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Grundregeln der Schriftauswahl

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10 THEORIE & PRAXIS<br />

<strong>Grundregeln</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Schriftauswahl</strong><br />

Was passt, was passt nicht, und was<br />

weckt »die Lust zum Lesen«?<br />

Die Textgestalter des 15. Jahrhun<strong>der</strong>ts empfanden die Einführung des Buchdrucks<br />

durch Johannes Gutenberg in erster Linie als Einschränkung ihrer künstlerischen<br />

Freiheit, wurden die Buchstaben doch bis dahin freihändig geschrieben und gezeichnet.<br />

Viele Bibliothekare wollten nichts Gedrucktes in ihren Bestand aufnehmen.<br />

Heute stehen wir offensichtlich vor<br />

einem ganz an<strong>der</strong>en Problem: Die<br />

Freiheit in <strong>der</strong> elektronischen <strong>Schriftauswahl</strong><br />

ist schier grenzenlos geworden.<br />

Schrift wird durch Computer und<br />

computergesteuerte Geräte gestaltet<br />

und reproduziert. Dadurch entstehen<br />

unendliche Kombinationen. Letztendlich<br />

gelangen wir damit wie<strong>der</strong><br />

zu einem ganzheitlichen Prozess, <strong>der</strong><br />

sich in gewisser Weise mit <strong>der</strong> Gestaltung<br />

in <strong>der</strong> Werkstatt Gutenbergs<br />

vergleichen lässt: Vom Konzept bis<br />

zum Druck ist alles aus einem Guss.<br />

An<strong>der</strong>erseits wächst auch die Gefahr<br />

von Zweckentfremdung, Uniformität<br />

und Beliebigkeit bei <strong>der</strong> Auswahl digitalisierter<br />

Schriften. Alles ist möglich<br />

geworden und mancher versucht auch,<br />

alle Möglichkeiten zu nutzen.<br />

Leicht lesbar soll es sein …<br />

Der komplexe Begriff <strong>der</strong> Lesbar keit<br />

bemisst sich an <strong>der</strong> Zeit, die erfor<strong>der</strong>lich<br />

ist, einen Text ohne Ermüdungserscheinungen<br />

zu erfassen. Seit über<br />

100 Jahren gibt es Untersuchungen<br />

über die Lesbarkeit von Schrifen und<br />

daraus geformten Texten. Dabei hat<br />

sich unter an<strong>der</strong>em herausgestellt,<br />

dass die obere Hälfte eines Buchstabens<br />

für die Lesbarkeit einer Schrift<br />

wichtiger ist als die untere:<br />

Die Unterscheidungsmerkmale <strong>der</strong> Buchstaben fi nden<br />

sich überwiegend im oberen Teil. Der untere Teil ist<br />

weniger differenziert.<br />

Einer <strong>der</strong> wichtigsten Faktoren für<br />

die Lesbarkeit eines Texts ist seine<br />

Größe. Fast ebenso einfl ussreich sind<br />

Zeilenlänge und Zeilenabstand. Vom<br />

normalen, gerade stehenden Schriftbild<br />

abweichende Schriftvarianten<br />

(Kursiv, Halbfette, Schmalfette etc.)<br />

hemmen die Lesbarkeit unterschiedlich,<br />

vor allem bei längeren Texten<br />

in solchen Schriften. Kursivschriften<br />

beeinfl ussen das rasche Lesen offensichtlich<br />

nicht so sehr wie an<strong>der</strong>e<br />

Abweichungen vom Normalschnitt.<br />

Ausschließlich in Versalien (Großbuchstaben)<br />

gesetzter Text ist um ca.<br />

12 % schlechter lesbar als Text aus<br />

Groß- und Kleinbuchstaben. Rasches<br />

Lesen ist an Konventionen gebunden;<br />

ein geläufi ges Schriftbild erleichtert<br />

das rasche Aufnehmen des Inhalts.<br />

Weitere wichtige Faktoren für die<br />

gute Lesbarkeit, die oftmals nicht<br />

ausreichend beachtet werden, sind die<br />

Beschaffenheit des Trägermaterials<br />

und die Textfarbe. Negative Schrift,<br />

also z. B. weißer Text auf schwarzem<br />

Hintergrund, ist um 11 % schwieriger<br />

zu lesen.<br />

Unter http://psychology.wichita.<br />

edu/surl/usabilitynews/3S/font.htm<br />

fi nden Sie eine interessante Studie zur<br />

Auswahl von Schriften für den Bildschirm<br />

– genauer gesagt: für das Web.<br />

Kriterien waren in dieser Untersuchung<br />

nicht nur die Lesegeschwindigkeit<br />

und -genauigkeit, son<strong>der</strong>n auch<br />

die ästhetische Anmutung bestimmter<br />

Lesbarkeit und Lesegeschwindigkeiten<br />

Monotype Corsiva<br />

Bradley Hand<br />

Times New Roman<br />

Century Schoolbook<br />

Goudy Old Style<br />

Georgia<br />

Courier New<br />

Verdana<br />

Tahoma<br />

Comic Sans<br />

Arial<br />

Agency<br />

Links die »wahrgenommene Lesbarkeit <strong>der</strong> Schriften« – je länger <strong>der</strong> Balken, desto leichter lesbar erschien<br />

die Schrift den Teilnehmern. Rechts die tatsächliche Lesezeit eines in <strong>der</strong> angegebenen Schriftart formatierten<br />

