Aus <strong>der</strong> Praxis„E<strong>in</strong> Toaster im Haushalt reicht !“Interview mit Rolf Stenzel, Betriebsratsvorsitzen<strong>der</strong>Karstadt Hannover, Mitglied des Gesamtbetriebsratesund Mitglied <strong>der</strong> TarifkommissionEgbers: Rolf, Du wirst <strong>in</strong> diesem Jahr 60,arbeitest seit 44 Jahren bei Karstadt undbist seit 25 Jahren Betriebsratsvorsitzen<strong>der</strong>.Du bist also e<strong>in</strong> echtes Urgeste<strong>in</strong>.Stenzel: Das stimmt. Es hat den Vorteil,dass ich die Beschäftigten im Hause allepersönlich kenne. Ich kenne ihre privatenGeschichten, ich weiß um ihre Nöte.Egbers: Stichwort Arbeitszeit: Die Ladenschlussgesetzgebungist <strong>in</strong> den letztenJahren immer weiter liberalisiert worden.In Nie<strong>der</strong>sachsen dürfen die Läden momentanwerktags rund um die Uhr öffnen.Außerdem an vier Sonntagen im Jahr mitweitreichenden Ausnahmeregelungenz. B. für Kur- und Badeorte. Wie wirkt sichdas auf Hannover aus ?Stenzel: Im Großraum Hannover gibt esfast wöchentlich irgendwo e<strong>in</strong> Möbelhauso<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Stadtteil, <strong>in</strong> dem man auch amSonntag o<strong>der</strong> abends noch e<strong>in</strong>kaufengehen kann. Für die City gibt es e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>ternenVerständigungsprozess zwischenBetriebsräten und Geschäftsführungen<strong>der</strong> großen Kaufhäuser. Anfänglich hattene<strong>in</strong>ige Läden bis 22:00 Uhr geöffnet.Inzwischen schließen die meisten Häuser,bis auf wenige Ausnahmen bei Events wie„late night shopp<strong>in</strong>g“, werktags um 20:00Uhr. Die Umsätze s<strong>in</strong>d nach 20:00 Uhr soger<strong>in</strong>g, dass es sich nicht rechnet.Egbers: Und wie ist das mit den Umsätzenan den verkaufsoffenen Sonntagen ?Stenzel: Die Sonntagsöffnungen lohnensich nicht wirklich, weil dann Umsätze generiertwerden, die aus den normalenWochentagen herausgezogen werden. Were<strong>in</strong>en hochwertigen Toaster am Sonn tagkauft, kauft ihn <strong>in</strong> <strong>der</strong> kommenden Wochenicht noch e<strong>in</strong>mal. Die Kauf kraft <strong>der</strong> Konsumentenerhöht sich ja nicht, nur weil ese<strong>in</strong> größeres Zeitfenster gibt, <strong>in</strong> dem manshoppen gehen kann. Der Vorteil für diegroßen Kaufhäuser ist aber, dass sie denkle<strong>in</strong>en Läden die Kundschaft weg neh men,weil viele kle<strong>in</strong>e Läden sich die langenÖffnungszeiten nicht leisten können.Egbers: Welche Auswirkungen haben dielangen Öffnungszeiten auf die Beschäftigtenim E<strong>in</strong>zelhandel ?Stenzel: Die allgeme<strong>in</strong>en Betriebskostens<strong>in</strong>d natürlich gestiegen. Das erhöht denKostendruck, <strong>der</strong> auf die BeschäftigtenBeschäftigtenentwicklung im E<strong>in</strong>zelhandel nach ZeitkategorienDie Zahl <strong>der</strong> Beschäftigten hatseit 2006 um –0,3 % (–7.100 Personen)abgenommen. Das Arbeitszeitvolumenliegt mit –0,2 % nur ger<strong>in</strong>gfügig unterdem Ausgangsniveau von2006 (–6 Mio. Stunden).2006 = 100 %100,9100,3101,4100,4ausschließlich ger<strong>in</strong>gfügigentlohnte Beschäftigtesozialvers.-pflichtigTeilzeit-Beschäftigte100,099,999,8Arbeitszeitvolumen99,799,7Beschäftigte <strong>in</strong>sgesamtDen höchsten Rückgang verzeichnendie Vollzeit arbeits verhältnisse mit knapp–20.000 Personen bzw. –1,4 % <strong>in</strong> denvergangenen beiden Jahren.99,398,6Vollzeitbeschäftigte2006 2007* 2008**vorläufige DatenQuelle: Statistisches Bundesamt (DESTATIS), WSI-Tarifarchiv, Bundesagentur für Arbeit26 Tag <strong>der</strong> Arbeit 2011nicht besäen noch de<strong>in</strong>en We<strong>in</strong>berg beschneiden. 3. Mose 25,3–4 +++ E<strong>in</strong> jegliches hat se<strong>in</strong>e Zeit und
abgewälzt wird: Bei Karstadt z. B. werdenmomentan nur noch über Zeitarbeit billigeKräfte gewonnen. Selbst Auszubildendewerden nur noch mit viel Druck seitensdes Betriebsrates übernommen. DieZeitarbeitskräfte s<strong>in</strong>d nicht nur billiger,son<strong>der</strong>n auch flexibler e<strong>in</strong>setzbar, weil sienicht dem tariflich festgelegten Arbeitszeitsystemunterliegen. Der Zwang, Kostenzu reduzieren, verschärft die Tendenzzu prekärer Beschäftigung. So habenviele Zeitarbeitskräfte e<strong>in</strong>en Vertrag von15 Wochenstunden, werden aber je nachBedarf mal mehr, mal weniger e<strong>in</strong>gesetzt.Sie müssen spätestens vier Tage vor Beg<strong>in</strong>n<strong>der</strong> Schicht <strong>in</strong>formiert werden. In <strong>der</strong>Praxis werden sie aber oft erst am Tagvorher angerufen. Im Übrigen hat <strong>der</strong> Betriebsratbei <strong>der</strong> E<strong>in</strong> stellung von Zeitarbeitskräftenke<strong>in</strong> Mit bestimmungsrecht –kollektive Mit spra che rechte werden soausgehebelt. Aus Unter nehmenssicht istdiese Praxis mehr als fragwürdig, denndie Bedienungs- und Beratungsqualitätleiden und die Kundenorientierung ist<strong>in</strong>frage gestellt.Egbers: Ist Arbeit am Sonntag Pflicht ?Stenzel: Ne<strong>in</strong>, Sonntagsarbeit basiert aufFreiwilligkeit. Es gibt dafür 100 ProzentZuschlag, wobei ungefähr die Hälfte denFreizeitausgleich nimmt, während sich diean<strong>der</strong>e Hälfte das Geld auszahlen lässt.Aber es wird nonverbal Druck ausgeübt,weil es nicht immer e<strong>in</strong>fach ist, die erfor<strong>der</strong>licheAnzahl an Kräften zu f<strong>in</strong>den. Sobekommen die e<strong>in</strong>zelnen Abteilungen fastjeden Morgen die angestrebten und dietatsächlichen Planumsätze. Das erhöhtden Druck enorm, Arbeitszeiten zu akzeptieren,die eigentlich nicht gewünschts<strong>in</strong>d. Wenn man berücksichtigt, dass imE<strong>in</strong>zelhandel ca. 70 Prozent Frauen arbeitenund davon etliche alle<strong>in</strong>erziehend s<strong>in</strong>d,so br<strong>in</strong>gt das e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Bri sanz mitsich. Die Vere<strong>in</strong>barkeit von Familie undBeruf ist e<strong>in</strong>e permanente Problematik.Egbers: S<strong>in</strong>d neue Arbeitsplätze geschaffenworden ?Stenzel: Ne<strong>in</strong>. Die Umsätze s<strong>in</strong>d nicht gestiegen,weil die Konsumenten, wie schongesagt, nicht mehr Geld <strong>in</strong> <strong>der</strong> Taschehaben. Und das Arbeitsvolumen ist auchnicht gestiegen. Die Zahl <strong>der</strong> Vollzeitbeschäftigtenhat kont<strong>in</strong>uierlich abgenom-men, dafür s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e M<strong>in</strong>ijobsh<strong>in</strong>zugekommen. (siehe Grafik)Egbers: Du hast zusammen mit e<strong>in</strong>emKollegen Klage gegen die Sonntags öffnungenbeim Bundesverfassungsgerichte<strong>in</strong>gereicht. Mit welchem Ergebnis ?Stenzel: Die Klage wurde abgewiesen mit<strong>der</strong> Begründung, dass die eigene Betroffenheitnicht genügend nachgewiesenwerden konnte, weil wir freiwillig amSonntag gearbeitet hätten. Nun werdenBeschäftigte gesucht, die die Voraussetzungenerfüllen, und dann e<strong>in</strong>e Klagee<strong>in</strong>reichen. In diesem Zusammenhangs<strong>in</strong>d die Klagen <strong>der</strong> Kirchen zusammenmit ver.di gegen die Sonntagsöffnungen<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> und den neuen Bundeslän<strong>der</strong>nzu begrüßen.Egbers: Vere<strong>in</strong>barkeit von Familie undBeruf – wie hast Du das persönlich erlebt ?Stenzel: Ich arbeite seit e<strong>in</strong>igen JahrenTeilzeit, um mehr Zeit für me<strong>in</strong>e Tochter zuhaben und weil me<strong>in</strong>e Frau nach ihremStudium e<strong>in</strong> attraktives Jobangebot hatte.Ich habe diese Zeit sehr positiv erlebt,weil ich me<strong>in</strong>e Tochter viel <strong>in</strong>tensiver habeaufwachsen sehen, als das sonst möglichgewesen wäre. Das würde ich um nichts<strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt missen wollen. Ich würde esje<strong>der</strong>zeit wie<strong>der</strong> so machen, weil ich dadurchan Lebensqualität gewonnen habe.Es war klasse, morgens im K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartendie Purzel da zu sehen. Manchmal habeich auch ausgeholfen, wenn Personalausfiel. Das hat Spaß gemacht. Abendswar ich richtig geschafft, fix und fertig.Da bekommt man e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Blick fürdie Leistung <strong>der</strong> Mitarbeiter/-<strong>in</strong>nen <strong>in</strong>Kitas.Egbers: Betriebsratsvorsitzen<strong>der</strong> <strong>in</strong>Teilzeit – wie geht das ?Stenzel: Man hält sich für unentbehrlich.Ich habe aber festgestellt: Das ist allesQuatsch. Man muss sich an<strong>der</strong>s organisieren,Absprachen mit Kolleg/-<strong>in</strong>nentreffen, man kriegt das h<strong>in</strong>. Entscheidendist die Frage, was man will.Das Interview führte:Gerda EgbersReferent<strong>in</strong> für Wirtschaft, Arbeit, SozialesHaus kirchlicher <strong>Dienst</strong>eEvangelisch-lutherische Landeskirche HannoversTag <strong>der</strong> Arbeit 201127alles Vorhaben unter dem Himmel hat se<strong>in</strong>e Stunde. Prediger Salomo 3,1 +++ Sechs Tage sollst du