clusters4 übertroffen (fast sechs Prozent).Für alle diese Städte gilt gleichermaûen, dass sie alsregional und überregional bedeutende Wirtschaftszentreneine groûe Zahl von Arbeitsplätzen, Dienstleistungen undviel Infrastruktur auch für das Umland bereitstellen. Siesind ebenso wie die Groûstädte aus Cluster 4 Motoren derwirtschaftlichen Entwicklung in der Region.Hinsichtlich der Zugehörigkeit der Arbeitsplätze nachWirtschaftssektoren und des Anteils an hochwertigen Arbeitsplätzengibt es keine Besonderheiten gegenüber denDurchschnittswerten aller Städte über 100 000 Einwohner.Der Anteil an Arbeitsplätzen im produzierenden Gewerbeliegt damit allerdings höher und der Anteil an Dienstleistungsarbeitsplätzenniedriger als in den prosperierendenWirtschaftszentren des Clusters 3.Die Ausprägungen der weiteren sozialen und wirtschaftlichenIndikatoren, wie Arbeitslosenquoten, der Besatzoberer und unterer Einkommensgruppen und die durch-32


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Die Indikatoren des Demographietyps 1 im ÜberblickNameBevölkerungsentwicklung2003 bis <strong>2020</strong>in ProzentMedianalter<strong>2020</strong>in JahrenArbeitsplatzzentralitätArbeitsplatzentwicklung1998 bis 2003in ProzentArbeitslosenquotein ProzentKommunaleSteuereinnahmenin EuroAnteilhochqual.Beschäftigterin ProzentAnteil Mehrpersonenhaushaltemit Kindernin ProzentKiel, Landeshauptstadt ±1,9 42,4 1,4 ±0,2 18,0 813,8 10,0 19,7Braunschweig, Stadt ±3,5 45,0 1,4 1,4 15,6 857,5 14,7 18,5Göttingen, Stadt ±4,2 39,9 1,7 2,0 17,4 704,5 20,8 17,3Hannover, Landeshauptstadt ±1,8 42,9 1,7 ±0,7 17,6 1157,9 13,7 14,5Oldenburg (Oldenburg), Stadt 3,2 43,7 1,4 5,2 15,4 713,5 11,8 24,1Osnabrück, Stadt ±2,5 41,9 1,6 1,9 13,9 809,6 11,1 23,3Bremen, Stadt 0,7 45,0 1,4 1,4 16,3 1010,5 11,5 24,0Köln, Stadt ±1,3 43,5 1,4 5,2 15,7 1228,7 14,1 17,5Bielefeld, Stadt 3,6 41,2 1,2 0,3 17,3 849,8 10,0 26,6Paderborn, Stadt 5,0 41,4 1,4 6,4 13,8 759,6 11,1 28,3Offenbach am Main, Stadt 2,1 41,9 1,2 4,4 15,0 947,9 8,5 19,9Wiesbaden, Landeshauptstadt 1,3 44,7 1,3 4,6 12,2 1354,8 13,6 21,4Kassel, Stadt ±5,1 44,4 1,7 0,0 20,4 944,0 12,0 22,9Koblenz, Stadt ±2,6 46,6 1,9 1,2 11,6 975,3 9,2 28,4Ludwigshafen am Rhein ±3,6 44,9 1,7 ±3,9 13,2 1301,7 6,7 28,4Trier, Stadt ±1,1 42,0 1,8 2,4 14,2 642,2 10,1 19,6Mannheim, Stadt ±1,0 43,9 1,6 1,2 14,2 1059,7 11,3 23,1Fürth, Stadt 3,4 45,7 1,0 2,4 13,4 864,5 8,8 25,7Nürnberg, Stadt 2,0 45,7 1,6 0,6 15,3 1048,2 10,6 21,5Augsburg, Stadt 2,8 45,4 1,4 2,8 13,5 764,8 10,0 23,3Saarbrücken, Landeshauptstadt ±3,0 47,1 2,0 1,5 19,7 1076,3 13,5 22,2Mittelwerte der Clusterstädte±0,443,81,51,915,4946,911,622,4Mittelwerte aller Groûstädte±2,145,11,4±0,215,4873,411,925,2schnittliche Kaufkraft ebenso wie die Erwerbstätigenquotenund der Anteil an Akademikern in der Bevölkerung liegenweitgehend auf dem Durchschnittsniveau aller Städteüber 100 000 Einwohner, die kommunalen Steuereinnahmenleicht darüber.Berücksichtigt man allerdings, dass die Städte derneuen Bundesländer mit ihren relativ schwachen wirtschaftlichenStrukturdaten die Durchschnittswerte überalle Groûstädte beeinflussen, lässt sich daraus für einigeStädte dieses Clusters auch eine Tendenz zur wirtschaftlichenStrukturschwäche ablesen. Diese wird auch beieinem Vergleich mit den prosperierenden Wirtschaftszentrendes Groûstädte-Clusters 4 deutlich.Herausforderungen für die KommunenDiese Groûstädte sind Motoren der wirtschaftlichen Entwicklungfür die Region. Daraus resultiert die Verantwortung,ihre Position im Wettbewerb der Regionen in interkommunalerKooperation weiter auszubauen. Die meistenStädte sind bereits in profilierte regionale Organisationeneingebunden (z.B. Region Hannover, Metropolregion Hannover±Göttingen±Braunschweig,Kommunalverband Bremen/Niedersachsen,Region Köln/Bonn).Die Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung mussim Zusammenhang des demographischen <strong>Wandel</strong>s in diesenStädten oberste Priorität haben. Auûerdem bieten siemit ihrem differenzierten Bildungs-, Kultur- und Freizeitangebotden Bürgerinnen und Bürgern eine hohe Lebensqualität.Dies zeichnet die Attraktivität der Kommunen aus.Dennoch verlassen überdurchschnittlich viele Erwachsenedie Städte, wenn sie eine Familie gründen oder Eigentumbilden wollen. Der Familienanteil ist der niedrigstealler Cluster, die Zahl der Single-Haushalte ist überproportionalhoch und weiter ansteigend. Aus vielen Kernstädtensind die mittelständischen Familien mit Kindernweitgehend verschwunden, die verbleibenden Familienhaushaltesind oft allein erziehende Mütter und (kinderreiche)nichtdeutsche Familien.Hieraus resultiert ein zentraler Handlungsbedarf, dersich aus der Statistik zunächst nicht ablesen lässt. Der33


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Anteil ausländischer Haushalte ist in diesem Cluster mitelf Prozent durchschnittlich hoch. Jedoch sind hiermitnicht alle Familien mit Migrationshintergrund erfasst,und vor allem wird mit dieser Zahl nicht deutlich, dassder Anteil der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrundin diesen Städten heute schon bei rund 40Prozent liegt.Die Zukunftsfähigkeit dieser Städte, ihre Wirtschaftsentwicklungund ihre soziale Stabilität werden ganz maûgeblichvon ihrer Integrationsfähigkeit abhängen. DieAltersstruktur wird sich zu einem hohen Anteil ältererdeutscher Bevölkerung sowie einem steigenden Anteiljüngerer Bevölkerungsgruppen ausländischer Herkunftverändern. Dies kann eine groûe Chance für multikulturelleurbane Attraktivität und wirtschaftliche Vitalitätsein, erfordert aber höchste Anstrengungen zur Vermeidungsozialer Segregationserscheinungen und für einintegratives Bildungs- und Ausbildungssystem.In diesem Zusammenhang stellt auch die Verbesserungder Kinder- und Familienfreundlichkeit der Städtezusätzliche Anforderungen. Hierbei gilt der gesamte Maûnahmenkatalog,der clusterübergreifend in Kapitel 3 zusammengestelltist.34


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>HandlungsansätzeDie Auswirkungen des demographischen <strong>Wandel</strong>s werdenin den Groûstädten in nahezu allen Feldern der Stadtentwicklungspürbar sein. Daher ist es erforderlich, ressortübergreifendeGesamtprozesse zu initiieren. Ziel ist es, dendemographischen <strong>Wandel</strong> umfassend zu bearbeiten und imDialog mit den lokalen Akteuren aus Politik, Verwaltungund Bürgerschaft, den kommunalen Entscheidern und denFachressorts Maûnahmenpakete zu entwickeln. Dabei müssenangesichts der Finanzsituation klare Prioritäten gesetztwerden. Diese werden in den folgenden Handlungsfelderngesehen.1. Sozialer Segregation entgegenwirken und aktive IntegrationspolitikbetreibenSegregation und Integration gehören in nahezu allenGroûstädten zu den wichtigsten kommunalen Handlungsfeldern.Den absehbaren oder bereits spürbaren Folgenist in den Städten aktiv zu begegnen ± im Interesse derMenschen und auch des Wirtschaftsstandortes:· sozial stabile und integrative Stadtteilpolitik etablierenund im Sinne ganzheitlicher Ansätze neu ausrichten· sozialen Segregationsprozessen entgegenwirkendurch Maûnahmen in Bildung, Sprachförderung,Partizipation und Städtebau (z.B. Bildungs- undAusbildungsoffensive für junge Menschen in sozialbenachteiligten Milieus)· zehn Handlungsempfehlungen für Integrationspolitikumsetzen (siehe ab Seite 155)2. Bürgerschaftliche Verantwortung· Beteiligungsmöglichkeiten für Senioren schaffen· bürgerschaftliches Engagement von Studierenden fördern3. Kinder- und Familienfreundlichkeit ± Chance für die ZukunftEntscheidend ist die umfassende und zielgruppenorientierteUmsetzung der Bausteine einer kinder- und familienfreundlichenKommune (siehe ab Seite 134). Dazugehören:· ein qualitätsvolles Bildungsangebot vor allem inSchulen mit hohem Ausländeranteil· durchgängige, verlässliche und flexible Betreuungsstrukturen,Beratungsangebote für Familien sowiequalitätsvolle Freizeiteinrichtungen· ein qualitätsvolles und sicheres Wohnumfeld sowiebezahlbarer Wohnraum, um die Attraktivität derStädte für Familien zu erhöhen und eine Trendumkehrder abwandernden Familienhaushalte einzuleiten· eine spezielle Förderung der Kinder aus sozialbenachteiligten FamilienWeitere ausführliche Informationen zu den Handlungsansätzenfür die Kommunen dieses Clusters finden Sie imInternet unter www.aktion2050.de/wegweiser.35


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Typ 2:Schrumpfende Groûstädte im postindustriellen StrukturwandelRäumliche EinordnungDie 19 Kommunen sind typischerweise altindustriell geprägte Groûstädte und liegen überwiegend in Nordrhein-Westfalen,konzentriert im Ruhrgebiet. Lediglich vier Städte liegen in Norddeutschland: Lübeck, Salzgitter, Hildesheim undBremerhaven.Die Städte dieses Demographietyps finden Sie in der Tabelle auf Seite 38.Die Groûstädte befinden sich überwiegend zentralräumlichund konzentrieren sich vor allem auf die MetropolregionRhein-Ruhr. Die Verteilung nach Gröûenklassenentspricht weitgehend dem Muster aller Groûstädte inDeutschland. Die gröûten Städte sind Essen und Dortmundmit jeweils knapp 590 000, die kleinste ist Wittenmit rund 102 000 Einwohnern.Charakteristische EntwicklungenDie Kommunen des Groûstädte-Clusters 2 sind schrumpfendeStädte: Die Schrumpfung bezieht sich auf demographischewie auch auf wirtschaftliche Strukturprobleme.Die Werte liegen für nahezu alle Merkmale (deutlich)schlechter als der Durchschnitt aller Groûstädte-Clusterder alten Bundesländer. Dies ist sowohl auf die natürlichendemographischen Entwicklungen und hier insbesondereauf die Alterung der Gesellschaft zurückzuführenals auch auf die Wanderungsverluste. Dabei wandernnicht nur Familien ab, sondern teilweise sogar die jungenErwachsenen. Aufgrund des unterdurchschnittlichen Arbeitsplatzangebotssehen hier immer weniger Berufseinsteigerund Bildungswanderer eine berufliche Perspektive.Hinzu kommen wirtschaftsstrukturelle Probleme. DieGroûstädte befinden sich bereits seit langem im Strukturwandel.Die Arbeitsplatzentwicklung war in den letztenJahren rückläufig, die Arbeitslosigkeit ist überproportionalhoch, und die finanziellen Handlungsspielräume derKommunen sind für Groûstädte (der alten Bundesländer)auffallend niedrig. Die wirtschaftlichen Potenziale werdenauch in Zukunft eingeschränkt, da die Zahl der hochqualifizierten Beschäftigten voraussichtlich sehr geringsein wird.Deutlicher BevölkerungsrückgangKennzeichnend für die Städte dieses Demographietyps istder deutliche Rückgang der Einwohnerzahlen. Schon inder Vergangenheit schrumpfte die Bevölkerung, und perspektivischist mit noch gröûeren Verlusten zu rechnen.Bereits zwischen 1996 und 2003 ging die Zahl deutlich umdurchschnittlich 3,4 Prozent zurück, und auch zukünftigverzeichnen sämtliche Groûstädte des Clusters einen Bevölkerungsrückgang.In 14 der 19 Groûstädte nimmt dieBevölkerung um mehr als fünf Prozent ab, in fünf Städtensogar um zehn Prozent und mehr. Dies ist auf die natürlicheBevölkerungsentwicklung und auch auf die negativenWanderungsbewegungen zurückzuführen.Die Haushaltsstruktur gleicht in etwa dem Mittel alleruntersuchten Städte über 100 000 Einwohner. Jedoch istder Anteil der Einpersonenhaushalte etwas niedriger undder der Mehrpersonenhaushalte ohne Kinder etwas höher.Der Anteil ausländischer Haushalte ist der geringsteunter den Cluster-Typen der alten Bundesländer.Ausgeprägte Alterung der GesellschaftDie Alterungsprozesse sind stark ausgeprägt. So liegt dieAltersgrenze, die die Bevölkerung in zwei gleich groûeGruppen teilt, im Jahr 2003 verglichen mit allen anderenClustern der alten Bundesländer mit fast 42 Jahren amhöchsten. Diesen Wert des Medianalters werden die prosperierendenWirtschaftszentren des Groûstädte-Clusters 4voraussichtlich erst <strong>2020</strong> überschreiten; er wird aktuell nurnoch von den schrumpfenden und alternden ostdeutschenStädten des Groûstädte-Clusters 3 überboten (43 Jahre).Der deutliche Alterungsprozess ist jedoch weniger auffehlende Geburten oder wenige Kinder und Jugendlichezurückzuführen. Die Geburtenrate ist sogar überdurch-36


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Profil des Demographietyps 2schnittlich gut, und sowohl die aktuellen als auch diezukünftigen Anteile der unter 18-Jährigen (bis <strong>2020</strong>) liegenleicht überproportional im Vergleich aller Groûstädte-Cluster.Stark ausgeprägt ist jedoch der Anteil der Senioren inder Gesellschaft. Während der Anteil der 60-Jährigen bereitsheute um 1,5 Prozent höher liegt als der Durchschnittaller Groûstädte-Cluster (25 Prozent), wird <strong>2020</strong> nahezuein Drittel der Einwohner älter als 60 Jahre sein. Damitwird der Wert voraussichtlich bereits um 2,5 Prozenthöher liegen als der Durchschnitt (30 Prozent). Gleichzeitigwird sich der Anteil der über 80-Jährigen nahezu verdoppelnund dann gut acht Prozent betragen. Die Alterungsprozesseverlaufen auch deshalb relativ schnell,weil es keine ausreichende Zuwanderung junger Erwachsenergibt, die den Prozess verlangsamen könnte.Untypische WanderungsmusterBei der Betrachtung der Wanderungsverluste fällt auf,dass im Durchschnitt nicht nur Familien aus den Groûstädtenwegziehen. In manchen Städten liegen auch beiden 18- bis 24-Jährigen Wanderungsverluste vor. So verzeichnennur 16 der 19 Städte überhaupt Wanderungsgewinnein dieser Altersgruppe ± und die sind meist sehrgering. Demnach suchen immer weniger dieser Berufseinsteigerund Bildungswanderer hier eine beruflichePerspektive.Andererseits wandern relativ wenige Menschen ausder mittleren Generation zwischen 30 und 49 Jahren bzw.Familien mit Kindern bis zu 17 Jahren aus diesen Städtenab. Fast die Hälfte der Kommunen hat in dieser Altersgruppesogar einen ausgeglichenen Wanderungssaldo.Das Muster entspricht damit nur in Ansätzen dem fürGroûstädte üblichen Bild.Wirtschaft im strukturellen <strong>Wandel</strong>Die Arbeitsplätze in diesen Groûstädten sind zu etwa zweiDritteln im Dienstleistungsbereich und zu einem Drittelim verarbeitenden Gewerbe angesiedelt. Damit hat Letzteresim Vergleich zu den meisten anderen Groûstädteneine relativ starke Position. Die Erwerbstätigenquote vonFrauen ist sehr gering.Die Strukturschwäche wird an verschiedenen Merkmalendeutlich. So ist die Arbeitsplatzentwicklung rückläufig.Dabei kam es zwischen 1998 und 2003 in vier der19 Städte zu einem deutlichen Abbau von Arbeitsplätzenzwischen sieben und zehn Prozent. Nur in acht der19 Städte gibt es deutlich mehr Arbeitsplätze als Erwerbstätigein der Bevölkerung. Insbesondere im Ruhrgebietwird die Funktion einiger Groûstädte als regionaleZentren in Frage gestellt, fünf Städte weisen dort sogarAuspendlerüberschüsse auf.Die überproportional hohe Arbeitslosigkeit von durchschnittlich17 Prozent macht auch die Strukturschwächedeutlich. In 16 der 19 Städte liegt die Arbeitslosenquoteüber 15 Prozent. Die für Groûstädte der alten Bundesländersehr niedrigen kommunalen Steuereinnahmen vonknapp 750 Euro pro Einwohner und Jahr verweist auf starkeingeschränkte Handlungsspielräume der Kommunen.Trotz der guten Hochschullandschaft, die insbesondereim Ruhrgebiet unverkennbar ist, liegt der Anteil derhoch qualifiziert Beschäftigten mit 7,5 Prozent ebensowie bei den »suburbanen« Groûstädten (acht Prozent)deutlich am unteren Ende aller Groûstädte-Cluster; diesehaben im Mittel zwölf Prozent Hochqualifizierte.Auch die Ausprägungen der weiteren wirtschaftlichenund sozialen Indikatoren, wie Besatz der oberen und unterenEinkommensgruppen, die durchschnittliche Kaufkraftebenso wie die Erwerbstätigenquoten verweisen aufwirtschaftliche und soziale Probleme in diesen Städten.37


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Die Indikatoren des Demographietyps 2 im ÜberblickNameBevölkerungsentwicklung2003 bis <strong>2020</strong>in ProzentMedianalter<strong>2020</strong>in JahrenArbeitsplatzzentralitätArbeitsplatzentwicklung1998 bis 2003in ProzentArbeitslosenquotein ProzentKommunaleSteuereinnahmenin EuroAnteilhochqual.Beschäftigterin ProzentAnteil Mehrpersonenhaushaltemit Kindernin ProzentLübeck, Stadt ± 2,7 47,3 1,3 ± 1,0 18,4 637,8 7,2 21,4Salzgitter, Stadt ±11,0 49,7 1,4 ± 2,6 15,5 706,3 4,3 29,2Hildesheim, Stadt ± 5,3 46,7 1,4 ± 3,3 15,2 754,0 10,2 24,8Bremerhaven, Stadt ±11,5 48,5 1,4 ± 2,3 23,9 683,7 4,9 24,7Duisburg, Stadt ± 9,8 46,9 1,0 ± 1,3 18,2 651,2 5,6 24,4Essen, Stadt ± 6,3 47,2 1,2 ± 0,3 15,9 917,8 9,9 21,5Krefeld, Stadt ± 6,8 48,6 1,2 ± 0,1 15,7 796,8 8,8 28,9Mönchengladbach, Stadt ± 3,4 46,8 1,0 ± 1,5 16,2 862,8 7,0 28,6Mülheim an der Ruhr, Stadt ± 7,7 50,5 1,0 ± 8,0 12,4 1018,0 10,0 27,0Oberhausen, Stadt ± 4,8 47,8 0,9 1,0 15,9 656,9 5,8 28,0Wuppertal, Stadt ± 8,1 47,0 1,0 ± 7,2 14,6 857,7 7,7 25,1Bottrop, Stadt ± 4,4 48,3 0,9 ± 1,5 16,3 586,7 7,1 30,1Gelsenkirchen, Stadt ±11,7 47,6 1,0 ± 4,8 22,2 598,9 5,3 18,9Recklinghausen, Stadt ± 5,9 47,9 0,9 ± 9,9 16,8 653,0 8,4 24,6Bochum, Stadt ± 6,1 47,2 1,1 ± 3,0 16,1 779,8 10,6 25,3Dortmund, Stadt ± 2,3 45,4 1,1 ± 1,2 19,0 720,8 9,4 24,3Hagen, Stadt ±11,0 46,8 1,1 ± 7,3 16,2 836,9 6,1 23,8Herne, Stadt ± 7,0 48,0 1,0 20,8 19,7 545,8 5,9 23,6Witten, Stadt ± 7,0 48,5 0,9 ± 0,3 14,1 732,1 9,8 25,0Mittelwerte der Clusterstädte±7,047,71,1±1,817,0736,77,625,2Mittelwerte aller Groûstädte±2,145,11,4±0,215,4873,411,925,2Herausforderungen für die StädteDie demographischen Probleme hängen in den Städten desClusters 2 grundlegend mit der wirtschaftlichen Strukturschwächezusammen. Um sie zu lösen, müssen vornehmlichdie wirtschaftlichen Herausforderungen angegangenund bewältigt werden.Die gröûten ökonomischen Herausforderungen ergebensich vor allem aus dem groûen Mangel an qualifiziertenArbeitsplätzen, der zu einer starken Abwanderungbei den 18- bis 24-Jährigen führt. Dies wiederum führt zueinem langfristig bedeutsamen Fachkräftemangel. Dieausbleibenden Wanderungsgewinne bei den jungen Erwachsenenkönnen mittelfristig durch die Qualifizierungälterer Arbeitnehmer und die Weiterbeschäftigung der»jüngeren« Senioren kompensiert werden. Dabei solltendie Potenziale der Hochschulen besser genutzt werden:Über experimentelle Kooperationen zwischen Hochschulenund der Wirtschaft kann der Weg in die InformationsundWissensgesellschaft geebnet werden, wie es teilweisebereits geschieht (z.B. in der Stadt Dortmund).Experimente sollten auch in anderen Themenfelderngewagt werden, um eine neue Rolle im nationalen undinternationalen Städtewettbewerb zu finden. Aus demographischerSicht wird es vor allem darauf ankommen,den Stadtumbau auf die Alterungsprozesse auszurichten,dabei die jeweiligen Standortqualitäten für eine langfristigeEntwicklung herauszuarbeiten und sozialen Segregationsprozessenentgegenzuwirken.38


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Fokus RuhrgebietDer demographische <strong>Wandel</strong> wird das Ruhrgebiet rascherund härter treffen als andere Regionen Nordrhein-Westfalens. Das Ruhrgebiet ist ein Vorläufer der gesamtdeutschenEntwicklung und kann als Laboratorium desdemographischen <strong>Wandel</strong>s bezeichnet werden. Es »istnicht zuletzt durch die seit langer Zeit anhaltende Abwanderungvon Erwerbstätigen und ihren Familien bereitsvergleichsweise stark ­gealtert¬ und läuft dadurchtendenziell der gesamtdeutschen demographischen Entwicklungum etwa 25 Jahre voraus«, beschreiben Prof.Dr. Christoph Schmidt und Dr. Uwe Neumann vom RWIin Essen die Situation. Dennoch gibt es auch im Ruhrgebietstarke demographische Disparitäten, die teilweisezu weit über die drängenden wirtschaftlichen Problemeder Region hinaus gehenden Herausforderungen führen.Aus den seit Jahren andauernden Wanderungsverlusten(insbesondere der Gruppe der Erwerbstätigen undihrer Familien) resultiert eine ungünstige Altersstruktur,die für Groûstädte absolut untypisch ist. In den meistenRuhrgebietsstädten kommen mehrere negative Faktorenzusammen: Kinder und Jugendliche sowie die Gruppeder jüngeren Erwerbspersonen (bis etwa 40 Jahre) sindstark unterrepräsentiert. Der Anteil der über 60-Jährigenist dagegen überdurchschnittlich groû. Diese Entwicklungwird sich bis zum Jahr <strong>2020</strong> verstärken. DerBestand an Erwerbspersonen wird in dieser Regionweiterhin überproportional abnehmen.»Stadtregionen sind durch altersspezifische interneWanderungsbewegungen gekennzeichnet, die eng mitder Siedlungsstruktur zusammenhängen«, so Schmidtund Neumann. Es gibt einerseits Stadtteile, in denen vorwiegendältere, wohlhabende Menschen und wenig Kinderwohnen, und andererseits Gebiete, deren Bevölkerungdeutlich jünger, dafür aber auch deutlich ärmer ist (wie inEssen und Gelsenkirchen). Im Ruhrgebiet zeigt sichzudem eine deutliche Segregation von Zuwanderern inder zweiten oder dritten Generation. Sie zeigt sich durcheine überdurchschnittlich hohe Segregation in manchenStadtteilen. Diese Entwicklungen erfordern viele Anstrengungenin den Bereichen Integration und Segregation.Die für den Demographietyp 2 entwickelten Handlungsansätzemüssen im Ruhrgebiet mit oberster Prioritätund in enger interkommunaler Zusammenarbeitbearbeitet werden.39


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>40HandlungsansätzeDie Auswirkungen des demographischen <strong>Wandel</strong>s werdenin den Groûstädten in nahezu allen Feldern der Stadtentwicklungspürbar sein. Daher ist es erforderlich, ressortübergreifendeGesamtprozesse zu initiieren. Ziel ist es, dendemographischen <strong>Wandel</strong> umfassend zu bearbeiten und imDialog mit den lokalen Akteuren aus Politik, Verwaltungund Bürgerschaft, den kommunalen Entscheidern und denFachressorts Maûnahmenpakete zu entwickeln. Dabei müssenangesichts der Finanzsituation klare Prioritäten gesetztwerden. Diese werden in den folgenden Handlungsfelderngesehen.1. Intensivierung der regionalen Wirtschaftsförderung alsVoraussetzung für wirtschaftliche ProsperitätIn Kooperation mit der Privatwirtschaft kommt es beider regionalen Wirtschaftsförderung darauf an, Infrastrukturangebote,also im Verkehrs-, Kommunikations-,Bildungs- und Forschungsbereich sowie im Gesundheitswesender Altersstruktur anzupassen. FolgendePunkte sollten in den Kommunen eine Rolle spielen:· zielgruppenorientierte Qualifizierungsangebote fürMenschen mit Migrationshintergrund und ältereArbeitnehmer sowie in der Nachwuchsförderung· Abbau bürokratischer Hemmnisse bei der Entfaltungprivatwirtschaftlicher Initiativen als regionalesWettbewerbsinstrument· Um der Abwanderung der Fachkräfte entgegenzuwirken,müssen die Kooperation und Vernetzung zwischenWirtschaft und Hochschulen intensiviert werden.2. Zukunftsorientierte Seniorenpolitik· Bausteine einer zukunftsorientierten Seniorenpolitik(siehe ab Seite 126) in die Praxis umsetzen, da dieAlterung der Gesellschaft in diesen Groûstädtenbesonders weit fortgeschritten ist· ältere Arbeitnehmer qualifizieren und junge Seniorenlänger beschäftigen, da das klassische Potenzialan Erwerbspersonen stark zurückgeht3. Sozialer Segregation entgegenwirken und aktive IntegrationspolitikbetreibenSegregation und Integration gehören in nahezu allenGroûstädten zu den wichtigsten kommunalen Handlungsfeldern.Das Ruhrgebiet ist davon besonders betroffen.Den absehbaren oder bereits spürbaren Folgen ist inden Städten aktiv zu begegnen ± im Interesse der Menschenund auch des Wirtschaftsstandortes:· sozial stabile und integrative Stadtteilpolitik etablierenund im Sinne ganzheitlicher Ansätze neu ausrichten· sozialen Segregationsprozessen entgegenwirkendurch Maûnahmen in Bildung, Sprachförderung, Partizipationund Städtebau (z.B. Bildungs- und Ausbildungsoffensivefür junge Menschen in sozial benachteiligtenMilieus)· zehn Handlungsempfehlungen für Integrationspolitikumsetzen (siehe ab Seite 155)4. Kinder- und Familienfreundlichkeit ± Chance für die ZukunftEntscheidend ist die umfassende und zielgruppenorientierteUmsetzung der Bausteine einer kinder- undfamilienfreundlichen Kommune (siehe ab Seite 134).Dazu gehören:· ein qualitätsvolles Bildungsangebot auch in Schulenmit hohem Ausländeranteil· durchgängige, verlässliche und flexible Betreuungsstrukturen,Beratungsangebote für Familien sowiequalitätsvolle Freizeiteinrichtungen· ein qualitätsvolles und sicheres Wohnumfeld sowiebezahlbarer Wohnraum, um die Attraktivität derStädte für mittelständische Familien zu erhöhenund eine Trendumkehr der abwandernden Familienhaushalteeinzuleiten· eine spezielle Förderung der Kinder aus sozial benachteiligtenFamilienWeitere ausführliche Informationen zu den Handlungsansätzenfür die Kommunen dieses Clusters finden Sie imInternet unter www.aktion2050.de/wegweiser.


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Typ 3:Schrumpfende und alternde ostdeutsche GroûstädteRäumliche EinordnungDie fünf Groûstädte befinden sich ebenso wie die des Clusters 6 ausschlieûlich in Ost-Deutschland.Die Städte dieses Demographietyps finden Sie in der Tabelle auf Seite 43.Dieses Cluster bilden eher kleinere Groûstädte in verstädtertenRäumen jenseits von Agglomerationsräumen. InGera und Cottbus leben etwas mehr als 100 000 Einwohner,in Chemnitz, Halle und Magdeburg zwischen 200 000und 250 000 Einwohner. Chemnitz ist die gröûte Stadt. MitMagdeburg ist eine Landeshauptstadt vertreten. Nur Halleund Chemnitz gehören einer europäischen Metropolregion(Sachsendreieck) an.Charakteristische EntwicklungenDie Städte zeichnen sich tendenziell durch eine mehrdimensionaleKombination von demographischen und wirtschaftlichenSchrumpfungsprozessen aus. Sie befinden sichin einem tief greifenden Umstrukturierungsprozess, dervielfältige strukturelle Defizite offenbart. Nahezu alle betrachtetendemographischen und ökonomischen Merkmalesind (deutlich) schlechter als der Durchschnitt allerGroûstädte-Cluster.Durch stark rückläufige Bevölkerungszahlen wird voraussichtlichlangfristig in einigen Fällen der Groûstadtcharakterverloren gehen. Hohe Wanderungsverluste inallen Altersgruppen und ein hoher und weiter stark wachsenderAnteil älterer Menschen gehen dabei einher mitsehr hohen Arbeitslosenquoten und einem geringen Einkommensniveauin der Bevölkerung sowie sehr kleinenfinanziellen Spielräumen der Kommune. Die Handlungsfähigkeitder Städte ist hinsichtlich der notwendigen Anpassungenan den gesellschaftlichen <strong>Wandel</strong> somit starkabhängig von neuen kreativen Ideen und externen Mitteln(Umlagen, Subventionen usw.).Sehr hohe BevölkerungsrückgängeDie fünf Städte haben stark rückläufige Einwohnerzahlen;zwischen 1996 und 2003 lagen die Verluste zwischenzehn und 14 Prozent. Für 2003 bis <strong>2020</strong> ist mit weiterenRückgängen zwischen zehn und 20 Prozent zu rechnen.Durchschnittlich bedeutet dies einen Bevölkerungsverlustvon zwölf Prozent zwischen 1996 bis 2003 und weiteren17 Prozent bis zum Jahre <strong>2020</strong>.Hohe WanderungsverlusteDie starken Bevölkerungsverluste sind in erster Linie dasErgebnis hoher Abwanderungszahlen. Alle fünf Städtehatten in den letzten Jahren sehr hohe Verluste von jungenFamilien und Erwachsenen der mittleren Generation(Kinder und Jugendliche bis 17 Jahre sowie Erwachsenezwischen 30 und 49 Jahren).Selbst bei den jungen Erwachsenen stagnieren diedurchschnittlichen Wanderungssalden. Nur Halle undMagdeburg konnten in den letzten Jahren 18- bis 24-Jährigehinzugewinnen. Die anderen drei Städte verzeichnetenin dieser Altersgruppe Wanderungsverluste. Da Groûstädtegenerell Zielgebiete für junge Berufseinsteiger undBildungswanderer sind, verweisen die Verluste auf gravierendeAttraktivitätsprobleme dieser Städte.Deutliche AlterungsprozesseParallel zum Bevölkerungsrückgang finden hier starkeAlterungsprozesse statt. Schon aktuell gibt es in diesenStädten relativ wenige Kinder und Jugendliche und relativviele ältere Menschen. Während der geringe Anteil derKinder und Jugendlichen unter 18 Jahren voraussichtlich41


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Profil des Demographietyps 3nur leicht von 13,8 auf 13,2 Prozent im Jahr <strong>2020</strong> zurückgehenwird, wird der Anteil der über 60-Jährigen deutlichum zehn auf 38 Prozent anwachsen.Die Altersgrenze, die die Bevölkerung in zwei gleichgroûe Gruppen teilt (Medianalter), wird somit bis <strong>2020</strong>um mehr als sieben Jahre auf 50 Jahre ansteigen. Gleichzeitigwächst der Anteil der Hochaltrigen, der über 80-Jährigen,um mehr als das Doppelte auf gut zehn Prozent undnähert sich damit dem Anteil der Kinder und Jugendlichenunter 18 Jahren an.Die Struktur der Haushalte weicht nur wenig vomDurchschnitt aller Städte über 100 000 Einwohnern ab.Familienhaushalte mit Kindern sind leicht unterrepräsentiert.Dieses Muster korrespondiert mit einer niedrigenGeburtenrate und einem geringen Anteil junger Frauen.Der im Vergleich zu allen Groûstädten sehr geringe Anteilausländischer Haushalte (etwa ein Prozent) ist ein typischesMerkmal von ostdeutschen Groûstädten.Strukturelle Defiziteim wirtschaftlichen UmstrukturierungsprozessAlle fünf Städte haben in den letzten Jahren Arbeitsplätzein beträchtlichem Ausmaû verloren: Die Rückgänge lagenzwischen 1998 und 2003 innerhalb einer Spanne vonzehn bis 16 Prozent. Dennoch sind sie nach wie vor regionaleArbeitsplatzzentren mit einem überwiegend hohenEinpendlerüberschuss von Berufstätigen. Der hohe Anteilder Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich (82 Prozent)ist eine Besonderheit in den neuen Bundesländern undAusdruck der massiven Arbeitsplatzverluste im verarbeitendenGewerbe. Sein Anteil von 17 Prozent liegt um etwazehn Prozentpunkte unter dem Durchschnittswert allerStädte über 100 000 Einwohner.In allen fünf Städten sind die Arbeitslosenquoten mitüber 20 Prozent sehr hoch. Die geringe wirtschaftlicheDynamik der Städte dieses Typs ist auch an anderen Indikatorenzu erkennen. Ihre kommunalen Steuereinnahmensind sehr gering: Sie betragen weniger als die Hälftedes Durchschnitts aller Städte über 100 000 Einwohner.Auch bei der durchschnittlichen Kaufkraft der Einwohnerund beim Besatz der oberen Einkommensgruppen liegendie Werte jeweils am unteren Ende der Skala.Die Frauenerwerbstätigenquote beträgt über 50 Prozentund übersteigt damit leicht die der Männer. Gleichzeitigliegt der Anteil der Frauen in der bildungs- undberufsaktiven Altersgruppe zwischen 20 und 34 Jahrendeutlich unter dem der Männer (47 zu 53 Prozent). Diesist teilweise auf die selektive Abwanderung von (jungen)Frauen Anfang der 1990er Jahre zurückzuführen.Herausforderungen für die StädteVon den negativen Folgen des demographischen <strong>Wandel</strong>sist kein anderer deutscher Groûstadttyp so stark betroffenwie die ostdeutschen Städte, die dieses Cluster bilden.Zur Beseitigung der strukturellen Defizite benötigen dieGroûstädte einen langen Atem und spezifische integrierteStrategien, mit denen sämtliche lokale Akteure ihr Handelnan die Schrumpfungserfordernisse anpassen undgleichzeitig ihre Routinen und Strukturen auf das notwendigeMaû verändern können. Dabei können die Groûstädtedie hohe Sensibilität für den demographischen <strong>Wandel</strong>nutzen und sich auf eine deutlich kleinere Stadt einstellen(»Face Reality«).Eine zentrale Herausforderung wird deshalb sein,Anpassungs- und Veränderungsstrategien zu entwickelnund anzuwenden und dabei klare Prioritäten zu setzen,sowie in engen Zyklen der Strategieentwicklung und -ver-42


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Die Indikatoren des Demographietyps 3im ÜberblickNameBevölkerungsentwicklung2003 bis <strong>2020</strong>in ProzentMedianalter<strong>2020</strong>in JahrenArbeitsplatzzentralitätArbeitsplatzentwicklung1998 bis 2003in ProzentArbeitslosenquotein ProzentKommunaleSteuereinnahmenin EuroAnteilhochqual.Beschäftigterin ProzentAnteil Mehrpersonenhaushaltemit Kindernin ProzentCottbus, Stadt ±18,3 51,1 1,4 ±16,1 23,9 393,6 15,3 27,1Chemnitz, Stadt ±16,7 52,6 1,3 ±11,9 21,8 415,5 16,1 24,1Halle (Saale), Stadt ±16,7 44,1 1,2 ±15,7 25,5 335,4 14,4 21,5Magdeburg, Landeshauptstadt ±11,2 49,5 1,4 ± 9,6 23,5 459,5 12,7 26,1Gera, Stadt ±21,6 55,2 1,1 ±12,2 23,2 295,8 11,0 24,1Mittelwerte der ClusterstädteMittelwerte aller Groûstädte±16,9± 2,150,545,11,31,4±13,1± 0,223,615,4380,0873,413,911,924,625,2änderung die neueren Entwicklungen achtsam aufzugreifenund ggf. die prioritären Maûnahmen zu modifizieren.Ziel muss es sein, die sehr hohen Bevölkerungsrückgängesowie die Prozesse der »Entjüngung« mittel- undlangfristig zu stoppen. In diesem Zusammenhang wird eswichtig sein, aktiv und handlungsorientiert vorzugehen,dabei auch neue Wege zu beschreiten und kreative Experimentezu wagen und gleichzeitig Trendbrüche und anderemögliche Entwicklungen sensibel zu verfolgen undeinzubeziehen.Die anhaltenden Abwanderungen erodieren die ökonomischeBasis der Kommunen. Aufgrund der Abwanderungsverlusteder Hochqualifizierten und der Bildungswandererund Berufseinsteiger müssen sich die Groûstädteauf einen deutlichen Fachkräftemangel einstellen. Einerfolgreicher Umstrukturierungsprozess und die Schaffungneuer Arbeitsplätze wird somit grundlegend davonabhängen, ob es gelingt, die Abwanderung junger undqualifizierter Arbeitskräfte (»brain drain«) zu stoppenund umzukehren. Hierfür muss die Attraktivität der Groûstädtefür junge Erwachsene erhöht, zu Existenzgründungenermutigt und Ausbildungsplätze geschaffen werden.Gleichzeitig sollten jedoch ± ähnlich wie in den schrumpfenden(Ruhrgebiets-)Städten des Groûstädte-Clusters 2 ±auch die jungen Senioren qualifiziert und länger in denArbeitsmarkt einbezogen werden.Eine wichtige Herausforderung für die Groûstädte istes, die Siedlungsentwicklung auch im Hinblick auf einezukünftige effiziente technische Infrastruktur auszurichten.Dies erfordert eine Konzentration der Siedlungsentwicklungund der Aufbau dezentraler Systeme. Für denWohnungsmarkt gilt, sich auf die Verschiebung der Zielgruppeneinzustellen und ggf. auch die Fusion von Wohnungsunternehmenin Betracht zu ziehen. Eine Verdopplungder Hochaltrigen (über 80-Jährigen) auf mehr alszehn Prozent schafft einen neuen Markt für betreutesWohnen und die entsprechenden Dienstleistungen.43


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>44HandlungsansätzeDie schrumpfenden und alternden ostdeutschen Groûstädtekönnen die übergreifenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen,die Prozesse des demographischen <strong>Wandel</strong>s unddes wirtschaftlichen Niedergangs durch kommunale Handlungennur begrenzt beeinflussen. Allerdings können dieKommunen einen aktiven Beitrag leisten, um sich den Folgender Schrumpfung anzupassen und günstige Rahmenbedingungenfür neue Entwicklungschancen zu schaffen.Eine aktive, zukunftsgewandte Stadtpolitik ist auch unterden schwierigen Bedingungen schrumpfender Städte unverzichtbar.Dabei gilt es, sich prioritär mit folgenden Handlungsfeldernzu befassen:1. Bedarfsgerechter Stadtumbau mit räumlicher Konzentrationdes Mitteleinsatzes· Konzentration auf stabile Siedlungskerne (Revitalisierungder Zentren, Entwicklung der gewerblichenSchwerpunkte, Aufwertung des Wohnumfeldes)· selektiver randstädtischer Rückbau mit flächenhaftemRückbau der Infrastruktur· Infrastruktur an einen sinkenden Bedarf anpassen· Stadtumbaumonitoring installieren· »Geduld als Tugend«, Experimente ermöglichen undleer stehende Gebäude und Brachen mitunter einfachliegen lassen2. Regionale Clusterpolitik· regionale Branchenschwerpunkte und endogenePotenziale des Mittelstands fördern· regionale Vernetzungen unterstützen (als Impulsgeberund Moderator agieren, Bewusstseinsbildungfördern, Anreize und Unterstützung für Kooperationen,Plattformen organisieren)· endogene Potenziale durch die lose institutionelleVerkopplung von Wissenschaft, Politik und Wirtschaftaktivieren· Netzwerkstrukturen weiterentwickeln und diversifizieren3. Kinder- und Familienfreundlichkeit· umfassend und zielgruppenorientiert die Bausteineeiner kinder- und familienfreundlichen Kommuneumsetzen (siehe ab Seite 134)· das relativ gute Angebot zur Kindertagesbetreuungaufrechterhalten· die Stadtgesellschaft für familien- und kinderfreundlicheMaûnahmen aktivieren4. Seniorengerechte Stadt· Potenziale des Alters nutzen (seniorenspezifischeBeratungen, Ehrenamtsbörsen oder Seniorenbüroseinrichten, Senioren in Planungsprozesse aktiv einbeziehen)· Bildungsmöglichkeiten im Alter fördern (Bildungsberatungälterer Menschen, Qualifizierungsangebotefür Senioren)· Wirtschaftskraft Alter nutzen (die Entwicklungseniorenorientierter Produkte und Dienste initiierenund unterstützen, Erfahrungswissen ¾lterer nutzen)· neue Wohnkonzepte im Alter realisieren (Wohnungsbestandstrukturell umbauen, neue Wohnformenschaffen, erproben und unterstützen, integriertePlanung der sozialen Infrastruktur)· Alter und Pflege optimal vereinbaren (Wohn- undPflegeberatung, Soziale Dienstleistungen, Maûnahmenzur besseren Vereinbarkeit von Beruf undPflege usw.)


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Typ 4:Prosperierende WirtschaftszentrenRäumliche EinordnungDie 19 Wirtschaftszentren mit einer hohen wirtschaftlichen Dynamik konzentrieren sich auf die süd- und westdeutschenAgglomerationsräume der alten Bundesländer. Ostdeutsche Städte sind in diesem Cluster nicht enthalten. Nebendem Stadtstaat Hamburg gehören mit Stuttgart, München, Düsseldorf und Mainz vier Landeshauptstädte dazu.Die Städte dieses Demographietyps finden Sie in der Tabelle auf Seite 47.Die Städte liegen zentralräumlich in den über die LandesundStaatsgrenzen hinweg reichenden Siedlungs- und Verkehrskorridorenund dabei gleichermaûen in den wieauch abseits der europäischen Metropolregionen. Sie sindin allen Gröûenklassen über 100 000 Einwohner vertreten.Zu den bevölkerungsreichsten gehören die MillionenstädteHamburg und München. Die kleinste ist Erlangenmit knapp 103 000 Einwohnern.Charakteristische EntwicklungenDie prosperierenden Wirtschaftszentren tragen als wichtigeMotoren der wirtschaftlichen Entwicklung wesentlichzur internationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands(und auch Europas) bei. Charakteristisch ist diehohe wirtschaftliche Dynamik und Prosperität, die sichseit der Jahrhundertwende auch positiv auf die demographischeEntwicklung dieser Groûstädte auswirkt. Auffälligeökonomische Charakteristika sind vor allem der sehrhohe Akademikeranteil, das starke Arbeitsplatzwachstumund die hohen kommunalen Steuereinnahmen.Ende der 1990er Jahre stagnierte die Bevölkerungsentwicklungnoch bzw. war relativ stabil. Bis <strong>2020</strong> werdendie Städte voraussichtlich wieder wachsen (zum Teilin sehr groûem Umfang), obwohl Familien auch weiterhinnoch ins Umland abwandern werden. Sehr hohe Wanderungsgewinnebei den jungen Erwachsenen, d.h. bei denBerufseinsteigern und Bildungswanderern, überkompensierendie Abwanderungen.Eine relativ junge Altersstruktur verdeutlicht einenaktuell unterdurchschnittlichen Alterungsprozess. Diesersetzt sich in Zukunft fort und verlangsamt sich sogaretwas im Vergleich zu den anderen Groûstädte-Clustern.Abgesehen von den relativ niedrigen Geburtenraten sindweder die Schrumpfungs- noch die Alterungsprozesseproblematisch. Das zentrale Themenfeld der Zukunft istaus demographischer Perspektive ± neben der internationalenWettbewerbsfähigkeit ± die wachsende sozialräumlicheSpaltung der Gesellschaft, die in manchen Stadtteilenerhebliche Integrationsleistungen erforderlich macht.Stabile bis wachsende BevölkerungsentwicklungZwischen 1996 und 2003 hat sich die Zahl der Einwohnerin den meisten Städten nur geringfügig verändert. Fünfdieser 19 Groûstädte verzeichneten Gewinne zwischendrei und sechs Prozent.Dieser Trend wird sich voraussichtlich fortsetzen, sodass<strong>2020</strong> in gut der Hälfte der Städte die Einwohnerzahlin etwa der gegenwärtigen entsprechen wird. Hohe Wachstumsratenvon fünf Prozent und mehr werden neben Müncheninsbesondere für die regionalen Wirtschaftszentrenabseits der Metropolregionen prognostiziert. Die Bevölkerungsentwicklungder anderen Wirtschaftszentren liegtüberwiegend zwischen zwei Prozent Zuwachs und zweiProzent Abnahme; nur eine (Frankfurt am Main) verzeichneteinen Bevölkerungsrückgang von drei Prozent.Ein weiteres wichtiges Merkmal dieses Demographietypsist der hohe Besatz ausländischer Haushalte, mitdurchschnittlich zwölf Prozent der höchste aller Groûstädte-Cluster.Hohe Zuwanderungsgewinne bei jungen ErwachsenenDen stabilen bzw. wachsenden Einwohnerzahlen liegenhohe Wanderungsgewinne bei jungen Erwachsenen zugrunde.Unter den 18- bis 24-Jährigen, also denjenigen,die sich in Ausbildung befinden oder ins Berufsleben einsteigen,gehören die Städte dieses Typs zu den attraktivs-45


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Profil des Demographietyps 4ten Wohnorten. Hinsichtlich der Wanderungsgewinnenimmt dieser Typ den Spitzenplatz unter den Groûstädte-Clustern ein. Durch die sehr hohen Gewinne bei den jungenLeuten konnten die Wanderungsverluste in den mittlerenAltersgruppen und bei den Familien in der Regelüberkompensiert werden.Verlangsamte AlterungsprozesseDie Altersstruktur ist von dem überproportional hohenAnteil junger Erwachsener geprägt, während Kinder undältere Menschen leicht unterrepräsentiert sind. Der Alterungsprozesswird aufgrund dieser Strukturen relativlangsam verlaufen.Die Altersgrenze, die die Bevölkerung in zwei gleichgroûe Gruppen teilt (Medianalter), wird bis <strong>2020</strong> gegenüber2003 voraussichtlich um drei Jahre auf dann 42 Jahreansteigen und damit deutlich unter dem Durchschnitt derGroûstädte von 45 Jahren liegen. Gleichzeitig wird derAnteil der über 60-Jährigen lediglich von aktuell 23 auf26 Prozent im Jahr <strong>2020</strong> ansteigen. Sowohl aktuell alsauch zukünftig wird der Anteil der Senioren an der Gesamtbevölkerungnur gering zunehmen. Der Anteil derHochaltrigen über 80 Jahre wird dabei um etwa die Hälftezunehmen und dann gut sechs Prozent betragen; auchdies ist ein verhältnismäûig geringer Wert.In den Städten dieses Typs liegt der Anteil an Einpersonenhaushaltenüber dem Durchschnitt aller Groûstädteüber 100 000 Einwohner ± kein überraschender Befund beiden hohen Zuwanderungsraten der 18- bis 24-Jährigen.Gleichzeitig gibt es relativ wenig Mehrpersonenhaushaltemit Kindern. In fünf der 19 Städte machen sie weniger als20 Prozent aller Haushalte aus, das sind sehr niedrigeWerte. Sie korrespondieren mit den geringen Geburtenraten,die diesen Typ kennzeichnen.Wirtschaftliche ProsperitätDie Hälfte dieser Groûstädte sind Zentren europäischerMetropolregionen bzw. Teile von polyzentrischen europäischenMetropolregionen (Hamburg, Frankfurt, Stuttgart,München, Düsseldorf, Mainz, Darmstadt, Heidelberg). Siesind stark international ausgerichtet. Daneben gibt esallerdings auch prosperierende Wirtschaftszentren, dieabseits liegen: Sie sind ausnahmslos entweder Konzernsitzeines groûen Unternehmens (Ingolstadt, Wolfsburg)oder haben bedeutende Bildungs- und Verwaltungseinrichtungen(Münster, Aachen, Bonn, Karlsruhe, Freiburg,Ulm, Würzburg, Regensburg).Die prosperierenden Wirtschaftszentren verfügen übereine Reihe von Forschungsbetrieben und Unternehmender Hochtechnologie, die oft aus den Fachhochschulen undUniversitäten entstanden sind. Sie befördern die dynamischeWirtschaftsentwicklung und drücken sich in dergroûen Zahl hochwertiger Arbeitsplätze bzw. in dem groûenAnteil hoch qualifizierter Arbeitskräfte aus. Dieserliegt durchschnittlich bei 16,5 Prozent und reicht bis25 Prozent. Ausgeprägtes Merkmal ist somit ± insbesonderefür die regionalen Wirtschaftszentren abseits dereuropäischen Metropolregionen ± die enge Kopplung zwischenden Hochschulen und der lokal ansässigen Wirtschaft.Auffällig ist der sehr hohe Anteil an Arbeitsplätzen imDienstleistungssektor von über 70 Prozent. Das verarbeitendeGewerbe spielt daher in den meisten Städten diesesTyps eine eher nachrangige Rolle. Bemerkenswert ist auchdie hohe Erwerbstätigenquote von Frauen.Aufgrund ihrer hohen Wirtschaftskraft stellen die prosperierendenWirtschaftszentren wie auch die stabilenGroûstädte aus Cluster 1 überproportional viele Arbeitsplätzefür die Erwerbstätigen der umliegenden Städte undGemeinden zur Verfügung. Die Entwicklung der letzten46


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Die Indikatoren des Demographietyps 4 im ÜberblickNameFür die groûen prosperierenden Wirtschaftszentren istder demographische <strong>Wandel</strong> Herausforderung und Entwicklungschancezugleich. Sie verfügen im Hinblick aufAlterung und Schrumpfung über eine gute Basis, diedurch die gute wirtschaftliche Situation unterstützt wird.Die positive Ausgangslage zu stärken und frühzeitig aktivden absehbaren Entwicklungen zu begegnen, ist daherbesonders wichtig.Demographisch gesehen sind diese Groûstädte in derGesamtsicht zwar weder von Schrumpfung noch von Überalterungbesonders stark betroffen; gleichwohl werdenauch hier ± vor allem stadtteilbezogen ± soziodemographischeFolgen der Entwicklung deutlich spürbar sein,die es abzufedern gilt. Das betrifft vor allem die zunehmendePolarisierung von Lebenslagen und Lebensformen.Dauerarbeitslosigkeit, Hilfsbedürftigkeit und Armut, aberauch nichtdeutsche Bevölkerungsgruppen konzentrierensich in bestimmten Stadtteilen und führen zu vielfältigenProblemlagen sozialer Segregation. Verschärft werdendiese Entwicklungen dadurch, dass sozial stabilere Bevöl-Bevölkerungsentwicklung2003 bis <strong>2020</strong>in ProzentMedianalter<strong>2020</strong>in JahrenArbeitsplatzzentralitätArbeitsplatzentwicklung1998 bis 2003in ProzentArbeitslosenquotein ProzentKommunaleSteuereinnahmenin EuroAnteilhochqual.Beschäftigterin ProzentAnteil Mehrpersonenhaushaltemit Kindernin ProzentHamburg 2,8 42,6 1,3 2,6 13,4 1433,6 11,4 23,9Wolfsburg, Stadt ± 2,0 46,4 2,2 22,1 10,2 1487,0 7,0 26,5Düsseldorf, Landeshauptstadt 0,2 45,3 1,8 1,9 13,1 1696,0 13,9 15,8Aachen, Stadt 10,4 39,1 1,5 5,1 15,5 877,3 18,9 19,7Bonn, Stadt 4,5 42,4 1,5 ± 0,1 11,1 1144,7 20,7 23,3Münster, Stadt 0,9 40,9 1,5 8,7 11,2 1173,7 17,0 24,6Darmstadt, Stadt 1,0 43,0 1,8 4,0 11,2 959,4 20,3 26,3Frankfurt am Main, Stadt ± 3,0 42,0 2,1 5,3 11,2 2263,8 16,3 15,9Mainz, Stadt 1,4 42,4 1,5 2,6 10,3 1041,3 18,1 24,1Stuttgart, Landeshauptstadt ± 2,0 41,6 1,7 3,6 9,5 1325,1 16,9 20,6Karlsruhe, Stadt 2,2 44,3 1,6 6,1 11,3 1073,9 16,2 23,6Heidelberg, Stadt ± 0,5 40,5 1,9 6,2 9,7 885,1 24,9 20,3Freiburg im Breisgau, Stadt 7,2 40,6 1,6 4,4 11,9 898,3 17,6 22,1Ulm, Stadt 4,7 42,1 1,9 1,0 10,3 946,3 14,6 30,3Ingolstadt, Stadt 7,8 43,1 1,7 13,4 10,2 1245,8 9,9 39,0München, Landeshauptstadt 7,8 42,4 1,4 6,5 9,2 1517,2 18,7 17,5Regensburg, Stadt 4,3 42,7 2,2 10,0 12,4 1094,3 15,9 24,1Erlangen, Stadt ± 0,4 42,0 1,9 5,6 9,2 1084,8 23,3 29,1Würzburg, Stadt 5,6 38,9 1,9 0,9 11,5 803,8 13,9 17,9Mittelwerte der ClusterstädteMittelwerte aller Groûstädte2,8±2,142,245,11,71,45,8± 0,211,215,41208,0873,416,611,923,425,2Jahre verlief durchweg positiv: Die Zahl der Arbeitsplätzestieg von 1998 bis 2003 durchschnittlich um knapp sechsProzent. Zehn der 19 Städte konnten die Zahl um überfünf Prozent steigern, die anderen hielten sie weitgehendstabil. Keine Stadt verzeichnete gröûere Verluste.Die durchschnittlichen kommunalen Steuereinnahmenvon 1200 Euro pro Kopf und Jahr stellen den höchstenWert aller Groûstädte-Cluster dar. Sie liegen ein Drittelhöher als der Durchschnitt aller Groûstädte unddoppelt so hoch wie der Durchschnitt aller Städte und Gemeindenzwischen 5000 und 100 000 Einwohnern. Dieserhohe Wert deutet auf relativ groûe kommunale Handlungsspielräumehin.Die Arbeitslosigkeit von zehn bis elf Prozent entsprichtden Durchschnittswerten der Groûstädte in denalten Bundesländern. Die Ausprägungen der weiterensozialen und wirtschaftlichen Indikatoren, wie der Besatzoberer und unterer Einkommensgruppen und die durchschnittlicheKaufkraft sowie der Anteil an Akademikern,verweisen auf recht groûe privilegierte Bevölkerungsgruppenin diesen Städten, jedoch auch auf eine groûeSpaltung der Gesellschaft.Herausforderungen für die Städte47


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>kerungsgruppen diese Stadtteile zunehmend verlassen.Hier sind deshalb frühzeitig kreative und quartiersbezogeneMaûnahmen notwendig, um langfristig eine sozialeStabilität zu schaffen.Mit der Vermeidung der sozialen Segregation einhergehen Anforderungen an die Integration in den Städten.Aufgrund ihrer teils ausgeprägten Internationalität, vorallem aber ihrer prosperierenden wirtschaftlichen Entwicklung,müssen die Städte dieses Clusters wie auch dieaus Cluster 1 von einer weiterhin bedeutsamen Zuwanderungvon Migranten ausgehen. Dieses Potenzial gilt eszum einen zu nutzen, um die urbane Attraktivität unddie wirtschaftliche Leistungskraft weiter zu erhöhen,zum anderen muss aber auch den Herausforderungen desjetzt schon höchsten Anteils ausländischer Haushalte inallen Groûstädten insgesamt begegnet werden. Dies zusammengenommenerfordert groûe Anstrengungen im Bereichder Integration.Die Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung musshier oberste Priorität haben. Als Motoren der bundesdeutschenWirtschaftsentwicklung stehen diese Städte ineiner besonderen Verantwortung. So ist die Profilierungim Wettbewerb der Wirtschaftszentren ± vor allem auchinternational ± weiterhin zu verstärken, um sich langfristigals überregional und international bedeutsamer Wirtschafts-,Arbeits- und Innovationsstandort etablieren zukönnen.Letztlich kommt den Städten mit ihrer überregionalenund teils auch internationalen Ausstrahlungskraft eineVorbildfunktion bei der Gestaltung der Folgen des demographischen<strong>Wandel</strong>s zu. In dieser Funktion, mit vieleninnovativen Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft,können sie frühzeitig in den verschiedenen kommunalenHandlungsfeldern ± auch modellhaft ± aktiv werden.48


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>HandlungsansätzeDie Auswirkungen des demographischen <strong>Wandel</strong>s werdenin den Groûstädten in nahezu allen Feldern der Stadtentwicklungspürbar sein. Daher ist es erforderlich, ressortübergreifendeGesamtprozesse zu initiieren. Ziel ist es, dendemographischen <strong>Wandel</strong> umfassend zu bearbeiten und imDialog mit den lokalen Akteuren aus Politik, Verwaltungund Bürgerschaft, den kommunalen Entscheidern und denFachressorts Maûnahmenpakete zu entwickeln. Dabeikommt es angesichts der Finanzsituation auf klare Prioritätenan. Diese werden in folgenden Handlungsfeldern gesehen.1. Sozialer Segregation entgegenwirken und aktive IntegrationspolitikbetreibenSegregation und Integration gehören in nahezu allenGroûstädten zu den wichtigsten kommunalen Handlungsfeldern.Den absehbaren oder bereits spürbarenFolgen ist in den Städten aktiv zu begegnen ± im Interesseder Menschen, aber auch des Wirtschaftsstandortesund mit Blick auf die Vorbildfunktion dieserStädte:· sozial stabile und integrative Stadtteilpolitik etablierenund im Sinne ganzheitlicher Ansätze neu ausrichten· sozialen Segregationsprozessen entgegenwirkendurch Maûnahmen in Bildung, Sprachförderung, Partizipationund Städtebau (z.B. Bildungs- und Ausbil±dungsoffensive für junge Menschen in sozial benachteiligtenMilieus)· zehn Handlungsempfehlungen für Integrationspolitikumsetzen (siehe ab Seite 155)2. Kinder- und Familienfreundlichkeit ± Chance für dieZukunftEntscheidend ist die umfassende und zielgruppenorientierteUmsetzung der Bausteine einer kinder- und familienfreundlichenKommune (siehe ab Seite 134), angepasstan die stadtteilspezifischen Anforderungen undMöglichkeiten. Dazu gehören:· ein qualitätsvolles Bildungsangebot auch in Schulenmit hohem Ausländeranteil· durchgängige, verlässliche und flexible Betreuungsstrukturen,Beratungsangebote für Familien sowiequalitätsvolle Freizeiteinrichtungen· ein qualitätsvolles und sicheres Wohnumfeld sowiebezahlbarer Wohnraum, um die Attraktivität derStädte für mittelständische Familien zu erhöhenund eine Trendumkehr der abwandernden Familienhaushalteeinzuleiten bzw. zu stärken, insbesonderebei der Betreuung· eine spezielle Förderung der Kinder aus sozial benachteiligtenFamilienAus der Bedeutung, die diese Groûstädte als Motoren derwirtschaftlichen Entwicklung für die Region und die Bundesrepublikinsgesamt übernehmen, resultiert ihre Verantwortung,sich als (Wirtschafts-)Zentren weiter ± auch international± zu profilieren und ihre Position im Wettbewerbder Regionen in interkommunaler Kooperation auszubauen.Weitere ausführliche Informationen zu den Handlungsansätzenfür die Kommunen dieses Clusters finden Sie imInternet unter www.aktion2050.de/wegweiser.49


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Typ 5:Stabile Groûstädte mit hohem FamilienanteilRäumliche EinordnungDie elf Groûstädte liegen vor allem am Rande des Ruhrgebiets sowie im (Pendler-)Einzugsbereich von Stuttgart undKarlsruhe. Sie befinden sich damit ausschlieûlich in Nordrhein-Westfalen (acht Städte) und Baden-Württemberg (dreiStädte).Die Städte dieses Demographietyps finden Sie in der Tabelle auf Seite 52.Bei den Städten dieses Clusters handelt es sich ausschlieûlichum kleinere Groûstädte zwischen 100 000 und200 000 Einwohnern. Am gröûten ist Hamm mit knapp185 000 Einwohnern.Diese überwiegend kreisfreien Städte oder (groûen)Kreisstädte fungieren als urbane Subzentren im verstädtertenRaum zwischen den peripheren ländlichen Räumenund dem Ruhrgebiet bzw. den Kernstädten Stuttgartund Karlsruhe. Sie gehören darüber hinaus ± mit Ausnahmevon Pforzheim und Siegen ± den beiden europäischenMetropolregionen Rhein-Ruhr und Stuttgart an.Charakteristische EntwicklungenDie Städte zeichnen sich vor allem durch ihre hoheAttraktivität als Wohnorte für Familien und ihren überproportionalhohen Anteil an Kindern und Jugendlichen(unter 18-Jährigen) aus. Sie bilden das Zentrum eineseigenen Arbeitsmarktes, sind Handels- und Kulturzentrumfür ihr Umland.Die Städte des Clusters 5 haben im Vergleich zu denanderen Groûstädte-Clustern durchschnittlich sowohl diehöchste Geburtenrate als auch den höchsten Anteil anMehrpersonenhaushalten mit Kindern.Dennoch finden auch hier leicht rückläufige Bevölkerungsentwicklungensowie Alterungsprozesse statt, die demMittel aller Groûstädte-Cluster entsprechen. Aufgrund dergeringen Arbeitsmarktdynamik weisen die Städte zudemunterdurchschnittliche Wanderungsgewinne bei den Berufseinsteigernund Bildungswanderern auf. ¾hnlich wiebeim Groûstädte-Cluster 2, das die gröûeren Ruhrgebietsstädterepräsentiert, können sie lediglich auf einen unterproportionalenAnteil hoch qualifizierter Beschäftigter zurückgreifen.¾hnlich sind ebenfalls ihre vergleichsweisegeringen finanziellen Handlungsspielräume.Hohe Attraktivität für Familien mit KindernCharakteristisches Merkmal der Groûstädte ist die hoheAttraktivität als Wohnort für Familien. So ist dieses Clusterdas einzige Groûstädte-Cluster mit überwiegend positivenWanderungssalden für Familien, d.h. in den Altersgruppender 30- bis 49-Jährigen sowie der unter 18-Jährigen.Die moderaten Wanderungsgewinne kennzeichnen sieals suburbane Wohnorte mit hohen (Aus-)Pendlerraten.Dies sind Eigenschaften, die für Groûstädte eigentlich untypischsind und tendenziell eher kleineren Umlandgemeindenzugewiesen werden.Hier finden sich preiswerter Wohnraum mit hohemWohnwert, ein »komplettes« Versorgungs- und Freizeitangebotsowie intakte soziale Nachbarschaften. Zusammenmit dem gehobenen und umfassenden schulischenAngebot erklärt sich so die hohe Attraktivität dieser kleinerenGroûstädte für Familien mit Kindern.Auffällig ist auch der überproportional hohe Anteil anKindern und Jugendlichen unter 18 Jahren, der aktuellder höchste aller Groûstädte-Cluster ist und mit 18,5 zweiProzent über dem Mittel liegt. Auch wenn der Anteilvoraussichtlich bis <strong>2020</strong> um drei Prozent zurückgehenwird, ändert sich zukünftig nichts an der Spitzenstellung.Sie ist auf die überproportional hohen Geburtenraten indiesen Städten zurückzuführen sowie auf die positivenWanderungsgewinne bei den Familien.Spezifisch für diese Groûstädte ist deshalb auch der imVergleich zu den anderen Clustern höchste Anteil an Mehrpersonenhaushaltenmit Kindern. Er liegt mit fast 35 Prozentdeutlich über den anderen Groûstädte-Clustern undnimmt eher typische Ausprägungen von kleineren (suburbanen)Städten unter 100 000 Einwohnern an. Die Mehrpersonenhaushaltemit Kindern und die Einpersonenhaushaltehalten sich in diesen Groûstädten in etwa dieWaage. Der Anteil ausländischer Haushalte entspricht50


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Profil des Demographietyps 5dem Durchschnitt für Groûstädte in den alten Bundesländern.Stagnierende Bevölkerungsentwicklungbei leicht überdurchschnittlichen AlterungsprozessenDie Groûstädte kennzeichnet eine bislang weitgehend stabileBevölkerungsentwicklung. Zwischen 1996 und 2003veränderte sich die Einwohnerzahl in allen elf Städtennur geringfügig. Dieser Trend wird sich für die meistenvoraussichtlich fortsetzen, sodass ihre Einwohnerzahl imJahr <strong>2020</strong> in etwa so groû sein wird wie gegenwärtig.Allerdings setzt fast überall eine leicht negative Tendenzein. Für vier Städte wird sie bis <strong>2020</strong> voraussichtlichschon zu einem deutlichen Rückgang der Bevölkerungzwischen vier und acht Prozent führen.Hohe PendlerverflechtungenDie Arbeitsplätze der Beschäftigten sind zu über 35 Prozentim verarbeitenden Gewerbe angesiedelt. Diese vergleichsweisestarke Bedeutung geht einher mit einer ehermittelständisch geprägten Betriebsstruktur. Gleichzeitigist der Anteil an hoch qualifizierten Beschäftigten gering.Die Frauenerwerbsquote, die deutlich unter der der Männerliegt, weist auf eher traditionell geprägte Arbeitsmarktstrukturenhin.Die Städte dieses Demographietyps zeichnen sich durchhohe Pendlerverflechtungen sowohl zum ländlichen Raumals auch zu den benachbarten Kernstädten aus. Sieben derelf Städte verzeichnen Einpendlerüberschüsse. Da diese oftsehr moderat ausfallen, können lediglich die Hälfte derGroûstädte als regionale Arbeitsplatzzentren aufgefasstwerden. Die andere Hälfte sind eher klassische Wohnorteim suburbanen Raum.Die tendenziell unterdurchschnittliche Bedeutung alsArbeitsplatzzentrum wird ebenfalls durch die niedrigenWanderungsgewinne bei den Berufseinsteigern und Bildungswandererndeutlich. Auch wenn die Wanderungsgewinneunter den 18- bis 24-Jährigen durchschnittlichetwas höher ausfallen als bei den benachbarten, zentralräumlichgelegenen Groûstädten des Clusters 2 der gröûtenteilsschrumpfenden Ruhrgebietsstädte, sind sie dochim Vergleich zum Mittel aller Groûstädte-Cluster deutlichgeringer. Dabei werden ähnliche Muster erkennbar wiebei den Pendlerüberschüssen. Nur acht der elf Städte verzeichnenWanderungsgewinne, die meist sehr gering ausfallen.Die Arbeitslosenquote liegt in neun Groûstädten relativhomogen zwischen zwölf und 14 Prozent und damit unterden Durchschnittswerten auch der westdeutschen Städte.Nur Reutlingen (9 Prozent) und Hamm (17 Prozent) liegenauûerhalb dieses Korridors.Auch die Ausprägungen der weiteren sozialen und wirtschaftlichenIndikatoren lassen nicht auf gröûere Problemeschlieûen. Bei der durchschnittlichen Kaufkraft nimmt diesesCluster sogar die Spitzenstellung aller Groûstädte-Clusterein. Der Besatz oberer Einkommensgruppen und die Erwerbstätigenquoteliegen über dem Mittel aller Groûstädte,und der Anteil unterer Einkommensgruppen liegt darunter.Herausforderungen für die StädteDie Groûstädte dieses Demographietyps verfügen übergünstige Ausgangsbedingungen im Standortwettbewerb.Diese Vorteile können sie für die weitere Entwicklungund den bevorstehenden <strong>Wandel</strong> der Bevölkerungsstruktur(Alterung) frühzeitig und aktiv nutzen.51


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Die Indikatoren des Demographietyps 5 im ÜberblickNameBevölkerungsentwicklung2003 bis <strong>2020</strong>in ProzentMedianalter<strong>2020</strong>in JahrenArbeitsplatzzentralitätArbeitsplatzentwicklung1998 bis 2003in ProzentArbeitslosenquotein ProzentKommunaleSteuereinnahmenin EuroAnteilhochqual.Beschäftigterin ProzentAnteil Mehrpersonenhaushaltemit Kindernin ProzentRemscheid, Stadt ±8,1 46,6 1,1 ±9,2 12,7 886,1 5,7 31,9Solingen, Stadt ±4,2 47,7 0,9 ±3,3 12,3 888,3 6,5 36,6Neuss, Stadt 1,4 45,8 1,2 ±0,3 12,4 1184,3 8,7 31,7Moers, Stadt 0,2 49,3 0,9 2,8 13,0 642,9 7,6 38,9Leverkusen, Stadt ±2,5 47,3 1,2 ±5,5 13,0 967,1 8,1 31,0Bergisch Gladbach, Stadt ±4,9 49,8 0,9 3,6 12,2 812,6 14,2 34,2Hamm, Stadt 1,1 45,0 1,0 ±1,8 17,4 562,5 5,1 41,0Siegen, Stadt ±6,5 44,3 1,3 ±3,4 13,8 738,8 8,2 38,7Heilbronn, Stadt 0,3 44,5 1,5 ±3,3 12,2 1044,2 6,8 34,4Pforzheim, Stadt 2,6 46,0 1,2 ±5,8 12,9 938,8 6,0 27,8Reutlingen, Stadt ±0,1 45,2 1,2 0,1 8,9 864,5 10,8 34,0Mittelwerte der ClusterstädteMittelwerte aller Groûstädte±1,9±2,146,545,11,11,4±2,4±0,212,815,4866,4873,48,011,934,625,2Die Kommunen haben die groûe Chance, sich als kinder-und familienfreundliche Groûstädte zu behaupten,indem sie die vorhandenen Stärken ausbauen und denWettbewerbsvorteil insbesondere gegenüber den hochverdichteten Stadträumen in der Nachbarschaft betonen.Durch eine systematische Verbesserung und Ergänzungder Wohn- und Lebensbedingungen kann so ein Umfeldentstehen, das durch ein klares Profil als familienfreundlicheStadt z.B. auch die Standortwahl von Unternehmenpositiv beeinflussen könnte.Aufgrund ihrer Erfahrungen, ihres Know-hows undihrer verfügbaren Zeit können vor allem die gut ausgebildetenund erfahrungsreichen »jungen Alten« für dieNachbarschaften von groûem Nutzen sein. Für Kontakteund darauf aufbauende Aktivitäten und Unterstützungsleistungensind sowohl die kleinräumige Mischung zu organisierenals auch Möglichkeiten der Begegnung. Dieserfordert ein kontinuierliches Stadtteilmanagement, evtl.auch auf bürgerschaftlicher Basis.Die meisten Städte dieses Clusters haben ein nachauûen hin wenig wahrnehmbares Image. Erfolg und überregionaleWahrnehmung werden sich einstellen, wenndas Image der Stadt klar ist und vermittelt werden kann.Weiterhin sollten diese Städte den Anteil der hochqualifizierten Beschäftigten am Wohnort erhöhen. Dennes werden nur solche Betriebe und Belegschaften denwirtschaftlichen Strukturwandel erfolgreich bestehen, dieinnovative Produkte erfinden und sich in modernenArbeitsformen flexibel organisieren. Zudem bringt einegeringe Qualifikation ein erhöhtes Arbeitsmarktrisikomit sich. Darüber hinaus binden sich gut ausgebildeteFrauen (und Männer) nur dann an den Betrieb und dieKommune, wenn sie Familie und Beruf vereinbar lebenkönnen. Dies wird bereits in ein paar Jahren umso wichtiger,wenn weniger junge Menschen aus dem Bildungssystemins Erwerbsleben kommen werden.52


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>HandlungsansätzeDie Auswirkungen des demographischen <strong>Wandel</strong>s werdenin diesen Groûstädten in nahezu allen Feldern der Stadtentwicklungspürbar sein. Daher müssen ressortübergreifendeGesamtprozesse initiiert werden. Ziel ist es, dendemographischen <strong>Wandel</strong> umfassend zu bearbeiten und imDialog mit den lokalen Akteuren aus Politik, Verwaltungund Bürgerschaft, den kommunalen Entscheidern und denFachressorts Maûnahmenpakete zu entwickeln. Dabeikommt es angesichts der Finanzsituation auf klare Prioritätenan. Diese werden in den folgenden Handlungsfelderngesehen.1. Kinder- und Familienfreundlichkeit ± Chance für die ZukunftEntscheidend ist die umfassende und zielgruppenorientierteUmsetzung der Bausteine einer kinder- undfamilienfreundlichen Kommune (siehe ab Seite 134), angepasstan die stadtteilspezifischen Anforderungen undMöglichkeiten.Dazu gehören:· ein qualitätsvolles Bildungsangebot auch in Schulenmit hohem Ausländeranteil· durchgängige, verlässliche und flexible Betreuungsstrukturen,Beratungsangebote für Familien sowiequalitätsvolle Freizeiteinrichtungen· ein qualitätsvolles und sicheres Wohnumfeld sowiebezahlbarer Wohnraum, um die Attraktivität derStädte zu erhöhen· eine spezielle Förderung der Kinder aus sozial benachteiligtenFamilien2. Wohnstadtteile generationenverbindend weiterentwickelnEine besonders groûe Chance liegt darin, die Stadtgesellschaftim Dialog der Generationen weiterzuentwickeln.Empfohlen werden etwa folgende Aktivitäten:· lebenslagenspezifische Wohnformen im Quartier mischen· Nachbarschaften und die Integration Neuzugezogenerfördern· Anlässe zum Dialog der Generationen schaffen3. Sozialer Segregation entgegenwirken und aktive IntegrationspolitikbetreibenSegregation und Integration gehören in nahezu allenGroûstädten zu den wichtigsten kommunalen Handlungsfeldern.Den absehbaren oder bereits spürbaren Folgenist in den Städten aktiv zu begegnen ± im Interesse derMenschen, aber auch des Wirtschaftsstandortes undmit Blick auf die Vorbildfunktion dieser Städte:· sozial stabile und integrative Stadtteilpolitik etablierenund im Sinne ganzheitlicher Ansätze neu ausrichten· sozialen Segregationsprozessen entgegenwirkendurch Maûnahmen in Bildung, Sprachförderung,Partizipation und Städtebau (z.B. Bildungs- undAusbildungsoffensive für junge Menschen in sozialbenachteiligten Milieus)· zehn Handlungsempfehlungen für Integrationspolitikumsetzen (siehe ab Seite 155)4. Handelszentralität sichern und Stadtimage schärfenEin Stärkenprofil »familienfreundliche kleine Groûstadt«klärt die Substanz der Werbeargumente:· Marketingstrategie »Stadt XY ± Heimat für Familien«entwickeln mit Zielen und Schritten derÖffentlichkeitsstrategie; Investoren werben mit Hinweisauf günstige Altersstruktur und Entwicklungsperspektiven· zusammen mit Arbeitgebern, Vermietern, Institutionenund Medien arbeitsteilige Kampagnen zur Stärkungder »weichen« Standortvorteile durchführen· bewusste Ausrichtung auf Familien, auch die derbenachbarten Ballungsräume, als KundenWeitere ausführliche Informationen zu den Handlungsansätzenfür die Kommunen dieses Clusters finden Sie imInternet unter www.aktion2050.de/wegweiser.53


