2010 | Ausgabe 1

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02.12.2012 Aufrufe

Them a : Pflege Die hausfrauen vom lene-hofmann-haus arthrose im Knie bereitet Bauchschmerzen 12 Berta S. (name geändert) war zeitlebens eine vorbildliche hausfrau. Jeden Sonntag bekochte sie ihre große familie. Besonders beliebt waren ihre flädlessuppe, der Sauerbraten mit Knödel und natürlich der Kartoffelsalat. „nirgends schmeckts so gut wie bei oma Berta“, sagten die enkel immer. Doch eine fortschreitende Demenz und ein oberschenkelhalsbruch führten dazu, dass sie sich nicht mehr selbst versorgen konnte. Sie zog ins neue lene-hofmann-haus in weikersheim ein. nun hat sie sich gut eingelebt. Eine besondere Freude ist für sie, dass sie weiterhin als Hausfrau wirken darf. Denn nur dasitzen und sich ausruhen ist nicht ihre Sache. „In den überschaubaren kleinen Wohngruppen ist der hauswirtschaftliche Bereich so konzipiert, dass jederzeit eine Beteiligung der Bewohner an den Tätigkeiten möglich ist“, erklärt Hausleiter Stefan Haberl. „Die Bewohner werden ermutigt, aktiv mit zu gestalten und mitzuwirken. Ob beim Zubereiten der Mahlzeiten, Kuchenbacken, beim Putzen, Wäschewaschen oder Dekorieren, die Mithilfe der Bewohner wird als wichtiges Element der Alltagsgestaltung angesehen.“ Ziel ist es, die Bewohner ihren Ressourcen entsprechend in das Haushaltsgeschehen mit einzubeziehen, so wie es ihnen gut tut. Dabei geht es nicht nur darum, einen Apfel zu schnippeln. Nein, die Bewohner entscheiden bei der Planung der Haushaltstätigkeiten mit und setzen sie mit um. „Montags war immer Waschtag“, so sagen Berta S. und ihre Mitbewohnerinnen. „Zum Mittagessen gabs dann Eintopf und eine Quarkspeise.“ Prima, ein schöner Gemüseeintopf mit Rindfleisch ist nahrhaft, gesund und bekömmlich für die Senioren. Quarkspeise mit Früchten rundet die Mahlzeit gut ab. Die Hausfrauen treten in Aktion, sie waschen, schälen und schneiden die Zutaten – selbstverständlich gemeinsam mit qualifiziertem Personal. „Wir achten auf eine bedarfsgerechte, abwechslungsreiche, ernährungsphysiologisch und hygienisch einwandfreie und wohlschmeckende Verpflegung“, sagt Hauswirtschaftsleitung Martina Maschler. „Auch immobile Bewohnerinnen und Bewohner, die sich nicht mehr aktiv beteiligen können, erleben durch die Geräusche, Gerüche und Berührung eine Stimulation der Sinne. Somit sind sie dabei und in das Geschehen mit einbezogen.“ Pflegedienstleitung Angela Hehn erläutert, welche Konzeption dahinter steht: „Unser Ziel ist die Gesunderhaltung bzw. Verbesserung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit der Bewohner. Durch Einbezug in die alltäglichen Verrichtungen im Haushalt erleben die Senioren einen sinnvoll strukturierten Tag, was Lebensqualität und Lebensfreude steigert.“ Die Mitarbeiter verantworten die fachliche, ökonomische und hygienische Haushaltsführung. Andere Gewohnheiten und Bedürfnisse, etwa im eigenen Zimmer zu essen oder anderen Tages- und Nachtzeiten, werden jederzeit berücksichtigt. Und wenn die Enkel von Berta S. die Oma besuchen? „Jeder Wohnbereich verfügt über eine voll ausgestattete behindertengerechte Küche. Diese kann von Bewohnern ebenso wie von den Angehörigen genutzt werden“, ermuntert Angela Hehn. Oma Berta gibt ihre Familienrezepte und Hausfrauentricks bestimmt liebend gerne an die Enkel weiter. Jeder mensch ist ein besonderes wesen – ob mit oder ohne Behinderung. Bei