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Wolfgang Wildgen - Fachbereich 10 - Universität Bremen

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„ein Hemmnis jeder Bildung“ (Goldschmidt, 1846) eingestuft, und es<br />

wurde von einigen seine Abschaffung gefordert (vgl. Wienbarg, 1834).<br />

Als Anhänger des „Jungen Deutschland“, das die Literatur in den Dienst<br />

der politischen und sozialen Forderungen der Zeit gestellt sah, war<br />

Wienbargs Eintreten für die deutsche Hochsprache aus historischer Sicht<br />

und angesichts einer damals noch weniger gefestigten Einheitssprache<br />

sicher verständlich.<br />

Schaut man sich die jüngste Entwicklung an, so scheint Wienbargs<br />

Wunsch in Erfüllung gegangen zu sein, denn das Niederdeutsche hat in<br />

den letzten Jahrzehnten (sicher auch unter dem Einfluss von Flucht und<br />

Aussiedlung seit dem Ende des 2. Weltkrieges sowie der zunehmenden<br />

Mobilität der modernen Industriegesellschaft) den Charakter der Muttersprache<br />

(Primärsprache) in Norddeutschland weitgehend verloren und<br />

tritt heute überwiegend als Zweitsprache neben der fest etablierten hochdeutschen<br />

Einheitssprache auf. Auch eine gewisse reservierte bis diskriminierende<br />

Haltung gegenüber den Niederdeutsch-Sprechern ist<br />

teilweise noch vorhanden, gerade auch in Verbindung mit den Diskussionen<br />

der Sprachsoziologie und der Kommunikationsdidaktik in den 70er<br />

Jahren über schichtenspezifische Umgangssprachen und Dialekte. So<br />

wurde Bernsteins Defizit-Hypothese in der sogenannten Sprachbarrieren-<br />

Diskussion auf das Niederdeutsche als „restringierter“ Sprachausprägung<br />

gegenüber dem „elaborierten“ Code des Hochdeutschen übertragen;<br />

wobei man auch die Bindung der Sprachvariante an die soziale Schicht<br />

übernahm (Niederdeutsch = untere Schicht, Hochdeutsch =<br />

Mittel/Oberschicht). Heute ist diese Auffassung allerdings nicht mehr<br />

haltbar. Im Anschluss an die soziolinguistischen Forschungen von Labov,<br />

der nicht mehr von einem Mangel, sondern lediglich von einem<br />

Unterschied (Differenzhypothese) sprach, die der Unterschichtsprache<br />

gegenüber der Hochsprache anhaften sollte, und als Folge neuerer Untersuchungen<br />

und statistischer Erhebungen wurde das Niederdeutsche neu<br />

bewertet. So trifft auch die sprachliche Schichtenanbindung für das Niederdeutsche<br />

nicht zu. Niederdeutsch-Sprecher kommen heute als allen<br />

sozialen Schichten.<br />

In jüngster Zeit erfreut sich das Niederdeutsche einer zunehmenden<br />

Wertschätzung in der Bevölkerung. Künstler, Intellektuelle und Politiker<br />

bekennen sich öffentlich zum Niederdeutschen. Man spricht von eine<br />

„Renaissance des Plattdeutschen“, von einer „plattdeutschen Welle“ in<br />

den Medien.<br />

Diese gegenwärtige „Renaissance“ des Niederdeutschen hat sicher<br />

viele Ursachen und Gründe, auf die ich hier nicht näher eingehen kann.

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