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A. Lerndaten 14. Teil: Freiheitsberaubung und Nötigung B ...

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Lernprogramm Strafrecht <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>332_____________________________________________________________________A. <strong>Lerndaten</strong> <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>: <strong>Freiheitsberaubung</strong><strong>und</strong> <strong>Nötigung</strong>Seiten: 24 (355 insgesamt)! ca. 100 Minuten (1360 Min. = 22h 40 Min. insgesamt)B. Inhaltsübersicht <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>194 RN bleibt unbesetzt195 <strong>Freiheitsberaubung</strong> (§ 239) - Prüfungsaufbau § 239 I196 <strong>Freiheitsberaubung</strong> (Details)196 a Erpresserischer Menschenraub <strong>und</strong> Geiselnahme (§§ 239 a,239 b)197 <strong>Nötigung</strong> (§ 240) - Prüfungsaufbau198 § 240: <strong>Nötigung</strong> - Drohen mit einem empfindlichen Übel199 § 240: <strong>Nötigung</strong> - der Gewaltbegriff200 § 240 II: <strong>Nötigung</strong> - Rechtswidrigkeitsfragen (§ 240 II)201 Konkurrenzfragen § 239 - § 240202 Neuere Rechtsprechung §§ 239, 240203 RN bleibt unbesetztC. Lernkontrolle1. Durcharbeiten am: ...............2. Durcharbeiten am: ...............3. Durcharbeiten am: ...............© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006


Lernprogramm Strafrecht <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>333_____________________________________________________________________<strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>: <strong>Freiheitsberaubung</strong>/<strong>Nötigung</strong>(§§ 239 ff.)195 <strong>Freiheitsberaubung</strong> (§ 239) - Prüfungsaufbau § 239 IPrüfungsschema 31: § 239 IA. TatbestandI. Objektiver Tatbestand1. Objekt der Tat: Jeder Mensch mit der Fähigkeit, den Willen, denderzeitigen Aufenthaltsort zu verlassen <strong>und</strong> sich fortzubewegen, zuverwirklichen2. Tathandlung: Einsperren (nicht: Aussperren) sowie jedes Tun oderUnterlassen, durch das ein anderer gehindert wird, seinen Aufenthaltsortzu verlassen...196 <strong>Freiheitsberaubung</strong> (Details)a) Probleme beim Tatobjekt ("Mensch")• Geisteskranke sind geschützt, soweit die Art ihrer Freiheitsbeschränkungnicht durch die Natur ihrer Krankheit geboten ist.• Nicht geschützt ist das Kleinstkind, das keine Selbstbestimmungüber seinen Aufenthalt hat (h.M.) - nach a.A. kann § 239 durch Rückgriffauf den Sorgeberechtigten <strong>und</strong> dessen Willen bejaht werden.• Nicht geschützt sind Ohnmächtige, tief Schlafende, sinnlos Betrunkene,denen die Fähigkeit fehlt, sich frei zu bewegen - nach a.A.können jedoch auch Schlafende <strong>und</strong> Bewusstlose den Schutz von§ 239 genießen (Voraussetzung dafür soll sein, dass sich die Möglichkeitdes Erwachens während der Einsperrung nicht mit Sicherheit ausschließenlässt <strong>und</strong> dass der Angriff auf die Fortbewegungsfreiheitnach dem Willen des Täters seine Wirksamkeit voll entfalten soll, wenn© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006


Lernprogramm Strafrecht <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>334_____________________________________________________________________das Bewusstsein des Eingesperrten zurückkehrt (s. dazu Wessels/Hettinger,BT 1, RN 370), str.b) Das Einverständnis des Opfers mit der <strong>Freiheitsberaubung</strong> führtzur Tatbestandslosigkeit.c) Das Delikt ist beendet, wenn die Freiheitsentziehung wieder aufgehobenworden ist.d) Beachten Sie bitte die Qualifikationen in § 239 III.e) Konkurrenzfragen: Es ist zu unterscheiden -Konkurrenzfragen § 239 – andere Straftaten<strong>Freiheitsberaubung</strong> = notwendigerBestandteil od. regelmäßigeBegleiterscheinung eineranderen StraftatEigenbedeutung innerhalbdes deliktischen GeschehensGesetzeseinheitTateinheitBGH NStZ-RR 2003, 168: Eine zeitlich unerhebliche Beeinträchtigungder Fortbewegungsfreiheit ist nicht ausreichend, um eine Strafbarkeitnach § 239 anzunehmen. Stellt sich die <strong>Freiheitsberaubung</strong> nur alstatbestandsmäßiges Mittel einer <strong>Nötigung</strong> dar, entfällt eine (gesonderte)Strafbarkeit nach § 239.f) Strafbarer Versuch (§ 239 II)© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006


Lernprogramm Strafrecht <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>335_____________________________________________________________________196 a Erpresserischer Menschenraub <strong>und</strong> Geiselnahme(§§ 239 a, 239 b)a) AllgemeinesDas Strafrechtsänderungsgesetz 1989 hat die Tatbestände der §§ 239a <strong>und</strong> b, die bis dahin eine "Dreiecksstruktur" (Täter - Entführter -Genötigter) aufwiesen, auch auf die <strong>Nötigung</strong> <strong>und</strong> Erpressung des Entführungs-(Bemächtigungs-)Opfersselbst ausgedehnt - kurz: Erweiterungdes Drei-Personen- um ein Zwei-Personen-Verhältnis!Strukturell unterscheiden sich die Tatbestände dadurch, dass § 239 bstatt einer Erpressung eine <strong>Nötigung</strong> verlangt, die mit einer qualifiziertenDrohung einhergehen muss (bitte lesen die Bestimmungen sorgfältignach!).b) Problem: "Sich Bemächtigen ... um auszunutzen"Die vorbeschriebene Änderung (= Ausdehnung) der Strafbarkeit aufZwei-Personen-Verhältnisse hat zur Folge, dass - jedenfalls vom Wortlauther - in die Strafbarkeit der §§ 239 a <strong>und</strong> b auch solche Sachverhalteeinbezogen werden, die bereits durch §§ 177 oder 253, 255 erfasstsind. Der BGH hält daher in Übereinstimmung mit der h.L. eineeinengende Auslegung der Tatbestände der §§ 239 a <strong>und</strong> b für geboten.Einen ersten Versuch dazu hatte der 1. Strafsenat des BGH imJahre 1992 mit dem Stichwort „Außenwirkung“ unternommen:BGHSt 39, 36: §§ 239 a, 239 b sind in einschränkender Auslegung aufsolche Fälle nicht anwendbar, in denen das bloße Sich-Bemächtigenunmittelbares <strong>Nötigung</strong>smittel einer Vergewaltigung, sexuellen <strong>Nötigung</strong>oder räuberischen Erpressung ist <strong>und</strong> in denen eine über dashierdurch begründete unmittelbare Gewaltverhältnis zwischen Täter<strong>und</strong> Opfer hinausreichende Außenwirkung des abgenötigten Verhaltensnach der Vorstellung des Täters nicht eintreten soll.Anders aber BGHSt GS 40, 350; s. auch BGH NStZ 1999, 509: DieAnwendung des § 239 b I Halbs. 1 ist nicht von vornherein ausgeschlossenin Fällen, in denen der Täter sein Opfer zum Zwecke derVergewaltigung oder sexuellen <strong>Nötigung</strong> entführt oder sich seiner bemächtigt.Bemächtigt sich der Täter des Opfers, ohne es zu entführen,so wird die Voraussetzung häufig nicht erfüllt sein, dass der Täter dievon ihm geschaffene Lage (zur weiteren) <strong>Nötigung</strong> durch qualifizierteDrohung ausnutzt. Das gilt besonders in den Fällen, in denen im unmittelbarenZusammenhang mit dem Sichbemächtigen qualifizierte Drohungenin weitergehender <strong>Nötigung</strong>sabsicht eingesetzt werden. An-© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006