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Typ 6:Aufstrebende ostdeutsche Groûstädte mit WachstumspotenzialenRäumliche EinordnungIn Cluster 6 sind tendenziell gröûere und zentralräumlicher gelegene Städte Ost-Deutschlands vertreten. Neben derBundeshauptstadt Berlin sind die drei Landeshauptstädte Potsdam, Dresden und Erfurt vertreten.Die Städte dieses Demographietyps finden Sie in der Tabelle auf Seite 56.Mit Berlin (3,4 Mio. Einwohner) befindet sich die bundesweitgröûte Stadt in diesem Cluster. Die kleinsten Groûstädtehier sind Jena mit 103 000 und Potsdam mit145 000 Einwohnern. Dazwischen befinden sich Rostockund Erfurt mit annähernd 200 000 Einwohnern sowie Dresdenund Leipzig mit knapp 500 000 Einwohnern. Währendsich Berlin, Potsdam, Dresden und Leipzig in Agglomerationsräumenbefinden, liegen Rostock, Erfurt und Jena inverstädterten Räumen. Letztere haben dort allerdings einehervorgehobene Bedeutung als regionale Wirtschaftszentren.Berlin und Potsdam sind die tragenden Säulen der europäischenMetropolregion Berlin/Brandenburg. Als wichtigePole der Metropolregion »Sachsendreieck« versuchenDresden und Leipzig (zusammen mit Halle und Chemnitz)ebenfalls, sich im europäischen Wettbewerb der Städteund Regionen zu positionieren.Charakteristische EntwicklungenDie Städte des Clusters 6 sind vielfach »Wachstumsinseln«inmitten eines ostdeutschen Flickenteppichs von Gewinner-und Verliererräumen. Cluster 6 repräsentiert diewirtschaftsstärkeren ostdeutschen Groûstädte mit teilweisehohen Wachstumserwartungen und deutlich positiverendemographischen Entwicklungen als Cluster 3 derschrumpfenden und alternden ostdeutschen Groûstädte.Die Städte des Demographietyps 6 konnten ihre Bevölkerungszahlenin den vergangenen Jahren stabilisieren.Sie werden in Zukunft voraussichtlich sogar die demographischeEntwicklung von der Schrumpfung zu geringfügigemWachstum umkehren ± trotz einer sehr niedrigenGeburtenrate und einem geringen Anteil von Kindernund Jugendlichen. In Dresden und Leipzig lässt sich dieserTrend schon heute beobachten.In den letzten Jahren sind in diesem Cluster veränderteWanderungsmuster erkennbar: Neben hohen Gewinnenbei den jungen Erwachsenen zeigt sich eine Tendenz,dass Familien (mit Kindern) und ältere Menschen seit derJahrhundertwende teilweise wieder aus dem suburbanenRaum in die Kernstadt zurückkehren. Aufgrund unterdurchschnittlicherAlterungsprozesse im Vergleich zumMittel aller Cluster bleiben die Groûstädte auch in Zukunftvergleichsweise jung.Die Groûstädte stecken inmitten eines sehr dynamischenwirtschaftlichen Strukturwandels und verzeichnetenin der Vergangenheit deutliche Arbeitsplatzverluste:Hohe Arbeitslosigkeit, ein geringes Einkommensniveauin der Bevölkerung sowie eine geringe Steuereinnahmekraftkennzeichnen die aktuelle wirtschaftliche Situation.In den letzten Jahren konnten sich die Städte jedoch wirtschaftlichfestigen und ihre negativen ökonomischenStrukturdaten vielfach umkehren.Die hohe Dynamik des ökonomischen und demographischen<strong>Wandel</strong>s sowie die Trendbrüche verdeutlichen,wie wenig strukturkonstant die Entwicklungen sind undwie unsicher somit Prognosen für die ostdeutschen Groûstädte.Deshalb wird es dort entscheidend darauf ankommen,sich mit einem szenariengeleiteten Zukunftsdialogund zukunftsrobusten Strategien aktiv und flexibel aufverschiedene mögliche Entwicklungen vorzubereiten.Von der Schrumpfung zum künftigen BevölkerungswachstumDie Groûstädte haben die starke Schrumpfungsphase der1990er Jahre weitgehend überwunden. Pendelte die Einwohnerzahl± mit Ausnahme Rostocks ± schon zwischen1996 und 2003 weitgehend um die Plus-Minus-Null-Liniemit leichter Tendenz ins Negative, so wird bis <strong>2020</strong> eineweitere Stabilisierung bzw. ein leichtes Wachstum mög-54


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Profil des Demographietyps 6lich. Nur für Rostock sind weitere Verluste prognostiziert:etwa sechs Prozent bis <strong>2020</strong>. Allerdings schwächen siesich gegenüber den letzten Jahren deutlich ab.Die zunehmende Stabilität bzw. die wachsende Dynamikin der Entwicklung ist auf die Zuwanderung jungerErwachsener und die weitgehend moderate Abwanderungder Erwachsenen mittleren Alters bzw. von Familien in densuburbanen Raum zurückzuführen. Natürliche Bevölkerungsentwicklungen(insbesondere Geburten- und Sterberaten)spielten in den letzten Jahren eine eher untergeordneteRolle für die gesamte Entwicklung, werden allerdingsin Zukunft wichtiger.Trendbrüche bei den WanderungsmusternAlle sieben Städte hatten in den letzten Jahren hohe Wanderungsgewinnebei den 18- bis 24-Jährigen und demonstrierendamit ihre Attraktivität für Bildungswanderer undBerufseinsteiger. Diese Gewinne lagen hier deutlich höherals in den Groûstädten der Cluster 2 und 5, die unteranderem die Ruhrgebietsstädte repräsentieren. Die anderenostdeutschen Groûstädte des Clusters 3 verzeichnetenin dieser Altersgruppe Wanderungsverluste.Die starken Suburbanisierungsprozesse Anfang der1990er Jahre und die hohen strukturellen Wohnungsleerständeführen im Vergleich zu den Groûstädten der altenBundesländer aktuell zu deutlich entspannten Wohnungsmärktenund einem stark abgeflachten Mietpreisgefällezwischen Kernstadt und Umland. Der Suburbanisierungsdruckhat sich deshalb in den ostdeutschen Groûstädtenin den letzten Jahren deutlich abgeschwächt.So wanderten in diesem Cluster die 30- bis 49-Jährigensowie die Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren(mit Ausnahme von Rostock und Jena) kaum über demfür Groûstädte üblichen Ausmaû ab und deutlich wenigerals in den anderen ostdeutschen Städten des Clusters 3.Potsdam verzeichnete sogar Wanderungsgewinne. Diesist typisch für den Wachstumsgürtel um Berlin.Die Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt unterstützenin den letzten Jahren aber auch in den anderenGroûstädten Reurbanisierungstendenzen. Das Wohnenin der Stadt wird für viele junge Familien mit Kindernwieder attraktiv und erschwinglich. Selbst die ältere Bevölkerungwandert in den letzten Jahren teilweise zurückin die Groûstädte.Unterdurchschnittliche künftige AlterungsprozesseDie aktuellen Alterungsprozesse gleichen weitgehend demdurchschnittlichen Verlauf aller Groûstädte über 100 000Einwohner. Auffällig ist jedoch die sehr niedrige Geburtenrate(die niedrigste aller Groûstädte-Cluster) undder aktuell sehr geringe Anteil an Kindern und Jugendlichenunter 18 Jahren. Er liegt mit knapp 14,5 zweiProzent unter dem Mittel aller Groûstädte-Cluster. Aufgrundder Trendbrüche bei den Wanderungsmusternwird sich allerdings auch hier ein Bruch vollziehen: Bis2010 wird dann der Anteil auf über 15 Prozent steigenund somit über dem Mittel aller Groûstädte liegen ±obwohl sich die Städte auf den für Ostdeutschland typischen»zweiten Geburtenknick« (ab etwa 2010) einstellenmüssen.Die Groûstädte werden vergleichsweise jung bleiben.Die Altersgrenze, die eine Bevölkerung in zwei gleichgroûe Gruppen teilt (Medianalter), steigt bis <strong>2020</strong> gegenüber2003 voraussichtlich nur um drei auf 43 Jahre undliegt damit deutlich unter dem Durchschnitt aller Groûstädte(von 45 Jahren). Die Zahl und der Anteil der älterenMenschen werden proportional zum Durchschnittaller Groûstädte-Cluster zunehmen. Allein der Anteil der55


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Die Indikatoren des Demographietyps 6 im ÜberblickNameBevölkerungsentwicklung2003 bis <strong>2020</strong>in ProzentMedianalter<strong>2020</strong>in JahrenArbeitsplatzzentralitätArbeitsplatzentwicklung1998 bis 2003in ProzentArbeitslosenquotein ProzentKommunaleSteuereinnahmenin EuroAnteilhochqual.Beschäftigterin ProzentAnteil Mehrpersonenhaushaltemit Kindernin ProzentBerlin ± 0,5 44,3 1,1 ± 5,9 23,7 678,2 13,5 24,9Potsdam, Stadt 11,0 42,8 1,3 ± 6,0 15,7 502,2 15,5 25,3Rostock, Stadt ± 6,0 46,3 1,2 ±12,0 23,0 415,0 13,0 22,1Dresden, Stadt 3,1 42,8 1,3 ± 2,5 17,8 542,1 20,7 24,6Leipzig, Stadt 1,8 44,3 1,3 ± 6,7 23,6 474,5 17,0 22,8Erfurt, Stadt 2,5 45,4 1,5 ± 8,1 22,5 408,0 14,9 25,6Jena, Stadt 5,7 38,4 1,3 ± 2,0 16,7 335,4 24,6 24,9Mittelwerte der ClusterstädteMittelwerte aller Groûstädte2,5± 2,143,545,11,31,4± 6,2± 0,220,415,4479,3873,417,011,924,325,2über 80-Jährigen verdoppelt sich bis <strong>2020</strong> und beträgtdann etwa acht Prozent.Die Haushaltsstruktur gleicht in etwa dem Mittel alleruntersuchten Städte über 100 000 Einwohnern. Der leichtunterdurchschnittliche Anteil an Haushalten mit Kindernkorrespondiert mit den geringen Geburtenraten. Der geringeAnteil ausländischer Haushalte, eine Besonderheitder ostdeutschen Groûstädte, trifft nicht für Berlin zu.Dynamischer wirtschaftlicher Strukturwandelmit hohen WachstumspotenzialenDie beiden ostdeutschen Demographietypen 3 und 6 unterscheidensich hinsichtlich ihrer Wirtschaftskraft undihrer Wachstumspotenziale wesentlich voneinander. Währendes in den Städten des Clusters 3 tendenziell zu mehrdimensionalenKombinationen von demographischen undwirtschaftlichen Schrumpfungsprozessen kommt, sind imRahmen des Strukturwandels in den Städten aus Cluster 1durchaus positive Wachstumssignale erkennbar.Die aufstrebenden ostdeutschen Groûstädte steckenimmer noch inmitten eines sehr dynamischen wirtschaftlichenUmstrukturierungsprozesses und weisen derzeitdeutliche strukturelle Schwächen auf. So liegt die Arbeitslosigkeitin allen sieben Städten über 15 Prozent, in vierStädten sogar über 20 Prozent. Zum Teil sind fast dieHälfte davon Langzeitarbeitslose. Die Arbeitsplatzentwicklungverlief in den letzten Jahren überwiegend negativ,in fünf Städten gab es zwischen 1998 und 2003 Verlustezwischen sechs und zwölf Prozent. In Jena undDresden blieb die Zahl dagegen weitgehend stabil.Der hohe Anteil der Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor(81 Prozent) ist eine Besonderheit der neuen Bundesländerund Ausdruck des massiven Verlusts an Arbeitsplätzenim verarbeitenden Gewerbe. Dessen Anteil von18 Prozent liegt um etwa zehn Prozentpunkte unter demDurchschnittswert aller Städte über 100 000 Einwohnern.Auch weitere Indikatoren lassen die derzeitigen strukturellenSchwächen erkennen, die diese Städte kennzeichnen.Ihre kommunalen Steuereinnahmen betragen nuretwas mehr als die Hälfte des durchschnittlichen Wertesaller Groûstädte über 100 000 Einwohner; und auch beider durchschnittlichen Kaufkraft liegen diese Städte deutlichunter denen der Cluster der alten Bundesländer.In den letzten Jahren konnten sich die Groûstädtejedoch wirtschaftlich festigen und ihre negativen ökonomischenStrukturdaten vielfach eindeutig verbessern.Trotz weiter vorhandener Strukturprobleme veranschaulichenbeispielsweise die Ansiedlungen von BMW undDHL im Norden von Leipzig und der Ausbau von AMD inDresden, dass insbesondere Dresden, Leipzig und Jenagegenüber westdeutschen Groûstädten deutlich an wirtschaftlicherLeistungskraft aufholen.Die aufstrebenden Städte gelten mit ihren Wachstumspotenzialenals Entwicklungszentren und WachstumsmotorenOst-Deutschlands. Als wichtige Pole der beideneuropäischen Metropolregionen Berlin/Brandenburg undSachsendreieck übernehmen vier der sieben Groûstädtedamit für die neuen Bundesländer eine ähnliche Rollewie die prosperierenden Wirtschaftszentren des Groûstädte-Clusters4 für die alten Bundesländer.Auch in Zukunft sind hohe Wachstumsraten möglich.Hilfreich wird dabei der auffällige Anteil an hoch qualifiziertenBeschäftigten sein: 17 Prozent gegenüber durchschnittlichelf Prozent. Er ist teils auf die ostdeutschenBesonderheiten zurückzuführen, teils aber auch auf dieHochschullandschaften, durch die die Groûstädte sich alsWissenschaftsstandorte profilieren konnten.56


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Herausforderungen für die StädteDie gröûte Herausforderung der aufstrebenden ostdeutschenGroûstädte wird es in Zukunft sein, die Bevölkerungsentwicklungzu stabilisieren und die sich abzeichnendeTrendwende von der Schrumpfung zum Bevölkerungswachstumzu fördern. Die Alterung der Bevölkerungoder Integrationsprobleme werden im Vergleich zu anderenClustern eine nachrangige Rolle bei der Bewältigungdes demographischen <strong>Wandel</strong>s spielen. Vielmehr musses gelingen, die bestehenden wirtschaftlichen Potenzialezu nutzen und auszubauen, um die Familien und jungenErwachsenen zu halten bzw. neue hinzuzugewinnen.Eine zentrale Aufgabe der Zukunft wird es sein, neueArbeitsplätze zu schaffen und insbesondere die wissensbasiertenproduzierenden Zukunftsbranchen auszubauen.Dabei gilt es, die teilweise erfolgreiche Zusammenarbeitzwischen den Unternehmen der Hochtechnologie und derHochschullandschaft weiter auszubauen und zu intensivieren.In den letzten zehn Jahren wurden der Wohnungsmarktund die technische Infrastruktur vielfach an dieneuen Markterfordernisse angepasst. In Zukunft gilt es,die deutlich erkennbaren Reurbanisierungstendenzen zunutzen und die Angebote für Familien und junge Erwachsenebedarfsgerecht auszubauen. Dadurch kann die hoheAttraktivität, die die Groûstädte bereits heute für dieseZielgruppen haben, beibehalten und verbessert werden.Die bewusste Förderung von jungen lebendigen Stadtteilenunterstützt die Urbanität und trägt so dazu bei, denZuwanderungswunsch der potenziellen Eigentumsbildner(d. h. Familien) und der potenziellen Ersthaushaltsgründer(Bildungswanderer und Berufseinsteiger zwischen 18und 24 Jahren) zu vergröûern. Hierbei gilt es, die Balancezwischen lebendigem »Szeneviertel« und Familienstadtteilmit Einkaufsmöglichkeiten, Spielplätzen, Kindertageseinrichtungenund anderen sozialen Infrastruktureinrichtungenzu halten. Auf dem Wohnungsmarkt gehörenhierzu auch neue experimentelle Wohnformen und städtischeEinfamilienhausprojekte (»Stadthäuser«).Aufgrund der hohen Unsicherheit und der groûenDynamik wird es insbesondere in den aufstrebenden ostdeutschenGroûstädten wichtig sein, einen Prozess derStrategieentwicklung und -verwendung anzustoûen undmöglichst in kurzen Zyklen zu wiederholen sowie dieintegrierten Strategien dabei flexibel zu halten. Eine zentraleHerausforderung ist in diesem Zusammenhang dieEtablierung eines lokalen Wissensmanagements, in demnicht nur die notwendigen (demographischen und sozioökonomischen)Daten und Informationen zusammengeführtwerden, sondern insbesondere die Erfahrungen derlokalen Eliten im Bezug auf Trendbrüche und möglicheandere Zukünfte einbezogen werden.57


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>58HandlungsansätzeAufgrund ihrer Gröûe und ihrer komplexen Zusammenhängeerfordert die Bewältigung des demographischen<strong>Wandel</strong>s in allen Groûstädten die Entwicklung und Anwendungintegrierter Strategien. Angesichts der Trendbrücheund hohen Entwicklungsdynamik in den aufstrebenden ostdeutschenGroûstädten mit Wachstumspotenzialen sindzudem Prognosen von einer relativ hohen Unsicherheitgeprägt. Daher sollten sich die Städte dieses Clusters miteinem szenariengeleiteten Zukunftsdialog flexibel auf möglicheZukünfte einstellen.Im Rahmen der integrierten Strategien sollten dieseGroûstädte ihr Augenmerk insbesondere auf die folgendendrei Handlungsfelder richten:1. Regionale Clusterpolitik· »Stärken stärken«: Clusterpolitik sollte an vorhandenenStärken ansetzen und sie anhand dieser spezifischenProfile ausformulieren.· regionale Branchenschwerpunkte als Wachstumsmotorenfördern· regionale Vernetzungen unterstützen (als Impulsgeberund Moderator agieren, Bewusstseinsbildungfördern, Anreize und Unterstützung für Kooperationen,Plattformen organisieren)· endogene Potenziale durch die lose institutionelleVerkopplung von Wissenschaft, Politik und Wirtschaftaktivieren· Netzwerkstrukturen weiterentwickeln und diversifizieren2. Entwicklung zu einer europäischen Metropolregion· Stadtpolitik internationalisieren (kommunale Entscheidungenauf den internationalen Wettbewerbausrichten, mit internationalen Partnern vernetzen,europäische Aktivitäten strategisch ausrichten)· Gateway-Funktion stärken in Bezug auf Mobilität,Wissen und Markterschlieûung (Einbindung in dastranseuropäische Schienen- und Straûennetz, Ausbauals Verkehrsknoten, Kongress- und Messestandort)· Stadt-Umland-Partnerschaft mit fairer Lastenverteilungund regionalem Flächenmanagement3. Bedarfsgerechter Stadtumbau· räumliche Konzentration des Mitteleinsatzes (Revitalisierungder Zentren, Entwicklung der gewerblichenSchwerpunkte, Aufwertung des Wohnumfeldes)· selektiver randstädtischer Rückbau· Infrastrukturanpassung· Installation eines Stadtumbaumonitorings


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Städte und Gemeinden mit 5000 bis 100000 EinwohnernIn Deutschland gibt es 2877 Städte und Gemeinden miteiner Zahl zwischen 5000 und 100 000 Einwohnern (Stand31. Dezember 2004). Die Clusteranalyse führte auf Basisder acht Indikatoren zu neun Clustern:· Cluster 1 (514 Kommunen): Stabile Mittelstädte undregionale Zentren mit geringem Familienanteil· Cluster 2 (90 Kommunen): Suburbane Wohnorte mithohen Wachstumserwartungen· Cluster 3 (361 Kommunen): Suburbane Wohnorte mitrückläufigen Wachstumserwartungen· Cluster 4 (352 Kommunen): Schrumpfende und alterndeStädte und Gemeinden mit hoher Abwanderung· Cluster 5 (740 Kommunen): Stabile Städte und Gemeindenim ländlichen Raum mit hohem Familienanteil· Cluster 6 (579 Kommunen): Städte und Gemeindenim ländlichen Raum mit geringer Dynamik· Cluster 7 (165 Kommunen): Prosperierende Städte undGemeinden im ländlichen Raum· Cluster 8 (71 Kommunen): Wirtschaftlich starke Städteund Gemeinden mit hoher Arbeitsplatzzentralität· Cluster 9 (5 Kommunen): Exklusive StandorteDie variierende Gemeindegröûenstruktur in den Bundesländernführt dazu, dass mehr als ein Drittel (1052) inBayern und Baden-Württemberg liegt, daneben sind auchdie Bundesländer Niedersachsen, Nordrhein-Westfalenund Hessen mit jeweils zwischen 300 und 400 Kommunenstark repräsentiert. Die geringe Vertretung der anderenBundesländer ist auf ihre geringe Gröûe (Saarland)und auf den groûen Anteil von Gemeinden mit wenigerals 5000 Einwohnern zurückzuführen (insbesondere inSchleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern).Bei den Städten und Gemeinden mit 5000 bis 100 000Einwohnern überwiegt die Zahl der kleineren Kommunen:· Fast die Hälfte (46 Prozent: 1313 der 2877 Kommunen)hat zwischen 5000 und 10 000 Einwohner.· Weitere 40 Prozent (1128 Kommunen) haben zwischen10 000 und 25 000 Einwohner.· Dagegen gibt es nur 109 (vier Prozent) gröûere Städtemit 50 000 bis 100 000 Einwohnern.Ebenso heterogen wie die Gröûe sind die Raummerkmaleund die funktionalen Schwerpunkte der Städte und Gemeinden.Kernstädte sind ebenso vertreten wie Umlandgemeindenund Kommunen im ländlich peripheren Raum.Die meisten Städte und Gemeinden sind überwiegendWohnorte. Nur ein knappes Viertel der Kommunen sindregionale Wirtschaftszentren, in die Erwerbstätige ausden umliegenden Gemeinden einpendeln.Die Prognose der demographischen Entwicklung teiltdie Städte und Gemeinden mit 5000 bis 100 000 Einwohnernin drei fast gleich groûe Gruppen:· 1004 Kommunen können von einer stabilen Einwohnerzahlausgehen.· 1006 müssen mit einer sinkenden Einwohnerzahlrechnen.· 867 können eine wachsende Zahl von Einwohnernerwarten.Dabei weist die Prognose eine extreme Bandbreite zwischenGewinnen und Verlusten aus. Das höchste Wachstumhaben mit bis zu 50 Prozent vor allem kleinereUmlandgemeinden im Berliner und Münchener Verdichtungsraumzu erwarten. Verluste von über 20 Prozentwird es voraussichtlich nur in den neuen Bundesländerngeben. Gleichwohl werden etwa 90 Prozent der Städteund Gemeinden zwischen einem Verlust von 15 Prozentund einem Gewinn von zehn Prozent der Bevölkerung liegen.Für mehr als 75 Prozent wird sich die Zu- bzw. Abnahmebis <strong>2020</strong> im einstelligen Bereich abspielen.59


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Matrix der Handlungsempfehlungen für die Kommunen mit 5000 bis 100 000 EinwohnernHandlungsempfehlung für alle ClusterAufgrund der sich abzeichnenden Entwicklungen ist es für die Städte und Gemeinden aller Demographietypen erforderlich, Maûnahmen zur Stärkung der Kinder-und Familienfreundlichkeit zu ergreifen und die Bausteine einer zukunftsorientierten Seniorenpolitik vor Ort in praktikable Modelle zu überführen.Darüber hinaus ergeben sich für die Kommunen folgende prioritären Handlungsansätze:Demographietypen für Städte und GemeindenCluster 1:Stabile Mittelstädte und regionale Zentren mit geringemFamilienanteilCluster 2:Suburbane Wohnorte mit hohen WachstumserwartungenCluster 3:Suburbane Wohnorte mit rückläufigen WachstumserwartungenCluster 4:Schrumpfende und alternde Städte und Gemeinden mithoher AbwanderungCluster 5:Stabile Städte und Gemeinden im ländlichen Raum mithohem FamilienanteilCluster 6:Städte und Gemeinden im ländlichen Raum mit geringer DynamikCluster 7:Prosperierende Städte und Gemeinden im ländlichen RaumCluster 8:Wirtschaftlich starke Städte und Gemeinden mit hoher ArbeitsplatzzentralitätCluster 9:Exklusive StandortePrioritäre Handlungsansätze1. Funktion als regionales Zentrum sichern und ausbauen2. Position als Wirtschaftszentrum stärken3. Profilierung als attraktiver Wohnstandort für Familien vorantreiben1. zukunftsrobuste Entwicklungsstrategien erarbeiten2. flexible kostenbewusste Siedlungsstrukturen etablieren3. regionale Kooperation forcieren1. Siedlungs- und Flächenmanagement sowie interkommunale Kooperation forcieren,Flächenmanagement in regionaler Verantwortung betreiben2. Entwicklung der Infrastruktur frühzeitig steuern3. Balance zwischen Berufs- und Arbeitswelt gestalten4. Attraktivität des Standortes stärken1. Infrastruktur anpassen2. ökonomische Basis der Kommunen neu definieren3. Konzentration auf zentrale Orte und Siedlungsstruktur4. zukunftsrobuste regionale Siedlungsstrukturen entwickeln5. regionale Verwaltungskooperationen aufbauen6. arbeitsteilige Übernahme zentralörtlicher Funktionen etablieren1. Profilierung als kinder- und familienfreundlicher Wohnstandort vorantreiben2. Flächen- und Infrastrukturmanagement etablieren3. Sensibilisierung starten und strategische Zukunftsvorsorge betreiben1. Konzentration auf strategische Handlungsprioritäten und Kernfunktionen2. Identität und bürgerschaftliches Engagement fördern3. soziale und technische Infrastruktur anpassen4. Interkommunale und regionale Kooperationen forcieren1. Sensibilisierung starten und strategische Zukunftsvorsorge betreiben2. hochwertige Bildungs- und Qualifizierungsangebote sicherstellen3. Siedlungsentwicklung und interkommunale Kooperation forcieren1. Siedlungs- und Flächenmanagement etablieren und interkommunale Kooperationforcieren2. Wirtschaftsförderung und -entwicklung regional denken3. Vereinbarkeit von Berufs- und Arbeitswelt gestalten4. hochwertiges Bildungsangebot sicherstellenaufgrund hervorragender Rahmenbedingungen keine EmpfehlungenDie Alterung der Bevölkerung wird dazu führen, dassin diesen Städten und Gemeinden im Jahr <strong>2020</strong> die Hälftealler Einwohner älter als 48 Jahre sein wird, gegenüberheute 40 Jahren. Aber wie in der Vergangenheit wird dieAltersstruktur groûe Unterschiede aufweisen: In den »jüngerenKommunen« wird die Altersgrenze, die die Bevölkerungin zwei gleich groûe Gruppen unterteilt, im Jahr<strong>2020</strong> deutlich unter 45 Jahren, in den »älteren Kommunen«dagegen über 55 Jahren liegen. Zu den jungen Kommunengehören sowohl prosperierende Wirtschaftszentrenund Hochschulstädte mit hohen Zuwanderungsraten vonjungen Erwachsenen (z.B. Freising, Tübingen) als auchmeist in ländlichen Räumen gelegene Kommunen, indenen besonders viele Familien zuziehen und die Geburtenratenrelativ hoch liegen (z.B. Cappeln bei Oldenburg).Stark alternde Städte und Gemeinden befinden sichüberwiegend in den neuen Bundesländern, aber häufigauch in Tourismus-Regionen (z.B. Westerland auf Sylt,Baden-Baden, Mittenwald), in altindustriell geprägten Regionen(z.B. Wilhelmshaven, Herten) und in Umland-60


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Abb. 1: Demographietypen der Städte und Gemeindenmit 5000 bis 100 000 Einwohnerngemeinden der Groûstädte, in denen seit geraumer Zeitkeine Zuwanderung mehr stattfindet (z.B. Hemmingenbei Hannover).Die 2877 Städte und Gemeinden weisen aber nichtnur groûe Unterschiede im demographischen Profil auf,sie sind auch hinsichtlich ihrer sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen, wie Steuerkraft und Kaufkraft,Ausländeranteil und Arbeitslosenquote, sehr heterogen.Viele der gröûeren Städte dieses Clusters sind mitähnlichen Herausforderungen konfrontiert wie die Groûstädte,d.h. mit der Abwanderung von Familien in dasUmland, mit heterogenen Bevölkerungsstrukturen undsozialer Polarisierung. Dagegen sind viele der kleinenGemeinden durch homogene Bevölkerungsstrukturengeprägt. Und zwischen diesen beiden Polen gibt es eineVielzahl an Orten mit unterschiedlichen Kombinationenihrer demographischen Perspektive, wirtschaftlichenSituation und Handlungsressourcen.Die Gestaltung des demographischen <strong>Wandel</strong>s mussdiese verschiedenartigen Herausforderungen, Entwicklungsperspektivenund Handlungsspielräume aufnehmen.Sie verlangen jeweils spezifische Antworten.In den folgenden Kapiteln werden die Merkmale dereinzelnen Cluster dieser Städte und Gemeinden ausführlichdargestellt und die zentralen Herausforderungen, diedurch den demographischen <strong>Wandel</strong> auf sie zukommen,benannt. Auf dieser Grundlage werden abschlieûend Handlungsansätzevorgeschlagen, die die Kommunen bei derGestaltung des demographischen <strong>Wandel</strong>s prioritär verfolgensollten.Ausführlichere Informationen zu den übergreifendenHandlungsfeldern finden sich im Kapitel 3 dieser Publikation.Anregungen für clusterspezifische Handlungskonzeptestehen als Download unter www.aktion2050.de/wegweiser bereit.61


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Typ 1:Stabile Mittelstädte und regionale Zentren mit geringem FamilienanteilRäumliche EinordnungDie Städte und Gemeinden dieses Clusters verteilen sich relativ gleichmäûig auf die alten Bundesländer. RegionaleSchwerpunkte liegen in Rheinland-Pfalz und in Schleswig-Holstein. Nur elf der 514 Städte und Gemeinden befindensich in Ost-Deutschland.Zu welchem Demographietyp gehört Ihre Kommune?Informationen dazu finden Sie im Internet unter www.aktion2050.de/wegweiser.Abb. 1: Räumliche Verteilung derStädte und Gemeinden des Clusters 1Der Demographietyp 1 repräsentiert einen breiten Mix anGröûenklassen. Wenngleich Kommunen bis 25 000 Einwohnerdie groûe Mehrheit stellen, sind die mittelgroûenund groûen Städte über 25 000 Einwohner doch überproportionalstark vertreten. Mehr als die Hälfte der deutschenStädte zwischen 50 000 und 100 000 Einwohnernwerden diesem Cluster zugeordnet. Die kleineren Kommunenzwischen 5000 und 10 000 Einwohnern sind dagegenunterproportional vertreten. Typisch für diesesCluster sind Mittelzentren, die zentralörtliche Funktionenfür ihr ländliches Umland übernehmen und auch alsregionale Arbeits- und Versorgungszentren von überlokalerBedeutung sind.Abb. 2: GemeindegröûeCharakteristische EntwicklungenDiese Mittelstädte und regionalen Zentren zeichnen sichdurch eine weitgehend stabile demographische Entwicklungaus sowie durch einen geringen Anteil an Haushaltenmit Kindern. Auffällig ist der überproportional hoheWanderungssaldo der 18- bis 24-Jährigen. Die Kommunenbilden häufig einen ökonomischen Verantwortungsraummit ihrem Umland, für Arbeitszentren verfügen sieallerdings über eine verhältnismäûig hohe Arbeitslosigkeit,wenige hochwertige Arbeitsplätze und einen geringenAnteil an Akademikern in der Wohnbevölkerung.62


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Profil des Demographietyps 1Stabile BevölkerungsentwicklungDie Bevölkerungsentwicklung ist weitgehend stabil. Diedemographische Entwicklung zwischen 1996 und 2003verlief mit einem Zuwachs von 1,2 Prozent leicht positivund lag damit leicht unter dem Durchschnittswert allerStädte und Gemeinden von 2,5 Prozent. Trotz einer geringenAbnahme werden diese Werte in Zukunft ähnlichhoch sein.Die geringe Bevölkerungsdynamik der letzten Jahrewird sich in den meisten Kommunen dieses Clusters fortsetzen.In knapp der Hälfte von ihnen wird die Einwohnerzahlim Jahr <strong>2020</strong> voraussichtlich etwa auf dem heutigenNiveau liegen; für weitere gut 30 Prozent sind rückläufigeBewohnerzahlen, meist zwischen vier und zehn Prozent,prognostiziert. Das übrige knappe Viertel kann mit weiterenmeist leichten Bevölkerungsgewinnen rechnen.Die Geburtenrate ist ähnlich niedrig wie im Bundesdurchschnittder Kommunen mit 5000 bis 100 000 Einwohnern.Abb. 3: BevölkerungsentwicklungGeringer FamilienanteilMehrpersonenhaushalte mit Kindern liegen mit 32 Prozentdeutlich unter dem durchschnittlichen Wert aller Kommunenzwischen 5000 und 100 000 Einwohnern (39 Prozent).Daran ändert sich auch durch den insgesamt positiven,aber sehr niedrigen Wanderungssaldo bei denFamilien (also der Altersgruppe der 30- bis 49-Jährigenzusammen mit den unter 18-Jährigen) nichts.Hoher Wanderungssaldo bei denBildungswanderern und BerufseinsteigernAuffällig ist der vergleichsweise hohe Wanderungssaldoder 18- bis 24-Jährigen. Für diese moderaten Gewinnesind die Bildungswanderer und Berufseinsteiger verantwortlich.Auf dem Wohnungsmarkt wird sich die Zunahmean diesen potenziellen Ersthaushaltsgründern bemerkbarmachen: In Zukunft werden verstärkt kleinere Wohnungennachgefragt. Da die meisten Kommunen als Arbeitszentrumfungieren, sind bereits heute die Einpersonenhaushalteverhältnismäûig stark vertreten.Durchschnittliche AlterungsprozesseDie Alterung der Bevölkerung dieser Kommunen gleichtim Wesentlichen dem durchschnittlichen Verlauf allerStädte und Gemeinden zwischen 5000 und 100 000 Einwohnern.So beträgt das Medianalter ± der Mittelwert,der die Bevölkerung in zwei gleich groûe Gruppen teilt ±40,7 Jahre. Der Wert steigt bis zum Jahre <strong>2020</strong> auf48,3 Jahre an.Die Mittelstädte und regionalen Zentren werden künftigzu einem bevorzugten Wohnort älterer Menschen. Auf-63


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>fällig ist hier der leicht höhere Anteil der Hochaltrigenüber 80 Jahre von 4,6 Prozent im Jahre 2003. Seine Verdopplungauf über 8,0 Prozent bis <strong>2020</strong> ist zum Teil aufdie groûe Zahl der Bäder und Kurorte in diesem Demographietypzurückzuführen.Viele Arbeitsplätze und stabile ökonomische EntwicklungPrägendes Merkmal dieses Demographietyps ist seineKonzentration an Arbeitsplätzen. Nahezu drei Viertel derStädte und Gemeinden sind regionale Zentren für Berufseinpendler.In einem weiteren knappen Viertel entsprichtdie Zahl der Arbeitsplätze der der Erwerbstätigen. Darausergibt sich eine Verantwortungsgemeinschaft dieser Mittelstädteund regionalen Zentren.Die Steuereinnahmen der Kommunen sind mit 767 Europro Jahr und Einwohner relativ hoch. Vergleicht man sieallerdings mit anderen Arbeitszentren, liegen sie eher immittleren bis unteren Bereich.Die Arbeitsplatzentwicklung der letzten Jahre verliefweitgehend stabil. Nahezu ein Drittel der Städte und Gemeindenverzeichnete Gewinne, die meisten zwischen fünfund zehn Prozent. In den Kommunen mit rückläufiger Beschäftigtenzahllagen die Verluste selten über zehn Prozent.Die Arbeitslosenquote beträgt 11,9 Prozent. Sowohldie Verteilung der Arbeitsplätze auf den Dienstleistungsbereichund den verarbeitenden Sektor als auch der Anteilan hochwertigen Arbeitsplätzen bewegt sich imDurchschnitt aller Städte und Gemeinden zwischen 5000und 100 000 Einwohnern. Da es sich hier um regionaleArbeitszentren handelt, lassen diese Werte aber auf einegeringe Dynamik und gewisse strukturelle Schwächenschlieûen.Die Ausprägungen der weiteren sozialen und wirtschaftlichenDaten, wie die Verteilung der Einkommensgruppenund die durchschnittliche Kaufkraft, liegenebenso wie der Anteil an Akademikern und die Erwerbstätigenquoteweitgehend auf dem Durchschnittsniveaualler Städte und Gemeinden zwischen 5000 und 100 000Einwohnern.Für diesen Typus verweisen die Durchschnittswerteaber weniger auf Solidität denn auf strukturelle Probleme,da die dynamischeren Arbeitszentren in der Regelhöhere Anteile an Akademikern in der Bevölkerung undeinen gröûeren Anteil an oberen Einkommensgruppenaufweisen. Ausländerhaushalte sind überproportionalvertreten: Mit knapp acht Prozent liegt ihr Anteil um dreiProzent über dem Durchschnittswert aller Städte undGemeinden zwischen 5000 und 100 000 Einwohnern.Herausforderungen für die KommunenFür die stabilen Mittelstädte und regionalen Zentren istder demographische <strong>Wandel</strong> Herausforderung und Entwicklungschancezugleich. Die Herausforderung, den<strong>Wandel</strong> ohne Wachstum zu gestalten, besteht darin, dieSicherung der Lebensqualität und Daseinsvorsorge auflokaler Ebene stets in ihrem Zusammenwirken mit demUmland im Auge zu behalten und voranzutreiben. Die regionalePerspektive ist für die eigene Zukunftsgestaltungauch darum unerlässlich, weil die zunehmende Konkurrenzum Bewohner und Arbeitsplätze und die sinkendenHandlungsspielräume der öffentlichen Hand den Ausbauund die Verstetigung regionaler Kooperation erzwingen.In diesem regionalen Aktionsfeld liegen gleichzeitigdie Chance und Verpflichtung für die stabilen Mittelstädteund regionalen Zentren, sich als Zentrum weiterzu profilieren und ihre zentralörtliche Funktion auszubauen.Aufgrund ihrer Gröûe und ihrer Funktion habensie die institutionellen und finanziellen Ressourcen, Ini-64


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Die Indikatoren des Demographietyps 1 im ÜberblickGesamtzahl der Kommunen dieses Clusters = 514Bevölkerungsentwicklung2003 bis <strong>2020</strong>in ProzentMedianalter<strong>2020</strong> in JahrenArbeitsplatzzentralitätArbeitsplatzentwicklung1998 bis 2003in ProzentArbeitslosenquotein ProzentKommunaleSteuereinnahmenin EuroAnteil hochqualifizierterBeschäftigterin ProzentAnteil Mehrpersonenhaushaltemit Kindernin ProzentMittelwert ±0,5 48 1,3 1,9 11,9 767 6,2 3175 Prozent derKommunen desClusters liegenin diesem Bereich.±7,3 bis 4,7 46 bis 50 1,0 bis 1,7 ±5,5 bis 9,4 8,3 bis 15,8 552 bis 991 4 bis 9 25 bis 39Vergleichswerte der 2877 Kommunen der gesamten ClustergruppeMittelwert ±0,7 48 0,8 0,1 12 609 7,4 39tiator und <strong>Wegweiser</strong> bei der Gestaltung des demographischen<strong>Wandel</strong>s zu sein. Um diese führende Rolle ausübenzu können, sind wirtschaftliche Schwächen, durch dieder Arbeitsmarkt der vergangenen Jahre geprägt war, zumindern und die Wohnattraktivität für Familien und Besserverdienendezu steigern.Viele der Mittelstädte und regionalen Zentren in Cluster1 sind mit den Auswirkungen des demographischen<strong>Wandel</strong>s bereits konfrontiert. Darauf gerichtete Handlungsstrategienmüssen daher sofort entwickelt und Maûnahmenzügig umgesetzt werden. Dabei können die Kommunenauf eine relativ günstige Ausgangssituationaufbauen: auf die trotz hoher Arbeitslosenquoten stabileArbeitsplatzentwicklung der letzten Jahre und die mittelfristignoch stabile Bevölkerungszahl.Vor diesem Hintergrund ergeben sich folgende Herausforderungen:· sich als Zentrum weiter profilieren und die zentralörtlicheFunktion ausbauen, dabei auch als Initiatorinund <strong>Wegweiser</strong>in die Anforderungen des demographischen<strong>Wandel</strong>s bewältigen· die Wohnortattraktivität für Familien erhalten undmöglichst steigern· die technische und soziale Infrastruktur an die Veränderungender Altersstruktur anpassen und Potenzialeälterer Menschen aktivieren· die Siedlungsflächenpolitik auf Erhalt ausrichten,Wohnungsbestand aufwerten, sich als Wohnstandortprofilieren· wirtschaftliche Potenziale sichern und ausbauenHandlungsansätzeAufgrund der Ausgangssituation werden prioritäre Handlungsansätzeund Maûnahmen in den folgenden Bereichenempfohlen:· Funktion als regionales Zentrum sichern und ausbauen± langfristiges Entwicklungskonzept erarbeiten± Verwaltungsstrukturen und -verfahren auf diedemographische Herausforderung einstellen± Ausbau der regionalen Kooperation (z.B. regionalesInfrastruktur- und Flächenmanagement)· Position als Wirtschaftszentrum stärken± Initiative zur Stärkung der lokalen Wirtschaftentwickeln± Angebot qualifizierter Arbeitskräfte verbessern± Angebote für Senioren ausbauen· Profilierung als attraktiver Wohnstandort für Familien± Qualität weicher Standortfaktoren verbessern± familiengerechte Wohnangebote ausbauen± Angebote für Kinder und Jugendliche erweitern± hochwertiges Schulangebot sichernDarüber hinaus ist es erforderlich, Maûnahmen zur Stärkungder Kinder- und Familienfreundlichkeit zu ergreifenund die Bausteine einer zukunftsorientierten Seniorenpolitikvor Ort in praktikable Modelle zu überführen.Weitere ausführliche Informationen zu den Handlungsansätzendieses Clusters finden Sie im Internet unterwww.aktion2050.de/wegweiser.65


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Typ 2:Suburbane Wohnorte mit hohen WachstumserwartungenRäumliche EinordnungDemographietyp 2 ist ein typisches ostdeutsches Cluster. Doch immerhin befindet sich jede fünfte der 90 Kommunennicht in den neuen Bundesländern. Eine typische Lage sind die suburbanen Agglomerationsräume der aufstrebendenGroûstädte Berlin, Dresden und Leipzig. Die Hälfte dieser Kommunen sind um die Bundeshauptstadt Berlin angeordnet.Die Gemeinden der alten Bundesländer gruppieren sich ebenfalls um die prosperierenden Wirtschaftszentren und hiervor allem um Hamburg. Zu welchem Demographietyp gehört Ihre Kommune?Informationen dazu finden Sie im Internet unter www.aktion2050.de/wegweiser.Abb. 1: Räumliche Verteilung derStädte und Gemeinden des Clusters 2Charakteristische EntwicklungenWährend diese Gemeinden für Familien sehr attraktivsind, wandern die 18- bis 24-Jährigen gröûtenteils ab.Sowohl die aktuellen Altersanteile der Jugendlichen (unter18 Jahre) und der Senioren (ab 60- und ab 80-Jährige)als auch die zukünftigen Alterungsprozesse entsprechenhier im Wesentlichen dem bundesdeutschen Durchschnitt.Die heutigen Wanderungsgewinne von Familien könnenallerdings in Zukunft den Alterungsprozess beschleunigen.Die ökonomischen Strukturdaten sind eher ungünstig.Jedoch verlaufen die regionalen Entwicklungen gerade inOst-Deutschland keineswegs einheitlich: Kennzeichnendist ein Patchwork von Gewinner- und Verliererkommunen.Im Vergleich zu den anderen Clustern besteht innerhalbder typischen ostdeutschen Cluster 2 und 4 eineüberproportional groûe Heterogenität sowie eine gröûereBandbreite möglicher zukünftiger Entwicklungen.Dynamische BevölkerungsentwicklungDie Gemeinden dieses Clusters sind relativ klein, in 90 Prozentwohnen weniger als 20 000 Einwohner. Deutlichweicht davon vor allem die Stadt Weimar ab, die mit64 409 Einwohnern (2003) deutlich gröûer war.Die Gemeinden zeichnen sich durch eine sehr dynamischeBevölkerungsentwicklung aus. Diese lag mit über22 Prozent in den letzten Jahren (1996±2003) deutlichüber allen andern Clustern. Und auch in Zukunft wird siemit durchschnittlich 18 Prozent (zwischen 2003 und <strong>2020</strong>)als am dynamischsten prognostiziert.Die suburbanen Gemeinden dieses Demographietypsprofitieren von ihrer räumlichen Nähe zu den sich positiventwickelnden Wirtschaftszentren der Groûstädte. Dabeiwird davon ausgegangen, dass insbesondere die aufstrebendenGroûstädte Berlin, Dresden und Leipzig hoheWachstumspotenziale besitzen.Die demographische Entwicklung hebt sich damit deutlichvon den Städten und Gemeinden des anderen ostdeut-66


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Profil des Demographietyps 2schen Clusters 4 ab. Mit diesen beiden Clustern sind sogardie Extrementwicklungen in Deutschland beschrieben.Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass vor allembei den kleineren ostdeutschen Gemeinden eine Prognoserelativ unsicher ist. Dies hängt prinzipiell mit derVorhersage von Entwicklungen in kleineren Gemeindenzusammen, aber auch mit den gröûeren Strukturbrüchen.Hohe Zuwanderung der FamilienDer Wanderungsgewinn bei den Familien ± d.h. bei denunter 18-Jährigen und den 30- bis 49-Jährigen ± liegt indiesen Gemeinden deutlich über allen anderen Clustern.Die Zuwanderung von Familien im suburbanen Raum istin Ost-Deutschland auf die starke Nachfrage nach Wohnrauminsbesondere bei Ein- und ZweifamilienhäusernAnfang der 1990er Jahre zurückzuführen. Dieser Druckwurde in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts vor allemdurch Neubau im suburbanen Raum allmählich abgebaut.Wie in Wohnorten des Umlands und des ländlichenRaums generell üblich, sind Haushalte mit Kindern relativstark, Einpersonenhaushalte dagegen schwach vertreten.Hohe Abwanderung der 18- bis 24-JährigenSo attraktiv diese Gemeinden für Familien und damit fürpotenzielle Eigentumsbildner sind, so uninteressant sindsie tendenziell für die potenziellen Ersthaushaltsgründer(18- bis 24-Jährige). Nahezu 80 Prozent der Gemeindenverloren Bewohner in dieser Altersgruppe durch Abwanderungen.Der Wanderungssaldo dieser Altersgruppe ist starknegativ und die Verluste sind deutlich höher als im Bundesdurchschnittder Städte und Gemeinden mit 5000 bis100 000 Einwohnern. Insgesamt liegen aber die Wanderungsverlusteder jungen Erwachsenen weit unter denGewinnen aus den anderen Altersgruppen.Hohes Medianalter trotz Zuwanderung von FamilienDer Alterungsprozess der Gemeinden in Cluster 2 wirdsich ähnlich dem generellen bundesdeutschen Trend verändern,er wird lediglich etwas ausgeprägter sein. Auffälligist jedoch, dass sich das Medianalter ± also der Altersmittelwert,der die Bevölkerung in zwei gleich groûeGruppen teilt ± überdurchschnittlich von 2003 mit nochknapp unter 41 Jahren bis zum Jahr <strong>2020</strong> auf voraussichtlich49,5 Jahre erhöht, obwohl die Wanderungsgewinnebei den Familien sehr hoch sind.Der Anteil der unter 18-Jährigen sinkt etwas stärkerals im Bundesdurchschnitt von 17,7 (2003) auf 14,5 Prozent(2004). Die geringe Kinderzahl korrespondiert dabeimit einer sehr niedrigen Geburtenrate ± der niedrigstenim Vergleich aller Demographietypen. Der Anteil der60-Jährigen und ¾lteren steigt proportional zum Bundestrendvon 23,4 (2003) auf 32,1 Prozent (<strong>2020</strong>). Der Anteilder Hochaltrigen über 80 Jahre erhöht sich ebenfalls von3,3 (2003) auf 7,2 Prozent (<strong>2020</strong>).Dabei fällt auf, dass der Anteil von Kindern undJugendlichen unter 18 Jahre ebenso wie der Anteil derüber 60-Jährigen jeweils relativ klein ist, während die 35-bis 60-Jährigen aufgrund der homogenen Zuwanderungder Familien überproportional stark vertreten sind. Beianhaltend niedrigen Geburtenraten und auch künftig niedrigenAnteilen an Kindern und Jugendlichen hätte dies zurFolge, dass sich der aktuell abgeschwächte Alterungsprozessbeschleunigen würde. Bis <strong>2020</strong> wird dann nämlichdie homogene Gruppe der zugewanderten Familien in dieGruppe der »jungen Alten« hineingewachsen sein.67


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Ökonomische StrukturdatenDie ökonomische Leistungsfähigkeit ist insbesondere inden ostdeutschen Gemeinden dieses Clusters sehr gering.So liegen die kommunalen Steuereinnahmen von durchschnittlich331 Euro pro Jahr und Einwohner deutlichunter dem Bundesdurchschnitt der Städte und Gemeindenzwischen 5000 und 100 000 Einwohnern (610 Europro Jahr und Einwohner).Die Erwerbstätigen der Gemeinden pendeln überwiegendin die Groûstadt oder in andere Arbeitszentreninnerhalb des Verdichtungsraums aus. Typisch für suburbaneRäume ist die dominierende Wohnfunktion. Insgesamthaben nur sechs Prozent der Kommunen deutlicheEinpendler-Überschüsse und damit eine regionaleBedeutung als Wirtschaftszentrum.Die Arbeitsplätze der Gemeinden sind zu zwei Drittelnim Dienstleistungssektor und zu knapp 30 Prozentim verarbeitenden Gewerbe angesiedelt. Damit hat Letztereseine vergleichsweise schwache Position. Der primäreSektor (Landwirtschaft, Forsten) deckt mit insgesamtknapp vier Prozent relativ viele Arbeitsplätze ab.Die Arbeitslosenquote von fast 15 Prozent liegt zwar 2003vergleichsweise hoch, jedoch deutlich niedriger als durchschnittlichin den neuen Bundesländern (19 Prozent).Die Arbeitsplatzentwicklung verlief in den letzten Jahrenüberwiegend negativ. Während sie zwischen 1998und 2003 bundesweit in den Kommunen zwischen 5000und 100 000 Einwohnern stagnierte, nahm sie in denGemeinden dieses Clusters um durchschnittlich 8,9 Prozentab. Die Zahl der Arbeitsplätze ist in fast zwei Drittelnder Städte und Gemeinden deutlich zurückgegangen.Dabei waren Verluste von mehr als 20 Prozent keine Seltenheit.Andererseits stieg in nahezu 15 Prozent derKommunen die Zahl der Arbeitsplätze. Diese Steigerungwar zwar meist moderat, aber insbesondere im Umlandvon Berlin gab es auch Wachstumsraten von über 20 Prozent.Typisch für ostdeutsche Gemeinden ist der relativ hoheAnteil an Akademikern in der Bevölkerung. Wie auch inanderen suburbanen Räumen sind die unteren Einkommensgruppenim Durchschnitt aller untersuchten Städteund Gemeinden unter 100 000 Einwohnern unterrepräsentiert.Der Anteil oberer Einkommensgruppen und diedurchschnittliche Kaufkraft liegen im mittleren Bereich.Auch dies ist typisch für suburbane Räume.Herausforderungen für die KommunenDie Kommunen dieses Clusters weisen nicht nur in derjüngeren Vergangenheit im Vergleich mit allen Demographietypendas höchste Bevölkerungswachstum auf, ihnenwird auch künftig eine hohe demographische Dynamikprognostiziert. Allerdings basieren diese Prognosen maûgeblichauf einer Trendextrapolation, die in diesem suburbanenCluster mit einer relativ hohen Unsicherheitbehaftet ist.So spiegeln sich in den Zukunftserwartungen die gegenwärtigbeobachtbaren Anzeichen für Trendbrüche (Reurbanisierung,Strukturwandel auf dem Immobilienmarkt,Wegfall der Eigenheimzulage, Kürzung der Pendlerpauschaleusw.) naturgemäû nur schwach wider. Beispielsweiseist im Umland von Leipzig ein starker Rückzug indas Stadtgebiet zu beobachten.Zudem können singuläre aktuelle Ereignisse (z.B.groûe Entwicklungsmaûnahmen auf Konversionsflächen)die Ergebnisse stark beeinflussen. Schlieûlich sind diefür diese Kommunen besonders bedeutsamen Wanderungengenerell schwer vorhersagbar und von vielen Variablenabhängig.68


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Die Indikatoren des Demographietyps 2 im ÜberblickGesamtzahl der Kommunen dieses Clusters = 90Bevölkerungsentwicklung2003 bis <strong>2020</strong>in ProzentMedianalter<strong>2020</strong> in JahrenArbeitsplatzzentralitätArbeitsplatzentwicklung1998 bis 2003in ProzentArbeitslosenquotein ProzentKommunaleSteuereinnahmenin EuroAnteil hochqualifizierterBeschäftigterin ProzentAnteil Mehrpersonenhaushaltemit Kindernin ProzentMittelwert 18,1 50 0,6 ±8,9 14,8 331 12 4375 Prozent derKommunen desClusters liegenin diesem Bereich.3,9 bis 33,7 47 bis 52 0,4 bis 0,9 ±22,3 bis 6,0 9,5 bis 19,1 207 bis 504 8 bis 17 34 bis 51Vergleichswerte der 2877 Kommunen der gesamten ClustergruppeMittelwert ±0,7 48 0,8 0,1 12 609 7,4 39Angesichts dieser dynamischen Zukunftsperspektivenstehen die Kommunen in Cluster 2 vor folgenden Herausforderungen:· zukunftsrobuste Strategien entwickeln, die sich flexibelauf sich verändernde Trends einstellen und Fehlallokationenvermeiden· trotz ihres Wachstums und noch nicht klar erkennbarenAlterungsprozessen vorausschauend auf die Auswirkungendes demographischen <strong>Wandel</strong>s reagieren· Siedlungs-, Flächen- und Infrastrukturmanagementüberprüfen· Entwicklungskonzepte für das Leben und Wohnen imAlter erarbeiten (zukunftsorientierte Seniorenpolitik)HandlungsansätzeTrotz des starken Bevölkerungswachstums und der heutenoch nicht offensichtlichen Alterungsprozesse gilt es inden Kommunen dieses Clusters eine vorausschauendeStadtpolitik zu betreiben: Die eigenständige lokaleBasis muss gestärkt und auf eine Zukunft vorbereitetwerden, in der das zuwanderungsbedingte Bevölkerungswachstumerheblich nachgelassen hat. Hier solltenfolgende Handlungsansätze im Vordergrund stehen:· Zukunftsrobuste Strategien:± Sensibilisierung für die Herausforderungen desdemographischen <strong>Wandel</strong>s (Trendumbrüche frühzeitigerkennen)± langfristige Entwicklungsstrategien unter Einsatzder Szenarioplanung± Einführung von Frühwarn- und Kontrollsystemen· Flexible kostenbewusste Siedlungsstrukturen± langfristige Folgekostenabschätzung± flexible Siedlungs- und Baustrukturen· Regionale Kooperation bei Siedlungserweiterungen± Aufbau oder Ausbau regionaler Kooperationsstrukturen± regionales FlächenmanagementDarüber hinaus sollten die Bausteine einer kinder- undfamilienfreundlichen Kommune sowie einer zukunftsorientiertenSeniorenpolitik eine hohe Priorität haben.Weitere ausführliche Informationen zu den Handlungsansätzendieses Clusters finden Sie im Internet unterwww.aktion2050.de/wegweiser.69


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Profil des Demographietyps 3Überproportional gut ist die vergleichsweise niedrigeArbeitslosigkeit. Im Unterschied zu den häufig benachbartenwirtschaftlich starken Städten und Gemeinden desClusters 8 besitzen sie jedoch eine niedrige Arbeitsplatzzentralitätund damit eine hohe Auspendlerrate. Zudemhaben sie weit geringere Bevölkerungszuwächse sowierückläufige Wachstumserwartungen (im Gegensatz zu denClustern 2 und 8). Trotz der aktuell überproportionalguten demographischen und ökonomischen Ausgangssituationmüssen sich die Kommunen darauf vorbereiten,die demographischen Entwicklungen in Zukunft zu stabilisierenund ihre Wohnqualitäten durch Innenentwicklungund Infrastrukturanpassungen zu sichern.Positive BevölkerungsentwicklungDie Kommunen zeichnen sich durch eine vergleichsweisepositive Bevölkerungsentwicklung aus. Während die Bevölkerungder Städte und Gemeinden zwischen 5000 und100 000 Einwohnern von 1996 bis 2003 bundesweit um2,5 Prozent zunahm, stieg sie im gleichen Zeitraum indiesem Cluster um 4,5 Prozent.Der Anteil an Haushalten mit Kindern liegt mit 38 Prozentnur leicht unter dem Durchschnitt der Städte und Gemeindenzwischen 5000 und 100 000 Einwohnern (39 Prozent).Dagegen gibt es etwas mehr Einpersonenhaushalteals im bundesweiten Durchschnitt von 30 Prozent. DieHaushaltsstruktur der Bewohner entspricht somit weitgehenddem Durchschnitt der Kommunen aller Cluster.Auffällig ist, dass es mit einem Anteil von acht Prozentdeutlich mehr Ausländerhaushalte gibt als im bundesweitenDurchschnitt der Städte und Gemeinden dieser Gröûenordnung(fünf Prozent).Die Bevölkerungsentwicklung wird auch bis <strong>2020</strong>noch von Wachstum und Stabilität geprägt sein und durchschnittlichüberproportional wachsen. Allerdings werdendie Wachstumsraten nicht mehr das Niveau der vergangenenJahre erreichen. Bis <strong>2020</strong> wird für die Kommunendieses Clusters ein Bevölkerungswachstum von knappzwei Prozent prognostiziert.40 Prozent dieser Kommunen werden voraussichtlichweiter wachsen, die meisten moderat und nur wenigemehr als zehn Prozent. Bei einem ähnlich hohen Anteilvon knapp über 40 Prozent wird die Bevölkerung weitgehendstabil bleiben und im Jahr <strong>2020</strong> in etwa die gleicheEinwohnerzahl haben wie heute. Weniger als 20 Prozentder Kommunen werden bis <strong>2020</strong> voraussichtlich inmoderatem Umfang Bewohner verlieren, meist zwischenvier und sechs Prozent).Vergleicht man diese positive Bevölkerungsentwicklungjedoch mit den demographischen Entwicklungender wirtschaftlich starken Städte und Gemeinden des Demographietyps8, so erkennt man dort mit aktuell 5,3 ProzentZuwachs (1996±2003) bzw. zukünftig knapp drei Prozent(bis <strong>2020</strong>) deutlich höhere Durchschnittswerte.Abb. 3: Bevölkerungsentwicklung bis <strong>2020</strong>71


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Wanderungsgewinne bei Familien,Bildungswanderern und BerufseinsteigernSowohl bei den Familien als auch bei den Bildungswanderernund Berufseinsteigern können die meisten Städteund Gemeinden in diesem Demographietyp Wanderungsgewinneverbuchen. 70 Prozent der Kommunen verzeichnenein positives Wanderungssaldo bei den Familien,60 Prozent bei den 18- bis 24-Jährigen. Die Werte dieserAltersgruppen bilden in den meisten Städten und Gemeindenein leichtes Gegengewicht zu den Alterungsprozessen.Die Zuwanderung von Familien ist im Cluster 3 etwashöher als bei den meist benachbarten wirtschaftlich starkenStädten und Gemeinden mit hoher Arbeitsplatzzentralität(Cluster 8). Diese Werte sind jedoch deutlich niedrigerals bei den ostdeutschen suburbanen Wohnortenmit hohen Wachstumserwartungen.Bemerkenswert ist, dass in fast 30 Prozent der Kommunendie jungen Erwachsenen zwischen 18 und 24 Jahrenabwandern.Deutlicher Trend zur Alterung hält anDie Altersstruktur der Bevölkerung entspricht dem Durchschnittaller Cluster. Das Medianalter, also der Mittelwert,der die Bevölkerung in zwei gleich groûe Gruppenteilt, liegt wie im Durchschnitt aller Cluster bei 40,5 Jahren.Es wird bis <strong>2020</strong> um sieben Jahre auf 47,7 Jahre ansteigen.Gleichzeitig sinkt der Anteil der Kinder und Jugendlichenvon 19 auf 15 Prozent, und der Anteil der über60-Jährigen steigt von fast 24 Prozent auf über 30 Prozent.Der Anteil der über 80-Jährigen verdoppelt sich undbeträgt dann gut sieben Prozent. Dies bedeutet auch, dasssich die Nachfrage nach betreutem Wohnen verstärkenwird. Doch auch wenn diese Werte vergleichbar odersogar leicht besser sind als im Durchschnitt aller Cluster,wird der Alterungsprozess erhebliche Konsequenzen fürden Wohnungsmarkt und die Infrastruktur haben, auf diesich die Kommunen bereits heute einstellen sollten.Hohes WohlstandsniveauDie meisten Städte und Gemeinden in Cluster 3 sindWohnorte und haben nur geringe Bedeutung als Arbeitsort.Lediglich 26 der 361 Kommunen (sieben Prozent)haben Einpendlerüberschüsse und fungieren damit alsregionales Wirtschaftszentrum. Nahezu 80 Prozent sindAuspendlerorte.Vergleichbar mit den ostdeutschen suburbanen Wohnortendes Clusters 2 liegt die Arbeitsplatzzentralität mit0,7 nicht nur klar unter eins, sondern auch unter demDurchschnitt aller Cluster der Städte und Gemeinden zwischen5000 und 100 000 Einwohnern (0,8). Dadurchunterscheiden sie sich deutlich von den suburbanen Städtenund Gemeinden des Clusters 8, in denen wesentlichmehr Beschäftigte arbeiten als wohnen: Der Wert liegthier mit 1,7 deutlich über eins. Es kann davon ausgegangenwerden, dass viele Beschäftigte der Städte und Gemeindendes Clusters 3 täglich in die Kommunen desClusters 8 pendeln.Die Verteilung der Arbeitsplätze nach Sektoren verweistauf eine Dominanz des Dienstleistungssektors (62 Prozentder Arbeitsplätze). Die Arbeitslosenquote von achtProzent ist unterproportional. Die Arbeitsplatzentwicklungverlief in den letzten Jahren weitgehend positiv: Sie warmit einer Zunahme von 3,7 Prozent zwischen 1998 und2003 von Stabilität und Wachstum geprägt. Nur 17 Prozentder Kommunen verzeichneten Arbeitsplatzverluste,dann häufig allerdings um zehn Prozent und mehr.72


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Die Indikatoren des Demographietyps 3im ÜberblickGesamtzahl der Kommunen dieses Clusters = 361Bevölkerungsentwicklung2003 bis <strong>2020</strong>in ProzentMedianalter<strong>2020</strong> in JahrenArbeitsplatzzentralitätArbeitsplatzentwicklung1998 bis 2003in ProzentArbeitslosenquotein ProzentKommunaleSteuereinnahmenin EuroAnteil hochqualifizierterBeschäftigterin ProzentAnteil Mehrpersonenhaushaltemit Kindernin ProzentMittelwert 1,8 48 0,7 3,7 8,1 734 136 3875 Prozent derKommunen diesesClusters liegenin diesem Bereich.±4,0 bis +7,1 45 bis 50 0,4 bis 1,0 ±6,8 bis +14,1 6,1 bis 10,0 549 bis 935 10 bis 16 31 bis 46Vergleichswerte der 2877 Kommunen der gesamten ClustergruppeMittelwert ±0,7 48 0,8 0,1 12 609 7,4 39Die durchschnittlichen kommunalen Steuereinnahmenvon jährlich 733 Euro pro Einwohner sind leicht überproportional.Auch die weiteren sozialen und wirtschaftlichenIndikatoren, wie Kaufkraft, Anteil unterer und obererEinkommensgruppen, Arbeitslosenquoten und Anteilder Akademiker verweisen auf eine verhältnismäûig gutsituierte Bevölkerung in diesen Städten und Gemeinden.Herausforderungen für die KommunenDie Kommunen in Cluster 3 haben von den Entwicklungsprozessender letzten Jahre sehr profitiert. Sie müssendiese Wachstumseffekte aktiv für die Zukunft nutzen.Aufgrund ihrer auûergewöhnlich guten Standortbedingungenhaben sie die groûe Chance, sich mit überdurchschnittlichenHandlungsspielräumen auf die demographischenProzesse angemessen vorzubereiten. Das Risiko bestehtdarin, dass diese Kommunen die Weichen für eineweiterhin positive Entwicklung zu spät stellen. Sie stehenvor folgenden Herausforderungen:· demographiesensible Infrastrukturplanung im Augebehalten und Attraktivität als Wohn- und Lebensortlangfristig aufrecht erhalten· die Flächenentwicklung durch Stärkung der Innenentwicklunggezielt steuern· Balance zwischen Berufs- und Arbeitswelt professionellermöglichen· frühzeitig die Basis für eine zukunftsorientierte Seniorenpolitikschaffen (mit Schwerpunkten im bürgerschaftlichenEngagement)· Identität der Einwohner mit dem Standort stärken· Attraktivität als Wohn- und Lebensort langfristig aufrechterhalten73


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Handlungsansätze74Die überwiegende Zahl der Kommunen dieses Clusterssteht vor einem Paradigmenwechsel. Der bisher aufWachstum ausgerichtete Prozess ist nun abgeschlossen,da sich die Bevölkerungszunahme der letzten Jahre nichtweiter fortsetzen wird. Aufgrund der Ausgangssituationkönnen die Kommunen die Potenziale für eine zukunftsorientierteund demographiesensible Politik nutzen. Indiesem Sinne haben sie eine Vorbildfunktion. Handlungsansätzeund Maûnahmen werden in den folgendenBereichen empfohlen:· Siedlungs- und Flächenmanagement sowie interkommunaleKooperation ± Flächenmanagement inregionaler Verantwortung betreiben± Siedlungsentwicklung: Zersiedelung vermeiden± Innenentwicklung geht vor Auûenentwicklung· Entwicklung der Infrastruktur frühzeitig steuern± flexible und langfristig bedarfsgerechte Infrastrukturenschaffen± altersgerechten Umbau der Infrastruktur angehen± Infrastrukturbedarf regional abstimmen· Balance zwischen Familie und Beruf± flexible und moderne Betreuungsangebote anbieten± Ganztagsbetreuung an den Schulen ausbauen· Attraktivität des Standortes stärken± attraktive Wohnungen für Alt und Jung anbieten± Bildungsangebote für die Gruppe der 18- bis24-Jährigen zur Verfügung stellenDarüber hinaus ist es dringend erforderlich, Maûnahmenzur Stärkung der Kinder- und Familienfreundlichkeit zuergreifen und die Bausteine einer zukunftsorientiertenSeniorenpolitik vor Ort in praktikable Modelle zu überführen.Weitere ausführliche Informationen zu den Handlungsansätzenfür die Kommunen dieses Clusters finden Sieim Internet unter www.aktion2050.de/wegweiser.


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Typ 4:Schrumpfende und alternde Städte und Gemeinden mit hoher AbwanderungRäumliche Einordnung70 Prozent der ostdeutschen Städte und Gemeinden unter 100 000 Einwohner ± 332 von insgesamt 473 ostdeutschenKommunen ± liegen in diesem Cluster, doch nur weniger als ein Prozent der westdeutschen Kommunen. Cluster 4repräsentiert eher abgelegene Städte und Gemeinden, die sich relativ gleichmäûig auf alle neuen Bundesländer verteilen.20 Kommunen gehören den alten Bundesländern an (räumliche Schwerpunkte sind der Harz und das Wendlandum Lüchow-Dannenberg in Niedersachsen sowie die Ostseeküste in Schleswig-Holstein).Zu welchem Demographietyp gehört Ihre Kommune?Informationen dazu finden Sie im Internet unter www.aktion2050.de/wegweiser.Abb. 1: Räumliche Verteilung derStädte und Gemeinden des Clusters 4Charakteristisch für diese Städte und Gemeinden ist einestark rückläufige und deutlich älter werdende Bevölkerung.Dieser allgemeine Trend begann bereits nach derWende 1989/90 und wird sich auch zukünftig fortsetzen.Damit verbunden sind selektive Abwanderungen der jungenBevölkerung, insbesondere auch von Frauen (im gebärfähigenAlter). Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeitund der geringen wirtschaftlichen Potenziale wird derAlterungs- und der Abwanderungsprozess der besondersgut gebildeten Fachkräfte und Akademiker anhalten.Die Regionen entwickeln sich jedoch keineswegs einheitlich.Ost-Deutschland ist gekennzeichnet durch einPatchwork von Gewinner- und Verliererkommunen ±Wachstum und Schrumpfung liegen hier häufig in mehrfacherHinsicht nah beieinander.Starker BevölkerungsrückgangDie Städte und Gemeinden im Cluster 4 verzeichnen imVergleich den deutlich höchsten Bevölkerungsrückgang.So sank die Einwohnerzahl zwischen 1996 und 2003 durchschnittlichum 7,8 Prozent. In 50 Kommunen schrumpftesie sogar um über 10 Prozent. Diese Entwicklung wird sichauch bis <strong>2020</strong> fortsetzen, die Bevölkerung wird voraussichtlichum weitere 13 Prozent zurückgehen.In den schrumpfenden Kommunen kommt es im Zusammenhangmit dem fortschreitenden Flächenverbrauchzu einer starken passiven Entdichtung. Die weniger dichteund gleichzeitig zunehmend verstreute Siedlungsstrukturwirkt sich sehr negativ auf die Infrastruktur und ihre Bereitstellungaus.Charakteristische EntwicklungenVerschiebung der AltersgruppenVerbunden mit der Schrumpfung sind Prozesse der Alterung.Im Jahr 2003 war bereits die Hälfte der Bevölkerungüber 43 Jahre alt. Bis <strong>2020</strong> altert die Gesellschaftum durchschnittlich weitere 10 Jahre. In fast allen Kommunenaus Cluster 4 (338 von 352) wird dann die Hälfteder Bevölkerung älter als 50 Jahre sein. In zehn Kommu-75


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Profil des Demographietyps 4Abb. 2: Gemeindegröûenen wird die Altersgrenze, die die Bevölkerung in zweigleich groûe Gruppen teilt (Medianalter), sogar über 58Jahre liegen.Die alternden Städte und Gemeinden resultieren jedochnicht nur aus der steigenden Zahl älterer Menschen.Sie entstehen auch durch einen ausgeprägten Rückgangder jüngeren Bevölkerung. Damit kommt es also zu einerdeutlichen Verschiebung der Altersgruppen:· Bereits heute gibt es anteilig deutlich weniger Kinderund Jugendliche (unter 18 Jahre) als in allen anderenClustern.· Die Schere zwischen Jung und Alt wird auch inZukunft überproportional auseinander gehen. Über 28Prozent der Einwohner sind älter als 60 Jahre und 4,6Prozent älter als 80 Jahre. Der Anteil der über 60-Jährigenwächst bis <strong>2020</strong> auf knapp 40 Prozent. Währenddann jede/r Zehnte älter als 80 Jahre ist, wird nurjede/r Achte noch nicht volljährig sein. Die Anteilealler drei Altersgruppen weisen sowohl aktuell alsauch zukünftig extreme Werte auf.· Eine wichtige Ursache für den Alterungsprozess ist dieselektive Abwanderung vor allem der 18- bis 24-Jährigen.Auch die Abwanderung der 18- bis 34-jährigenFrauen ist überdurchschnittlich hoch. Dass Frauen imgebärfähigen Alter die Regionen verlassen ± dies begannbereits in den 1990er Jahren ±, hat nicht nur zur Folge,dass ihre Kinder nun in anderen Gebieten zur Weltkommen; es zeichnet sich auch eine sprunghafte Geburtenabnahmeum das Jahr 2010 ab (»Zweiter Geburtenknick«):Die in den 1990er Jahren nicht geborenenMädchen können später auch keine Kinder gebären.· Die Schrumpfung und die Veränderung der Altersstrukturwirken sich schon heute deutlich auf den Wohnungsmarktder Städte und Gemeinden aus. WährendMarktprozesse und das Programm Stadtumbau Ostauch zukünftig den strukturellen Leerstand nicht beseitigenkönnen, wird sich mit den Altersgruppenauch das Potenzial an Hauptnachfragegruppen verschieben.Wenn sich die Gruppe der über 80-Jährigenin absehbarer Zeit verdoppelt, wird das betreute Wohnenzu einer dringlichen Aufgabe. Gleichzeitig sinkenmit dem deutlichen Rückgang der 18- bis 24-Jährigendie Ersthaushaltsgründungen. Darüber hinaus wird esimmer weniger junge Familien geben, die Wohneigentumerwerben.Schwaches wirtschaftliches PotenzialDie ökonomische Basis der Städte und Gemeinden inCluster 4 ist äuûerst schwach. Die Werte der sozialen undwirtschaftlichen Indikatoren (wie Anteil unterer Einkommensgruppen,Kaufkraft und Arbeitslosenquoten) verweisenauf gravierende Probleme.76


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>· Nahezu alle kommunalen Haushalte sind abhängig vonSubventionen und dem kommunalen Finanzausgleich.So haben 59 Prozent der Städte und Gemeinden Steuereinnahmenvon weniger als 300 Euro pro Jahr und Einwohner.Bei jeder zehnten Kommune liegt der Betragsogar unter 200 Euro. ¾hnlich niedrige Werte findensich nur in anderen ostdeutschen Kommunen (z.B. imCluster 2). Der Durchschnitt aller Kommunen zwischen5000 und 100 000 Einwohnern liegt bei 609 Euro.· Die Arbeitsplätze sind zu über 60 Prozent im Dienstleistungssektorangesiedelt; das verarbeitende Gewerbeist mit einem Anteil von 34 Prozent schwach vertreten,während der primäre Sektor (Landwirtschaft,Forsten, Fischerei) mit 3,5 Prozent der Arbeitsplätzerelativ ausgeprägt ist. Erhebliche Arbeitsplatzverlustekennzeichnen die Entwicklung der letzten Jahre. Inüber 80 Prozent der Kommunen ging die Zahl derArbeitsplätze zwischen 1998 und 2003 zurück, meistum mehr als zehn Prozent.· In ihrer wirtschaftlichen Funktion unterscheiden sichdie Städte und Gemeinden dieses Typs deutlich voneinander.Etwa ein Drittel ist regional bedeutend alsArbeitsplatzzentrum, 45 Prozent sind Wohnorte mithohen Auspendlerraten, und in gut 20 Prozent entsprichtdie Zahl der Arbeitsplätze in etwa der Zahl dererwerbstätigen Bewohner. In nahezu 90 Prozent allerKommunen liegt die Arbeitslosenquote über 20 Prozent,in der Hälfte aller ostdeutschen Städte undGemeinden dieses Clusters sogar bei 25 Prozent biszu 36,6 Prozent. Die Arbeitslosigkeit liegt damit deutlichhöher als in allen anderen Clustern.· Durch den sehr negativen Wanderungssaldo der jungenBevölkerung wird es in einigen Städten und Gemeindenzu einem drastischen Fachkräftemangel kommen.Der so genannte »Brain-drain«-Effekt ist bereitsheute vielerorts spürbar und wird weiter anhalten.Heterogene EntwicklungenDie demographischen (und wirtschaftlichen) Entwicklungender Kommunen dieses Clusters verlaufen jedoch keinesfallseinheitlich. Die Unterschiede finden sich sowohlin den Gröûenklassen als auch räumlich innerhalb derverschiedenen ostdeutschen Regionen. So weichen dieBevölkerungsentwicklungen der einzelnen Kommunendeutlich voneinander ab: Sie reichen aktuell im Zeitraumzwischen 1996 bis 2003 von ±31,2 bis +7,41 Prozent undvon 2003 bis <strong>2020</strong> von ±47,1 bis +6,3 Prozent. Einigeschrumpfende Kommunen liegen sogar unmittelbar nebenStädten und Gemeinden mit hohen Wachstumserwartungen.In Ost-Deutschland sind somit Gewinner- und Verliererkommunenpatchworkartig verteilt.Aus den dynamischen Entwicklungen und Strukturbrüchenseit 1989/90 ergibt sich darüber hinaus aucheine groûe Unsicherheit hinsichtlich zukünftiger Entwicklungen.Die Zuordnung der Kommunen innerhalbund zwischen den (ostdeutschen) Clustern kann sichdemzufolge verschieben. Dies stellt die Prognosen an sichnicht in Frage. Die Unwägbarkeiten in den Prognosenunterstreichen vielmehr die Notwendigkeit, sich mutigauf einen zukunftsoffenen, szenariengeleiteten Prozesseinzulassen, der einerseits auf Sicherheit setzt und andererseitsKreativität zulässt.Herausforderungen für die KommunenDie Kommunen in Cluster 4 sind vom demographischen<strong>Wandel</strong> am stärksten betroffen und haben den gröûtenHandlungsbedarf. Als oberstes Ziel aller kommunalen Anpassungsstrategiengilt es, hier Lösungen für tragfähigeStrukturen der kommunalen Entwicklung zu finden.Voraussetzung dafür ist es, den Bevölkerungsrückgang77


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Die Indikatoren des Demographietyps 4 im ÜberblickGesamtzahl der Kommunen dieses Clusters = 352Bevölkerungsentwicklung2003 bis <strong>2020</strong>in ProzentMedianalter<strong>2020</strong> in JahrenArbeitsplatzzentralitätArbeitsplatzentwicklung1998 bis 2003in ProzentArbeitslosenquotein ProzentKommunaleSteuereinnahmenin EuroAnteil hochqualifizierterBeschäftigterin ProzentAnteil Mehrpersonenhaushaltemit Kindernin ProzentMittelwert ±13,4 53 1,0 ±14,7 24,9 302 8 3475 Prozent derKommunen desClusters liegenin diesem Bereich.±21,3 bis ±5,1 51 bis 56 0,6 bis 1,3 ±26,9 bis ±3,2 19,6 bis 30,6 205 bis 388 6 bis 10 26 bis 42Vergleichswerte der 2877 Kommunen der gesamten ClustergruppeMittelwert ±0,7 48 0,8 0,1 12 609 7,4 39zunächst zu akzeptieren und sich darauf einzustellen.Dies bedeutet nicht, dass diese Kommunen auch einenVerlust an Lebensqualität hinnehmen müssen. Stattdessengilt es, als mittel- und langfristiges Ziel, eine Optimierungder Situation und eine Stabilisierung der Bevölkerungszahlennicht aus den Augen zu verlieren. Dazugehören die· Milderung der Auswirkungen der starken Wanderungsverluste± vor allem bei den gut ausgebildeten Fachkräftenund Akademikern· Stärkung der wirtschaftlichen Basis in einem schwierigenökonomischen Umfeld, das von einer hohen Veränderungsdynamikgekennzeichnet ist· Ausrichtung der kommunalen Infrastruktur auf dieabsehbaren Schrumpfungsprozesse und damit dieGewährleistung langfristig tragfähiger Strukturen derkommunalen Entwicklung· Konzentration auf die SiedlungskerneHandlungsansätzeAufgrund der Ausgangssituation werden prioritäre Handlungsansätzeund Maûnahmen in den folgenden Bereichenempfohlen:· Prioritäten der Stadtentwicklung (durch)setzen± Aufmerksamkeit lokaler Entscheider auf Prioritätenfragenlenken± Anpassung der Infrastruktur realisieren± ökonomische Basis der Kommunen neu definieren± Konzentration auf zentrale Orte und Siedlungsstrukturen· Regional arbeitsteilig vorgehen± zukunftsrobuste regionale Siedlungsstruktur entwickeln± regionale Verwaltungskooperationen aufbauen± arbeitsteilige Übernahme zentralörtlicher FunktionenumsetzenDarüber hinaus ist es dringend erforderlich, die Bausteineeiner zukunftsorientierten Seniorenpolitik vorOrt in praktikable Modelle zu überführen.78Weitere ausführliche Informationen zu den Handlungsansätzenfür die Kommunen dieses Clusters finden Sieim Internet unter www.aktion2050.de/wegweiser.


