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Wolfgang Wildgen - Fachbereich 10 - Universität Bremen

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1. Niederdeutsch: Geschichte und aktuelle Tendenzen 1<br />

1.1. Einleitung<br />

„Niederdeutsch ist ein fachwissenschaftlicher Terminus, der in der Reihe<br />

Nieder—Mittel—Oberdeutsch seinen Platz hat. Ein Blick auf eine Dialektkarte<br />

zeigt, daß „nieder“ soviel heißt wie „nord“, d.h. Niederdeutsch<br />

= Norddeutsch. Genauer sagt man "Neuniederdeutsch", da man<br />

das heute gesprochene Niederdeutsche meint und nicht das Mittelniederdeutsche<br />

des späten Mittelalters oder gar das Altsächsische, das in derselben<br />

Region im 9. Jahrhundert gesprochen wurde. Die Sprecher selbst<br />

sagen „Platt“ oder „Plattdeutsch“, wobei die norddeutsche Tiefebene und<br />

die flache Küste wohl die Hauptkonnotationen von „platt“ sind.<br />

Die Sprecher tendieren dazu, das Plattdeutsche (= Niederdeutsche) als<br />

eine Sprache zu bezeichnen, wobei die ziemlich klare Abgrenzung zum<br />

Hochdeutschen und die regionale Identität, für welche das Platt Symbolcharakter<br />

hat, ausschlaggebend sind. Manche Sprachwissenschaftler (vgl.<br />

Goosens, 1973: 26, der den niederländischen Sprachforscher Heeroma<br />

zitiert) sprechen von einem „niederdeutschen Sprachmythos“. Aus dieser<br />

Sicht hätte es das Niederdeutsche als Sprache nur solange gegeben, wie<br />

das, durch das Lübische einigermaßen normierte, Mittelniederdeutsch<br />

existierte. Mit der Auflösung der Hanse und dem Rückgang des Niederdeutschen<br />

als Schriftsprache (etwa im 17. Jahrhundert) hätte es aufgehört<br />

als "Sprache" zu existieren.<br />

Es ist wohl wahr, dass es schwierig ist, die Grenzen des Niederdeutschen<br />

festzulegen und dass das Niederdeutsche wegen des Fehlens einer<br />

Sprachnorm 2 nicht dem modernen Prototyp einer (National-)Sprache<br />

entspricht. Da aber die Mehrheit der Sprachen der Welt nicht verschriftlicht<br />

und in dieser Weise normiert ist, kann dieser Maßstab gar nicht bei<br />

der Entscheidung, ob das Niederdeutsch eine Sprache ist, angelegt werden.<br />

Man könnte allerdings entgegnen, dass so umfassend betrachtet jede<br />

1 Verschiedene Fassungen dieses Aufsatzes wurden am 1. April 1998 in<br />

Gdansk auf Einladung der dortigen Germanisten und im Linguistischen<br />

Kolloquium in <strong>Bremen</strong> (Thema: Sprachgeographie und Dialektologie) vorgetragen.<br />

2 Immerhin gibt es eine Rundfunk-, Fernseh- und Schreibnorm, die mit der<br />

Rolle der Lübbe’schen Norm vergleichbar ist, aber dem Vergleich mit der<br />

modernen hochdeutschen Norm nicht standhält.

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