Lernprogramm Strafrecht <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>336_____________________________________________________________________ders als die Entführung schafft das Sichbemächtigen vielfach keinederartige Lage; denn eine Lage, die ausgenutzt werden soll, setzt einegewisse Stabilisierung voraus. V.a. wird es in diesem Falle häufig amMerkmal des Ausnutzens fehlen. Dient die - qualifizierte - Drohungwie das Vorhalten einer Schusswaffe zugleich dazu, sich des Opferszu bemächtigen <strong>und</strong> es in unmittelbarem Zusammenhang zu weitergehendenHandlungen oder Duldungen, wie etwa zur Duldung von sexuellenHandlungen zu nötigen, wird die abgenötigte Handlung in derRegel ausschließlich durch die Bedrohung mit der Waffe durchgesetzt,ohne dass der Bemächtigungssituation die in § 239 b vorausgesetzteeigenständige Bedeutung zukommt. Der BGH lehnt damit die Anerkennungdes Kriteriums der "Außenwirkung" (BGHSt 39, 36, 43 - s.o.)ausdrücklich ab!c) Weitere Rechtsprechung zu §§ 239 a, bBGH NStZ 1996, 276 [Entführung durch List]: Der BGH macht deutlich,dass der Begriff der "List" als Mittel der Entführung ein Verhalten umschreibe,das darauf abziele, unter geflissentlichem <strong>und</strong> geschicktemVerbergen der wahren Zwecke oder Mittel die Ziele des Täters durchzusetzen;wenn der Täter bei dem Opfer über den Sinn einer Ortsveränderungkeine falschen Vorstellungen erweckt habe, liegt demnachkeine List vor.BGH NStZ 1996, 277 [Ausnutzen der Sorge des Opfers um seinWohl]: Der BGH betont, dass zwischen der Bemächtigungslage <strong>und</strong>der beabsichtigten Erpressung ein funktionaler <strong>und</strong> zeitlicher Zusammenhangderart bestehen müsse, dass der Täter das Opfer oder einenDritten während der Dauer der Zwangslage erpressen will; sähe derTatplan vor, dass die Leistung, die der Täter erpressen will, erst zu einemZeitpunkt erfolgen solle, zu dem die Bemächtigungslage bereitsbeendet ist, fehle es an der Absicht des "Ausnutzens" i.S.v. § 239 a I.BGH NStZ 1996, 277 [Bemächtigung des Opfers]: Der 1. Strafsenatnimmt die Argumentation des Großen Senats auf (s.o. b)) <strong>und</strong> weistdarauf hin, dass der Tatbestand des § 239 a neben demjenigen derschweren räuberischen Erpressung dann nicht einschlägig sei, wenndie qualifizierte Drohung, wie etwa das Vorhalten einer Schusswaffe,zugleich dazu diene, sich des Opfers zu bemächtigen <strong>und</strong> es in unmittelbaremZusammenhang zu weitergehenden Handlungen zu nötigen.Der BGH spricht nunmehr von der Notwendigkeit einer "stabilen (Zwischen-)Lage"als Basis für weitere <strong>Nötigung</strong>en!BGH NStZ-RR 1997, 100: Im Falle der Dreiecksstruktur muss für dieAnwendung des § 239 b I zwischen der Bemächtigungslage <strong>und</strong> derbeabsichtigten <strong>Nötigung</strong> ein funktionaler <strong>und</strong> zeitlicher Zusammenhangin dem Sinne bestehen, dass nach der Vorstellung des Täters der <strong>Nötigung</strong>sadressatin Kenntnis der Lage des Opfers <strong>und</strong> gerade wegendieser Lage die Handlung, Duldung oder Unterlassung vornimmt.BGH, Urt. v. 17.08.2004, Az.: 5 StR 197/04, NStZ-RR 2004, 333 [ZurStrafbarkeit der "Erpressung" einer PIN- einer EC-Karte]: Der BGHbestätigt seine bisherige Rechtsprechung, wonach für eine Strafbarkeitnach § 239 a in der Fallgestaltung eines Zwei-Personen-Verhältnisseszur Abgrenzung des Anwendungsbereichs der Bestimmung von sons-© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006