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Typ 5:Stabile Städte und Gemeinden im ländlichen Raum mit hohem FamilienanteilRäumliche EinordnungIn diesem Cluster liegen mit 740 Kommunen die meisten der insgesamt untersuchten Städte und Gemeinden. Es handeltsich überwiegend um kleinere ländliche Gemeinden mit weniger als 25 000 Einwohnern, in der Hälfte dieser Kommunenwohnen 5000 bis 10 000 Einwohner. Die fünf Städte mit über 50 000 Einwohnern bilden die Ausnahme hinsichtlichder Gröûenstruktur in diesem Cluster.Zu welchem Demographietyp gehört Ihre Kommune?Informationen dazu finden Sie im Internet unter www.aktion2050.de/wegweiser.Abb. 1: Räumliche Verteilung derStädte und Gemeinden des Clusters 560 Prozent der Kommunen liegen in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern, wo sie relativ gleichmäûig verteiltsind. Nördlich dieser Bundesländer konzentrierensie sich auf den westlichen Teil Deutschlands, d.h. aufNordrhein-Westfalen und das norddeutsche Tiefland inNiedersachsen. Nur zwei Gemeinden liegen in den neuenBundesländern.Charakteristische EntwicklungenDie stabilen ländlichen Gemeinden des Clusters 5 befindensich in verstädterten Räumen und in verdichtetenKreisen von Agglomerationsräumen. Sie haben eine ähnlicheLage wie die prosperierenden Städte und Gemeindenim ländlichen Raum (Cluster 7).Ein wichtiges Merkmal dieser Gemeinden: Ihre Bevölkerungwächst. Die Geburtenraten liegen höher als in allenanderen Clustern. Charakteristisch sind hier die vielenFamilien mit Kindern und eine insgesamt überproportionaljunge Bevölkerung. Der Anteil der Kinder und Jugendlichenan der Gesamtbevölkerung liegt in diesem Clusteram höchsten, und es wohnen hier verhältnismäûig wenigältere Menschen. Die Zuwanderung von Familien begünstigtdie relativ moderaten Alterungsprozesse.In den Gemeinden dominiert die Wohnfunktion, ihreBedeutung als Arbeitsort ist gering. Obwohl die Arbeitslosenzahlenunter dem Durchschnitt liegen und die Zahlder Arbeitsplätze in den letzten Jahren leicht zugenommenhat, wandern viele der 18- bis 24-jährigen Berufseinsteigerund Bildungswanderer ab. Typisch für ländlicheGemeinden sind die vergleichsweise wenigen qualifiziertenArbeitskräfte und die niedrigen kommunalen Steuereinnahmen.Aufgrund der etwas schwächeren ökonomischenBasis fällt das Bevölkerungswachstum bescheideneraus als in den prosperierenden Städten und Gemeindenim ländlichen Raum des Clusters 7. Die Bevölkerungbleibt jedoch auch in Zukunft stabil.79


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Profil des Demographietyps 5Viele Familien, Kinder und JugendlicheIn den Städten und Gemeinden in Cluster 5 gibt es auffälligviele Mehrpersonenhaushalte mit Kindern. Der imVergleich zu den anderen Clustern höchste Anteil liegtmit durchschnittlich 46,8 Prozent um fast acht Prozentüber dem Durchschnitt aller Städte und Gemeinden zwischen5000 und 100 000 Einwohnern. In den anderenländlich bzw. suburban geprägten Clustern sind die Zahlenteilweise deutlich niedriger. ¾hnlich hohe Durchschnittswertemit mehr als 40 Prozent weisen nur dieprosperierenden ländlichen Städte und Gemeinden desClusters 7 (45 Prozent) und die (ostdeutschen) suburbanenWohnorte des Clusters 2 (43 Prozent) auf. Bezeichnendfür die ländlichen Gemeinden sind die unterrepräsentiertenEinpersonenhaushalte mit durchschnittlich 24Prozent.Ein weiteres typisches Merkmal der Kommunen diesesClusters ist der im Vergleich gröûte Anteil an KindernAbb. 2: Haushalte mit Kindernund Jugendlichen (in Relation zur Gesamtbevölkerung),der mit 22 Prozent drei Prozentpunkte über dem Durchschnittaller Cluster liegt. Auch bei den Geburtenratenführen die betreffenden Kommunen die Statistik an. Deshalbwird auch in Zukunft der Anteil der unter 18-Jährigen(17 Prozent) höher liegen als in den anderen Clustern(durchschnittlich 15,3 Prozent).Stabile BevölkerungsentwicklungDie Bevölkerungsentwicklung verläuft entgegen dem bundesweitenTrend leicht positiv: Zwischen 1996 und 2003stieg sie um fünf Prozent an und wird voraussichtlich bis<strong>2020</strong> um mehr als zwei Prozent zulegen. Dies ist sowohlauf die Prozesse der natürlichen Bevölkerungsentwicklungzurückzuführen als auch auf die Wanderungsgewinnebei den Familien.Zwischen den Jahren 2000 und 2003 wanderten indieser Bevölkerungsgruppe durchschnittlich 0,7 Prozentmehr zu als ab. Der Wanderungssaldo war jedoch bei den18- bis 24-Jährigen negativ (±0,6 Prozent). Auf dem Wohnungsmarktwerden dadurch mehr Eigentumswohnungen(bzw. -häuser) nachgefragt und weniger kleinereWohnungen (für Ersthaushaltsgründer).Moderate AlterungsprozesseDie vergleichsweise vielen Familien und Kinder bzw.Jugendlichen sowie die überproportional vielen Geburtenveranschaulichen die relativ junge Bevölkerung in diesenKommunen. Dadurch sind auch die aktuellen und zukünftigenAnteile der höheren Altersgruppen verhältnismäûigniedrig. Die der über 60-Jährigen steigen von durchschnittlich21,8 Prozent im Jahr 2003 auf 28,8 Prozent im Jahr80


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Die Indikatoren des Demographietyps 5 im ÜberblickGesamtzahl der Kommunen dieses Clusters = 740Bevölkerungsentwicklung2003 bis <strong>2020</strong>in ProzentMedianalter<strong>2020</strong> in JahrenArbeitsplatzzentralitätArbeitsplatzentwicklung1998 bis 2003in ProzentArbeitslosenquotein ProzentKommunaleSteuereinnahmenin EuroAnteil hochqualifizierterBeschäftigterin ProzentAnteil Mehrpersonenhaushaltemit Kindernin ProzentMittelwert 2,3 46 0,6 1,2 8,8 583 6 4775 Prozent derKommunen diesesClusters liegenin diesem Bereich.±3,9 bis +8,3 44 bis 48 0,3 bis 0,9 ±8,1 bis +10,3 6,4 bis 11,3 414 bis 757 4 bis 8 40 bis 54Vergleichswerte der 2877 Kommunen der gesamten ClustergruppeMittelwert ±0,7 48 0,8 0,1 12 609 7,4 39<strong>2020</strong> (+7 Prozent) und die der über 80-Jährigen von 3,4auf 6,9 Prozent (+3,5 Prozent).Das Medianalter, der Wert, der die Bevölkerung inzwei gleich groûe Gruppen teilt, liegt bereits heute mit38,5 Jahren zwei Jahre unter dem Mittel aller Cluster undwird auch <strong>2020</strong> mit 46,1 Jahren deutlich niedriger liegenals im Durchschnitt (48,4 Jahre). Trotzdem finden auch indiesen Städten und Gemeinden deutlich erkennbare, wennauch moderate Alterungsprozesse statt.Dominante Wohnfunktion, geringe Bedeutung als ArbeitsortDie Bedeutung der ländlichen Gemeinden als Arbeitsortist traditionsgemäû gering. Dies wird zum einen durchdie niedrige Arbeitsplatzzentralität von 0,6 deutlich, zeigtsich aber auch an den relativ niedrigen kommunalenSteuereinnahmen, insbesondere einiger nord(west)deutscherKommunen. Während der Durchschnitt von 583 Europro Jahr und Einwohner nur leicht unterproportional ist,weisen 35 Prozent der norddeutschen Gemeinden ausNiedersachsen und Schleswig-Holstein Werte von unter400 Euro auf. In den anderen alten Bundesländern habenlediglich 3,5 Prozent der Kommunen ähnlich enge finanzielleHandlungsspielräume.In den ländlich gelegenen Städten und Gemeinden istdie Arbeitslosigkeit von durchschnittlich 8,8 Prozent seitjeher niedrig. Mit 5,7 Prozent wohnen hier allerdingsauch weniger hoch qualifizierte Arbeitskräfte als imDurchschnitt aller Städte und Gemeinden mit einer Bevölkerungvon 5000 bis 100 000 Einwohnern (7,4 Prozent).Aufgrund der etwas ungünstigeren ökonomischen Ausgangssituationim Vergleich zu den prosperierenden ländlichenKommunen des Clusters 7 kommt es trotz einesleichten Arbeitsplatzzuwachses zwischen 1998 und 2003von 1,2 Prozent bei den Bildungswanderern und Berufseinsteigern(18- bis 24-Jährigen) nicht zu Wanderungsgewinnen.Herausforderungen für die KommunenDie Städte und Gemeinden dieses Demographietyps verfügenaktuell über eine vergleichsweise starke soziale,wirtschaftliche und demographische Stabilität. Den demographischenHandlungsdruck gibt es hier (noch) nicht.Diese Städte und Gemeinden verfügen damit über stabileStrukturen und können diese nachhaltig sichern, wennsie eine frühzeitige Vorsorgepolitik einleiten. Darauserwachsen folgende Herausforderungen:· Die Stabilität darf nicht mit Sicherheit verwechselt werden.Bei einer ± auch durch die bundesweite demographischeEntwicklung ± verschärften Standortkonkurrenzkann Stabilität ohne pro-aktive Entwicklungssteuerunggerade bei kleineren und mittelgroûen Kommunenund im ländlichen Raum schnell in Labilität umschlagen.Die Abwanderung der 18- bis 24-Jährigen u.a. zuBildungs- und Ausbildungszwecken ist ein Indiz dafür,wie stark die Entwicklung von der Attraktivität alsWohnstandort für Familien und Rückwanderer einerseitsund der regionalen Arbeitsplatzsituation andererseitsabhängt.· Diese Städte und Gemeinden haben die Chance, gestaltendfrühzeitig Vorsorge für eine nachhaltige stabileEntwicklung zu treffen.· Aus ihrer pointierten Profilierung als Familien-Wohnstandorteresultiert die eindeutige Vorgabe, dieseStärke weiter auszubauen. Dies ist vor allem auch deshalbwichtig, weil Veränderungen der Erwerbstätigkeitenund Arbeitsmarktbedingungen sehr intensive81


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>82Wechselwirkungen zur Belastbarkeit familienorientierterStrukturen haben.· Die starke Abhängigkeit von der regionalen Entwicklungerfordert regionale Partnerschaften, um genügendSubstanz im Standortwettbewerb zu versammeln.Dazu braucht es eine zukunftsrobuste Siedlungsentwicklungund Infrastrukturausstattung im regionalenKontext ± mit dem Ziel der Stärkung der Zentren.· Zur Vorbereitung auf die zunehmende Alterung derBevölkerung ist in den strategischen Zukunftsplanungeneine zukunftsorientierte Seniorenpolitik zwingendmit einzubeziehen.HandlungsansätzeAusgehend von den Herausforderungen sollten für dieKommunen dieses Clusters folgende HandlungsansätzePriorität haben:· Profilierung als kinder- und familienfreundlicherWohnstandort± Transparenz und Vernetzung aller Angebote gewährleisten± hochwertiges Schulangebot sichern± Kinderbetreuung als Standortfaktor ausbauen± Unterstützungsstrukturen für pflegende Angehörigeaufbauen· Flächen- und Infrastrukturmanagement± alle (neuen) Infrastrukturen am künftig absehbarenBedarf orientieren (z.B. veränderte Altersstrukturenbedenken)± Angebote räumlich bündeln und mit privatenund gemeinnützigen Anbietern kooperieren± regionales Flächenmanagement organisieren (Zersiedelungvermeiden)± wichtige Funktionen mit benachbarten Ortenarbeitsteilig gewährleisten (z.B. Verwaltungskooperationen)· Sensibilisierung und strategische Zukunftsvorsorge± Monitoring: Entwicklungen analysieren, Frühwarn-und Kontrollsysteme einrichten± Sensibilisierung: Informationen vermitteln undMitwirkungsmöglichkeiten eröffnen± Strategische Entwicklungsplanung: Ziele laufendprüfen und justierenDarüber hinaus ist es dringend erforderlich, Maûnahmenzur Stärkung der Kinder- und Familienfreundlichkeitzu ergreifen und die Bausteine einer zukunftsorientiertenSeniorenpolitik vor Ort in praktikable Modellezu überführen.Weitere ausführliche Informationen zu den Handlungsansätzenfür die Kommunen dieses Clusters finden Sieim Internet unter www.aktion2050.de/wegweiser.


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Typ 6:Städte und Gemeinden im ländlichen Raum mit geringer DynamikRäumliche EinordnungDie 579 Kommunen dieses Demographietyps liegen überwiegend in ländlichen Räumen. Sie sind vielfach Kleinzentrenund dörflich geprägte Gemeinden mit dezentralen Siedlungsstrukturen. In mehr als 50 Prozent leben 5000 bis 10 000Einwohner, 91 Prozent (526 von 579) haben weniger als 25 000 Einwohner. 13 der 15 Städte mit einer Einwohnerzahlzwischen 50 000 und 100 000 liegen in Nordrhein-Westfalen.Zu welchem Demographietyp gehört Ihre Kommune?Informationen dazu finden Sie im Internet unter www.aktion2050.de/wegweiser.Abb. 1: Räumliche Verteilung derStädte und Gemeinden des Clusters 6strukturellen Unterschiede in den Ländern mitberücksichtigtwerden. Während etwa in Niedersachsen Kleinstgemeindenflächenhaft zu Samtgemeinden (mit häufigmehr als 5000 Einwohnern) mit einem eigenen Kommunalparlamentzusammengeschlossen wurden und so vielfachauch in diesem Cluster auftauchen, liegt der überwiegendeTeil der Gemeinden in Rheinland-Pfalz undMecklenburg-Vorpommern in der Gemeindegröûenklasseunter 5000 Einwohner und konnte im Rahmen der Untersuchungnicht erfasst werden. In Bayern dominiert ebenfallsdie Kleinteiligkeit.In Süd- und Ost-Deutschland sind die Gemeinden vorallem in Grenzlagen und anderen agglomerationsfernenGebieten des ländlichen Raumes zu finden. In Nord-Deutschland konzentrieren sie sich auûerdem noch aufden östlichen Teil der alten Bundesländer Hessen, Nordrhein-Westfalenund Niedersachsen.Charakteristische EntwicklungenDie Kommunen verteilen sich auf alle Flächenländer: 31Prozent liegen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen,13,5 Prozent in Nordrhein-Westfalen, sieben Prozent inOst-Deutschland und 48,5 Prozent in den übrigen (süddeutschen)Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg,Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland.Bei der Beschreibung der geographischen Lage müssenjedoch die unterschiedlichen Gemeindezuschnitte undDie Städte und Gemeinden sind geprägt durch eineschrumpfende und alternde Bevölkerung. Charakteristischist eine ausgewogene, aber für ländliche Räume untypischeHaushaltsstruktur mit einem verhältnismäûig niedrigenAnteil an Kindern und Jugendlichen (unter 18 Jahre)und einem relativ hohen Anteil älterer Menschen. Insbesonderedie jungen Erwachsenen wandern aus den Städtenund Gemeinden ab, um sich in Arbeits- und Wirtschaftszentreneinen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu suchen.Die wirtschaftliche Strukturschwäche drückt sich ineiner geringen Arbeitsplatzzahl und einer rückläufigenArbeitsplatzentwicklung aus sowie in niedrigen kommunalenSteuereinnahmen pro Einwohner. Nur die (überwiegendostdeutschen) Kommunen des Clusters 4 haben eine nochschlechtere demographische und ökonomische Perspektive.83


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Profil des Demographietyps 6Schrumpfende BevölkerungDie Bevölkerung stagniert bzw. nimmt bereits seit Mitteder 1990er Jahre ab. Sie wird bis <strong>2020</strong> nochmals deutlichüberproportional um durchschnittlich drei Prozent zurückgehen.50 Prozent der Kommunen des Clusters werdenschrumpfen, überwiegend zwischen drei und zehnProzent. In über 60 der 579 Kommunen werden die Verlustesogar mehr als zehn Prozent betragen. Stabil wachsendeGemeinden sind im Cluster 6 die absolute Ausnahme.So müssen sich diese Kommunen auf deutliche Wanderungsverlustevorbereiten, insbesondere bei den jungenErwachsenen. Drei Viertel der Städte und Gemeindenhaben in den letzten Jahren Einwohner zwischen 18 und24 Jahren in meist beträchtlicher Zahl verloren.Noch höhere Wanderungsverluste bei den Berufseinsteigernund Bildungswanderern finden sich nur noch inden (überwiegend in Ostdeutschland befindlichen) Clustern2 und 4. Andererseits verzeichnen über die Hälfte derKommunen in der mittleren Altersgruppe bzw. bei denFamilien (30- bis 49-Jährige sowie Kinder und Jugendlichebis 18 Jahre) Wanderungsgewinne; diese lagen aberauf einem vergleichsweise niedrigen Niveau.Die Haushaltsstruktur ähnelt dem Mittel aller Cluster.Dies ist jedoch eher untypisch für ländlich geprägteGemeinden und deutet auf strukturelle Probleme in derBevölkerungsentwicklung hin. So liegt der Anteil anMehrpersonenhaushalten mit Kindern bei 39 Prozent,während er im Vergleich dazu in den stabilen bzw. dynamischenländlichen Gemeinden der Cluster 5 und 7 beifast 47 Prozent bzw. 45 Prozent liegt. Familien mit Kindernsind demnach in diesem Cluster im Vergleich zumsonstigen ländlichen Raum schwach vertreten.Deutliche AlterungsprozesseDie Alterungsprozesse waren bereits in der Vergangenheitdeutlich erkennbar, werden sich in Zukunft fortsetzenund im Vergleich zum bundesweiten Mittel allerCluster noch beschleunigen. So wird die Altersgrenze, diedie Bevölkerung in zwei gleich groûe Gruppen teilt (Medianalter),bis <strong>2020</strong> gegenüber 2003 um 8,5 Jahre auf49,5 Jahre ansteigen. Der Anteil der über 80-Jährigen wirdsich bis <strong>2020</strong> verdoppeln und dann nahezu neun Prozentan der Gesamtbevölkerung in der Kommune betragen. EinDrittel aller Einwohner hat <strong>2020</strong> bereits das 60. Lebensjahrüberschritten, weniger als 15 Prozent werden dann unter18 Jahre alt sein.Wirtschaftliche StrukturschwächeDie vergleichsweise ungünstigen demographischen Entwicklungengehen mit einer wirtschaftlichen Strukturschwächeeinher. So haben die Städte und Gemeinden durchwegkeine überlokale Bedeutung als Arbeits- und Wirtschaftszentrum.Nur zwei Prozent (insbesondere die wenigengröûeren Kommunen) verzeichnen moderate Einpendlerüberschüssevon Erwerbstätigen. Fast alle Gemeinden sindklassische Auspendlerorte.Von den ohnehin relativ wenigen Arbeitsplätzen gingenzwischen 1998 und 2003 durchschnittlich weiterefünf Prozent verloren. In etwa der Hälfte der Kommunenist die Zahl sogar deutlich zurückgegangen, dabei in denmeisten Fällen um mehr als zehn Prozent.Die Arbeitsplätze sind zu knapp 60 Prozent im Dienstleistungssektorund zu etwa 40 Prozent im verarbeitendenGewerbe angesiedelt. Der Wirtschaftssektor Landwirtschaft,Forsten und Fischerei stellt mit gut zwei Prozentwenige der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze.84


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Die Indikatoren des Demographietyps 6 im ÜberblickGesamtzahl der Kommunen dieses Clusters = 579Bevölkerungsentwicklung2003 bis <strong>2020</strong>in ProzentMedianalter<strong>2020</strong> in JahrenArbeitsplatzzentralitätArbeitsplatzentwicklung1998 bis 2003in ProzentArbeitslosenquotein ProzentKommunaleSteuereinnahmenin EuroAnteil hochqualifizierterBeschäftigterin ProzentAnteil Mehrpersonenhaushaltemit Kindernin ProzentMittelwert ±3,2 50 0,6 ±5,5 11,8 501 6 3975 Prozent derKommunen diesesClusters liegenin diesem Bereich.±9,4 bis +3,0 48 bis 52 0,4 bis 0,9 ±16,8 bis 5,0 8,4 bis 15,5 378 bis 636 4 bis 8 32 bis 46Vergleichswerte der 2877 Kommunen der gesamten ClustergruppeMittelwert ±0,7 48 0,8 0,1 12 609 7,4 39Dennoch gibt es einzelne Gemeinden, in denen über zehnProzent der Erwerbspersonen noch in diesem Wirtschaftssektorbeschäftigt sind.Der im Vergleich aller Cluster niedrigste Anteil anhoch qualifizierten Arbeitskräften (unter sechs Prozent),eine überproportional hohe Arbeitslosenquote von durchschnittlichfast zwölf Prozent und sehr niedrige kommunaleSteuereinnahmen von durchschnittlich 500 Europro Einwohner und Jahr zeigen die begrenzten Eigenpotenzialeder Gemeinden. Insbesondere bei denjenigen,die in den neuen Bundesländern und in Niedersachsenliegen, sind die finanziellen Handlungsspielräume sehrgering. Während im Mittel 16 Prozent aller Gemeindendieses Clusters nur eine Steuereinnahmekraft von wenigerals 400 Euro aufweisen, sind es in Niedersachsenbereits ein Viertel und in den neuen Ländern mit einerAusnahme alle Kommunen dieses Clusters. In 29 der 41ostdeutschen Kommunen liegen die kommunalen Steuereinnahmenpro Einwohner bei unter 300 Euro pro Jahr.Herausforderungen für die KommunenDie Städte und Gemeinden im Demographietyp 6 sinddurch die demographischen Veränderungen besonders betroffen.In den kommenden Jahren werden die Schrumpfungs-und Alterungsprozesse erhebliche soziale, wirtschaftlicheund technische Anpassungsmaûnahmen erfordern,Leistungseinschränkungen sind dabei nicht zuvermeiden. Umso mehr kommt es darauf an, langfristigdie Lebensqualität in der Kommune zu sichern und dieAttraktivität der ländlichen Räume zu erhalten bzw. auszubauen.Für die Kommunen in Cluster 6 besteht dringenderHandlungsbedarf. Sie sind aufgefordert, möglichst umgehendaktiv zu werden und Handlungsstrategien für dendemographischen <strong>Wandel</strong> kreativ zu entwickeln. DieLeistungskraft der öffentlichen Hand reicht in den Städtenund Gemeinden jedoch keinesfalls aus, um die breitePalette an Handlungsmöglichkeiten wirkungsvoll umzusetzen.Unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreicheAnpassung an den demographischen <strong>Wandel</strong> ist esdaher in diesen Kommunen, alle denkbaren Ressourcenauszuschöpfen, die sich beispielsweise aus der Mobilisierungdes bürgerschaftlichen Engagements und regionalenKooperationen ergeben. Die Gemeinden in diesem Clusterstehen damit vor groûen Herausforderungen:· Aufgrund der finanziell oft stark eingeschränktenLeistungskraft müssen sie konsequent Schwerpunktesetzen.· Enger werdende finanzielle Spielräume der öffentlichenHand bei wachsender Aufgabenkomplexität erfordernes mehr denn je, das bürgerschaftliche ehrenamtlicheEngagement mit Nachdruck zu fördern. Die aktiveMitgestaltung und Zusammenarbeit von Akteuren ausdem öffentlichen, privatwirtschaftlichen und gesellschaftlichenBereich und die Zusammenführung alleröffentlichen und privaten Ressourcen eröffnet vielfältigeChancen, vorhandene Entwicklungspotenziale besserzu nutzen.· Mit einer kreativen, zukunftsorientierten Seniorenpolitikmüssen die »Potenziale des Alters« als besondereChance genutzt werden; gleichzeitig muss Vorsorgefür eine ± möglichst häusliche ± Betreuungpflegebedürftiger älterer Menschen getroffen werden.· Eine intensive interkommunale, regionale Kooperationist zu fördern, um durch Bündelung von Knowhowund Potenzialen in der Region eine Angebotsdichte,-vielfalt und -qualität zu gewährleisten, die dieGemeinden allein nicht sichern können.85


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Handlungsansätze86Die Städte und Gemeinden dieses Clusters sollten folgendeHandlungsansätze prioritär verfolgen:· Konzentration auf strategische Handlungsprioritätenund Kernfunktionen± fundierte Ausgangsanalyse vornehmen (lassen)± Zukunftsforen »Zukunftsfähigkeit und Demographie«organisieren± Prioritätensetzung zur Chefsache machen± strategische Handlungsprioritäten für Kernfunktionenfestlegen· Förderung von Identität und bürgerschaftlichem Engagement± Anerkennungskultur entwickeln und vorleben± Unterstützungsstrukturen aufbauen± Identität der Bürger mit ihrer Stadt anstiften± Dialog der Generationen initiieren und begleiten· Anpassung der sozialen und technischen Infrastruktur± alle (neuen) Infrastrukturen am künftig absehbarenBedarf ausrichten (veränderte Altersstrukturenetc.)± Angebote räumlich bündeln und mit privatenund gemeinnützigen Anbietern kooperieren± Mobilität sichern± Prävention und medizinische Versorgung sichern· Interkommunale und regionale Kooperationen (vonZentren in einer Region und von Zentren mit seinenUmlandgemeinden)± Partner suchen und Strukturen ausbilden± regionales Flächenmanagement und Arbeitsteilungbei der InfrastrukturDarüber hinaus ist es dringend erforderlich, Maûnahmenzur Stärkung der Kinder- und Familienfreundlichkeitzu ergreifen und die Bausteine einer zukunftsorientiertenSeniorenpolitik vor Ort in praktikable Modellezu überführen.Weitere ausführliche Informationen zu den Handlungsansätzenfür die Kommunen dieses Clusters finden Sieim Internet unter www.aktion2050.de/wegweiser.


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Typ 7:Prosperierende Städte und Gemeinden im ländlichen RaumRäumliche EinordnungDie 165 Kommunen dieses Demographietyps sind überwiegend ländlich geprägt. Die meisten liegen nicht in unmittelbarerNähe der groûen Städte. Kleinere Gemeinden sind überproportional stark vertreten. Nur drei Kommunen habenmehr als 25 000 Einwohner und fast 70 Prozent weniger als 10 000.Zu welchem Demographietyp gehört Ihre Kommune?Informationen dazu finden Sie im Internet unter www.aktion2050.de/wegweiser.Abb. 1: Räumliche Verteilung derStädte und Gemeinden des Clusters 7Nur sechs Gemeinden des Clusters liegen in Ost-Deutschland. 56 Prozent der Kommunen befinden sich inHessen, Baden-Württemberg und Bayern. In diesen südlichenBundesländern sind sie relativ gleichmäûig verteilt.Charakteristische EntwicklungenDie prosperierenden ländlichen Gemeinden weisen eineähnliche räumliche Lage auf wie die stabilen ländlichen Gemeindendes Clusters 5. Während die Gemeinden des Clusters6 die ländlich-peripheren Räume repräsentieren, befindensich die ländlichen Gemeinden der Cluster 7 (und 5)zwar auch abseits der groûen Städte, verfügen tendenziellaber über eine bessere Anbindung an die überregionaleVerkehrsinfrastruktur als die Gemeinden aus Cluster 5.Die demographischen Entwicklungen der Kommunen ähnelndenen des Demographietyps 5. Die Bevölkerungwächst und wird auch bis zum Jahre <strong>2020</strong> weiter wachsen.Ein wesentlicher Grund für die vergleichsweise hoheBevölkerungszunahme ist die deutlich überproportionaleZuwanderung von Familien. Leicht überdurchschnittlicheGeburtenraten, ein hoher Anteil an Haushalten mit Kindern,überproportional viele Kinder und Jugendliche sowieein verhältnismäûig niedriger Anteil der über 60- und über80-Jährigen verlangsamen den Alterungsprozess.Bei diesen prosperierenden ländlichen Gemeinden fälltim Unterschied zu den stabilen ländlichen Gemeindendes Clusters 5 ihre höhere ökonomische und demographischeDynamik auf. Obwohl sie eine hohe Bedeutung alsWohnort haben, können diese Gemeinden auf einem sehrstarken Anstieg der Arbeitsplätze in den letzten Jahrenaufbauen. Dies trägt dazu bei, dass neben den Familienauch die Berufseinsteiger und Bildungswanderer, d.h. die18- bis 24-Jährigen, zuwandern.Starkes BevölkerungswachstumDie Einwohnerzahlen der Gemeinden sind zwischen 1996und 2003 mit 7,5 Prozent um fünf Prozent stärker gewachsenals im Mittel aller Cluster. Wenngleich etwas abgeschwächt,wird sich diese Entwicklung auch in Zukunft87


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Profil des Demographietyps 7fortsetzen. Entgegen dem allgemeinen Trend, wonach dieBevölkerung der Kommunen zwischen 5000 und 100 000Einwohnern voraussichtlich bis <strong>2020</strong> im Mittel um 0,7 Prozentzurückgehen wird, steigen die Einwohnerzahlen derGemeinden dieses Clusters im gleichen Zeitraum umdurchschnittlich 4,7 Prozent.Für mehr als die Hälfte der Kommunen wird bis <strong>2020</strong>weiteres Wachstum erwartet, für nahezu 20 Prozent werdendie Steigerungsraten sogar über zehn Prozent liegen.Für lediglich 12 Prozent von ihnen sind Verluste prognostiziert.Diese werden aber fünf Prozent kaum überschreiten.Damit liegen die Bevölkerungszuwächse deutlichhöher als z.B. die aktuellen und zukünftigen Entwicklungender stabilen Städte und Gemeinden im ländlichenRaum des Clusters 5.Das Bevölkerungswachstum der letzten Jahre war inerster Linie das Ergebnis von Zuwanderungen. Etwa 80 Prozentder Kommunen verzeichneten bei den Familienerhebliche Wanderungsgewinne: Im Durchschnitt nahmdie Altersgruppe der 30- bis 49-Jährigen zusammen mitden Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren zu.Darüber hinaus gab es auch bei den 18- bis 24-Jährigeneine leicht positive Wanderungsbilanz. Allerdingshatten nur 40 Prozent der Kommunen überhaupt einenpositiven Wanderungssaldo in dieser Altersgruppe, währendfast 50 Prozent hier Verluste hinnehmen mussten.Der Anteil der über 60-Jährigen liegt dagegen mit fast22 Prozent um zwei Prozent unter dem Durchschnitt allerCluster. Bis zum Jahr <strong>2020</strong> sinkt der Anteil der Kinderund Jugendlichen auf 16,4 Prozent, das heiût, er beträgtnur noch ein Prozent mehr als der Durchschnitt allerCluster. Die über 60-Jährigen werden dann einen Bevölkerungsanteilvon 29 Prozent haben, der aber immerhinmehr als drei Prozent unter dem Durchschnittswert allerCluster liegt. Gleichzeitig wird sich der Anteil der über80-Jährigen gegenüber 2003 verdoppeln und beträgt dannnahezu sieben Prozent.Während nur jeder vierte Haushalt ein Einpersonenhaushaltist, sind fast 45 Prozent Mehrfamilienhaushaltemit Kindern. Somit sind die Einpersonenhaushalte relativschwach und die Mehrfamilienhaushalte mit Kindernüberproportional stark vertreten. Die Haushaltsstrukturentspricht traditionsgemäû dem Muster von kleinen ländlichenGemeinden.Wie in den vergangenen Jahren wird die Alterungvoraussichtlich auch mittelfristig relativ langsam verlaufen.Die Altersgrenze, die die Bevölkerung in zwei gleich groûeGruppen teilt (Medianalter), wird bis <strong>2020</strong> von 39 Jahrenum fast acht Jahre ansteigen. Die Hälfte der Bevölkerungwird dann über 47 Jahre alt sein.Junge Bevölkerung und moderate AlterungsprozesseDie Bevölkerung der Gemeinden im Demographietyp 7ist vergleichsweise jung. So beträgt der Anteil der Kinderund Jugendlichen (unter 18 Jahren) durchschnittlich21 Prozent an der Gesamtbevölkerung. Dies sind zweiProzent mehr als im Durchschnitt aller untersuchtenStädte und Gemeinden unter 100 000 Einwohner.Sehr positive ArbeitsplatzentwicklungDie Kommunen dieses Clusters sind ± typisch für ländlicheGemeinden ± überwiegend Wohnorte, aus denen die Berufstätigenauspendeln. Nur 12 Prozent haben Einpendlerüberschüsseund damit die Funktion eines regionalenWirtschaftszentrums. Traditionsgemäû wohnen in denländlichen Gemeinden weniger hoch qualifizierte Arbeitskräfte,und die Frauenerwerbstätigkeit ist gering. Die Ar-88


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>beitsplätze dieser Gemeinden gehören zu 58 Prozent demDienstleistungssektor und zu 40 Prozent dem verarbeitendenGewerbe an. Diese Verteilung entspricht demDurchschnitt aller Städte und Gemeinden zwischen 5000und 100 000 Einwohnern.Die kommunalen Steuereinnahmen von knapp über600 Euro pro Einwohner (gemittelter Wert aus den Jahren2000 bis 2003) entspricht ebenfalls dem Durchschnitt allerCluster. ¾hnlich wie bei den Gemeinden des Clusters 5konzentrieren sich die Gemeinden mit geringen finanziellenHandlungsspielräumen allerdings räumlich. So liegenelf der zwölf Kommunen mit einer sehr niedrigen Steuereinnahmekraftvon weniger als 400 Euro pro Einwohnerentweder in Niedersachsen oder in Ost-Deutschland.Bei den prosperierenden ländlichen Gemeinden fälltallerdings im Unterschied zu den stabilen ländlichenGemeinden des Clusters 5 die höhere ökonomische Dynamikauf. Unterstützt durch eine bessere Anbindung andie überregionale Verkehrsinfrastruktur ist die sehr positiveArbeitsplatzentwicklung ein charakteristischesMerkmal der Gemeinden dieses Clusters.Zwischen 1998 und 2003 konnten ausnahmslos alleGemeinden die Zahl ihrer Arbeitsplätze steigern. DiesesWachstum war mit durchschnittlich 31,6 Prozent ± mitAusnahme der fünf exklusiven Standorte des Clusters 9 ±der stärkste Anstieg aller Cluster. Dies trägt dazu bei,dass neben den Familien auch die Berufseinsteiger undBildungswanderer, also die 18- bis 24-Jährigen, geringfügigzuwanderten. Die relativ niedrige Arbeitslosenquotevon durchschnittlich acht Prozent liegt allerdings nurleicht unter der Arbeitslosigkeit der stabilen ländlichenGemeinden des Clusters 5 (8,8 Prozent).Herausforderungen für die KommunenDen Städten und Gemeinden dieses Clusters geht es überdurchschnittlichgut. Dies gilt für ihre sozialen und wirtschaftlichenBedingungen ebenso wie für die demographischeEntwicklung. Diese Kommunen sind damit in derkomfortablen Situation, ohne akuten Handlungsdruckihre weitere Entwicklung positiv gestalten zu können. Siehaben die Chance, den <strong>Wandel</strong> der Bevölkerung frühzeitigund aktiv zu gestalten und möglichen sozialen undwirtschaftlichen Verwerfungen exemplarisch vorzubeugen.Das gröûte Risiko für diese Städte und Gemeindenliegt darin, ohne akuten Handlungsdruck diese Chanceund Verantwortung nicht frühzeitig anzunehmen undtrotz der unvermeidbar härteren Standortkonkurrenz zusehr auf weiteres eigendynamisches Wachstum zu vertrauen.Das gilt vor allem aufgrund der starken Abhängigkeitdieser abseits der groûen Städte liegenden Kommunenvom regionalen Arbeitsmarkt, der Zuwanderung undder Veränderung äuûerer Rahmenbedingungen (z.B. Wegfallder Eigenheimzulage, Kürzung der Pendlerpauschale).Daraus erwachsen folgende Herausforderungen:· Familien und junge Arbeitnehmer noch stärker anden Standort binden durch Ausbau der Kinder- undFamilienfreundlichkeit sowie eine enge Zusammenarbeitder Betriebe mit Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen· ein leistungsfähiges ± auch regional abgestimmtes ±Monitoring etablieren, um vorausschauend und flexibelauf sich verändernde Trends reagieren zu können· die Attraktivität als Wohnstandort sichern und Wachstumszielemit der regionalen Entwicklung abstimmen89


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Die Indikatoren des Demographietyps 7 im ÜberblickGesamtzahl der Kommunen dieses Clusters = 165Bevölkerungsentwicklung2003 bis <strong>2020</strong>in ProzentMedianalter<strong>2020</strong> in JahrenArbeitsplatzzentralitätArbeitsplatzentwicklung1998 bis 2003in ProzentArbeitslosenquotein ProzentKommunaleSteuereinnahmenin EuroAnteil hochqualifizierterBeschäftigterin ProzentAnteil Mehrpersonenhaushaltemit Kindernin ProzentMittelwert 4,7 46,7 0,7 31,6 8,5 605 7 4575 Prozent derKommunen diesesClusters liegenin diesem Bereich.±2,9 bis +12,8 44 bis 49 0,4 bis 1,1 17,6 bis 46,8 6,3 bis 10,9 428 bis 818 4 bis 10 38 bis 52Vergleichswerte der 2877 Kommunen der gesamten ClustergruppeMittelwert ±0,7 48 0,8 0,1 12 609 7,4 39HandlungsansätzeAufgrund der Herausforderungen sollten für die Kommunendieses Clusters folgende prioritäre Handlungsansätzeim Vordergrund stehen:· Sensibilisierung, strategische Zukunftsvorsorge± Monitoring: Trends und Entwicklungen beobachten± Sensibilisierung: Informationen vermitteln± strategische Entwicklungsplanung: Wachstumkontrollieren· Bildung und Qualifizierung± Bildungsangebot: Qualität sichern± Kooperation Ausbildung und lokale Wirtschaft:Chancen nutzen± Innovationsmanagement: Wissen nutzen· Siedlungsentwicklung und interkommunale Kooperation± Flächenmanagement in regionaler Verantwortungbetreiben± Siedlungsentwicklung: Zersiedelung vermeiden± Partner suchen: Strukturen ausbildenDarüber hinaus ist es erforderlich, Maûnahmen zurStärkung der Kinder- und Familienfreundlichkeit zu ergreifenund die Bausteine einer zukunftsorientiertenSeniorenpolitik vor Ort in praktikable Modelle zu überführen.90Weitere ausführliche Informationen zu den Handlungsansätzenfür die Kommunen dieses Clusters finden Sieim Internet unter www.aktion2050.de/wegweiser.


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Typ 8:Wirtschaftlich starke Städte und Gemeinden mit hoher ArbeitsplatzzentralitätRäumliche EinordnungVon den 71 Kommunen im Cluster 8 befinden sich 63 in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern. Sie gruppieren sich vorallem um die süddeutschen Metropolregionen Rhein-Main, Stuttgart und München. Nur zwei liegen in Ost-Deutschland.Zu welchem Demographietyp gehört Ihre Kommune?Informationen dazu finden Sie im Internet unter www.aktion2050.de/wegweiser.Abb. 1: Räumliche Verteilung derStädte und Gemeinden des Clusters 8Abb. 2: Gemeindegröûedarunter auch die Universitätsstädte Gieûen, Marburgund Tübingen. Kleine Gemeinden unter 10 000 Einwohnersind stark unterrepräsentiert.Charakteristische EntwicklungenDiese Kommunen sind typischerweise entweder relativkleine wirtschaftsdynamische Orte im suburbanen Raumoder gröûere regionale Zentren. ¾hnlich wie die Kommunendes Clusters 3 konzentrieren sie sich auf die(hoch) verdichteten Kreise der Agglomerationsräume undverstädterten Räume.Ein überproportional groûer Anteil dieses Clustersgehört zu den gröûeren Städten über 25 000 Einwohner,Diese wohlhabenden, meist suburbanen Städte und Gemeindenin Cluster 8 sind geprägt durch ihre positivewirtschaftliche Entwicklung und herausragende Funktion,die sie im Umfeld der Wirtschaftszentren für die Regionübernehmen. Die Bevölkerung wird sich deshalbweiterhin stabil entwickeln oder sogar leicht zunehmen.Auch wenn sich das Wachstum der vergangenen Jahreabgeschwächt hat, sind die Kommunen auch zukünftigvon Stabilität und Wachstum gekennzeichnet.In den Städten und Gemeinden von Cluster 8 arbeitendeutlich mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte alsdort wohnen. Neben der hohen Arbeitsplatzzentralität lässt91


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Profil des Demographietyps 8sich ihre wirtschaftliche Stärke auch an den Faktoren hochwertigeArbeitsplätze und hoch qualifizierte Erwerbstätige,eine sehr niedrige Arbeitslosigkeit, ein starkes Arbeitsplatzwachstumund eine wohlhabende Einwohnerschaftablesen. Aufgrund der deutlich überproportionalen Steuereinnahmekraftverfügen diese Kommunen über einen vergleichsweisegroûen finanziellen Handlungsspielraum.Aus der sehr guten ökonomischen Basis ergibt sicheine hohe Zuwanderung von jungen Erwachsenen. Mitden beträchtlichen Wohnansprüchen und dem starkenWachstumsdruck steigen auch die Anforderungen an dieFlächenentwicklung. Dadurch entstehen typische Überlastungsansprüchevon Agglomerationsräumen.Deutliches Bevölkerungswachstum ±aber insgesamt zurückgehendDie Bevölkerung wuchs zwischen 1996 und 2003. DasWachstum geht zwar bis <strong>2020</strong> auf durchschnittlich 2,8 Prozentzurück, dennoch liegt dieser Wert fast 3,5 Prozentüber dem Durchschnitt aller Cluster von ±0,7 Prozent.In den meisten Städten und Gemeinden des Clusters 8wird sich die Bevölkerungszahl bis <strong>2020</strong> in etwa auf demgegenwärtigen Niveau halten. Ein Drittel wird voraussichtlichweiter wachsen, einige davon deutlich über 10 Prozent.In weniger als 20 Prozent der Städte und Gemeindenwerden bis <strong>2020</strong> leichte Bevölkerungsverluste prognostiziert.Starke Zuwanderung der potenziellen ErsthaushaltsgründerDas Bevölkerungswachstum der letzten Jahre war weitgehendein Ergebnis hoher Zuwanderungen. Insbesonderebei den 18- bis 24-Jährigen, also den Ersthaushaltsgründernund gleichzeitig den Bildungswanderern undden Berufseinsteigern, erzielt die Bevölkerung im Saldosehr hohe Zuwanderungsraten. Zwei Drittel der Kommunenverzeichneten hier deutliche Gewinne. Auch das Wanderungssaldobei den Familien ist deutlich positiv.Wenige Mehrfamilienhaushalte mit KindernIn der Haushaltsstruktur spiegelt sich die Besonderheitder Städte und Gemeinden dieses Clusters als Arbeitszentrum,Ausbildungszentrum und suburbaner Wohnortwider. Der Anteil an Mehrfamilienhaushalten mit Kindernist mit 33,7 Prozent sehr niedrig (im Vergleich zuallen Kommunen zwischen 5000 und 100 000 Einwohnern:39,2 Prozent). Der Anteil der Einpersonenhaushalteliegt dagegen mit über 36 Prozent deutlich überproportionalzum Vergleichswert der Kommunen aller Cluster vonknapp über 30 Prozent.Trotzdem liegt der Anteil an Kindern und Jugendlichenunter 18 Jahren mit 18,4 Prozent nur geringfügig unterdem Gesamtdurchschnitt von 19,4 Prozent (2003) undwird sich laut Prognose auf 15,5 Prozent (<strong>2020</strong>) gegenüberdem Gesamtwert von 15,4 Prozent angleichen.Der hohe Anteil von Einpersonen- und Ausländerhaushalten,wie sie in Groûstädten üblich sind, werden hierallerdings nur in Ausnahmefällen erreicht.Verzögerte AlterungsprozesseDa aufgrund der wirtschaftlichen Dynamik von einer Kontinuitätdieser Wanderungsmuster auszugehen ist, wirddie Alterung dieser Städte und Gemeinden auch weiterhinetwas zögerlicher verlaufen. Aktuell liegt der Anteil derüber 60-Jährigen mit 23,5 Prozent leicht unter dem Durch-92


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>schnittswert aller untersuchten Städte und Gemeindenunter 100 000 Einwohner (24,4 Prozent). Bis <strong>2020</strong> wirddieser Unterschied voraussichtlich noch deutlicher (29 Prozentgegenüber 32 Prozent).Dennoch wird die Altersgrenze, welche die Bevölkerungin zwei gleich groûe Gruppen teilt (Medianalter), bis <strong>2020</strong>gegenüber 2003 um sechs Jahre auf 46 Jahre ansteigen.Ökonomische StärkeEin Charakteristikum der Städte und Gemeinden in Cluster8 ist ihre groûe Bedeutung als Arbeitsort. Die Arbeitsplatzzentralitätvon 1,7 wird in den Städten und Gemeindenzwischen 5000 und 100 000 Einwohnern nur vonden fünf exklusiven Standorten aus Cluster 9 übertroffen.Neun von zehn Kommunen haben hohe Einpendlerüberschüsseund damit eine regionale und zum Teil auchüberregionale Bedeutung als Wirtschaftszentrum. Bei vielender kleineren Kommunen handelt es sich um traditionelleWohngemeinden, die sich in jüngster Zeit als wirtschaftlicheWachstumspole etabliert haben.Der Anteil der hoch qualifizierten Beschäftigten liegtmit durchschnittlich 13 Prozent äuûerst hoch. Demgegenübersteht eine relativ niedrige Arbeitslosenquote vonknapp über acht Prozent. Die Arbeitsplatzentwicklungverlief in den letzten Jahren weitgehend positiv: Sie warmit einer Arbeitsplatzzunahme von 11,2 Prozent von Stabilitätund deutlichem Wachstum geprägt. In jeder fünftenKommune lag das Arbeitsplatzwachstum zwischen1998 und 2003 über 20 Prozent.Die wirtschaftliche Basis fuût sowohl auf dem Dienstleistungssektorals auch auf dem verarbeitenden Gewerbe.Zwar überwiegt die Zahl der Arbeitsplätze bei den Dienstleistungen.Dennoch ist die Bedeutung des Produktionsbereichsmit 43 Prozent der Arbeitsplätze relativ groû.Sieht man von den fünf exklusiven Standorten (Cluster9) ab, so verfügen diese Städte und Gemeinden überdie gröûten finanziellen Handlungsspielräume. Die durchschnittlicheSteuereinnahmekraft von jährlich über 1500Euro liegt deutlich über den Städten und Gemeinden zwischen5000 und 100 000 der anderen Cluster.Herausforderungen für die KommunenDen Kommunen dieses Clusters geht es aufgrund derauûerordentlich positiven Rahmenbedingungen sehr gut.Auf Basis der hier vorliegenden demographischen Analyseerscheint es dennoch angezeigt, die folgenden Herausforderungenfür die zukünftige Stadtentwicklung bereits heuteaktiv anzugehen:· Die überdurchschnittlichen Handlungsspielräume sindfür die Kommunen eine Chance, sich auf die demographischenProzesse der nächsten Jahre gut vorzubereiten(z.B. im Bereich der Seniorenpolitik).· Der hohe Wachstumsdruck auf die Flächenausweitungmuss mit dem Ziel gesteuert werden, einer langfristigzersiedelten Flächenstruktur zugunsten der Innenentwicklungentgegenzuwirken.· Die positive Wirtschaftsentwicklung ist langfristig zustabilisieren und zu fördern.· Ein qualitativ hochwertiges Angebot an Wohnraumauch für Familien mit Kindern ist ebenso langfristigaufrecht zu erhalten.· Zu realisieren sind auûerdem moderne, flexible undzielgruppenorientierte Angebote zur Vereinbarkeit vonFamilie und Beruf.Der Gestaltung dieser Herausforderungen steht das Risikogegenüber, die Weichen für eine weiterhin positive Entwicklungzu spät zu stellen.93


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Die Indikatoren des Demographietyps 8 im ÜberblickGesamtzahl der Kommunen dieses Clusters = 71Bevölkerungsentwicklung2003 bis <strong>2020</strong>in ProzentMedianalter<strong>2020</strong> in JahrenArbeitsplatzzentralitätArbeitsplatzentwicklung1998 bis 2003in ProzentArbeitslosenquotein ProzentKommunaleSteuereinnahmenin EuroAnteil hochqualifizierterBeschäftigterin ProzentAnteil Mehrpersonenhaushaltemit Kindernin ProzentMittelwert 2,8 46 1,7 11,2 8,2 1574 14 3475 Prozent derKommunen diesesClusters liegenin diesem Bereich.±4,3 bis +9,9 43 bis 49 1,2 bis 2,5 ±1,5 bis +25,7 5,8 bis 11,3 1028 bis 2088 6 bis 21 27 bis 42Vergleichswerte der 2877 Kommunen der gesamten ClustergruppeMittelwert ±0,7 48 0,8 0,1 12 609 7,4 3994HandlungsansätzeAufgrund des heute noch groûen Anteils an junger Bevölkerung,ihrer begünstigten Lage und der guten Wirtschaftsentwicklungkönnten die Kommunen dieses Clusters dieAuswirkungen des demographischen <strong>Wandel</strong>s gut bewältigen.Es wird jedoch empfohlen, die Gestaltung aktiv anzugehenund eine Vorbildfunktion für die Region zu übernehmen.Prioritäre Handlungsansätze liegen in den folgendenBereichen:1. Siedlungs- und Flächenmanagement etablieren undinterkommunale Kooperation forcieren· Flächenmanagement in regionaler Verantwortung betreiben· Siedlungsentwicklung steuern: Innenentwicklung gehtvor Auûenentwicklung2. Regionale Wirtschaftsförderung und -entwicklung· Unternehmen vor Ort für die Folgen der demographischenEntwicklung (ältere Arbeitnehmer, Fachkräftemangel,Neue Märkte etc.) sensibilisieren· Wirtschaftsentwicklung regional denken ± Wirtschaftsförderungregional ausrichten (Gewerbeflächenentwicklungetc.)· Profil als Wirtschaftsraum stärken3. Vereinbarkeit von Berufs- und Arbeitswelt gestalten· Belegplätze für Unternehmen in Kindergärten schaffen· Kindergartenplätze für Pendler einrichten· Betreuungszeiten an Kindergärten und Schulen ausweiten4. Hochwertiges Bildungsangebot sicherstellen· vorschulische Bildungsaktivitäten ausbauen· ältere Arbeitnehmer qualifizieren5. Attraktive Wohnräume nachhaltig sicherstellen undschaffen· Wohnangebote für potenzielle Ersthaushaltsgründerund potenzielle Eigentumsbilder schaffen· Angebote für das betreute Wohnen entwickelnDie Bausteine einer kinder- und familienfreundlichen Kommunesowie einer zukunftsorientierten Seniorenpolitik solltenvor Ort geprüft und in passende Angebote überführtwerden.Weitere ausführliche Informationen zu den Handlungsansätzenfür die Kommunen dieses Clusters finden Sie imInternet unter www.aktion2050.de/wegweiser.


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Typ 9:Exklusive StandorteRäumliche EinordnungIn diesem Cluster befinden sich fünf kleinere und sehr gut positionierte Städte und Gemeinden. Es handelt sich umEschborn (Hessen) und Walldorf (Baden-Württemberg) sowie die Gemeinden Weissach (Baden-Württemberg), Grünwaldund Unterföhring (Bayern). Die fünf Kommunen mit einer Bevölkerung zwischen 5000 und 25 000 Einwohnernliegen in hoch verdichteten Kreisen von Agglomerationsräumen.Zu welchem Demographietyp gehört Ihre Kommune?Informationen dazu finden Sie im Internet unter www.aktion2050.de/wegweiser.Charakteristische EntwicklungenDiese auûergewöhnlichen solitären Standorte sind durchfolgende Charakteristika geprägt, die an keinem anderenOrt in Deutschland in dieser positiven Kombination zufinden sind:· sehr hohe kommunale Steuereinnahmen zwischen4000 und 6750 Euro pro Jahr und Einwohner· sehr hohes Arbeitsplatzwachstum und sehr groûe Bedeutungals Wirtschafts- und Arbeitsstandort· wachsende Einwohnerzahl und sehr groûe Wanderungsgewinnebei den Berufseinsteigern und Bildungswanderern· sehr hohes Bildungs- und Wohlstandsniveau der BevölkerungAuch wenn die Alterungsprozesse voraussichtlich etwaslangsamer verlaufen werden als im Mittel aller Cluster,müssen sich auch diese Standorte auf eine deutliche Zunahmeder älteren Bevölkerung einstellen.Starkes BevölkerungswachstumDie Einwohnerzahlen dieser fünf Städte und Gemeindenwerden bis zum Jahr <strong>2020</strong> laut der zugrunde liegendenPrognose weiterhin wachsen. Allerdings schwächen sichdie Zuwachsraten (fünf bis acht Prozent in den Jahren1996 bis 2003) etwas ab, und die Einwohnerzahl wird bis<strong>2020</strong> wahrscheinlich nur noch drei bis vier Prozent überder aktuellen liegen.Das Bevölkerungswachstum beruht auf sehr hohenWanderungsgewinnen sowohl bei den Berufseinsteigernund Bildungswanderern (der Altersgruppe der 18- bis24-Jährigen) von durchschnittlich 27 Prozent als auch beiden Familien, also der Altersgruppe der 30- bis 50-Jährigenzusammen mit den Kindern und Jugendlichen (unter18 Jahren), von durchschnittlich über zehn Prozent.Diese Entwicklung bildet ein Gegengewicht zum Trendder Alterung.Die derzeitige Altersstruktur entspricht weitgehenddem Durchschnitt aller untersuchten Städte und Gemeindenmit weniger als 100 000 Einwohnern. Unter der Annahmeweiterer Zuwanderungsgewinne wird der Alterungsprozessaber langsamer verlaufen. Zumindest fürvier der fünf Kommunen wird das Medianalter, also derGrenzwert, der die Bevölkerung in zwei gleich groûeGruppen teilt, <strong>2020</strong> voraussichtlich um zwei Jahre unterdem Durchschnitt (48,3 Jahre) liegen.Doch auch die Bevölkerung dieser fünf Städte undGemeinden altert: Das Medianalter wird von 2003 bis<strong>2020</strong> um etwa sechs Jahre ansteigen, gleichzeitig wirdsich der Anteil der über 80-Jährigen nahezu verdoppeln.Die Haushaltsstruktur dieser Städte und Gemeindenentspricht ihrer Funktion als Arbeitszentren. In vier Kommunengibt es nur wenige Haushalte mit Kindern undüberproportional viele Einpersonenhaushalte; in einemFall ist das Verhältnis umgekehrt.Solitäre Standorte mit groûer wirtschaftlicher DynamikAlle fünf Städte und Gemeinden haben eine groûe Bedeutungals Arbeitszentrum mit hohen Einpendler-Überschüssen.Die Verteilung der Arbeitsplätze nach Sektoren verweistauf die herausragende Stellung dieser Kommunenals Standorte für hochwertige Dienstleistungen (z.B. SAP-Walldorf). Zwischen 89 und 95 Prozent der Arbeitsplätzegehören zum Dienstleistungssektor. Der Anteil an Akademikernunter den Beschäftigten liegt zwischen 10 und55 Prozent.95


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Profil des Demographietyps 9Die fünf Kommunen haben zwischen 1998 und 2003mehr als zehn Prozent an Arbeitsplätzen hinzugewonnen,drei sogar über 20 Prozent.Die kommunale Steuereinnahmekraft liegt zwischen4000 und 6750 Euro pro Jahr und Einwohner. Sie istdamit extrem hoch und wird von keiner anderen Stadtoder Gemeinde in Deutschland erreicht.Auch die Werte der sozialen und wirtschaftlichenIndikatoren, wie Kaufkraft, Anteil der unteren und oberenEinkommensgruppen, Arbeitslosenquoten und Anteilder Akademiker, verweisen auf eine sehr gut situierteBevölkerung in diesen Städten und Gemeinden.Herausforderungen und HandlungsansätzeAlle fünf Städte und Gemeinden dieses Clusters solltenihre Ressourcen dazu nutzen, die positive wirtschaftlicheEntwicklung zu halten.Moderne und bedarfsorientierte Angebote im Bereichder Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Bausteineeiner zukunftsorientierten Seniorenpolitik sollten hierrealisiert und ausgebaut werden.Weitere Empfehlungen zur Gestaltung des demographischen<strong>Wandel</strong>s sind aufgrund der Analyse nicht erforderlich.Die Indikatoren des Demographietyps 9 im ÜberblickGesamtzahl der Kommunen dieses Clusters = 5Bevölkerungsentwicklung2003 bis <strong>2020</strong>in ProzentMedianalter<strong>2020</strong> in JahrenArbeitsplatzzentralitätArbeitsplatzentwicklung1998 bis 2003in ProzentArbeitslosenquotein ProzentKommunaleSteuereinnahmenin EuroAnteil hochqualifizierterBeschäftigterin ProzentAnteil Mehrpersonenhaushaltemit Kindernin ProzentMittelwert 3,9 46,2 2,8 33,4 7,3 5096,60 16,9 33,0Eschborn 4,10 45,66 3,49 12,56 6,61 5062,54 18,54 30,00Weissach 3,89 45,03 1,25 21,57 5,82 4001,46 12,06 50,30Walldorf 4,15 45,33 2,76 45,46 9,31 5243,06 17,97 34,43Grünwald 3,23 51,07 1,96 10,85 8,01 4427,10 21,62 30,08Unterföhring 4,19 44,13 4,43 76,37 6,86 6748,70 14,43 20,35Vergleichswerte aller 2877 KommunenMittelwerte ±0,7 48 0,8 0,1 12 609 7,4 3996


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>3. Kommunale Politikfelder aktiv gestaltenLokale und regionale InfrastrukturplanungMartina KocksUm vor dem Hintergrund des demographischen <strong>Wandel</strong>seine Infrastrukturversorgung anbieten zu können, die inUmfang und Qualität stimmt und finanzierbar bleibt, sindAnpassungen an die geringere Bevölkerung und ihre veränderteZusammensetzung erforderlich. In den nächstenJahren werden Infrastruktureinrichtungen und Dienstleistungenvor allem in den Bereichen Bildung, Gesundheit,Soziales, Kultur, Verkehr sowie Ver- und Entsorgungneu geordnet werden müssen. Ziel ist eine bedarfsgerechte,möglichst hochwertige, gut erreichbare und gleichzeitigfinanziell tragbare Versorgung für alle Bürgerinnen undBürger. Dies ist gleichermaûen eine kommunale wie regionaleAufgabe, die nicht leicht fällt.Die Tragfähigkeit von Einrichtungen ist vielerorts inFrage gestellt, und die finanziellen Handlungsspielräumeder Kommunen sind gering. Weniger Steueraufkommenund Schlüsselzuweisungen machen es den Städten undGemeinden schwer, ihre öffentlichen Aufgaben wahrzunehmen.Über Jahre gebundene Fixkosten und Renovierungsnotwendigkeitenlegen weite Teile des Budgets fest.Wenn die Kommunen langfristig handlungsfähig bleibenwollen und die Leistungen nicht Stück für Stück einfachwegbrechen sollen, gibt es keine Alternative zur aktivenNeugestaltung des infrastrukturellen Angebots.Die aktuelle SituationDie Kommunen stehen wie nie zuvor im Wettbewerb. Gewerbeund Einwohner anzulocken gilt vielen als höchstePriorität.Dies geschieht etwa, indem auf groûen Freiflächen imAuûenbereich Bauland und Gewerbeflächen ausgewiesenwerden. Die infrastrukturellen Folgekosten sind beträchtlich,denn die Auûenentwicklung erfordert wesentlichhöhere Investitionen und Unterhaltungskosten als eineverstärkte Innenentwicklung.Oder es wird mit einem attraktiven Versorgungsangebotgeworben. Insbesondere teure Kultur- und Sporteinrichtungenwerden daher auch bei Unterauslastung nichtgerne aufgegeben. Die Kommunen verschulden sich immermehr ± und ziehen bisher nur selten in Erwägung, sichmit den Nachbarkommunen abzustimmen, um die Tragfähigkeitzu sichern.Weil Nachfragegruppen wegbrechen und der engeFinanzspielraum keine andere Möglichkeit zulässt, beginnendie Akteure, ganz allmählich nach Alternativen zusuchen. Diese Einsicht ist in Deutschland nicht überallgleich weit fortgeschritten.Es sind zunächst Regionen mit starkem Bevölkerungsrückgang,die den gröûten Druck verspüren und zumHandeln gezwungen sind, aktuell vor allem ländliche undzugleich periphere Landstriche in Ost-Deutschland. NiedrigeGeburtenraten, hohe Abwanderung und starke Alterungführen dort vor, was längerfristig auf viele Kommunenzukommen wird ± ein Experimentierfeld vonheute für eine immer groûräumigere Entwicklung vonmorgen.Die Aussagen zur demographischen Entwicklung stützensich auf Ergebnisse der BBR-Bevölkerungsprognose2002 bis <strong>2020</strong> auf Verbandsgemeindeebene. Dieseaktualisierten Ergebnisse der Raumordnungsprognose<strong>2020</strong>/2050 erscheinen Anfang 2006 in der Reihe »Berichte«(Nr. 23) des Bundesamtes für Bauwesen undRaumordnung (mit CD-ROM).Prinzipiell gibt es zwei Entwicklungsmuster, die nahezufür alle Gemeinden in unterschiedlicher Ausprägung gelten.· Die Schrumpfung in gröûeren Gebietseinheiten, wiesie heute schon etwa im peripheren, dünn besiedeltenRaum Ost-Deutschlands zu finden ist. Hier muss dieöffentliche Daseinsvorsorge in groûem Maûstab neugeordnet und, flankiert durch eine bessere Erreichbar-97


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>keit, auf weniger räumliche Schwerpunkte konzentriertwerden.· Ein Nebeneinander von Schrumpfung und Wachstum,wie es etwa in suburbanen, ländlichen Räumen existiert.Hier kann es aus wirtschaftlichen Gründen nützlichsein, die Unterauslastung einer Kommune mitdem Neubedarf einer anderen zu koordinieren.Verschiebungen der Altersstruktur werden in allen deutschenKommunen zu einer veränderten Nachfrage nachInfrastruktur führen und eine Umgestaltung in verschiedenensektoralen Handlungsfeldern im Verbund notwendigmachen.Aufgrund des demographischen und wirtschaftsstrukturellen<strong>Wandel</strong>s vollzieht sich insgesamt ein Paradigmenwechselvom »gesteuerten Wachstum« zum »gestaltendenUmbau«.Was ist zu tun?Je nach demographischer Situation und zukünftiger Entwicklungist für jeden einzelnen Versorgungsbereich zwischenAusbau, Anpassung und Rückbau zu entscheiden.Dabei müssen die Leistungen untereinander abgestimmtwerden, um Synergieeffekte zu nutzen.· Der Ausbau von Infrastrukturleistungen ist planerischam einfachsten, weil er über Jahrzehnte in Zeitenwirtschaftlicher Zuwächse erprobt wurde. In dieseKategorie gehören zukünftig sicherlich Handlungsfelderwie Alten- und Pflegeeinrichtungen oder auch, derpolitischen Prioritätensetzung folgend, der Ausbauder Kinderbetreuung als familienpolitischer Maûnahmefür mehr Nachwuchs. Da unsere Gesellschaftinternationaler wird, wächst auch der Bedarf an Integrationsleistungen.· Die zweite Option ist die Anpassung von Infrastrukturleistungen.Anpassung bedeutet hier Verkleinerung,Angebotsumstrukturierung, räumliche und eventuellpersonelle Flexibilisierung, oder auch die Suche nachneuen Trägerschaften und Allianzen. Dies kann füralle Arten der Daseinsvorsorge gelten.· Schlieûlich ist auch der unabwendbare Rückbau zugestalten. Gerade Schlieûungen müssen in Abstimmungmit Nachbargemeinden im Raum verträglichdurchgeführt werden. Bestehende Standorte erhaltenneues Gewicht. Rückbau wird heute meist mit demVerlust an Attraktivität gleichgesetzt; er kann aberauch eine Entlastung für die Kommunen bedeutenund den Handlungsspielraum für andere öffentlicheAufgaben erweitern.Grundsätzlich ist der Ausbau infrastruktureller Leistungenpolitisch besser zu vermitteln als Anpassung undRückbau. Dass aber auch diese beiden Optionen einenqualitativen Gewinn bedeuten können, zeigen Beispiele,auf die noch eingegangen wird.Folglich ist die Umgestaltung der Infrastruktur in derPraxis auch eine Vermittlungsaufgabe. Die Bevölkerungmuss beteiligt werden, damit sie notwendige Umstrukturierungsmaûnahmeneinsieht und zukünftige Nutzer dieseakzeptieren. Die Fachplanungen müssen davon überzeugtwerden, dass ihre Entscheidungen in die regionalen Entwicklungskonzepteeinzubetten sind. Die gröûeren Einzugsbereicheerfordern geschickte Standortentscheidungenund übergemeindliche Zusammenarbeit. Die Regiongewinnt insgesamt an Bedeutung, und Regionalisierungist bei einem ausbalancierten Infrastrukturmanagementals Prozess zu verstehen, der von den politischen AkteurenUmdenken und auch Moderation erfordert.Leitbild der Raumentwicklung:»Daseinsvorsorge sichern«Kommunales Handeln ist in gesamtstaatliche Zielsetzungeneingebunden. Der Zugang zu öffentlichen Einrichtungenfür alle Bürgerinnen und Bürger ist ein wichtigerBaustein unseres Sozialstaates und gleichzeitig ein Beitrag,um gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen.Die Kommunen tragen dazu bei, diese verfassungsmäûigenZiele zu realisieren. Mit Hilfe eines komplexenFinanzausgleichssystems werden sie in die Lage versetzt,dieser Aufgabe nachzukommen.Seit einigen Jahren setzt sich allerdings immer mehrdie Erkenntnis durch, dass der Wohlfahrtsstaat in seinerherkömmlichen Ausprägung nicht mehr finanzierbar ist.Dies gilt für die sozialen Sicherungssysteme, aber auch fürInfrastrukturleistungen. Der Wohlfahrtsstaat mutiert zumGewährleistungsstaat. Für die Infrastruktur bedeutet dies,dass der Staat als Anbieter stärker auf die Unterstützung98


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Privater setzt. Dies können Unternehmen und auch Bürgerorganisationensein. Der Trend geht vom regulierendenüber den aktivierenden Staat hin zur Bürgergesellschaft,in der jeder und jede Einzelne Verantwortung trägt.Aufgrund der veränderten demographischen und strukturellenRahmenbedingungen hat die Ministerkonferenzfür Raumordnung (MKRO) im April 2005 den Bund aufgefordert,im Rahmen der Fortschreibung des RaumordnungspolitischenOrientierungs- und Handlungsrahmensgemeinsam mit den Ländern »Leitbilder und Handlungsstrategiender Raumentwicklung« zu erarbeiten. DieseLeitbilder werden derzeit breit diskutiert. Sie richten sichan Entscheidungsträger in Bund und Ländern einschlieûlichder regionalen Planungsträger, Gemeinden und Gemeindeverbändeund stellen Orientierungen für die angestrebteräumliche Entwicklung dar.Eines dieser Leitbilder befasst sich mit der Sicherungder Daseinsvorsorge. Strategien, Standards und Instrumenteder Raumordnung werden geprüft, um gleichwertige Lebensverhältnisseauch künftig in allen Teilräumen Deutschlandszu gewährleisten. Das »Zentrale-Orte-Konzept« wirdals der beste Ansatz zur effizienten räumlichen Bündelungvon Einrichtungen und Dienstleistungen angesehen.Die Daseinsvorsorge soll sich an regionaler Nachfrage,zumutbarer Erreichbarkeit und finanziellen Möglichkeitenorientieren. Durch die Bevölkerungsverluste in einigenRegionen wird es notwendig sein, das Netz der zentralenOrte anzupassen: Es wird weitmaschiger, und Zentrenwerden in ihrer Hierarchie herabgestuft. In ländlich peripherenRegionen werden durch die Erweiterung der Einzugsbereicheund damit auch gröûeren Entfernungen dieGrundzentren neue Bedeutung erhalten.Es wird immer wichtiger, regionale Wirkungszusammenhängestärker zu ermitteln, insbesondere gilt dies fürdie Verschränkung von Regionalentwicklung mit Entscheidungender Fachpolitiken. Gemeinde- und ressortübergreifendeZusammenarbeit ermöglicht es, Synergieeffekteaufzuspüren und die Kompatibilität der Angeboteuntereinander zu prüfen. Dies ist entscheidend für Auslastung,Erreichbarkeit und Effizienzsteigerung und damitfür den Erhalt wichtiger Einrichtungen.Zudem gilt es unter den gegenwärtigen demographischenund finanziellen Bedingungen zu prüfen, welcheräumlich differenzierten Mindeststandards und Ausstattungsmerkmalekünftig noch gelten sollen. GleichwertigeLebensverhältnisse bedeutet nicht gleichartige Lebensverhältnisseund keine zwangsläufige Anpassung an denBundesdurchschnitt.Neue, flexiblere Angebotsformen können helfen, eineBasisqualität zu sichern. Bei der Leistungserstellung derInfrastruktur sind daher verstärkt neue organisatorischeZuschnitte und Modelle zu erproben, wie mobile Dienste,Zustell- und Online-Dienste oder Bürgerhäuser, und es istzu prüfen, inwieweit alternative Angebote Privater oderin Selbsthilfe durch die öffentliche Hand unterstützt werdenkönnen.Kooperationen zwischen KommunenInfrastrukturleistungen können nicht ohne neue Kommunikations-und Kooperationsprozesse umgestaltet werden.Die Zusammenarbeit von Gemeinden ist spätestens seit den90er Jahren als wichtige Planungsgrundlage anerkannt.In der Vergangenheit waren interkommunale Kooperationenallerdings auf die Erschlieûung gemeinsamerwirtschaftlicher Potenziale ausgerichtet oder auf den Erfahrungsaustauschüber gleichartige Ziele beschränkt. Eshandelte sich gewissermaûen um »Gewinner-Koalitionen«zur Verteilung von Zuwächsen.Unter heutigen Bedingungen muss ein Konsens unterdem Vorzeichen der Schrumpfung ± der abnehmendenBevölkerungsgruppen und geringeren Finanzspielräume ±hergestellt werden als unabdingbare Voraussetzung fürgesamtregionale gute und wirtschaftliche Lösungen. DieRaumeinheit Region wird auch im internationalen Wettbewerbeinen immer gröûeren Stellenwert einnehmen.Benachbarte schrumpfende Kommunen wie auch benachbartewachsende und schrumpfende Gemeinden, beidenen die einen Neubedarf, die anderen Tragfähigkeits-99


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>probleme haben, sind auf diese neue Art der Kooperationangewiesen. Dies kann bedeuten, dass sie in Abstimmungeinzelne Angebote aufgeben müssen, um die verbleibendenEinrichtungen zu stärken. Konkurrenzen unterden Bürgermeistern und rein lokale Sichtweisen behinderndie Zusammenarbeit und die Zielfindung.Wie kann aber der Autonomieanspruch der Kommunenzurückgestellt werden, um einen für die Gesamtregionerkennbaren Vorteil zu bewirken?Hilfreich sind vor allem fest institutionalisierte Formender Zusammenarbeit, die die Neugestaltung der Infrastrukturdauerhaft begleiten und die einzelnen Handlungsfelderzunehmend verbindlich in eine Gesamtstrategieeinbinden. Die Regionalplanung ist beispielsweisebesonders geeignet, als »neutraler« Moderator diesen Prozesszu leiten und die verschiedenen Interessen zusammenzuführen.Raumordnerische Verträge, in denen auchnicht-monetäre Ausgleichsleistungen vereinbart werdenkönnen, fixieren die Übereinkünfte, oder es werdenZweckverbände für einzelne Handlungsfelder eingerichtet,die auf die Funktionalräume und nicht auf die Verwaltungsgrenzenzugeschnitten sind.Der Handlungsspielraum kann auch durch Verwaltungszusammenschlüsseerweitert werden. Diese werdenin der Regel von den Ländern bzw. Kreisen festgelegt, könnenaber auch über finanzielle Anreize erzielt werden. InBrandenburg z.B. gibt das Land eine Unterstützung von200 Euro pro Einwohner, wenn zwei Gemeinden freiwilligfusionieren, um eine »leitliniengerechte Struktur« zu erhalten.Bürgermeister mit gleicher Interessenlage undZielsetzung können sich hier zusammenschlieûen.Generell können Zweckzuweisungen, die an räumlicheKooperation gekoppelt sind, zielführend sein. Zu unterstützensind Kooperationen von Stadt und Umland, zwischenZentren gleicher Ordnung und enger Nähe oder imBallungsraum. Ein Beispiel liefert das Sächsische Kulturraumgesetz:Zuweisungen erhalten nur diejenigen Kreise,die ein untereinander abgestimmtes Kulturangebot entwickelthaben.Neue AllianzenDie Anpassung der Infrastruktur kann durch eine Verlagerungauf andere Träger bzw. die Einbeziehung andererPartner unterstützt werden. Leistungen werden privatisiertund Aufgaben auf die Bürger bzw. bürgerschaftlicheOrganisationen übertragen.Public Private PartnershipsEinen wahren Boom erfährt derzeit die Zusammenarbeitvon Kommunen und privaten Unternehmen. Jede vierteKommune hat bereits Erfahrungen mit Projekten einerPublicPrivate Partnership gesammelt. Ohne privates Kapitalbei der Sanierung und dem Betrieb öffentlicher Einrichtungenkommen viele Städte nicht mehr aus, zumalhäufig keine Rückstellungen für die Gebäudesanierunggebildet wurden.Seit dem Jahr 2000 sind rund 240 neue Vorhaben inAngriff genommen worden. Insbesondere Schulgebäude,aber auch Sportstätten, Freizeiteinrichtungen und Stadthallenwerden von privaten Unternehmen gebaut odersaniert und betrieben. Die Unternehmen erhalten imGegenzug ± manchmal für Jahrzehnte ± einen jährlichenfesten Betrag von der Kommune.Dies ist sicherlich eine sinnvolle Möglichkeit, demRenovierungsstau bei knappen Kassen zu begegnen, perspektivischist es aber eine nur scheinbar preiswerte Lösung.Vielfach wird in diesem Zusammenhang auch vonder Veräuûerung des »kommunalen Tafelsilbers« gesprochen.Grundsätzlich ist die Frage zu beantworten, welcheAufgaben die Kommunen hoheitlich übernehmen undbeibehalten sollen und welche auch an Private abgegebenwerden können.BürgermitwirkungÜber die ehrenamtliche Mitwirkung von Bürgerinnenund Bürgern ist es möglich, die Leistungen der Daseinsvorsorgeinsbesondere im Bereich der sozialen und kulturellenInfrastruktur sinnvoll zu ergänzen. Damit steigtdie Identifikation der Bevölkerung mit der Gemeinde undentlastet diese gleichzeitig. Kommunen können ehrenamtlicheHilfe mit Beratung und Koordination unterstützen.So kann eine fest installierte Anlaufstelle die dauerhafteMithilfe gewährleisten und dazu beitragen, dieEhrenamtlichen nicht zu überfordern.Eine Zielgruppe sind die »jungen Alten«. Mit vielfreier Zeit, gut ausgebildet und bei guter Gesundheit bil-100


