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Wolfgang Wildgen - Fachbereich 10 - Universität Bremen

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4. Plattdeutsch als Regionalsprache in Europa: ein Versuch<br />

der Standortbestimmung<br />

Die Sprache ist das umfassendste gesellschaftliche Medium. Vom individuellen<br />

Denken, Träumen, Fühlen bis zur politisch-ökonomischen Globalstrategie<br />

spielt sie eine zentrale Rolle. In der Entwicklung Europas war<br />

seit dem Römischen Reich und dessen Untergang die Sprache der römischen<br />

Kolonialisierung entscheidend. Das Latein (Vulgärlatein) der römischen<br />

Administration und der Legionäre wurde von der Christianisierung<br />

bis zum Mittelalter zum Medium der religiösen Akkulturation und übernahm<br />

die Funktion der Bildungssprache, die sie teilweise erst im<br />

20. Jahrhundert endgültig verloren hat. Die Entwicklung schuf eine gewisse<br />

semiotische Einheit in Westeuropa, wobei sich die lateinische<br />

Schrift gegen die kyrillische und griechische im Osten und Südosten,<br />

später gegen die arabische im Süden, abhob (seit 1925 trat das Türkische<br />

in den so konstituierten „Schriftbund“ ein).<br />

Seit dem 15. Jahrhundert, und in einigen Staaten im 16. Jahrhundert<br />

mit Entschiedenheit vorangetrieben, lösten die Nationalsprachen zunehmend<br />

das Latein als Sprache der Kanzleien und der Schulen ab (vgl. die<br />

Dekrete von Franz I. in Frankreich). Die überdachende (auf die Gesamtbevölkerung<br />

bezogen extrem dünne) Kultursprache Latein wurde durch<br />

die Vielfalt sich konstituierender und stabilisierender Hochsprachen, wie<br />

Italienisch, Französisch, Spanisch, Deutsch, Englisch, Flämisch, Dänisch,<br />

Tschechisch, Polnisch usw. verdrängt (immerhin blieb Latein lange die<br />

Sprache der katholischen Liturgie und Basissprache für naturwissenschaftliche<br />

und medizinische Terminologien).<br />

Von all diesen Vorgängen blieb der überwiegende Anteil der Bevölkerung<br />

unberührt, die wie eh und je die regionalen und lokalen Sprachvarietäten<br />

benutzte. Dies änderte sich erst mit der Einführung der allgemeinen<br />

Schulpflicht (Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts) und den Modernisierungs-<br />

und Urbanisierungsprozessen. In Deutschland waren die<br />

nachnapoleonische nationale Besinnung, die Reichsgründung 1870 und<br />

schließlich der gewaltsame Unifizierungsprozess im „Dritten Reich“<br />

Etappen dieser Entwicklung. Die Initialzündung kann in der Französischen<br />

Revolution (1789) mit ihren politischen Folgen gesehen werden.<br />

Der Zweite Weltkrieg und in der Folge die Verlagerung der Weltpolitik<br />

auf Zentren außerhalb Westeuropas (USA und Sowjetunion) hat diese<br />

Entwicklungslinie abgebrochen, vielleicht sogar beendet, und die mit dem<br />

Ende des kalten Krieges (1989) geschaffenen neuen Kultur- und Politik-

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