Lernprogramm Strafrecht <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>337_____________________________________________________________________tigen <strong>Nötigung</strong>sdelikten ein funktionaler Zusammenhang zwischendem ersten <strong>Teil</strong>akt des Sich-Bemächtigens - mit einer gewissen Stabilisierungder Lage - <strong>und</strong> dem zweiten <strong>Teil</strong>akt, der angestrebten Erpressung,erforderlich ist. Demnach muss der Täter beabsichtigen, diedurch das Sich-Bemächtigen für das Opfer geschaffene Lage für seinweiteres erpresserisches Vorgehen auszunutzen.197 <strong>Nötigung</strong> (§ 240) - PrüfungsaufbauPrüfungsschema 32: § 240 IA.I. Objektiver Tatbestand1. Tathandlung = Einsatz von <strong>Nötigung</strong>smitteln:a) Gewalt oderb) Drohung mit einem empfindlichen Übel2. <strong>Nötigung</strong>serfolg: <strong>Nötigung</strong> des Opfers zu einem Handeln, Duldenoder Unterlassen3. Ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Einsatz des <strong>Nötigung</strong>smittels<strong>und</strong> dem <strong>Nötigung</strong>serfolgII. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz (dolus eventualis ausr.)B. RechtswidrigkeitI. Allgemeine RechtfertigungsgründeII. Rechtswidrigkeitsbeurteilung nach § 240 II - Verwerflichkeitsprüfungmit Hilfe der Zweck-Mittel-Relation198 § 240: <strong>Nötigung</strong> - Drohen mit einem empfindlichenÜbela) Definitionen "Drohung" <strong>und</strong> "empfindlich"Drohung ist das Inaussichtstellen eines Übels, auf dessen Eintritt sichder Drohende Einfluss zuschreibt.Empfindlich ist das angedrohte Übel, wenn seine Androhung geeignetist, einen besonnenen Menschen zu dem mit der Drohung bezwecktenVerhalten zu veranlassen.© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006


Lernprogramm Strafrecht <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>338_____________________________________________________________________b) Einzelfragen• Es ist nicht erforderlich, dass der Drohende seine Drohung auch wahrmachenmöchte. Ebenso wenig ist es notwendig, dass die Drohungtatsächlich ausführbar ist. Es genügt, dass das Tatopfer die Drohungernst nehmen sollte <strong>und</strong> sie tatsächlich auch ernst nahm.• Es spielt keine Rolle, ob der Täter behauptet, er selbst werde demOpfer das Übel zufügen, oder ob er vorgibt, dass ein Dritter das Übelauf seine (des Täters) Veranlassung hin zur Entstehung bringen werde.• Keine Drohung im o.g. Sinne ist die bloße Warnung (= Eintritt einesbestimmten Übels, das unabhängig vom Willen oder vom Einfluss desTäters zustande kommt)!• Zum möglichen Inhalt einer "empfindlichen" Drohung i.S.v. § 240führt der BGH aus:BGHSt 31, 195, 201: Inhalt der Drohung muss ein empfindliches Übel,also ein Nachteil von solcher Erheblichkeit sein, dass seine Ankündigunggeeignet erscheint, den Bedrohten im Sinne des Täterverlangenszu motivieren. Diese (nicht nur faktische, sondern normative) Voraussetzungentfällt, wenn von diesem Bedrohten in seiner Lage erwartetwerden kann, dass er der Drohung in besonnener Selbstbehauptungstandhält.υ Merke: Nach Auffassung der Rechtsprechung der BGH beurteilt sichdie "Empfindlichkeit einer Drohung in erster Linie nach einem objektivenMaßstab. Es lässt sich jedoch eine Tendenz erkennen, die zunehmendauch individuelle Gesichtspunkte betont wissen will.ee)Das angedrohte Übel kann in einem Tun oder in einem Unterlassenbestehen. Fraglich <strong>und</strong> umstr. ist die Frage, ob in der Ankündigung einesUnterlassens auch dann die Drohung mit einem empfindlichenÜbel gesehen werden kann, wenn das angekündigte Unterlassen keineRechtspflicht zum Handeln verletzen würde, die Vornahme derHandlung, um deren Unterlassen es geht, rechtlich nicht gebotenwar.© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006


Lernprogramm Strafrecht <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>339_____________________________________________________________________(1) Früher h.M.: § 240 dann (-), wenn jemand lediglich das Unterlassenvon Handlungen ankündigt, deren Vornahme die Rechtsordnung in dasfreie Belieben eines jeden Menschen stellt.(2) Heute h.M.: Die Drohung mit einem empfindlichen Übel im Sinne des§ 240 kann auch in der Ankündigung liegen, ein rechtlich nicht gebotenesHandeln zu unterlassen.BGHSt 31, 195 verlagert das Problem in den Bereich des § 240 II: DieAnkündigung eines Unterlassens ist danach nur dann eine Drohung imSinne des § 240 I, wenn sie sozialwidrig als Druckmittel zu demZweck eingesetzt wird, den widerstrebenden Willen des Opfers in einebestimmte Richtung zu lenken (= Verwerflichkeitsprüfung). Die Lehrewill z.T. das geschilderte Problem an der Tatbestandsvoraussetzung'Drohung' "aufhängen".BGHSt 31, 195: Die "Drohung mit einem empfindlichen Übel" im Sinnedes § 240 kann auch in der Ankündigung liegen, ein rechtlich gebotenesHandeln zu unterlassen. Deshalb bedurfte es der einschränkendenRechtswidrigkeitsregel des § 240 II (§ 253 II), die in der Literatur auchals die Tatbestandsbildung fortsetzende <strong>und</strong> abschließende Auslegungsregelangesehen wird. In ihr kommt zum Ausdruck, dass die Verwerflichkeitsprüfung,nicht aber eine dem Wortlaut zuwiderlaufendeEinengung des Merkmals der "Drohung mit einem empfindlichen Übel"als Regulativ wirken soll (vgl. BGHSt 2, 195). Infolgedessen bestehtkein Anlass, nur die Ankündigung eines Unterlassens, das gegen eineRechtspflicht zum Handeln verstößt, unter das Tatbestandsmerkmalder "Drohung mit einem empfindlichen Übel" zu subsumieren, die Ankündigungrechtmäßigen Unterlassens aber generell davon auszunehmen.199 § 240: <strong>Nötigung</strong> - der Gewaltbegriffυ Lernhinweis: Bitte lesen Sie sich die nachfolgenden Vorbemerkungenzu a) sehr sorgfältig durch. Erst wenn Sie sich hier sicher fühlen,sollten Sie mit dem Gliederungspunkt b) weiterarbeiten!© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006