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>den sie eine stattliche Gruppe, die zum Nutzen allerGenerationen aktiviert werden sollte. In Mehrgenerationenhäusernwerden in Niedersachsen z.B. Angebot undNachfrage ehrenamtlicher Tätigkeiten zusammengeführt.Bürger treten zuweilen auch als Investoren oder Sponsorenauf, wenn sie sich für eine öffentliche Aufgabe begeisternlassen. Auch deshalb kann die Einbeziehung derBevölkerung in Planungsabläufe gewinnbringend sein.Ein Beispiel in groûem Maûstab ist die »gespendete Autobahn«:Ein Teilstück der A31 zwischen dem Ruhrgebietund Ostfriesland wurde zu 40 Prozent aus der Region von1600 Sponsoren finanziert und konnte damit frühzeitigfertig gestellt werden. Das entsprach nicht der üblichenRegelfinanzierung, zeigt aber, dass unkonventionelle Lösungenrealisierbar sind. Dies könnte erst recht für kleinereVorhaben gelten.Praktische Beispiele zur Umgestaltungder Infrastruktur1 Mit diesem Forschungsprogramm des Bundesministeriums für Verkehr,Bau- und Wohnungswesen und des Bundesamtes für Bauwesenund Raumordnung werden innovative Konzepte zur Regionalentwicklungvor Ort erprobt.Im Rahmen von »Modellvorhaben der Raumordnung« 1sind seit 2002 bundesweit neun Modellregionen ausgewähltworden, die unter dem Leitthema »Infrastrukturund demographischer <strong>Wandel</strong>« neue Konzepte für einenachfragegerechte Infrastrukturbereitstellung entwickelnund erproben. Im Mittelpunkt stehen die Erweiterung derKinderbetreuung, generationenübergreifende Dienstleistungen,die Verbesserung seniorenorientierter Angeboteund ein breites Spektrum an Handlungsfeldern zur Sicherungder öffentlichen Grundversorgung besonders imländlich peripheren Raum.In diesen Gebieten Ost-Deutschlands ist der Handlungsbedarfbesonders ausgeprägt. Schrumpfung und Alterung,geringe Siedlungsdichte und stark zersplitterte Siedlungsstrukturensowie (unter den Wachstumserwartungen der90er Jahre) überdimensionierte Infrastrukturen, verbundenmit abnehmenden Mitteln aus dem Länderfinanzausgleichaufgrund sinkender Einwohnerzahlen und degressivverlaufender Zuwendungen aus dem Solidarpakt II ab2006, machen es dringend erforderlich, das Infrastrukturangebotneu zu gestalten und anzupassen.Im Folgenden werden Handlungsansätze vorgestellt,die in den ländlichen Modellregionen MecklenburgischeSeenplatte, Lausitz-Spreewald und Ost-Thüringen entwickeltwurden: die »Anpassungsstrategien für ländliche/periphere Regionen mit starkem Bevölkerungsrückgang«.Ziel war es, eine angemessene wie finanzierbare infrastrukturelleAusstattung für kleinere Nachfragegruppenzu gewährleisten und die Lebensqualität im ländlichenRaum zu sichern.Die Konzepte wurden innerhalb von zwei Jahren inunterschiedlichen Arbeitsgruppen mit fachlichen undräumlichen Akteuren erarbeitet und mit der Öffentlichkeitdiskutiert.HandlungsfelderDie Handlungsschwerpunkte haben die Modellregionenselbst ausgewählt. Dazu gehörten insbesondere die ThemenBildung, Medizin und ÖPNV, aber auch organisatorischeFragen zur Ver- und Entsorgung. Das Thema überdimensionierterLeitungssysteme mit den Auswirkungenstark ansteigender Umlagekosten wurde nicht explizitverfolgt, wird aber in den nächsten Jahren sicher nochein wichtiges Handlungsfeld werden. Auch der verstärkteEinsatz von Informations- und Kommunikationstechnologienzum Ausgleich wegbrechender Dienstleistungenwurde noch nicht verfolgt.Andere europäische ländliche Regionen sind in dieserHinsicht viel weiter. In skandinavischen Ländern werdenBildung und Medizin von Informations- und Kommunikationstechnologienbereits stark unterstützt.101


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Alle bearbeiteten Handlungsfelder sollten untereinanderabgestimmt werden und in eine Gesamtstrategie einmünden.Die Modellregion Lausitz-Spreewald hat versucht,das Zentrale-Orte-Konzept als raumordnerischesInstrument an die neuen Bedingungen anzupassen.Möglichkeiten der InfrastrukturentwicklungBildungAufgrund starker Einbrüche bei den Schülerzahlen wurdenzwei Zielrichtungen verfolgt: die Erhaltung wohnortnaherGrundschulen für die jüngsten Schülerinnen undSchüler durch jahrgangsübergreifenden Unterricht sowiedie Stärkung zentraler Berufsschulen mit nachfragegerechtemAusbildungsprofil.Es gibt eine Reihe von Handlungsoptionen zur Sicherungder Grundversorgung in der Region. Eine Schlüsselfunktionliegt darin, die Erreichbarkeit zu verbessern. Nachfachlicher Notwendigkeit und Nachfragestruktur sollte jeweilsabgewogen werden zwischen Verkleinerung, Dezentralisierungund Zentralisierung. Schlieûlich können mobileAngebote geprüft werden, oder das Angebot kannz.B. durch flexible Raumnutzung neu gestaltet werden.Alle Handlungsoptionen werden in dem Modellvorhabenangewendet.GrundschulenDie Grundschulen in ländlichen Gemeinden sind mehrals nur Bildungsorte, sie sind auch Ankerpunkte für ganzunterschiedliche Aktivitäten von Bürgern und Vereinen.Deshalb ist die Erhaltung besonders wichtig. Mit jahrgangsübergreifendemUnterricht kann die dezentrale kleineSchule aufrechterhalten und damit die wohnortnaheSchulversorgung gesichert werden. In der ModellregionHandlungsoptionen der InfrastrukturentwicklungHandlungsoptionen Kennzeichen Entwicklung des Einzugsbereichsder EinrichtungBeispieleErhöhung der ErreichbarkeitVerbesserung der Verkehrsanbindung zurAuslastungserhöhunggröûer/gleichoptimierte ÖPNV-Netze,nachfrageorientierte TaktzeitenVerkleinerungproportionale Reduzierung der Einrichtungbzw. des Angebots zur Bevölkerunggleich/kleinerreduziertes BusnetzDezentralisierungAufteilung in kleinere effiziente Einheiten(bei hohen Anbindungskosten)kleinermehrere Biokläranlagen stattGroûkläranlage, Bürgerämter stattZentralverwaltungZentralisierung(mit Erreichbarkeitsstrategie)Zusammenlegung von unterausgelastetenEinheiten mit komplementärer ErreichbarkeitsverbesserunggröûerSchulzusammenlegung mitSchulbussystemtemporär-mobile AnsätzeVersorgungsinstitution nur zueingeschränkten Zeiten verfügbargleichVor-Ort-Sprechstunden,Wochenmärkte, mobileBibliothekenNeustrukturierung/SubstituierungZweck wird durch neue Art der AufgabenerfüllungerreichtfallabhängigWarenbestellung (Internet) stattEinkauf (Geschäft); Zusammenlegungvon Klassen mit neuenpädagogischen Konzepten, Taxi-Einzelbedienung statt ÖPNV-TaktbedienungQuelle: Werkstatt: Praxis 2005102


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Ost-Thüringen konnten keine pädagogischen Nachteileim Vergleich zu herkömmlichem Unterricht nachgewiesenwerden. Die Schülerübergangsquoten an die Gymnasienwaren vergleichbar, und auch die Kosten lagen ± imVergleich zur Mehrzügigkeit, unter Berücksichtigung desSchülerverkehrs ± nicht höher.BerufsschulenDie Schulentwicklungsplanung in den Kreisen von Lausitz-Spreewaldwar 2002 noch nicht an den demographischen<strong>Wandel</strong> angepasst. In Zusammenarbeit mit denSchulämtern wurden der neuen Planung aktualisiertePrognosen der Bevölkerung- und der Berufsfeldentwicklungzugrunde gelegt. Ein Gutachter differenzierte dieseInformationen räumlich und unterbreitete einen Umsetzungsvorschlag.Danach müssen 54 Prozent der Schulstandorteaufgegeben werden. Nur kreisübergreifendeAngebote können kostenträchtige Überangebote verhindernund die vielfältigen Ausbildungsangebote in derRegion durch abgestimmte Profile erhalten.Die Standortwahl berücksichtigt die wirtschaftsgeographischenTeilräume: Dort, wo Unternehmen bestimmteBerufsfelder besonders nachfragen, bleiben Schulen erhalten.Diese werden durch zusätzliche Schüler aus »geschlossenen«Schulen noch gestärkt, sodass die Tragfähigkeitgesichert ist. In die Standortentscheidungen sind als Kriterieneingeflossen: die Schülerzahl, die Minimierung derFahrtkosten und der Neuinvestitionen, die personelle undtechnische Ausstattung und die Nähe zu kompatiblen Unternehmen.MedizinEine ausreichende medizinische Versorgung ist in allenModellregionen in Frage gestellt: Die Mehrzahl der niedergelassenen¾rztinnen und ¾rzte ist älter als 55 Jahre.In absehbarer Zeit werden deshalb altersbedingt viele Praxengeschlossen. Einen Nachfolger zu finden, ist unter denBedingungen relativ geringer Verdienstmöglichkeiten undgroûer Einzugsbereiche mit aufwändigen Hausbesuchensehr schwierig. Die Problematik wird noch dadurch verschärft,dass die Zahl der Hochbetagten und damit der Bedarfan ärztlichen Leistungen überproportional stark ansteigt.Die Modellregionen haben in ihren Arbeitsgruppen, indenen auch Mitarbeiter der kassenärztlichen Vereinigungund niedergelassene ¾rzte vertreten waren, ein Bündelvon Vorschlägen erarbeitet, um das Problem zu mildern.Dazu gehören insbesondere die Einrichtung von Gesundheitszentrenzur Entlastung der ¾rzte, die Kooperationzwischen ambulanten und stationären ¾rzten sowiemobile Sprechstunden. Fragen zur räumlichen Verteilungund zu möglichen Betreiberformen spielten dabei einegroûe Rolle. Die Arbeitsgruppe konnte aufdecken, dass inder medizinischen Bedarfsplanung die Versorgungsbereichezu groû geschnitten waren und dass die angewendeteEinwohner-Arzt-Relation beispielsweise nicht die Altersstrukturberücksichtigt.Die Modellregion Mecklenburgische Seenplatte hateinen Leitfaden erarbeitet, der als Broschüre veröffentlichtworden ist und der Lobbyarbeit dient.DorfzentrumUm ein Minimum an Dienstleistungen im ländlichen,dünn besiedelten Raum unterhalb der Grundzentren aufrechtzuerhalten,wurde in Ost-Thüringen versucht, Funktionenin einem Dorfzentrum zu bündeln, Angebote zuverändern bzw. zu verkleinern und das Gebäude zeitversetztund mit flexiblem Personal zu nutzen. Damit solltendie Kosten der Einzelangebote minimiert und die Tragfähigkeitgefährdeter Leistungen gesichert werden.Die in kleinen Siedlungsschwerpunkten entstehendenDorfzentren sind wichtig für das soziale Zusammenlebenund ermöglichen eine angemessene Grundversorgung.Das potenzielle Angebot reicht vom Friseur über die Büchereibis zu Verwaltungsdienstleistungen und der Bürgersprechstunde,medizinischen Dienstleistungen, ÖPNV-Anschluss, Bankautomat und Einzelhandelsgeschäft.In Ost-Thüringen wurde die Gesamtregion hinsichtlichmöglicher Standorte untersucht. Dazu wurden Lücken imVersorgungsnetz identifiziert und die lokale Mitwirkungsbereitschaftabgefragt.Für zwei bislang leer stehende Gebäude an günstigenStandorten ± ermittelt durch Befragungen und Erreichbarkeitsanalysen± wurde eine Planung durchgeführt. DieUmsetzung erfordert die Beantragung von Fördermitteln.103


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Regionalplanentwurf mit Schwerpunkt »Zentrale Orte«Öffentlicher PersonennahverkehrDer ÖPNV ist die flankierende Maûnahme schlechthin. Inländlichen Räumen ist er aufgrund veränderter Nachfragenin der gewohnten Form nicht mehr zu bezahlen. DieTaktzeiten zu reduzieren und das Netz zu verkleinern ±häufig verfolgte Maûnahmen ± verschlechtern die Versorgung.Angebote wie Anrufbusse und Sammeltaxis sinddie bessere Alternative.In Lausitz-Spreewald sollte im Gebiet IBA Fürst-Pückler-Landdas dünne Netz an ÖPNV-Linien durch einen flexiblenBedienverkehr in der Fläche erweitert werden,wobei die Touristen die Gesamtnachfrage erhöhen. Eswurde ganz praktisch geplant.Der Flächenbetrieb sieht Einstiegshaltestellen undfreien Ausstieg vor. Die Konzessionierung nach dem Personenbeförderungsgesetzwar notwendig. Es wurde kalkuliert,wie viele Fahrzeuge wann fahren und wie diesean den bestehenden Linienverkehr anzubinden sind. Soist es möglich, die bisher nicht durch den ÖPNV erschlosseneFläche zu erreichen.Gerade solche Ansätze sind für die immobilere ältereBevölkerung im ländlichen Raum zunehmend unverzichtbar.In Lausitz-Spreewald wurde an einer Neuausrichtung desZentrale-Orte-Konzepts als eines wirksamen planerischenInstruments der Bündelung von Einrichtungen gearbeitet.Momentan fuûen noch viele regionale Entwicklungspläneauf falschen Wachstumserwartungen. In den 90erJahren sind zu viele Zentrale Orte mit den Ausstattungsmerkmalenausgewiesen und zu hoch eingestuft worden.Dieses Netz kann angesichts der rückläufigen Nachfragezahlenund der Ressourcen des Landes und der Gemeindennicht aufrechterhalten werden.Es bestand Konsens, dass nur ein Netz mit leistungsfähigenKnoten tragfähig sei und damit die Zahl der Ebenenund Orte mit zentralörtlicher Funktion reduziert werdenmüsse. Die Ausgestaltung führte zu Auseinandersetzungenum Funktionszuweisungen in den Arbeitsgruppen.Es musste verständlich gemacht werden, dass diese Zuweisungennicht allein ein Privileg (zur staatlichen Förderungvon Einrichtungen oder für höhere Schlüsselzuweisungen),sondern auch eine Verpflichtung der Gemeindesind, Funktionen im Rahmen knapper eigener Ressourcenanzubieten und zu sichern.Im Ergebnis wurde ein Vorschlag an die Landesplanungweitergegeben, das Zentrale-Orte-Netz neu zu strukturierenund dabei die prognostizierte Bevölkerung, neueEinzugsbereiche und Erreichbarkeitsverhältnisse in derModellregion zu berücksichtigen. Damit wurde das Gegenstromprinzipgenutzt.Dies sind einige ausgewählte Beispiele, wie das Infrastrukturangebotan weniger Menschen angepasst werdenkann, ohne an Qualität zu verlieren.Anforderungen an eineerfolgreiche StrategieentwicklungDie Anpassung der öffentlichen Daseinsvorsorge an dendemographischen <strong>Wandel</strong> besteht aus vielen Einzelbausteinenund erfordert einen umfassenden dialogorientiertenkreativen Ansatz. Diese Aufgabe ist nur im Zusammenschlussmehrerer Gemeinden zu leisten. WeitsichtigesHandeln für eine quantitativ passgenaue und qualitativgute Infrastruktur kann die Zukunft der Kommunen entscheidendmitgestalten. Daraus ergeben sich die folgendenAnforderungen:104


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>· Die Region wird als Planungsebene zunehmend wichtig,um die öffentliche Daseinsvorsorge unter den Bedingungendes demographischen <strong>Wandel</strong>s zu sichern.· Die regionale Entwicklungspolitik sollte konsequentan den Rahmenbedingungen einer weiter rückläufigenund alternden Bevölkerung ausgerichtet werden; nurso lassen sich Chancen einer bezahlbaren Qualitätssicherungoder -verbesserung erkennen.· Regionale Handlungskonzepte können helfen, die Maûnahmenaus verschiedenen Ressorts zu koordinierenund den Einsatz finanzieller Ressourcen aus unterschiedlichenPolitikfeldern abzustimmen.· Infrastrukturelle Umgestaltungen können nur als kooperativePlanungen entwickelt werden. Die Akteuremüssen zur Umsetzung innovativer Versorgungsansätzelokale und sektorale Egoismen überwinden.· Die Regionalplanung ist aufgrund der Querschnittsorientierungbesonders geeignet, neue Kooperationen zu initiierenund zu moderieren. Interkommunale »Verteilungsfragen«erfordern neutrale Mediatoren/Moderatoren.· Die Bevölkerung sollte in die Planung miteinbezogenwerden. Ein reduziertes Angebot kann auch mit Qualitätssteigerungeinhergehen ± dies gilt es zu vermitteln.Ein verändertes Angebot muss auf der NachfrageseiteAkzeptanz finden.· Die Orientierung auf räumliche Schwerpunkte ist beiSchrumpfungstendenzen besonders wichtig, da dieSuche nach Synergien zur Schlieûung von Versorgungslückenund das Erreichen von Minimalauslastungenoptimale Standorte erfordern.· Das Zentrale-Orte-System eignet sich zur Sicherungeiner angemessenen Infrastrukturversorgung, wenndamit nicht feste Ausstattungskataloge, sondern strukturadäquateVersorgungsangebote verbunden werden.· Privat organisierte Angebote von Handel und Dienstleistungensollten in die öffentlichen Strategien einbezogenwerden, neue Allianzen sind zu suchen.· Bürgerschaftliches Engagement zu aktivieren kanndie Leistungserbringung unterstützen und sinnstiftendund identitätsfördernd wirken.· Für einen integrierten Planungsansatz ist es von Vorteil,zur Überzeugung der Akteure und der Öffentlichkeitein langfristiges, strategisches Leitbild, ein plausiblesBild einer erstrebenswerten, machbaren Zukunftfür die Kommune bzw. die Region herzustellen.Gleichzeitig sollten in diese Gesamtstrategie kurzfristigeKonzepte eingebunden sein, die kleinteilig undkonkret zu verorten sind und umgesetzt werden können.Dies ist wichtig, um die Akteure weiter zu motivierenund damit auch Sinn und Wirkung der Gesamtstrategiein der Öffentlichkeit zu vermitteln.Handlungsleitfadenjetzt planenum agieren zu können, anstatt nur zu reagierenlangfristig planenüber Wahlperioden hinaus, weil Infrastrukturen einelange Nutzungsdauer habenanders planenneue, unkonventionelle Wege beschreiten, Normenin Frage stellen, Experimentierklauseln nutzenflexibel planenNachfrageschwankungen berücksichtigen undMehrfachnutzungen vorsehenzusammenhängend planeninterkommunal und intersektoral; Verantwortungsgemeinschaftenbilden statt Bürgermeisterkonkurrenzenmit anderen planenÖffentlichkeit einbinden, neue Allianzen suchenLiteraturBBR ± Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.):»Anpassungsstrategien für ländliche/periphere Regionenmit starkem Bevölkerungsrückgang in den neuenLändern«. Werkstatt:Praxis 38. 2005.BBR ± Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.):»<strong>Demographischer</strong> <strong>Wandel</strong> und Infrastruktur im ländlichenRaum ± von europäischen Erfahrungen lernen?«Informationen zur Raumentwicklung 12. 2003.BMVBW/BBR ± Bundesministerium für Verkehr, BauundWohnungswesen/Bundesamt für Bauwesen undRaumordnung (Hrsg.): Öffentliche Daseinsvorsorge unddemographischer <strong>Wandel</strong>. Berlin und Bonn 2005.105


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Chancen des Schrumpfens ±Stadtumbau als kommunale GestaltungsaufgabeThorsten Wiechmann, Stefan SiedentopStadtumbau ± eine neues Handlungsfeld?Die Stadtsoziologen Hartmut Häuûermann und WalterSiebel veröffentlichten 1985 in der »Zeit« einen Artikelüber die »Chancen des Schrumpfens«, der noch immererstaunlich aktuell ist. Darin plädieren sie vor dem Hintergrundder strukturellen Schrumpfungsprozesse in altindustrialisiertenStädten an der Ruhr, der Saar und dernorddeutschen Küste für eine andere Groûstadtpolitik.Ihre zentrale These, die sie in ihrem Buch »Neue Urbanität«(1987) weiter ausarbeiteten, war, dass der weit verbreiteteVersuch, »Schrumpfen in Wachstum umkehrenzu wollen, die negativen Folgen nicht nur verstärkt, sondernauch Möglichkeiten neuer urbaner Lebensformenverbaut« (ebd.: 120).Die Autoren waren ihrer Zeit weit voraus. Spätestensmit dem Wiedervereinigungsboom wollte niemand mehrüber Schrumpfung diskutieren ± auch nicht, als in den90er Jahren die Entwicklung in Ost-Deutschland längstoffensichtlich wurde. Schrumpfung galt in dem an Wachstumszielenorientierten politischen System als nicht politikfähig(Wiechmann 2003).Wie auf ein geheimes Zeichen hin sind seit dem Jahr2000 der demographische <strong>Wandel</strong> und der Stadtumbauin schrumpfenden Städten plötzlich in aller Munde. Dieim Februar 2000 von der Bundesregierung eingesetzteExpertenkommission »Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandelin den neuen Bundesländern« legte noch im Novemberdes gleichen Jahres ihren Bericht vor. Parallel dazugingen Städte wie Schwedt, Guben, Eisenhüttenstadt, Hoyerswerda,Wolfen und Leinefelde mit staatlicher Unterstützungdaran, Wohnraum in groûen Plattenbaugebietenabzureiûen.Ebenfalls ab dem Jahr 2000 etablierten die neuen Bundesländereine gezielte Stadtumbaupolitik, in deren Mittelpunktder Rück- bzw. Umbau der Plattenbauareale und dieStärkung der Innenstädte standen.Mit der jüngsten Novellierung des Baugesetzbuchs imJuni 2004 fand der Begriff »Stadtumbau« auch Eingang indas Städtebaurecht. Stadtumbaumaûnahmen sollen u.a.dazu beitragen, dass die Siedlungsstruktur den Erfordernissender Entwicklung von Bevölkerung und Wirtschaftangepasst wird, nicht mehr bedarfsgerechte bauliche Anlagenumgenutzt oder zurückgebaut und freigelegte Flächeneiner nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung oderZwischennutzung zugeführt werden. Ein so verstandenerStadtumbau lag jedoch schon immer im Aufgabenbereichdes Städtebaus. Neuartig sind die kumulierten Problemlagen,die sich in vielen ± insbesondere ostdeutschen ±Städten heute zeigen.Städtische Schrumpfungsprozessein Ost-Deutschland 1Wurden Schrumpfung, Leerstand und Abriss bis zumJahr 2000 noch tabuisiert, so scheint das Pendel seitdemmit aller Macht in die andere Richtung auszuschlagen.Beobachter und Kommentatoren neigen zur Krisenrhetorik:Es ist die Rede von »Apokalypse ostdeutscher Problemstädte«,von der »Erosion ganzer Stadtteile« und der»Absiedlung ganzer Landstriche«, von Vierteln, die »entvölkertund ausradiert« werden. In einem preisgekrönten»Zeit«-Artikel wird nicht weniger als »das Ende der sozialenStadt« beschworen (Haarhoff 2000).Aus Sicht der neuen ökonomischen Geographie werdendie schrumpfenden Städte des Ostens schlicht undeinfach nicht mehr gebraucht. Sie seien wie viele andereOrte weltweit in einer Situation »funktionaler Irrelevanz«(Castells 1997): Die Ressourcen, Produkte und Arbeitskräfteder »neuen Peripherien« seien für den Weltmarktweitgehend nutzlos geworden. Oder, wie es Wolfgang Kil1 Zur sozioökonomischen Situation in schrumpfenden ostdeutschenKommunen vgl. die Beiträge zu Cluster 4 (Seite 75) und 3 (Seite 41)in dieser Broschüre.106


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>(2001) formuliert, viele ostdeutsche Städte seien schlichtüberflüssig geworden, de facto zum Aussterben verurteilt.Glaubt man dem Tenor dieser Endzeitstimmung heraufbeschwörendenDebatte, so bliebe als Perspektive für den»Ruheraum Ostdeutschland«, den »Restraum der Zurückbleiber«,letztlich nur die Funktion eines »öffentlich alimentiertenAltersheims«. Daran änderten auch die Transferleistungendes Westens in Milliardenhöhe nichts. ImGegenteil: »Subventionen sind wie Drogen. Am Anfangbringen sie richtig was, aber je mehr man nimmt, umsoweniger Effekt haben sie, und am Ende kann man ohnesie nicht mehr leben« (Lau 2004: 91). Viele Darstellungengehen dementsprechend von einer weitgehenden HilfundMachtlosigkeit der kommunalen Akteure aus.Den in der öffentlichen Diskussion tonangebendenKassandras stehen jedoch auch Stimmen gegenüber, diein der Tradition Häuûermanns und Siebels von den Chancendes Schrumpfens sprechen. So propagiert Kil den»Luxus der Leere« mit »unerschlossenen Möglichkeitsräumen«.Und gerade Ökonomen sehen in schrumpfendenBevölkerungen und entleerten Regionen keine wirklichenHerausforderungen. Bei sinkenden Einwohnerzahlen würdedas Pro-Kopf-Einkommen der verbleibenden zunächst deutlichsteigen, weniger Menschen verfügten über mehr Ressourcen.Der Hamburger Ökonom Thomas Straubhaar (2004)bringt es auf die provozierend optimistische Formel »Toll± endlich Platz! Für die wenigen wird alles besser«. Wennder Kuchen auf weniger Leute aufgeteilt werde, gebe eslogischerweise gröûere Stücke für jeden ± vorausgesetztder Kuchen bleibe mindestens gleich groû. Dies hängeaber von der Produktivität und nicht vom Bevölkerungswachstumab. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es keingroûes Problem, wenn eine Region entvölkert wird, solangeandere gedeihen.Jenseits der kontrovers und oft auch emotional geführtenDebatte bleibt die Erkenntnis, dass die städtischenSchrumpfungsprozesse in Ost-Deutschland auch, aber nichtin erster Linie ein Ergebnis des demographischen <strong>Wandel</strong>ssind, jedoch vor allem ökonomische Ursachen haben.Tatsächlich machen die wichtigsten vor Ort generiertenEinnahmequellen (Einkommens-, Gewerbe- und Grundsteuern)in vielen ostdeutschen Städten nur rund einSechstel der kommunalen Einnahmen aus, während diestaatlichen Zuweisungen im Rahmen des Finanzausgleichsin Städten wie Gera, Cottbus oder Halle rund die Hälftealler Einnahmen bilden (Pohlan und Wixforth 2005).Spätestens seit dem Jahr 2000 ist vielen politisch Verantwortlichenklar, dass die bisherige »Lösung« des Problemsin Form von staatlichen Transferzahlungen undder weiteren Abwanderung der mobilen Bevölkerung inRichtung West-Deutschland zu gesellschaftlich unakzeptablenErgebnissen führt.Erfahrungen mit dem »Stadtumbau Ost«Mit dem Bund-Länder-Programm »Stadtumbau Ost« (2002bis 2009) wurde erstmals der Versuch unternommen,eine politische Antwort auf den Bevölkerungsrückgang inOst-Deutschland zu finden und die städtischen Schrumpfungsprozessemit einem spezifischen Instrumentariumin den Griff zu bekommen. Das Programm, an dem sichin den ersten beiden Jahren 252 ostdeutsche Kommunenbeteiligten, verfolgt das Ziel, den strukturellen Wohnungsleerstanddurch integrierte städtebauliche Maûnahmenzu beseitigen. Insgesamt werden für die Laufzeit 2,7 Mrd.Euro bereitgestellt.Kern ist ein zweiteiliges Zuschussprogramm für Rückbauund Aufwertungsmaûnahmen: Zur Stabilisierung derWohnungsmärkte wird für den Rückbau leer stehender,dauerhaft nicht mehr benötigter Wohngebäude ein Festbetragvon 60 bis 70 Euro pro Quadratmeter rückgebauteWohnfläche von Bund und Land zur Verfügung gestellt.Durch Verringerung der Wohndichte sollen Stadtquartiereaufgewertet und somit Chancen für mehr Lebensqualitätgenutzt werden. Die förderfähigen Kosten derAufwertung sollen zu je einem Drittel von Bund, Landund Kommune getragen werden. Voraussetzung für dieVergabe der Mittel an die Kommunen ist, dass diese einintegriertes Stadtentwicklungskonzept vorlegen und dassdas Fördergebiet durch Gemeindebeschluss auf derGrundlage dieses Konzepts abgegrenzt worden ist.Rückbau- und Aufwertungsmaûnahmen sollen innerhalbeines Gemeindegebietes in ausgewogenem Verhältniszueinander stehen. Die bisherigen Erfahrungen mitdem Programm zeigen jedoch, dass dies eine Illusion ist.Das Antragsvolumen für Abrissmaûnahmen übersteigtdie vorhandenen Mittel bei weitem; Aufwertungsmaûnahmenscheitern dagegen oft an den kommunalen Eigenmitteln.107


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Auch Abrissmaûnahmen wären betriebswirtschaftlichfür die Eigentümer, meist kommunale Wohnungsgesellschaftenoder Wohnungsgenossenschaften, unattraktiv,würde nicht das Altschuldenhilfegesetz parallel vorsehen,dass in Kommunen mit mehr als 15 Prozent Leerstandbeim Abriss eines Wohngebäudes die darauf liegendenAltschulden aus DDR-Zeiten getilgt werden. Dies erstmacht den Abriss für die Eigentümer lukrativ. Durch dieVerringerung des Wohnungsangebotes nützt der Abrissaber auch den privaten Hausbesitzern sowie den Banken,die viele Immobilien mit heute unrealistisch hohen Hypothekenbelastet haben und so auf eine Stabilisierung derPreise hoffen können.Die Priorisierung von Abrissmaûnahmen, bevorzugtin Plattenbaugebieten, und die Vernachlässigung von Aufwertungsmaûnahmen,die die Attraktivität steigern würden,lassen Kritiker von einem »subventionierten Kahlschlag«und einem »Abrissprogramm Ost« sprechen, welchesnur dank der wirkungsvollen Lobbyarbeit der vomRuin bedrohten Wohnungswirtschaft zustande gekommensei und in groûem Stil Steuermittel für die Vernichtungvon Wohnraum einsetze. Mit dem Wohnungsleerstandkümmert das Programm sich aber nur um einen Aspekteiner umfassenden Entwicklung (Lau 2004).Dabei bestreitet kaum jemand angesichts des immensenÜberangebots auf dem ostdeutschen Wohnungsmarktdie grundsätzliche Notwendigkeit von Rückbaumaûnahmen.Das Programm »Stadtumbau Ost« greift jedoch zukurz. Der Diskurs folge der Formel »Bevölkerungsrückgang= Leerstand = ­Platte¬ = Rückbau« (Hannemann2003). Damit blieben die eigentlichen Ursachen und diegravierenden Probleme der »Deökonomisierung« ostdeutscherStädte ausgeklammert.Angesichts der strukturellen Schrumpfungsprozesse inden neuen Bundesländern werden vielmehr tatsächlichintegrierte Strategien benötigt, die die Menschen mitnehmenund ihre endogenen Potenziale entfalten. Hierfür gibtes keine Patentrezepte. Allerdings lassen sich auf Basisder bisherigen Erfahrungen mit integrierten Stadtentwicklungskonzepteneinige Anforderungen benennen (Siedentop2004).»Neuer« Städtebau unter Schrumpfungsbedingungen:inhaltliche Anforderungen1. Abkehr vom WachstumsparadigmaAnhaltende Schrumpfungsprozesse werden weite TeileOstdeutschlands (wie viele andere Gebiete in Europa) auflange Sicht prägen. Der zwangsläufige Verzicht auf üppigeFinanzmittel und der fehlende Bedarf an Neubautenverlangen ein neues Planungsverständnis, eine neue Planungskultur,die sich an der behutsamen und strategischenEntwicklung des Bestandes orientiert. Die Erfahrungenmit dem Stadtumbau in Ostdeutschland könnenhier europaweit als wichtiger Schritt in diese Richtunginterpretiert werden (Wiechmann 2003).Die Raum- und Stadtplanung ist in der Praxis jedochnoch nicht ausreichend auf Schrumpfungsprozesse vorbereitet.Oft folgt das kommunalpolitische Instrumentariumnoch den vorherrschenden Wachstumszielen und orientiertsich am Planungsbedarf unter Wachstumsbedingungen.Eine Umorientierung auf Schrumpfungsprozessebedeutet ein anderes Verständnis von Planung und verlangteine Abkehr von ingenieurtechnischer Planung. Esgeht vielmehr um Prozesssteuerung und Bestandsentwicklung,um Umbau statt Neubau. Das bedingt einegenerelle Abkehr von vertrauten Vorgehensweisen. Einflussnahmeerfolgt als Prozesssteuerung und insbesonderedurch Beratung, Anleitung und Moderation.108


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>2. Revitalisierung der Zentren,selektiver randstädtischer RückbauDie mit Schrumpfungsprozessen einhergehenden städtebaulichenund sozialen Probleme treten räumlich selektivauf. Stabile Quartiere mit einer selbsttragenden Entwicklungstehen solchen gegenüber, die mit einer massivenAbwärtsspirale von demographischer Schrumpfung, ökonomischemNiedergang und sozialer Ausgrenzung konfrontiertsind.Damit liegt es nahe, Stadtumbau nicht mit punktuellenInterventionen über das gesamte bebaute Stadtgebiethinweg zu betreiben, sondern die verfügbaren finanziellenRessourcen in Gebieten mit besonderem Handlungsbedarfzu fokussieren. Dies setzt jedoch eine systematischeÜberprüfung der städtebaulichen Bestände im Hinblickauf ihre Zukunftsfähigkeit voraus. Ziel ist es, öffentlicheInvestitionen vor allem in solchen Quartieren einzusetzen,wo eine nachhaltige Nutzbarkeit des Bestandes möglicherscheint.3. Anpassung der InfrastrukturDie Effizienz städtischer Infrastrukturen ist maûgeblichvon der Bevölkerungsdichte abhängig. Sinkende Dichtenauf der einen Seite, Versorgungspflichten auch in weitgehendentvölkerten Quartieren, unteilbare technische Anlagensowie die hohen Fixkostenanteile bei technischenInfrastrukturen auf der anderen Seite bewirken, dass inschrumpfenden Städten immer weniger Stadtbewohnerfür immer stärker überdimensionierte Netze aufkommenmüssen.Vor diesem Hintergrund wird von einem gewaltigenRück- und Umbaubedarf der Stadttechnik ausgegangen,da eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung ohneeine langfristig funktionsfähige und finanzierbare Stadttechniknicht vorstellbar ist. Bislang vollzieht sich derStadtumbau jedoch in Form punktueller Interventionenüber das gesamte bebaute Stadtgebiet mit erheblichenstadtwirtschaftlichen Risiken.Deutlich effizienter wäre ein flächenhafter Umbau mitdem kompletten Abriss ganzer Siedlungseinheiten undder damit möglichen Stilllegung der entsprechenden Infrastrukturabschnitte.Die Versorgungsunternehmen solltendeshalb von Anfang an in die Konzeption von Stadtumbaumaûnahmeneingebunden und Rückbaumaûnahmen stetsin ihren Wirkungen auf die Ver- und Entsorgungsnetzeüberprüft werden.4. »Hände weg und liegen lassen«Das enorme Potenzial der durch Stadtumbaumaûnahmenfrei werdenden Nutzflächen bietet erhebliche Chancen inschrumpfenden Städten. Allerdings lässt sich absehen,dass viele brachfallende Flächen weder baulich nachnutzbarsind noch in städtische Grün- und Freiflächen umgewandeltwerden können. Ersteres scheitert an der geringenNachfrage nach baulichen Nutzflächen sowie unrealistischenVerwertungsvorstellungen der Grundstückseigentümer,Letzteres am viel zu hohen Flächenangebot sowieden zu hohen Pflegekosten konventioneller städtischerGrünflächen.Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet eine Strategiedes »Liegen lassens« (Ganser 2001). Im Gegensatzzum konventionellen Umgang mit Brachen, welcher unterhohem Einsatz von Fördermitteln auf die Beräumung,Sanierung, Erschlieûung oder Begrünung der betreffendenFlächen abzielt, setzt das »Liegen lassen« auf dienatürliche Sukzession. Der zentrale Vorteil eines solchenUmgangs mit Flächen liegt in den minimalen Kosten fürPlanung, Realisierung und Pflege bei der Schaffung urbanerFreiräume. Zudem kann die spontan entstandene,pflegeextensive Natur zur urbanen Artenvielfalt beitragenund das Spektrum der städtischen Erholungs-, SpielundErlebnismöglichkeiten ergänzen.»Neuer« Städtebau unter Schrumpfungsbedingungen:Prozessuale undinstrumentelle Anforderungen1. Frühzeitigen Diskurs führenDie Erfahrungen in Ost-Deutschland zeigen, dass einefrühzeitige Auseinandersetzung mit dem insgesamt gutprognostizierbaren demographischen Entwicklungspfadeiner Kommune entscheidend ist. Wird erst reagiert,wenn Schrumpfungsprobleme augenscheinlich werden,können Fehlentwicklungen oft nicht mehr abgewendetwerden. Beispiele dafür sind die mit vielen öffentlichen109


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Inwieweit Aufwand und Nutzen einer Implementierungspezifischer Evaluierungstools in einem sinnvollenVerhältnis zueinander stehen, lässt sich letztlich nursituationsspezifisch beurteilen. Die Verringerung von Datenlücken(etwa zu Leerstandsquoten und innerstädtischenWanderungen) und die Implementierung der Evaluierungstoolserfordern einen hohen methodischen und empirischenAufwand und erscheinen nur unter aktiver Mitwirkungexterner Akteure wie der WohnungsunternehmenErfolg versprechend (Siedentop und Wiechmann 2005).Mitteln sanierten Wohnungsbestände in Plattenbauten,die nun zu erheblichen Teilen leer stehen und oft zumAbriss vorgesehen sind.Die Kommunalpolitik sollte daher bereits in einemfrühen Stadium absehbare demographische Perspektivenund ihre möglichen Implikationen offensiv und öffentlichkeitswirksamkommunizieren. Die erfolgreiche Umsetzungvon Stadtumbaukonzepten kann nur auf Basis einerbreiten Koalition von Kommunalpolitik und -verwaltung,Bürgerschaft und privatwirtschaftlich agierenden Akteurengelingen. Eine solche Allianz wird aber nur dann entstehen,wenn die Öffentlichkeit nicht mit »fertigen« Konzeptenkonfrontiert, sondern frühzeitig in die Planungeneinbezogen wird.2. Monitoring installierenZu den klassischen Aufgaben einer Kommune gehört diekontinuierliche Beobachtung ihrer räumlichen Entwicklung.Angesichts der hohen Dynamik demographischerund wohnungswirtschaftlicher Entwicklungen gibt es inden ostdeutschen Kommunen generell einen groûen Bedarfan detaillierten Informationen. Daher besteht in derFachdiskussion breiter Konsens, dass der Stadtumbauvon einem Monitoring begleitet werden muss ± sowohlals materielle Basis für die Planung und Evaluierung desProzesses als auch als förderrechtlich gebotenes Begründungsinstrumentariumbei Einsatz knapper öffentlicherMittel. Allerdings bieten gerade in Groûstädten auch dievorhandenen Instrumente ein groûes Informationspotenzial,dessen konsequente Ausschöpfung vorrangiges Anliegender Stadtentwicklungspolitik sein sollte.3. Lasten fair verteilenStadtumbaustrategien werden nur dann erfolgreich umgesetztwerden können, wenn die Lasten zwischen allenbeteiligten Akteuren fair verteilt werden. Dies beinhalteteine angemessene finanzielle und organisatorische Beteiligungvon Staat und Kommunen, aber auch eine angemesseneLastenverteilung zwischen den Akteuren derWohnungswirtschaft sowie einen offenen und fairen Umgangmit den von Rückbaumaûnahmen betroffenen Mieternund selbst nutzenden Eigentümern. Erforderlich istvor allem eine enge Kooperation zwischen den verschiedenen,auf dem kommunalen und regionalen Wohnungsmarktagierenden Anbietern.Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass es noch nichtgelungen ist, alle Eigentümer in eine gesamtstädtischeStrategie einzubinden. Die Problematik des Lastenausgleichsstellt sich zudem auch aus einer übergemeindlichenSicht. Ein bestandsorientierter Stadtumbau ist stetsder Gefahr ausgesetzt, durch die Konkurrenz von preisgünstigemund schnell verfügbarem Bauland in Nachbarkommunenunterwandert zu werden. Ebenso wie Regionenunter Wachstumsdruck sind stagnierende oder schrumpfendeRegionen daher auf ein interkommunal abgestimmtes,langfristig orientiertes Siedlungskonzept angewiesen,das einen verlässlichen Planungsrahmen für kommunaleUmbaustrategien bietet.FazitDer Stadtumbau kann die übergreifenden gesellschaftlichenRahmenbedingungen, die Prozesse des demographischen<strong>Wandel</strong>s und der partiellen Deökonomisierung in110


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>schrumpfenden Städten nur sehr begrenzt beeinflussen.Viele Stellschrauben, etwa in der Wirtschafts- und Sozialpolitik,im Steuer- und Eigentumsrecht, lassen sich nurauf der supranationalen oder nationalen Ebene drehen.Gleichwohl kann der gezielte Stadtumbau, können die Kommuneneinen aktiven Beitrag leisten, um sich den Folgender Schrumpfung anzupassen und günstige Rahmenbedingungenfür neue Entwicklungschancen zu schaffen.In dem eingangs erwähnten »Zeit«-Artikel kommenHäuûermann und Siebel schon 1985 zu dem Schluss,dass Stadtpolitik die Entwicklungen nicht nur gott- undmarktergeben hinnehmen darf, wenn die Chancen desSchrumpfens wirksam werden sollten. »Sie muss denSchrumpfungsprozess ähnlich zu steuern suchen, wie siebislang zumindest versucht hat, die Vorteile und Kostendes Wachstums gleichgewichtig und sozialgerecht zu verteilen.«Dazu seien Konzepte nötig, die die Denkmusterfür das Wachstum von Flächen, Bevölkerung, Arbeitsplätzenund Infrastruktur durchbrechen.Diese Aussagen haben unverändert Gültigkeit. Eineaktive, auf die Zukunft ausgerichtete Stadtpolitik ist auchunter den schwierigen Bedingungen schrumpfender Städteunverzichtbar. Der Stadtumbau in Ost-Deutschland mussdabei neue Wege beschreiten und Chancen suchen, auchund gerade dort, wo sie heute noch nicht gesehen werden.LiteraturCastells, Manuel: The Rise of the Network Society. The InformationAge:Economy, Society, and Culture. Band 1.2. Auflage. Oxford 1997.Ganser, Karl: »Hände weg, liegen lassen«. DASL (Hrsg.):Schrumpfende Städte fordern neue Strategien für dieStadtentwicklung. Aus dem Leerstand in neue Qualitäten?Wuppertal 2001. 105±112.Haarhoff, Heike: »Unternehmen Abriss Ost«. Die Zeit. 40.2000. 13±19.Hannemann, Christine: »Schrumpfende Städte in Ostdeutschland± Ursachen und Folgen einer Stadtentwicklungohne Wirtschaftswachstum«. Aus Politik undZeitgeschichte. 28. 2003. 16±23.Häuûermann, Hartmut, und Walter Siebel: »Die Chancendes Schrumpfens. Plädoyer für eine andere Groûstadtpolitik«.Die Zeit. 13. 1985. 33±37.Dies.: Neue Urbanität. Frankfurt am Main 1987.Kil, Wolfgang: »Überflüssige Städte? Über den Leerstandin ostdeutschen Städten«. db ± deutsche bauzeitung. 6.2001. 58±63.Lau, Peter: »Was tun mit kalten Platten? Raum schaffendurch Schrumpfung ± in Ostdeutschland geht das jetzt.Da schrumpfen die Städte. Eine einmalige Gelegenheit«.brand eins. 5. 2004. 86±93.Pohlan, Jörg, und Jürgen Wixforth: »Schrumpfung, Stagnation,Wachstum ± Auswirkungen auf städtischeFinanzlagen in Deutschland«. Norbert Gestring et al.(Hrsg.): Jahrbuch StadtRegion 2004/05. Schwerpunkt»Schrumpfende Städte«. Wiesbaden 2005. 19±48.Siedentop, Stefan: »Anforderungen an einen qualifiziertenStadtumbau in schrumpfenden Städten«. Uwe Altrockund Dirk Schubert (Hrsg.): Wachsende Stadt. Leitbild± Utopie ± Vision? Hamburg 2004. 251±263.Siedentop, Stefan, und Thorsten Wiechmann: »Monitoringdes Stadtumbaus ± Eine neue Herausforderung?« Flächenmanagementund Bodenordnung. 5. 2005. 206±214.Straubhaar, Thomas: »Toll ± endlich Platz! Die Bevölkerungschrumpft. Es gibt mehr Alte. Ist das nichtschrecklich? Ganz im Gegenteil. Für die Wenigen wirdalles besser«. brand eins. 5. 2004. 116±117.Wiechmann, Thorsten: »Zwischen spektakulärer Inszenierungund pragmatischem Rückbau ± Umbau vonschrumpfenden Stadtregionen in Europa«. Irene Iwanov,GØrard Hutter und Bernhard Müller (Hrsg.): <strong>Demographischer</strong><strong>Wandel</strong> und Strategien der Bestandsentwicklungin Städten und Regionen. IÖR-Schriften 41. Dresden2003. 103±126.111


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Wohnungsmärkte im <strong>Wandel</strong>Ruth Rohr-ZänkerQuantitative Veränderungen der NachfrageMit dem demographischen <strong>Wandel</strong> wird die Nachfragedynamikauf den Wohnungsmärkten schwächer. Sinkt inDeutschland die Bevölkerungszahl in dem Ausmaû, wiees Hochrechnungen voraussagen, werden langfristig bedeutendweniger Wohnungen benötigt als es derzeit gibt.In den meisten Regionen beschreibt dieses Szenarioeine Zukunft, die noch nicht fassbar scheint ± wird dochdie Zahl der Haushalte und die Nachfrage nach Wohnungenvorerst weiter wachsen: Nicht Einzelpersonen, sondernHaushalte sind Nachfrager auf den Wohnungsmärkten,und ihre Zahl wird hierzulande auch mittelfristignoch zunehmen. Damit setzt sich das schon bekannteMuster fort, dass die Zahl der Haushalte stärker wächstals die der Bewohner. Erst wenn der Bevölkerungsrückgangin etwa zwei Jahrzehnten an Dynamik gewinnt,wird auch die Zahl der Haushalte zurückgehen.Die Wohnungsmärkte unterliegen einem kontinuierlichenVeränderungsprozess. Im Zuge demographischer, ökonomischerund gesellschaftlicher Entwicklungen verändernsich Haushaltszahlen, Wohnformen und -bedürfnisse,und in der Folge wird das Angebot an Wohnungstypenund Wohnlagen angepasst.Besonders einschneidend wirkt sich der demographische<strong>Wandel</strong> auf die Wohnungsnachfrage aus. Der Rückgangder Bevölkerung verringert die quantitative Nachfrage;Veränderungen der Alters- und Haushaltsstrukturführen zu Verschiebungen in der Art der Nachfrage, unddarüber hinaus gibt es vielfältige indirekte Folgen für dieNachfrage nach Standorten und Qualitäten von Wohnungen.In der Summe stehen die Städte und Gemeinden vorvöllig neuen und sehr komplexen Herausforderungen.Zusätzlich zu regional sehr unterschiedlichen Ausgangssituationenin prosperierenden, stagnierenden oderschrumpfenden Regionen haben sich in den letzten Jahrenkleinräumliche Unterschiede der Entwicklungsdynamikund z.T. gegenläufige Entwicklungen einzelner Marktsegmenteausgeprägt. Diese werden durch den Mismatchzwischen Angebot und Nachfrage überlagert. Mittlerweileist absehbar, dass manche Bestände künftig kaum nochmarktfähig sein werden und dass bestimmte Nachfragemusterimmer weniger bedient werden.Zahl der Haushalte wächst stärker als Zahl der BewohnerDas Haushaltswachstum liegt allerdings bei weitem nichtmehr auf dem Niveau der 90er Jahre, und die abgeschwächteNachfragedynamik wird durch die wirtschaftlicheEntwicklung noch verstärkt. Solange Realeinkommennicht steigen, Arbeitslosenzahlen auf hohem Niveauverharren und mangelndes Vertrauen in die Zukunftsfähigkeitder Gesellschaft zu Konsumzurückhaltung führen,werden Wohnwünsche nicht in dem Umfang realisiert,wie dies in einer wachsenden Wirtschaft und ineiner zuversichtlichen Stimmung der Fall wäre.Durch die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungverläuft der demographische <strong>Wandel</strong> regional sehrverschieden und ungleichzeitig. Die räumlichen Schwerpunktedes Bevölkerungs- und Haushaltswachstums unddamit die der zusätzlichen Wohnungsnachfrage sind diewirtschaftsdynamischen Regionen. Dagegen gibt es in groûenTeilen Ost-Deutschlands aufgrund hoher Abwanderungsratenbereits seit Jahren ein Überangebot an Wohnungen,und in einzelnen strukturschwachen Regionender alten Bundesländer besteht kaum mehr der Bedarf anzusätzlichem Wohnraum. Für die meisten Regionen inDeutschland ist das Ende des Bevölkerungswachstumsabsehbar.112


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Risiko: Überangebot an WohnraumDiese Perspektive stellt die Städte und Gemeinden vor einDilemma: Mittelfristig wird es noch zusätzlichen Bedarfnach Wohnungen geben; seine Befriedigung birgt aberdie Gefahr, langfristig ein Überangebot zu schaffen. DieReaktion auf diese Herausforderung wird durch die weitereEntspannung auf den Wohnungsmärkten erschwert,weil die Nachfrager ihre Anforderungen an Gröûe, Grundrisseund Ausstattung, an Wohnumfeld- und Lagequalitätenimmer besser durchsetzen können. Solange der Bestanddie geforderten Qualitäten nicht aufweist, wird derWohnungsneubau auch in schrumpfenden Märkten anhalten,und zwar auf Kosten des Altbestands.Qualitative Veränderungen der NachfrageFür die nahe Zukunft werden in weiten Teilen Deutschlandsdie Veränderungen in der Alters- und Haushaltsstrukturgravierendere Auswirkungen auf die Wohnungsmärktehaben als die Veränderungen der absolutenBevölkerungszahl.Das Haushaltswachstum ist in erster Linie auf dieVerkleinerung der Haushalte und weniger auf ein Wachstumder Bevölkerung zurückzuführen. Die kontinuierlicheZunahme der Ein- und Zweipersonenhaushalte beigleichzeitiger Abnahme der Drei- und Mehrpersonenhaushalteist noch nicht an ihr Ende gekommen.Eine wichtige Ursache der Haushaltsverkleinerung istdie Veränderung in der Altersstruktur der Bevölkerung:Mit dem ¾lterwerden schrumpft in der Regel die Haushaltsgröûe,weil Kinder aus Familienhaushalten ausziehenund ihren eigenen Haushalt gründen und weil Partnersterben. Der Trend zur Haushaltsverkleinerung ist aberauch eine Folge von Verhaltensänderungen: Es werdenimmer weniger Kinder in junge Haushalte hineingeboren,sodass immer weniger gröûere Haushalte »nachwachsen«.Und in allen Altersgruppen schreitet die Singularisierungvoran. So wird die Nachfrage auf den Wohnungsmärktenimmer weniger von gröûeren und immer mehrvon kleinen Haushalten getragen.Die wohnungsmarktrelevanten Veränderungen der Altersstrukturentstehen vor allem durch den starken Rückgangdes Anteils der 30- bis Mitte-40-Jährigen um mehrals 20 Prozent bis <strong>2020</strong> und die Zugewinne bei den altenMenschen. Die Nachfragedynamik auf den Wohnungsmärktenwurde bisher von der mittleren Altersgruppegetragen. In diesem Lebensabschnitt ist es üblich, sich»hochzuwohnen« und dabei gröûere und höherwertige Objektezu beziehen. Im höheren Alter, wenn die individuellenWohnwünsche weitgehend realisiert sind, entstehtkaum noch zusätzliche Nachfrage. Zwar führen Trennungenvon Haushalten und Arbeitsplatzwechsel auch jenseitsder 40 zu Wohnungswechseln; diese erfolgen abermeist innerhalb des gleichen Segments oder in ein niedrigeres.Weil die Babyboomer-Generation der 50er und 60erJahre altert, ohne dass jüngere Altersgruppen in einemvergleichbaren Umfang nachwachsen, hinterlässt sie einefür den Wohnungsmarkt empfindliche Lücke. Durch dieVerringerung des Anteils der 30- bis Mitte-40-Jährigenwird nicht nur die Zahl der Geburten und der Familiengründungenzurückgehen, sondern auch die Nachfragedynamikauf den Wohnungsmärkten. Vor allem in denEigentumsmärkten wird dies spürbar werden, sind dochetwa 50 Prozent der Erwerber von Wohneigentum zwischen30 und 45 Jahre alt.Die sinkende Zahl der nachfragedynamischen Altersgruppenund der jungen Familien wird die Wohnform desEinfamilienhauses im Grünen und Standorte im Stadtumlandbesonders stark treffen, denn Motor der Suburbanisierungwaren vor allem die gröûeren Familienhaushalte.Wohnen im AlterParallel zur nachlassenden Nachfrage durch jüngere Erwachseneund junge Familien werden neue Impulse durchältere Menschen ausgelöst. Die Generationen der über60-Jährigen sind die einzigen wachsenden Altersgruppen,und durch ihre steigende Zahl wird der Bedarf nach altengerechtenWohnungen in entsprechenden Wohnlagenzunehmen.Der weit verbreitete Wunsch, möglichst lange selbstständigwohnen zu können, also nicht in eine Alten-Wohneinrichtung umziehen zu müssen, lässt sich für diemeisten Menschen nur umsetzen, wenn sie in einer altengerechtenWohnung leben und sich selbstständig versorgenkönnen. Es geht also nicht allein um die Wohnung,sondern auch um das Nahversorgungsangebot, den An-113


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>schluss an öffentliche Verkehrsnetze, die Nähe zu Service-und Unterstützungseinrichtungen und ein Umfeld,das den subjektiven Sicherheitsbedürfnissen entspricht.Die Bedeutung dieser Infrastrukturen steigt, weil immerweniger alte Menschen auf bewährte Netzwerke durchFamilie und Verwandtschaft zählen können. Somit werdenZentralität und Dichte wichtigere Kriterien für »altengerechteWohnstandorte«.Neue Wohnanforderungen ± ¾ltere sind TrendsetterNicht nur die steigende Zahl alter Menschen wird denBedarf an altengerechten Wohnungen steigern; zusätzlicheNachfrageeffekte sind aus Verhaltensänderungen zuerwarten. Voraussichtlich werden die kommenden älterenGenerationen mobiler und bedürfnisorientierter sein,viele ältere Menschen werden nicht bis zum Lebensendeoder bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie nicht mehr alleinleben können, in ihren angestammten Wohnungen undHäusern bleiben. Sie geben das Haus auf, das ihremLebensalltag nicht mehr angemessen ist oder sich in isolierterLage befindet; stattdessen ziehen sie in eine Wohnung,die sie weniger durch Haus- und Gartenarbeitbelastet und an einen Standort, an dem sie besser amgesellschaftlichen und kulturellen Leben teilhaben können.Und immer mehr werden entdecken, dass neuegemeinschaftliche Wohnformen ihnen die Realisierungdieser Ansprüche erleichtert.Schon heute werden ältere Haushalte als Träger einesTrends zur Re-Urbanisierung und zum gemeinschaftlichenWohnen gesehen und sind Zielgruppe von Immobiliengesellschaften,die hochwertige Stadtwohnungen anbieten.Diese veränderten Einstellungen sind nicht nur für dieeinzelnen Personen oder Haushalte vorteilhaft: Sie entlastenauch die Gesellschaft von Kosten und führen dazu,dass eine wachsende Zahl älterer Menschen am Gemeinwesenteilhaben kann und sie ihre Fähigkeiten der Gesellschaftzur Verfügung stellen können.Neben den Verschiebungen in Altersaufbau und Haushaltsgröûenführen die zunehmende kulturelle und ethnischeVielfalt in der Bevölkerung und die Ausdifferenzierungvon Lebensstilen und kulturellen Milieus dazu,dass die Wohnbedürfnisse vielfältiger werden. Mit demBedeutungsverlust der klassischen deutschen Familiebüûen traditionelle Nachfragemuster ihre dominierendeStellung auf den Wohnungsmärken ein.Andere Haushaltstypen drängen stärker in den Vordergrundund finden auf entspannten Wohnungsmärktenmehr Wahlmöglichkeiten als zuvor. Ihre Chancen, Qualitätsanforderungensowie Präferenzen für Wohnlagen inbestimmten sozialen und kulturellen Milieus durchzusetzen,verbessern sich. Damit wird gleichzeitig der Trendzur sozialen Entmischung und zur Herausbildung homogenerWohnquartiere unterstützt; er ist deshalb in denKommunen besonders genau zu beobachten.Die Verlierer dieser Entwicklung werden sozial undwirtschaftlich benachteiligte Gruppen sein, deren schwierigeSituation durch die Arbeitsmarktreformen verschärftwird. Sie werden sich nur schwer selbstständig mit Wohnraumversorgen können und stärker als bisher auf herabgewirtschafteteWohnungsbestände angewiesen sein. Denerweiterten Möglichkeiten der Mehrzahl der Bevölkerung,ihre Wohnpräferenzen zu realisieren, wird wohl eine Konzentrationsozialer Probleme in unattraktiven Standortenund Wohnungsbeständen gegenüberstehen. Für die betroffenenGruppen eröffnet auch ein entspannter Wohnungsmarktkaum Wahlmöglichkeiten.Trends der WohnungsmarktentwicklungDie demographischen Veränderungen beeinflussen nichtnur direkt Umfang und Art der Nachfrage nach Wohnraum,sondern sie haben indirekt auch Folgen für dieNachfrage nach Wohnstandorten, Wohn- oder Eigentumsformen.Mittelfristig ist davon auszugehen, dass die folgenden,zum Teil gegensätzlichen Trends die Nachfrageauf dem Wohnungsmarkt entscheidend prägen werden.Die Folge wird ein stärkeres Nebeneinander unterschiedlicherTeilmärkte sein.114


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Zentrale Standorte werden attraktiverDer demographische <strong>Wandel</strong> erzwingt in erheblichem UmfangAnpassungen, Umbau und Erneuerung von Versorgungs-und Infrastruktureinrichtungen. In Verbindung mitverringerten finanziellen Spielräumen der öffentlichenHand werden diese Aktivitäten zur Konzentration aufzentrale Orte und zur Ausdünnung der Versorgungsleistungenin weniger verdichteten und peripheren Standortenführen. Entsprechend wird die Wohnqualität zugunstenzentraler Standorte aufgewertet.Die steigende Attraktivität des Wohnungsbestands inZentren und Siedlungskernen wird durch eine zunehmendeSensibilität gegenüber Mobilitätszwängen und -kostenunterstützt. Insbesondere für die wachsende Gruppeweniger mobiler älterer Menschen werden zentrale Wohnstandortedadurch anziehender. Bereits heute sind dieRückwanderung älterer Menschen aus dem Umland in dieStädte und Wertverluste von Wohngebäuden im Stadtumlandauffällige Trends auf den Immobilienmärkten.nach Flexibilität und Mobilität im Berufs- und Alltagsleben,zunehmender Spannungen zwischen sozial und kulturellunterschiedlichen Gruppen und persönlicher Verunsicherungin einer immer heterogener werdenden Gesellschaftbietet das Wohnen unter »Gleichgesinnten« dieMöglichkeit, sich auf Bekanntes und Vertrautes zurückzuziehen.Sozial homogene Siedlungsformen stärken dassubjektive Sicherheitsgefühl und die Identifikation mitdem Wohnort ± in einer alternden Gesellschaft werdendies zunehmend wichtige Anforderungen an das Wohnenwerden.Auch durch die Aufwertung von Nachbarschaftsbeziehungengewinnen überschaubare Kleinstrukturen an Attraktivität.Nachbarschaftliche Unterstützungsnetzwerkewerden die Ausdünnung staatlicher sozialer Dienstleistungenzumindest in Ansätzen kompensieren müssen, zudemwird die weitere Zunahme von alten und von kleinenHaushalten den Unterstützungsbedarf im Wohnbereicherhöhen. Häufig sind gerade kleine Haushalte aufgrundihrer Lebensweise auf nachbarschaftliche Hilfeleistungenangewiesen.Integrierte Ortslagen werden als Wohnstandort attraktiverDie weitere Zunahme kleiner Haushalte in allen Altersgruppenund die wachsende Bedeutung »neuer Haushaltstypen«werden integrierte und urbane Lagen weiteraufwerten. Vor allem Singlehaushalte, aber auch berufstätigePaare und alleinerziehende Frauen und Männersind bei der Bewältigung ihres Alltags häufig auf wohnungsnaheVersorgungsstrukturen und kurze Wege angewiesen.Zudem sind diese Gruppen in ihrer Freizeitmehr als Familien auf auûerhäusliche Aktivitäten konzentriert,sodass für sie ein Wohnstandort in Randlageund in gröûerer Entfernung zu städtischen Kultur- undFreizeitangeboten oft unattraktiv ist.Kleinstrukturen und Nachbarschaft werden attraktiverDie Ausdifferenzierung sozialer und kultureller Milieusführt dazu, dass kleinteilige und sozial homogene Anlagenund Siedlungsformen an Attraktivität gewinnen. Angesichtssteigender Belastungen durch AnforderungenNeue Eigentumsformen gewinnen an BedeutungDer Wunsch nach gemeinschaftlichen Wohnformen undeiner gröûeren Selbstverantwortung und Mitbestimmungbei der Gestaltung der Wohnwelt setzt sich immer weiterdurch. Da sich diese Ziele schwer im Mietwohnungssektorumsetzen lassen, gewinnen neue Eigentumsformenzunehmend an Bedeutung.Beispiele dafür sind Baugemeinschaften und Wohngruppenebenso wie Neugründungen und Umstrukturierungenvon Genossenschaften. Insbesondere in Ersterenwurden in den letzten Jahren verschiedene Formen undModelle nachbarschaftlichen Zusammenlebens realisiertund erprobt. Zukünftig werden sich Wohnformen von Jungund Alt sowie Formen des gemeinschaftlichen Lebensvon älteren Menschen unterschiedlichen Alters stärkerdurchsetzen. Dabei hilft auch staatliche Unterstützung:Um die Wohnraumversorgung unterschiedlicher Zielgruppenzu verbessern und die soziale Integration zu erleichtern,wird in jüngster Zeit das genossenschaftliche Wohnenals dritte tragende Säule neben dem Wohnen zur Mieteund dem Wohneigentum propagiert und gefördert.115


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Gröûere Fluktuation auf dem WohnungsmarktMit der Singularisierung, der weiteren Differenzierung vonLebensstilen und durch die steigenden Anforderungen anFlexibilität und Mobilität im Berufsleben erhöht sich nichtnur der Anteil an Haushalten, die sich in neue Gemeinschafteneinbinden; es gibt auch immer mehr Haushalte,die keine langfristige Bindung an einzelne Wohnstandorteentwickeln und ohne groûen Widerstand zwischenOrten und Wohnungen wechseln.In dem Maûe, in dem stabile Wohnbiographien seltenerwerden, setzen sich Lebensabschnitts-Immobilien, Übergangswohnungen,Zweitwohnungen und auf Zeit ausgerichtetesGemeinschaftswohnen als Formen weiter durch. Damitwerden entsprechend flexible Angebote für teilweisenur kurze Nutzungszyklen nachgefragt.Zunehmende soziale Probleme in unattraktiven BeständenDie Entspannung auf den Wohnungsmärkten ermöglichtes immer mehr Haushalten, ihre Wohnwünsche zu realisierenund führt dazu, dass weniger attraktive Beständezu Wohnorten von immobilen und benachteiligten Gruppenwerden. Das betrifft vor allem Groûsiedlungen, dieangesichts sozialer und städtebaulicher Probleme als Wohnstandortzunehmend abgelehnt werden. Damit steigt dieGefahr sozialer und ethnischer Gettobildung, die, wie dieEreignisse in den französischen Vorstädten gezeigt haben,den Kern für eine gesellschaftliche und politische Krise bildenkann.Aber auch ältere Einfamilienhausgebiete im Stadtumlandmit unzeitgemäûer Bausubstanz verlieren zunehmendan Attraktivität und werden beim Generationenwechselnicht mehr nachgefragt.Anforderungen an Städte und GemeindenDie Anforderungen, denen sich die Städte und Gemeindenzur Sicherung ihrer Wohnqualität und zur Verbesserungihrer Standortgunst gegenübersehen, sind sehr verschiedenartig.Neben den spezifischen Rahmenbedingungensind sie vor allem von ihrer Gröûe und Funktion imräumlichen System, ihrer wirtschaftlichen Entwicklungund demographischen Perspektive sowie ihren finanziellenRessourcen abhängig.Darüber hinaus gibt es grundlegende Anforderungenan die Sicherung der Wohnqualität und Wohnungsversorgung,auf die alle Städte und gröûeren Gemeinden ihreAktivitäten konzentrieren müssen.1. Entscheidungen längerfristig ausrichten undan Potenzialanalysen orientierenTraditionell reagieren Städte und Gemeinden auf Nachfrageveränderungendes Wohnungsmarkts durch Ausweisungneuer Wohnbauflächen. Angesichts der nachlassendenNachfragedynamik birgt dieses Vorgehen erhebliche Risiken,denn durch den Neubau werden möglicherweise Beständeabgewertet, die Leerstände einer nahen Zukunftproduziert und erhebliche Folgekosten für Infrastrukturenerzeugt.Aufgabe der kommunalen Planung ist daher nicht nur,Siedlungsstrukturen und Wohnungsbestände zu sichernund zu entwickeln, die hohe qualitative Anforderungen andas Wohnen und das Wohnumfeld erfüllen, sondern auch,ihre langfristige Tragfähigkeit sicherzustellen. ZukunftsfähigePlanungs- und Investitionsentscheidungen müssenauf der Grundlage eines Entwicklungskonzepts getroffenwerden, das die Folgen des demographischen <strong>Wandel</strong>s be-116


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>rücksichtigt, gruppenspezifische Bedarfe erfasst und dieStandorte und Wohnungsbestände hinsichtlich ihrer zukünftigenAttraktivität und Versorgungsleistung bewertet.2. Aktivitäten im Wohnungsbau auf integrierte Standorte undauf Qualitätsverbesserungen konzentrierenDer demographische <strong>Wandel</strong> erzwingt Zurückhaltung beider Siedlungsflächenerweiterung und beim Wohnungsneubausowie die Konzentration baulicher Aktivitätenauf integrierte und langfristig tragfähige Standorte. Wohnungsneubauan nicht integrierten Standorten würde zueinem weiteren Ausfransen des Siedlungsbestandes undzur weiteren Schwächung der Siedlungskerne führen ±mit entsprechenden Folgekosten und Qualitätsverlustenfür die Kommune.Auf einem Nachfragemarkt und angesichts starkerinterkommunaler Konkurrenz um Einwohner können sichStädte und Gemeinden zukünftig immer weniger durchden Umfang und die Ausdehnung ihrer Wohnbauflächen,sondern nur noch durch ihre Qualität als Wohnstandortbehaupten. Dies erfordert Sicherung und Aufwertung desBestands, ein vielfältiges Wohnungsangebot, einen Mixattraktiver Wohnstandorte für unterschiedliche Nutzergruppen,die Stärkung des Zentrums bzw. des Siedlungskernsund die Stärkung einer eigenständigen Identität.3. Wohnungsbestand sichern und aufwertenAuch wenn die Dynamik auf den Wohnungsmärkten durchdie demographischen Veränderungen nachlässt, wird sichdas Siedlungsflächenwachstum so lange fortsetzen, wiedie Nachfrage nach Wohnraum und Wohnfolge-Einrichtungennicht im Bestand oder innerhalb bestehender Siedlungsflächenbefriedigt werden kann. Wenn die Art undQualität des Bestandsangebots nicht den Bedürfnissender Nachfrager genügen, weichen sie auf andere Standorteaus. Die Aufwertung der Qualität des Wohnungsangebotsund seine Anpassung an die künftigen Anforderungensind daher notwendige Voraussetzungen für einezukunftsfähige Ortsentwicklung und eine nachhaltigeSiedlungsflächenentwicklung.Bestandsicherung und -aufwertung lassen sich nichtauf Modernisierung und Umbau von Wohnungen beschränken;sie beinhalten ebenso die Umnutzung von Gebäuden,den ergänzenden Neubau und den partiellen Abriss.Darüber hinaus sind Wohnumfeldverbesserungen sowiedie Anpassung und Aufwertung der Infrastruktur Voraussetzungenfür die Attraktivitätssteigerung von Wohngebieten.In Siedlungskernen sind die Bedingungen für eineAttraktivitätssteigerung der Wohnungsbestände durchausgünstig. Insbesondere für kleine Haushalte und ältere Menschen,aber auch für junge Familien, sind zentrale undintegrierte Lagen attraktiv. Die gröûten Herausforderungenfür die Bestandsaufwertung dieser Gebiete bestehenhäufig darin, ihr wenig diversifiziertes Wohnungsangebotzu erweitern und damit potenzielle Nutzergruppen anzuziehen.Das setzt eine gröûere Vielfalt qualitätsvollerWohnformen und die Verbesserung der Wohnumfeldqualitätvoraus.In vielen Städten und Gemeinden kann der Bestandallerdings nur noch im Zusammenhang mit umfangreichenStadtumbau-Maûnahmen gesichert und aufgewertetwerden. Angesichts des Bevölkerungsrückgangs darf derRückbau und in diesem Zusammenhang Abriss von Wohngebäudennicht länger tabuisiert werden. Rückbau wirdzukünftig, wenngleich in unterschiedlichem Ausmaû undmit unterschiedlicher Dringlichkeit, in allen Städten undgröûeren Gemeinden eine zentrale Aufgabe darstellen.Die Orte, die in absehbarer Zeit vom Rückgang der Haushaltszahlenbetroffen sein werden, sollten die Erfahrungender ostdeutschen Kommunen für die Entwicklungstrategischer Stadtumbaukonzepte nutzen.4. Profilierung als Wohnstandort verlangt Orientierungauf ZielgruppenDie Profilierung als attraktiver Wohnstandort fordert eineVielfalt hochwertiger Angebote, um die spezifischen Bedürfnisseunterschiedlicher Gruppen und Haushaltstypenzu erfüllen. Für jede Kommune sind Familien und ältereMenschen besonders wichtige Zielgruppen.Die Zahl der Familien geht zurück, und der HaushaltstypFamilie verliert seine dominierende Rolle auf denWohnungsmärkten. Dennoch entscheiden letztlich Familienüber die Zukunft einer Kommune. Es bedarf besondererAnstrengungen, sie trotz zunehmender Wahlmöglichkeitenauf den Wohnungsmärkten und trotz starker inter-117


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>kommunaler Konkurrenz als Bewohner zu halten. Städteund Gemeinden müssen daher Wohngebiete familienfreundlichmachen, einen Mix verschiedener WohnungsundGebäudetypen mit einem kinderfreundlichen Wohnumfeldanbieten sowie ein hochwertiges Schulangebotbereitstellen.¾ltere Menschen sind die einzige wachsende Gruppeauf den Wohnungsmärkten. Die Kommunen müssen sichalso auf die Befriedigung ihrer Wohnbedürfnisse konzentrierenund sie darin unterstützen, dass sie möglichstlange eigenständig wohnen und am gesellschaftlichenLeben teilnehmen können. Das erfordert vor allem einvielfältiges Angebot an altengerechten Wohnungen inintegrierten, zentralen Lagen.Um die Vielfalt an Wohnbedürfnissen und angestrebtenWohnformen der unterschiedlichen Haushalts- undLebensstiltypen bedienen zu können, muss die Orientierungauf Zielgruppen erheblich verstärkt werden. Städteund Gemeinden sind gut beraten, wenn sie versuchen,ein breites und differenziertes Wohnungsangebot zusichern, und dabei auch innovative Formen des Wohnensund der Eigentumsbildung unterstützen.118


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Kleine Gemeinden im ländlichen RaumKatrin Fahrenkrug, Michael MelzerLändlicher Raum im <strong>Wandel</strong>In diesem Beitrag geht es um Handlungshinweise zurGestaltung des demographischen <strong>Wandel</strong>s für kleinereGemeinden im ländlichen Raum. Dabei stehen Gemeindenim Mittelpunkt der Betrachtung, die nicht im unmittelbarenUmland und Verflechtungsbereich eines Zentrumsliegen, auf dessen Angebote sie und ihre Bürgerinnenund Bürger täglich zurückgreifen können.Doch »den« ländlichen Raum als einheitliche Kategoriegibt es nicht. Die Rahmenbedingungen der kleinerenGemeinden in ländlich geprägten Gebieten unterscheidensich nicht weniger stark als die der gröûeren Städte. Und:»Die Unterschiede in der Wirtschafts- und Beschäftigtenstrukturund den zukünftigen Entwicklungschancen sindzwischen einzelnen ländlichen Räumen dabei vielfach stärkerausgebildet als zwischen städtisch geprägten Gebietenund ländlichen Räumen« (BBR 2005: 203).Daher muss jede Gemeinde individuell prüfen, welcheEmpfehlungen für sie Gültigkeit haben.Für alle kleineren Gemeinden und insbesondere fürdie in engeren Stadt-Umland-Bereichen gilt die Empfehlung,die im <strong>Wegweiser</strong> aufgezeigten Entwicklungsprognosenund Handlungsempfehlungen für »ihr« nächstesZentrum mit zu berücksichtigen und mit diesem eineenge Zusammenarbeit zu suchen. Die Sicherung derFunktionsfähigkeit und des Infrastrukturangebotes derzentralen Orte wird für die kleineren Gemeinden unterdem Vorzeichen der demographischen Entwicklung undder damit verbundenen Ausdünnungstendenzen immerexistenzieller. Sie verlangt von den Gemeinden vor allemeine intensive Kooperation.Kleinere Gemeinden im (peripheren) ländlichen Raumhaben in der Regel schon viel Erfahrung mit der Ausdünnungihres öffentlichen und privaten Dienstleistungsangebotes.Der Verlust von Einrichtungen wie Bank, Post,Arzt, Schule oder Einzelhandel ist hier kein neues Phänomen.Vielfältige Anpassungsstrategien wie der Ersatzlandwirtschaftlicher Arbeitsplätze durch touristische Angebote,ländliche Dienstleistungszentren oder Telehäuserzur Konzentration von Mindestangeboten werden seitJahrzehnten diskutiert und eingesetzt.Der ländliche Raum hat zudem eine historische Erfahrungmit demographischen Veränderungsprozessen undWanderungsbewegungen. »Landflucht«, die Abwanderungjüngerer Menschen in die wirtschaftlich attraktiverenStädte, begleitet die jüngere Siedlungsentwicklung. In denletzten Jahrzehnten wurden Verluste dadurch ausgeglichenoder abgebremst, dass viele Familien aus unterschiedlichenGründen (Wohnkosten, Ruhe, Freizeitqualität)ihren Wohnstandort auf dem Land suchten.Im Prinzip war bislang das allgemeine wirtschaftlicheund demographische Wachstum stark genug, um auch inden kleineren ländlichen Gemeinden genügend Substanzzu erhalten ± und dafür genügend Finanzmittel bereitzustellen.Hier entsteht durch den aktuellen demographischenProzess, verbunden mit der öffentlichen Finanznot, einEntwicklungsbruch, bei dem herkömmliche Reaktionsmusterund die Erwartung, dass für alle genügend vomgemeinsamen Kuchen bleibt, versagen müssen.Die Schrumpfungs- und Alterungsprozesse des demographischen<strong>Wandel</strong>s werden überwiegend ausschlieûen,dass Bevölkerungsverluste durch Zuwanderung in die kleinenGemeinden im ländlichen Raum ausgeglichen werden.Die öffentliche Finanznot wird ausschlieûen, dassunausgelastete Infrastrukturen aufrechterhalten werdenkönnen.Viele kleinere Gemeinden im peripheren ländlichenRaum werden deshalb ± mit sehr unterschiedlicher Dynamik± damit konfrontiert werden, dass· junge Menschen weiter und wieder zunehmend abwandern,· ihre Bevölkerung schrumpft und überaltert sowie· Auslastung und Erhalt der Infrastrukturangebote (noch)schwieriger werden.119