meiner Tätigkeit als Pflegefachberaterin der Diak-Behindertenhilfe entdecke ich jeden Tag andere fähigkeiten, eigenschaften und Verhaltensweisen unserer Bewohner. ein Beispiel: Die Bewohnerin Frau Schmid (Name geändert) ist groß gewachsen, burschikos gekleidet und selbstbewusst ihre Interessen durchsetzend. Sie redet laut und schlecht artikulierend. Zugleich überrascht sie durch ihre schnelle Auffassungsgabe und ihre sensible Art. Durch eine X-Stellung der Beine zeigte sie ein auffälliges Gangbild, das sich zunehmend verschlechterte. Um Frau Schmid nicht durch Arztbesuche zu belasten, stellten wir sie gleich einem Chirurgen im Diakonie-Klinikum vor. Er diagnostizierte eine ausgeprägte Arthrose im linken Knie. Im Januar 2010 war eine Operation unumgänglich. Wir hatten große Bedenken, wie Frau Schmid den Krankenhausaufenthalt verkraftet. Wir stellten uns Fragen um Fragen, berieten Eventualitäten um Eventualitäten… Alle hatten gewisse Bauchschmerzen, wohl wissend, dass der rechte Zeitpunkt zur OP gekommen war. Kurz vor dem Termin wurde die Bewohnerin behutsam darüber informiert. Am Tag der Einweisung verabschiedete sich Frau Schmidt mit: „Ich geh ins Krankenhaus. Keine Spritze!“. Im Krankenhaus bezog sie ein Einzelzimmer. Mit gutem Zureden ließ sie sich zur Blutentnahme motivieren. Thrombosestrümpfe konnte sie nicht tolerieren, deshalb wurde darauf verzichtet. Problematisch war auch die Fahrt in den OP: Frau Schmid klammerte sich mit beiden Händen am Türrahmen fest. Mit dem operierenden Arzt wurde vereinbart, dass das Knie gut verbunden und mit einer zusätzlichen Schiene geschützt werden sollte. Es war schwer einzuschätzen, ob Frau Schmid Pflaster, Verbände, Infusionen und Drainagen tolerieren würde. Überraschend für alle war, dass sie stolz auf ihren dicken Verband war und die Bettruhe bis zum zweiten Tag einhielt. Nach der ersten Mobilisation regelte sie selbst, wann und wie lange sie aufstehen wollte. Den Gehwagen lehnte sie kategorisch ab, aber sie verhielt sich ganz vorsichtig beim Laufen. Sie fand eine gute Mischung aus Ruhe und Aktivität. Häufig legte sie sich ins Bett, schaute Zeitschriften an oder baute mit Legosteinen. Als der Krankengymnast die ersten Gehversuche ohne Schiene machen wollte, ließ sie das Abnehmen der Schiene nicht zu und wehrte sich energisch. In solchen problematischen Situationen wurden „süße Verstärker“ eingesetzt. Zehn Tage nach der OP konnte sie ins Schöneck entlassen werden. Erst nach großer Verabschiedung von den Schwestern, wurde der Rollstuhl bestiegen und zum Taxi gefahren. Zur Überraschung aller ließ Frau Schmid die passive krankengymnastische Behandlung zu. Inzwischen sind vom Hausarzt die Fäden der Wunde gezogen und die Schiene wurde weit weggeräumt. Frau Schmid läuft selbständig und macht einen sicheren Eindruck. Bei meinem letzten Besuch saß sie im Dienstzimmer vor dem Medikamentenschrank und wollte gerne „ihre Heparin- Spritze“ wie im Krankenhaus. Wer hätte dies erwartet! Genaues Beobachten, richtige Entscheidungen zur rechten Zeit, gute Vorarbeit, sich flexibel einlassen können, situations orientiertes Handeln und Entscheiden – dies ist nötig, wenn sich die Pflegesituation beim Bewohner verändert. Gerade dies erlebe ich als Bereicherung in meinem Arbeitsalltag als Pflegefachberaterin und nehme diese Herausforderungen gerne an. Annegret Wolfart, Pflegefachberaterin der Diak-Behindertenhilfe 13