Lernprogramm Strafrecht <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>340_____________________________________________________________________a) Vorbemerkungenaa)bb)Der strafrechtliche Gewaltbegriff im allgemeinen, insbesondere aberauch der Begriff nötigender Gewalt gemäß § 240, gehören zu denmeist umstrittenen Rechtstermini des Strafrechts.Gerade weil der strafrechtliche Gewaltbegriff bis heute ungebrochenheftig diskutiert wird, kommt ihm auch in Klausuren einige Bedeutungzu. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass die umfassende <strong>und</strong>kaum noch überschaubare Auseinandersetzung um Detailfragen desGewaltbegriffs nicht ohne weiteres bei der Klausurbearbeitung herangezogenwerden darf bzw. kann. Es wird schon aus zeitlichen Gründenniemals eine umfassende wissenschaftliche Beschäftigung mit demkomplexen Gewaltbegriff stattfinden können.υ Klausurhinweis: Sie müssen in der Klausur sehr darauf achten, denals problematisch erkannten Gesichtspunkt der "Gewalt" nicht zum alleinigenThema ihrer Arbeit zu machen!cc)Tatbestandskonforme Gesamtschau des GewaltbegriffsNach h.M. lässt sich die Feststellung, ob ein bestimmtes Verhalten alsGewalt i.S.d. einschlägigen Strafvorschrift anzusehen ist, nur konkret,durch eine tatbestandskonformen Gesamtschau treffen (Wessels/Hettinger, BT 1, RN 386 ff.).Danach gewinnen u.a. an Bedeutung:• Art, Intensität <strong>und</strong> Richtung des Angriffs;• Maß der von dem Angriff ausgehenden Zwangswirkung;• Eignung des Angriffs als Zwangsmittel bzgl des von der Strafvorschriftvorausgesetzten Taterfolgs;• bei §§ 249, 252, 255 genügt nur eine körperliche Zwangswirkung;• §§ 124, 125 verlangen die Anwendung physischer Kraft durch aggressivesHandeln.© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006


Lernprogramm Strafrecht <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>341_____________________________________________________________________υ Lernhinweis: Wir empfehlen, weitere Einzelheiten bei Wessels/Hettinger(a.a.O., RN 386-400) nachzulesen!dd)Der Gewaltbegriff in § 240 I <strong>und</strong> II ist mit dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebotvereinbar. Dies ist durch den Beschluss vom10.1.1995 ("3. Sitzblockadenentscheidung") noch einmal bestätigt worden(BVerfG NStZ 1995, 275). Das BVerfG hat allerdings ausdrücklichoffen gelassen, ob hinsichtlich § 240 II an der bisherigen Rechtsprechungin vollem Umfang festgehalten werden soll!υ Klausurhinweis: Demnach hat in der Klausur eine umfassende Diskussiondieser Frage nicht mehr stattzufinden.ee)ff)Der Gewaltbegriff in § 240 umfasst sowohl die vis compulsiva (Erzeugeneines "Motivationsdrucks" als Angriff auf die Freiheit der Willensentschließung,dessen Zwangswirkung aber nicht unüberwindlichist) als auch die vis absoluta (= Ausschalten der Willensbildung bzw.Unmöglichmachen der Willensbetätigung aufgr<strong>und</strong> unüberwindlichenZwangs).Nach dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung ist der Gewaltbegriffi.S.d. § 240 wie folgt zu verstehen (zur Entwicklung des Gewaltbegriffss. nachfolgend b)):Gewalt i.S.d. § 240 ist der körperlich wirkende Zwang durch die Entfaltungvon Kraft oder durch eine physische Einwirkung sonstiger Art,die als gegenwärtige Übelszufügung nach ihrer Zielrichtung, Intensität<strong>und</strong> Wirkungsweise dazu bestimmt <strong>und</strong> geeignet ist, die Freiheit derWillensentschließung oder Willensbetätigung eines anderen aufzuhebenoder zu beeinträchtigen (so Wessels/Hettinger, a.a.O., RN 383m.w.N.).© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006


Lernprogramm Strafrecht <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>342_____________________________________________________________________b) Die Entwicklung des strafrechtlichen Gewaltbegriffsυ Lernhinweis: Hier liegt die inhaltliche Bedeutung der 3. Sitzblockadenentscheidungdes BVerfG.Es sind - bis zu der Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1995 -drei Stufen der Entwicklung des Gewaltbegriffs festzuhalten gewesen:aa) Stufe 1Die erste Stufe ist geprägt von der Rechtsprechung des RG. Das RGverstand "Gewalt" als die Anwendung körperlicher Kraft zur Überwindungeines geleisteten oder tatsächlich erwarteten Widerstandes.Kurz: Gewalt als der körperlich (= physisch) vermittelter Zwang. Entscheidendist das Angriffsverhalten des Täters.Konsequenz: Die Anwendung betäubender Mittel war keine Gewalt,wenn das Mittel selbst dem Opfer gewaltlos beigebracht wurde.bb) Stufe 2Die zweite Stufe ist geprägt worden durch die frühe Rechtsprechungdes BGH, der das physische Moment weg vom Angriffsverhalten desTäters hin zur Auswirkung des Zwangsmittels beim Opfer verlagert.BGHSt 1, 145 f.: Gewalt im Sinne des § 249 ("Wegnahme mit Gewalt")wird auch dadurch geübt, dass der Täter das Opfer durch ein ohne Gewaltanwendungbeigebrachtes Betäubungsmittel seiner Widerstandskraftberaubt (Chloraethyl).© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006


Lernprogramm Strafrecht <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>343_____________________________________________________________________Kurz: Gewaltbegriff, der auf die körperliche Zwangswirkung beimOpfer abstellt.In der Folge hat der BGH den Begriff der "Körperlichkeit" zunehmenddadurch entwertet, dass er psychosomatische Nebenwirkungen derdurch Drohung verursachten Furcht genügen ließ (so z.B. BGHSt 19,263) -BGHSt 19, 263: Wer auf der Überholspur der Autobahn an seinen mit105 km/st überholenden Vorgänger, den letzten einer Wagenkette, unterständigem Hupen <strong>und</strong> Blinken bis auf 2 Meter heranfährt, um ihnvon der Überholspur zu verdrängen, <strong>und</strong> diese gefährlich bedrängendeFahrweise über mehrere Kilometer hin fortsetzt, so dass sich der Vorgängerschließlich gefährdet fühlt, fahrunsicher wird <strong>und</strong> deshalb nachrechts fährt, begeht <strong>Nötigung</strong>.cc) Stufe 3Auf der 3. Stufe haben sowohl der BGH wie <strong>Teil</strong>e des Schrifttums denstrafrechtlichen Gewaltbegriff "weiterentwickelt". Danach ist das Erfordernis,die Zwangswirkung der Gewalt müsse physischer Natur sein,aufgegeben worden. Ausgangspunkt der Rechtsprechung des BGH istdessen Entscheidung in dem berühmten "Laepple-Urteil" (BGHSt 23,46): In jenem Urteil entschied der BGH, dass jemand dann mit Gewaltnötige, wenn er sich auf die Gleise einer Schienenbahn setze oderstelle <strong>und</strong> dadurch den Bahnführer zum Halten veranlasse. Insoweitgenüge für den Begriff der "Gewalt" auch der psychische Zwang,wenn er von einigem Gewicht sei.BGHSt 23, 46: Mit Gewalt nötigt, wer psychischen Zwang ausübt, indemer auf den Gleiskörper einer Schienenbahn tritt <strong>und</strong> dadurch denWagenführer zum Anhalten veranlasst.Kurz: Gleichstellung zwischen dem körperlich <strong>und</strong> dem rein psychischwirkenden Zwang.© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006