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>»Die bisherigen Standards öffentlicher Daseinsvorsorgewerden vor allem in dünn besiedelten ländlichen Regionenkünftig nicht aufrechtzuerhalten sein. Deshalb isteine Beschränkung öffentlicher Infrastrukturangebote aufunabdingbare Kernfunktionen angezeigt« (BMVBW/BBR2005: 22).Dieses Szenario lässt sich nicht verhindern. Es gibtaber Möglichkeiten, seine Konsequenzen so zu gestalten,dass die Zukunftsfähigkeit der Gemeinden gesichert undteilweise sogar qualitativ gestärkt wird.Das Ziel muss immer sein, die Kernfunktionen öffentlicherDaseinsvorsorge zu gewährleisten und die Auswirkungenquantitativer Einschränkungen durch besondereQualitätsanstrengungen auszugleichen oder jedenfalls abzumildern.Diese Aufgabe überfordert zunehmend die LeistungsundAnpassungsfähigkeit kleinerer Gemeinden und machtPartnerschaften unverzichtbar.Kooperation als wichtigste Stellschraubeder ZukunftsgestaltungKooperation ist ein Grunderfordernis für alle Kommunenund insbesondere für die kleineren Gemeinden im ländlichenRaum. Der demographische <strong>Wandel</strong> und die damitverbundenen Risiken einer weiteren Infrastrukturausdünnungund verschärfter ruinöser Konkurrenzen verleiht diesemErfordernis eine zusätzliche existenzielle Dimension.Einzelne ländliche Gemeinden können den Ausdünnungstrendweder bremsen noch die erforderlichen Anpassungsmaûnahmentreffen.Es geht jetzt darum, Kooperationsstrukturen zu festigenoder neu zu etablieren, die sich auf Anpassungsstrategienzur Gestaltung des demographischen <strong>Wandel</strong>skonzentrieren. Im ländlichen Raum ist dabei jeweils einZusammenwirken mehrerer benachbarter Gemeinden (undmöglichst gemeinsam und abgestimmt mit dem Kreisund dem nächstgelegenen gröûeren regionalen Zentrum)sowie ein gemeinsames Vorgehen von Politik, Verwaltungund Bürgerinnen und Bürgern notwendig.Auch dafür gibt es viele Vorbilder, z.B. Teilraumgutachtenund raumordnerische Entwicklungskonzepte inBayern, Ländliche Struktur- und Entwicklungskonzepte(LSE) in Schleswig-Holstein, das Programm »Regionenaktiv« des Bundeslandwirtschaftsministeriums oder dasLEADER+-Programm der EU. Bei all diesen Ansätzen versuchenPolitik und Bürgerschaft, Konzepte zur Stärkungder Region zu entwickeln.Allerdings entsprechen die inhaltliche Ausprägungund Zielsetzung dieser Kooperationsinitiativen und derihnen zugrunde liegenden Programme allenfalls teilweiseund eher zufällig den Anforderungen zur Gestaltung desdemographischen <strong>Wandel</strong>s. Vielmehr sind diese Konzepteüberwiegend wachstumsorientiert oder auf die grundlegendeökonomische und ökologische Stärkung sowieauf wirtschaftsstrukturelle Anpassung ländlicher Räumeausgerichtet.Gemeinden, die in vergleichbare Kooperationsstruktureneingebunden sind oder waren, sollten deshalb gemeinsammit ihren Partnern versuchen, diesen eine neueoder zusätzliche inhaltliche Ausrichtung einer gemeinsamenEntwicklung von Anpassungsstrategien an dendemographischen <strong>Wandel</strong> zu geben.Gemeinden, die bislang über keine derartigen Netzwerkeverfügen, ist dringend zu empfehlen, diese mitihren Nachbarn aufzubauen.Eine durchaus leistungsfähige Alternative zu solchenfreiwilligen Bottom-up-Kooperationen ergibt sich, wennregionale Planungsverbände oder Kreise die Rolle desSpielmachers für die notwendigen Anpassungsprozesseübernehmen (können). Dann ist sorgfältig darauf zu achten,dass und ob es gelingt, nicht nur kreisspezifische,sondern explizit gemeindespezifische Interessen und Aufgabenzu behandeln und dafür ein abgestimmtes gemeinsamesVorgehen zu initiieren.Interview mit dem Landratdes Kreises Dithmarschen,Dr. Jörn KlimantDer Kreis Dithmarschen gehört nach den aktuellenPrognosen zu den in Schleswig-Holstein amstärksten von demographischen Veränderungenbetroffenen Gebieten.Welche besonderen Anforderungen für dieGestaltung von Anpassungsstrategien resultierenhieraus für Ihren ländlich strukturierten Kreis?Bei einem so bedeutsamen Thema der Zukunftssicherungist die übergeordnete kommunale Ebene,120


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Wie schätzen Sie das Problembewusstsein derKommunalpolitik und der Bürgerinnen undBürger ein? Spüren Sie die Bereitschaft der Akteure,gemeinsam und kooperativ die notwendigenAnpassungsprozesse einzuleiten?Es gibt ganz sicher ein starkes Problembewusstsein,allerdings meist auf sehr abstraktem Niveau.Es muss uns gelingen zu vermitteln, dass demographischer<strong>Wandel</strong> alle betrifft, und wir müssendie konkreten Handlungsansätze für die Kommunenund ihre Bürgerinnen und Bürger aufzeigen.Dies gilt für die Verbesserung von Betreuungsangeboten,Kindertagesstätten und Ganztagsschulenebenso wie für neue Wohnformen oder Pflegeangeboteim ländlichen Raum. Dafür müssen wirdie notwendigen Kommunikationsstrukturen schaffen,Mitwirkungsmöglichkeiten aufzeigen undHandlungsansätze unterstützen. Wir erleben inunserem gemeinsamen Projekt mit der BertelsmannStiftung, dass dieses Angebot bei den Kommunen,vielen Institutionen und dem Ehrenamtauf sehr gute Resonanz stöût und dankbar angenommenwird.also der Kreis, in der Pflicht. Hierzu gibt es bei unserenkleinteiligen Strukturen in Dithmarschenkeine Alternative: Die notwendigen Anpassungsstrategienmüssen ± natürlich mit breit angelegtenBeteiligungsprozessen ± auf Kreisebene entwickelt,initiiert und umgesetzt werden. Dazubrauchen wir strategische Partnerschaften zumAustausch von Know-how, für fundierte Prognosenund Instrumentenentwicklung. Ich freue mich deshalbbesonders, dass uns die Bertelsmann Stiftungbei diesem Prozess als Modellregion unterstützt.Sie haben persönlich immer wieder Anpassungs- undvor allem Kooperationsprozesse im Bildungsbereichexemplarisch betont. Worum geht es Ihnen dabei?Bildung ist aus meiner Sicht eines der wichtigstenPotenziale für die Zukunftsgestaltung unseres Landesund des Standortes Dithmarschen. Wir wollenjede Anpassung als Chance nutzen, qualitativeVerbesserungen und ein höheres Bildungsniveauzu erreichen, bei dem weniger junge Menschen alsbisher durch die Maschen fallen. Das erfordertgroûe Bereitschaft zu neuen, kooperativen Lösungen.Unsere Bildungsstrukturen müssen in zehn Jahrenganz anders beschaffen sein als heute. Dafürgilt es bereits jetzt ungenutzte Ressourcen zu erschlieûen,um die gesamtgesellschaftlichen Kostenauf verträglichem Niveau zu halten. Die Nutzungdes Erfahrungswissens und des Engagements derälteren Generation kann hier z.B. helfen, neue Qualitätenaufzubauen und soziale Kompetenzen zuvermitteln.Wie lautet Ihr wichtigster Appell an die Kommunalpolitikin kleineren Gemeinden?Wir müssen endgültig weg vom Kirchturmdenken.Kooperation und die Bildung von Netzwerken sindnotwendige und richtige Antworten auf die aktuellenHerausforderungen.Die folgenden Empfehlungen orientieren sich an den Erfahrungender oben genannten Vorbilder (v.a. Teilraumgutachten,LSE, LEADER+, Regionen aktiv). Danach könnendie folgenden Strukturelemente als bewährt gelten.121


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Räumlicher ZuschnittKontinuität der KooperationKooperationsräume, die zwischen 15 000 (LSE) und biszu 75 000 Einwohnern (LEADER+) 1 umfassen, haben sichbewährt. Es empfiehlt sich, dass ein zentraler Ort, zumindestein Grundzentrum in die Kooperation eingebundenwird. Es ist hilfreich, wenn der Kreis aktiv mitwirkt(ohne dass der Kooperationsraum mit den Kreisgrenzenidentisch sein muss).AkteureEs geht um interkommunale Kooperation, nicht um einenAgendaprozess. Die Kooperation muss also von der Kommunalpolitikvereinbart und maûgeblich von Politik undVerwaltung der Partnergemeinden getragen und gestaltetwerden.Dennoch empfiehlt es sich, von Anfang an auch privateAkteure, Vertreter der lokalen Wirtschaft, des Bildungswesens,der Vereine und engagierte Bürgerinnenund Bürger an dem Arbeitsprozess zu beteiligen. DieErfahrungen von LEADER+ zeigen, dass damit ein sehrgroûes zusätzliches Leistungspotenzial erschlossen werdenkann. Letztlich bleibt die Verantwortung für dieöffentliche Daseinsvorsorge aber bei der Politik, die auchdie Kooperation bestimmen sollte.Verfahrensregeln und ZuständigkeitenWichtig ist es, dass die Kooperation klare Spielregeln hat,die auch förmlich vereinbart werden. Unabdingbar sinddabei die Prinzipien der Freiwilligkeit und der Gleichberechtigungder Partner.Beschlüsse sollten zumindest in einer Startphasenach dem Konsensprinzip gefasst werden (später könnenauch qualifizierte Mehrheiten vereinbart werden) undmüssen für alle Partner verbindlich sein.1 Bei der LEADER-Gröûenordnung sind in der Regel auch Städte mitüber 5000 bis etwa 15 000 Einwohner beteiligt.Eine Kooperation ist nur dann erfolgreich und lohnt denAufwand, wenn sie auf Dauer angelegt ist. Es darf nichtnur darum gehen, gemeinsam »Ideen« und ein Konzeptzu verabreden, sondern dieses muss auch gemeinsamumgesetzt werden.Fusionen dürfen kein Tabu seinFür Kommunalpolitik, die im Interesse der Menschenund der kommenden Generationen handelt, dürfen Fusionenvon Gemeinden kein Tabu sein.In einigen Bundesländern sind zahlreiche Gemeindenzu klein, um künftig eigenständig die angemessene Daseinsvorsorgefür ihre Bürgerinnen und Bürger zugewährleisten. Es geht hierbei nur am Rande um die Effizienzund die Kosten von Verwaltung. Dies kann durchVerwaltungskooperationen oder ¾mter für mehrere Gemeindengeregelt werden. Entscheidend ist vielmehr,dass die kommunale Planungshoheit regionale Anpassungsstrategien,die Konzentration von Angeboten unddie Entscheidung für die objektiv besten Standorte tendenziellmit individuellen Eigeninteressen konterkariert.Damit verkehrt sie ihre innerste Begründung, ihre Bürgerinnenund Bürger bestmöglich zu versorgen, insGegenteil. Ein Ausweg aus diesem Dilemma kann die (beschriebene)intensivierte Kooperation sein.Kooperationen sind aber auch gerade dann sehrschwierig zum Erfolg zu führen, wenn nicht Wachstum,sondern Schrumpfung zu verteilen ist. Effiziente Anpassungsstrategien,eine ausgewogene Verteilung von Rückbau,Erhalt, Zubau und Konzentration sind in gröûerenkommunalpolitischen Einheiten deutlich leichter zu realisieren.Modellrechnungen und erste Beispiele zeigen,dass sich dadurch die Leistungen insgesamt im Interesseder Menschen deutlich kostengünstiger, qualitätsvoll undbedarfsgerechter sichern lassen.Gegen Fusionen wird häufig das Argument vorgebracht,die Menschen wollten diese nicht. Die Erfahrungen,etwa auf Fehmarn oder Usedom, belegen, dass Kommunalpolitikersich hier auch irren können (oder wollen).Wenn die Bürgerinnen und Bürger gefragt und vorabüber die Optionen und Folgen informiert werden, entscheidensie sich durchaus für gröûere Einheiten, zumal122


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>sie ihr Leben längst die Gemeindegrenzen überschreitendgestalten.Auch ein Einbruch des bürgerschaftlichen Engagementsist nicht zwingend Konsequenz, denn dieses hängtletztlich vom sozialen Miteinander in den Dörfern undGemeinden ab und nicht von administrativen Grenzen.Dennoch: Die Wahl zwischen Kooperation und Fusionmuss jede Gemeinde selbst treffen, und zwar aktiv. Siedarf nicht warten, bis die Zwänge so groû werden, dassübergeordnete Ebenen die Entscheidung an ihrer Stelletreffen müssen.Im Gebiet Mecklenburgische Seenplatte wurden ersteSchritte in diese Richtung vollzogen.Interview mit Christoph Kaufmann,Regionaler PlanungsverbandMecklenburgische SeenplatteDie Mecklenburgische Seenplatte gehört zu denländlichen Regionen, in denen die Auswirkungendes demographischen <strong>Wandel</strong>s bereits voll spürbarsind. Welche Bereiche bereiten vor allem denkleineren Gemeinden die gröûten Sorgen?Der gesamte Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge,der sozialen und technischen Infrastruktur,steht auf dem Prüfstand. Sorgen bereiten uns insbesonderedas Bildungswesen, die Tragfähigkeitvon Einzelhandelseinrichtungen, die ambulantemedizinische Versorgung und partiell auch dieErhaltung des Abwassersystems und einzelnerGemeindestraûen. Bereits seit Jahren müssen wiruns darauf einstellen, verstärkt durch die Finanznot,eine Mindestausstattung mit Infrastruktur inunseren Gemeinden nicht mehr gewährleisten zukönnen. Deshalb rückt die Frage des Mobilitätsangebotesin das Zentrum unserer Bemühungen.Wir müssen das Angebot für derzeit 198 Gemeindenin 20 zentralen Orten konzentrieren und dafürdie Erreichbarkeit sichern.Ihr Regionaler Planungsverband umfasst drei Landkreiseund das Oberzentrum Neubrandenburg.Lassen sich auf dieser Ebene die notwendigenAnpassungsprozesse bis zur Gemeindeebenegestalten oder benötigen Sie zusätzlicheKooperationsstrukturen auf gemeindlicher Ebene?Wir haben in den vergangenen Jahren bereits diekooperativen Strukturen deutlich verbessert. Durchfreiwillige Fusionen wurde die Zahl der Gemeindenvon 249 auf 198 zurückgeführt, die über 30 Amtsundamtsfreie Verwaltungen verfügen. Zusätzlichhaben wir mehrere informelle Kooperationsbereichevor allem zur touristischen Entwicklung initiiert.Im Zusammenspiel mit den Landkreisen unddem regionalen Planungsverband ergibt dies einedurchaus belastbare Kommunikationsstruktur.Können Sie uns konkrete Beispiele fürerfolgreiche Kooperationsansätze nennen?Einen richtungweisenden Ansatz haben wir beispielsweiseim Bereich der medizinischen Versorgungin der Region Mecklenburgische Seenplatteerreicht. Durch die Alterung nicht nur unsererBevölkerung, sondern auch unserer ¾rzte steigteinerseits die Nachfrage nach medizinischen Leistungen,andererseits können immer mehr Praxenim ländlichen Raum nicht wiederbesetzt werden.Wir haben ein Leitbild entwickelt, das im Falle derAufgabe von Arztpraxen an den zentralen Ortender Region die Einrichtung so genannter »Gesundheitshäuser«für die ambulante medizinische Versorgungdes jeweiligen Nahbereiches vorschlägt.Dieses Leitbild wurde auch von Vertretern derKassenärztlichen Vereinigung und auf dem Hausärzte-KongressMecklenburg-Vorpommern als richtungweisendbegrüût.Wir sind auch stolz auf die Gründung einer»Regionalen Berufsschule« in Form eines Zweckverbandes.Über eine Schule mit mehreren Be-123


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>schulungsstandorten soll trotz stark rückläufigerNachfrage ein breites, leistungsfähiges Berufsschulangebotin der Region sichergestellt werden.Wie lautet Ihr wichtigster Appell an die Kommunalpolitikin kleineren Gemeinden?Es muss allen Verantwortlichen klar werden, dasseine angemessene Daseinsvorsorge nur übergemeindlichgewährleistet werden kann. Deshalbkann ich nur immer wieder eine Stärkung derKooperation und auch weitere Fusionen kleinererGemeinden empfehlen.Interview mit Paul Locherer,Bürgermeister der Gemeinde AmtzellIm Wissenspool »Demographie konkret« ist Amtzellals einzige kleinere Gemeinde vertreten. Wieso istIhnen als Bürgermeister einer nach wie vorwachsenden Gemeinde mit rund 3500 Einwohnerndieses Thema so wichtig?Amtzell hat bereits vor 16 Jahren erkannt, dass dieGemeinde ohne familienfreundliche Strukturen zuden Verlierern im ländlichen Raum gehören wird.Unsere Situation war gekennzeichnet durch gravierendeArbeitsplatzverluste vor allem in derLandwirtschaft, Bevölkerungsstagnation und dieGefährdung unseres Schulstandortes. Mit vereintenKräften haben wir uns darauf konzentriert,unsere weichen ± sozialen und kulturellen ±Standortfaktoren zu stärken. Dabei stand der Aufbaufamilienbegleitender Strukturen im Mittelpunkt:Mittagstische an Schulen, flexible Kita-Angebote,verlässliche Ganztagsschule. Und wirwaren erfolgreich: Auf unserem Gewerbegebiet,das wir in interkommunaler Kooperation entwickelthaben, sind neue Arbeitsplätze entstanden,wir haben einen natürlichen Geburtenüberschussund ein gelebtes Netzwerk Jung ± Alt.Worin liegt das Geheimnis Ihres Erfolges?Wir haben unsere Gemeinde gemeinsam mit denBürgerinnen und Bürgern entwickelt. Es ist unswichtig, eine Wohlfühlatmosphäre und ein Wir-Gefühlzu schaffen. Bürgerschaftliches Engagementwird in Amtzell groû geschrieben. 1999 ist derArbeitskreis »Dorfgemeinschaft« als generationenübergreifendePlattform geschaffen worden. Überdieses Netzwerk ist es gelungen, die örtlichenVereine, Organisationen und Initiativen zusammenzubringen.Heute gehören Projekte wie dieWohnanlage »Jung und Alt«, Partnerschaften »KindergartengruppeSenioren« oder »Wir helfen ±Jugendengagement für Senioren« ebenso zu unseremAlltag wie die laufende Qualifizierung von Ehrenamtlichen.Aktuell sind wir dabei, ein Gedächtniszentrumfür Demenzkranke zu realisieren.Wie wichtig ist für den Dialog der Generationendie Rolle eines Spielmachers?Es ist schon hilfreich, wenn sich der Bürgermeisterden Hut aufsetzt und sich gestaltend und moderierenddes Prozesses annimmt. Die heute geschaffenenStrukturen, die unsere Gemeinde als Lebensraumerlebbar machen, könnten wir uns ohne bürgerlichesEngagement gar nicht leisten. Es ist unsgelungen, im Zusammenspiel von Verwaltung,Politik und Ehrenamt belastbare Strukturen aufzubauen,die sich auch für eine Krisenintervention(z.B. bei aktuellen Drogenproblemen) eignen.Wie lautet Ihr wichtigster Appell an die Kommunalpolitikin kleineren Gemeinden?Kommunalpolitische Kompetenz darf nicht amHoch- oder Tiefbau gemessen werden, sonderndaran, ob es gelungen ist, soziale Strukturen undLebensqualität zu schaffen.Handlungsfelder und Strategieansätze 2Identität und bürgerschaftliches EngagementDie erfolgreiche und zukunftsorientierte Gestaltung desdemographischen <strong>Wandel</strong>s wird den Gemeinden nur im2 Eine ausführliche Fassung der Empfehlungen findet sich im Online-Portal des »<strong>Wegweiser</strong>s <strong>Demographischer</strong> <strong>Wandel</strong>« und steht unterwww.aktion2050.de/wegweiser/handlungskonz/konzepte/jsp/konzepte/jspals Download bereit.124


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Zusammenspiel mit ihren Bürgern und Akteuren vor Ortgelingen. Angesichts der begrenzten Ressourcen in denkommunalen Haushalten liegt eine groûe Option für diezukunftsfähige Gestaltung kommunaler Aufgaben darin,dass sich Bürger in diesem Bereich ehrenamtlich engagieren.Gerade im ländlichen Raum eröffnet dies die Chance,kleinteilige bedarfsgerechte Dienstleistungsangebote zuetablieren. Das Spektrum der Möglichkeiten ist groû undreicht von Kinderbetreuungsangeboten, Jugend- und Vereinsarbeitüber organisierte Nachbarschaftshilfe, Bürgerbusbis hin zur Einbindung von Erfahrungswissen.Handlungsfeld Kinder- und FamilienfreundlichkeitJunge Familien werden im Zuge des demographischen<strong>Wandel</strong>s künftig mehr umworben werden als Unternehmen.Kinder- und Familienfreundlichkeit wird damit zueinem der zentralen Standortfaktoren ± auch für die kleinerenGemeinden im ländlichen Raum. Die Handlungsmöglichkeitensind im »<strong>Wegweiser</strong> <strong>Demographischer</strong><strong>Wandel</strong>« aufgezeigt und müssen an die spezifischen Bedarfevon Gemeinde und Region angepasst werden.Zukunft für ¾ltere auf dem LandIn vielen Gemeinden im ländlichen Raum schreitet dieÜberalterung in groûen Schritten voran. Die Zunahme anälteren Menschen darf dabei nicht vorrangig als Belastungwahrgenommen werden, sondern muss vor allemals Chance für die Zukunftsgestaltung der Gemeindengesehen werden. Deshalb ist es auch in den ländlichenGemeinden wichtig, eine zukunftsorientierte Seniorenpolitikumzusetzen.Siedlungsentwicklung und InfrastrukturanpassungSiedlungsentwicklung ist die alles verklammernde Stellschraubeeiner zukunftsfähigen Entwicklung. Spätestensunter den Rahmenbedingungen der demographischenEntwicklung hat die Erwartung, dass Flächenwachstumauch Wohlstandswachstum bedeutet, ihre Berechtigungverloren. Bei einer abnehmenden oder auch nur stagnierenden(und alternden) Bevölkerung sind neue Infrastrukturennur noch in seltenen Fällen amortisierbar.Der Wettbewerb gerade auch der kleinen ländlichenGemeinden, mit günstigen Grundstücken junge Familienoder Gewerbetriebe anlocken zu wollen, muss der Vergangenheitangehören. Notwendig ist ein Paradigmenwechselvon einer wachstumsorientierten Planung hin zueiner bestandserhaltenden oder gar auf Rückbau undZentralisierung ausgerichteten Planung.Die Gemeinden sind aufgefordert, zunächst ihre Innenentwicklungspotenzialezu nutzen und sich der Aufgabezu stellen, dass Siedlungsentwicklung und die qualitätvolleSicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge letztlichnur im regionalen Kontext erfolgreich gesteuert werdenkann.AusblickAuch die kleineren Gemeinden im ländlichen Raum müssensich zeitnah und vorausschauend auf die anstehendenVeränderungen einstellen. Dies erfordert gerade imüberschaubaren gemeindlichen Umfeld von der KommunalpolitikMut und Weitblick, denn Lösungsansätzeliegen zumeist nicht in ± öffentlichkeitswirksamen ± Einzelmaûnahmenoder kurzfristig zu realisierenden Vorhaben.Gefordert sind langfristig angelegte strategischeKonzepte, um die begrenzten Ressourcen gezielt und effizienteinsetzen zu können. Es wird empfohlen, mit einertransparenten Bestandsaufnahme als Grundlage für eineklare Prioritätensetzung die Gestaltung des demographischen<strong>Wandel</strong>s einzuleiten.LiteraturBBR ± Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.):Raumordnungsbericht 2005. Bonn 2005.BMVBW/BBR ± Bundesministerium für Verkehr, Bau- undWohnungswesen/Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung(Hrsg.): Öffentliche Daseinsvorsorge und demographischer<strong>Wandel</strong>. Berlin und Bonn 2005.125


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Kommunale SeniorenpolitikBirgit Ottensmeier, Hans Jörg Rothen¾ltere Menschen sind in unseren Kommunen längst keineRandgruppe mehr. Der Anteil der über 60-Jährigen wächststetig. Schon heute stellen sie in einigen Gemeinden undStädten die gröûte Bevölkerungsgruppe, zukünftig wirddies vielerorts der Fall sein. Die kommunale Altenplanungund Seniorenpolitik steht angesichts des sozialen unddemographischen Strukturwandels vor groûen Herausforderungen.Bevölkerungsrückgang, Veränderungen der Altersstruktur,wachsende kulturelle Differenzierung, Veränderungender Familienstrukturen, Singularisierung undEntberuflichung des Alters bringen einschneidende Veränderungenmit sich.Dabei verläuft die Lebensphase Alter individuell sehrunterschiedlich. Aktive, mobile, engagierte ältere Menschen,die ihr Leben weitestgehend selbstständig undselbstbestimmt gestalten, verfügen über vielfältige Potenzialeund Ressourcen, die für das Gemeinwesen nutzbargemacht werden können. Andererseits gibt es Seniorenmit einem konkreten Bedarf an Unterstützungs-, HilfsundPflegeleistungen. ¾ltere Bürger als Zielgruppe müssenalso differenziert betrachten werden.Die kommunale Altenplanung und Seniorenpolitikmuss insgesamt nicht nur qualitativ aufgewertet und inder Breite eingesetzt werden; sie muss sich vor allem anStandards der Planungs- und Prozesssteuerung orientieren,überkommene Altersbilder diskutieren, das Zusammenspielprofessioneller Dienste und primärer Sozialnetzeneu beleben und zahlreiche kommunale Politikfelder »alterskompatibel«gestalten. Dies betrifft die Bau- und Verkehrsplanung,Bildungsangebote und Gesundheitseinrichtungen,die Aktivierung bürgerschaftlichen Engagementsund die Seniorenwirtschaft.Es kann und darf zukünftig nicht nur um ein neueskommunalpolitisches und fachplanerisches Denken undHandeln gehen, sondern auf der Agenda steht das anspruchsvolleProjekt einer integrierten Finanz-, Städtebau-,Bildungs-, Gesundheits- und Sozialpolitik. Im Mittelpunkt:das Individuum in einer lebendigen Nachbarschaft. Diekommunale Altenpolitik sollte daher zwei wesentliche Perspektivenverfolgen:· Eine primär sozialpolitische Perspektive beinhaltetdie Sicherheits- und Schutzfunktion der Kommunenbei besonderen Bedarfen, wie Krankheit, Hilfs- undPflegebedürftigkeit.· Die zweite Perspektive zielt auf die Förderung derSelbstbestimmung und den Erhalt der Selbstständigkeitälterer Menschen. Ihre Bedeutung wird bislang inder kommunalen Arbeit nur unzureichend gewürdigt.· Kommunale Altenpolitik sollte sich an die Selbstverantwortungder älter werdenden und älterenMenschen richten ± etwa unter der Fragestellung:»Was kann ich selber für ein erfolgreiches Altertun?« ± und gleichzeitig an die Mitverantwortungund Solidarität der Einzelnen für die gesellschaftlicheEntwicklung appellieren, z.B. unter demAspekt: »Was kann ich selber zum Gemeinwohlbeitragen?«· Die Kommunen können Angebote der Gesundheitsförderungund Prävention, Bildungs-, Kultur-,Freizeit- und Sportmöglichkeiten sowie generationenübergreifendeAngebote zur Verfügung stellenund andererseits Strukturen schaffen, die es ermöglichen,dass ältere Menschen ihre Kompetenzenund Ressourcen selbstbestimmt einbringen.Potenziale des AltersDurch die immer höhere Lebenserwartung und die Verringerungder Lebensarbeitszeit gewinnt die nachberuflichePhase zunehmende Bedeutung. Die »Entberuflichungdes Alters« wird sich auf Sicht verändern, aber auchkurz- und mittelfristig sind Senioren als »Sozialkapital«für das Gemeinwesen besonders interessant. Die heutigenSeniorinnen und Senioren wollen in ihrer teils drei126


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Jahrzehnte umfassenden Altersphase nicht »betreut« werden,sondern die Zeit aktiv und selbstbewusst gestalten.Ein differenziertes Altersbild orientiert sich zunehmendan den Fähigkeiten und nicht mehr so sehr an einemDefizitmodell des Alters: Nicht Fürsorge, sondern Selbstgestaltungwerden betont, soziale und kulturelle Beteiligungschancendiskutiert, politische Partizipation gewolltund gefördert, zivil-bürgerschaftliches Engagement eingefordert.Die jüngeren Alten geraten mehr und mehr unterLegitimationsdruck angesichts der Vorwürfe, auf KostenJüngerer Ressourcen zu verbrauchen. Beteiligung wirdmehr als Verteilung von Belastung begriffen denn alsChance (vgl. Klie 2002).Partizipative Ansätze in der kommunalen Altenplanungsind eher die Ausnahme als die Regel ± obwohl Partizipationsförderungzu den »neuen Aufgabenfeldern«kommunaler Seniorenpolitik gehört.In vielen kulturellen, sozialen und kirchlichen Bereichensind ältere Bürger aktiv engagiert und wären diesesauch in noch gröûerem Umfang, wenn es in den bundesdeutschenKommunen bessere Informations- und Beratungsmöglichkeitenüber Gelegenheiten oder Angebotefür bürgerschaftliches Engagement gäbe. Weiterbildungen,spezielle Schulungen, die für nachberufliche Tätigkeitenqualifizieren, eine Anerkennungskultur sowie einefrauenspezifische Ausrichtung dieser Angebote könntendas Potenzial heben und Ressourcen für die Einzelnenund die Gemeinschaft fördern.Konkrete Aufgaben für die Kommunen liegen hier beispielsweise· in der seniorenspezifischen Bereitstellung von Information,Beratung und Vermittlung. Ehrenamtsbörsenoder Seniorenbüros sowie Leitstellen »¾lter werden«sind mittlerweile in zahlreichen Landkreisen und Städteneingerichtet worden. Ob ihre professionelle Ausstattungdurch eine kommunale Finanzierung zu gewährleistenist (Beispiel Seniorenbüros), ist jedoch nichtunumstritten. Das gleiche gilt für die Akzeptanz seitensder Zielgruppe und die Frage, ob Angebot und Nachfragetatsächlich zueinander finden. Kommunen könnten mitwenig Aufwand ihre Angebote ausweiten bzw. empirischüberprüfen und anpassen (BMFSFJ 2001).· in der Koordination der Angebote und Anbieter. MitBlick auf die ehrenamtliche Tätigkeit von Seniorensind hier als eine kommunalspezifische Aufgabe insbesondereVermittlung, Bestandsaufnahme und Sichtungvon Einsatzmöglichkeiten zu nennen.· in der Initiierung neuer Beteiligungsverfahren wieZukunftswerkstätten, Bürgerforen oder Gemeinsinn-Werkstätten, durch die bürgerschaftliches Engagementangeregt werden.· in der Durchführung von aktivierenden Befragungen,der Förderung von Freiwilligengruppen oder Nachbarschaftshilfevereinen.Aber auch durch eine Qualifizierungin Sachen Spendenakquisition und Sponsoringsowie Öffentlichkeitsarbeit kann das Engagement vonSenioren vor Ort gehoben werden.· in der Schaffung sowie in der organisatorischen undfinanziellen Unterstützung örtlicher Vertretungsgremien,in denen Senioren eine beratende Funktion inden Entscheidungsprozessen der Kommune erhalten(Beispiel Seniorenbeirat).· in der Aktivierung themen- und projektbezogener Mitarbeitund durch die aktive Einbeziehung der ¾lterenin Planungsprozesse.· in der Zusammensetzung interdisziplinärer Gruppen,die das Thema vor Ort konzeptionell weiterentwickeln.Kommunen sind dazu angehalten, eigene Versorgungsleistungenzu prüfen, um Ressourcen freizusetzen fürfachliche, rechtliche und organisatorische Unterstützung,für Investitionen, Projektzuschüsse und Qualifizierungsmaûnahmen(vgl. Blaumeister, Blunck und Klie 2002).Alter und BildungDie Alter(n)sbildung und Altenbildung sind aus kommunalerund kommunalpolitischer Sicht ein wichtiges Handlungsfeld.Es ist zu erwarten, dass die Bildungsnachfrageälterer Menschen in den nächsten Jahren deutlich ansteigenwird. Dies ist auf die demographische Entwicklung(quantitative Veränderungen im Altersaufbau) sowie aufqualitative und strukturelle Veränderungen zurückzuführen:bessere gesundheitliche Verfassung, mehr Bildungsbeteiligungälterer Menschen aufgrund höherer Schulbildung,bessere materielle Absicherung etc. (Sommer, Künemundund Kohli 2004, Schröder und Gilberg 2005).Es lassen sich zahlreiche individuelle und gesellschaftlicheBegründungen und Zielsetzungen für eine kommu-127


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>nale Alter(n)s- und Altenbildung nennen. So zielt sieunter anderem auf eine Auseinandersetzung mit demeigenen Alter(n), dem Lernen des ¾lterwerdens, und mitder neuen Lebensphase Alter auf den Erwerb neuen Wissensfür die Entwicklung neuer oder den Ausbau vorhandenerKompetenzen, auf Selbstbestimmung sowie denErhalt von Autonomie, auf gesellschaftliche und politischePartizipation und Teilhabe, auf die Vorbereitung aufmögliche Krisen- und Grenzsituationen und ihre Bewältigung.Die Bildungsangebote müssen sich am individuellenLebenslauf, der jeweiligen Lebenslage und Lebensweltorientieren. Die Lehr- und Lernformen sowie das Lernmaterialsollten auf die Bedürfnisse der Altersgruppe abgestimmtsein. Die Angebote sollten zudem so gestaltet sein,dass auch bildungsbenachteiligte und lernungewohnteältere Menschen teilnehmen können. Die Beteiligung vonälteren Menschen bei der Gestaltung und Planung vonBildungsangeboten hat eine zentrale Bedeutung.Beispiele kommunaler Handlungsfelder:· Kommunale Bildungskonferenzen: Die verschiedenenAkteure (Bildungsanbieter und -einrichtungen, Trägerder Altenhilfe, Verwaltung, Kommunalpolitik, Vertreterder Nutzer etc.) bilden ein Gremium, um gemeinsameZielsetzungen zu entwickeln, die Angebote zukoordinieren, die Akteure zu vernetzen, die Angebotezu evaluieren usw.· Bildungsberatung: Eine unabhängige Stelle berät dieälteren Menschen individuell und ermittelt ihre Nachfragenach Bildungsangeboten ± ist aber auch Beratungsinstanzfür Kooperationspartner (Unternehmen,Krankenkassen usw.), um gezielte Angebote zu entwickeln:Vorbereitung auf die nachberufliche Lebensphase,Gesundheitsangebote usw.· Bildungspatenschaften: Zwischen Schulen und Einrichtungender Altenhilfe werden Patenschaften organisiert,um intergenerationelle Angebote zu entwickeln.Offene AltenarbeitDie offene Altenarbeit ist ein breites kommunales Handlungsfeld,mit sehr differenzierten und vielfältigen Angebotenunterschiedlicher Träger. Sie wird vielfach als einefreiwillige Leistung der Kommunen verstanden, die Chancenund Möglichkeiten werden häufig nicht gesehen oderaber unterschätzt. Zudem wurde der Bereich der offenenAltenarbeit ± durch die Konzentration auf das ThemaPflege ± viele Jahre vernachlässigt.Wenn eine wichtige Aufgabe darin gesehen wird, dieoffene Altenarbeit konzeptionell weiterzuentwickeln, dannist es auch notwendig, begleitend Zielsetzungen und Evaluationskriterienfür sie zu erarbeiten, damit Vorhabenund Modelle vor Ort angemessen bewertet werden können(Frerichs 1999).Beispiele kommunaler Handlungsfelder:· Orientierung und Steuerung: Ein Strategieprozesswird unter Beteiligung aller Akteure (Kommunalpolitik,Verwaltung, Träger, Nutzer, Kooperationspartneretc.) durchgeführt zur Ausrichtung, Orientierung undSteuerung der kommunalen Altenarbeit.· Konzeptentwicklung: Im Anschluss an den Strategieprozesssollten geeignete Konzepte und Evaluationskriterienerarbeitet und erprobt werden.128


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Wirtschaftskraft AlterDie Seniorenwirtschaft stellt insgesamt und somit auch fürKommunen ein neues Handlungsfeld dar. Eine zukunftsorientierteKommunalpolitik sollte sich hier vor allem dieChancen des demographischen <strong>Wandel</strong>s vor Augen führen,denn wirtschaftliche Potenziale sind eng mit diesenEntwicklungen verbunden, sobald Angebote und Produkteentwickelt und die Zielgruppen der jüngeren und älterenSenioren hierfür erschlossen werden können.So haben gerade auch die Wirtschaftsförderung, dieUnternehmen und öffentlichen Einrichtungen der Kommunengute Gründe, den Herausforderungen des demographischen<strong>Wandel</strong>s positiv entgegenzusehen: Sowohldie Kaufkraft der über 50-Jährigen ist in den letzten Jahrzehntenum ein Vielfaches gestiegen als auch das GeldundGrundvermögen der privaten Haushalte, das zumGroûteil in den Händen der über 60-Jährigen liegt.· Seniorenorientierte Produkte, spezielle Dienstleistungenund ein verstärktes Seniorenmarketing könnenauf kommunaler Ebene helfen, die Zielgruppe zu erschlieûen.Die Entwicklung entsprechender Produkteund Dienste liegen vor allem in folgenden Bereichen:Wohnen und Immobilien (Haustechnik, wohnbegleitendeDienstleistungen, barrierefreies Wohnen, Wohnresidenzenund alternative Wohnkonzepte), Wellness,Gesundheits- und Pflegeleistungen (Angebote der Gesundheitsförderungund Prävention, Rehabilitation,integrierte und koordinierte Gesundheits- und Pflegeleistungen)sowie Freizeit, Tourismus, Bildung undNeue Medien.· Durch die Förderung und Unterstützung dieser Branchenkönnen Kommunen konkret dazu beitragen,Arbeitsplätze in der Seniorenwirtschaft zu schaffen,innovative Ansätze zu erproben, die Kaufkraft der¾lteren sowie ihre Lebensqualität zu heben und darüberhinaus zur Entwicklung der Region beitragen.Wenn die Bedürfnisse älterer Menschen ernst genommenwerden, indem sich Stadt- und Infrastrukturplanung sowieseniorenorientierte Dienstleistungen auf sie einstellen,werden auch andere Gruppen wie Familien, Behinderteoder Migranten davon profitieren. Das Erfahrungswissen¾lterer zu nutzen, ihre Wirtschaftskraft zu mobilisieren,sind auch daher wichtige kommunale Handlungsfelder.Wohnen im AlterDen Herausforderungen des demographischen <strong>Wandel</strong>sim Bereich Wohnen ist vor allem zu begegnen durch einbreites Spektrum alternativer Wohnangebote und -arrangements,aus denen ältere Menschen eigenverantwortlichwählen können. Ihnen muss es ermöglicht werden, auchbei eingeschränkter körperlicher oder psychischer Gesundheitmöglichst lange zu Hause zu leben. Eine abgestufte,niedrigschwellige Infrastrukturplanung kann helfen,dass diese Angebote die Einzelnen auch erreichen;zudem kann sie dafür Sorge tragen, dass dem Wunsch, inden eigenen vier Wänden zu bleiben, entsprochen wird,auch wenn die Menschen Unterstützung benötigen. Dieserfordert ein kooperatives Handeln zwischen öffentlichenund privaten Partnern.Die Frage nach den jeweils angemessenen Wohnbedingungenist auf der Grundlage individueller Bedürfnisseund Wertentscheidungen zu beantworten. Daherwerden »normale« Wohnungen auch in Zukunft die überwiegendeWohnform ¾lterer bleiben. Das bedeutet, dasssoziale Infrastrukturen sowie das räumliche Umfeld unddie Wohnungen selbst in weit höherem Maûe als bisheraltersgerecht gestaltet sein müssen.Handlungsspielräume für Kommunen:· Der Wohnungsbestand wird strukturell umgewandeltund das Wohnumfeld verbessert. 1 Bauliche Maûnahmensollten dabei nicht isoliert vorgenommen werden,sondern sich kleinräumig mit sozialen Infrastrukturenverknüpfen.· Neue Wohnformen werden geschaffen, erprobt undunterstützt. Dies kann jedoch zukünftig auch ausvolkswirtschaftlicher Sicht nur in sehr begrenztemUmfang realisiert werden. Hier gilt es vor allem, auchbei erhöhtem Pflegebedarf oder einer Demenzerkrankungden Bedürfnissen nach Normalität, Selbstbestimmungund Integration zu entsprechen sowieWohnformen anzubieten, die vor allem dem Wunschnach Gemeinschaft und gegenseitiger Unterstützungentgegenkommen.· Einzelne Wohnquartiere werden mit Pflegewohngruppen,betreuten Wohnanlagen oder Mehrgenerationenhäusernausgestaltet. Diese tragen dazu bei, dass äl-1 In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass nur jeneKommunen planerisch handeln können, die ihre Wohnungsgesellschaftennicht veräuûern.129


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Alter und die Möglichkeiten der Anpassung vorhandenerWohnungen an die Bedürfnisse der älteren Bevölkerunggehören zu den wichtigsten kommunalen Zukunftsaufgaben.tere Menschen in ihren vertrauten Wohnsiedlungenoder Gemeinschaften auch bei hohem Unterstützungsbedarfverbleiben können und somit Selbst-, FamilienundNachbarschaftshilfe gefördert werden.· Kooperationen werden durchgeführt: mit örtlichen Vereinen,Genossenschaften oder der Wohnungswirtschaft.· Durch eine zukunftsorientierte Bau- und Infrastrukturplanungkönnen Kommunen günstige Rahmenbedingungenschaffen.· Durch Information und Beratung älterer Bürger werdendie Angebote breitenwirksam umgesetzt. Anlaufstellenfür die Vermittlung von Hilfen, Wohnberatungund die Organisation gemeinschaftsförderlicher Aktivitätensind hier zu nennen, die durch kommunaleInitiierung, Steuerung und Finanzierung in das Repertoireeiner altersgerechten Kommune gehören.· Bürgerschaftliche Identität und soziale Verwurzelungwerden gefördert. Indem Kommunen die Regulierungsdichteim Rahmen der Bauleitplanung und Satzungenminimieren, können sie zu erweiterten Handlungsspielräumenfür selbstbestimmte, neuere Wohnformenbeitragen. Bau- und nutzungsrechtliche Festlegungensollten erst getroffen werden, nachdem die Wohnkonzeptevon Nutzern und Akteuren konkretisiert werden.Kommunales Handeln sollte sich auf anregendeHilfestellung und Beratung, statt auf bürokratischeKontrolle konzentrieren.Die Koordination der Angebote und vor allem die Förderungvon Quartierskonzepten und Gemeinwesen, derAufbau eines Beratungsangebotes für Wohnformen imAlter und GesundheitDie Lebenserwartung der Menschen steigt. Immer mehrMenschen erreichen ein sehr hohes Alter: eine positiveNachricht. Gleichzeitig wächst der Anteil derer, die dasAlter weitgehend gesund erleben. Dennoch wird dieseLebensphase immer noch mit Krankheit und Leistungsabbauverbunden. Zwar wächst mit zunehmendem Lebensalterdie Wahrscheinlichkeit von Gesundheits- undFunktionseinbuûen, aber dieses Risiko ist beeinflussbar:durch eine gesunde Lebensführung (körperliche Bewegung,gesunde Ernährung, seelisch-geistige Aktivitäten,Vermeidung von Risikofaktoren wie Rauchen und Übergewicht),aber auch durch eine gesundheitsfördernde Umwelt:medizinische Versorgung und Infrastruktur, Wohnangebote,Bildungs-, Freizeit- und Bewegungsangebote,Beratungs- und Selbsthilfeangebote usw.Durch gesundheitsfördernde und präventive Angebotekönnen Gesundheitseinschränkungen, Funktionseinbuûenund Krankheiten vermieden, ihr Fortschreiten verhindertoder verzögert sowie Folgeschäden abgeschwächt odervermindert werden. Gesundheitsförderung und Präventionsind auch im hohen Alter sinnvoll und möglich. Hierdurchkann nicht nur die individuelle Lebensqualitäterhalten oder verbessert werden: auch die Kosten fürmedizinische und pflegerische Versorgung werden verringert.Gesundheit ist zugleich eine wesentliche Voraussetzungfür die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.Gesundheit ist auch aus kommunaler und kommunalpolitischerPerspektive ein wichtiges Handlungsfeld. Beispiele:· kleinräumige Koordinierung und Vernetzung der Akteure(ambulante und stationäre Versorgung sowieRehabilitation, Krankenkassen, soziale Dienste usw.)· Ausbau zielgruppenspezifischer Angebote der Gesundheitsförderungund Prävention· Förderung, Unterstützung und Beratung von Selbsthilfeangeboten· individuelle Gesundheitsberatung für ältere Menschen,Information und Beratung für Gruppen (Selbst-130


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>hilfegruppen, Altenclubs usw.) und Einrichtungen derAltenhilfe (Begegnungsstätten, stationäre Einrichtungenusw.)· Stadtplanung, bei der Aspekte der Gesundheitsförderungund ökologischen Gerontologie berücksichtigtwerdenAlter und PflegeIn den kommenden Jahren wird der Anteil ¾lterer an derGesamtbevölkerung deutlich zunehmen. Zugleich erreichendiese älteren Menschen häufiger ein sehr hohes Alter.Der Anteil der über 80-Jährigen wird von derzeit vier Prozentauf rund 12 Prozent im Jahr 2050 ansteigen.Mit zunehmendem Alter wächst das Risiko, hilfs- undpflegebedürftig zu werden. Die meisten Menschen möchtenauch, wenn sie hilfs- und pflegebedürftig sind, selbstständigund selbstbestimmt in der vertrauten häuslichenUmgebung bleiben. Hieraus ergeben sich zahlreiche Aufgabenfür die kommunale Altenpolitik und -arbeit.Die kommunale Stadt-, Wohn- und Infrastrukturplanungmuss die Perspektive von Hilfs- und Pflegebedürftigkeitin ihre Arbeit integrieren. Hierzu zählen eine individuelleWohn- und Pflegeberatung, soziale und komplementäreDienstleistungen, aber auch Maûnahmen zurbesseren Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Pflegeund zur Unterstützung privater Pflegepersonen. Um eineUnter- oder Überversorgung dieser Dienstleistungen zuvermeiden, die Abstimmung der verschiedenen Berufsgruppenund Dienste zu verbessern sowie Angebote undMaûnahmen für besondere Zielgruppen (Migranten, ältereMenschen mit lebenslanger Behinderung usw.) zu entwickeln,bedarf es einer kommunalen Koordinierung undSteuerung.Auch hier bietet sich eine umfassende Beteiligungvon älteren Menschen bei der Planung und Entwicklungder Angebote und Dienstleistungen an, um die Akzeptanzund Qualität zu unterstützen und zu sichern.Beispiele kommunaler Handlungsfelder:· Wohn- und PflegeberatungKommunale Angebote der Wohn- und Pflegeberatungsollten auch präventiv gesehen werden, denn durcheine individuelle Wohnberatung (z.B. Wohnraumanpassung)kann die stationäre Pflege verhindert oder verzögertwerden. Eine umfassende Pflegeberatung kanndie Möglichkeiten und Grenzen von ambulanter Pflege,von Hilfs- und Betreuungsangeboten vermitteln bzw.spezifische Pflegearrangements zusammenstellen.· Runde Tische / PflegekonferenzenRunde Tische oder Pflegekonferenzen haben mehrereFunktionen: eine verbesserte Abstimmung zwischenden verschiedenen Akteuren (Pflegedienste, Träger derstationären Pflege, soziale und komplementäre Dienstleister,Akteure der Gesundheits- und medizinischenVersorgung, Vertreter der Nutzer usw.), die Entwicklungvon zielgruppenspezifischen Angeboten (etwa fürältere Migranten oder ältere Menschen mit lebenslangerBehinderung) und ihre Evaluation.· Soziale und komplementäre DienstleistungenEine Vielzahl von sozialen und komplementären Dienstleistungsangebotenist für den Erhalt einer weitgehendselbstständigen und selbstbestimmten Lebensführungvon hilfs- und pflegebedürftigen älteren Menschenerforderlich. Hier sollten Kommunen gemeinsam mitgemeinnützigen und freigewerblichen Dienstleisternadäquate Angebote vorhalten.· Unterstützung privater PflegepersonenAuch in Zukunft werden die meisten Pflegebedürftigenvon (weiblichen) Verwandten und Menschen ausdem Freundeskreis versorgt werden. Für diese privatenPflegepersonen sind Unterstützungsangebote erforderlich:um sie in der Hilfe und Pflege zu schulenund um sie körperlich und psychosozial zu stützenund zu entlasten.· Maûnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Berufund PflegeEine Barriere bei der Versorgung, Betreuung und Pflegevon älteren Menschen durch private Pflegepersonenist die Vereinbarkeit von Beruf und privater Hilfs- undPflegetätigkeit. Die Kommunen sollten gemeinsam mitden ortsansässigen Unternehmen Angebote zur Beratung,Entlastung und Betreuung entwickeln.· Pflege von älteren Menschen mit lebenslanger Behinderung¾ltere Menschen mit einer lebenslangen Behinderungbenötigen spezifische Hilfs- und Pflegeangebote. Hiersind die Kommunen gefordert, gemeinsam mit denAkteuren der Behindertenarbeit Maûnahmen und Angebotezu entwickeln, die eine selbstständige Lebensweiseermöglichen und fördern.131


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>· Kultursensible PflegeFür die wachsende Zahl von älteren Migrantinnen undMigranten werden auf die Bedürfnisse abgestimmteHilfs-, Pflege- und Betreuungsangebote benötigt. Auchhier sind die Kommunen gefordert, gemeinsam mitden Migranten und Akteuren der Migrantenarbeit,kultursensible Angebote zu realisieren.LiteraturBlaumeister, Hans, Annette Blunck und Thomas Klie:Handbuch Kommunale Altenplanung. Grundlagen ±Prinzipien ± Methoden. Frankfurt am Main 2002.BMFSFJ ± Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und Jugend (Hrsg.): »Engagementförderung alsneuer Weg der kommunalen Altenpolitik«. Dokumentationder Fachtagung im September 1997. SchriftenreiheBand 160. 2. Auflage. Stuttgart 2001.Frerichs, Frerich: »Zum internationalen Jahr der Senioren(IV): Offene Altenarbeit ± Ein vernachlässigter Bereichder Altenpolitik in Deutschland«. Theorie undPraxis der sozialen Arbeit (5) 50. 1999. 169±174.Klie, Thomas (Hrsg.): Fürs Alter planen ± Beiträge zur kommunalenAltenplanung. Freiburg 2002.Schröder, Helmut, und Reiner Gilberg: Weiterbildung ¾ltererim demographischen <strong>Wandel</strong>. Empirische Bestandsaufnahmeund Prognose. Bielefeld 2005.Sommer, Carola, Harald Künemund und Martin Kohli:Zwischen Selbstorganisation und Seniorenakademie.Die Vielfalt der Altersbildung in Deutschland. Berlin2004.132


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Standortfaktor Kinder- und Familienfreundlichkeit ±eine Aufgabe für die ganze BürgergesellschaftKerstin Schmidt, Carsten Groûe StarmannLängst ist das Thema Kinder- und Familienfreundlichkeitin Kommunen vom gesellschaftspolitischen zum wirtschafts-und beschäftigungspolitischen Thema geworden.Neben Bodenpreisen und neuen Technologien ist die Infrastruktureiner Kommune für Familien und ihre Kinderein wichtiger Standortfaktor geworden, um Unternehmenund Fachkräfte anzulocken. So genannte weiche Faktorenwie Bildungsangebote, Kinderbetreuung, Freizeitgestaltungund Stadtteilintegration gewinnen mehr und mehran Bedeutung. Sie werden auch zu den Aushängeschildern,die im Marketing der Städte positiv hervorgehobenwerden.Doch welche Rolle spielen Familien heute im Selbstverständnisder Kommunen? Was muss sich ändern,damit sich Kinder und Familien in den Kommunen willkommenfühlen? Welche Bausteine gehören zu einer kinder-und familienfreundlichen kommunalen Politik?Im siebten Familienbericht werden Familien als Ortebeschrieben, die im Interesse der ganzen Gesellschaft»Humanvermögen« produzieren: »Die Familien schaffen dieBasis der Generationensolidarität und der Bereitschaft,Fürsorge für andere zu übernehmen. All dies kommtnicht nur den Familienmitgliedern zugute, sondern nutztjedermann«.In diesem Sinne spielen Familien gerade auch für dieWeiterentwicklung und Zukunft der Stadtgesellschafteine bedeutende Rolle: Städte mit vielen Kindern werdenals lebendige Orte mit Zukunft verstanden. Es stellt sichdie Frage, welchen Beitrag die Verantwortlichen leistenkönnen, damit das Leitbild einer kinder- und familienfreundlichenKommune konkret gelebt wird.Gerade auf der kommunalen Ebene kann mit kinderundfamilienfreundlichen Maûnahmen ein klarer Akzentin der Standortpolitik gesetzt werden. Unterbleibt dieseAusrichtung, dann stehen die Städte und Gemeindenbald vor groûen Problemen. So ist insbesondere in gröûerenKommunen bereits heute eine stark zunehmendeSegregation zu beobachten, wie etwa an den Wanderungsbewegungender besser verdienenden Familien von derStadt hinaus ins Umland abgelesen werden kann.Familien bestimmen kaum mehr das städtisch-urbaneKlima. Wie in vielen Groûstädten spürbar, leben in denInnenstädten überwiegend Singles, ältere und wenigermobile Menschen sowie sozial benachteiligte und wenigerbegüterte Familien. Verstärkt werden diese Entwicklungendurch die unterschiedlichen Geburtenraten: InFamilien mit Migrationshintergrund werden bisher nochmehr Kinder geboren als in deutschen Familien.Prof. Klaus Peter Strohmeier von der Ruhr-UniversitätBochum spricht in diesem Zusammenhang von einer Weltder zwei Kindheiten: Die einen wachsen wohlbehütet undgut gefördert auf, die anderen haben sehr schlechte Ausgangsbedingungenfür das ganze Leben, Bildungsangebotekommen nicht an.»Es bedarf eines ganzen Dorfes, um ein Kind zu erziehen.«Dieses afrikanische Sprichwort erscheint angesichtsder Gesamtsituation aktueller denn je. Denn um geradeauf kommunaler Ebene positive Veränderungen zu erreichen,sind alle Akteure vor Ort gefragt ± Unternehmengenauso wie Jugendämter und Eltern. Durch eine entsprechendePolitik, insbesondere auch im Bereich der Vereinbarkeitvon Familie und Beruf, können hier wichtige Akzentegesetzt werden.Prof. Dr. Hans Jürgen Schimke, Bürgermeister dernordrhein-westfälischen Gemeinde Laer (Interview aufSeite 135) und Prof. Dr. Hans Bertram von der BerlinerHumboldt Universität (Interview auf Seite 137) engagierensich dafür, Kinder und Familien stärker ins Zentrum kommunalerPolitik zu stellen. Auf der Basis ihrer Erkenntnisseund der Erfahrungen der Bertelsmann Stiftung ausder Zusammenarbeit mit zahlreichen Kommunen werdenhier zehn Empfehlungen für eine kinder- und familienfreundlichePolitik entwickelt.133


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>1. Ein Kinder- und familienfreundlichesKlima herstellenAn erster Stelle steht die Frage, ob die Entscheider inPolitik und Verwaltung, die Wirtschaft (z.B. IndustrieundHandelskammern) und viele andere Akteure, sichernsthaft und gemeinsam um das Thema kümmernwollen. Dabei geht es nicht nur darum, günstiges Baulandauszuweisen, sondern ob die gesamte Stadtgesellschaftsich für Kinder und Familien einsetzen will.2. Aktivitäten bündelnAngesichts der Vielfalt, aber auch der Streuung derAngebote für Kinder und Familien kommt es darauf an,die vorhandene Palette transparent zu machen, sodassbeispielsweise einer Familie mit Beratungsbedarf schnellgeholfen werden kann. Zu empfehlen ist hier z.B. einStadtplan speziell für Kinder und Familien.3. Betreuungsangebote verbessernDies ist ein Kernpunkt kommunaler Kinder- und Familienpolitik.Die Schaffung flexibler Betreuungszeiten undneuer Angebote, die sich stringent am Bedarf in denKommunen orientieren, haben hier oberste Priorität.Angesichts knapper Kassen sollten die Träger eng mitden Eltern zusammenarbeiten ± und damit alte Gewohnheitenkonsequent überwinden.4. Bildungs- und Betreuungsangebote vernetzenIn der Praxis kommt es darauf an, dass Einrichtungender Kinderbetreuung sehr frühzeitig mit Grundschulenkooperieren und umgekehrt. Darin liegt die Chance,dass beispielsweise in Kindergärten vorschulische Bildungsaktivitätenverstärkt angeboten und somit dieKinder besser auf den Schulalltag vorbereitet werden.Dies ist eine Aufgabe, die stark durch landes- und bundespolitischeMaûnahmen flankiert werden muss.5. Transparenz herstellen durchFamilienberichterstattungDie Situation von Kindern und Familien vor Ort mussdurch eine regelmäûige Berichterstattung verdeutlichtwerden. Hier zählen quantitative Informationen über dieAnzahl der Schulabbrecher oder die Betreuungsquote fürdie unter Dreijährigen genauso wie die Zufriedenheit derEltern mit der Ganztagsbetreuung an Grundschulen.6. Sozial benachteiligte Kinder und Familien fördernZunehmend viele Kinder wachsen in sozial schwierigenVerhältnissen auf. Diese Kinder und ihre Familien müssengezielt gefördert werden. Dies ist als Schwerpunktkommunaler Politik zu sehen. Gute Betreuungs- undBildungsangebote sind verstärkt in benachteiligtenWohngebieten anzubieten.7. Kinder und Jugendliche beteiligenKinder und Jugendliche sollten an politischen undstadtplanerischen Entwicklungs- und Entscheidungsprozessenbeteiligt werden. Gemeint ist eine Beteiligung,die die Sichtweisen der jungen Menschen ernstnimmt und die Ergebnisse der Beteiligungsprozesse indie Entscheidungen einflieûen lässt.8. Neue lokale Ansiedlungspolitik:Wohn- und Lebensräume für Familien schaffenAngesichts der starken Suburbanisierungsprozesse derletzten Jahrzehnte kommt es nun darauf an, dass Kommunenstärker als bisher versuchen, Familien anzusiedeln.Familienfreundlichkeit ist heutzutage ein entscheidenderStandortfaktor, der auch Gewerbebetriebeanzieht. Unternehmen siedeln sich heute vermehrt dortan, wo es eine gute soziale Infrastruktur gibt undebenso qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.9. Standortpolitik: Wirtschaft einbeziehen und inAngebote für Kinder und Familien investierenEin Schlüsselfaktor besteht darin, Unternehmen verstärktin die Schaffung von Angeboten für mehr KinderundFamilienfreundlichkeit einzubinden. Belegplätze fürUnternehmen in Kindergärten gehören genauso dazuwie Investitionen der Wirtschaft in Bildungsangebote.10. Familienfreundliche Stadtqualitäten alsStandortfaktor herausstellen»Tue Gutes und sprich darüber!« Damit Familienfreundlichkeitwirklich ein wahrnehmbarer Standortfaktor,aber auch ein in der Wahrnehmung prioritäres Zielder Kommune wird, muss sie als solche auch in derÖffentlichkeit kontinuierlich kommuniziert und vermarktetwerden.134


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>»Es bedarf eines ganzen Dorfes, um ein Kind zu erziehen«Interview mit Prof. Dr. Hans Jürgen SchimkeDie Gemeinde Laer hatte im Jahr 2002 die höchstenGeburtenraten in Nordrhein-Westfalen und ist durch ihrebesonders guten Betreuungsangebote bundesweit undinternational bekannt geworden. Kinder- und Familienfreundlichkeitwird hier gelebt. Dafür setzt sich Prof. Dr.Hans Jürgen Schimke, seit 1999 Bürgermeister von Laer,kontinuierlich in Fachbeiträgen, Vorträgen und ganz praktischin seiner Gemeinde ein. Er ist zudem Mitglied desKinderschutzbundes des Landes Nordrhein-Westfalen.Kinder- und Familienfreundlichkeit ist für Kommunenin Zeiten niedriger Geburtenraten besonders wichtig.Was macht diese aus Ihrer Sicht aus?Zunächst ist festzuhalten, dass Kinder- und Familienfreundlichkeitzwei unterschiedliche Dinge sind: DieGesellschaft stellt sich aus Sicht der Kinder anders darals aus Sicht der Familien und Erwachsenen. Kommunenmüssen sich diesen Unterschied vergegenwärtigen unddann klären, wie sie sich zum einen um Kinder und zumanderen um Eltern und Erziehung kümmern wollen. Kinderfreundlichkeitbedeutet dann, sich ganz bewusst umdie Stärkung kinderfreundlicher Umwelten zu kümmern.Familienfreundlichkeit heiût, konkret auf die Bedürfnisseund Probleme der Eltern einzugehen. So können KinderundFamilienfreundlichkeit durchaus auch im Widerspruchzueinander stehen.Auf dem Weg zu einer kinder- und familienfreundlichenKommune ist es wichtig, dass die kommunalenAkteure zunächst ganz klar ihre Ziele bestimmen. Einediffuse Freundlichkeit nach dem Motto »Wir sind nett zuallen« hilft nicht weiter. Das Wichtigste überhaupt ist,dass Kinder- und Familienpolitik als eine ernst gemeinteInteressenpolitik gesehen wird. Denn wenn Kommunensich wirklich um ihre Kinder und Familien kümmern wollen,müssen sie sich auch spürbar für diese Zielgruppeeinsetzen. Kinder- und Familienfreundlichkeit darf nichtnur kommunales Marketing sein.Was empfehlen Sie den Kommunen,die sich auf den Weg machen, Kinder und Familienstärker in den Blick zu nehmen?Ein Schlüsselbegriff liegt vor allem in einer wirklichernst gemeinten Beteiligung. Konkret heiût das für mich,eine direkte Beteiligung von Kindern, Jugendlichen undFamilien an Entscheidungsprozessen zu etablieren. InLaer beteiligen wir zum Beispiel Kinder und Jugendlichean der Dorfentwicklungsplanung, wir führen Kinder- undJugendkonferenzen durch, und wir haben die Anliegenvon Kindern und Jugendlichen als festen Tagesordnungspunktin jeder Sitzung des Jugendausschusses. Es gehtdarum, ihre Partizipation stabil und verlässlich zu organisieren.Das geht natürlich nicht immer problemlos: Es werdenviele Diskussion geführt, und auch Planungsprozesseverlängern sich. Das nehmen wir aber ganz bewussst inKauf, denn wir erreichen damit, dass in unserer Gemeindeein intensiver Dialog mit Kindern und Jugendlichengeführt wird. Wir nehmen sie ernst, wir kennenihre Anliegen und wir richten unser Tun daran aus.Ein klares Ziel zu formulieren ist ein zweiter zentralerPunkt. Ein klares Ziel ist zum Beispiel, das Betreuungsangebotfür die unter Dreijährigen zu verbessern. Wenndies verfolgt werden soll, dann kommt es darauf an, eingutes Angebot für diese Zielgruppe zu realisieren.Die Praxis steht dem oft diametral entgegen.Jugendämter meinen, schon alles versucht zu haben,um besonders gute Angebote für die Vereinbarungvon Familie und Beruf zu realisieren. Viele Einrichtungenwollen andere Öffnungszeiten nur bei bessererBezahlung anbieten. Wie schafft es eine Kommune,hier neue Wege zu gehen?Zunächst möchte ich betonen, dass wir hier aus meinerSicht kein finanzielles Problem haben. Vielmehr fehlt unsganz häufig ein zielorientiertes Denken. So denken wirz.B. oft in den Strukturen der einzelnen Träger und sindzu stark in Bürokratien verhaftet. Hinzu kommt, dass dieZusammenarbeit der Träger untereinander und mit denJugendämtern häufig von Misstrauen geprägt ist, weil sieKonkurrenten um dieselben Ressourcen sind.Hier kommt es darauf an, die Strukturen aufzubrechenund flexible Lösungen in dem vorhandenen finanziellenRahmen zu finden. Konkret heiût das beispielsweise,innerhalb der Kindergärten für eine optimierteBetreuung zu einer neuen Aufgabenverteilung unter denErzieherinnen und Erziehern zu kommen: Einige kümmernsich um die Integrationsarbeit, andere um die Nachmittagsbetreuung,wiederum andere um die vorschulischeBildung. Das alles ist erst mal ohne zusätzliche finanzielleMittel möglich. Begleitet werden müssen diese Prozessedann von Fortbildungsangeboten für das pädagogischePersonal.135


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Meine Empfehlung ist, zunächst mit dem vorhandenenGeld und den Betreuungsplätzen ein tragfähiges undglaubwürdiges Angebot zu entwickeln, das sukzessive ausgebautwird, und einfach anzufangen. Beginnen könnteman mit der Gruppe der unter Dreijährigen.Zu Frankreich und Skandinavien, wo ein geschlossenesBetreuungsangebot für alle Altersklassen Standardist, gibt es nach wie vor groûe konzeptionelle Unterschiede.Solange wir aber hier in Deutschland die verkrustetenStrukturen nicht aufbrechen, werden wir vonvergleichbaren Angeboten noch weit entfernt sein. Trotzdemschieben es viele deutsche Jugendämter so lange wiemöglich hinaus, sich beispielsweise um die Betreuungder unter Dreijährigen zu kümmern. Aber sie lassen sichdabei quasi »auf der Flucht erwischen«, denn dass dasThema kommen wird, ist unausweichlich.Darüber hinaus erlebe ich in der Praxis, dass Eltern,vielfach die Mütter, ihren Betreuungsbedarf nicht odernicht vehement genug artikulieren. Häufig wird die Betreuungder Kinder durch eine Einrichtung hinausgeschoben.Das Bild von der »Rabenmutter« sitzt in Deutschlandnoch immer in vielen Köpfen.Mit den lokalen Bündnissen wird zurzeit vielerorts versucht,neue Angebote für Kinder und Familien zu schaffen.Was sind aus Ihrer Sicht Erfolgsfaktoren für ein lokalesBündnis?Es ist wichtig, dass mit der Initiierung eines lokalen Bündnisseskeine Doppelstrukturen zu den schon vorhandenengeschaffen werden. Vielmehr kommt es darauf an,möglichst schnell konkret zu werden. So können die lokalenBündnisse etwa neue Qualitätsstandards mit den Trägernaushandeln. Und wenn sich das nicht realisierenlässt, ist es möglich, neue Träger zu gründen ± das siehtdas KJHG auch vor. Hier können dann Vertreter der Wirtschaft,Privatleute und auch Trägervertreter innovativ inneuen Konstellationen zusammenarbeiten. Auf keinenFall darf es zu einer Überforderung der Ehrenamtlichenkommen.Wie muss sich aus Ihrer Sicht der Staat in Sachen KinderundFamilienfreundlichkeit positionieren?Wo sehen Sie wünschenswerte Entwicklungen?Die Aktivitäten auf der kommunalen Ebene müssen vonder Bundes- und Landespolitik unterstützt werden. Somüssen die Verantwortlichkeiten für Bildung und Erziehungeinheitlich auf der Bundesebene angesiedelt sein.Der Bund muss Bildungsstandards festlegen, die dannauf kommunaler Ebene ± gerne auch kreativ und innovativ± umgesetzt werden. Aber an diesen Mindeststandardskönnen und müssen sich die Kommunen dann orientieren.In diesem Sinne muss Kinder- und Familienfreundlichkeiteine gesamtstaatliche Aufgabe sein.Das Interview führtenKerstin Schmidt und Carsten Groûe Starmann am21. Oktober 2005 in der Gemeinde Laer.136


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>»Familien als Investoren erkennen«Interview mit Prof. Dr. Hans BertramFamilien müssen in den Kommunen viel stärker als privateInvestoren erkannt und auch so behandelt werden,fordert Prof. Dr. Hans Bertram, Professor für Mikrosoziologiean der Humboldt Universität zu Berlin und Koordinatordes Siebten Familienberichts.Dazu bedürfe es groûer Anstrengungen. Notwendigseien familienfreundliche Siedlungskonzepte für die Innenstädte,kommunale Anreize für eine stärkere soziale Durchmischung,ein anderes Verständnis von Bildung und Sozialarbeitund neue Arbeitszeit- und Kinderbetreuungsmodelleim Zusammenwirken von Kommunen, Unternehmen undEltern.Herr Bertram, welchen Stellenwert hat das ThemaFamilienfreundlichkeit zurzeit in der Kommunalpolitik?In den relativ wirtschaftsstarken Kommunen und Landkreisen,wo es normal ist, dass beide Eltern arbeiten,wird in die Vereinbarkeit von Familie und Beruf investiert.Dort gibt es das Geld für eine angemessene Ausstattungan Bildung, Betreuung und Beratung.Wenn Sie aber Städte wie Essen anschauen, dann gibtes dort Bevölkerungsverluste, weil die jungen, leistungsstarkenFamilien wegziehen. Die Nachwandernden oderZurückbleibenden sind in der Regel so genannte leistungsschwacheFamilien, häufig mit nicht deutschem Hintergrund.Daraus ergibt sich eine doppelte Polarisierung:zwischen den städtischen Leistungsträgern auf der einenSeite und den Leistungsschwachen auf der anderen Seite;die einen sind Singles bzw. kinderlos, die anderen lebenin der Familie und haben häufig keine Arbeit.Das hat ja nicht nur Folgen für das soziale Gefüge, sondernauch für die Wirtschafts- und Finanzkraft einer Kommune.Ja, als neue Bedrohung für die Städte zeichnet sich sogarab, dass die Unternehmen den leistungsstarken Familiennachwandern. In Oberitalien ist auf diese Weise zwischenVerona und Venedig eine ganz neue Stadt von etwa 2 Mio.Einwohnern entstanden, die noch auf keiner Karte verzeichnetist. Die Menschen pendeln nicht mehr, sondernwohnen und arbeiten am selben Ort, die Infrastruktur hatsich entwickelt. Also noch ein Grund mehr, attraktive Siedlungsformeninnerhalb unserer Kernstädte zu verwirklichen.Es gibt in jeder Stadt Industriebrachen und Altflächenvon Bahn oder Bundeswehr, die sich dafür anbieten.Eine der ganz groûen Herausforderungen für die Städteist, Familien nicht abwandern zu lassen, sondern als Investorenund Leistungspotenzial zu halten. Berlin verliertpro Jahr etwa 50 Millionen Euro an Einkommenssteuerdurch die Stadtflucht. Im Gegenzug eine Firma zu finden,die 50 Millionen Gewerbesteuer zahlt, ist nicht so einfach.Erst dann, wenn wir uns vorstellen können, dassam Brandenburger Tor Einfamilienhäuser gebaut werdenkönnen, haben Sie eine familienfreundliche Stadt.Wie beurteilen Sie den Trend zur Reurbanisierung,wie man ihn etwa in Leipzig beobachten kann?Die Statistik sagt beispielsweise: 5000 wandern ab, 3000wandern zu, also ist das ein Verlust von 2000. Interessanterist natürlich: Wer sind diese Personen? Die sozialeVerteilung dieser Bewegungen habe ich ja eben beschrieben.Und wenn etwa in Dresden oder Leipzig eine verstärkteGeburtenrate zu beobachten ist, und nach einemBevölkerungsverlust von über 200 000 Personen kommennun einige zurück, sagt das noch nichts über einendauerhaften Trend. Wegen einiger Industrieansiedlungenziehen junge Leute in die Stadt, aber wenn sie selbstEltern werden, ziehen sie doch häufig wieder ins Umland!Die mittleren Städte von 60 000 bis 90 000 Einwohnerntun es den Groûstädten gleich und weisen nun auchim groûen Stil Baugebiete auf der grünen Wiese aus,um ± so das Argument ± eine kinder- und familienfreundlicheStadt zu werden. Was muss denn stadtplanerischkonkret passieren, damit Familien wiederin der Stadt wohnen wollen? Heute werden Städte jaauch als familienfeindlich empfunden, gerade wennman einen bestimmten Anspruch an das Wohnumfeld hat.Welche Bedürfnisse haben Familien, die an den Stadtrandziehen? Sie bewegen sich dorthin, wo im Nachbarhausauch Kinder wohnen, wo man Kontakte knüpfen und sichdie Betreuung teilen kann und wo die Kinder unbeaufsichtigtdrauûen spielen können. Deshalb müssen diese Siedlungenaber weder am Stadtrand liegen noch so aussehenwie die Eigenheimsiedlungen der 50er und 60er Jahre.Dass es heute so ist, hat drei Gründe: Erstens die rigoroseTrennung von Wohnen und Arbeiten. Diese Vorstellungvon einer modernen Stadt, die sich in der erstenHälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt hat und nach demZweiten Weltkrieg durch die Kriegsfolgen dann auch realisiertwurde, ist noch in den Köpfen verankert. Alle denken,dass ein Stadtzentrum ein reines Geschäftszentrumist, wo man nicht wohnt, und dass ein Industriegebiet137


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Krach macht und man dort auch nicht wohnt. Das warvielleicht früher so. Heute hört und riecht man nichtsmehr, selbst wenn es sich nicht um Dienstleistungen,sondern um Produktion handelt.Zweitens geht es um die Siedlungsformen. Viele Städtegehen irrtümlich immer davon aus, dass sie hohe Geschossflächenbrauchen, weil sie wenig Platz haben. Eltern wollenaber ihr spielendes Kind in Ruf- oder Sichtweitehaben. Ein Karlsruher Städteplaner hat einmal vorgerechnet,dass der Flächenverbrauch für eine geschickte Reihenhausbebauungnicht gröûer ist als für fünfgeschossigeHochhäuser mit den entsprechenden Abstandsflächen.Drittens geht es um die Art, wie Arbeit und Arbeitszeitenorganisiert sind. Viele Unternehmen sind nochsehr konservativ und glauben, dass die Beschäftigtenimmer den ganzen Tag anwesend sein müssen. In anderenLändern, z.B. in den Niederlanden, ist der Anteil derjenigen,die zu Hause arbeiten, sehr viel höher. Es gibtdoch heute in vielen Arbeitsbereichen die Möglichkeit,sich zweimal in der Woche zu treffen, um abzusprechen,was zu machen ist, und dann geht man nach Hause undarbeitet und kommuniziert über den Computer.Es ist, glaube ich, kein Naturgesetz, dass Familien mitKindern immer am Stadtrand im Grünen wohnen wollen,wenn man ihnen innerhalb der Stadt eine Alternative bietet.Und diese Möglichkeiten gibt es. Zum Beispiel in Berlin:Die Stadt ist so locker bebaut, überhaupt nicht hochverdichtet, es ist überhaupt gar keine Frage, dass man inBerlin solche gemischten Wohngebiete schaffen kann mitkindzentrierten Gemeinschaftsmöglichkeiten und beispielsweisegemeinsamen Gärten. Nur eine gemischte Stadt,die alle Funktionen und Bedürfnisse berücksichtigt, auchdie von Eltern und Kindern, kann auf Dauer die Familienin der Stadt halten. Nur sind die überhaupt nicht in denLebensvorstellungen der Stadtplaner, die genau zu derersten Gruppe gehören.Ich würde gern noch einmal auf das soziale Gefügeim Zusammenhang mit der Stadtflucht und den darauffolgenden Verarmungstendenzen in den Städten zusprechen kommen. An welcher Stelle müssen dieKommunen ansetzen?In vielen Städten hat man immer noch nicht begriffen,was es für das soziale Gefüge heiût, wenn sie diese Schichten,die natürlich nicht nur das ökonomische Rückgrateiner Gesellschaft darstellen, sondern auch das Rückgratdes Sozialkapitals von Kommunen, einfach abwandernlassen. Denn die Gruppen, die wegziehen, sind ja geradediejenigen, die bereit wären, sich in ihrem Stadtteil, imKindergarten zu engagieren ± das weiû man aus allenUntersuchungen. Es ist mühselig, dieses Potenzial durchProfessionelle zu ersetzen, also durch Quartiersmanagementund ¾hnliches.Und dieser Prozess verstärkt sich noch: Immer mehrEltern verlassen diese Quartiere, weil ihre Kinder auf eineSchule gehen sollen, wo Deutsch gesprochen wird. Selbstin Kommunen, wo Stadtteile groûe Probleme haben, wirdkaum reagiert.Was in Frankreich passiert ist, sollte den Entscheidernin den Kommunen doch eigentlich zu denken geben.Francois Dubet und Didier Lapeyronnie haben 1994 dasBuch »Im Aus der Vorstädte« geschrieben. Darin wirdbeschrieben, was da im Augenblick geschieht. Das liestsich wie ein Regiebuch für das, was wir in Frankreicherlebt haben. Aber das Buch hat keine Konsequenzengehabt, nichts ist passiert. Von daher glaube ich nicht,dass soziologische Prognosen in der Politik viel bewirken.Aber da tickt doch eine Zeitbombe! Unsere Erfahrung ist,dass wir beim Thema demographischer <strong>Wandel</strong>auf offene Ohren stoûen, aber sobald es um die sozialeSituation vor Ort geht und um die finanzielle Ebene,auf der entsprechende Prioritäten gesetzt werden müssten,kommen wir oftmals nicht weiter.Das ist die deutsche Logik: Sie eröffnen eine Institution,dann kommen die Kinder dahin und als Ergebnis habeich die Integration. Aber so funktioniert es nicht. Auchdie Sprache allein ist kein Integrationsinstrument. DieLeute, die in Frankreich Rabatz gemacht haben, sprechengut französisch. Integration funktioniert nur über die El-138