Them a : Pflege<br />

Die hausfrauen vom lene-hofmann-haus arthrose im Knie bereitet Bauchschmerzen<br />

12<br />

Berta S. (name geändert) war zeitlebens eine vorbildliche hausfrau.<br />

Jeden Sonntag bekochte sie ihre große familie. Besonders<br />

beliebt waren ihre flädlessuppe, der Sauerbraten mit Knödel<br />

und natürlich der Kartoffelsalat. „nirgends schmeckts so gut wie<br />

bei oma Berta“, sagten die enkel immer. Doch eine fortschreitende<br />

Demenz und ein oberschenkelhalsbruch führten dazu,<br />

dass sie sich nicht mehr selbst versorgen konnte. Sie zog ins<br />

neue lene-hofmann-haus in weikersheim ein. nun hat sie sich<br />

gut eingelebt.<br />

Eine besondere Freude ist<br />

für sie, dass sie weiterhin als<br />

Hausfrau wirken darf. Denn<br />

nur dasitzen und sich ausruhen<br />

ist nicht ihre Sache. „In<br />

den überschaubaren kleinen<br />

Wohngruppen ist der hauswirtschaftliche<br />

Bereich so<br />

konzipiert, dass jederzeit eine<br />

Beteiligung der Bewohner<br />

an den Tätigkeiten möglich<br />

ist“, erklärt Hausleiter Stefan<br />

Haberl. „Die Bewohner werden<br />

ermutigt, aktiv mit zu gestalten<br />

und mitzuwirken. Ob beim<br />

Zubereiten der Mahlzeiten,<br />

Kuchenbacken, beim Putzen,<br />

Wäschewaschen oder Dekorieren,<br />

die Mithilfe der Bewohner<br />

wird als wichtiges Element der<br />

Alltagsgestaltung angesehen.“<br />

Ziel ist es, die Bewohner ihren<br />

Ressourcen entsprechend in<br />

das Haushaltsgeschehen mit<br />

einzubeziehen, so wie es ihnen<br />

gut tut. Dabei geht es nicht nur<br />

darum, einen Apfel zu schnippeln.<br />

Nein, die Bewohner<br />

entscheiden bei der Planung<br />

der Haushaltstätigkeiten mit<br />

und setzen sie mit um. „Montags<br />

war immer Waschtag“,<br />

so sagen Berta S. und ihre<br />

Mitbewohnerinnen. „Zum<br />

Mittagessen gabs dann Eintopf<br />

und eine Quarkspeise.“ Prima,<br />

ein schöner Gemüseeintopf<br />

mit Rindfleisch ist nahrhaft,<br />

gesund und bekömmlich für<br />

die Senioren. Quarkspeise mit<br />

Früchten rundet die Mahlzeit<br />

gut ab. Die Hausfrauen treten<br />

in Aktion, sie waschen, schälen<br />

und schneiden die Zutaten –<br />

selbstverständlich gemeinsam<br />

mit qualifiziertem Personal.<br />

„Wir achten auf eine bedarfsgerechte,<br />

abwechslungsreiche,<br />

ernährungsphysiologisch und<br />

hygienisch einwandfreie und<br />

wohlschmeckende Verpflegung“,<br />

sagt Hauswirtschaftsleitung<br />

Martina Maschler.<br />

„Auch immobile Bewohnerinnen<br />

und Bewohner, die<br />

sich nicht mehr aktiv beteiligen<br />

können, erleben durch<br />

die Geräusche, Gerüche und<br />

Berührung eine Stimulation<br />

der Sinne. Somit sind sie dabei<br />

und in das Geschehen mit<br />

einbezogen.“<br />

Pflegedienstleitung Angela<br />

Hehn erläutert, welche<br />

Konzeption dahinter steht:<br />

„Unser Ziel ist die Gesunderhaltung<br />

bzw. Verbesserung<br />

der körperlichen und geistigen<br />

Leistungsfähigkeit der Bewohner.<br />

Durch Einbezug in die<br />

alltäglichen Verrichtungen im<br />

Haushalt erleben die Senioren<br />

einen sinnvoll strukturierten<br />

Tag, was Lebensqualität und<br />

Lebensfreude steigert.“ Die<br />

Mitarbeiter verantworten die<br />

fachliche, ökonomische und<br />

hygienische Haushaltsführung.<br />

Andere Gewohnheiten und<br />

Bedürfnisse, etwa im eigenen<br />

Zimmer zu essen oder anderen<br />

Tages- und Nachtzeiten,<br />

werden jederzeit berücksichtigt.<br />

Und wenn die Enkel von Berta<br />

S. die Oma besuchen? „Jeder<br />

Wohnbereich verfügt über eine<br />

voll ausgestattete behindertengerechte<br />

Küche. Diese kann<br />

von Bewohnern ebenso wie<br />

von den Angehörigen genutzt<br />

werden“, ermuntert Angela<br />

Hehn. Oma Berta gibt ihre<br />

Familienrezepte und Hausfrauentricks<br />

bestimmt liebend<br />

gerne an die Enkel weiter.<br />

Jeder mensch ist ein besonderes<br />

wesen – ob mit oder<br />

ohne Behinderung. Bei meiner<br />

Tätigkeit als Pflegefachberaterin<br />

der Diak-Behindertenhilfe<br />

entdecke ich jeden Tag<br />

andere fähigkeiten, eigenschaften<br />