Lernprogramm Strafrecht <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>344_____________________________________________________________________dd) Stufe 4Einen Wendepunkt markiert der Beschluss des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichtsvom 10.1.1995 (NStZ 1995, 275) - die Entscheidung in einerKurzzusammenfassung (Hervorhebungen durch Verf.):[S. 275] 2. "§ 240 StGB ist hinsichtlich der - hier allein einschlägigen- Gewaltalternative mit Art 103 II GG vereinbar [...].3. Dagegen verstößt die Auslegung des Gewaltbegriffs in § 240 Idurch die Strafgerichte gegen Art. 103 II GG. [...].a) Den angegriffenen Entscheidungen liegt das Verständnis des Gewaltbegriffszugr<strong>und</strong>e, das sich in der höchstrichterlichen Rechtsprechungim Lauf der Zeit entwickelt hat. Diese Entwicklung ist durch dieabnehmende Bedeutung der Entfaltung körperlicher Kraft auf Seitendes Täters <strong>und</strong> die wachsende Bedeutung der bei dem Opfereintretenden Zwangswirkung gekennzeichnet [...].Den heutigen Stand der Rechtsprechung markiert das Laepple-Urteildes BGH aus dem Jahr 1969 (BGHSt 23, 46, 54). Danach setzt Gewalti.S. von § 240 I StGB nicht den 'unmittelbaren Einsatz körperlicherKräfte' voraus. Es genügt vielmehr, dass der Täter 'nur mit geringemkörperlichen Kraftaufwand einen psychisch determinierten Prozess'beim Opfer in Lauf setzt. [...] Diese Interpretation, die gewöhnlich als'Vergeistigung' oder 'Entmaterialisierung' des Gewaltbegriffs bezeichnetwird, findet ihren Gr<strong>und</strong> in dem Bestreben, die Willensfreiheit inwirksamer Weise auch gegenüber solchen strafwürdigen Einwirkungenzu schützen, die zwar sublimer, aber ähnlich wirksam wie körperlicherKraftaufwand sind [...].Diese Ausweitung des Gewaltbegriffs durch die Rechtsprechung istsowohl in der strafrechtlichen als auch in der verfassungsrechtlichenLiteratur umstritten [...].b) [...] Der Begriff der Gewalt, der im allgemeinen Sprachgebrauch mitunterschiedlicher Bedeutung verwendet wird, muss hier im Zusammenhangmit der Norm gesehen werden. Der Gesetzgeber wollte in§ 240 StGB nicht jede Zwangswirkung auf den Willen Dritter unterStrafe stellen. Andernfalls wären die auch zahlreichen Verhaltensweisen,die im Sozialleben, etwa im Erziehungswesen, in der Arbeitsweltoder im Verkehrsbereich, teil erforderlich, teils unvermeidlich sind, derStrafdrohung unterfallen. Um das zu vermeiden, hat er sich nicht damitbegnügt, das pönalisierte Verhalten als <strong>Nötigung</strong> zu einer Handlung,Duldung oder Unterlassung zu beschreiben, sondern die Strafbarkeiteiner derartigen Handlung von der Wahl bestimmter <strong>Nötigung</strong>smittelabhängig gemacht, nämlich Gewalt oder Drohung mit einemempfindlichen Übel. Eine Ausweitung der Mittel im Wege der Interpretation,etwa auf List <strong>und</strong> Suggestion, scheidet nach einhelligerAuffassung in Judikatur <strong>und</strong> Literatur aus. [...].Art. 103 II GG setzt aber nicht nur der Tatbestandsergänzung, sondernauch der tatbestandsausweitenden Interpretation Grenzen. Die Auslegungder Begriffe, mit denen der Gesetzgeber die pönalisiertenMittel bezeichnet hat, darf nicht dazu führen, dass die dadurchbewirkte Eingrenzung der Strafbarkeit im Ergebnis wieder aufgehobenwird.© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006