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>tern. Es gibt national, zum Beispiel in Solingen oder inBelm im Landkreis Osnabrück, und international eineVielzahl von Projekten, die zeigen, wo man ansetzen kann.In Baden-Württemberg gibt es Modellprojekte, die Jugendlichenohne Schulabschluss die Möglichkeit geben,einen Auto- oder einen Staplerführerschein zu machen,oder es wird gleich eine ganze Lehre so in Einzelteile zerlegt,dass die Jugendlichen sich von einem kleinen Erfolgzum nächsten hangeln können und nicht von einem Scheiternzum nächsten. Die Frage ist doch, wie ich Angeboteschaffen kann, die diesen jungen Leuten das Gefühlgeben, dass die Gesellschaft sie braucht und dass sie sichbei bestimmten Dingen bewähren können. Bildung hat inunserem System den Nachteil: Wenn ich bestimmte Standardsnicht erfüllt habe, komme ich nie mehr weiter.Solche unbürokratischen Bildungsangebote sind sicherhilfreich. Sie haben dem Familienministerium ja auchein Konzept vorgeschlagen, das sich auf neue Weise anbenachteiligte Familien wendet.Dabei geht es um relativ simple Dinge, die aber eine andereLogik verfolgen als die deutsche Institutionenlogik.Wir haben dem Familienministerium vorgeschlagen, stadtteilnahorganisierte Elternzentren einzurichten, die eineMischung aus professioneller und freiwilliger Arbeit mitdem Ziel verfolgen, ausgeschlossene oder benachteiligteFamilien so niedrigschwellig wie möglich anzusprechen ±und sei es nur zum Nachmittagskaffee ±, um ihnen zunächsteinmal ein Dazugehörigkeitsgefühl zu geben. DieserWeg über die Familien ist ganz wichtig, auch für dieKinder.Wie erreichen wir eine bessere soziale Mischungin den Kommunen?Beispiel Chicago: Der amerikanische Kongress hat dort5000 Familien aus benachteiligten Bezirken einen Gutscheingegeben, damit sie umziehen können. Die Hälfteder Familien ist in Wohnbezirke gezogen, wo die sozialeKontrolle besser funktionierte und die Kinder wenigerauffällig wurden. Chicago hat daraus die Konsequenz gezogen,die Wohnquartiere mit den klassischen Geschosswohnungsbautenabzureiûen und ± gewissermaûen alsMaûnahme der Kriminalprävention ± neue Wohnungenzu bauen, ohne diesen Anstrich vernachlässigter Quartiereund mit der Chance, sich wie Mittelschichtquartierezu organisieren.Aber statt diese teils leer stehenden Quartiere abzureiûen,werden bei uns dort heute bevorzugt Aussiedleruntergebracht, wie etwa in Berlin-Marzahn. So entstehenneue Gettos. Man müsste ± das gilt auch für die mittlerenKommunen ± Anreize für die Menschen in den Problemquartierenschaffen, woandershin zu ziehen. Der Mietzuschuss,den die Kommunen aufwenden, ist ja nicht geradegering. Da lohnt es sich doch einmal nachzudenken, ob dasGeld richtig angelegt ist. Es gibt positive Beispiele fürSanierungen und Neubauten, die sozial funktionieren. Aberda muss eine Stadt auch bereit sein zu investieren.Es gibt viele Erkenntnisse und gute Beispiele,wie Kommunen kinder- und familienfreundlicher werdenkönnen, aber die kommen in der Praxis einfach nicht an.Die Kommunen haben ja eine groûe Verantwortung,gerade für die Kinder aus sozial schwachen Familien,da kann man doch nicht noch mehr Zeit verlieren.Was muss sich in der Stadtpolitik ändern, um endlichzu Ergebnissen zu kommen?Im Grunde genommen müsste es in den benachteiligtenGebieten doppelt so viele Angebote an Kindergärten, Krippenund Schulen geben wie in Mittelschichtstadtteilen.Und zwar nicht nur zur besseren Förderung der Kinderdort, sondern auch, weil es diese Stadtteile für andereSchichten attraktiver machen würde. Wenn Sie beispielsweiseeinen wirklich guten und flexiblen Betreuungsplatzsuchen oder eine wirklich gute Ganztagsschule, und diefinden Sie nicht in Dahlem, sondern nur in Neukölln,dann bin ich mir nicht sicher, wie Ihre Wohnentscheidungausfällt.Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit einlokales Bündnis für Familienfreundlichkeit funktioniert?Ein lokales Bündnis für Familienfreundlichkeit brauchtMitspieler, die ganz handfeste gemeinsame Interessenhaben. Wenn Sie beispielsweise ein Unternehmen haben,das viele junge Mitarbeiterinnen beschäftigt, ist das natürlichleichter für ein lokales Bündnis zu gewinnen alswenn Sie ein Unternehmen haben, in dem nur Männerarbeiten.Auûerdem brauchen Sie Eltern, die sich engagieren.Und Sie brauchen drittens eine Kommune, die bereit ist,in diesem Bereich zu investieren.In den meisten Kommunen gibt es Arbeitgeber, dieman für familienfreundliche Ziele einbinden kann, bei-139


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>spielsweise Krankenhäuser, wo ja viele junge Frauenarbeiten ± die aber aufgrund der Arbeitzeiten kündigen,sobald sie Kinder bekommen. Da muss man anknüpfen,die muss man mit ins Boot holen. Dann haben Sie auchjemanden, der aus Bordmitteln eine Versammlung organisierenoder einen Rundbrief verfassen kann.Eine gute Schiene sind die Handels- und Handwerkskammern,die sich beispielsweise in Brandenburg für dielokalen Bündnisse stark machen, unter anderem mit demKonzept, dass sich mehrere Betriebe zusammenschlieûen,um Teilzeitregelungen für junge Eltern aufzufangen.Ein gutes Beispiel ist auch Bremerhaven mit seinemAlfred-Wegener-Institut für Polarforschung. Um den Standortauch für hoch qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Auslandattraktiv zu machen, haben die Bremerhavener einephantastische Angebotsstruktur geschaffen, wie man dieunterschiedlichen Lebensmöglichkeiten kombinieren kann:von der Kinderbetreuung bis zu Arbeitsplatzangeboten fürdie Ehepartner.Und wenn die Unternehmen sich beteiligen, könnenSie auch gegenüber der Kommune anders auftreten. DieEltern allein, das muss man realistisch sehen, habenkeine wirkliche Macht.Das Interview führtenKerstin Schmidt und Beate Ramm am11. November 2005.Wichtige Links:www.lokalebuendnissefuerfamilien.dewww.mitwirkung.dewww.mittelstand-und-familie.dewww.familienberichterstattung.de140


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Balance von Familie und ArbeitsweltRocco Thiede, Anne Schamoni, Ulla KeienburgMittelstand und FamilieWenn es um den Jahresurlaub ihrer Arbeitskräfte geht,stehen mittelständische Unternehmen oft vor groûen Problemen.Denn Mütter und Väter schulpflichtiger Kinderkämpfen mit dem Umfang der Schulferien: Kein Jahresurlaubreicht aus, um eine Siebenjährige während derSommer- und Herbstferien zu betreuen. Und nicht alle Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter, die schulpflichtige Kinderhaben, können gleichzeitig Urlaub nehmen.Das Internetportal www.mittelstand-und-familie.debietet für diese Fälle Tipps und Lösungen.Die Bertelsmann Stiftung hat das Mittelstandsportalgemeinsam mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und Jugend (BMFSFJ) entwickelt.Lösungsorientiert und kostenlosFamilie bringt Gewinn!Unsere Zukunft sieht vor dem Hintergrund einer auf demKopf stehenden Alterspyramide düster aus. Wir brauchendringend eine Trendwende. Die dramatische demographischeEntwicklung in Europa und besonders in Deutschlandführte 2003 dazu, dass die ehemalige BundesfamilienministerinRenate Schmidt und Liz Mohn die Allianz fürFamilie gründeten.Aus dieser parteiübergreifenden Initiative ging dasVorstandsprojekt der Bertelsmann Stiftung »Balance vonFamilie und Arbeitswelt« hervor ± eine Kooperation mitdem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen undJugend (BMFSFJ). Von Beginn an gab es vor allem zweiZiele: gute Beispiele für die Vereinbarkeit von Familie undBerufsleben bekannt zu machen sowie verantwortliche Akteureaus Wirtschaft und Politik zu vernetzen.Das Balance-Projekt konzentriert sich bei der Erreichungdieser Ziele auf handlungsorientierte Lösungen. Eswill für die nötige Balance von Familie und Arbeitsweltsensibilisieren und die Vorteile von familienfreundlichenKonzepten zeigen. Schwerpunktmäûig konzentriert sichdie Arbeit des Balance-Teams auf drei Module:· Frauen mit Kindern in Führungspositionen· Initiierung eines lokalen Bündnisses für Familie imKreis Gütersloh· Portal »Mittelstand und Familie«Im Juni 2005 schaltete Liz Mohn, stellvertretende Vorsitzendedes Vorstandes der Bertelsmann Stiftung, gemeinsammit der ehemaligen Bundesfamilienministerin RenateSchmidt und DIHK-Präsident Ludwig Georg Braundas Webportal im Bundespresseamt online. Das Gemeinschaftsprojektder Stiftung und des BMFSFJ, mitfinanziertvom Europäischen Sozialfonds (ESF), steht nun kostenlosim Netz zur Verfügung.Rechenbeispiele und ChecklistenLeicht zugängliche und praktische Informationen zu Fragenrund um den Betreuungszuschuss, Mutterschutz undBetriebskindergärten hatten bislang gefehlt ± diese Marktlückeschlieût das Projekt.Unternehmen können sich hier informieren, wie sieam besten den Bedarf für einen Betriebskindergartenoder eine »Minikita« herausfinden. Und es gibt Checklistenund Rechenbeispiele für finanzielle Zuschüsse. In nurfünf Monaten hat sich das Portal äuûerst erfolgreich entwickelt:Über 18 000 Datensätze sind bereits online ±und das Angebot entwickelt sich laufend weiter.141


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Kompetenz am TelefonAuch eine Info-Hotline steht zur Verfügung. Sie wird vonMitarbeiterinnen und Mitarbeitern des pme-Familienservicebetrieben. Gegründet 1991, war pme einer der erstenDienstleister in Deutschland, der Unternehmen zumThema Familienfreundlichkeit beriet. Eine soziale Dienstleistung,privatwirtschaftlich erbracht ± dieses Konzeptstammt aus den USA und war Anfang der 90er Jahre neuin der Bundesrepublik, »eine kleine Revolution«, so MaritLoewer von pme München.Die Agentur ist bundesweit vernetzt und hat umfangreicheAdresskarteien von Aupairs, »Not-Müttern« undKindergärten ± und jede Menge Expertise bei unternehmensrelevantenDetails: Wissen, das bei der Einzelfallberatungam Telefon benötigt wird.Weitere Informationen gibt es unterwww.mittelstand-und-familie.de.142


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Segregierte Armut in den Städten ±Strategien sozial integrativer lokaler PolitikKlaus Peter StrohmeierDer demographische <strong>Wandel</strong> verstärktsoziale SegregationAktuelle Szenarien der Bevölkerungsentwicklung prognostizierenfür die Bundesrepublik einen Rückgang vorallem in den Städten, eine rasche Zunahme des Anteilsder alten Menschen und eine ebenso schnelle Verringerungdes Anteils von Kindern und Jugendlichen (Klemmer2001; Strohmeier 2002). Damit setzt sich eine mitder Suburbanisierung seit den 1970er Jahren begonneneEntwicklung fort. In den schrumpfenden Städten beobachtenwir eine zunehmende Polarisierung von Lebensbedingungen,Lebenslagen und Lebensformen, ablesbar aneinem Anwachsen der sozialen, ethnischen und demographischenSegregation.Segregation ist städtisch, und es hat sie immer gegeben.Neu ist jedoch die zunehmende Korrelation ihrerunterschiedlichen Dimensionen. In den Stadtteilen, woheute die meisten »Ausländer« leben, leben auch diemeisten armen »Inländer«, und dort gibt es mittlerweileauch die meisten Kinder.Der Suburbanisierungsprozess der letzten drei Jahrzehntehat zu einer regionalen Umverteilung der Bevölkerungnach Lebenslagen (arm und reich) und nach Lebensformen(Menschen mit Kindern bzw. ohne Kinder)geführt. Das Umland der Groûstädte ist zur Familienzoneder mobilen Mittelschichten geworden, aus den Kernstädtendagegen ist die Familie mit Kindern weitgehend verschwunden.Im Umland ist der Kinderanteil deutlich höherals in den Städten, die Bevölkerung wächst infolgevon Wanderungsgewinnen.Die meisten Haushalte in den Kernstädten sind heutekleine Nichtfamilienhaushalte. Die hier verbliebenenFamilienhaushalte sind vielfach allein erziehende Mütterund (kinderreiche) nicht-deutsche Familien. Die meistenfindet man konzentriert in den euphemistisch »Stadtteilemit besonderem Entwicklungsbedarf« genannten Armutsinselnder inneren Stadt und in den Groûsiedlungen dessozialen Wohnungsbaus. Überall in Europa ist in diesenarmen Vierteln zu beobachten, dass die traditionellen informellenSolidarpotenziale infolge anhaltender bzw. steigenderArbeitslosigkeit, materieller Not und sozialer Ausgrenzungverschwinden (Dubet und Lapeyronnie 1994).Armut in Deutschland ist heute vor allem die Armutder Kinder, der Jugendlichen, der jungen Frauen und derFamilien. Dabei geht es in den seltensten Fällen um absoluteArmut, bei der das Existenzminimum nicht mehrgewährleistet wäre, sondern um »relative Armut«. Siestellt ein Maû an sozialer Ungleichheit bzw. Benachteiligungdar, das als ungerecht oder inakzeptabel angesehenwird und durch eine gesellschaftliche Bewertungdefiniert ist.Als Indikator für Unterversorgung und soziale Benachteiligungkann die Einkommensarmut gelten. Als »arm«bezeichnen wir jemanden, der weniger als die Hälfte des»bedarfsgewichteten« 1 durchschnittlichen Nettoeinkommensfür sich zur Verfügung hat. Anhand dieses Kriteriumskönnen wir z.B. für Nordrhein-Westfalen feststellen:Das Armutsrisiko der weiblichen Bevölkerung ist höherals das der männlichen. Das höchste Armutsrisiko habenKinder, und es gilt: Je jünger die Kinder sind, desto höherder Anteil der armen. 40 Prozent der Bevölkerung, die inArmut lebt, sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahre.Eine weitere Art der Armutsmessung geht vom Sozialhilfebezugaus. Im Ruhrgebiet z.B. leben knapp zwei Drittelder Sozialhilfebeziehenden in Familien, davon der gröûereTeil in Familien allein erziehender Mütter. In denländlichen Räumen ist die Sozialhilfedichte wesentlichgeringer als in den Groûstädten: Im Kreis Kleve beziehtjedes 60. Kind unter sieben Jahren Sozialhilfe, in der StadtEssen jedes sechste, in der Essener Innenstadt jedes dritte.Arme Kinder leben in armen Familien. Je wenigerKinder in einer Stadt (bzw. einem Kreis) leben, desto1 Personen im Haushalt werden nach Alter unterschiedlich gewichtet:die erste Person z. B. mit 1,0, weitere Personen über 15 Jahre mit0,7 und Personen unter 15 Jahre mit 0,5.143


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>mehr davon sind arm. In der Stadt Essen, die mit Bochumin NRW den geringsten Anteil von Kindern an der Bevölkerunghat, leben die meisten Kinder in den innenstadtnahenWohngebieten im armen Norden, im Altbaubestandehemaliger Werkssiedlungen und in Groûsiedlungen dessozialen Wohnungsbaus; dort sind auch die Armutsquotender Kinder die höchsten (Strohmeier und Kersting2003). In diesen Stadtteilen treten mehrere Merkmalesozialer Benachteiligung kumuliert auf. Die Stadtteile mitden höchsten Anteilen von Kindern (und Familien) ander Bevölkerung sind zugleich jene mit besonders hohenArmutsquoten, hoher Arbeitslosigkeit, hohen Anteilenvon Alleinerziehenden und besonders vielen Aussiedlernund Ausländern. Einige dieser Stadtteile sind zugleichdie mit der höchsten Gewaltkriminalität.Wir finden hier die niedrigsten Niveaus lokaler Integrationund Identifikation der Bevölkerung mit ihrerStadt und dem Stadtteil, erkennbar daran, dass bei Kommunalwahlenzwei Drittel der Wahlberechtigten nichtwählen. Im Zusammenhang damit steht eine relativ hoheMobilität bzw. Fluktuation bei schrumpfender Bevölkerungszahl.In den ärmsten Stadtteilen wird infolge vonZu- und Fortzügen rein rechnerisch die Bevölkerung alledrei bis fünf Jahre einmal komplett ausgetauscht. Die»Unterschicht der Dienstleistungsgesellschaft« (Dubet undLapeyronnie 1994) lebt heute in prekären ökonomischenVerhältnissen, ohne die traditionellen Solidaritäten, sozialisoliert und sozialräumlich segregiert, ohne lokale Identifikation,in Stadtteilen, deren »soziale Bandbreite«, dassoziale ¾hnlichkeitsprofil, allein durch die Einkommensarmutder Bewohner bestimmt wird. Armut allein aberstiftet keine sozialen Beziehungen und schon gar keineSolidarität (Strohmeier 1983).Segregation gefährdet das Humanvermögender StadtgesellschaftJede Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass ihre nachwachsendeGeneration mit den wichtigsten Daseins- undSozialkompetenzen und Motiven (»Humanvermögen«) ausgestattetwird, um diese Gesellschaft einmal fortzusetzen.Die Sachverständigen des Fünften Familienberichts derBundesregierung (1994) haben ± vergeblich ± eine neueFamilienorientierung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaftgegen die »strukturelle Rücksichtslosigkeit« derGesellschaft und das Schwinden der Lebensform Familiegefordert.Nachteile des Lebens mit Kindern in einer »individualisierten«Gesellschaft erfahren Familien in der Gemeindeund im Stadtteil. Die gesellschaftspolitische Frage nachder Zukunft des »Humanvermögens« stellt sich deshalbals eine Herausforderung der lokalen Politik. In Familienallein erziehender Mütter lebt mehr als die Hälfte allersozialhilfeabhängigen Kinder unter 16 Jahre. Allein erziehendeSozialhilfeempfängerinnen können vielfach nichtan beruflichen Qualifizierungsmaûnahmen teilnehmen,weil das Problem der Kinderbetreuung nicht gelöst ist.Kinder, die in Armutsstadtteilen aufwachsen, erfahreneine abweichende gesellschaftliche Normalität: Arbeitslosigkeit,soziale Ausgrenzung, Apathie, gesundheitlicheBeeinträchtigungen, Familien ohne Vater, Arbeitslosengeldoder Sozialhilfe als Regeleinkommen. Die »natürliche«Einstellung der Menschen zur Welt sind unter diesenVoraussetzungen Misstrauen und ein geringes Selbstwertgefühl;Rückzug und Apathie bzw. »Gestaltungspessimismus«sind unter diesen Bedingungen eine durchaus»rationale«, also vernünftige und nachvollziehbare Haltung.Die Mehrheit der Kinder in den groûen Städten wirdkünftig unter solchen Voraussetzungen aufwachsen. Siehaben kaum eine Chance, die Nützlichkeit jener Kompetenzen,die das »Humanvermögen« ausmachen ± Solidarität,Empathie, Vertrauensfähigkeit und Vertrauenswürdigkeit±, zu erfahren, die als das Ergebnis einer erfolgreichenSozialisation in einem partizipationsfreundlichenUmfeld die »Grundausbildung« für erfolgreiches Handelnin allen gesellschaftlichen Bereichen und für soziale Zugehörigkeitdarstellen. Dieses »kulturelle« Kapital und das»soziale« Kapital hilfreicher sozialer Beziehungen sindder entscheidende Startvorteil von Kindern aus den bürgerlichenMittelschichten.Handlungsansätze zur Stabilisierunggefährdeter StadtteileWas ist zu tun? Gefragt ist zum einen eine »Bildungsoffensive«.Unter den jungen Erwachsenen in der Sozialhilfehaben zwei Drittel keine Berufsausbildung, ein Viertelhat keinen Schulabschluss. Solange dreimal so vielnicht-deutsche wie deutsche Kinder die Schule ohne Ab-144


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>schluss verlassen, gilt: die besten Schulen und besondersmotivierte Lehrer in die armen Viertel! Auch eineBeschäftigungsoffensive ist nötig, denn Arbeit ist in unsererGesellschaft der zentrale Integrationsmechanismus.Hier geht es um Investitionen in die nachwachsende Generation.Wo es keinen ersten Arbeitsmarkt gibt, machtdie Rede vom zweiten keinen Sinn.Isolation, resignative Apathie und Gestaltungspessimismusin den armen Vierteln sollen in den aktuellenProgrammen zur »sozialen Stadt« durch »Bürgerbeteiligung«bekämpft werden. Mit welchen Handlungsansätzenaber ist es möglich, sozial ausgegrenzte und (deshalb)resignativ apathische Bevölkerungsgruppen in die»Ortsgesellschaft« zurückzuholen? Der Weg führt überdie Initiierung und Unterstützung elementarer Formender sozialen Integration von Bewohnern in benachteiligtenLebenslagen in soziale (z.B. nachbarschaftliche) Netzwerke,wo sie sich als anerkannt und dazugehörig erfahren.Bürger, die dazugehören, nehmen am sozialen undpolitischen Geschehen in der Gemeinde Anteil.Viele lokale Projekte versuchen derzeit, arme Stadtteilezu revitalisieren und sozial ausgegrenzte Bevölkerungsgruppenzu integrieren. Bundesweit sind diese Projekteim Programm »Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf± Soziale Stadt« versammelt. Das Programmrichtet sich vor allem auf die Wohngebiete der städtischenUnterschichten im Ballungsraum. Es kann nichtdie Ursachen des Niedergangs ± Deindustrialisierungund Arbeitslosigkeit ± bekämpfen, aber an deren Folgenarbeiten. Angestrebt werden die Partizipation und diesoziale (Re-)Integration der Bürger.Als Ergebnis dieser Bürgerbeteiligung erhoffen dieInitiatoren sich die Entstehung selbst helfender Strukturenund sozialer Vernetzungen im Stadtteil. CharakteristischeElemente der Handlungsansätze sind die Beteiligungder Bewohner an planerischen Entscheidungensowie an der Beseitigung von infrastrukturellen Mängelnund sozialen Problemen in ihrem unmittelbaren Wohnumfeld.Bürgerbeteiligung ist das Ziel und zugleich dasMittel, mit dem dieses Ziel erreicht werden soll. Gleichzeitigist sie besonders schwierig: Weder die traditionellennoch die neuen plebiszitären Formen der Bürgerbeteiligungerreichen die Menschen in diesen benachteiligtenStadtteilen.Projekte im Armutsmilieu haben besonders mit Apathieund Passivität, Resignation und Misstrauen der Bewohnerzu kämpfen. Hoffnungslosigkeit und Misstrauenbasieren ja auf solider Erfahrung. Die »Inaktivität armerLeute« beruht auf bewussten Entscheidungen: Menschenengagieren sich in Projekten und Programmen, »wenn sienach einem Vergleich der zu erwartenden Kosten und Nutzenvon Handlungsalternativen zum Schluss kommen,dass das Engagement ausreichenden Gewinn verspricht.Dabei steht auf der Kostenseite die nicht selten aus Erfahrungengewonnene Angst vor Misserfolgen und Sanktionen,die Einschätzung, dass die Aktion unmittelbar mitihnen nichts zu tun habe; auf der Nutzenseite ± oft ebenfallserfahrungsgestützt ± der zu erwartende Erfolg, das Gefühlder Zugehörigkeit zu einer aktiven Gruppe, die Anerkennungbedeutungsvoller Menschen« (Oelschlägel 1992).Das soziale Klima in Armutsstadtteilen behindert dieAktivierung der Bewohner in besonderem Maûe. So kannsoziale Kontrolle hemmend wirken; auch ist die Umweltden meisten so vertraut, dass sie sie als selbstverständlichhinnehmen und kaum alternative Vorstellungen entwickeln.In dieser Lebenswelt haben sie Routinen entwickelt,deren Störung Angst auslöst. So sind Rückzug,Misstrauen und auch »Passivität« durchaus rational. Entscheidendist, ob und wie notorisch misstrauische Menschenmit dem nötigen Vertrauen ausgestattet werdenkönnen, das sie in die Lage versetzt, sich auf Formen derPartizipation einzulassen, die für sie auf den ersten Blickriskant und insgesamt wenig nützlich erscheinen.Bei Vertrauensbeziehungen ist in der Regel der möglicheVerlust im Fall enttäuschten Vertrauens viel höherals der Gewinn im Regelfall gerechtfertigten Vertrauens.Dennoch sind Vertrauensfähigkeit und Vertrauenswürdigkeitdie Kennzeichen sozialer Integration in modernenGesellschaften ebenso wie ein Ergebnis erfolgreicher Sozialisationsprozesse.Für Menschen, die »dazugehören«,ist es rational im Sinne von »vernünftig«, anderen zu vertrauen.Menschen, die vertrauen, erwarten nicht ernsthaft,145


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>dass sie verlieren oder enttäuscht werden. Vertrauensfähigkeitist unmittelbar verknüpft mit Selbstvertrauen.Menschen, die unter Armutsbedingungen leben, verhaltensich am ehesten im Sinne des misstrauisch Gewinnund Verlust abwägenden, rational kalkulierendenHomo oeconomicus. Sie werden nur dann bereit sein,eine Vertrauen erfordernde soziale Beziehung einzugehen,wenn der erwartbare Nutzen deutlich gröûer ist alsder zu riskierende Verlust und wenn der Erfolg kurzfristigabsehbar ist (vgl. Hardin 1992). Solche Situationensind in der sozialen Welt aber extrem selten. Habituellmisstrauische Akteure überschätzen notorisch ihrVerlustrisiko, was dazu führt, dass sie nichts riskierenund sich zurückziehen. Wer prinzipiell misstraut, reduziertzwar für sich das Risiko von Enttäuschung und Verlust,kann aber auch nichts gewinnen.Die Vertrauenden auf der einen und die Misstrauischenauf der anderen Seite bleiben jeweils unter sich. Auchdas ist ein Aspekt von Segregation und sozialer Ausgrenzung.Gewohnheitsmäûig misstrauische Personen benötigenviele Erfolgserlebnisse, um ihre Vertrauensfähigkeit,ihr Selbstvertrauen und ihre Partizipationsbereitschaft zusteigern. Das dauert in jedem Fall lange, was für die Langfristigkeitlokaler Projekte spricht. Die Programme der»sozialen Stadt« enden hingegen in der Regel nach zehnJahren.Sozial integrative Stadtteilpolitik: Entwicklungvon Vertrauensbeziehungen im ArmutsmilieuDie deutsche Sprache kennt nur einen Begriff für Vertrauen.Im Englischen gibt es gröûere Differenzierungsmöglichkeiten:»confidence« und »trust«. Confidence ist»Sozialvertrauen«, ist Zutrauen in die eigene soziale Kompetenzund in die der anderen. Es ist die Voraussetzungjedes sozialen Handelns in einer komplexen Welt undschlieût Selbstvertrauen ein (vgl. Luhmann 1988). Sozialvertrauenbasiert wiederum auf »Vertrautheit«, einer unvermeidlichenBegleiterscheinung des Lebens in Gemeinschaft.Sozial isolierten Menschen fehlt diese Vertrautheit.»Trust« bezeichnet demgegenüber »Personvertrauen«,eine rationale Strategie der optimalen Ausnutzung vonChancen unter der Voraussetzung von Sozialvertrauen.Beide Begriffe bedingen einander: Sozialvertrauen,das aus Vertrautheit entsteht, ist die Voraussetzung vonPersonvertrauen. Letzteres ist dort rational, d.h. eine vernünftigeHandlungsoption, wo Sozialvertrauen möglichist. Vertrautheit wiederum ist ein Nebenprodukt von bestätigtemPersonvertrauen und somit eine Frage derLebenserfahrung. Voraussetzung und Ergebnis von Vertrauenist soziale Ordnung.In riskanten Situationen, z.B. an fremden Orten, ist es(eine soziale Ordnung vorausgesetzt) durchaus rational,blanko einem anderen Menschen zu vertrauen: Auf langeSicht werden die Gewinne des bestätigten Vertrauens dieVerluste durch enttäuschtes Vertrauen übersteigen. Vertrauenzu zeigen ist also eine Investition rationalerAkteure in ihre soziale Umwelt (Gambetta 1988). Sie gibtdie Chance, dass Vertrautheit in sozialen Beziehungenentsteht, und aus dieser kann sich längerfristig Sozialvertrauenentwickeln ± insgesamt also ein sich selbst verstärkenderMechanismus.Was folgt daraus für die »soziale Stadt«? Es braucht zunächstZeit, bis die »Gestaltungspessimisten« ein Niveauder Vertrauensfähigkeit oder des »Sozialvertrauens« erreichen,das ihnen (wieder) die Teilnahme an Aktivitätenin der Ortsgesellschaft ermöglicht. Hier bieten nur solcheProjekte eine hinreichende Chance, die den Menscheneinen unmittelbaren, kurzfristig erwartbaren Nutzen bringenund das Risiko, zu verlieren bzw. enttäuscht zu werden,gering halten.Was die Bewohner motivieren kann, ergibt sich ausden von ihnen empfundenen Mängeln: Eine Steigerungihrer Identifikation mit dem Stadtteil erreicht man vorallem über ihre Beteiligung an der Verbesserung der individuellenwirtschaftlichen Lage, der Wohnverhältnisse oderder Wohnumfeldbedingungen (vgl. z.B. Tobias und Böttner1992).Bei geringem Risiko und relativ sicherem Nutzen vertrauenauch misstrauische und apathische Akteure zunächstquasi blanko den am Projekt beteiligten Menschen.In diesen Beziehungen entsteht nebenbei Vertrautheit,aus der sich eine gesteigerte, schon auf Erfahrung gegründeteBereitschaft ergibt, erneut Vertrauen zu investieren.Bei wiederholt erfolgreicher Investition entstehenallmählich soziale Netzwerke und Sozialvertrauen.Offene Partizipationsangebote (z.B. Bürgerzentren,Stadtteilkonferenzen) bieten sozial nicht integrierten Menschenkeinen unmittelbaren und kurzfristigen Nutzenund werden deshalb von ihnen kaum angenommen. Dieser»Mach-mit«- oder »Entscheide-mit«-Projekttyp hat nur146


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>ein geringes Aktivierungspotenzial für gestaltungspessimistischeAkteure, denn er spricht in erster Linie sozialschon integrierte und mit Sozial- und Selbstvertrauenausgestattete Menschen an.Erfolg versprechender erscheinen dagegen so genannte»Selbermacherprojekte«, z.B. Aktionen, in denen die Bewohnereiner Hochhausanlage (wie in Hamburg-Kirchdorf-Südgeschehen) gemeinsam die Eingangsbereicheund die Flure ihres Hauses umgestalten und renovieren,sowie Arbeitsbeschaffungs- und Qualifizierungsprojektemit einem deutlichen Nachbarschaftsbezug: Die Bürgerwerden hier an der Produktion öffentlicher Güter beteiligt,und gleichzeitig ist für sie ein persönlich-unmittelbarer,kurzfristiger Nutzen ihrer Mitwirkung absehbar.Selbermachprojekte vernetzen Menschen und sparenzugleich Kosten, weil Leistungen in Eigenarbeit erbrachtwerden, die eigentlich Aufgabe der Gemeinde oder derWohnungsunternehmen sind. Sie sind auch für misstrauischeund desintegrierte Personen niedrigschwelligePartizipationsangebote, wenn Aufwand und Nutzen kalkulierbarsind. Die zunächst eigennützig motivierte Beteiligungschafft zusätzlich soziale Vernetzungen, selbsthelfendeStrukturen und Mechanismen sozialer Kontrollesowie Identifikation mit dem Viertel. Dies wiederumkann längerfristig weitere administrative Intervention imStadtteil entbehrlich machen und ist daher auch wirksamePrävention.Partizipation und »Selbermachen« schaffen so womöglichauch eine Voraussetzung weitergehender politischerBeteiligung in solchen Stadtteilen, die wegen ihrer geringenRepräsentation in der lokalen Politik heute quasi »demokratiefreieZonen« darstellen.LiteraturDubet, Francois, und Didier Lapeyronnie: Im Aus der Vorstädte.Der Zerfall der demokratischen Gesellschaft.Stuttgart 1994.Gambetta, Diego (Hrsg.): Trust:making and breakingcooperative relations. New York, Oxford 1988.Hardin, Russel: »The Street-Level Epistemology of Trust«.Analyse und Kritik 14. 1992. 152±176.Klemmer, Paul: »Steht das Ruhrgebiet vor einer demographischenHerausforderung?« Rheinisch-WestfälischesInstitut für Wirtschaftsforschung (Hrsg.): Schriftenund Materialien zur Regionalforschung 7. Essen 2001.Luhmann, Niklas: »Familiarity, Confidence, and Trust:Problems and Alternatives«. Diego Gambetta (Hrsg.):Trust:making and breaking cooperative relations. NewYork, Oxford 1988. 94±107.Oelschlägel, Dieter: »Gemeinwesenarbeit in einem Armutsquartier«.Gertrud Tobias und Johannes Böttner (Hrsg.):Von der Hand in den Mund. Armut und Armutsbewältigungin einer westdeutschen Groûstadt. Essen 1992.Strohmeier, Klaus Peter: Bevölkerungsentwicklung und Sozialraumstrukturim Ruhrgebiet. Reihe Demografischer<strong>Wandel</strong> der Projekt Ruhr GmbH. Essen 2002.Strohmeier, Klaus Peter, und Volker Kersting: »SegregierteArmut in der Stadtgesellschaft. Problemstrukturenund Handlungskonzepte im Stadtteil«. Soziale Benachteiligungund Stadtentwicklung, Informationen zurRaumentwicklung. 3/4. 2003. 231±247.Strohmeier, Klaus Peter: Quartier und soziale Netzwerke.Grundlage einer sozialen Ökologie der Familie. Frankfurt,New York 1983.Tobias, Gertrud, und Johannes Böttner (Hrsg.): Von derHand in den Mund. Armut und Armutsbewältigung ineiner westdeutschen Groûstadt. Essen 1992.147


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>»Kommunale Verantwortung für Bildungsfragen«Interview mit Dr. Christof Eichert und Wilfried LohreBildung ist nicht allein Ländersache ± das verdeutlichenDr. Christof Eichert, Leiter des Themenfeldes Bildung inder Bertelsmann Stiftung, und Wilfried Lohre, Leiter desProjektes »Selbstständige Schule«, im folgendem Interview.Die Kommunen können auf vielen Feldern an derGestaltung von Bildungsaufgaben mitwirken. Bisher, sodie Experten, seien sich noch immer viele Kommunenihrer Bildungsverantwortung gar nicht bewusst. Eine derwichtigsten Voraussetzungen sei es, traditionelles Verwaltungsdenkenin diesem Bereich aufzugeben, sich ander Lebenswirklichkeit zu orientieren und im Zusammenwirkenaller Beteiligten innovative Bildungszusammenhängeherzustellen.Bei unseren Diskussionen mit kommunalen Entscheidernin Politik und Verwaltung über die Gestaltung desDemographischen <strong>Wandel</strong>s stellen wir fest, dass dieVerantwortung für Bildungsfragen als reine Ländersacheangesehen wird. Wenn es darum geht, etwas zu verändern,wird die »Nicht-Zuständigkeit für Bildungsfragen« alsGegenargument angeführt. Ist Bildung ausschlieûlichLändersache?Eichert: Den Kommunen kann und darf es nicht egal sein,was mit ihren Talenten passiert. Es geht um die Frage,wie ernst die Kommunen die Aufgabe nehmen, für Bürgerjeden Alters Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen.Wenn Sie so wollen, ist die Kommune eine der zentralenAkteurinnen in der Talentschmiede Deutschlands.Wenn beispielsweise die Ganztagsschulen ihren Anspruchverwirklichen wollen, eine nachmittägliche Jugendkulturarbeitin ihre Abläufe einzubinden, ist das ohne dieKommunen nicht zu machen. Deshalb sind diese aufgefordert,sich einzubringen und die Mitverantwortungfür die Entwicklung junger Menschen anzuerkennen. Ichzitiere hier gern Lieselore Curländer, Landrätin des KreisesHerford: »Die Kommunen sind zwar nicht überallzuständig, aber sehr wohl verantwortlich.«Lohre: Zwischen Schule und kommunaler Jugendarbeitgibt es zu wenige Verbindungen. Die Frage ist, was istBildung? Bildung findet doch nicht nur in Schulen statt,sondern auch in Volkshochschulen, Bibliotheken, Museenund in Einrichtungen der auûerschulischen Jugendarbeit.Die Verantwortung der Kommunen für Bildungsprozesseergibt sich schon allein daraus, dass sie direktspüren, wenn Bildung nicht fruchtet. Denn die Kommunemuss die sozialen und wirtschaftlichen Folgen von gescheitertenBildungsbiografien tragen. Stichwort »erweiterteSchulträgerschaft«: Hier gilt es Partner für Initiativenund Netzwerke zu finden, Ressourcen zu bündelnund Synergieeffekte zu erzielen, um gemeinsam optimaleLebens- und Lernchancen zu schaffen.Welche Bausteine machen denn die Qualität eines gutenkommunalen Bildungsangebotes aus, beispielsweise imHinblick auf eine Kooperation zwischen Kindergärten undSchulen?Eichert: An erster Stelle steht das Bekenntnis zu einer umfassendenBildungsverantwortung in der Kommune. KommunaleBeteiligung ist in alle Bildungsabschnitte einzubeziehen.Zweitens geht es um eine neue Sicht auf Abläufeund Inhalte. Ob im Kindergarten, in der Grundschule, inder Ganztagsschule oder in der beruflichen Bildung ± wirhaben noch nicht verstanden, dass es um einen neuenRhythmus geht. Solange Ganztagsschule gleichbedeutendmit drei Stunden Nachmittagsbetreuung ist, wird dieChance vertan, den Lernrhythmus über den Tag verteiltneu zu gestalten. Dafür müsste man allerdings die Erweiterungder Schulpflicht enttabuisieren.Doch auch unter den gegebenen Voraussetzungen bietensich zahlreiche Möglichkeiten an, im Austausch mitBibliotheken oder Vereinen die Betreuungszeit mit Bildungsqualitätenzu füllen. Aber wer ist der Ansprechpartnerfür die Lehrerin, die in ihrer Schule etwas verändernwill? Es bedarf dafür eines »Kümmerers«, der diesen Austauschvorantreibt und die entsprechenden Fragen stellt:Was tun wir bereits? Was können wir verändern? Wenmüssen wir einbeziehen?Lohre: Die Ganztagsschulen haben drei grundsätzlicheProbleme. Ein konzeptionelles ist die Freiwilligkeit desAngebotes; Ganztagsangebote müssten verpflichtend füralle Schülerinnen und Schüler sein. Ein strukturellesProblem ist die Frage nach den Verantwortlichkeiten.Und drittens gibt es ein Ressourcen- oder Qualifizierungsproblem:Das ist die Ausbildungslücke zwischen LehrerundErzieherinnenausbildung, die einen Austausch zwischenden Institutionen und Personen extrem erschwert.Eichert: In der Tat, Kindertagesstätten und Schulen befindensich auf unterschiedlicher Augenhöhe. Dabei zeigtdie Erfahrung, dass ein Austausch zwischen den Berufsgruppen,beispielsweise über gemeinsame Fortbildungen,fruchtbar sein kann und zu wechselseitiger Anerkennungführt.148


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass Kommunen ihremangelnde Aktivität beim Thema Bildung mitunzureichenden finanziellen Handlungsspielräumenbegründen? Ist das berechtigt?Eichert: Zunächst bin ich überzeugt, dass wir hier nicht inerster Linie ein Geldproblem haben. Vielmehr rate ich denKommunen, in ihrem Haushalt einmal alle Etatansätzeherauszusuchen, die Kinder und Jugendliche betreffen ±von der Vereinsförderung über die Kinder- und Jugendhilfebis zu Ausgaben für Kultur. Und dann ist zu reflektieren,ob die insgesamt verfügbaren Mittel auch richtigeingesetzt sind und zu den gewünschten Wirkungen führen.Die Kommunen sind gefordert, klare Prioritäten zusetzen und ihre Mittel daran ausgerichtet einzusetzen.Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass Bürgermeister,Schulleiter und Lehrkräfte, die sich für ihre kommunaleBildungslandschaft engagieren wollen, auch Unterstützungfinden. Es geht doch darum: Trägt die Idee?Die Frage nach dem Geld ist typisch für diejenigen, dieglauben, dass Innovation durch Geld entsteht. Die Kommunensind auch dem Bereich der technischen Infrastrukturoft zu sehr verhaftet, und diese technische Arbeitwird ihren tatsächlichen Aufgaben nicht immer gerecht.Es geht in diesem Zusammenhang nämlich gerade nichtum die Anzahl von Straûen, Gebäuden oder Fuûballplätzen.Es geht darum, den Menschen Heimat, Sicherheitund Chancen zu bieten.Als ehemaliger Bürgermeister kann ich aus langerErfahrung sagen, dass der Dreiklang dieser weichen Faktoren,die man auch mit Zugehörigkeit, Verlässlichkeitund Entwicklungsmöglichkeiten übersetzen könnte, Eingangin die kommunalen Denkstrukturen finden muss.Vor diesem Hintergrund ist auch die Bildungspolitik zuentwickeln.Soziale Benachteiligung ± über dieses Thema wird in denKommunen meist nicht so gern gesprochen.Wie sehen Sie diese Problematik im Zusammenhang mitBildungsaufgaben?Eichert: Hier gibt es viele Fragen. Zunächst müssen Hilfeangeboteauch ankommen. Man kann das zum Beispielan der erweiterten Schulpflicht verdeutlichen. Hier gibtes häufig gar keine Bereitschaft, weiter darüber nachzudenken.Entscheidend ist doch, ob es Angebote für Leistungsschwacheund sozial Benachteiligte gibt, die auchangenommen werden. Denn wenn gerade diejenigen, diedavon profitieren würden, nachmittags nach Hause gehenund nur diejenigen, die es gar nicht nötig haben, anden Angeboten teilnehmen, verschärft sich die Ungleichheiteher noch.Ein zweites Beispiel sind die hohen Betreuungsquotenin den Kindertagesstätten im letzten Jahr vor der Einschulung.Bis zu 95 Prozent eines Jahrgangs, also auchKinder mit Entwicklungsnachteilen, werden dort erreicht.Wird diese Gelegenheit genutzt, Benachteiligungen möglichstfrüh zu erkennen, und wird konkret etwas dagegenunternommen? Die Frage ist auch: Verfügen die Mitarbeitereigentlich über die entsprechenden Diagnosemöglichkeitenund -fähigkeiten? Wie wird Stigmatisierungen,etwa aufgrund der Herkunft oder des Wohnstadtteils, entgegengewirkt?Gibt es eine Zusammenarbeit mit derGrundschule, damit das Kind dort nicht noch einmal mitdenselben Vorurteilen kämpfen muss?Die Fragestellungen gehen aber noch weiter: Wiegehe ich mit den Eltern um? Wie kann ich eine Beteiligungauf gleicher Augenhöhe initiieren? Auch daranmuss die Qualifikation des Personals mit ausgerichtetsein. Gefordert ist hier auch Erwachsenenpädagogik, unddie gehört mit in die Ausbildung.Lohre: Für diese Fragestellungen müssen im Kindergartenentsprechende Strukturen aufgebaut werden und natürlichauch Hilfestrukturen innerhalb des Schulsystems.Darüber hinaus gilt es die Eltern zu gewinnen, denn diejenigen,die es betrifft, kommen ja häufig nicht zu denElternabenden.Wichtig sind aber auch fundierte Analysen vor Ort.Ein Beispiel: Wilfried Bos vom Institut für Schulentwick-149


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>lungsforschung in Dortmund hat die 440 HamburgerSchulen nach sozialen Kriterien untersucht, etwa demBildungsniveau der Eltern, und sie in Gruppen mit unterschiedlichemFörderbedarf aufgeteilt. Das ist die Ausnahme.Dasselbe beim Thema Schulschlieûungen: Diewerden gewöhnlich nicht nach Qualität, sondern nachgeografischer Lage entschieden.Eine Mischung aus Desinteresse und Hilflosigkeit hindertdie Verantwortlichen offenbar daran, sich die Datenzu besorgen und passende Handlungsstrategien zu entwickeln.So fehlen vielerorts noch immer Zahlen zu denSchulabbrecherquoten, obwohl dies elementar wichtigeInformationen sind, die allen Verantwortlichen vorliegensollten.Eichert: Die Kommunen sind häufig nicht an den Zahlen,wie der Verteilung von Schulschwänzern oder Schulabbrechern,interessiert. Schule ist ja »Ländersache«.Aber aus solchen Zahlen könnte eine Kommune wertvolleSchlussfolgerungen ziehen: Wenn ein Groûteil der Schulabbrecherbeispielsweise aus einem Bezirk kommt, mussman dort etwas verändern. Kommunal ist doch das, wasdie unmittelbaren Lebensbedingungen ausmacht.Es ist allerdings die Frage, ob eine Kommune Infrastrukturals gebautes oder als gelebtes Gebilde versteht.Warum gibt es die »One Stop Agency« eines modernenBürgerbüros nur im Bauamt und nicht im sozialenBereich? Es geht auch hier um die politische Gewichtungeiner Aufgabe.Welche Rolle kann die Wirtschaft im Hinblick auffinanzielles Engagement und gemeinsame Projekte spielen?Lohre: Die Rolle der Wirtschaft beschränkt sich nicht aufdie des Geldgebers. Sie ist auch Bildungsträger, Praxisfeldund Lieferant von Know-how, wenn beispielsweiseSenior Experts Schulen bei der Personalentwicklung oderbei der Budgetierung beraten.Eine unkonventionelle Idee besteht darin, die Unternehmenfür die Elternarbeit zu gewinnen, indem sie »Elternabende«am Arbeitsplatz der Eltern während derArbeitszeit zulassen. Da müssen die Unternehmen mitmachen.In vielen Kommunen gibt es groûe Unternehmen,in denen zahlreiche Mütter oder Väter arbeiten, dieauf diese Weise erreicht werden könnten. Natürlich kannnicht die Kita dafür verantwortlich sein, Unternehmenanzusprechen. Das müssen die Landräte oder die Bürgermeistertun.Eichert: Die Wirtschaftsbetriebe müssen sich ± gerade vordem Hintergrund des demographischen <strong>Wandel</strong>s und derSorge um den qualifizierten Nachwuchs ± schon ausEigeninteresse in der Bildung engagieren und Strategienentwickeln, an welchen Stellen sie positiv auf die Verläufevon Bildungsbiografien einwirken und zu gelungenenEntwicklungen beitragen können.Welche Erfolgsfaktoren führen Ihrer Ansicht nach zu eineroptimalen kommunalen Bildungspolitik?Lohre: Erstens muss der politische Wille da sein sowie einganz klares Bekenntnis, dass Bildung in der Kommuneeine hohe Priorität hat und die Stadt oder Gemeinde hierauch Verantwortung übernehmen will. Zweitens mussBildungspolitik immer an den Fakten ansetzen. Man darfnicht blind sein für Zahlen und Daten, die Entwicklungenaufzeigen, sondern muss sie zur Grundlage der Überlegungenund Entscheidungen machen, die im Bildungsbereichgetroffen werden.Wichtige Voraussetzung ist drittens ein besserer Austauschzwischen ¾mtern, Fachbereichen und pädagogischemFachpersonal; insbesondere müssen Jugendamtund Schulverwaltung näher zusammengeführt werden,denn sie haben dieselbe Zielgruppe. Auch im Schulverwaltungsamtbrauchen wir zum Beispiel pädagogischenSachverstand. Viertens müssen die Kommunen regelmäûigbilanzieren, wo ihre Mittel zur Förderung von Kindernund Jugendlichen hinflieûen und ob sie das Ergebniszufrieden stellt. Und fünftens ist es ganz wichtig, einenKoordinator für das Thema Bildung einzusetzen, der vorOrt und nicht in der jeweiligen Landeshauptstadt sitzt.Eichert: Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eineKommune zunächst einmal erkennen muss, dass sie einebeträchtliche Mitverantwortung dafür hat, Bildungs- undLebenschancen für junge Menschen zu schaffen. Nurdann gibt es eine Diskussionsebene mit anderen Beteiligten.Dafür bedarf es einer Verwaltungsstruktur, die sichan Lebenslagen orientiert und kreative Lösungen zulässt.Die Verantwortlichen auf kommunaler Ebene müssenerkennen, dass sie nur dann den jungen Menschen Bildungschancengeben, wenn sie sich um sie kümmern.Das Interview führtenKerstin Schmidt und Beate Ramm am12. Dezember 2005 in Gütersloh.150


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Den Übergang zwischen Schule und Beruf kommunal gestaltenJens U. Prager, Clemens WielandDie regionale demographische Entwicklung und die darausresultierenden soziodemographischen Veränderungenbetreffen in starkem Maûe Familien mit ihren Kindern.Ein wichtiger Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit derKommunen liegt deshalb darin, das Handlungsfeld Bildungkommunal zu gestalten und in die Entwicklungihrer »Bildungsbevölkerung« zu investieren. Eine wichtigeFacette ist hier die Gestaltung des Übergangs zwischenSchule und Beruf.Im Übergang zur Wissensgesellschaft des 21. Jahrhundertsist die Entwicklung und kontinuierliche Sicherungder Beschäftigungsfähigkeit von jungen Menschen mehrdenn je gefordert. Mangelhafte Ergebnisse bei den PISA-Studien, eine hohe Zahl von Schul- und Ausbildungsabbrechernsowie arbeitslosen Jugendlichen ± dies sinddrängende Herausforderungen, denen sich die Gesellschaftund besonders auch die Kommunen stellen müssen,sind sie doch von den positiven wie den negativenFolgen einer geglückten oder misslungenen Integrationihrer Jugend in das Erwerbsleben unmittelbar betroffen.Aus ökonomischer Sicht lassen sich drei Ebenen unterscheiden,die für den Übergang von der Schule in denBeruf von Bedeutung sind. Zunächst geht es um die Angebotsseite,also die Jugendlichen selbst, die mit einem spezifischenBündel von Kompetenzen die Schule verlassenund nach Wegen in die Arbeitswelt suchen. Da die BildungspolitikAufgabe der Länder ist, sind die Steuerungsmöglichkeitenauf kommunaler Ebene sehr begrenzt.Auf der Nachfrageseite gibt es die Unternehmen, diein Abhängigkeit von regionalen, strukturellen und konjunkturellenBedingungen Arbeitskräfte nachfragen. Regionalebzw. kommunale Wirtschaftspolitik kann hierversuchen, positiv auf diese Bedingungen einzuwirken.Zu guter Letzt ist die Schnittstelle zu betrachten, an derdurch die Ausgestaltung des Verhältnisses zwischenSchule und Wirtschaft der Matching-Prozess zwischenAngebots- und Nachfrageseite beeinflusst werden kann.Diese liegt im unmittelbaren Einflussbereich der Kommunenund soll daher im Mittelpunkt des vorliegenden Beitragesstehen.Die Praxisbeispiele und Handlungsempfehlungen basierenauf den Ergebnissen einer europaweiten Rechercheder Bertelsmann Stiftung, mit der vorbildliche Ansätze zurIntegration von jungen Menschen in die Arbeitswelt identifiziertwerden konnten. Wesentliche Kriterien wareninsbesondere die Nachhaltigkeit der Ansätze und dieÜbertragbarkeit auf andere Regionen bzw. Kontexte.Es zeigt sich: Den Königsweg zur Integration möglichstaller Jugendlichen in die Arbeitswelt gibt es nicht.So vielfältig die Gründe der Integrationsprobleme sind ±angefangen von sozialen Handicaps, Lernschwächen, mangelnderMotivation und fehlender Unterstützung durchdas Elternhaus auf Seiten der Jugendlichen, über Mängeldes (Aus-)Bildungssystems und der arbeitsmarktpolitischenFörderinstrumente bis hin zu einem unzureichendenAngebot an betrieblichen Ausbildungsstellen ±, sovielfältig sind auch die Lösungsansätze.Blick in die PraxisVor dem Hintergrund der spezifischen Möglichkeiten aufkommunaler Ebene sollen mit dem niederländischen Wattenmodellund dem Hamburger Hauptschulmodell zunächstexemplarisch zwei Best-Practice-Beispiele skizziertwerden, anhand derer sich einige Erfolgsfaktoren für kommunalesÜbergangsmanagement ableiten lassen.Wattenmodell ± Provinz Groningen/NiederlandeKernidee und Ziel: Jugendliche mit Startschwierigkeiten,vor allem Abbrecher beruflicher oder allgemein bildenderSchulen werden mit dem Wattenmodell dabei unterstützt,die so genannte Startqualifikation (Level 2) zu erreichen.Damit soll die Zahl Jugendlicher in unqualifizierten Tätig-151


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>keiten nachhaltig reduziert werden (Motto: Ausbildungvor Arbeit!). In diesem Netzwerk arbeiten acht Gemeindender Provinz Groningen auf kommunaler und regionalerEbene eng zusammen und bedienen sich eines ausgeklügeltenOrganisationsmodells, das sich insbesonderedurch das integrierte Monitoringsystem auszeichnet, mitdem der Weg jedes betroffenen Jugendlichen jederzeitnachvollzogen werden kann.Durchführung: Durch die Errichtung der kommunalenRMC (Regional Coordination Center of Drop Outs) wurdenklare Zuständigkeiten geschaffen, da im Sinne einer OneStop Agency nur noch eine Person, der sog. School AttendanceOfficer, für den vollständigen Prozess bis zumErreichen der Startqualifikation zuständig ist.· Schulen und lokale Arbeitsagenturen melden jugendlicheZielpersonen in einem ersten Schritt an dasRMC.· Von dort nehmen die School Attendance Officer Kontaktzu den Jugendlichen auf und klären in Gesprächen,ob sie für die (Wieder-)Aufnahme einer regulärenAusbildung in Frage kommen.· Die School Attendance Officer arbeiten eng mit Schulenund Arbeitsagenturen zusammen und begleitendie Jugendlichen bis zum erfolgreichen Abschluss derStartqualifikation bzw. bis zum 23. Lebensjahr. Könnendie Jugendlichen nicht auf diese Art vermitteltwerden, kann das RMC Experten hinzuziehen, so genannteCareer Guidance Officer: Spezialisten, die dieJugendlichen in ihrem heimischen Umfeld aufsuchenund gemeinsam mit ihnen und den Eltern nach beruflichenMöglichkeiten suchen. Das Motto lautet: »NoWay to Escape!«· Die Gesprächs- und Vermittlungsergebnisse werdenan das RMC zurückgemeldet, das das gesamte Monitoringund den Vermittlungserfolg verantworten muss.· Alle drei Monate werden die Ergebnisse an die zuständigePolitik weitergegeben, womit eine hohe Systemwirkungerreicht wird, da ggf. Gesetze und Verordnungenan die tatsächlichen Erfordernisse angepasstwerden.Hamburger HauptschulmodellKernidee und Ziel: Mit diesem von Unternehmern initiiertenNetzwerk sollen Hauptschüler wieder verstärkt in dieungeförderte betriebliche Ausbildung gebracht werden,und zwar in einen Ausbildungsberuf, der ihren Stärkenund Interessen entspricht. Mit Imagekampagnen (»Hauptschüler± besser als ihr Ruf«), Netzwerkarbeit inkl. einesMonitoringsystems, fachlicher Unterstützung des Bewerbungsprozessesund aktiven Vermittlungsbemühungen einschlieûlicheines gezielten Matchings zu den Unternehmenwerden die Schüler unterstützt. Hauptarbeit leistenneben der so genannten Koordinierungsstelle die 71 teilnehmendenUnternehmen selbst, indem sie den interessiertenSchülerinnen und Schülern aus allen 109 HauptundGesamtschulen Bewerbungstrainings ermöglichensowie Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen.Durchführung: An einer dualen Ausbildung interessierteSchüler werden folgendermaûen begleitet:· Unterstützung bei der Berufswahl durch Bereitstellungvon Informationsmaterial an den Schulen, Gestaltungvon Elternabenden sowie Unterstützungsangebotein der Koordinierungsstelle· Beratung bei den Arbeitsagenturen unter Berücksichtigungder von den Schülern durch Selbsteinschätzungerstellten Stärken-Neigungen-Profile· Simuliertes Bewerbungsgespräch bei Partner-Unternehmender Schulen mit Feedback hinsichtlich Berufswunschund Auftreten· Hilfestellung bei der Erstellung von Bewerbungsunterlagendurch Schule, Koordinierungsstelle und Unternehmen· Unterstützung beim aktiven Bewerbungsprozess undRückkopplung einer erfolgreichen Vermittlung an alleBeteiligten, die mit dem Jugendlichen in unmittelbaremKontakt standen· Dokumentation der wichtigsten ausbildungsrelevantenDaten der Schulabgänger, anhand derer Anfragenvon Unternehmen nach geeigneten Bewerbern beantwortetwerden.Hierbei handelt es sich um ein effektives und effizientesregionales Netzwerk zur Vermittlung einer beruflichenStartqualifikation an Jugendliche mit Startschwierigkeitenin ländlichen Regionen: ein gelungenes Beispiel undVorbild für regionales Übergangsmanagement.Die Koordinierungsstelle übernimmt die Funktion einesNetzwerkknotens, wo alle Fäden zusammenlaufen: Sieverantwortet ein engmaschiges Monitoring der einzelnenSchüler in allen Phasen des Bewerbungsprozesses, siestellt den Beteiligten Know-how und Materialien zur Ver-152


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>fügung, sie berät und unterstützt Eltern, Schüler undLehrkräfte, sie akquiriert aktiv Unternehmen für die Teilnahmeam Netzwerk und versucht, (neue) Ausbildungsplätzefür Hauptschüler zu schaffen und zu vermitteln.Das Hamburger Hauptschulmodell kann als unternehmerischinitiiertes und systematisch gestaltetes Netzwerkprojektmit hohem Vorbildpotenzial bezeichnet werden,dessen Wirkungsweise bereits während der Schullaufbahnder Jugendlichen ansetzt. Durch das konsequente Monitoringdes Gesamtprozesses wurde ein Benchmarking etabliertund damit ein Wettbewerb unter den Schulen um guteÜbergangsquoten entfacht. Die Hauptschulen nutzen dieVermittlungsquote, um Werbung für sich zu machen undsich gegenüber den Gesamtschulen zu behaupten.Das Modell ist für eine Übertragung auf andere Kommunenund Regionen gut geeignet. Ein Transfer nach Berlin,Hannover, Basel und Ostwestfalen-Lippe ist bereits erfolgt.Mit München, Frankfurt, Gummersbach, NürnbergundBremenstehenweitereKommunenindenStartlöchern.ErfolgsfaktorenAus diesen Beispielen ± wie auch aus zahlreichen weiterenuntersuchten Projekten und Initiativen in Europa ±lassen sich viele Faktoren identifizieren, die Einfluss aufden Erfolg von Aktivitäten an der Schnittstelle zwischenSchule und Arbeitswelt haben. Neben Faktoren, die vonden Kommunen nur indirekt beeinflusst werden können ±wie unternehmerisches Engagement, die Rolle der Elternbei der Vermittlung von Wertvorstellungen und sozialenKompetenzen oder ein Paradigmenwechsel in der Schulevon der Abschluss- zu einer Anschlussorientierung ±, lassensich einige Handlungsfelder benennen, die auf lokalerEbene aktiv ausgestaltet werden können.Netzwerke: Transparenz durch ZusammenarbeitWirtschaft, Schulen, Schulbehörden und Arbeitsverwaltungmüssen vor Ort Netzwerke bilden und an einem Strangziehen. Das erhöht die Transparenz des Ausbildungsstellenmarktes.Einen Vorteil davon haben alle Seiten: DieUnternehmen können frühzeitig Kontakte zu potenziellenNachwuchskräften knüpfen und Einfluss auf eine praxisorientierteUnterrichtsgestaltung durch die Lehrkräfte in denoberen Schulklassen nehmen, die Jugendlichen könnensich ein besseres Bild von den diversen beruflichen Tätigkeitsfeldernmachen, was die Orientierung bei der Berufswahlerleichtert, und die Arbeitsverwaltungen könnenbedarfsgerechter vermitteln. Geringere Suchkosten, niedrigereAbbrecherquoten, eine höhere Vermittlungseffizienzund weniger Aufwand für kostspielige Warteschleifen sinddie positive Folge. Neben den genannten Beispielen seienhier auch die bundesweit verbreiteten ArbeitskreiseSchule±Wirtschaft oder die nordrhein-westfälischen BeiräteSchule±Beruf als Anknüpfungsmöglichkeiten genannt.Vermittlung aus einer HandDie Zusammenarbeit der Akteure vor Ort sollte auf denAbbau bürokratischer Hindernisse zielen. Statt bei einerVielzahl zuständiger Stellen sollte die Verantwortung für153


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>die Jugendlichen möglichst in einer Hand liegen. Wie esOne Stop Agencies in der Wirtschaftsberatung vorgemachthaben, so können alle Beteiligten ± Schulen, Behörden,Unternehmen und nicht zuletzt die Jugendlichen selbst ±davon profitieren, wenn die Fäden an einer Stelle zusammenlaufenund Vermittlungsprozesse dadurch effektiverund effizienter gestaltet werden. Auch notwendige Reformenkönnen dann zügiger erfolgen, weil Mängel im Systemvon dieser Stelle unmittelbar an die Politik zurückgespiegeltwerden.Engmaschiges MonitoringDie intensivere Zusammenarbeit der Akteure sollte miteinem Monitoring der Jugendlichen einhergehen. Schulabbrüche,vergebliche Bewerbungsbemühungen, Bildungsmaûnahmenund Arbeitslosigkeit bleiben sonst nicht seltenunbemerkt oder zumindest ohne Konsequenz. Geradedas aber gilt es zu vermeiden, denn Jugendliche sind alleinoft noch nicht in der Lage, ihr Leben selbstständig zu meistern.Jugend: Unternehmer ihrer selbstDennoch müssen Jugendliche lernen, dass sie auch selbstVerantwortung dafür tragen, was beruflich aus ihnen wird.Fähigkeiten und Talente erproben, selbst gesteckte Zieleverfolgen, in Erfolgserlebnissen Selbstbestätigung findenund daraus Motivation für die persönliche Weiterentwicklungschöpfen, muss möglichst früh geübt werden. Aufkommunaler Ebene kann dies beispielsweise durch Projektezu Partizipation und Mitwirkung gefördert werden.154


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Strategien lokaler IntegrationspolitikAlexander Thamm, Claudia Waltheranzupassen. Sie stützen sich auf die Erfahrungen jenerStädte und Gemeinden, die bereits groûe Fortschritte aufdiesem Weg vorweisen können.Ziel aller Maûnahmen muss es sein, den zugewandertenBürgerinnen und Bürgern eine gleichberechtigte Teilhabeam öffentlichen Leben zu ermöglichen und aktuelleMissstände zu beseitigen. Nur durch den Willen und dasEntgegenkommen beider Seiten ± der Zuwanderer undder Aufnahmegesellschaft ± kann dies erreicht werden.Migration und Integration sind wichtige Aspekte derdemographischen Entwicklung weltweit. InsbesondereGroûstädte erfahren bereits seit Jahren eine starke Zuwanderungund haben Strategien entwickelt, wie man dieneuen Bürgerinnen und Bürger in die bestehende Gesellschaftintegrieren kann bzw. wie sich die kommunalenStrukturen der veränderten Bevölkerungsstruktur und-zusammensetzung anpassen müssen.Immer mehr beschäftigen sich auch Kommunen imländlichen Raum mit der Frage, wie eine schrumpfendeBevölkerung immer mehr Zuwanderer, und besondersihre Kinder und Jugendlichen, integrieren kann. Der Anteilder jungen Migranten (mindestens ein Elternteil ist imAusland geboren) liegt allein in Nordrhein-Westfalen beirund 30 Prozent aller Jugendlichen. Bisher schneiden siebei Schulabschlüssen und besonders beim Übergang zumBeruf bedeutend schlechter ab als ihre Altersgenossen,wie die letzte PISA-Studie wieder festgestellt hat. VieleStädte haben diese Entwicklung mit Sorge verfolgt undumfassende Strategien der Integration entwickelt.Um gute Beispiele zu identifizieren und Lösungsansätzezu definieren, hat die Bertelsmann Stiftung mit dem Bundesministeriumdes Innern den Wettbewerb »ErfolgreicheIntegration ist kein Zufall. Strategien kommunaler Integrationspolitik«durchgeführt. Mehr als 100 Kommunenaus dem gesamten Bundesgebiet haben sich beteiligt, dieErgebnisse werden in Form einer Best-Practice-Publikationveröffentlicht. Im Rahmen des Wettbewerbs wurdenzusammen mit Expertinnen und Experten aus Politik,Praxis und Wissenschaft auch Handlungsempfehlungenfür kommunale Integrationspolitik entwickelt.Diese sollen Kommunen dabei unterstützen, ihre Politikden Anforderungen der EinwanderungsgesellschaftZehn Handlungsempfehlungenfür eine erfolgreiche Integrationspolitik1. Strategie und Konzeption entwickelnWelches sind die Ziele der Integrationspolitik in der Stadt,in der Gemeinde, im Kreis? Und wie sollen sie erreichtwerden? Welche Schwerpunkte werden gesetzt? Und welcheMaûnahmen sollen in welchem Zeitraum umgesetztwerden?Diese Fragen bilden den Orientierungsrahmen für einIntegrationskonzept, das als strategische Grundlage füreine umfassende, den jeweiligen Gegebenheiten angepasstekommunale Integrationspolitik dient.Die Federführung bei der Entwicklung obliegt derKommunalpolitik und lokalen Verwaltung. Für eine möglichstumfassende Bestandsaufnahme von Aufgaben undHandlungsansätzen und auch im Sinne der Konsensbildungempfiehlt es sich, das Integrationskonzept in einempartizipativen Prozess unter der Beteiligung aller maûgeblichenAkteure zu erarbeiten. Der Prozess kann voneiner Top-down- oder Bottom-up-Initiative ausgehen ± dashängt von der Situation in der Kommune ab.Das Konzept deckt abstrakte und konkrete Ziele ab.Dazu zählt zunächst ein interkulturelles Leitbild. SeinKern sollte eine vorausschauende Strategie sein, die langfristigeEntwicklungen wie die Folgen des demographischen<strong>Wandel</strong>s oder die Zukunft als Standort im globalenWettbewerb berücksichtigt. Oberstes Ziel jeder Kommunesollte es daneben sein, allen Bürgerinnen und Bürgerneine gleiche Teilhabe zu garantieren und das friedlicheMiteinander zu sichern.Ein Ratsbeschluss, der das Integrationskonzept verabschiedet,unterstreicht den politischen Willen und denhohen Stellenwert der Integrationspolitik. Zur Identifika-155


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>tion von Schwachstellen wie auch von Stärken solltensich die einzelnen Ressorts Ziele stecken, die im weiterenProzess messbar sind. Um das Konzept nachhaltig weiterentwickelnzu können, ist eine permanente Analyse,Erfassung und Bestandsaufnahme anhand von Indikatorennotwendig.Wie kann Integrationspolitik den Stellenwert erhalten, densie als eine entscheidende Zukunftsfrage verdient? Integrationspolitikmuss raus aus der Nische! Grundvoraussetzunghierfür ist es, dass die lokalen Entscheidungsträgerden politischen Willen aufbringen, ein Gesamtkonzeptzu erstellen und dieses zu stützen. Ein klares Bekenntnisdes Verwaltungschefs und sein persönlicher Einsatz, insbesondereauch in der Öffentlichkeit, tragen dazu bei, denStellenwert des Themas Integration in der ganzen Kommunezu stärken.Erfolgreiche Konzepte werden von einem breiten politischenKonsens und parteienübergreifender Zusammenarbeitgetragen. Dies sollte sich auch in einer Verankerungdes Themas in der Ausschussstruktur niederschlagen. EinAusländerbeirat allein mit beratendem Charakter wird derEinbindung der Menschen in die politischen Strukturennicht gerecht; die Zuwanderer sollten über ein Vertretungsorganmit eigener Entscheidungskompetenz verfügen.2. Integration als Querschnittsaufgabe verankernWie kann erreicht werden, dass Integrationspolitik nichtauf die Zuständigkeit Einzelner oder einiger weniger beschränktbleibt, sondern als wichtige Aufgabe der gesamtenKommune verankert wird?Die Frage einer verbesserten Integration von Zuwanderernstellt sich in vielen Bereichen, sei es in Schulen,Kindergärten oder Krankenhäusern. Integration ist daherals gesamtstädtische und ressortübergreifende Querschnittsaufgabezu behandeln. Die Verantwortlichkeit fürPlanung und Durchführung liegt in den einzelnen Ressorts,während die Koordinierung zentral zu verankernist.Ob dies in Form einer Stabsstelle beim Verwaltungschefoder einer Stelle für interkulturelle Arbeit im Sozialreferaterfolgt, hängt von der Verfasstheit und auch Gröûeder Kommune ab. Wichtig ist jedoch eine klare Zuständigkeit,die für alle Beteiligten erkennbar ist und die Ressourcenbündelt. Durch die Verankerung als Querschnittsaufgabeentwickelt sich Integration zu einem Faktor, der beiallen Planungen beachtet und einbezogen wird.3. Politische Verbindlichkeit herstellen4. Partizipation sicherstellen undbürgerschaftliches Engagement aktivierenWie können Menschen mit Migrationshintergrund, aberauch Bürgerinnen und Bürger der Aufnahmegesellschaftbesser angesprochen und in den Integrationsprozess einbezogenwerden?Integrationskonzepte wirken erst dann nachhaltig,wenn sie durch eine breite Beteiligung aller erstellt wurden(partizipativer Prozess). Dazu gehört eine systematischeEinbindung von Migrantenselbstorganisationenebenso wie der offene Dialog mit der gesamten Bevölkerung.Vielleicht mehr als alle anderen politischen Aufgabenbedarf die Eingliederung ethnischer Minderheitenin das kommunale Gemeinwesen einer dauerhaften Konsultationund Mitbestimmung aller relevanten Akteure.Besonders auf der Stadtteilebene bieten sich zahlreicheMöglichkeiten, die Bürger aller Herkunft einzubindenund an Entscheidungsprozessen zu beteiligen.Zudem gilt es besonders das bürgerschaftliche Engagementzu fördern und zu stärken. Vor allem in kleinerenKommunen bietet sich dadurch die Möglichkeit, die sozialeIntegration und auch die interkulturelle Kompetenzder Aufnahmegesellschaft zu stärken. Neben der direktenAnsprache der Bürger ± insbesondere derjenigen mitMigrationshintergrund ± für ein projektbezogenes Engagementsollte die Kommune die Selbstorganisation vonZuwanderern klar unterstützen. Als ein erfolgreiches Mittelhat sich die Ausbildung von Bürgern zu Integrationslotsenerwiesen, die direkte Kontakte aufbauen und aufdiese Weise dazu beitragen, Hemmschwellen abzubauen.5. Netzwerke aufbauenWie kann die Zusammenarbeit von Initiativen, Migrantenselbstorganisationen,Wohlfahrtsverbänden, Stadt, Bildungseinrichtungen,Wirtschaft, Kirche und anderen ver-156


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>bessert werden? Wie können Synergien genutzt und Reibungsverlusteverringert werden?Kommunalpolitik und Verwaltung sind aufgefordert,die konzeptionelle und operative Arbeit so zu strukturieren,dass Konsultation und Einbindung aller relevantenAkteure ermöglicht werden. Gerade im Bereich der Integrationist es wichtig, die verschiedenen Maûnahmen zwischenPolitik, Verwaltung, Zuwanderergruppen, freienTrägern und weiteren Institutionen der Zivilgesellschaftabzustimmen und zu koordinieren. Dadurch könnenknappe Ressourcen wesentlich effektiver und nachhaltigereingesetzt werden.Daneben schaffen Netzwerke wertvolle Kommunikationswege,bilden Vertrauen und schlagen Brücken zwischenaufnehmender und zugewanderter Gesellschaft.Für das Netzwerk gilt es eine Arbeitsstruktur zu entwickeln,die langfristig aufgestellt ist und über die reinprojektbezogene Fokussierung hinausgeht. Diese nachhaltigenNetzwerke zeichnen sich z.B. durch die Verabschiedungeiner Geschäftsordnung oder die Einführungvon Konfliktregelungsmechanismen aus. Die Koordinationdes Netzwerkes liegt bei der Kommune.6. Auf Stadtteilebene planen und arbeitenWie kann Integrationspolitik möglichst konkret, nah anden Menschen und bedarfsorientiert entwickelt und umgesetztwerden?Neben dem umfassenden Konzept für die Kommuneals Ganzes gilt es, stadtteilspezifische, adressatenorientierteProgramme zu entwickeln. Der stadtteilbezogeneAnsatz bietet mehrere Vorteile: Er garantiert eine präzisereBestandsaufnahme und Analyse und erlaubt, damitMaûnahmen bedarfsorientiert zu entwickeln und umzusetzen.Der Einsatz von Quartiersmanagern baut Kontakthürdenab und erweist sich besonders in sozialen Brennpunktenals sinnvoll.Die geringen Zugangsbarrieren durch den direktenund persönliche Kontakt sowie die unmittelbare Betroffenheitdurch räumliche Nähe stärken den Willen zurZusammenarbeit aller Akteure im Sozialraum. Diese Motivationentsteht gerade durch die Erfahrung, mit eigenerArbeit zu Verbesserungen und Erfolgen am Lebensortbeitragen zu können. Insbesondere zählen hierzu Handlungs-und Problemfelder wie Wohnumfeldgestaltung, Jugendhilfeund Gewaltprävention.7. Handlungsfelder bearbeiten:Bildung und Sprache, Beschäftigung und DialogWelche Maûnahmen und Angebote sollte die Kommunebereitstellen, um die Integration von Zuwanderern zu verbessern?Kommunen setzen sich in vielen Handlungsfeldernfür die Integration von Zuwanderern ein. Dabei gilt esnicht nur einzelne Bereiche zu fördern, sondern umfassend± den lokalen Bedürfnissen angepasst ± Maûnahmenanzustoûen und aufzusetzen. Einen wichtigen Pfeilerhierfür bildet das bürgerschaftliche Engagement, dasvon den Kommunen in partnerschaftlicher Weise gefördertwerden sollte.Bildung und SpracheBesonders im Vorschulbereich stehen den Kommunenzahlreiche Projektbeispiele zur Verfügung, um die Sprachkompetenzder Zuwanderer zu fördern. Neben den Kin-157


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>dern gilt es, besonders die Eltern stärker in die Spracherziehungeinzubinden, wie es etwa in den »Mama lerntDeutsch«-Programmen erfolgt. Diese Elternarbeit lässtsich in den Schulen fortsetzen. Neben den verpflichtendenIntegrations- und Sprachkursen kann die Kommunedurch zusätzliches Engagement stark zu einer besserenIntegration beitragen. Viele Kommunen beschreiten bereitsdiesen Weg.BeschäftigungNeben Sprache gilt Arbeit als eines der wichtigsten Mittelzur Förderung von Integration. Als Gewährleister undAnbieter von Dienstleistungen sind die Kommunen aufgefordert,aktiv gegen wirtschaftliche Diskriminierungvorzugehen. Hier gilt es zu versuchen, ein kommunalesBeschäftigungsmanagement aufzubauen, in dem alle Beteiligtenzusammenarbeiten. Die Einbindung der Migrantenökonomiespielt eine wichtige Rolle. Darüber hinausgilt es, den Jugendlichen einen möglichst reibungslosenÜbergang von der Schule in eine Ausbildung zu ermöglichen(siehe dazu auch den nachfolgenden Beitrag). Hierfürist ebenfalls eine gute Zusammenarbeit zwischenWirtschaft, Kommune und Betroffenen notwendig.DialogGerade in der heutigen Zeit müssen Kommunen einenoffenen und offensiven interkulturellen und interreligiösenDialog pflegen. Durch eine direkte Ansprache der verschiedenenreligiösen Vereinigungen, besonders der islamischen,und der Förderung des gegenseitigen Austauschskann besonders die Verwaltungsspitze entscheidende Signalefür ein friedliches Miteinander setzen.In ihrer Wirkung für das Integrationsklima nicht zu unterschätzensind neue und innovative Formen der Öffentlichkeitsarbeitund Kommunikation mit den Bürgerinnenund Bürgern. Hierzu gehört es beispielsweise, ebensoüber Erfolge zu berichten wie über Missstände offen zudiskutieren und immer wieder den direkten Kontakt mitden Bürgern zu suchen.8. Arbeitgeber Kommune:die interkulturelle Öffnung der Verwaltung vorantreibenWie können der Zuwandereranteil in der Verwaltung erhöhtund die interkulturelle Kompetenz verstärkt werden?Die derzeitige finanzielle Lage lässt Städten undGemeinden nicht viel Spielraum bei der Personalpolitik.Trotzdem übernehmen Kommunen als Arbeitgeber einewichtige Vorreiterrolle bei der interkulturellen Öffnung.Die notwendige Personalarbeit umfasst beispielsweise,Jugendliche mit Migrationshintergrund gezielt für dieAusbildung zu werben. Zudem müssen Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter ermutigt werden, und ihre interkulturellenKompetenzen sollten mit entsprechenden Fortbildungsangebotengestärkt werden. Diese Maûnahmenwerden optimal flankiert durch die Verabschiedung vonAntidiskriminierungsregelungen für die Kommune.9. Dienstleister Kommune: Zugangsbarrieren abbauenWie kann die Verwaltung gegenüber Zuwanderern kundenfreundlichergestaltet werden?Den Kommunen wird empfohlen, ihre Angebote füralle Bevölkerungsgruppen zugänglich zu machen und Zugangsbarrierenzu beseitigen. Neben dem Abbau sprachlicherBarrieren durch mehrsprachige Flyer, durch Übersetzerund Dolmetscherpools erweist sich auch die direkteKontaktaufnahme im Lebensumfeld der Zuwandererals hilfreich. Besonders die Ausländerbehörden könnenim Rahmen ihrer neuen Aufgaben durch ihr Selbstverständnishin zu einer serviceorientierten Behörde vielzu einer »gefühlten« Integration beitragen. Es hat sichauch gerade in kleineren Kommunen als nützlich erwiesen,zentrale Anlaufstellen einzurichten, in denen verschiedeneArbeitsbereiche zusammengefasst wurden (OneStop Agency).10. Erfolge messen: Evaluation und ControllingWie kann kontrolliert werden, ob die geplanten Maûnahmenumgesetzt wurden und ob die Integrationspolitik Erfolgezeigt?Der Nachweis, ob öffentlich finanzierte Maûnahmenzu Erfolgen führen, gewinnt auch in der Integrationspolitikan Bedeutung. Ein umfassendes, auf Kennzahlen gestütztesBerichtswesen empfiehlt sich besonders in gröûerenKommunen. Indikatoren im Integrationsbereichwerden allgemein skeptisch betrachtet: Zum einen wirddarauf verwiesen, dass qualitative Erfolge nicht immer158