und Verhaltensweisen<br />

unserer Bewohner. ein<br />

Beispiel:<br />

Die Bewohnerin Frau Schmid<br />

(Name geändert) ist groß gewachsen,<br />

burschikos gekleidet<br />

und selbstbewusst ihre<br />

Interessen durchsetzend. Sie<br />

redet laut und schlecht artikulierend.<br />

Zugleich überrascht<br />

sie durch ihre schnelle Auffassungsgabe<br />

und ihre sensible<br />

Art.<br />

Durch eine X-Stellung der<br />

Beine zeigte sie ein auffälliges<br />

Gangbild, das sich zunehmend<br />

verschlechterte. Um Frau<br />

Schmid nicht durch Arztbesuche<br />

zu belasten, stellten wir<br />

sie gleich einem Chirurgen im<br />

Diakonie-Klinikum vor. Er diagnostizierte<br />

eine ausgeprägte<br />

Arthrose im linken Knie.<br />

Im Januar <strong>2010</strong> war eine<br />

Operation unumgänglich. Wir<br />

hatten große Bedenken, wie<br />

Frau Schmid den Krankenhausaufenthalt<br />

verkraftet. Wir<br />

stellten uns Fragen um Fragen,<br />

berieten Eventualitäten<br />

um Eventualitäten… Alle hatten<br />

gewisse Bauchschmerzen,<br />

wohl wissend, dass der rechte<br />

Zeitpunkt zur OP gekommen<br />

war.<br />

Kurz vor dem Termin wurde<br />

die Bewohnerin behutsam<br />

darüber informiert.<br />

Am Tag der Einweisung verabschiedete<br />

sich Frau Schmidt<br />

mit: „Ich geh ins Krankenhaus.<br />

Keine Spritze!“.<br />

Im Krankenhaus bezog sie<br />

ein Einzelzimmer. Mit gutem<br />

Zureden ließ sie sich zur<br />

Blutentnahme motivieren.<br />

Thrombosestrümpfe konnte<br />

sie nicht tolerieren, deshalb<br />

wurde darauf verzichtet.<br />

Problematisch war auch die<br />

Fahrt in den OP: Frau Schmid<br />

klammerte sich mit beiden<br />

Händen am Türrahmen fest.<br />

Mit dem operierenden Arzt<br />

wurde vereinbart, dass das<br />

Knie gut verbunden und mit<br />

einer zusätzlichen Schiene<br />

geschützt werden sollte. Es<br />

war schwer einzuschätzen, ob<br />

Frau Schmid Pflaster, Verbände,<br />

Infusionen und Drainagen<br />

tolerieren würde.<br />

Überraschend für alle war,<br />

dass sie stolz auf ihren dicken<br />

Verband war und die Bettruhe<br />

bis zum zweiten Tag einhielt.<br />

Nach der ersten Mobilisation<br />

regelte sie selbst, wann und<br />

wie lange sie aufstehen wollte.<br />

Den Gehwagen lehnte sie kategorisch<br />

ab, aber sie verhielt<br />

sich ganz vorsichtig beim<br />

Laufen. Sie fand eine gute Mischung<br />

aus Ruhe und Aktivität.<br />

Häufig legte sie sich ins Bett,<br />

schaute Zeitschriften an oder<br />

baute mit Legosteinen.<br />

Als der Krankengymnast die<br />

ersten Gehversuche ohne<br />

Schiene machen wollte,<br />

ließ sie das Abnehmen der<br />

Schiene nicht zu und wehrte<br />

sich energisch. In solchen<br />

problematischen Situationen<br />

wurden „süße Verstärker“<br />

eingesetzt. Zehn Tage nach der<br />

OP konnte sie ins Schöneck<br />

entlassen werden. Erst nach<br />

großer Verabschiedung von<br />

den Schwestern, wurde der<br />

Rollstuhl bestiegen und zum<br />

Taxi gefahren.<br />

Zur Überraschung aller ließ<br />

Frau Schmid die passive krankengymnastische<br />

Behandlung<br />

zu. Inzwischen sind vom Hausarzt<br />

die Fäden der Wunde gezogen<br />

und die Schiene wurde<br />

weit weggeräumt. Frau Schmid<br />

läuft selbständig und macht<br />

einen sicheren Eindruck. Bei<br />

meinem letzten Besuch saß<br />

sie im Dienstzimmer vor dem<br />

Medikamentenschrank und<br />

wollte gerne „ihre Heparin-<br />

Spritze“ wie im Krankenhaus.<br />

Wer hätte dies erwartet!<br />

Genaues Beobachten, richtige<br />

Entscheidungen zur rechten<br />

Zeit, gute Vorarbeit, sich<br />

flexibel einlassen können,<br />

situations orientiertes Handeln<br />

und Entscheiden – dies ist<br />

nötig, wenn sich die Pflegesituation<br />

beim Bewohner verändert.<br />

Gerade dies erlebe ich<br />

als Bereicherung in meinem<br />

Arbeitsalltag als Pflegefachberaterin<br />

und nehme diese<br />

Herausforderungen gerne an.<br />

Annegret Wolfart,<br />

Pflegefachberaterin der<br />

Diak-Behindertenhilfe<br />

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