Lernprogramm Strafrecht <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>345_____________________________________________________________________Da die Ausübung von Zwang auf den Willen Dritter bereits im Begriffder <strong>Nötigung</strong> enthalten ist [...], kann die Gewalt nicht mit dem Zwangzusammenfallen, sondern muss über diesen hinausgehen. [...]Zwangswirkungen, die nicht auf dem Einsatz körperlicher Kraft,sondern auf geistig-seelischem Einfluss beruhen, erfüllen [...]nicht [die Alternative] der Gewaltanwendung. An der Körperlichkeitder Gewaltanwendung hat die Rechtsprechung seitdem zwar festgehalten,auf die Kraftentfaltung jedoch so weitgehend verzichtet, dassnunmehr bereits die körperliche Anwesenheit an einer Stelle, dieein anderer einnehmen <strong>und</strong> passieren will, zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmalsder Gewalt genügt, falls der andere durch dieAnwesenheit des Täters psychisch gehemmt wird, seinen Willendurchzusetzen.Das Tatbestandsmerkmal der Gewalt wird dadurch in einer Weiseeingegrenzt, dass es die ihm vom Gesetzgeber zugedachte Funktion,unter den notwendigen unvermeidlichen oder alltäglichenZwangswirkungen auf die Willensfreiheit Dritter die strafwürdigen zubestimmen, weitgehend verliert. Es bezieht zwangsläufig zahlreicheals sozialadäquat betrachtete Verhaltensweisen in den Tatbestand ein,deren Strafbarkeit erst durch das Korrektiv der Verwerflichkeitsklauselin § 240 II StGB ausgeschlossen wird. Der BGH hat sich deshalb veranlasstgesehen, der Ausweitung des Gewaltbegriffs dadurch zu begegnen,dass er auf das "Gewicht" der psychischen Einwirkungabgestellt hat. Damit wird der Eingrenzungsfunktion aber ein Begriffaufgebürdet, der noch weit unschärfer ist als der der Gewalt. An einerbefriedigenden Klärung, wann eine psychische Einwirkung gewichtigist, fehlt es daher auch. [...]Es lässt sich nicht mit ausreichender Sicherheit vorhersehen,welches körperliche Verhalten, das andere psychisch an derDurchsetzung ihres Willens hindert, verboten sein soll <strong>und</strong> welchesnicht. [...] Das eröffnet beträchtliche Spielräume bei derStrafverfolgung von <strong>Nötigung</strong>en. Die unterschiedliche Behandlungvon Blockadeaktionen aus Protest gegen die atomare Nachrüstung einerseits<strong>und</strong> solchen zum Protest gegen Werksstillegungen, Gebührenerhöhungen,Subventionenskürzungen oder Verkehrsplanungenandererseits belegt dies. [...]Die Ungewissheit, die dem erweiterten Gewaltbegriff anhaftet, istauch nicht durch ein im Lauf der Zeit gefestigtes Verständnis seinerBedeutung entfallen, zumal der BGH in anderen Bereichen wiedem der Vergewaltigung von einem erheblich engeren Gewaltbegriffausgeht [...].“ee) "Der Stand der Dinge"(1) Die Diskussion um den strafrechtlichen Gewaltbegriff ist auch durchden Beschluss des BVerfG v. 10.1.1995 zu keinem Abschluss gelangt.Die Meinungen im Schrifttum sind - losgelöst vom Standpunkt desBVerfG - letztlich nicht mehr überschaubar. Wohl vorherrschend ist dieAuffassung, dass Gewalt als der körperlich vermittelte Zwang zur Ü-© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006


Lernprogramm Strafrecht <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>346_____________________________________________________________________berwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstandes zu verstehensei (dies entspricht dem Stand der zweiten Entwicklungsstufe o.bb)).(2) Kritisiert wird die Entscheidung des BVerfG u.a. von Altvater (NStZ1995, 278; and. aber z.B. Hruschka, NJW 1996, 160).Zu den Konsequenzen des Beschlusses führt Altvater (S. 280) näheraus [Hervorhebungen durch Verf.]:"Die Entscheidung des BVerfG hindert die Fachgerichte daran, die<strong>Teil</strong>nahme an 'einfachen' Sitzblockaden als Gewaltnötigung imSinne des § 240 I zu bewerten. Die Frage, ob <strong>und</strong> gegebenenfallswelche weitergehenden Folgerungen in Bezug auf den Gewaltbegriffzu ziehen sind, ist hingegen nicht entschieden. Insoweit wird jedoch zubeachten sein, dass die von der formellen Bindungswirkung nicht erfasstenErwägungen Hinweise dafür enthalten können, wie das Gerichtin künftigen Fällen entscheiden wird. [...] Die vom B<strong>und</strong>esverfassungsgerichtnunmehr geforderte einschränkende Auslegung des <strong>Nötigung</strong>statbestandeswird [...] nicht dadurch zu leisten sein, dass kurzerhandein Mehr an Körpereinsatz auf Seiten des Täters gefordert wird. (S.281) Die Lösung wird [...] bei der Frage zu suchen sein, wie dasVerhalten des Täters auf die Belange des Genötigten einwirkt. [...]Ihre Zwangslage [gemeint ist die der 'blockierten' Soldaten] bestanddarin, dass sie mit dem Verbot der Tötung oder der Körperverletzungkonfrontiert wurden. [...] Die nach der Entscheidung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichtsgebotene einschränkende Auslegung des Gewaltbegriffswird [...] an diesem Punkt ansetzen müssen. (S. 282) Dem Anliegendes BVerfG wird [...] eine Auslegung gerecht, die die 'psychischdeterminierte', weil auf Tötungshemmung zielende,Zwangswirkung als nicht körperlich bewertet <strong>und</strong> deshalb vomGewaltbegriff ausnimmt."S. auch KG Berlin NStZ-RR 1998, 11, 12: Das B<strong>und</strong>esverfassungsgerichthat den verfassungsmäßigen Gewaltbegriff nicht definiert,sondern nur eine negative untere Schwelle markiert, die bei den Anforderungenan die für die Erfüllung des Straftatbestandes des § 240 erforderlicheGewalt nicht unterschritten werden darf. Zum einen darf dieGewalt nicht mit dem dadurch bewirkten Zwang zusammenfallen, sondernmuss über diesen hinausgehen, zum anderen darf sie nicht lediglichin körperlicher Anwesenheit bestehen <strong>und</strong> die Zwangswirkung aufden Genötigten nicht nur psychischer Art sein. Danach ist Gewalt dortzu verneinen, wo der eine lediglich dadurch auf den Willen des andereneinwirkt, dass er durch seine Anwesenheit an einem bestimmtenOrt dem anderen das Passieren dieses Ortes faktisch unmöglichmacht oder jedenfalls durch die Notwendigkeit einer vorherigen Räumungerschwert. Sie ist jedoch zu bejahen, wenn entweder über diebloße körperliche Anwesenheit hinaus aktiver Widerstand geleistetwird oder über die mit der Anwesenheit als solcher verb<strong>und</strong>ene Verdrängungoder Behinderung von anderen hinaus auf diese Weise - etwadurch Niederschreien oder bedrohliches Auftreten - eingewirkt wird,dass sich das bei den Betreffenden auch physisch, wie etwa durch© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006