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>quantitativ messbar sind; zum anderen stellt häufig derlange Zeitraum ein Problem dar, der zwischen Maûnahme(z.B. im Kindergarten) und möglichem Erfolg (z.B. beimSchulabschluss) liegt.Dennoch findet sich fast immer ein Indikator, der eineTendenz der Verbesserung oder der Verschlechterunganzeigen kann. Schlüsselindikatoren sind beispielsweiseder Anteil von Schulabgängern ohne Abschluss, differenziertnach Deutschen und Ausländern, die jeweiligeQuote beim Kindergartenbesuch oder die Anzahl vonSprachkursabsolventen. Im Gegensatz zu herkömmlichenBerichten sollte jedoch weniger nach Input (wie viel kosteteine Maûnahme?) oder Output (wie viele Kurse habenstattgefunden?) gefragt werden, sondern nach Outcome,also nach Wirkung und konkreter Verbesserung.Zudem sind nachvollziehbare und überprüfbare Datenauch für Kommunalpolitiker eine wichtige Entscheidungsgrundlage.Projekte und Maûnahmen sollten einerregelmäûigen Evaluation unterzogen werden. Wenn diesmit Beteiligung der betroffenen Bevölkerungsgruppengeschieht, werden die Ergebnisse eher akzeptiert und dieAngebote können bedarfsorientiert weiterentwickelt werden.Die Daten sollten zugänglich sein und regelmäûigveröffentlicht werden.Externe Beratung und wissenschaftliche Begleitungdienen der Nachhaltigkeit und Verifizierung der Arbeit.159


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Regionale Kooperation: Eins und eins macht drei!Kirsten Witte, Frank WeiûenfelsFahrt aufzunehmen. Oft sind es nicht groûe Fehlentscheidungen,sondern kleine Versäumnisse, die einen laufendenProzess zum Scheitern bringen.Erfolgsfaktoren regionaler Kooperation sind meistensfallbezogen und somit individuell sehr unterschiedlich.Es kommt immer auf den Kooperationsgegenstand, diejeweiligen kommunalen und regionalen Strukturdatensowie beispielsweise auch auf die Einbeziehung bestehenderLandes- und Bundesförderungen an.Die Betrachtung funktionierender und vor allem auchnicht funktionierender Kooperationsvorhaben führt zudem Ergebnis, dass trotz individueller Unterschiede eineReihe allgemein übertragbarer und notwendiger Voraussetzungenexistieren. Kooperation verlangt demnach:Wachsende Mobilität von Menschen und Unternehmenverschärft den Wettbewerb der Kommunen um Arbeitsplätzeund Wohnbevölkerung. Der durch den demographischen<strong>Wandel</strong> verursachte Bevölkerungsrückgang, der invielen Regionen durch innerdeutsche Wanderungen verstärktwird, führt zu einer Unterauslastung kommunalerInfrastruktur. Anhaltend hohe Pflichtaufgaben insbesondereim sozialen Bereich engen den finanziellen Handlungsspielraumder Kommunen immer mehr ein.Regionale Kooperation ist in diesem Zusammenhangfür viele Städte und Gemeinden eine Möglichkeit, wennnicht sogar die einzige Chance, sich gegen diese Trendszu behaupten. Gemeinsame Flächenentwicklungsplanung,die gemeinsame Nutzung von Infrastruktur oder auch dieZusammenführung von Entwicklungspotenzialen verbessernund vergröûern den lokalen und regionalen Handlungsspielraum.So weit die Theorie. Jeder kommunale Entscheiderwird jedoch schon festgestellt haben, dass die Praxisungleich komplizierter ist. Natürlich gibt es in der Praxisviele Risiken, die entsprechende Prozesse zum Scheiternbringen können: der Versuch der gegenseitigen Übervorteilung,Misstrauen, fehlende Ressourcen bei der Bearbeitungder angestrebten Agenda. Hier ist in der Tat groûeUmsicht geboten: Ist ein Prozess einmal vor die Wandgefahren, fällt es in der Folge umso schwerer, wiederKommunikationOrientierungOutcomePromotorenEvaluationRechtssicherheitAkteureTransparenzInformationOrganisationNachhaltigkeitOutcome und OrientierungAuch wenn es immer wieder behauptet wird: Der Weg istnicht das Ziel ± auûer vielleicht beim Spazierengehen. Kooperationen,die nicht über kurz oder lang zu einem konkretenErgebnis, einer sichtbaren Verbesserung gegenüberdem Status quo führen, werden langfristig nicht erfolgreichsein, weil sie Ressourcen verbrauchen, ohne Mehrwertzu stiften.Am Anfang eines jeden Kooperationsprozesses mussEinigkeit über die gemeinsamen Ziele erlangt und dieFrage geklärt werden, ob die ins Auge gefassten Kooperationsfeldersich für eine solche interkommunale Zusammenarbeitüberhaupt eignen. Das ist in der Regel dannder Fall, wenn durch eine gemeinsame Nutzung von InfrastrukturenKosten gesenkt oder durch eine Bündelung vonEntwicklungspotenzialen Synergieeffekte entstehen.160


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Die gemeinsame Bereitstellung von InfrastrukturDer demographische <strong>Wandel</strong> bewirkt tendenziell eine Unterauslastungkommunaler Infrastruktur bei gleichzeitiggenerationenabhängiger Nutzungsdifferenzierung. So wirdder Bedarf an Schulen stark sinken, der Bedarf an altengerechtenWohnangeboten jedoch zunächst erst einmalsteigen. Regionale Kooperation kann hier sinnvoll sein,· wenn hohe Fixkostenanteile durch die Kooperation aufmehrere Schultern verteilt werden können (z.B. Betriebvon Hallenbädern, Backoffice/Frontoffice-Lösungenim Dienstleistungsbereich) und/oder· wenn die Kooperation eine Spezialisierung innerhalbder Einrichtungen erlaubt, die durch ArbeitsteilungKosten spart (z.B. Krankenhauskooperationen, abgestimmteFlächennutzungsplanung).Eine realistische Wirtschaftlichkeitsberechnung fördert hieroft groûe Potenziale, manchmal aber auch sehr ernüchterndeErgebnisse zutage. Wenn man sie nicht macht, bewahrtman sich Träume, wird aber meist über kurz oderlang äuûerst unschön geweckt: Die Kosten eines Projektesentstehen am Anfang, die Erlöse flieûen meist erst amEnde ± und manchmal flieûen sie dann eben auch nicht.Die Nutzung gemeinschaftlicher EntwicklungschancenWenn eine Kommune die eigenen Potenziale entwickelnwill, macht es wenig Sinn, nur bis zur eigenen Stadtgrenzezu schauen. Kommunen einer Region müssen aneinem Strang ziehen, z.B. bei· der Planung und Entwicklung von Wohn-, GewerbeundVerkehrsflächen· der Vernetzung der Bildungsangebote vom Kindergärtenüber Hochschulen bis zu den privaten Bildungsträgern· der Entwicklung wirtschaftlicher Potenziale· dem Werben um Unternehmen und ArbeitsplätzeIn dem Umfang, wie der Kooperationserfolg ex ante nurunvollständig definiert werden kann ± und dies wird meistensso sein ±, gewinnt die richtige Prozessgestaltung anBedeutung. Zwar gilt noch immer, dass nicht der Weg dasZiel ist, aber wenn der Weg der falsche ist, wird man dasZiel nicht erreichen.Organisation der KooperationRegionale Kooperation hat per se keinen institutionellenRahmen. Gerade wenn viele Beteiligte mit unterschiedlichstenInteressen mitwirken, ist es wichtig, verlässlicheStrukturen zu schaffen, die die Einzelnen vor bösen Überraschungenund die Gemeinschaft der Kooperierendenvor ziellosen Metadiskussionen schützen.Akteure und PromotorenSelbst ein kluger Kopf stöût selten durch die dicke Wandderer, die er auf seinem Weg vergessen hat mitzunehmen.Gerade in Prozessen, die auf Freiwilligkeit beruhen,steht und fällt der Erfolg mit der richtigen Abgrenzung derrelevanten Akteure. Hat man vergessen, wichtige Beteiligtebzw. Betroffene einzubinden, kann dies genausozum Misserfolg führen wie der Versuch, mit verstecktenAgenden den Prozess zu manipulieren. Man brauchtdaher· charismatische Prozesstreiber, die die Beteiligten fürdas gemeinsame Vorhaben begeistern· die relevanten Entscheidungsträger, das heiût in derRegel die Spitzen von Politik und Verwaltung· neutrale Moderatoren, denen niemand Parteilichkeitunterstellen kann· Fachleute, mit deren Hilfe man die relevanten Problemeerkennen und fachlich lösen kann· Arbeitsbienen, die Spaû daran haben, das operativeGeschäft zu übernehmenLängst ist regionale Kooperation dabei kein Projekt vonPolitik und Verwaltung mehr. Die Einbeziehung oder garProzessführerschaft von Wirtschaft und Bürgerschaftmacht Know-how für den Prozess nutzbar und schafft Akzeptanz.Kommunikation, Information und TransparenzDie Partnerschaft zwischen Kommunen tickt nach denselbenGesetzmäûigkeiten wie die Partnerschaft zwischenMenschen: Ohne Vertrauen geht es nicht! Einer funktionierendenKooperation muss die Erkenntnis vorausgehen,dass eins und eins drei ergibt und nicht zwei oder gar ein-161


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>einhalb: Man erzielt einen Zugewinn durch die faire Behandlungdes Partners und nicht dadurch, dass man einenTeil seiner Kooperationsrendite abzuschöpfen trachtet.Zusammenarbeit setzt daher umfängliche Kommunikationauf Augenhöhe, gegenseitige Information undTransparenz voraus. Nicht zufällig haben Kommune undKommunikation denselben Wortstamm: das lateinischeWort communis (gemeinsam).Rechtssicherheit und VerbindlichkeitJede Kooperation verlangt nach einem adäquaten Rahmen.Die Eignung formeller Ausgestaltungsformen regionalerZusammenarbeit hängt dabei stark von den intendiertenZielen und von den mit der Kooperation verbundenenChancen und Risiken für die Partner ab.Im Rahmen von Arbeitsgruppen und Vereinen könnenPartner sich austauschen, gemeinsame Agenden aufstellenund gleichzeitig ein hohes Maû an Autonomie bewahren.Im Gegenzug ist jedoch auch die Verbindlichkeit derKooperation entsprechend geringer.Privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich institutionalisierteKooperationen ermöglichen in weit höherem Maûe dieAbsicherung von finanziellen Risiken und schaffen Verbindlichkeithinsichtlich Entscheidungs- und Leistungsbeiträgender Beteiligten. Während bei privatrechtlichenKooperationen meist ökonomische Ziele dominieren, wirdbei öffentlich-rechtlichen Kooperationen dem Aspekteiner politisch-demokratischen Entscheidungslegitimationein tendenziell höheres Gewicht beigemessen.Bei regionalen Merger-Prozessen schlieûlich geben dieAkteure ihre Autonomie vollkommen auf und werden ineine übergeordnete Entscheidungsebene integriert.Die Abgrenzung zwischen diesen Kooperationsformenist flieûend. Was als informeller Arbeitskreis beginnt,kann durchaus als Zweckverband enden. Entscheidendist, inwieweit die Partner bereit sind, ihre gemeinsamenHandlungsspielräume zu erhöhen, indem sie die lokalebzw. persönliche Autonomie reduzieren.Evaluation und NachhaltigkeitKooperationsprozesse, die den Beweis ihrer Sinnhaftigkeitschuldig bleiben, werden über kurz oder lang beendetwerden. Die ernsthafte Evaluation und Dokumentationvon Prozessen und Erfolgen ist daher nicht nur eineakademische Frage, sondern kann überlebenswichtig werden.Sie schafft Vertrauen bei den Beteiligten, erhöht dadurchdie Kooperationsbereitschaft und mittelbar auch dieNachhaltigkeit des Prozesses.FazitDas eigentlich Spannende an der regionalen Kooperationist die Tatsache, dass sie noch viel zu selten praktiziertwird. Unter rein wirtschaftlichen Aspekten sind die Vorteileregionaler Kooperation in vielen Bereichen unbestreitbar.Was interkommunale Kooperation so schwierig macht,ist oft nicht das anzuzweifelnde betriebswirtschaftlichePotenzial, sondern die subjektive Angst vor dem Verlustlokaler Autonomie. Dabei merken wir oft gar nicht, dassdiese Autonomie längst zur Schimäre geworden ist: Jemehr wir versuchen, an ihr festzuhalten, desto mehrrinnt sie uns durch die Finger.Die wahre Erosion lokaler Autonomie erwächst ausden wirtschaftlichen Zwängen der Globalisierung unddes demographischen <strong>Wandel</strong>s. Wer lokale Autonomiemittelfristig erhalten will, muss daher nicht nur mit Bürgerschaftund Wirtschaft, sondern auch mit den Nachbarkommunenkooperieren.Praxisbeispiele für regionale Kooperationen siehe unterwww.potsdam-mittelmark.de undwww.tourismusband-elbe.de162


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>»Holt auf jeden Fall die Wirtschaft an Bord!«Interview mit Klaus WurptsGerade die Sicherung ihrer wirtschaftlichen Attraktivitätist für viele Kommunen das A und O, wenn es darumgeht, dem demographischen <strong>Wandel</strong> zu begegnen. Diesgilt umso mehr, als in vielen Kommunen insbesondere imOsten Deutschlands der Bevölkerungsrückgang primärauf Arbeitsmigration zurückzuführen ist. Durch dieseEntwicklungen ist regionale Kooperation notwendigerund aktueller denn je ± auch mit Blick auf die Identifizierungund den Ausbau wirtschaftlicher Potenziale.Immer mehr Unternehmen erkennen ihre ökonomischeund gesellschaftliche Verantwortung, aktiv an der Gestaltungnachhaltiger Strukturen mitzuwirken. Wirtschaftsunternehmensollten deshalb bei regionalen Kooperationenmaûgeblich mitreden können, fordert im folgendenInterview Klaus Wurpts, Geschäftsführer der »Gesellschaftzur Förderung des Regionenmarketing für MitteldeutschlandmbH« mit Sitz in Leipzig.In vielen Kommunen sind die demographischenVeränderungen bereits spürbar. Die Städte und Gemeindensind aufgefordert, maûgeschneiderte Konzepte für denUmgang mit den veränderten Strukturen zu finden unddabei auch ganz konkret die wirtschaftliche Entwicklung inden Fokus zu nehmen. Dabei wird deutlich, dass vielekommunale Probleme nicht mehr durch althergebrachtes»Kirchturmdenken« gelöst werden können, sondern vielstärker in einen regionalen Kontext gestellt werden müssen.Wie kann also eine Erfolg versprechende regionaleKooperation initiiert werden?Die Erfahrung zeigt, dass verwaltungszentrierte Initiativenselten von nachhaltigem Erfolg gekrönt sind. Wirsind eine Initiative, die im Wesentlichen von der Wirtschaftgetragen ist. Das ist auch unser Selbstverständnis.Wir verstehen uns als privatwirtschaftlicher Dienstleisterund stehen damit unter dem Handlungsdruck, unserezunächst abstrakte Zielsetzung, die Region gemeinsamnach vorne zu bringen, mit Inhalt zu füllen.Die Idee für unsere Initiative entstand im Rahmenvon informellen Begegnungen zwischen Unternehmern,am Stammtisch gewissermaûen. Im Anschluss gab eseine charismatische Person, die intensiv herumgereist istund viele andere Akteure für das Projekt begeistern undgewinnen konnte. Unsere Initiative ging damit von derWirtschaft aus. Parallel dazu gab es die Initiative Mitteldeutschlandder Kommunen in Zusammenarbeit mit denKammern und bereits Mitte der 90er Jahre ein groûes EU-Förderprogramm, woraus das Regionalforum Mitteldeutschlandentstanden ist.Solche Programme und kommunalen Initiativen sindwichtig, denn sie senden das Signal aus, dass der politischeWille und das Bewusstsein für Notwendigkeiten dasind. Letztes Endes war es dann aber die Durchschlagskraftder Wirtschaft, die das Regionenmarketing aufgebauthat. Heute sind unter unseren 50 Mitgliedern diestrukturbestimmenden Unternehmen der Region, undunsere Gesellschafter geben uns bis zu 50 000 Euro imJahr. Die kommunalen Mitglieder, sprich: die Städte Leipzig,Halle, Jena und Dessau sind als wichtige Fördermitgliederüber den Aufsichtsrat integriert.Sie sind über eine GmbH und einen Verein organisiert.Welche Strukturen sind Ihrer Ansicht nach wesentlichfür den Erfolg Ihrer Kooperation?Was können die Kommunen für ihre Arbeit übernehmen?Um die institutionalisierte Geschäftsform einer GmbHkommt man aus meiner Sicht nicht herum. Sie ist dieVoraussetzung dafür, finanzielle und personelle Ressourcensowie Know-how zu akquirieren und zielgerichteteinzusetzen. Das ist für uns auch sehr viel einfacher alsfür die Kommune. Zweite Voraussetzung ist, dass dieWirtschaft mit im Boot ist. Ich kann nicht sagen, wie manKommunen dazu bewegt, intensiver zusammenzuarbeiten,ich kann aber sagen: Holt auf jeden Fall die Wirtschaftan Bord, dann bekommt Ihr zusätzlich Zug rein.Darüber hinaus braucht es eine regelmäûige Plattformfür den Austausch, für die Entwicklung von Strategienund die Lösung von Konflikten in den Aushandlungsprozessen.Denn in Bezug auf Ansiedelungen geht es ja auchdarum, vordergründiges Konkurrenzdenken zugunsten vonNachhaltigkeit zurückzustellen. Dazu müssen sich dieLeute kennen ± es muss Vertrauen da sein. Das ist ganzwichtig, und dafür braucht es verlässliche Strukturen, wiewir sie z.B. mit unseren Arbeitsformen gefunden haben.Eine funktionierende regionale Kooperation braucht auchKontinuität. Wie kann gewährleistet werden, dass dieAkteure nicht nur kurzfristig im Sinne schneller undöffentlichkeitswirksamer Erfolge mitwirken, sondern dieBereitschaft zur Kooperation und Mitarbeit auch langfristigaufrechterhalten werden kann?Da spielen aus meiner Sicht vor allem psychologische Faktoreneine Rolle. Wir müssen jedem einzelnen Unterneh-163


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>men das Gefühl vermitteln, etwas Wichtiges zu tun undgleichzeitig seine Marktpräsenz zu erhöhen. Man mussdie Mitglieder in die Projektarbeit einbinden, den persönlichenKontakt suchen und Vertrauen herstellen, kurz: den»common spirit« pflegen. Und immer wieder: Kommunikation,Kommunikation, Kommunikation. Wichtig sinddabei natürlich Erfolgsmeldungen und, um Desinteresseund Ermüdung vorzubeugen, eine zielgruppenspezifischeDosierung von Informationen.Inwieweit sind auch die politischen Akteure eingebunden?Rückenwind hole ich mir von den Oberbürgermeisternim Aufsichtsrat, die ja vor Ort auch ihre politischen Gremieneinbeziehen. Im Aufsichtsrat sitzen auûerdem dieChefs der Landesverwaltungsämter und die Leiter der EU-Regionalforen. In der Projektarbeit wirken darüber hinausdie Wirtschafts- oder Landwirtschaftsministerien mit. Dagibt es wechselnde Akteure. Unsere Organisation ist jaauch nicht als Dachverband zu sehen, sondern als Plattformfür konkrete Aktivitäten.Unser wichtigstes Medium ist dabei der Clusterprozess:Wir haben die Wirtschaftszweige identifiziert, in denen wirregional das gröûte Entwicklungspotenzial sehen, und clusterspezifischeMaûnahmen aufgesetzt, um die Wertschöpfungskettenin diesen Bereichen zu komplettieren und soUnternehmen und Arbeitsplätze zu entwickeln.Wie ist es Ihnen gelungen, Cluster zu identifizieren,und wie konnten Sie darüber einen Konsens erzielen?Der Prozess bestand darin, zunächst die infrage kommendenBranchenzusichten,ineinemzweitenSchrittExpertenaus Forschungseinrichtungen und Universitäten einzubeziehen,weil die ja häufig schon Kontakte und Netzwerkehaben, und dann intensive Gespräche mit den Unternehmenzu führen.Denn Clusterprozess heiût nicht nur, auf die nacktenZahlen zu schauen: Wo haben wir eine hohe Beschäftigungund Exportquote, wo haben wir unsere Traditionenin der Region? Ganz entscheidend ist auch: Wo sind dieUnternehmen, die das wirklich tragen wollen? Wenn wirAkteure in ausreichender Zahl beisammen hatten, konntees losgehen. Dann haben wir umgehend erste Projekteinitiiert, und der erste Erfolg hat Kreise gezogen. Heutebekommen wir täglich E-Mails und Anrufe von Leuten,die sich einbringen möchten.Auf welche Weise man sich einbringt, ob und wie viel Geldman gibt ± geschieht das ganz freiwillig?Und wie sind diese Verhältnisse in den Entscheidungsstrukturenrepräsentiert?In welcher Form und mit wie viel Ressourcen sich die Unternehmeneinbringen, ist absolut freigestellt. Die Clustersind ein Produkt, um das Leitbild des Regionenmarketingszu realisieren. Wir haben dazu eine Clusterstrategieentwickelt, wollen aber, dass sich die Cluster trotzdemauch autonom entwickeln.Jedes Cluster hat dazu sein eigenes Leitbild, aber wirachten auf eine gewisse methodische Symmetrie hinsichtlichOrganisationsstruktur und Arbeitsweise. So könnenund wollen wir durch unsere Koordinierungsfunktionnatürlich die Entwicklung der Cluster entscheidend beeinflussen.Diese stehen zunächst offen für alle Unternehmender Region, manche bleiben das auch, andere werdengeschlossen. Wenn die Teilnehmer der Meinung sind,dass eine kritische Gröûe bzw. eine inhaltlich sinnvolleZusammensetzung erreicht ist, werden Partnerschaftenund Netzwerke nur noch auf Projektebene etabliert.So ein umfangreiches Regionenmarketing ist sehranspruchsvoll. Ist es auf andere Regionen übertragbar?Grundsätzlich ja. Wir haben in Ost-Deutschland aber besondersgünstige Voraussetzungen, denn ich nehme dieAkteure hier durch den wirtschaftlichen und gesellschaftlichenUmwälzungsprozess als noch flexibler, aufge-164


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>schlossener, motivierter und »hungriger« wahr. Weil dieStrukturen noch nicht so eingefahren sind, gibt es hierganz andere, zuweilen unkonventionelle Entwicklungsmöglichkeiten,auch für die Einzelnen und ganz besondersfür junge Leute. Daraus lässt sich übrigens auch fürKooperationen ± egal welcher Art ± ein wichtiger Erfolgsfaktorableiten: Es braucht absolute Offenheit nach innenund auûen, und es darf keine Denkverbote geben.Sinnvollerweise fokussiert eine regionale KooperationThemen, die auch aktiv beeinflusst werden können.Welche Themen bieten sich aus Ihrer wirtschaftspolitischenSicht besonders an?Das sind drei Hauptgebiete: Die intensive Kooperationder Wirtschaft mit der Wissenschaft, das Thema Auûenvermarktungder Region sowie alles, was wir bei uns neuerdingsunter dem Begriff der Nachhaltigkeit zusammenfassen.In unserer Initiative hat seit kurzem ein ganzneuer Themenkomplex Einzug gehalten, der auch konkretdie Folgen des demographischen <strong>Wandel</strong>s betrifft. Sogeht es z.B. um den Fachkräftemangel, der hier durch dieextremen Abwanderungstendenzen noch verschärft wird.Es gibt eine groûe Bereitschaft, sich auf diesem Terrainzu engagieren. Dies nehmen wir als Regionenmarketingauf und wollen gemeinsam mit den Unternehmen aktivwerden.Für uns geht es auch darum, dass junge Leute, die etwazum Studieren aus den alten Bundesländern hierher kommen,hier bleiben, und dazu braucht es nun einmal beruflichePerspektiven. Und die gibt es. Wir haben hier zumTeil enorme Wachstumsraten. Uns geht es darum, als Philosophiezu kommunizieren, was hier möglich ist. UnsereRolle dabei ist, die Akteure zusammenzubringen und denErfahrungsaustausch zu moderieren.Der Vorteil für die Profilierung einer Region über einegemeinsame Auûenwerbung liegt auf der Hand.Wo liegt auûerdem aus Ihrer Sicht der Mehrwert vonregionalen Kooperationen im Hinblick auf diePotenziale einer Region?An unserem Beispiel festgemacht: Wir sind die Initiativeder strukturbestimmenden Unternehmen. Daraus ergibtsich zunächst ein hoher Professionalitätsanspruch, denwir natürlich auch gewährleisten müssen. Das gute Imagewirkt dann auch nach innen. Kurz gesagt: Wenn unsereInitiative zum Beispiel eine Veranstaltung anbietet, dannkommen die Leute auch. Der wirtschaftliche Mehrwertbesteht aus den sehr konkreten Geschäftsbeziehungen,handfesten Kooperationen und den Investitionen undSynergieeffekten, die daraus hervorgehen. Und mit Blickauf den Wettbewerb ist natürlich das schon angesprochenegemeinsame Auûenmarketing ganz zentral. DieRegion mit ihren Unternehmen hat ein klareres Profilbekommen, von dem alle profitieren.Was empfehlen Sie den Kommunen, die sich stärker umdas Thema der regionalen Kooperation kümmern wollen?Was sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren?Sie brauchen zunächst eine charismatische Führungspersönlichkeit,eine gemeinsame Vision, wie wir sie im Leitbildformuliert haben, und ein gutes Konzept, um dasGanze umzusetzen. Zudem brauchen Sie den ständigenDialog über die Weiterentwicklung und Aufrechterhaltungdes Leitbildes, finanzielle und personelle Ressourcen,»quick wins« und immer wieder auch »groûes Kino«,wenn Sie die Akteure mitreiûen wollen.Sie müssen ständig nach innen und auûen kommunizieren,und sie brauchen einen langen Atem. Das giltauch für unsere Mitglieder, wenn sie daran mitwirkenwollen, unsere Vision zu verwirklichen: Unsere Regionsoll 2010 zu einer der am dynamischsten wachsenden inEuropa gehören.Den Kommunen kann ich aufgrund meiner Erfahrungenvor allem eines raten: Es sollten immer die Kommunenzusammenarbeiten, die sich als gemeinsame Wirtschaftsräumeidentifizieren lassen ± geografisch, nachWirtschaftskreisläufen oder als Kooperative in der Forschung.Zum Beispiel ist unsere Region, das zeigt schonder Blick auf die Landkarte, geografisch völlig »natürlich«gewachsen.Ich kann sagen, dass regionale Kooperation dannbesonders erfolgreich ist, wenn die beteiligte Wirtschaftgewissermaûen die Geografie der Kommunen mit abbildet.Diese richtige Gröûe muss man finden, die Wirtschaftmit ins Boot holen, ein festes Gremium etablieren ± unddann ist der Grundstein für den Erfolg gelegt.Das Interview führtenCarsten Groûe Starmann, Kirsten Witte und Beate Rammam 8. Dezember 2005 in Leipzig.165


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Von der goldenen Ehrennadel zum Multi-Stakeholder-ManagementBürgerengagement als strategische Ressource gestaltenAndreas OsnerDie Bürgerschaft:Akteure, Zielgruppen, MultiplikatorenBürgerbeteiligung und bürgerschaftliches Engagementprofessionell zu fördern und zu orientieren ist eine Querschnittsaufgabe,die in der nachhaltigen Kommunalentwicklungunverzichtbar geworden ist. Umso mehr solltediese Strategie in Zeiten des demographischen <strong>Wandel</strong>seingesetzt werden, um die begrenzten staatlichen Ressourcenmit den oft noch brachliegenden privaten Ressourcenzu multiplizieren. 1In nahezu allen Publikationen zum demographischen<strong>Wandel</strong> wird gefordert, die Bürgerinnen und Bürger indie Planungen und bei infrastrukturellen Umgestaltungeneinzubeziehen und ein kooperatives Stadtentwicklungsmanagementzu betreiben, das auch Finanzentscheidungenin die Bürgerschaft rückkoppelt.Weil Partizipation und Freiwilligenarbeit in der Umsetzungfachlicher Strategien so wichtig, aber auch unübersichtlichsind, soll in diesem Beitrag systematisch herausgestelltwerden, warum bürgerschaftliches Engagementnicht der »billige Jakob« des reduzierten Wohlfahrtsstaatesoder eine Hilfsfunktion im Prozess der Haushaltskonsolidierungist, sondern ein zentraler strategischer Hebelfür die Nachhaltigkeit, Qualitätssteigerung und Ressourcenaktivierungbei der Gestaltung des demographischen<strong>Wandel</strong>s.1 Dieser Beitrag ist die gekürzte Fassung des gleichnamigen Artikels,der im Online-Portal des »<strong>Wegweiser</strong>s <strong>Demographischer</strong> <strong>Wandel</strong>«als Download bereitsteht unter www.aktion2050.de/wegweiser/handlungskonz/konzepte/jsp/konzepte.jsp.Versetzen wir uns zwanzig Jahre zurück: Wenn der Bürgermeisterin der jährlichen Belobigung verdienten Honoratiorendie goldene Ehrennadel der Stadt ansteckte, wardas schön, denn es kam ein nettes Pressefoto dabeiheraus und der Profilierung des einen und dem Narzissmusdes anderen war damit gedient. Was jedoch bei diesenherkömmlichen Formen der Anerkennung fehlt, istein Konzept, das systematisch darlegt, warum welcheAkteure für das Gemeinwesen wichtig sind und in welchenProjekten auf welche Weise die Stadt mit ihnengezielt kooperieren kann.In einem modernen Verständnis von good governanceist mit »der Bürger« nicht mehr nur die Frau aus dergehobenen Mittelschicht oder der einzelne vom kommunalenGeschehen Betroffene gemeint. Auch der etwasabgegriffene Begriff »Kunde« drückt nur einen Teil derRealität aus. Im heutigen Jargon spricht man von Akteuren,Zielgruppen oder Multiplikatoren, womit auch institutionelleAkteure gemeint sein können.Will man bürgerschaftliches Engagement systematischstärken, ist es notwendig, den gesamten privaten Sektornach relevanten Akteuren abzusuchen: in den Vereinenund Initiativen genauso wie in den Kirchen und Glaubensgemeinschaften,in den Organisationen des Dritten Sektorswie auch in den Verbänden und Unternehmen. Diese sindzwar immer durch Personen repräsentiert, doch hinsichtlichihrer Potenziale geht es eben auch um die Organisationund ihre darin versammelten Ressourcen.Dies ist kein Plädoyer für neue Formen des Lobbyismus.Die Addition von organisierten Einzelinteressen ergibtbekanntlich noch kein Gemeinwohl. Auch ist bekannt,dass das Engagement der Menschen in traditionellen Organisationentendenziell abnimmt, während projektbezogeneso genannte »unkonventionelle« Partizipationsformen,etwa in Initiativen, zunehmen. Dennoch sind Funktionärevon Vereinen und Verbänden wichtige Multiplikatoren,da sie immer noch ein beträchtliches Potenzial an aktivenMenschen hinter sich vereinen. Dies ist gerade im ländlichenRaum relevant ± dort, wo die demographischen Veränderungengroûen Handlungsbedarf erzeugen.Also: »Die Bürgerschaft« ist zwar auch, aber nicht ausschlieûlichals Aggregat von Anwohnern oder Privatpersonenzu verstehen, sondern die Bürgerschaft ist organi-166


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Dialogverfahren mit betroffenen Bürgerinnen und Bürgernmünden oft in bürgerschaftliches Engagement, wenn siebeispielsweise im Rahmen einer Schlieûungsdiskussionzur Überzeugung gelangen, eine städtische Einrichtung,etwa die Bücherei oder das Bad, durch Eigenarbeit erhaltenzu können. Umgekehrt ist bürgerschaftliches Engagementauf die Konsultation der aktiven Bürger durch diePolitik angewiesen, wenn es auf Dauer tragfähig, koordiniertund handlungsfähig sein soll. Fangen wir mit derKonsultation an: Welche Chancen bietet sie für das Gemeinwesen,aber auch für die Politik?1. Kommunen qualifizieren ihre Investitionsplanungen undrichten sie zielorientiert aussiert. Hilfreich ist daher ± leider steht im Deutschen keinvergleichbar gutes Wort zur Verfügung ± der Begriff Stakeholder,denn er kanalisiert die Suche der kommunalpolitischVerantwortlichen nach interessanten Partnern durchdrei Fragen:· Wer ist interner oder externer Partner eines Projektes?· Wer ist am Aufbau eines Projektes und an seinemErfolg interessiert?· Wer ist in der Lage und hat die Möglichkeiten, aufden Ausgang des Projektes Einfluss zu nehmen?Relevante Akteure, die aus unterschiedlichen Motiven aneinem gemeinwohlorientierten Projekt mitwirken möchten,bilden eine Art Verantwortungsgemeinschaft. Ziel derpolitischen Entscheider muss folglich sein, aus bestehendenVerantwortungsgemeinschaften handlungsfähige Verantwortungspartnerschaftenzu schmieden, die sich umden Erhalt gefährdeter öffentlicher Leistungen oder umden Ausbau dringend benötigter Infrastruktur kümmern.Fünf gute Gründe für mehrDialog und KooperationDie bekannten Planungskatastrophen, in denen man ausrein fachlicher, monodisziplinärer Sicht konsequent ander Bevölkerung vorbeigeplant hat, sind unter anderemdadurch entstanden, dass die öffentlichen Entscheidungsträgerauf eine wichtige Informationsquelle verzichtethaben: das Erfahrungs- und Anwenderwissen der Bürgerinnenund Bürger. Fachspezifisches Wissen aus derVerwaltung und Laienwissen betroffener Anwohner sindwie Phosphor und Stickstoff beim Dünger: Die Partizipationsstrategieist die Rezeptur, die beide Elemente im richtigenVerhältnis zusammenbringt. Das Erfahrungswissender Bewohner im Stadtteil, der Pendler im ÖPNV, derSachverstand der Eltern und der Alten sind bei der Planungstädtischer Infrastruktur unverzichtbar, um nachhaltigeLösungen zu erzielen.Besonders relevant wird die Konsultation in schrumpfendenRegionen (nicht nur in Ost-Deutschland), in denenEinschnitte in die Substanz unvermeidbar erscheinen.Beim Rückbau von Siedlungen, bei der Umnutzung vonGebäuden oder bei der Konsolidierung des unterausgelastetenÖPNV geht es nicht ohne das Wissen um die Bedürfnisseder Bewohner, der Wirtschaft und der Immobilieneigentümer,um aus dem Möglichen ein maximales Maûan Funktionalität und Attraktivität aufrechtzuerhalten. Insämtliche fachlichen Infrastrukturbedarfsplanungen ±von der Schulentwicklung bis zur leitungsgebundenenInfrastruktur ± müssen die Stakeholder eingebunden werden,um Fehlplanungen zu vermeiden.2. Politiker sensibilisieren ihre Bürger undschaffen Akzeptanz für EntscheidungenNeben der Konsultation im Rahmen einer Analysephasegeht es in einer Phase von »Agenda Setting« und Zielfin-167


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Menschen an sich binden möchten. Auch z.B. Universitätsstädte,die mit einem groûen Anteil an Studierendendurch eine höhere Fluktuation gekennzeichnet sind,haben groûe Chancen, durch zielgruppengerechte Partizipationsangeboteund Identitätsbildung interessante Bevölkerungsgruppen(high potentials) an sich zu binden.dung auch um eine gesellschaftliche Diskussion der Zukunftsleitbilderund Langfristziele für die Region. SolcheLeitbilder müssen realistisch sein und gleichzeitig motivierendwirken. Sie müssen einfach formuliert und anschaulichsein, Orientierung geben und Konsens stiften.Damit bilden sie eine Art mittelfristige Vertragsgrundlagezwischen Verwaltung, Politik und Privaten. Der aus demdemographischen <strong>Wandel</strong> entstehende Diskussions- undKlärungsbedarf zur Formulierung von Zielvorstellungenmuss in die Planungsprozesse eingebunden werden.Weil gemeinsam gesuchte Lösungen in der Regel bessersind als einsame Verwaltungsentscheidungen, steigtdie Wahrscheinlichkeit, dass Bürgerinnen und Bürgerauch Angebotsreduzierungen (z.B. Rückbaumaûnahmenoder Umnutzungen) eher akzeptieren und dass neue, ungewohnteDienstleistungen besser genutzt werden. Akzeptanzwächst auch dadurch, dass sich die Beteiligten mitden Lösungen eher identifizieren, da sie ernst genommenund in den Entscheidungsprozess eingebunden wurden.3. Regionen bauen Identifikation aufBürgerbeteiligung ist Ausdruck von Identifikation derMenschen mit ihrem Ort, mit ihrer Region. Sie schafftaber auch Identifikation. Regelmäûige Konsultation, gutorganisiert und von der Politik ernsthaft als Wissensgeneratorgenutzt, baut Parteienverdrossenheit ab. Bürger,die durch die Politik und mit der Politik im Dialog sind,haben mehr Wissen über die demokratischen Institutionenund damit auch Verständnis für getroffene Entscheidungen.Als ein wirksamer Dableib-Grund für Anwohnergilt ± neben dem Arbeitsplatzangebot ± die Identifikationmit ihrem Gemeinwesen. Der soziale Zusammenhalt unddie demokratische Teilhabe sind wesentliche Faktoren,die die Lebensqualität in der Region bestimmen.Dies ist nicht nur aus dem Blickwinkel schrumpfenderStädte von Relevanz, die jüngere und gut qualifizierte4. Vereinte Kräfte multiplizieren die WirkungNeben der reinen Konsultation besteht die Möglichkeit derKooperation mit Privaten. Dadurch entsteht ein besondererMehrwert, weil Akteure durch eigenverantwortliche Selbsthilfekonkrete Beiträge zur Produktion öffentlicher Güterleisten. Gefährdete Angebote der Daseinsvorsorge könnenso aufrechterhalten oder bestehende Angebote ausgebautwerden.Die Verknüpfung von staatlichen Aktivitäten mit privatemEngagement bewirkt keine Addition von Ressourcen,sondern ihre Multiplikation. Unsere lokalen Gesellschaftensind schlummernde Riesen, die von ihrer Verwaltungund Politik zu oft noch unerkannt schlafen gelassen werden.Es wäre ein enormer Gewinn an Lebensqualität, aberauch Leistungsfähigkeit unserer Demokratie, wenn diepolitische Steuerung, Verwaltung und die lokalen gesellschaftlichenGruppen ein partnerschaftliches, koordiniertesArbeitsverhältnis bilden würden.Der notwendige administrative Support sollte Folgendesumfassen: Koordination (verwaltungsinterne Stabsstelle),Vernetzung (Stadtteilforen, Webseite), Ausbildung(Freiwilligenakademie), Räume und Infrastruktur (Freiwilligenagentur,Ehrenamtsbörse, Bürgerhaus). Multiplikationim übertragenen Sinne meint:· Von staatlicher Seite müssen Hilfestellungen nur einmalgut organisiert sein, um das enorme Potenzialmehrerer engagierter Gruppen mit ihrer Motivation,Kreativität und Handlungsenergie sinnvoll zu begleitenund zu coachen.· Vereine und Initiativen wirken ihrerseits wiederumwie Multiplikatoren in ihre Dialoggruppen hinein undkönnen weiteres Mitmachpotenzial erschlieûen.· Die Vernetzung mehrerer in ähnlichen Feldern aktiverGruppen kann zu einer besseren Abstimmunguntereinander führen. So wird Doppelarbeit vermieden,werden blinde Flecken eher abgedeckt und dieRessourcen der Beteiligten geschont.168


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>5. Kommunen investieren in ihr SozialkapitalKönnen sich die Gemeinwesen, die unter finanziellen Krisen,Bevölkerungsentleerung oder sozialer Segregation leiden,den Luxus aufwändiger Beteiligungs- und Partnerschaftsmodelleüberhaupt erlauben? Sie müssen es sogar.Städte mit einer aktiven Förderpolitik bauen mit der Zeiteinen Kapitalstock auf, der sich »social capital« nennt.Dieser wirkt jenseits der Buchhaltung, er steht in keinemHaushalt. Trotzdem besteht die Dividende aus stetigenRückflüssen: Private leisten Inputs in die Produktionöffentlicher Güter und Dienstleistungen. Das können z.B.spezielles Wissen, Arbeitszeit und Energie, schlieûlichauch gestiftetes Geld sein. Das alles ist ökonomisch gesehenhochgradig sinnvoll.Nicht zuletzt geht es aber auch um den Aufbau deswichtigsten Kapitals der Demokratie: das Vertrauen, dasdie Politik so schmerzlich vermisst. So wie Unternehmenauf ihre Unternehmenskultur setzen, müssen auch lokaleGesellschaften in ihr demokratisches Kapital investieren.Je gröûer die Identifikation der Menschen mit ihrem Gemeinwesenist, umso eher können Solidarität und Eigenverantwortungwachsen, umso gröûer ist auch der Sinnfür das Politische in unserer Gesellschaft.Die gezielte und strukturierte Förderung verschiedensterFormen bürgerschaftlichen Engagements ist alsoals rentierliche Investition zu verstehen: in die dauerhafteLeistungsfähigkeit öffentlicher Infrastruktur, in dieBestandsfähigkeit kleinräumiger Gesellschaften und indie Handlungsfähigkeit der lokalen Demokratie.Drei Empfehlungen, Engagement zu fördernRessourcenorientierte Verantwortungspartnerschaften anstrebenWer mit relevanten Akteuren zusammenarbeiten undden »schlafenden Riesen« wecken will, muss sich vomklassischen Zuständigkeitsdenken verabschieden. Dasgilt sowohl verwaltungsintern als auch nach auûen.Schlieûlich ist nicht nur die Kommunalverwaltung deralleinig mächtige Akteur, sondern es gibt darüber hinausden Landkreis, obere und untere staatliche Behörden, eindichtes Netz freier Träger und schlieûlich viele einfacheMenschen, die möglicherweise alle in einem Thema dieRolle der Stakeholder übernehmen.Die Kommune und der private Sektor verfügen überRessourcenprofile, die sich hervorragend ergänzen könnten.Sie sind ± ohne Anspruch auf Vollständigkeit ± inder folgenden Tabelle aufgeführt.Ressourcen von Politik und VerwaltungPlanungshoheit (Flächennutzung, Bebauung)Mehrheiten/GrundkonsensZuwendungen/Genehmigungen/ErlaubnisseGrundstücke/ImmobilienRäume/Büro-InfrastrukturPolitische Netzwerke/KontakteWissen über Institutionen, Recht und VerfahrensfragenGlaubwürdigkeit/Öffentliche AnerkennungRessourcen der BürgerschaftArbeitszeit (aktive Senioren, Studierende, Arbeitslose)Geld (wachsende Privatvermögen)Erfahrungswissen/NutzerkenntnisseMacht/MeinungsbildungPersönlichkeiten/ReputationStimmenpotenzialIntrinsische Motivation/EnergieUnvoreingenommenheit/KreativitätAndererseits verharren zu viele routinierte Verwaltungenin ihren Ressort-Silos, schuften wohlmeinende Einzelkämpferin den Fachabteilungen vor sich hin. Währendhoch motivierte Bürger und Vereine parallel an den gleichenThemen arbeiten, zerreiben sich Fachpolitiker inden für alles zuständigen, aber für nichts verantwortlichenFachausschüssen zwischen Einzelaspekten. Zudemwissen die meisten Akteure zu wenig übereinander oderhaben furchtbare Fremdbilder voneinander, weil sie niekonstruktiv ins Gespräch gekommen sind.Brachliegende Synergien aufspüren undkommunikativ verbindenIn manchen Kommunen sind überkommene Strukturenund Denkweisen regelrechte Synergieverhinderer: Einefachlich versäulte Dezernatsorganisation und wenig inte-169


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>grativ denkende Führungskräfte sind mit verantwortlichdafür, dass viele Möglichkeiten, öffentliche Leistungenbei knappen Finanzen zu retten, gar neue Dienstleistungenanzubieten oder das soziale Zusammenleben zu bereichern,nicht realisiert werden. Solche Strukturen minderndie Fähigkeiten der Verantwortlichen, sich in andere Sichtweisenhineinzudenken und Bedarfe wie Potenziale zuerkennen. Leider wird daher oft noch in beiden Sektoren,öffentlicher Verwaltung und Bürgergesellschaft, zu vielnebeneinander hergearbeitet.Den schlafenden Riesen »Bürgergesellschaft« zu weckenbedeutet, ihm zu helfen, dass nach dem Erwachen(Sensibilisierung, Auftaktveranstaltung oder direkter Ansprache)seine einzelnen Gliedmaûen koordiniert miteinanderarbeiten können. Auch sollten diejenigen, dieihn wecken, zunächst eine Sprache finden, die beide verstehen.Bei gezielten Einzelinterviews mit Vereinsvertretern,runden Tischen mit betroffenen Akteuren und Expertenhearingswerden viele Informationen gewonnen,wird Eis gebrochen und ein gemeinsames Verständnis entwickelt.Das fängt an mit der Sprache, wird in einer Leitbild-oder Zieldiskussion konkret und mit Kooperationsvereinbarungenproduktiv.werden. So müssen die mit der Kooperation erhofften Einsparungenauf den Tisch. Unbestritten ist, dass bürgerschaftlichesEngagement nicht im Sinne einer weichenPrivatisierung als schnelles Mittel zur Haushaltskonsolidierungmissbraucht werden darf. Andererseits gehört eszur Ehrlichkeit gegenüber dem bürgerschaftlichen Partner,dass die Kommune auf ihn Verantwortung überträgt.Das kann bis zur Finanzverantwortung gehen ± was imBereich der Wohlfahrtspflege ohnehin schon längst derFall ist.Andererseits sollten keine übertriebenen Erwartungengeweckt werden. Privates Engagement kann nicht der Ersatzvon öffentlicher Daseinsvorsorge sein, sondern immernur ihre Ergänzung. Umsichtiges Erwartungsmanagementist auch der partizipativen Stadtentwicklungs- und Infrastrukturplanunghilfreich: Bürgermeinung, geäuûerte Präferenzenund Bedürfnisse sind kein Ersatz für das demokratischlegitimierte Votum. Planungszellen und RundeTische setzen sich nicht über den Ratsbeschluss hinweg.Auch dies muss in allen Partizipationsprojekten vorabvermittelt werden, sonst kommt es zu Glaubwürdigkeitsverlusten,und Bürger wenden sich enttäuscht ab.Motivationen wahrnehmen undeigene Erwartungen klar kommunizierenPartnerschaft auf Augenhöhe bedeutet zum einen, dieBeteiligten »da abzuholen, wo sie stehen«, das heiût,ihnen sinnstiftende Kooperationen anzubieten. Beide Seiten,Kommune und privater Akteur, müssen auf Dauerihren Nutzen davontragen. Gleichzeitig sollten auch dieErwartungen seitens der Kommune ehrlich vermitteltFallbeispiele und LernerfahrungenEine Partizipationsstrategie zur Gestaltung des demographischen<strong>Wandel</strong>s bezieht sich auf viele verschiedenefachpolitische Handlungsfelder. Die Jugend- und Familienpolitikspielt hier eine ebenso wichtige Rolle wie dasehrenamtliche Engagement der Senioren. Im folgendenAbschnitt wird die Bedeutung dieser beiden Themenfelderexemplarisch beleuchtet.170


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Kinder und Jugendliche beteiligen:Engagement nachhaltig fördern!Beteiligung, Mitwirkung und Mitbestimmung von jungenMenschen sind wichtige Hebel, um individuelle und gesellschaftlicheEntwicklungsprozesse positiv zu beeinflussen.Partizipation schafft nicht nur Bildungschancen für die Einzelnen,sondern unterstützt auch gesellschaftliche Integrationsprozesseund fördert die Ausbildung demokratischerWertorientierungen. Auch der Weg zu mehr Kinderfreundlichkeitwird ohne die Beteiligung von Kindern und Jugendlichenschwerlich zum Ziel führen. Denn die Anforderungenjunger Menschen an ihr Umfeld können Verwaltungund Politik alleine nur unzutreffend erkennen und erfüllen.Wie aber können die Beteiligung und das Engagementjunger Menschen wirksam gefördert werden? Die BertelsmannStiftung greift diese Frage im Projekt »mitWirkung!«auf, einer bundesweiten Initiative zur Stärkungder Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Im Rahmender bisher umfassendsten empirischen Untersuchungzur Kinder- und Jugendpartizipation (www.mitwirkung.net) wurden sieben Faktoren identifiziert, die die Beteiligungvon Kindern und Jugendlichen im kommunalenGemeinwesen stärken. Demnach hängt die Mitwirkungder jungen Menschen wesentlich von positiven Partizipationserfahrungenin Schule, Verein und Kommune ab.Auûerdem sind ihr Informationsstand über die lokalenBeteiligungsangebote sowie ihr Zutrauen in die eigenenKompetenzen ausschlaggebend für ihre Mitsprache. Einengagierter Freundeskreis sowie der eigene Wunsch,etwas verändern zu wollen, motivieren darüber hinaus,sich schon früh für das Gemeinwesen einzusetzen.Die Bertelsmann Stiftung nimmt die Ergebnisse derStudie zum Anlass, in den nächsten zwei Jahren gemeinsammit den Städten Essen, Leipzig und Saalfeld neueWege für die Partizipation von Kindern und Jugendlichenzu entwickeln. Dabei wird vor allem auf die Qualifizierungund Begleitung der lokalen Akteure gesetzt. In allendrei Städten werden Prozessmoderatoren für Kinder- undJugendbeteiligung ausgebildet. Durch das Angebot regelmäûigerTrainings in Schulen und Jugendeinrichtungenwird auûerdem die Partizipationskompetenz der jungenMenschen gezielt aufgebaut und gestärkt. Parallel dazufördert die Bertelsmann Stiftung den interkommunalenAustausch und die Vernetzung der Kommunalpolitik durchgemeinsame Fachveranstaltungen und Foren.Aktive Senioren: Potenziale des Alters nutzen!Eine seniorengerechte Weiterentwicklung unseres Gemeinwesensmuss heute zwei Anforderungen gerecht werden:Auf dem Gebiet der Medizin, der Pflege, des Wohnensund der Bauplanung bedarf es noch vieler innovativerund seniorengerechter Ansätze, um den Anforderungendes Alterns in Würde zukünftig gerecht zu werden. Zudemsind die Potenziale der älteren Menschen für diesoziale und ökonomische Weiterentwicklung der Kommunegenau in den Blick zu nehmen. Dies gibt Anlass,sich über den intergenerativen Austausch und die Rollevon Geben und Nehmen in unserer Gesellschaft völligneu Gedanken zu machen.Denn für eine wachsende Zahl von Menschen bedeutetdie Alterung zunächst mehr aktive und gesundeLebenszeit. Anders gewendet: Wir werden weniger, älterund fitter! Gleichzeitig sind viele ältere Menschen auf derSuche, ihre private Zeit sinnvoll zu füllen und sich zu verwirklichen.Für die kommunale Entwicklung ist es einkritischer, aber auch vielversprechender Erfolgsfaktor,wenn Senioren sich in ganz vielen gesellschaftlichen Bereichenaktiv einmischen.Auch hier gilt das erste der drei Grundprinzipien derEngagementförderung: Ressourcenorientierte Verantwortungspartnerschaftensollten nicht nur zwischen staatlichemund privatem Sektor gebildet werden, sondernauch innerhalb der Gesellschaft, zwischen den verschiedenenGruppen. Auch hier kann man unterschiedlichePotenziale so miteinander verknüpfen, dass dabei etwasSinnvolles für beide Seiten herauskommt. In der Regelwird hierdurch zudem ein gesellschaftlicher Mehrwerterzielt, der über die bilaterale Beziehung der beidenAkteure hinausgeht. Also: Alt hilft Jung ± Jung hilft Alt!Inländer hilft Ausländer ± Ausländer hilft Inländer!Senioren helfen Menschen mit Behinderung ± Menschenmit Behinderung helfen anderen Gruppen!Die Rolle der Kommune liegt hier vor allem in der Vernetzungbereits bestehender Initiativen, als Bereitstellerfunktioneller öffentlicher Räume, seniorengerechter Informationenund auch als so genannter »Engagement-Scout«. Wo einzelne Gruppen nicht den Überblick haben,wo Interesse besteht, sich zu engagieren, aber der nötigeZündfunke fehlt, kann das Seniorenbüro oder die aktivierendeBefragung Hilfestellung leisten, soziale Schätzeheben und Initiativen coachen.171


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>AusblickFreiwilliges bürgerschaftliches Engagement ist nicht derbillige Jakob des Wohlfahrtstaates. Dies gilt besondersunter dem Aspekt des demographischen <strong>Wandel</strong>s undspeziell der wachsenden Zahl älterer Menschen in unserenStädten. Wer ehrenamtliches Engagement auf dieFunktion der Kostenentlastung öffentlicher Haushaltereduziert, verkennt dessen besondere zwischenmenschliche,ideelle und soziale Qualität und erzeugt ein völligfalsches Konfliktverhältnis zwischen ehrenamtlich undbezahlt Tätigen und ihren Interessenvertretungen. Derdemographische <strong>Wandel</strong> ist eine groûe Chance für bürgerschaftlichesEngagement: Für seine Förderung undForderung gibt es zwar keine Patentrezepte, wohl aberviele Anregungen und Hilfen.172


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>BürgerstiftungenPeter WalkenhorstBürgerstiftungen sind eine junge und attraktive Formbürgerschaftlichen Engagements, von der eine Signalwirkungin die Gesellschaft ausgeht. Sie bieten Bürgerinnenund Bürgern die Möglichkeit, auch mit kleineren Beträgenphilanthropisch tätig zu werden und so einen persönlichenBeitrag zur Verbesserung der Lebensqualität vorOrt zu leisten.Als Stiftungen »von Bürgern für Bürger« sind sie wirksameKatalysatoren zivilgesellschaftlichen Engagements.Aufgrund ihrer finanziellen und politischen Unabhängigkeitsind sie wie kaum eine andere Institution in der Lage,vielfältige gemeinnützige Aktivitäten auf lokaler oder regionalerEbene zu fördern.Das Ziel einer Bürgerstiftung ist es, Bürgerinnen undBürgern sowie Unternehmen (Corporate Citizens) zu ermöglichen,ihre spezifischen Beiträge zum Gemeinwohlunter einem gemeinsamen Dach zu verfolgen. Der langfristigeAufbau des Stiftungsvermögens durch Zustiftungensichert die finanzielle Unabhängigkeit und gewährleistetdie Kontinuität der Arbeit.Mit den Erträgen des Vermögens fördert oder initiiertdie Bürgerstiftung eine Vielzahl unterschiedlicher Projekte.Sie versteht sich als Initiatorin, Koordinatorin und Katalysatoringemeinnütziger Aktivitäten in ihrer Gemeinde,Stadt oder Region. Darüber hinaus mobilisiert und koordiniertsie nicht nur finanzielle Mittel, sondern schafftund fördert neue Möglichkeiten für bürgerschaftlichesEngagement. Die Bürgerstiftung bietet den Bürgerinnenund Bürgern eine Möglichkeit, sich nicht nur mit Geld,sondern auch mit Zeit und Ideen für das Gemeinwohl zuengagieren.Weitere Informationen zur Gründung und Organisationerhalten Sie unter www.buergerstiftungen.de.173


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Demographie und wirtschaftliche EntwicklungArno Brandt, Ulf-Birger Franz, Janin WiejaZwischen der Bevölkerungs- und der Wirtschaftsentwicklungeiner Region bestehen erhebliche Wechselwirkungen.Regionen mit starkem Wachstum sind besser in derLage, qualifizierte Menschen an sich zu binden als Regionen,die von Bevölkerungsverlusten und Alterung überdurchschnittlichbetroffen sind. Insbesondere jüngere undqualifizierte Arbeitskräfte verlassen ihre Region, wennberufliche Perspektiven fehlen. Da es sich bei ihnen umdie künftige Elterngeneration handelt, sinken in der Folgedort auch die Geburten. So schrumpft und altert die Bevölkerungin wachstumsschwachen Regionen überdurchschnittlichgegenüber der in Regionen mit hoher wirtschaftlicherDynamik.Die Bindung qualifizierter Fachkräfte an eine Regionwird in Zukunft immer stärker zu einem Erfolgsfaktor fürdie wirtschaftliche Entwicklung werden. Bei zunehmendemFachkräftemangel könnten fehlende qualifizierteArbeitskräfte für viele Kommunen zu einem bedeutendenStandortnachteil werden und Betriebe dadurch in ihrerExistenz gefährden. Auch das Potenzial für Betriebsnachfolgenund Existenzgründungen hängt stark von der Bindungskraftfür junge Menschen ab.Darüber hinaus sind Regionen gefordert, ihr Arbeitskräftepotenzialbesser auszuschöpfen, indem sie die Erwerbstätigkeitvon Frauen fördern, insbesondere den Wiedereinstiegnach einer Familienphase, indem sie die ZahlJugendlicher ohne Schulabschluss und Berufsausbildungverringern sowie die Fähigkeiten älterer Menschen stärkerwürdigen und einbeziehen. In den nächsten Jahrenwerden die erwerbsfähige Bevölkerung und damit auchdie Belegschaften in den Unternehmen altern. Eine ältereBelegschaft muss jedoch keineswegs weniger innovativoder leistungsstark sein als eine jüngere: Vieles hängtdavon ab, ob das Erfahrungswissen ¾lterer produktivgenutzt wird.Weniger Einwohner bedeuten in einzelnen Regionenweniger Kaufkraft. Insbesondere lokal ausgerichtete Wirtschaftsbranchenund Betriebe, wie Einzelhandel, Gastronomieoder lokale Kreditinstitute, verlieren durch die Abwanderungpotenzielle Kundschaft. Die Nachfrage nachImmobilien sinkt in Regionen mit negativer Bevölkerungsentwicklungtendenziell, was zu Wertverlusten undLeerständen führen kann. Ein solcher Kreislauf ist heutebereits in Teilen Ost-Deutschlands, aber auch einigenRegionen in West-Deutschland (z.B. im Ruhrgebiet) zubeobachten. Er kann zu einer wirtschaftlichen Abwärtsspiraleführen und das Standortimage einer Region negativprägen.Regionen haben jedoch eine Reihe von Handlungsmöglichkeiten,um die Auswirkungen der zukünftigen Bevölkerungsentwicklungauf die wirtschaftliche Dynamikabzumildern sowie lokale Betriebe und Wirtschaftszweigein ihrer Entwicklung zu unterstützen (NORD/LB 2004).Die Problemlagen, Handlungsmöglichkeiten und Ressourcenfür eine erfolgreiche Bewältigung dieser Aufgabe sindallerdings recht unterschiedlich: Während dynamischeBallungszentren wie Hamburg offensive Wachstumsstrategienformulieren (»Hamburg wächst«) und gewaltigeRessourcen dafür mobilisieren können, versuchen vielekleinere und strukturschwache Kommunen, mit erheblichbescheideneren Mitteln den Status quo zu sichern.Für die einzelne Kommune geht es darum, eine ihrenMöglichkeiten angemessene und Erfolg versprechendeEntwicklungsstrategie zu finden und umzusetzen (Brandt,Dickow, Franz und Wieja 2005). Dafür stehen drei Basisstrategienund Szenarien zur Verfügung:Basisstrategie 1: WachstumsszenarioWachsende Städte und Regionen können ihre eigenen Stärkengrundsätzlich selbstbewusster als andere entwickeln.Deshalb sollten gerade diese Kommunen der Versuchungwiderstehen, ihre Bevölkerungsentwicklung als Selbstläuferanzusehen. Sinnvoll ist vielmehr die Weiterentwicklungihrer Qualitäten und eine Profilbildung, die dank der ±174


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>noch vorhandenen ± Gestaltungsspielräume, etwa bei derErschlieûung neuer Baugebiete, relativ einfach umzusetzenist.Kommunen mit Bevölkerungswachstum haben zudemdie Möglichkeit, ihre Infrastruktur auf Grund der sichverstärkenden Nachfrage auszubauen und damit qualitativeVorteile gegenüber schrumpfenden Kommunen zuerzielen (denen bereits der bauliche Erhalt bestehenderkommunaler Einrichtungen schwerfällt).Eine wachsende Bevölkerung fragt in der Regel zunehmendGüter und Dienstleistungen nach: Sie wirkt wachstumsverstärkend.Zusätzliche Nachfrage entsteht nachWohnraum, nach Gütern des täglichen Bedarfs im Einzelhandel,nach Angeboten der Gastronomie, nach Gesundheitsdienstleistungen.Die Regionen sollten Phasen positiver Bevölkerungsentwicklunggezielt für eine Gewerbeentwicklung undAnsiedlungen nutzen. Gleichzeitig ist der damit verbundeneInfrastrukturausbau für eine Verbesserung der wirtschaftsnahenInfrastruktur (z.B. Verkehrsanbindung) undfür die Umsetzung neuer Konzepte (z.B. Verbindung desNeubaus einer Berufsschule mit der Einführung neuerberufspädagogischer Konzepte in Kooperation mit denBetrieben) zu nutzen. Eine dynamische Entwicklung istdie beste Voraussetzung für ein selbstbewusstes Standort-Marketingund für eine Erhöhung der Identifikationvon Betrieben und Beschäftigten mit dem Standort.Basisstrategie 2: SchrumpfungsszenarioDie Kommunen sind hier mit der Herausforderung konfrontiert,trotz Einwohnerverlusten eine wettbewerbsfähigeInfrastruktur aufrechtzuerhalten. Gelingt dies nicht, drohteine verstärkte Abwanderung. Ziel in diesem Szenario istes, die vorhandene Bevölkerung möglichst stark an ihrenWohnort zu binden. Dafür sind ihre Identifikation mit derKommune sowie die Sicherung attraktiver Bildungs-, Betreuungs-und Versorgungsangebote erforderlich.Schrumpfende Regionen sind gefordert, Wohnen, Arbeitenund Infrastruktur möglichst stark zu konzentrierenund gleichzeitig nicht mehr genutzte Flächen umzunutzen,um damit neue städtebauliche und naturräumlicheQualitäten zu schaffen. Gemeinsam mit den Eigentümernvon Immobilien sollten frühzeitig Konzepte gegen möglicheLeerstände von Geschäften und Wohnungen entwickeltwerden, die vor allem das Immobilienangebot attraktivermachen und eine Nahversorgung der Bevölkerung sichernsollen.Um den Trend zur Abwanderung jüngerer Menschenzu stoppen, sind in besonderer Weise Angebote für jungeFamilien zu entwickeln. Auch die Sicherung und der Ausbauvon Qualifizierungseinrichtungen tragen dazu bei,junge Menschen zu binden und die Wettbewerbsfähigkeitder lokalen Betriebe zu stärken. Insbesondere schrumpfendeRegionen sind darauf angewiesen, die Erwerbsbeteiligungaller Bevölkerungsgruppen zu erhöhen, insbesonderedie von Frauen und von älteren Menschen,sowie den Anteil von Jugendlichen ohne Berufsausbildungzu reduzieren. Dies erfordert auch ein Bewusstseinder lokalen Wirtschaft, besondere Angebote für dieseGruppen zu entwickeln ± etwa zur Vereinbarkeit von Familieund Beruf.Beim lokalen Gewerbe steht die Bestandspflege imVordergrund. Unternehmen mit regionalen Absatzmärktenwerden neue Märkte erschlieûen müssen. Wirtschaftsförderungund Kammern können helfen, neue Märkte zuidentifizieren und neue Angebote für bestimmte Zielgruppen(z.B. ¾ltere) zu entwickeln.Basisstrategie 3: Mix-SzenarioDie meisten Kommunen sind in ihren Ortschaften oderStadtteilen mit unterschiedlichen Szenarien konfrontiert,sodass eine Kombination der Strategieansätze aus demSchrumpfungs- und dem Wachstumsszenario sinnvoll ist.Es zeigt sich, dass der demographische <strong>Wandel</strong> erheblichheterogener ist, als es durch regionale Bevölkerungsprognosenzum Ausdruck kommt, und dass der Handlungsdruckheute schon gröûer ist, als viele annehmen.Eine vorausschauende Regionalplanung und Siedlungsentwicklungkann dazu beitragen, nachhaltige und kompakteStrukturen zu stärken, die gegen demographischeVeränderungen widerstandsfähiger sind als ungesteuerteEntwicklungen, die lediglich eine schnelle Flächenvermarktungim Auge haben. Eine vorausschauende Planung,verlässliche Vorgaben zur Flächennutzung undeine schlüssige kommunale Entwicklungsstrategie schaffenauch für Investoren und lokales Gewerbe Planungssicherheitund unterstützen damit eine positive wirtschaftlicheEntwicklung.175


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Im Zusammenhang einer Gesamtstrategie wie aucheinzelner Handlungsfelder sollten klare und transparenteZiele und Leitbilder definiert werden. So hat sich die StadtStuttgart vorgenommen, die kinder- und familienfreundlichsteGroûstadt Deutschlands zu werden. Ein Kuratorium,dem über 50 Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft,Wissenschaft, Kultur, Sport und Medien angehören, sollüber die Umsetzung dieses Zieles wachen (BertelsmannStiftung 2005: 94 f.). Eine solche Strategie kann sichnicht nur insgesamt positiv auf das Image der Stadt auswirken,sondern ist auch ein Angebot für junge qualifizierteMenschen, die in oder unmittelbar vor der Familiengründungsphasestehen.Mögliche Handlungsansätze für KommunenWettbewerb um junge MenschenDer Wettbewerb der Regionen insbesondere um junge undhoch qualifizierte Menschen wird sich deutlich verschärfen.Entscheidend sind dabei zum einen die beruflichenEntwicklungsmöglichkeiten in den Regionen (Einkommenshöhe,vorhandene Unternehmen, Qualifikationsangebote,Vereinbarkeit von Familie und Beruf). Daneben spielenallerdings für junge Hochqualifizierte zunehmend auchweiche Standortfaktoren wie Lebensqualität, Image derRegion und das Vorhandensein kreativer Milieus einewichtige Rolle.Hier müssen sich vor allem urbane Regionen gegenüberanderen Groûstädten positionieren und ihre Qualitätenweiterentwickeln. Neben einer guten Infrastruktur,etwa im öffentlichen Personennahverkehr, gehören dazuauch eine attraktive Kulturszene oder eine interessanteArchitektur. Für einzelne Zielgruppen wie Hochqualifizierteoder junge Familien sollten spezifische Angeboteentwickelt werden. Dabei sind Wohnungspolitik, Kulturpolitikund Wirtschaftsförderung immer weniger zu trennen.Erfolgreiche Groûstadtregionen zeichnen sich dadurchaus, dass sie einen kontinuierlichen Dialog mit diesen Zielgruppenführen und Plattformen zur Interaktion schaffen.Um sich gegenüber anderen Wirtschaftsräumen zupositionieren, müssen Regionen ihre besonderen Qualitätennach innen und auûen betonen. In diesem Zusammenhangsollten nicht zuletzt überregional ausstrahlungsfähigeAngebote, die eine hohe Lebensqualität in derRegion verkörpern, weiterentwickelt und professionellvermarktet werden. Eine solche Politik trägt nicht nur zueiner Imageverbesserung nach auûen bei, sondern erhöhtvor allem auch die Identifikation der eigenen Bevölkerungmit der Region und damit die Standortbindung.Einer der wichtigsten Faktoren im Wettbewerb umjunge Fachkräfte ist die regionale Bildungslandschaft.Insbesondere Hochschulen sind ein Magnet für jungequalifizierte Menschen. Die Hochschulstandorte solltendies nutzen und versuchen, junge Absolventen an dieRegion zu binden. Dazu tragen enge Netzwerke zwischenlokalen Betrieben und den Hochschulen bei: Studierendekönnen frühzeitig durch Praktika oder Volontariate mitden Betrieben zusammenarbeiten und sich so einenschnellen Berufseinstieg ermöglichen.Auch mittelständische Betriebe sollten motiviert werden,Rekrutierungsnetzwerke mit lokalen Hochschulenaufzubauen; Groûunternehmen tun dies in der Regel bereits.Kommunen können dazu beitragen, potenzielleExistenzgründer aus den Hochschulen zu ermutigen, undihnen konkrete Angebote in der Region machen. DieRegion Hannover bietet jungen Existenzgründern z.B. fürein Jahr kostenlose Räumlichkeiten und Dienstleistungenwie ein kontinuierliches Coaching oder gemeinsameMesseauftritte an.176


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Arbeitsmarkt- und QualifizierungspolitikAngesichts des zurückgehenden Anteils der erwerbsfähigenBevölkerung und des Arbeitskräftepotenzials werdenin Zukunft stärkere Anstrengungen bei der Mobilisierungund Befähigung von Menschen für den Arbeitsmarkterforderlich sein. Zentral ist in diesem Rahmen auch einezielgruppenorientierte Qualifizierungspolitik. Die wichtigstenElemente einer lokalen Arbeitsmarktstrategie:· Der Anteil Jugendlicher ohne Schulabschluss bzw. Berufsausbildungmuss verringert werden, und Migrantenmüssen stärker bildungsbeteiligt werden. In diesemKontext sind auch neue Angebote in der vorschulischenBildung dringend erforderlich. Gemeinsam mit denSchulen und ihrem Umfeld sollten Initiativen ergriffenwerden, um die Schulabbrecher-Quoten zu senken.Wichtig sind zudem Aktivitäten, um die Beschäftigungsfähigkeitvon Geringqualifizierten zu erhöhen.· Es müssen Möglichkeiten eines schnelleren beruflichenWiedereinstiegs nach einer Familienphase geschaffenwerden. Davon würden insbesondere qualifizierteFrauen profitieren. Flankierend gibt es vermehrtAngebote der Kinderbetreuung und zur Qualifizierung.Betriebe sollten für lokale Bündnisse für Familien gewonnenwerden und mit flexiblen Arbeitszeiten, Rahmenverträgenmit Familien-Service-Beratungen odereigenen Betreuungsangeboten ihren Teil zur Vereinbarkeitvon Familie und Beruf beitragen.· Es gilt das Bewusstsein zu schärfen für die Qualitätenälterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, auf derenMitwirkung (und Erfahrungswissen) die Betriebeimmer weniger verzichten können. Hier setzen Kampagnenund Ideenbörsen in Kooperation mit Kammern,Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften sowie Betriebenan. Qualifizierungsangebote, Maûnahmen zurHumanisierung der Arbeitswelt und Teilzeitangebotekönnen einen längeren Verbleib ¾lterer in den Betriebenund eine gröûere Arbeitszufriedenheit unterstützen.Vor allem in Groûstadtregionen bilden Menschen mitMigrationshintergrund heute eine sehr groûe Gruppe unterden Heranwachsenden. In einigen deutschen Metropolengehört bereits jede/r zweite Jugendliche dazu. Wie weitRegionen in der Lage sind, diese jungen Menschen zuintegrieren, wird ganz entscheidend für ihre zukünftigewirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit sein.Nur wenn es gelingt, eine breite Bildungsbeteiligungherzustellen und auch Zuwanderern Chancen zu geben,ihre eigenen Fähigkeiten zu entwickeln, wird es genügendArbeitskräfte, Existenzgründer und Interessentenfür Betriebsübernahmen geben.Aktive BestandspflegeDie lokalen Betriebe sind durch die demographische Entwicklungin zwei Feldern unmittelbar gefordert. Zumeinen droht ein Fachkräftemangel, daneben wandeln sichmit der veränderten Zusammensetzung der Bevölkerungauch Vorlieben von Konsumenten, und Kundenpotenzialegehen mit abnehmender Bevölkerung verloren. Beide Entwicklungensollten Betriebe nicht einfach auf sich zukommenlassen, sondern ihnen durch Strategien frühzeitigbegegnen. Wirtschaftsförderungen wie auch Kammernkönnen Unternehmen dabei unterstützen, sich auf neueEntwicklungen einzustellen und geeignete Strategien derPersonalentwicklung und Marktentwicklung zu finden.PersonalentwicklungFür Unternehmen wird es schwieriger, geeignete (Nachwuchs-)Fachkräftezu gewinnen. Daher sollten regionaleBetriebe beim Aufbau und bei der Weiterentwicklung vonPersonalentwicklungsstrategien unterstützt werden. Dieskann im Rahmen einzelner Fachforen oder auch als umfassendereregionale Initiative erfolgen. Bestandteile solltensein:· Rekrutierungsstrategien (auch im Hinblick auf Hochschulabsolventen)· eine attraktive Berufsausbildung im dualen System· Personalbindungsstrategien· Strategien zur Bindung junger qualifizierter Frauen inder Familienphase: schnelle Rückkehr, gute Vereinbarkeitmit Familie· Strategien zur Bindung älterer Arbeitnehmer: adäquaterEinsatz, Gesundheitsprävention, flexible ArbeitszeitenWichtig für die Sicherung der betrieblichen Basis istdarüber hinaus eine aktive Unterstützung bei der Suchenach einer geeigneten Unternehmensnachfolge.177


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>MarktentwicklungDurch einen regionalen Bevölkerungsrückgang wird zunächstdie Kaufkraft geschwächt, was insbesondere Auswirkungenauf Branchen mit hoher regionaler Bindung undgeringer überregionaler Orientierung hat: Einzelhandel,regionale Kreditinstitute, lokales Verkehrsgewerbe, kommunaleVer- und Entsorger, Gastronomie, Freizeitwirtschaftund andere personenorientierte Dienstleister. Die schwindendeKaufkraft und Nachfrage in diesen Bereichen kannin einzelnen Regionen eine Dynamik in Gang setzen, diedas wirtschaftliche Klima und die Investitionsbereitschaftweiter negativ beeinflussen. Anbieter, die keinen Umsatzeinbüûen wollen, können dem auf drei Wegen begegnen:· durch die Erhöhung ihres Marktanteils: Dies kann insbesonderegelingen, wenn andere Anbieter sich ausder Region zurückziehen. So können etwa regionaleKreditinstitute wie Sparkassen und Volksbanken ihreMarktanteile in Orten ausbauen, aus denen sich diegroûen Privatbanken zurückziehen. Hier wird einestarke lokale Verankerung zum (Image-)Vorteil.· durch die Entwicklung neuer Produkte und die Anspracheneuer Kundengruppen: Dies kann insbesonderegelingen, wenn neue maûgeschneiderte Angebote(z.B. für Senioren) entwickelt werden.· durch eine stärkere Bearbeitung überregionaler Märkte:Dies ist gegenüber der Konzentration auf den bekanntenMarkt mit gröûerem Aufwand verbunden und erfordertin der Regel zusätzliche Kenntnisse im Marketing.Unternehmen müssen eine Strategie entwickeln, mit dersie sich frühzeitig positionieren und auch neue Chancenerkennen. So sind mit der Alterung der Bevölkerung fürbestimmte Branchen negative wie auch positive Folgenzu erwarten.Beispiel Bauwirtschaft und Bauhandwerk: Mit der deutlichenReduzierung der Altersgruppe der »Bauherren«zwischen 25 und 40 Jahren wird die Neubautätigkeit abnehmen.Gleichzeitig wird aber der Bedarf nach altersbedingtenAnpassungen im Wohnungsbestand zunehmen.Unternehmen, die diese Trends frühzeitig erkennenund darauf reagieren, haben gute Marktchancen.Ein wichtiges Feld für die Entstehung neuer Märktesind Güter und Dienstleistungen, die sich insbesonderean ältere Menschen richten und die unter dem Schlagwort»Seniorenwirtschaft« diskutiert werden. Hierzu seiauf den Beitrag »Kommunale Seniorenpolitik« in diesemBand ab Seite 126 verwiesen.Public Private PartnershipsAngesichts der knappen öffentlichen Kassen gibt es zahlreicheVersuche, die Privatwirtschaft finanziell in Aktivitätender Wirtschaftsförderung einzubeziehen. Diese Versuchesind meist mit sehr groûen Schwierigkeiten verbunden,da es sich bei den Leistungen der Wirtschaftsförderungoft um öffentliche Güter handelt, die allen Betrieben innerhalbder Gebietskörperschaft zur Verfügung stehen und anderen Finanzierung einzelne Unternehmen folglich wenigInteresse haben. Gleichzeitig ist das Interesse vieler Unternehmenan Sponsoring-Aktivitäten zurzeit eher gering.Anwendung finden Lösungen von PublicPrivate Partnerships(PPP) hingegen häufig bei kommunalen HochbauoderInfrastrukturmaûnahmen.Positive Beispiele in der Wirtschafts- und Regionalentwicklunggibt es vor allem im Stadt- und Regionalmarketing,wo sich Unternehmen durch ein besseres Image desStandorts unmittelbar positive Effekte für sich versprechen.Vereinzelt engagieren sich Unternehmen in regionalenWirtschaftsförderungs-Gesellschaften oder Projektgesellschaften.Es gibt auûerdem gut funktionierende Beispielefür regionale Beteiligungsfonds, die von lokalenKreditinstituten und Unternehmen und teils sogar Hochschulengemeinsam getragen werden und junge Existenzgründermit Kapital versorgen.Die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofserschwert die Initiierung von Public Private Partnershipsim Rahmen von Wirtschaftsförderungs-Gesellschaften,da sie bei der Übertragung von Leistungen der Wirtschaftsförderungan eine Gesellschaft unter Beteiligungprivater Partner eine europaweite Ausschreibung vor-178


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>schreibt. Dadurch droht ein deutlicher Rückgang von PPPsin den Kommunen (Leutner 2005).LiteraturBertelsmann Stiftung (Hrsg.): Demographie konkret ±Handlungsansätze für die kommunale Praxis. Gütersloh2004.Brandt, Arno, Christin Dickow, Ulf-Birger Franz undJanin Wieja: »Zwischen Schrumpfen und Wachsen ±Regionale Strategien zur Gestaltung des demographischen<strong>Wandel</strong>s«. Neues Archiv für Niedersachsen. 2.2005. 69±84.Leutner, Barbara: »Lokale Dienstleistungen und der EU-Binnenmarkt«. Der Städtetag. 4. 2005. 27±31.Norddeutsche Landesbank (NORD/LB): Stadt 2015. Handlungskonzeptfür Kommunen im demographischen <strong>Wandel</strong>.Hannover 2004.179