Lernprogramm Strafrecht <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>347_____________________________________________________________________spürbare Erregung oder Angst, auswirkt [das Gericht bejaht vorliegendGewalt bei Anhalten eines Busses durch eine Demonstrantenmenge].(3) Zeitlich der Entscheidung des BVerfG nachfolgend ist es zu einer Reihevon weiteren Urteilen der Strafgerichte gekommen, die für die Einordnungdes Beschlusses des Verfassungsgerichts Bedeutung erlangen:BGHSt 41, 182 [Kurdendemonstration auf Autobahn]: Haben sich <strong>Teil</strong>nehmeran einer Straßenblockade dadurch, dass sie sich auf die Fahrbahnbegeben, Kraftfahrer bewusst dazu benutzt, die Durchfahrt fürweitere Kraftfahrer tatsächlich zu versperren, so kann diesen gegenüberim Herbeiführen eines solchen physischen Hindernisses einestrafbare <strong>Nötigung</strong> liegen. Die Verurteilung wegen <strong>Nötigung</strong> hält auchunter Berücksichtigung des Beschlusses des BVerfG vom 10.1.1995rechtlicher Überprüfung stand. Dem vom BVerfG entschiedenen Falllag zugr<strong>und</strong>e, dass der Fahrer eines einzelnen Fahrzeugs dadurch ander Weiterfahrt gehindert wurde, dass sich 5 Personen auf die Straßesetzten. Die dadurch erfolgte Einwirkung auf den Führer des Kraftfahrzeugswurde vom BVerfG als "nur psychisch" beurteilt. Offenbar ginges mit den Instanzgerichten davon aus, ein "physisches Hindernis" hättendie sitzenden Personen für das Fahrzeug nicht bedeutet, dessenFahrer hätte - tatsächlich - die Durchfahrt erzwingen können. Es handeltesich um eine Situation des Könnens, aber - um den Preisschwerer Verletzungen - "Nicht Dürfens". Der bedeutsame Unterschiedbeider Fallgestaltungen liegt darin, dass hier aber darüber hinausder großen Zahl der nachfolgenden Kraftfahrer infolge des Verhaltensder Blockierer nicht zu beseitigende physische Hindernisseentgegenstanden in Form vor <strong>und</strong> hinter ihnen auf der Fahrbahn angehaltenerFahrzeuge - diese Fahrer konnten ihre Fahrt nicht fortsetzen,selbst wenn psychischer Zwang sie nicht beeindruckt haben würde.Ebenso BGH NStZ 1995, 592: Wer sich mit anderen Personen auf dieStraße stellt, dabei jedoch bereits errichtete Barrieren aus Personenkraftwagenweiterbenutzt, hindert durch körperlich wirkendenZwang die im Stau befindlichen Fahrzeuge am weiteren Fortkommen.S. auch BGH NStZ 1995, 593: Wer mit anderen Personen eine Straßenkreuzungblockiert, übt physische Gewalt aus <strong>und</strong> macht sich wegen<strong>Nötigung</strong> strafbar.© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006


Lernprogramm Strafrecht <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>348_____________________________________________________________________c) Sonderprobleme des Gewaltbegriffsaa)Gewalt gegen SachenNach h.M. ist eine Gewalt gegen Sachen dann für § 240 als ausreichendanzusehen, wenn sie sich für den Betroffenen als körperlichvermittelter Zwang auswirkt.Beispiel: T hängt die Fenster in der Wohnung des O aus, damit dieserendlich die angemieteten <strong>und</strong> gekündigten Räume verlässt.bb)Gewalt gegen DritteAuch eine gegen Dritte verübte Gewalt kann "Gewalt" im Sinnedes § 240 sein. Dazu ist nicht zu fordern, dass der Dritte dem zuNötigenden nahe steht, sondern es genügt, dass die Gewaltanwendunggegenüber dem Dritten für das <strong>Nötigung</strong>sopfer eine erheblicheZwangswirkung beinhaltet (vgl. auch BGH NStZ 1992,83 - dazu weiter u. RN 202).© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006


Lernprogramm Strafrecht <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>349_____________________________________________________________________200 § 240: <strong>Nötigung</strong> - Rechtswidrigkeitsfragen (§ 240 II)a) Verwerflichkeitsprüfung nach § 240 IIDer Gr<strong>und</strong>satz, dass der Tatbestand die Rechtswidrigkeit indiziert,gilt wegen § 240 II nicht für die <strong>Nötigung</strong>. Hier ist eine gesonderteVerwerflichkeitsprüfung vorzunehmen. Dies gilt auchbei der <strong>Nötigung</strong> mit Gewalt.b) Zweck-Mittel-RelationMaßgeblich für das Verwerflichkeitsurteil ist die Bewertung dersog. Zweck-Mittel-Relation.c) Anforderungen an VerwerflichkeitNach Auffassung der Rechtsprechung ist für die Verwerflichkeitein erhöhter Grad an "sittlicher" Missbilligung" (z.B. BGHSt 19,263, 268) zu verlangen. Die h.L. fragt nach der "Sozialwidrigkeit"der Tat.BGHSt 19, 263, 268: Der Begriff "verwerflich" im Tatbestand des § 240richtet sich nach objektivem Maßstab, nämlich danach, ob die <strong>Nötigung</strong>shandlungzu dem erstrebten Zweck sittlich zu missbilligen ist.d) Nahziel/FernzielNach wohl h.M. ist im Hinblick auf das Verwerflichkeitsurteil alleindas sog. Nahziel (= das abgenötigte Verhalten) zu prüfen. Fernziele(= außertatbestandliche Ziele, die das eigentliche Motiv desTäters darstellen) bleiben hingegen unberücksichtigt (s. Bay-ObLG NJW 1993, 212).S. aber BGH NStZ 1997, 494: Der BGH bejaht (u.a.) das Vorliegen einer<strong>Nötigung</strong>, wenn ein Universitätslehrer seine Doktorandin auffordert,der Erstellung der Doktorarbeit durch Rückkehr an den Arbeitsplatz imLabor Fortgang zu geben, dem Täter es aber in erster Linie darumgeht, die Doktorandin wieder in seiner Nähe zu haben, um weitere sexuellbezogene Kontakte herzustellen. Der BGH sieht die Verwerflichkeitdes <strong>Nötigung</strong>szwecks wesentlich in dem unsittlichen "Fernziel",nämlich das Opfer in seiner körperlichen Nähe zu haben.© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006


Lernprogramm Strafrecht <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>350_____________________________________________________________________e) Problemfall: Erzwingen der Einfahrt in eine ParklückeEine Gewaltanwendung der PKW-Fahrers gegenüber demFußgänger, der den Parkplatz "reserviert" hält, ist zu bejahen.Das Prioritätsprinzip, das dem PKW-Fahrer ein Recht auf Einfahrtin die freie Parklücke gewährt, rechtfertigt dessen Verhaltennicht, denn die einschlägigen Bestimmungen der StVO dienender Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung,begründen hingegen keine notwehrfähigen Rechte desBürgers (str.). Nach h.M. (s. z.B. OLG Hamm NJW 1972, 1826)handelt der PKW-Fahrer auch gr<strong>und</strong>sätzlich verwerflich i.S.d.§ 240 II, wenn er den einen Parkplatz verstellenden Fußgängermit dem PKW aus der Parklücke drängt (Einzelfallentscheidung).f) Irrtumsfragenaa)bb)Der Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen des § 240 istein Tatbestandsirrtum nach § 16 I 1.Ein Irrtum betr. das Werturteil über die Verwerflichkeit ist ein Verbotsirrtumnach § 17.© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006


Lernprogramm Strafrecht <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>351_____________________________________________________________________201 Konkurrenzfragen § 239 - § 240 (s. auch schon o. RN 196e)a) § 240 = Mittel des § 239: § 240 tritt zurück (soll Gewaltanwendungnur zur <strong>Freiheitsberaubung</strong> führen, so wird § 240 von § 239verdrängt (BGHSt 30, 235)b) § 239 = Mittel der <strong>Nötigung</strong>: § 239 tritt zurück (BGH a.a.O.)c) Zwei Tatziele: §§ 239, 240, 52Beispiel: Die <strong>Freiheitsberaubung</strong> dient zugleich der Erzwingung einesweiteren strafbaren Verhaltens, so z.B. einer Geiselnahme.BGHSt 30, 235: Eine Bestrafung wegen <strong>Nötigung</strong> wäre daneben nichtin Betracht gekommen; denn die Anwendung des § 240 neben § 239ist ausgeschlossen, wenn der Zweck der <strong>Freiheitsberaubung</strong> sich darinerschöpft, das Opfer an der freien Bestimmung seines Aufenthaltsorteszu hindern. Nur wenn die <strong>Freiheitsberaubung</strong> zugleich der Erzwingungeines weitergehenden Verhaltens dient, ist Tateinheit mit <strong>Nötigung</strong> gegeben.© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006


Lernprogramm Strafrecht <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>352_____________________________________________________________________202 Rechtsprechung §§ 239, 240 (s. auch die RN zuvor!)BGH NStZ 1992, 83 [zur <strong>Nötigung</strong> durch die Drohung mit der Gewaltanwendunggegen Dritte]: Dass sich das vom Täter angedrohte Übelunmittelbar gegen einen Dritten richten sollte, dessen Fürsorge indesdem <strong>Nötigung</strong>sadressaten oblag, ändert an der Strafbarkeit des Tätersnach § 240 I ebenso nichts, wie die Möglichkeit, dass die Drohungnicht ernstgemeint war, vielmehr sogar im Zusammenwirken mit demunmittelbar Bedrohten vorgespiegelt wurde.BGH NStZ 1993, 333: Die <strong>Nötigung</strong> zur Unterlassung eines noch nichtgegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs auf den Täter kann verwerflichim Sinne des § 240 II sein, wenn sie mit verbotenen Mitteln [hier: unterVerstoß gegen das Waffengesetz] <strong>und</strong> unter bewusster Ausschaltungstaatlicher Zwangsmittel begangen wird.OLG Hamm NStZ 1995, 547: Die Ankündigung eines Demonstranten,sich im Fall polizeilichen Einschreitens in aller Öffentlichkeit selbst zuverbrennen, stellt keine Drohung mit Gewalt i.S.d. § 113 dar; sie kannaber als Drohung mit einem empfindlichen Übel taugliches <strong>Nötigung</strong>smittelsein.BayObLG NStZ-RR 1996, 101: Gewalt i.S.d. § 240 I üben die <strong>Teil</strong>nehmereiner Demonstration aus, die dazu führt, dass eine zur fraglichenZeit viel befahrene Kreuzung so vollständig blockiert wird, dass zahlreicheKfz-Fahrer, die diese Kreuzung durchfahren wollten, wegen desentstehenden Staus anhalten müssen <strong>und</strong> die Polizei sodann wegender längere Zeit fortdauernden Blockade zu einer Umleitung des Verkehrsgezwungen wird."BGH NJW 1998, 2149, 2151 [Castor]: Das Anbringen von Stahlkörpernauf Schienen, das dem Zweck dient, das Ausfahren eines Castortransportsaus dem Gelände eines Atomtransports zu verhindern, stelltsich als Ausübung von Gewalt i.S.d. § 240 dar (auch bzgl. § 240 II bittenachlesen!).OLG Karlsuhe, Urt. v. 6.6.2002, Az.: 1 Ss 13/02: Das nur kurzfristigeVersperren des Durchgangs eines Weges stellt keine Gewaltanwendungi.S.d. § 240 dar [Anm.: Im Fall war der Weg durch den Täter zumeinen nicht gänzlich versperrt worden, zum anderen hatte das Gerichteine über eine psychische Reaktion des Opfers hinausgehende Einwirkungauf dieses nicht festgestellt].BGH NStZ-RR 2002, 236: Allein durch das Versperren der Fahrbahnmit ausgebreiteten Armen <strong>und</strong> die einem Pkw dadurch genommeneMöglichkeit zur Weiterfahrt genügt der Täter nicht den Anforderungenan eine strafbare <strong>Nötigung</strong>.BayObLG NJW 2002, 628: Eine <strong>Nötigung</strong> liegt nicht nur dann vor,wenn der Täter als Pkw-Fahrer den nachfolgenden Pkw zu einer sog.„Vollbremsung“ zwingt <strong>und</strong> herunterbremst, mit der Folge, dass derNachfolgende zum Anhalten gezwungen wird, sondern bereits dann,wenn der Täter seine Geschwindigkeit ohne verkehrsbedingten Gr<strong>und</strong>massiv reduziert, um den Fahrer des nachfolgenden Fahrzeugs zu einerunangemessenen niedrigen Geschwindigkeit zu zwingen <strong>und</strong> derNachfolgende das ihm vom Täter aufgezwungene Verhalten nichtdurch Ausweichen <strong>und</strong>/oder Überholen vermeiden kann.© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006


Lernprogramm Strafrecht <strong>14.</strong> <strong>Teil</strong>353_____________________________________________________________________RN 203 bleibt für spätere Ergänzungen freiS. 354-355 bleiben für spätere Ergänzungen frei© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006

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