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Nachhaltige kommunale Finanzpolitik unddemographischer <strong>Wandel</strong>Helmut SeitzDer demographische <strong>Wandel</strong> beeinflusst in hohem Maûedie öffentlichen Haushalte in den Städten, Gemeinden undKreisen. Eine zentrale Voraussetzung für eine aktive Anpassungspolitikist, dass Kommunen die sich vor Ort abzeichnendenVeränderungen richtig einschätzen. Auf Basisdieser Informationen sind dann Überlegungen darüberanzustellen, in welchen Bereichen welche Maûnahmenzu welchem Zeitpunkt wirksam werden müssen, um denHerausforderungen der demographischen Veränderungengerecht werden zu können und eine nachhaltige Entwicklungder Finanzlage bei optimaler Leistungsversorgungder Bevölkerung zu sichern.Dies macht es erforderlich, dass in den einzelnenHandlungs- und Politikfeldern die einnahmen- und ausgabenseitigenEffekte demographischer Einflussfaktorenidentifiziert und auch möglichst präzise quantifiziert werden.So führt z.B. eine sinkende Einwohnerzahl zu geringerenGesamteinnahmen, die Veränderung der Altersstrukturder Bevölkerung zu Verschiebungen in der Strukturder Leistungsnachfrage, und auch die Verfügbarkeit vonanderen kommunalen Ressourcen (etwa das Potenzial vonBürgerinnen und Bürgern, die für soziale oder ehrenamtlicheTätigkeiten zur Verfügung stehen) wird von den demographischenVeränderungen tangiert.Bei der Erarbeitung von Lösungswegen ist für diekommunale Ebene gerade die sorgfältige Betrachtung derFinanzsituation bedeutsam, da versäumte oder unzureichendeAnpassungen Ressourcen verbrauchen, die für andereBedarfe nicht mehr zur Verfügung stehen. Zu berücksichtigensind auch die Veränderungen im sozialen Gefügeder Bevölkerung, die ihrerseits wiederum die demographischenProzesse beeinflussen. Dazu einige Beispiele:· Die Alterung der Bevölkerung, aber auch die Veränderungder Lebensformen führt zu einem Anstieg derEinpersonenhaushalte. Das zieht z.B. Konsequenzenfür die Wohnungsnachfrage und die Versorgungsstrukturenbei den kommunalen Gemeinschaftsdiensten(Abfallentsorgung, Wasserver- und -entsorgungusw.) nach sich.· Die Veränderung der Altersstruktur führt zu Verschiebungender Nachfrage nach öffentlichen Gütern inRichtung altersrelevanter Leistungen (steigende Nachfragenach Plätzen in Alten- und Pflegeheimen vs. sinkendemKapazitätsbedarf bei Schulen).· Alle Bevölkerungsprognosen gehen ± auch vor demHintergrund des Erhalts der Wirtschaftskraft und dersozialen Sicherungssysteme ± von signifikanten (gesteuerten)Zuwanderungen aus, die zu steigendenIntegrationsaufwendungen und -herausforderungenführen werden. Diese Aufgaben sind insbesondere vorOrt, also in den Kommunen, zu bewältigen (steigendesoziale und monetäre Kosten der Integration, Vermeidungvon »Getto«-Bildung usw.).· Erhebliche Risiken in Ost und West resultieren ausder offenkundig nicht nachhaltig soliden Finanzierungder sozialen Sicherungssysteme, wie etwa derPflegeversicherung. So steigen schon seit Jahren dieAusgaben für die »Hilfe zur Pflege« im Rahmen derSozialhilfe (»Hilfe in besonderen Lebenslagen«), undvielfach werden aufgrund einer steigenden Lebenserwartung,trotz der damit auch verbundenen längerenLebensgesundheit, zukünftig weitere deutlicheAusgabensteigerungen erwartet.· Die langfristigen Folgen der Dauerarbeitslosigkeit undder damit verbundenen Unterbrechungen der Erwerbsbiographiendürften dazu führen, dass künftig mehrältere Menschen auf ergänzende Sozialhilfeleistungenangewiesen sein werden, da ihre Ansprüche an dieSozialversicherung zur Bestreitung des Lebensunterhaltsim Rentenalter zum Teil nicht ausreichen werden.180


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Die Ausgangslage in denkommunalen HaushaltenDie Situation in West- und Ost-Deutschland ist hinsichtlichder Ausgangssituation bei den kommunalen Finanzenähnlich gelagert. Schon seit Jahren stehen die Haushalteunter erheblichen Anspannungen, wobei sowohleinnahmen- als auch ausgabenseitige Ursachen auszumachensind.Entwicklung der EinnahmenAuf der Einnahmenseite beobachten wir auf allen Ebenenschon seit Jahren eine weitgehende Entkopplung der Entwicklungvom allgemeinen Wirtschaftswachstum. Dieswar und ist sowohl ein Reflex auf die allgemeine Wachstumsschwächeals auch Folge der zahlreichen Eingriffe indas Steuerrecht. Während bis Mitte der 90er Jahre dieEinnahmen der öffentlichen Haushalte weitgehend parallelzur Entwicklung der Wirtschaftskraft, die mit Hilfedes Bruttoinlandsprodukts gemessen wird, angewachsensind, hat sich im Zeitraum von 1995 bis 2004 das Bruttoinlandsproduktzwar um rund 20 Prozent erhöht, aber dieEinnahmen des gesamten kommunalen Sektors bliebenweitgehend unverändert (Abb. 1).Abb 1: Entwicklung des nominalen Bruttoinlandsprodukts(BIP) und der Einnahmen* deskommunalen Sektors insgesamtEntwicklung der AusgabenDen stagnierenden bzw. erodierenden Einnahmen der Kommunenstanden höhere Ausgaben im laufenden Betriebgegenüber. Hierzu haben insbesondere auch steigendeAufwendungen für soziale Leistungen beigetragen. Diesesind seit dem Jahr 2000 in den alten Ländern um etwa17 Prozent und in den neuen Ländern um rund 37 Prozentangestiegen. Ob und, wenn ja, in welchem Umfangletztlich die SGB-II-Gesetzgebung tatsächlich zu Nettoeinsparungenauf kommunaler Ebene führen werden, lässtsich angesichts der unklaren Datenlage zurzeit noch nichtabsehen.In den Westkommunen sind in den letzten Jahren auchdie Pensionsausgaben deutlich angestiegen, während sichdie gesamten Personalausgaben nur geringfügig erhöhthaben. In welchem Umfang Letzteres aber ein Reflex aufeinen tatsächlichen Personalabbau ist oder die Auswirkungvon Auslagerungen, lässt sich nur schwer beantworten,da zeitgleich in West- wie in Ost-Deutschlandauch die Zuweisungen und Zuschüsse an soziale Einrichtungendeutlich angestiegen sind.Kompensiert wurden in Ost wie in West die stagnierendenEinnahmen und die steigenden Ausgaben in derlaufenden Rechnung insbesondere durch eine spürbareAbsenkung der Sachinvestitionsausgaben (Abb. 2). In Ost-Deutschland haben sich diese Ausgaben seit 1992 nahezuhalbiert, und in West-Deutschland lagen sie im Jahr 2004um mehr als ein Drittel unter dem Niveau von 1992.Zwischenzeitlich gibt es bei den Pro-Kopf-Sachinvestitionenin den Ost- und Westkommunen kaum noch Unterschiede± trotz der erheblichen Solidarpakttransfers anAbb. 2: Entwicklung der Sachinvestitionsausgabenje Einwohner* Netto der Erlöse aus VermögensverkäufenIndexreihe 1995 = 100Quelle: Statistisches BundesamtQuelle: Statistisches Bundesamt; Angaben in laufenden Preisen181


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>die neuen Länder zur Finanzierung infrastrukturellerAufholprozesse. Dies lässt darauf schlieûen, dass die Mittelaus dem Solidarpakt II in den ostdeutschen Ländern ±dies gilt für die Landes- wie für die Gemeindeebene ±zunehmend weniger in den Ausbau der Infrastruktur flieûen,sondern in signifikantem Umfang zur Finanzierunglaufender Ausgaben eingesetzt werden.FazitAls ein (vorläufiges) Fazit lässt sich festhalten, dass dieKommunen in Ost und West in den letzten Jahren untereinem erheblichen Anpassungsdruck standen, bestimmtdurch stagnierende Einnahmen und zunehmende Ausgabenin der laufenden Rechnung, insbesondere bei densozialen Leistungen. Nur durch eine deutliche Absenkungder Investitionsausgaben konnte ein weiterer Anstiegder Verschuldung vermieden werden.Allerdings ist auch festzuhalten, dass in den Länderhaushalten± und natürlich auch im Bundeshaushalt ±die Situation eher noch angespannter war. Dies lässt sichnicht zuletzt am drastischen Anstieg ihrer Verschuldungablesen: Die Pro-Kopf-Schulden der Westflächenländerhaben sich seit Anfang 2000 bis Ende 2004 um etwa31 Prozent erhöht, in den Ostflächenländern sogar um rund41 Prozent, während sie auf der Kommunalebene in Ostund West nahezu stagnierten.Der Einfluss demographischer Entwicklungenauf die kommunalen FinanzenDie demographischen Veränderungen werden die Haushalteder öffentlichen Kommunen stark beeinflussen. Hierbeimuss man einnahmen- und auch ausgabenseitig unterscheidenzwischen Effekten, die aus der Veränderungder Bevölkerungszahl und der Veränderung der Altersstrukturder Bevölkerung resultieren.kommunalen Finanzausgleichsystemen. Städte und Gemeindenmit einer sinkenden Einwohnerzahl sind hierbeivon einem rückläufigen absoluten Aufkommen aus Steuernsowie Finanzzuweisungen betroffen, ohne dass sichdas Volumen der Pro-Kopf-Einnahmen erheblich verändernmuss. Dies bedeutet, dass auch das Volumen derGesamtausgaben entsprechend nach unten angepasstwerden muss.Auch die Veränderung der Altersstruktur wirkt sichauf die Einnahmen aus. So sind die durchschnittlichenPro-Kopf-Steuerzahlungen der über 60-Jährigen deutlichgeringer als die der 30- bis 50-Jährigen, sodass die Alterungder Bevölkerung tendenziell ebenfalls zu einemRückgang des Steueraufkommens führt ± sowohl absolutals auch je Einwohner betrachtet (Bach u.a. 2002).Effekte auf die AusgabenAuf der Ausgabenseite wirkt sich der demographische<strong>Wandel</strong> noch wesentlich stärker und differenzierter aus.Hier ergibt sich auch das Problem, dass Anpassungenmeist nur durch politische Entscheidungen herbeigeführtwerden können bzw. müssen, die oft als unangenehmempfunden werden. Im Gegensatz hierzu sind Effekte beiden Einnahmen stark von einer weitgehenden »Automatik«geprägt.Besonders gravierend ist das Problem der Ausgabenremanenz(Abb. 3). Kommunale Einrichtungen ± angefangenbei Schulgebäuden über Kläranlagen bis zur Kommunalverwaltung,den Straûen und Kultureinrichtungen± sind für eine bestimmte Bevölkerungszahl ausgelegt.Ein Rückgang der Einwohnerzahl führt dazu, dass dieAbb. 3: Ausgabenremanenzen beisinkender BevölkerungszahlAuswirkungen auf die EinnahmenDie absolute Höhe der kommunalen Einnahmen wird weitgehendbestimmt durch das örtliche Steueraufkommensowie die finanzkraftverstärkenden Zuweisungen aus denQuelle: eigene Darstellung182


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Pro-Kopf-Aufwendungen für das Aufrechterhalten der Infrastrukturenund die Betriebs- bzw. Folgekosten ansteigen,da ein Rückbau der Einrichtungen in der Regel nicht imGleichschritt mit dem Bevölkerungsrückgang erfolgenkann bzw. diese Anpassung versäumt wird. Ist etwa einSchulgebäude für die Unterbringung von 500 Schülerinnenund Schülern ausgelegt und sinkt deren Zahl sowieauch die Einwohnerzahl in der Gemeinde, so führt dies zusteigenden Kosten der Schulversorgung (je Schüler und jeEinwohner). Diese damit verbundenen höheren Pro-Kopf-Ausgaben sind bei einer rückläufigen Bevölkerung besondersproblematisch, da zeitgleich auch das Volumen derEinnahmen infolge des Bevölkerungsrückgangs sinkt.Ausgabenremanenzen treten in nahezu allen Bereichender Infrastruktur auf und können z.B. durch ihrenRückbau ± mit entsprechendem Aufwand ± oder durchdie vollständige Schlieûung von Einrichtungen bewältigtwerden. Entsprechend müssen dann die Versorgungsbedarfeetwa durch die regionale Konzentration vonSchulen, Sporteinrichtungen usw. an zentralen Standortengedeckt werden. Alternativ können die Einrichtungenauch anderen, insbesondere privaten Verwendungenzugeführt werden. Bei den noch anstehenden Neu- undUmbauten von öffentlichen Einrichtungen sollten dieseMöglichkeiten bereits berücksichtigt werden.Tabelle 1: Wachstumsrate der Pro-Kopf-Ausgabenfür Personal und laufenden Sachaufwandin den ostdeutschen Kreisen von1995 bis 2001 in ProzentPersonalausgabenLandkreise (Kreise und kreisangehörige Gemeinden)laufenderSachaufwandinsgesamt ±15,8 ± 6,4Einwohnerverlustehöher als 5 Prozent±13,3 ± 2,9Bevölkerungszugewinne ±18,3 ± 9,5kreisfreie Städteinsgesamt ± 9,6 ± 5,5Einwohnerverlustehöher als 10 ProzentEinwohnerverlustegeringer als 10 ProzentQuelle: eigene Berechnungen± 3,9 1,6±17,4 ±15,1Dass die Remanenzeffekte erheblich sind, lässt sich bereitsan den Daten in Ost-Deutschland ablesen. Tabelle 1zeigt die Entwicklung der Pro-Kopf-Ausgaben für Personalund laufenden Sachaufwand, differenziert nach demBevölkerungswachstum in den Jahren 1995 bis 2001.Auf der Landkreisebene wurden die Personalausgabenpro Kopf durchschnittlich um knapp 16 Prozent reduziert:In Landkreisen mit überdurchschnittlichem Bevölkerungsverlustsanken die Ausgaben nur um etwa 13 Prozent,während sie in den Kreisen mit Bevölkerungszugewinnenum mehr als 18 Prozent reduziert wurden. In den kreisfreienStädten fallen diese Unterschiede sogar noch höheraus. Ein völlig analoges Bild ergibt sich beim laufendenSachaufwand: Auch hier ist die Entwicklung der Pro-Kopf-Ausgaben von Städten und Gemeinden mit höherenBevölkerungsverlusten wesentlich ungünstiger als diederjenigen mit stagnierender oder steigender Einwohnerzahl.Neben den Ausgabenremanenzeffekten, die letztlichMehrausgaben für die Bevölkerung bedeuten, ohne dassdamit eine Leistungsverbesserung verbunden ist, müssendie demographischen Veränderungen auch zu einer Anpassungder kommunalen Ausgabenstrukturen führen.Sinken Zahl und Anteil der schulpflichtigen Bevölkerungin einer Kommune nachhaltig, so müssen die Infrastrukturenund Ausgaben im Schulbereich dieser Entwicklungangepasst werden. Die hier realisierbaren Ersparnissesind erforderlich, um die Bedarfe des gestiegenen Anteilsder älteren Bevölkerung zu finanzieren.Eine sorgfältige Analyse der kommunalen Aufgabenbereichezeigt, dass die Bedarfsverschiebungen und diedamit verbundenen notwendigen Anpassungen der Infrastrukturenund Ausgaben nahezu alle Aufgabenbereichetangieren. Hier einige exemplarische Beispiele:· Städte und Gemeinden mit gesunkenen Einwohnerzahlenmüssen ihre Verwaltungen verkleinern, umsie für die Bürger bezahlbar zu machen.· Der erhebliche Rückgang der Schülerzahlen, der inOst-Deutschland schon die Sekundarstufe erreicht hatund in absehbarer Zeit auch in den Westländern spürbarwerden wird, muss zu einer Anpassung der Infrastrukturenin diesem Bereich führen. Das heiût konkret:Schlieûung von Schulstandorten, regionale Konzentrationvon Schulen, neue Schulformen.· In der sozialen Sicherung ist mit steigenden Aufgaben-und Ausgabenlasten vor allem bei der »Hilfe in183


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>besonderen Lebenslagen« (Krankenhilfe, Hilfe zurPflege usw.) infolge eines steigenden Anteils ältererund insbesondere auch pflegebedürftiger Personen zurechnen. Auch hier muss eine »Vorsorgepolitik« imHinblick auf zukünftige Lasten betrieben werden.· Remanenzeffekte schlagen insbesondere bei den kommunalenGemeinschaftsdiensten durch. UnzureichendeAnpassungen bzw. falsche Kapazitätsplanungen führenbei einer rückläufigen Bevölkerung zu steigendenGebühren und/oder öffentlichen Zuschussbedarfen.Somit ergeben sich gerade in Städten und Gemeinden mitstark rückläufigen Bevölkerungszahlen groûe Problemeim Hinblick auf die Tragfähigkeit von Infrastrukturen undVerwaltungen in nahezu allen Bereichen. Doch auch beieiner weitgehend stabilen oder gar leicht steigenden Gesamtbevölkerungszahlwerden Anpassungen infolge derveränderten Altersstruktur notwendig. Diese müssen nichtunbedingt mit einer Einschränkung der Versorgung verbundensein, wenn sie durch innovative organisatorischeVeränderungen unterstützt werden: Steigerung der Effizienzund/oder der interkommunalen Zusammenarbeitoder vollständige Reorganisation der Verwaltungs- undGebietseinheiten, wie Kreis- und Gemeindegebietsreformen.Ausgewählte Handlungsoptionen für KommunenIn einem ersten Schritt muss untersucht werden, welcheöffentlichen Leistungen für welche Altersgruppen erbrachtwerden müssen und welche Ausgaben hierfür aufzuwendensind. Anschlieûend gilt es zu untersuchen, wiesich die demographischen Veränderungen auf das Volumender Gesamteinnahmen auswirken werden, wobei manvereinfachend lediglich die »Kopfzahl« betrachten unddie Veränderung der Altersstruktur vernachlässigen kann.Weiterhin müssen, ausgehend von Bevölkerungsprognosenund den zuvor abgeleiteten Erkenntnissen, die künftigenAusgabenbedarfe ermittelt werden. Hierbei gilt esauch die »Risikopositionen«, wie steigende Lasten bei derHilfe zur Pflege, zu berücksichtigen.In den Westkommunen ist darüber hinaus zu beachten,dass nach dem aktuellen Versorgungsbericht diePensionslasten zwischen 2003 und <strong>2020</strong> um etwa 46 Prozent(unter der Annahme einer jährlichen Versorgungsanpassungvon 1,5 Prozent) steigen werden, während inden ostdeutschen Kommunen hier keine groûen Ausgabenrisikenbestehen. Vergleicht man den Ist-Zustandaus dem ersten Schritt mit dem abgeleiteten »Soll-Wert«,ergibt sich eine erste grobe Abschätzung des Anpassungsbedarfs,wobei man durchaus mit einem Planungszeitraumvon mehr als 15 Jahren arbeiten sollte. Fernermuss man den »Soll-Wert« mit der Einnahmenprojektionvergleichen, um ggf. weitergehende Anpassungserfordernisseidentifizieren zu können.Für die Kommunen gibt es angesichts der demographischenVeränderungen wichtige Handlungsoptionen innahezu allen Aufgabenbereichen. Eine Auswahl soll hierkurz erläutert werden.Abb. 4: Anteil der auf die Altersklassen entfallendenkommunalen Ausgaben (2002 und 2030)Demographiesensible Politik:Transparente Ausgabenstruktur und EinnahmenentwicklungDie demographischen Veränderungen mit ihren finanziellenFolgen für die kommunalen Haushalte verlangen vonden Städten und Gemeinden vor allem eine vorausschauendedemographiesensible Politik. Dies erfordert zunächstTransparenz der demographischen Entwicklung vor Ort,der Anpassungsnotwendigkeiten in den einzelnen Aufgabenbereichensowie der Auswirkungen auf die Einnahmen.Betrachtet werden hier Nettoausgaben:bereinigte Ausgaben abzüglich der Zahlungen von den LändernQuelle: Seitz und Kempkes 2005184


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Abb. 4 zeigt exemplarisch einen Ausschnitt aus einersolchen demographischen Langfristfinanzplanung für denaggregierten kommunalen Sektor in der Bundesrepublik ±dieser Betrachtung liegt eine Differenzierung nach rund40 Aufgabenbereichen zugrunde (Seitz und Kempkes 2005).Im Jahr 2002 haben die Kommunen 26,3 Prozent ihrerAusgaben für Leistungen aufgewendet, die auf die Bevölkerungim Alter von 6 bis 20 Jahren entfallen; dieser Anteilmüsste aufgrund der demographischen Veränderungenbis zum Jahr 2030 auf 22,9 Prozent reduziert werden. Aufder anderen Seite steigt der Anteil der Ausgaben für dieBevölkerung im Alter von 65 bis 80 Jahren von 9,4 Prozentim Jahr 2002 auf nahezu 14 Prozent im Jahr 2030.Mit diesem auf einen Zeitraum von mehr als 15 Jahrenausgelegten langfristigen demographischen Finanzplanungsinstrumentkann ein solides Fundament für einesachorientierte, prospektive kommunale Infrastruktur- undFinanzpolitik geschaffen werden, die auch im politischenEntscheidungsprozess von groûem Nutzen ist.Klare Ziele: Schuldenabbau und nachhaltige HaushaltspolitikDen zukünftigen Ausgabenrisiken (steigende Soziallasteninfolge der Alterung und der Bewältigung der Langfristkostender Dauerarbeitslosigkeit etc.) und den sinkendenEinnahmen in Städten und Gemeinden mit rückläufigerBevölkerungszahl können die Kommunen nur mit einernachhaltigen, vom Schuldenabbau geleiteten und mit klaren(Finanz-)Zielen verankerten Haushaltspolitik begegnen.Insbesondere in Kommunen mit sinkender Bevölkerungszahlmuss die Verschuldung im Interesse der Generationengerechtigkeitabgebaut werden: Ansonsten müssenzukünftig weniger Einwohner steigende Pro-Kopf-Schuldenbedienen, wodurch die Handlungsfähigkeit weiter beschnittenwird. Auch künftige Generationen dürfen nichtdurch Einrichtungen, Infrastrukturen und Verwaltungsstrukturenbelastet werden, deren Finanzierung und Tragfähigkeitnicht mehr gewährleistet werden kann.Finanzielle Folgen der veränderten Alterstrukturfrühzeitig abfedernDie Anpassungen der Ausgabenstrukturen an die veränderteAltersstruktur sind auf der einen Seite mit Einsparpotenzialenverbunden ± hier ist insbesondere dersinkende Anteil der so genannten bildungsrelevantenBevölkerung bedeutsam ±, während auf der anderen SeiteMehrausgaben durch den wachsenden Anteil der älterenBevölkerung entstehen. In Kommunen mit spürbar sinkendenEinwohnerzahlen werden diese veränderten Ausgabenstrukturennoch überlagert durch die Notwendigkeit,das absolute Ausgabenniveau zu senken, da wenigerEinwohner zu weniger Steuereinnahmen, Gebühren undinsbesondere Finanzausgleichszahlungen führen (Seitz2004).Die zu erwartenden Mehrausgaben bei den »altenrelevanten«Leistungen sind somit zum Teil auch durch bedarfsgerechtegeringere Ausgaben bei Leistungen für diejüngeren Bevölkerungsgruppen, deren Anteil an der Gesamtbevölkerungdeutlich sinken wird, gegenzufinanzieren.Solche Ersparnisse können und müssen insbesondereauch durch interkommunale Zusammenarbeit (gemeinsameBildungseinrichtungen, Sportstätten, Betriebshöfeusw.) sowie Verwaltungsreformen (Gebietsreformen) realisiertwerden.Mut zum HandelnLetztlich brauchen die Akteure vor Ort den Willen undden Mut, die eigene Situation zukunftsorientiert zu bewältigenund hierbei den Perspektiven mindestens dasgleiche Augenmerk zuteil werden zu lassen wie den gegenwärtigendringlichen Handlungsbedürfnissen und -wünschen.Ein solches Herangehen ist ± vor allem auch imSinne einer Generationengerechtigkeit ± zentraler Erfolgsfaktorfür eine nachhaltige kommunale Finanzpolitik.185


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Ausblick: Indikatoren zur Abbildungder kommunalen FinanzsituationUm die Kommunen bei der Bewältigung ihrer Herausforderungenzu unterstützen, hat die Bertelsmann Stiftungein Indikatoren- und Analyseprojekt initiiert. Dasin Zusammenarbeit mit dem Autor durchgeführte Projektsoll zunächst dazu dienen, die finanzwirtschaftlichenGegebenheiten auf kommunaler Ebene zu beschreibenund einen Vergleich der finanzwirtschaftlichen Performancevon Städten und Gemeinden zu ermöglichen.Zudem sollen zukünftige Entwicklungen transparentgemacht und auf dieser Basis konkrete Handlungsempfehlungenfür Kommunen erarbeitet werden. Die Ergebnisseder Studie werden im Spätsommer 2006 vorgestellt.LiteraturBach, Stefan, u.a. »<strong>Demographischer</strong> <strong>Wandel</strong> und Steueraufkommen«.Gutachten des DIW im Auftrag des BMF.Berlin 2002.Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, BIB. Bevölkerung:Fakten ± Trends ± Ursachen ± Erwartungen ±Die wichtigsten Fragen. Wiesbaden 2004. Im Internetunter www.bib-demographie.de.Seitz, Helmut. »Die Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangsauf die Finanzsituation des Freistaates Sachsenund seiner Kommunen«. Georg Milbradt und JohannesMeier (Hrsg.): Die demographische Herausforderung ±Sachsens Zukunft gestalten. Gütersloh 2004. 20±43.Langfassung unter www.tu-dresden.de/wwvwlemp/publikation.Seitz, Helmut. »Die ökonomischen und fiskalischenEffekte der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern«.Gutachten im Auftrag des Innenministeriumsvon Mecklenburg-Vorpommern. Schwerin 2005.Seitz, Helmut, und Gerhard Kempkes. »Fiscal Federalismand Demography«. Discussion Paper. TU Dresden 2005.Im Internet unter www.tu-dresden.de/wwvwlemp/publikation.186


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>4. Das Ganze im BlickProzesse ressortübergreifend gestaltenCarsten Groûe Starmann, Ingo Neumann, Kerstin Schmidt, Thorsten WiechmannPatentlösungen zur Gestaltung des demographischen <strong>Wandel</strong>sgibt es nicht. Jede Kommune ist anders: Die unterschiedlichenAusgangslagen und daraus resultierendeEntwicklungen des demographischen <strong>Wandel</strong>s führen inden Städten und Gemeinden der Bundesrepublik zu einemsehr heterogenen Portfolio an Herausforderungen. In diesemSinne ist jede Kommune gefordert, eigene differenzierteHandlungsstrategien zu entwickeln, die sich an denspezifischen regionalen Gegebenheiten orientieren und dieunterschiedlichen Akteure der lokalen Gemeinschaft einbeziehen.In einem Aspekt sind jedoch alle Kommunen gleich:Die Effekte des demographischen <strong>Wandel</strong>s ± von der Entwicklungder Bevölkerungszahlen über die Veränderungder Altersstruktur bis hin zu Wanderungsbewegungen ±überlagern sich und bedingen vor Ort eine ausgesprochenkomplexe Dynamik. Im bewussten und professionellenUmgang mit dieser Komplexität und den Herausforderungenvor Ort liegen dabei wichtige Erfolgsfaktoren. Weilnahezu alle kommunalen Handlungsfelder von den Auswirkungendes demographischen <strong>Wandel</strong>s betroffen sind,erfordert die Gestaltung der Folgen ein strategisches undlangfristig orientiertes Gesamtkonzept. Neben einer inhaltlichorientierten Arbeit ist eine klare Fokussierung aufdie kommunalen Prozesse notwendige Grundlage für diesesVorgehen. Dabei kommt es darauf an, die Veränderungsprozesseressortübergreifend zu gestalten.In den kleineren Kommunen liegt der Schwerpunktdarauf, Prioritäten in einzelnen Politikfeldern (Steuerungder Siedlungsflächenentwicklung, Kinder- und Familienfreundlichkeitusw.) zu setzen, hierfür Lösungen zu entwickelnund umzusetzen. In den Groûstädten steht darüberhinaus die Umsetzung eines ressortübergreifendenGesamtkonzeptes und somit die prozessuale Entwicklungund Anwendung von integrierten Strategien auf derAgenda. Denn ganz entscheidend ist es, die Fachressortsder Kommunen mit ihren ± auch externen ± Akteureneinzubinden, das Know-how zu bündeln und dies in einegemeinsame, zukunftsweisende und demographierobusteStadtpolitik einflieûen zu lassen.Das folgende Kapitel sensibilisiert für die Wichtigkeitdieser Fragestellungen und zeigt mögliche Vorgehensweisenauf. Zunächst wird ein Strategiezyklus beschrieben,der von der Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit kommunalenPraktikern für die Städte und Gemeinden imdemographischen <strong>Wandel</strong> erarbeitet und mit dem Leibniz-Institutfür ökologische Raumentwicklung (IöR) inDresden weiterentwickelt wurde. Hier flieûen die Erfahrungenein, die in der umfangreichen Prozessbegleitungvon Kommunen gesammelt wurden.Weiter geht es danach mit einem konkreten Beispielaus dem Landkreis Osnabrück, wo bereits ein strategischesGesamtkonzept entwickelt wurde. Zudem ist beispielhaftdargestellt, wie der Landkreis seinen kreisangehörigenGemeinden mit Hilfe von Portfolios erstekonkrete Handlungsoptionen im Umgang mit dem demographischen<strong>Wandel</strong> aufzeigt.187


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Demographie strategisch gedacht ±fünf Schritte auf dem Weg zum ErfolgCarsten Groûe Starmann, Ingo Neumann, Kerstin Schmidt, Thorsten WiechmannAbb. 1: Strategiezyklus für die Entwicklung einer ressortübergreifenden GesamtstrategieDer Strategiezyklus 1 unterscheidet für die Gestaltung derFolgen des demographischen <strong>Wandel</strong>s vor Ort fünf Phasen.Die Länge des Zyklus sollte sich an der Dynamik des ±wirtschaftlichen, sozialen und demographischen ± <strong>Wandel</strong>sin der Kommune orientieren. Je dynamischer der<strong>Wandel</strong> und je häufiger die vergangenen, aktuellen undzukünftig erwarteten Strukturbrüche, desto kürzer solltendie Zyklen verlaufen und desto erfahrungsbasiertersollte der Zukunftsdialog organisiert werden. Je schwächerund konstanter der <strong>Wandel</strong>, desto intensiver könnendie Analyse, die Reflexion und Optimierung der Maûnahmenund die Erfolgskontrolle erfolgen. In der Regel undaus ganz pragmatischen Erwägungen ist es wichtig, dasssich der Zyklus auch an den Haushaltsjahren orientiert.Phase 1: Vorbereitung und SensibilisierungEin so wichtiges, aber auch komplexes Thema wie derdemographische <strong>Wandel</strong> können die Kommunalverwaltungennicht alleine bewältigen. Hier braucht es breit1 Er wurde abgeleitet aus dem Modell »Kompass« der BertelsmannStiftung, einem kommunalen Projekt zum Aufbau einer strategischenSteuerung.angelegte Netzwerke und stabile Partnerschaften in derKommune, um im Sinne der Zukunftsgestaltung zu gutenund tragfähigen Veränderungen zu kommen. Denn entscheidendist das Handeln und das Zusammenspiel dergesellschaftlichen Kräfte vor Ort: der Familien, der Unternehmer,der Vereine und Verbände, der Kirchen, dersozialen Träger usw.Der erste Schritt zu einer themenbezogenen Einbindungdieser Akteursgruppen ist eine Sensibilisierung fürdie Thematik. Hier kommt es darauf an, den demographischen<strong>Wandel</strong> mit seinen Auswirkungen für die Kommuneoffensiv zu thematisieren und Betroffenheit zuerzeugen. Die Verantwortlichen (Bürgermeister, Verwaltungsvorstände)müssen klar signalisieren, dass hier einlangfristiger Akzent in der Ausrichtung des kommunalenHandelns gesetzt werden soll. Die kommunale Gestaltungdes demographischen <strong>Wandel</strong>s ist Chefsache ± hier bietetsich eine erste Gelegenheit, das zu dokumentieren.Konkret empfehlen wir den Kommunen z.B. die Durchführungeiner Auftaktveranstaltung, bei der die wichtigenund thematisch relevanten lokalen Akteure informiertund sensibilisiert werden. Dazu ist es oft hilfreich, auchExperten von auûen einzubinden und für Impulsvorträgezu gewinnen.188


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Ziele dieser Phase:· lokale Akteure sensibilisieren· eine positive Aufbruchstimmung erzeugen· Partner und Verbündete für die Gestaltung der Prozessegewinnen· erste Strukturen für die weitere Arbeit schaffenZwei Punkte sind für die Gestaltung des weiteren Prozessesvon entscheidender Bedeutung:1. AkteursportfolioProzessorientiertes Arbeiten erfordert gute und belastbareStrukturen. Darüber hinaus ist es aber besonderswichtig, auch die richtigen Akteure der Kommune darineinzubinden, um zu Erfolgen zu kommen. Bereits zu Beginndes Prozesses sollte ein erstes Akteursportfolio erarbeitetwerden, das die Personen umfasst, die bei der Gestaltungdes demographischen <strong>Wandel</strong>s in der Kommunebedeutsam sind ± als handelnde Akteure, Multiplikatoren,Verbündete, aber auch als Skeptiker oder Widerständler.Dieses Portfolio ist ein wichtiger Grundstein fürdie weitere Arbeit und kann im gesamten Prozess ± auchthemenbezogen ± fortgeschrieben werden. Es ermöglichtzielgruppenspezifisches Arbeiten und macht bestehendeoder neu zu gründende Netzwerke deutlich.2. Intelligente KommunikationDie Kommunikation der Themen spielt gerade auf derkommunalen Ebene eine besondere Rolle. Sie ist währenddes gesamten Prozesses, vor allem aber in dieser erstenPhase, ein Erfolgsfaktor für das weitere Gelingen.Das Thema demographischer <strong>Wandel</strong> mit seinen vielenFacetten, Entwicklungen und Handlungsbedarfen »verführt«häufig zu sehr komplexen Darstellungen. Diesehaben an der richtigen Stelle ± vor allem in der vertiefendenAnalyse ± natürlich ihre Berechtigung. Doch geradezu Beginn der Prozesse auf der kommunalen Ebene, woeine Aufbruchstimmung erzeugt und Verbündete gewonnenwerden sollen, sind erste Thesen und knappe Darstellungenvon Sachverhalten ebenso wie flammende Rednersehr viel wichtiger und hilfreicher als die komplexe wissenschaftlicheAnalyse. Bei komplexen und problembehaftetenFragestellungen wie dem demographischen<strong>Wandel</strong> tendieren viele Politiker erfahrungsgemäû dazu,sich mehr auf die Detailsteuerung alltäglicher und greifbarerProbleme zu konzentrieren als langfristige Weichenstellungenvorzunehmen. Will man dies vermeiden, müssendie Entscheidungsträger frühzeitig in den Dialog mitder Kommunalverwaltung und den lokalen Akteuren (mitArbeitsgruppen, öffentlichen Foren etc.) eingebundenwerden.Für jede Phase muss die richtige Kommunikationsformgefunden werden. Denn nur mit einer adressatenorientiertenInformation und Kommunikation der Themenund Inhalte können die unterschiedlichen Akteure dauerhaftmotiviert und eingebunden werden.Phase 2: Transparenz herstellenJede Kommune entwickelt sich anders, und für jede Kommunein Deutschland ergeben sich andere Herausforderungenim Umgang mit dem demographischen <strong>Wandel</strong>.Um nun die Folgen genau in den Blick nehmen zu könnenund konkrete Handlungskonzepte zu entwickeln,muss die Ausgangslage für alle Beteiligten klar sein. Esbraucht hier eine genaue Analyse der Trends und Entwicklungenvor Ort. Aus den einzelnen Ressorts solltendie dafür notwendigen Daten und Informationen zusammengetragenwerden. Dies kann z.B. durch eine ressortübergreifendeProjektarbeitsgruppe geleistet werden, dieauch externe Akteure themenfeldbezogen einbinden sollte.Die Ergebnisse flieûen z.B. in einen kommunenspezifischenDemographiebericht ein, der die gemeinsame Grundlagefür weitere Diskussionen darstellt.Die Ausgangslage vor Ort mit ihren Ursachen, Trendsund Wirkungsverläufen wird analysiert, und erste Einflussmöglichkeitenund Stellschrauben können identifiziertwerden. Betrachtet werden sollten dabei sowohl dieaktuelle Situation wie auch die zukünftige Entwicklungaufgrund vorliegender Trends und Prognosen. In dieserPhase geht es darum, den Dingen auf den Grund zu gehen,um gemeinsam mit Partnern erste Handlungsansätze aufBasis der Herausforderungen zu identifizieren. Denn erstmit einer Analyse und Transparenz der demographischenSituation ist es möglich, eine kommunenspezifische Strategiezu entwickeln und dann später im Sinne vereinbarterZiele auch zu priorisieren und umzusetzen.Ziele dieser Phase:· Transparenz über die demographische Entwicklungherstellen189


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>· eine gemeinsame Datenbasis für die Kommune festlegen· das Problembewusstsein schärfen und Auswirkungenan konkreten Beispielen deutlich machen· Einflussmöglichkeiten herausarbeiten und ChancenverdeutlichenPhase 3: Ziele und Strategien entwickelnSchwerpunkt der Ziel- und Strategieentwicklung liegtdarin, die Daten und Informationen zu interpretierensowie die Zielsetzungen festzulegen und zu priorisieren.Die Kommune sollte mit den relevanten Akteuren ineinen Zukunftsdialog eintreten und dafür die vor Ortgeeigneten Arbeitsformen und -foren entwickelnIm Fokus der Zukunftsdialoge stehen die Identifizierungvon Schwerpunktthemen, die Entwicklung gemeinsamerund integrativer Zielvorstellungen sowie die Erarbeitunglangfristiger, auch thematisch umfassender integrierterEntwicklungskonzepte. Wichtig ist hier vor allem, alternativeVorgehensweisen auf Basis der absehbaren demographischenVeränderungen zu entwickeln. Dazu brauchtes einen zukunftsoffenen Umgang mit sog. Umfeldszenarien,in denen Handlungsalternativen benannt und Entwicklungschancendargestellt werden. Konkret kann zuBeginn des Zukunftsdialoges ein Szenarienworkshop sehrhilfreich sein, um die unterschiedlichen Interpretationenüber die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auszutauschenund zu koordinieren.Ergänzend sollten im Zukunftsdialog auch die bereitsgeplanten Vorhaben mit Szenarien reflektiert werden. Siesimulieren in ausgewählten Bereichen mögliche Handlungsoptionenin ihrer Wirkung und tragen so dazu bei,dass Prioritäten besser gesetzt werden können. Hier werdenerste Handlungsfelder benannt, mit denen die Gestaltungdes demographischen <strong>Wandel</strong>s begonnen wird. DerEinsatz dieser lohnenden, da sehr fundierten Szenariomethodeerfordert allerdings in der Regel eine professionelleBegleitung.Aus dem Dialog können zukunftsrobuste AnpassungsundPräventionsstrategien (ggf. auch Eventualstrategien)entwickelt sowie gemeinsame Visionen und konkreteZiele vereinbart werden. Gerade in den gröûeren Städtenkommt es entscheidend darauf an, die Analysen vor allemauch auf Stadtteil- bzw. Quartiersebene vorzunehmen undauch konkrete Ziele für die Stadtteilebene zu entwickeln.Für einen Landkreis bedeutet es, die zugehörigen Gemeindenintensiver zu betrachten und mit ihren VertreternSchwerpunkte der Entwicklungen zu analysieren.Ziele dieser Phase:· im Dialog ein gemeinsames Problemverständnis schaffensowie Ziele und Schwerpunktthemen erarbeitenund ± auch politisch ± vereinbaren· Prioritäten setzen· mögliche zukünftige Entwicklungen betrachten (auchauf Stadtteil- bzw. teilräumlicher Ebene)Ein solider Abschluss dieser Phase bildet die Grundlagefür alle folgenden Aktivitäten.Phase 4: Handlungskonzepte erarbeitenund umsetzenIn dieser Phase kommt es darauf an, für die entwickeltenStrategien politische Entscheidungen über das tatsächlicheVorgehen zu treffen und im Alltag konkrete Projekteumzusetzen. So werden Erfahrungen gesammelt,wie sich die Städte und Gemeinden zukünftig (noch) besseran den demographischen <strong>Wandel</strong> anpassen könnenund wie sie ihre Organisationsstrukturen entsprechendlangfristig verändern müssen. Ein wichtiges Element dieserPhase ist das strategische Management des ThemasDemographie.Projekte und Maûnahmen werden konkret formuliertund auch in den Ressourcenplanungen abgesichert. Siemüssen keinesfalls immer neu entwickelt werden. Vielmehrkönnen insbesondere die bestehenden Projekte angepasstoder mit einer geänderten Priorität versehen werden.Besondere Beachtung sollten so genannte SchlüsseloderLeuchtturmprojekte finden: Sie zeigen anschaulich,wie gemeinsame Zielvorstellungen umgesetzt werdenkönnen, geben weiterführende Impulse, erzeugen vielAufmerksamkeit, können intensiv kommuniziert werdenund wirken integrativ.Faktisch werden Prioritäten auf kommunaler Ebeneüber die Haushalts-, Investitions- und Finanzplanunggesetzt. Deshalb muss für die Gestaltung des demographischen<strong>Wandel</strong>s darauf hingewirkt werden, dass Stadtentwicklungund Kommunalfinanzen koordiniert und Inves-190


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>titionsprioritäten strategisch integriert werden. Strategienmüssen zwingend in das Haushaltsaufstellungsverfahreneingebettet werden. So ist in diesem Zusammenhang auchein intensiver Dialog mit der Politik notwendig, denn dieFolgen des demographischen <strong>Wandel</strong>s reichen weit überdie kurzfristigen Wahlperioden hinaus. In vielen Kommunenist diese Form der zielorientierten Steuerung bereitsdurch ein strategisches Management etabliert.Ziele dieser Phase:· konkrete Projekte modifizieren, neu entwickeln undumsetzen· Prioritäten in Haushalts-, Investitions- und Finanzplanungabsichern· den Dialog mit den lokalen Akteuren intensiv weiterverfolgen· über den Fortgang der Projekte eingehend kommunizierenPhase 5: Langfristige Wirkungen analysierenund bewertenJetzt werden die Wirkungen der Maûnahmen analysiert.Sinnvoll ist die Entwicklung eines regelmäûigen Demographie-Controllings± entweder als Bestandteil des strategischenControllings der Kommune oder als eigeneForm. Hier werden die gesetzten Ziele regelmäûig überprüftund ggf. auch modifiziert, soweit Gegensteuerungsmaûnahmennicht greifen. Für die gemeinsame Reflexion,aber auch für die strategische Ausrichtung der Kommunesind jährliche Strategieworkshops sinnvoll, an denen derVerwaltungsvorstand, Kommunalpolitiker, Fachleute ausden ¾mtern sowie Vertreter von Wirtschaftsverbänden,Kammern und Sozialverbänden ebenso teilnehmen wieJournalisten und Vertretungen von Kindergärten, Schulenund Seniorenheimen.Um den Erfolg von Einzelmaûnahmen im Zeitverlaufbewerten zu können, sollte ein »Demographie-Bericht«etabliert werden: Dieser wird nicht nur einmalig für dieDarstellung der Ausgangslage erarbeitet (vgl. Phase 2),sondern dokumentiert in regelmäûigen Abständen, etwahalbjährlich, die Ergebnisse und zeigt weitere Handlungsbedarfeauf.191


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Innovative Szenarioplanung im Landkreis OsnabrückDirk Heuwinkel, Bernward Lefkenerkannt und genutzt werden. Und auch an den Ursachenkann und muss angesetzt werden, damit sich der negativeTrend nicht dauerhaft fortsetzt.Vor diesem Hintergrund entwickelten Politik und Verwaltungdas Mittelfristige Entwicklungsziel (MEZ) »Standortqualitätensichern, ausbauen und auf den demographischen<strong>Wandel</strong> ausrichten«. Zur Konkretisierung wurdezunächst verwaltungsintern in der Arbeitsgruppe Demographie1 ein ressortübergreifendes Handlungskonzept erarbeitet,um die demographischen Strukturen und Trendszu analysieren, Handlungsbedarfe und Maûnahmen zubestimmen, Akteure und Öffentlichkeit zu sensibilisierenund einzubinden sowie Projekte und Maûnahmen zu koordinierenund durchzuführen. Das Konzept bildet dieGrundlage für die konkreten Handlungsschwerpunkte desLandkreises, die im Rahmen der jährlichen Haushaltsaufstellungpolitisch mitbeschlossen und so auch an die finanziellenRessourcen gekoppelt werden.Die zunehmende Sensibilisierung für demographische Entwicklungenführt bei den kommunalen Akteuren ± Bürgermeister,Ratsmitglieder, Verantwortliche in Institutionen± oft zu der Frage: »Und was machen wir nun?« DieAntwort darauf muss vor Ort gefunden werden, weil dieBedingungen und Trends kleinräumig variieren ± auchinnerhalb eines Landkreises. Lokale Zielsetzungen undMaûnahmen sind gefordert.Aus diesem Grund bietet der Landkreis Osnabrückseinen Städten und Gemeinden eine konkrete Arbeitshilfean, damit insbesondere auch die kleineren Kommunenortsspezifische Politik- und Handlungsstrategien erarbeitenkönnen. Das Konzept zur Klärung der örtlichenHandlungsansätze ist problemlos auf andere Kommunenübertragbar. Seine Grundzüge werden im Folgenden beschrieben.Ausgangspunkt: Das ressortübergreifendeHandlungskonzeptDie Politik im Landkreis Osnabrück hat früh erkannt,dass man der demographischen Entwicklung nicht weitertatenlos zusehen darf. Die Folgen der Alterung müssenabgefedert, die Chancen des demographischen <strong>Wandel</strong>sSensibilisierung der Akteure undder ÖffentlichkeitDer demographische <strong>Wandel</strong> betrifft alle Lebensbereiche.Folglich ist der Landkreis Osnabrück auch nicht der einzigeAkteur. Viele müssen ihre Handlungsmöglichkeitenergreifen ± Familien, Arbeitgeber, soziale Träger, Bauherrenusw. ±, damit der demographische <strong>Wandel</strong> bewältigtwerden kann.Deshalb ist es wichtig, allen Akteuren und der Öffentlichkeitdie in der Kreisverwaltung erarbeiteten Erkenntnisseüber demographische Strukturen und Trends sowiedie beim Landkreis erarbeitete Strategie und die ergriffenenMaûnahmen bekannt zu machen: durch Fachveranstaltungen,in Zukunftswerkstätten, Vorträgen und Projekten,wie »<strong>Demographischer</strong> <strong>Wandel</strong> ± Szenarien undHandlungsfelder aus Sicht von Jugendlichen«, »Demographieund Arbeitswelt« mit Unternehmen, »<strong>Demographischer</strong><strong>Wandel</strong> und Kirchenkreise« etc. Auch ein Thesenpapierund eine Ausstellung transportieren das Thema.1 Hier arbeiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der FachdiensteSoziales, Jugend, Schulen sowie Planen und Bauen, die Frauenbeauftragteund der Bildungskoordinator sowie Mitarbeiter derVolkshochschule unter Federführung des Referates für StrategischeSteuerung und Kreisentwicklung zusammen.192


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Analyse der demographischenStrukturen und TrendsVor der Durchführung von Projekten und Maûnahmensteht eine gründliche Analyse und Beschreibung derStrukturen und Wirkungszusammenhänge. Das Referatfür Strategische Steuerung und Kreisentwicklung stelltdazu verlässliche Daten zur Einwohnerstruktur zur Verfügungsowie eine vom Institut für Entwicklungsplanungund Strukturforschung (ies, Hannover) gerechnete kleinräumige»Einwohnerprognose für den Landkreis Osnabrückund seine Städte und Gemeinden«, zusammen miteinem Analysewerkzeug auf CD-ROM.Der Landkreis und die Städte und Gemeinden verwendendiese Prognose für ihre Fachplanungen. Auch die Kreistagsfraktionen,Kirchen und andere interessierte Institutionenund Personen erhalten die aufbereiteten Daten.Sie werden jährlich fortgeschrieben.Der Landkreis Osnabrück ist in die allgemeine Entwicklunghin zu einer nachwuchsarmen, ergrauenden Gesellschaftin Deutschland und Europa eingebunden. Die Ausgangssituationist dabei ± verglichen mit dem Durchschnittsalterund der Geburtenzahl je Frau in anderen TeilenDeutschlands ± noch relativ günstig.Gleichwohl führen die demographischen Entwicklungenim Landkreis schon jetzt zu spürbaren Veränderungen.So werden auch dort nur zwei Drittel der Kindergeboren, die für eine gleich bleibende Bevölkerungszahlerforderlich sind. Das Durchschnittsalter steigt ± wegender fehlenden Kinder und der höheren Lebenserwartung ±stark an. Migrantinnen und Migranten können diesenEffekt nicht ausgleichen.Vor allem werden die wellenförmigen Veränderungender Jahrgangsstärken erhebliche Auswirkungen auf diealtersspezifischen Infrastrukturen haben. Die Folgen sindstarke Bedarfsschwankungen in Einrichtungen der Kinderbetreuung,Schulen, bei Gesundheitsdiensten, in derAltenpflege usw. Diese Einrichtungen müssen vor Ortbedarfsgerecht und flexibel gestaltet werden.Dramatisch ist im Landkreis Osnabrück noch nichtdie Gesamtentwicklung der Bevölkerungszahlen (2004 bis<strong>2020</strong>: +2,8 Prozent), sondern die Umkehrung der Alterspyramide:Während die Zahl der unter 20-Jährigen um16 600 stark sinkt (±19 Prozent), steigt die Zahl der Hochbetagten(über 80-Jährige) mit 12 500 stark an (+92 Prozent).Im kleinräumigen Nebeneinander von Zuwachsund Rückgang reicht die Bandbreite bei den· unter 20-Jährigen von +2,4 Prozent in Alfhausen bis-27,8 Prozent in Menslage· Hochbetagten von +46,0 Prozent in Menslage bis+208,4 Prozent in WallenhorstAufgrund dieser unterschiedlichen Ausgangslagen gibt eseine beachtliche Spannbreite zwischen den kreisangehörigenStädten und Gemeinden von -5,3 Prozent (Badbergen)bis +22,7 Prozent (Alfhausen).Daraus ergibt sich, dass der Anpassungs- und Steuerungsbedarfin den Städten und Gemeinden im Kreisgebietganz unterschiedlich ausfällt und spezifische Strategienerfordert.Aktuelle Strukturen und Trends auf KreisebeneAnalyse-Werkzeug für dieStädte und GemeindenDas entwickelte Analyse-Werkzeug hilft den Bürgermeistern,Verwaltungsmitarbeitern und anderen Akteuren vorOrt, die lokalen Strukturen und Trends zu beschreiben,und es gibt Hinweise auf Handlungsmöglichkeiten. Diesesind als Anregungen zu verstehen.Das Konzept ist einfach: Portfolio-Abbildungen zeigendie Lage der Kommune im Vergleich zum Kreisdurchschnitt.Das Portfolio ordnet die Kommunen einem vonvier Quadranten zu (A, B, C oder D). Je näher die Gemeindedem Mittelwert des Landkreises kommt, desto wenigerausgeprägt ist die Situation (schraffierter Bereich).Die Bedeutung der Quadranten wird in der dazu gehörigenTabelle 1 erklärt. In Tabelle 2 finden sich dann die Hinweisezum Handlungsbedarf in der Gemeinde und aufmögliche Schritte und Maûnahmen. Das Analyse-Werkzeugbesteht aus neun Portfolios:193


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>EinstiegAm Anfang werden die demographischen Grunddatender Gemeinde anhand folgender Portfolios analysiert:(1) grobe Einschätzung der Bevölkerungsdynamik derKommune (Entwicklung 1990±2003, Prognose 2003±<strong>2020</strong>)(2) Triebkräfte der Einwohnerentwicklung (natürlicherSaldo, Wanderungssaldo)Beispiel: Die Stadt Bramscheim Landkreis OsnabrückDie Stadt Bramsche ist ein Mittelzentrum mit 30 000 Einwohnernim Landkreis Osnabrück. Sie liegt 15 Kilometernördlich des Oberzentrums Osnabrück.Die folgenden Abbildungen und Tabellen zeigen einenAusschnitt der Ergebnisse und Handlungsvorschläge, diedas Analyse-Werkzeug für Bramsche anbietet.Anschlieûend folgt das Analyse-Werkzeug den Handlungsfeldernder Zwei-Wege-Strategie des Landkreises(Bertelsmann Stiftung 2004):Weg 1: Den demographischen Trendbremsen und umkehrenDie Analyse unterscheidet hier zwei Handlungsfelderbzw. Portfolios:(3) kinderfreundliches Lebensumfeld bieten(4) Integration der Migranten erfolgreich gestaltenWeg 2: Die negativen Effekte abfedernund Chancen nutzenDie Analyse unterscheidet hier fünf Handlungsfelderbzw. Portfolios:(5) Infrastrukturen wandelbar machen (Beispiel Schulender Sekundarstufe 1)(6) Siedlungen und Standorte an den veränderten Bedarfanpassen(7) lebenslanges Lernen/»Fitness« der alternden Belegschaftenfördern(8) Potenziale der ¾lteren nutzen(9) öffentliche Dienstleistungen an den veränderten Bedarfanpassen194


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Abb. 1: Grobe Einschätzung der Bevölkerungsdynamikin der KommuneKreisdurchschnittBevölkerungsentwicklung 1990 bis 2003: +15,5 ProzentBevölkerungsprognose 2003 bis <strong>2020</strong>: +2,8 ProzentEinstiegAnalyse der demographischen GrunddatenLfd.Nr.Portfolio/Indikatoren Ausprägungen Interpretation1 Grobe Einschätzung der Bevölkerungsdynamik in der KommuneBevölkerungsentwicklung1990±2003 in Prozentunter Durchschnitt(< 15,5)über Durchschnitt(> 15,5)A ± relativ schwache Bevölkerungsentwicklung geht in Schrumpfung überB ± weiter mäûiges EinwohnerwachstumBevölkerungsprognose2003±<strong>2020</strong> in Prozentwachsend (> 0) B D C ± Rückgang bzw. Stagnation nach starkem Einwohnerzuwachsschrumpfend (< 0) A C D ± weiter z. T. deutliches EinwohnerwachstumHinweise für strategisches HandelnLfd.Nr.Portfolio/Ausprägungen Fragestellungen Handlungsmöglichkeiten1 Grobe Einschätzung der Bevölkerungsdynamik in der KommuneA ± relativ schwacheBevölkerungsentwicklunggeht inSchrumpfung überB ± weiter mäûigesEinwohnerwachstumC ± Rückgang bzw.Stagnation nachstarkem EinwohnerzuwachsD ± weiter z. T. deutlichesEinwohnerwachstumDie Gemeinde bleibt hinter dem allgemeinenTrend des Landkreises zurück. Was sind dieGründe?Ergeben sich Probleme für die Kommune?Die Entwicklung verläuft ohne groûe Trendänderungenweiter wie in den letzten Jahren.Allerdings muss dennoch für die Zukunft miterheblichen Verschiebungen in der Altersstrukturgerechnet werden. Welcher Handlungsbedarfergibt sich möglicherweise daraus?Der bisherige Wachstumstrend setzt sichnicht fort.Welche Bedingungen haben sich geändert?Wie kann gegengesteuert werden?Das starke Einwohnerwachstum der letztenJahre setzt sich weiter fort.Ist die Gemeinde darauf vorbereitet?Sie sollten die Ursachen und Folgen des demographischen <strong>Wandel</strong>s in IhrerGemeinde/Stadt genauer untersuchen.Betrachten Sie dazu die anderen Portfolios.Sie sollten die Entwicklung der Altersstruktur (weniger Kinder, mehr Alte)in Ihrer Gemeinde/Stadt genauer untersuchen und ggf. darauf reagieren.Siehe dazu zunächst Portfolios 2, 3 und 4.Gehen Sie den Ursachen und Trendänderungen nach (vgl. Portfolio 2).Die Gemeindeplanung sollte sich auf geringe Bedarfszuwächse und aufden einsetzenden Alterungsprozess (weniger Kinder, mehr Alte) einstellen.Möglicherweise gibt es Potenziale für eine aktive Anwerbung von Neubürgern.Die Gemeindeplanung sollte sich auf den noch wachsenden Bedarf einstellen.Dabei ist zu beachten, dass dieser Bedarf auf längere Sicht deutlichsinken wird. Portfolio 5 zeigt diesen Zusammenhang exemplarisch fürden Bereich der Schulen der Sekundarstufe I. Für die anderen demographiesensiblenInfrastrukturen wie Kindereinrichtungen, Gesundheitseinrichtungen,Schülerverkehr, Pflegeeinrichtungen etc. müssen entsprechendeSachverhalte ermittelt und Folgerungen gezogen werden.195


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Abb. 2: Beispiel: Portfolio 3 ±»Kinderfreundliche Kommune«KreisdurchschnittBevölkerungsanteil der Frauen im Alter von 15 bis unter 45 Jahren: 20,6 Prozent50 Geburten je 1000 Frauen im Alter von 15 bis unter 45 JahrenWeg 1: Den demographischen Trendbremsen und umkehrenLfd.Nr.Portfolio/Indikatoren Ausprägungen Interpretation3Kinderfreundliches Lebensumfeld bietenAnteil der potenziellenMütter (15- bis 45-Jährige)in ProzentGeburtenrate je 1000dieser Frauen(15- bis 45-Jährige)in Prozentniedrig (20,6) A ± wenig potenzielle Mütter und niedrige GeburtenrateB ± relativ wenig potenzielle Mütter, aber überdurchschnittlich hoheGeburtenratehoch (>50) B D C ± relativ viele potenzielle Mütter, aber unterdurchschnittlicheGeburtenrateniedrig (


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Abb. 3: Beispiel: Portfolio 7 ±Lebenslanges Lernen/»Fitness« der alternden Belegschaften fördernKreisdurchschnittVeränderung der Altersrelation: 120 (Index = 100)Anteil ohne Beruf: 21,3 ProzentWeg 2: Die negativen Effekteabfedern und Chancen nutzenLfd.Nr.Portfolio/Indikatoren Ausprägungen Interpretation7 Lebenslanges Lernen/»Fitness« der alternden Belegschaften fördernVeränderung der Altersrelation20- bis 40-Jährige/40-bis 60-Jährige inder Bevölkerung 2003±<strong>2020</strong> (Index 2003 = 100)Anteil sozialversicherungspflichtigerBeschäftigterohne Beruf am Arbeitsort2004 (Prozent)gering (120) A ± relativ geringer Anteil jüngerer Erwerbspersonen und relativ geringesQualifikationsniveau der BeschäftigtenB ± Qualifikationsdefizitehoch (>22) B D D ± relativ günstiger Anteil jüngerer Erwerbspersonen und relativ hohesQualifikationsniveau der Beschäftigtengering (


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Lfd.Nr.Portfolio/Ausprägungen Fragestellungen Handlungsmöglichkeiten7 Lebenslanges Lernen/»Fitness« der alternden Belegschaften fördernD ± relativ geringer Anteiljüngerer Erwerbspersonenundrelativ geringesQualifikationsniveauder BeschäftigtenIm Falle von Arbeitslosigkeit wirkt sich einfehlender Berufsabschluss oft nachteilig aus. Einüberdurchschnittlicher Teil der Beschäftigtenin Ihrer Gemeinde/Stadt trägt somit ein erhöhtesRisiko, langfristig arbeitslos zu werden.Die Kommune wird dann finanziell gefordert.Für die Betriebe fehlt Innovationspotenzial inden Belegschaften und auch der Zufluss vonKnow-how durch junge ± in der Regel besserausgebildete ± Kräfte fehlt.Kann der Bedarf der örtlichen Unternehmen an qualifizierten Kräften aus derGemeinde/Stadt gedeckt werden? Gelingt es, gut ausgebildeten Nachwuchsvor Ort zu halten, oder zieht er weg? Die Antwort auf diese Fragen führt zuHandlungsansätzen, mit denen gegengesteuert werden kann.Berufliche Bindung hat ihre Entsprechung in einer kinder- und familienfreundlichenKommunalpolitik (siehe Portfolio 3).Der immer schneller werdende Strukturwandel kann nur mit innovationsfreudigenund -fähigen Unternehmerinnen und Unternehmern sowieMitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestanden werden. Deshalb sollte evtl.nach Strategien zur Förderung des lebenslangen Lernens gesucht werden.A = 1 Fürstenau, 2 Kettenkamp, 3 Gehrde, 4 Georgsmarienhütte, 5 Ostercappeln, 6 Alfhausen, 7 Hagen a. T. W., 8 Wallenhorst, 9 BohmteC = 10 Hilter a. T. W., 11 BippenBei der Altersrelation wird das sich ändernde Verhältnis der älteren erwerbsfähigen Bevölkerung (40 bis unter 60 Jahre) zur jüngeren Bevölkerung (20 bis unter 40 Jahre)im Zeitraum 2003 bis <strong>2020</strong> dargestellt.198


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>AnhangMethodikBesonderheiten der PrognoseDas verwendete Prognosemodell bewährt sich seit gut 20Jahren in der Praxis und weist für das Anliegen der BertelsmannStiftung ± erstmalig eine bundesweit abgestimmteBevölkerungsprognose auf Gemeindeebene durchzuführen± eine Reihe methodischer Vorzüge auf:· Die Berechnungen können durch den Komponentenansatznicht nur für alle Ebenen (Bund, Länder, Landkreise/kreisfreieStädte, Gemeinden) erfolgen, sondernsie werden auch mit der gleichen Berechnungsmethodedurchgeführt. Für jede regionale Einheit werdenin der Prognose 100 Altersjahre und zwei Geschlechterberücksichtigt (beispielsweise im Gegensatz zurBBR-Methode, die Altersgruppen und Gemeindeaggregate,sog. Gemeindeverbände, verwendet).· Wanderungsbewegungen werden nicht durch Wanderungssalden,sondern durch die getrennte Ermittlungvon Fort- und Zuzügen berücksichtigt. Dadurchist sichergestellt, dass im Rechenmodell nur Personenfortziehen können, die auch tatsächlich in der jeweiligenPrognoseeinheit verzeichnet sind.· Die getrennte Berücksichtigung von Fort- und Zuzügenin allen Altersjahren führt im Ergebnis dazu, dasssich spezifische Wanderungsstrukturen deutlich in denPrognoseergebnissen niederschlagen können. Dies istbeispielsweise für das Land Brandenburg der Fall. Inallen neuen Bundesländern ist eine massive Abwanderungder Bevölkerung im Alter zwischen 18 und30 Jahren zu verzeichnen. Auch in den anderen Altersgruppengibt es in den neuen Bundesländern teilweisegroûe Wanderungsverluste oder zumindest Stagnation.Nicht aber in Brandenburg. Hier werden in den anderenAltersgruppen vergleichsweise hohe Wanderungsgewinneaus der Suburbanisierung Berlins erzielt.Folge ist eine im Vergleich zu den anderen neuen Bundesländerngeringere Bevölkerungsabnahme bis zumJahr <strong>2020</strong>, die auf spezifische Wanderungsstrukturenzurückgeht und durch die gewählte Prognosemethodikauch abgebildet werden kann.· Die Geburtenraten werden vor Beginn der eigentlichenPrognose mittels alterspezifischer Fruchtbarkeitsziffernder Bundesrepublik Deutschland und der Altersverteilungder Frauen in der jeweiligen Prognoseeinheithochgerechnet und mit den realen Geburtenzahlenin den Basisjahren verglichen. Daraus ergibt sich fürjede Prognoseeinheit ein individueller Korrekturfaktor,der die ermittelten Geburten den realen Verhältnissenanpasst. Dadurch ist beispielsweise gewährleistet, dassStudentinnen in Universitätsstädten, die in der Regelerst ihr Studium abschlieûen, nicht rechnerisch zuMüttern werden.· Die Prognosemethodik führt zu Ergebnissen »auseinem Guss«. Das bedeutet, dass alle räumlichen Einheitenunter den gleichen Annahmen gleich behandeltwerden (Fortschreibung der Entwicklung in den Basisjahrenunter Status-quo-Bedingungen). Dadurch sindAbweichungen insbesondere zu den so genannten koordiniertenBevölkerungsvorausschätzungen (z. B. der10. koordinierten Bevölkerungsprognose des statistischenBundesamtes und den Prognosen des Bundesamtesfür Bauwesen und Raumordnung, BBR) möglich,in die auch Vorstellungen hinsichtlich der zukünftigenEntwicklung aus 16 statistischen Landesämtern/Landesregierungen einflieûen und deren Ergebnissesomit durchaus politisch geprägt (koordiniert) seinkönnen. In der Regel liegen die ies-Ergebnisse für dasJahr <strong>2020</strong> zwischen denen der 10. koordinierten Bevölkerungsprognosedes statistischen Bundesamtsund der jüngsten Prognose des BBR.199


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Erläuterung der IndikatorenSofern nicht anders vermerkt, beziehen sich alle Angaben auf den Bevölkerungsstand des Jahres 2003 (31.12.2003).Alle Indikatoren wurden auf den Gebietsstand Oktober 2004 umgerechnet.Eine ausführliche Liste aller 52 dem <strong>Wegweiser</strong> zugrunde liegenden Indikatoren finden Sie im Internet unterwww.aktion2050.de/wegweiser.+ = plus; ± = minus; / = geteilt durch; ” = multipliziert mitBevölkerung 1996±2003Aussage:Hinweis auf:Die Bevölkerungszahl hat zwischen 1996 und 2003 um X Prozent zu- bzw. abgenommen.die Bevölkerungsentwicklung in der VergangenheitBerechnung: (Bevölkerung 2003 ± Bevölkerung 1996) / Bevölkerung 1996 ” 100Einheit:Quelle:ProzentStatistische LandesämterBevölkerung 2003±<strong>2020</strong>Aussage:Hinweis auf:Die prognostizierte Bevölkerungszahl nimmt bis zum Jahr <strong>2020</strong> um X Prozent zu oder ab.Für die Prognose wird die natürliche Entwicklung (Geburten- und Sterbefälle) unddas Wanderungsmuster der Jahre 2000 bis 2003 berücksichtigt.Trends der zukünftigen BevölkerungsentwicklungBerechnung: (Bevölkerung <strong>2020</strong> ± Bevölkerung 2003) / Bevölkerung 2003 ” 100Einheit:Quelle:ProzentStatistische Landesämter, Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung GmbH, HannoverMedianalter <strong>2020</strong>Aussage:Hinweis auf:Berechnung:Einheit:Quelle:50 Prozent der prognostizierten Gesamtbevölkerung des Jahres <strong>2020</strong> sind jünger,50 Prozent sind älter als dieser Wert.den Fortschritt des Alterungsprozesses der BevölkerungDieses Lebensalter teilt die prognostizierte Population statistisch in zwei gleich groûe Gruppen.JahreInstitut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung GmbH, Hannover200


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Bedeutung als Arbeitsort (Arbeitsplatzzentralität)Aussage:In der Kommunen arbeiten mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte als dort wohnen (Wert > 1) oderweniger (Wert < 1).Hinweis auf:Berechnung:Einheit:Quelle:eine besondere Bedeutung als Wirtschafts- und Arbeitsstandort sowie auf das Pendleraufkommen(Die höhere Bedeutung einer Gemeinde als Arbeitsort als als Wohnort äuûert sich in einem Wert > 1)sozialversicherungspflichtig Beschäftigte am Arbeitsort / sozialversicherungspflichtig Beschäftigte am WohnortStichtag: 30.06.2003AnteilswertBundesagentur für Arbeit, NürnbergArbeitsplatzentwicklung 1998±2003Aussage:Hinweis auf:Berechnung:Einheit:Quelle:Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hat zwischen 1998 und 2003 um X Prozent zu- bzw.abgenommen.Arbeitsplatzzuwachs oder Arbeitsplatzabbau im Verhältnis zu den bestehenden Arbeitsplätzen(Ein hoher positiver Wert weist auf eine hohe positive wirtschaftliche Dynamik hin.)(sozialversicherungspflichtig Beschäftigte am Arbeitsort 2003 ± sozialversicherungspflichtig Beschäftigte amArbeitsort 1998) / sozialversicherungspflichtig Beschäftigte am Arbeitsort 1998 ” 100Stichtag: 30.06.2003ProzentBundesagentur für Arbeit, NürnbergArbeitslosenquoteAussage:Hinweis auf:X Prozent der Erwerbspersonen sind arbeitslos.soziale Belastungen und Probleme sowie die Arbeitsmarktsituation in der KommuneBerechnung: Arbeitslose / (sozialversicherungspflichtig Beschäftigte am Wohnort + Arbeitslose) ” 100Stichtag für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte: 30.06.2003Arbeitslosenzahl: Jahresdurchschnitt 2003Für alle Berechnungen mit »Erwerbspersonen« gilt: Zu den Erwerbstätigen gehören neben den sozialversicherungspflichtigBeschäftigten auch Selbstständige, mithelfende Familienangehörige, Beamte, Richtersowie Berufs- und Zeitsoldaten; über diese liegen jedoch keine Daten auf kommunaler Ebene vor, ebensowenig wie über nicht bei der BA gemeldete Erwerblose. Daher wird hier vereinfachend die Gruppe der Erwerbspersonenaus der Summe der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und der Arbeitslosen gebildet.Einheit:Quelle:ProzentBundesagentur für Arbeit, Nürnberg201


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Kommunale Steuereinnahmen pro EinwohnerAussage:Die über die Jahre 2000 bis 2003 gemittelten Steuereinnahmen einer Kommune betragen im DurchschnittX Euro pro Einwohner.Hinweis auf:den finanziellen Handlungsspielraum der KommuneBerechnung: Mittelwert 2000 bis 2003 der Steuereinnahmen / Gesamtbevölkerung 2003Steuereinnahmen = Mittelwert 2000 bis 2003 von Grundsteuer A + Grundsteuer B + Gewerbesteuer +Gemeindeanteil an Einkommensteuer + Gemeindeanteil an UmsatzsteuerEinheit:Quelle:EuroStatistische LandesämterAnteil Hochqualifizierter am WohnortAussage:Hinweis auf:Berechnung:Einheit:Quelle:X Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Einwohner der Kommune haben einen HochschuloderFachhochschulabschluss.das Ausbildungs- und Qualifikationsniveau der Bevölkerung und die Attraktivität des Wohnortes fürHochqualifiziertesozialversicherungspflichtig Beschäftigte mit (Fach-)Hochschulabschluss am Wohnort / sozialversicherungspflichtigBeschäftigte am Wohnort ” 100ProzentBundesagentur für Arbeit, NürnbergAnteil Haushalte mit KindernAussage:Hinweis auf:In X Prozent aller Haushalte leben Kinder.die Attraktivität des Wohnortes für Kinder und Familien sowie weitere notwendige Maûnahmenz.B. im InfrastrukturbereichBerechnung: Mehrpersonenhaushalte mit Kindern / Anzahl Haushalte ” 100»Kinder« sind in diesem Zusammenhang ledige Personen ± ohne Altersbegrenzung ±,die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einem Haushalt bzw. einer Familie zusammenleben(auch ledige Stief-, Adoptiv- oder Pflegekinder).Bezugsjahr: 2002Einheit:Quelle:ProzentGfK AG, Nürnberg202


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>Arbeitskreis BevölkerungsprognoseDr. Hansjörg BucherBundesamt für Bauwesen und RaumordnungBonnIvar CorneliusForschungsdatenzentrum der Statistischen Landesämter im Statistischen Landesamt Baden-WürttembergStuttgartPD Dr. E.-Jürgen FlöthmannInstitut für Bevölkerungs- und Gesundheitsforschung (IBG)Fakultät für GesundheitswissenschaftenUniversität Bielefeld und Universität RostockJens GebertBertelsmann StiftungGüterslohCarsten Groûe StarmannBertelsmann StiftungGüterslohProf. Dr. Ruth Rohr-ZänkerInstitut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung GmbH an der Universität Hannover (ies)HannoverThomas SchleifneckerInstitut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung GmbHan der Universität Hannover (ies)HannoverClaus SchlömerBundesamt für Bauwesen und RaumordnungBonnKerstin SchmidtBertelsmann StiftungGüterslohBettina SommerStatistisches Bundesamt DeutschlandWiesbadenBjörn-Uwe TovoteInstitut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung GmbHan der Universität Hannover (ies)Hannover203


Stiftung<strong>Demographischer</strong> <strong>Wegweiser</strong>LiteraturRegionale KooperationAdrian, Luise: Regionale Netzwerke als Handlungskonzept.Berlin 2003.Andersen, Christoph, Marcus Beck und Stephan Selle:Konkurrieren statt Privatisieren. Strategien zur Stärkungder Wettbewerbsfähigkeit kommunaler Dienstleister.Düsseldorf 2005.Badger, Mark, Paul Johnston, Phil Martin Stewart-Weeksund Simon Willis: Connected Republic ± Regieren undVerwalten in der Wissensgesellschaft. 2004. Onlineunter www.cisco.com/go/connectedrepublic.Benz, Arthur, und Dietrich Fürst: »Region ± ­RegionalGovernance¬ ± Regionalentwicklung«. Bernd Adamaschekund Marga Pröhl (Hrsg.). Regionen erfolgreichsteuern. 2. Auflage Gütersloh 2003. 11±16. Onlineunter www.bertelsmann-stiftung.de/verlag.Gawron, Thomas, und Petra Jähnke: Kooperation in derRegion ± Einführung und Problemstellung. Berlin 2000.Hesse, Markus: »Von der gemeinsamen Landesplanungzur Regionswerdung«. Hintergrundpapier zur Diskussionum die dezentrale Konzentration und die Zukunftder Landesplanung in (Berlin-)Brandenburg. Berlin2005. Online unter www.kompetenzzentrum-stadt-region.de/docs/Positionspapier_DeKo.pdf.Hollbach-Grömig, Beate, et al.: Interkommunale Kooperationin der Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik. Berlin2004.Huber, Andreas, Stephan A. Jansen und Harald Plamper:Public Merger. Strategien für Fusionen im öffentlichenSektor. Wiesbaden 2004.Huth, Nadja, Anja Scheube und Peter Sedlacek: Regionalentwicklungdurch Städtekooperation in Ostthüringen:Möglichkeiten einer strategischen Allianz zwischen denStädten Altenburg, Gera, Jena. Jena 2002.IRS ± Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung:Regionale Kooperation ± Notwendigkeit undHerausforderung kommunaler Politik. Berlin 2000.Kienbaum Management Consultants GmbH: InterkommunaleZusammenarbeit. Düsseldorf 2004.Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement(KGSt): Interkommunale Zusammenarbeit ± einBeitrag zur Haushaltskonsolidierung am Beispiel einesProjekts der Städte Nürnberg, Fürth, Erlangen, Schwabach.Köln 2004.Lummerstorfer, Anton-Josef: Interkommunale Kooperationen± welche Aufgaben eignen sich? Linz 2005.Oppen, Maria, Detlef Sack und Alexander Wegener: Abschiedvon der Binnenmodernisierung? Kommunen zwischenWettbewerb und Kooperation. Berlin 2005.Schreiber, Rainer, und Thomas Stahl: Regionale Netzwerkeals Innovationsquelle:das Konzept der »lernenden Region«in Europa. Frankfurt am Main 2003.Spannowsky, Willy, und Dietrich Borchert: »InterkommunaleKooperation als Voraussetzung für die Regionalentwicklung«.Forschungsprojekt im Rahmen des Ideenwettbewerbs»Stadt 2030« des Bundesministeriumsfür Bildung und Forschung (BMBF). Endbericht. Berlin2002.Wegener, Alexander: »Die Kriterien zu Good Governance«.Marga Pröhl (Hrsg.). Good Governance für Lebensqualitätvor Ort. Internationale Praxisbeispiele für Kommunen.Gütersloh 2002. 16±115.SeniorenpolitikAugurzky, Boris, und Uwe Neumann: »Ökonomische Ressourcenälterer Menschen«. RWI-Expertise Seniorenwirtschaft.Januar 2005. Online unter www.seniorenwirt.de.Blaumeister, Hans, Annette Blunck und Thomas Klie: HandbuchKommunale Altenplanung. Grundlagen ± Prinzipien± Methoden. Frankfurt am Main 2002.Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend(Hrsg.): »Engagementförderung als neuer Wegder kommunalen Altenpolitik«. Dokumentation derFachtagung im September 1997. Schriftenreihe Band160. 2. Auflage. Stuttgart 2001.Frerichs, Frerich: »Zum internationalen Jahr der Senioren(IV): Offene Altenarbeit ± Ein vernachlässigter Bereichder Altenpolitik in Deutschland«. Theorie undPraxis der sozialen Arbeit (5) 50. 1999. 169±174.Haus, Michael (Hrsg.): Bürgergesellschaft, soziales Kapitalund lokale Politik. Theoretische Analysen und empirischeBefunde. Opladen 2002.Klie, Thomas (Hrsg.): Fürs Alter planen ± Beiträge zur kommunalenAltenplanung. Freiburg 2002.Projekt Ruhr GmbH (Hrsg.): Demografischer <strong>Wandel</strong> imRuhrgebiet. Auf der Suche nach neuen Märkten. Essen204


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