Textes in Sekunden – je kürzer <strong>der</strong> Balken, desto leichter lesbar die Schrift. Quelle: http://psychology.wichita.<br />

edu/surl/usabilitynews/3S/font.htm<br />

Schriften und die emotionale Reaktion<br />

darauf. Eines <strong>der</strong> interessantesten<br />

Ergebnisse dieser Studie war, dass<br />

die tatsächliche Lesegeschwindigkeit<br />

bei manchen Schriften deutlich von<br />

<strong>der</strong> wahrgenommenen Lesbarkeit abweicht.<br />

Beides spielt eine Rolle. Denn<br />

es kommt nicht nur auf die tatsächliche<br />

Lesegeschwindigkeit an – vielmehr<br />

muss <strong>der</strong> Text erst einmal die<br />

Lust zum Lesen wecken.<br />

Beziehung von Schrift und Textinhalt<br />

Eine Nichtübereinstimmung zwischen<br />

Schrift und Inhalt erschwert<br />

es dem Betrachter, den Sinn des<br />

gezeigten Worts auf Anhieb zu interpretieren.<br />

Allerdings empfi ehlt es<br />

sich in den meisten Fällen nicht, die<br />

gewünschten Assoziazionen auf eine<br />

zu vor<strong>der</strong>gründige Weise herzustellen.<br />

Fit for Publishing | 2 | 2006


Ein Text über Gletscher sollte eben<br />

nicht aus Buchstaben bestehen, die<br />

wie schmelzendes Eis aussehen etc.<br />

Die Buchstaben sollen nicht den Inhalt<br />

des Textes bildlich darstellen; sie sind<br />

keine Piktogramme (eine Ausnahme<br />

ist das Design von Logos etc.)<br />

Ein rein formaler Gesichtspunkt<br />

für die Schriftwahl ist die Beziehung<br />

<strong>der</strong> Schriftform zum Textinhalt. Diese<br />

kann klar kontrastieren, exakt o<strong>der</strong><br />

nur andeutungsweise übereinstimmen.<br />

Bei literarischen o<strong>der</strong> historischen<br />

Texten können Sie versuchen,<br />

die Zeitperiode durch die Wahl einer<br />

Schrift aus dieser Epoche zu unterstreichen.<br />

Dies ist häufi g nicht möglich<br />

und auch gar nicht erwünscht.<br />

Oft ist es besser, den grafi schen<br />

Wert <strong>der</strong> Buchstaben und die daraus<br />

resultierenden Assoziationen auszunutzen<br />

– manche Schriften wirken<br />

glatt und präzise, an<strong>der</strong>e grob. Die<br />

Breite des Grundstrichs und sein Verhältnis<br />

zur Buchstabenhöhe erzeugen<br />

schmale o<strong>der</strong> breite, fette o<strong>der</strong> leichte<br />

Buchstaben. Diese Proportionen<br />

und die Fett-leicht-Kontraste lassen<br />

manche Schriften luftig und schlank,<br />

an<strong>der</strong>e dunkel und schwer wirken.<br />

Harte Fakten o<strong>der</strong> technische Themen<br />

lassen sich z. B. häufi g gut durch eine<br />

einheitliche, nüchtern wirkende serifenlose<br />

Schrift dargestellt. Eine Serifenschrift<br />

eignet sich häufi g gut für<br />

einen menschlichen, emotionalen Ton.<br />

Natürlich sind solche Attribute stets<br />

relativ und nicht jede Schrift kann auf<br />

diese Weise eindeutig charakterisiert<br />

werden.<br />

Um »den rechten Ton zu treffen«,<br />

kann es ein gutes Hilfsmittel sein,<br />

wenn Sie den Text tatsächlich laut<br />

lesen. Auf diese Weise können Sie die<br />

feinen Nuancen <strong>der</strong> Message aufnehmen.<br />

Oftmals drängt sich die richtige<br />

Schriftwahl dann geradezu auf.<br />

Schriften mischen<br />

Das Mischen von Schriften und<br />

Schriftschnitten ist eine wirksame<br />

Methode <strong>der</strong> Textgestaltung, die<br />

Kombinationen sind unerschöpfl ich.<br />

Aber nicht alle Schriftarten können<br />

mit harmonischem Ergebnis gemischt<br />

werden. Unproblematisch ist es,<br />

Schriften aus einer Familie, z. B. kursive<br />

und fette Schnitte einer Schrift,<br />

zu mischen. Der Charakter einer gut<br />

gestalteten Schriftfamilie ist überein-<br />

Fit for Publishing | 2 | 2006<br />

stimmend und zueinan<strong>der</strong> passend.<br />

Sie sollten nur vermeiden, zu viele<br />

Schriften miteinan<strong>der</strong> zu mischen, um<br />

Unruhe im Satzgefüge und ein inkonsistentes<br />

Aussehen zu vermeiden.<br />

Günstiger ist es im Allgemeinen, nicht<br />

mehr als zwei o<strong>der</strong> drei verschiedene<br />

Schriften zu verwenden.<br />

Wenn Sie Schriftarten, die nicht<br />

einer Schriftfamilie zugehören,<br />

miteinan<strong>der</strong> mischen möchten, gibt<br />

es keine vorgefertigten Rezepte. Auf<br />

jeden Fall sollten Sie auf die Formmerkmale<br />

achten – das Mischen von<br />

Schriften aus <strong>der</strong>selben Gattung wirkt<br />

stets unschön. Vermeiden sollten Sie<br />

es demgemäß z. B, eine Times mit<br />

einer Bodoni zu mischen. Aber auch<br />

eine Renaissance-Antiqua passt meist<br />

nicht zu einer Barock-Antiqua. Und<br />

verschiedene Linear-Antiqua-Varianten,<br />

z. B. Arial und Century Gothic,<br />

wirken miteinan<strong>der</strong> meist ebenfalls<br />

unharmonisch:<br />

Kein schönes Ergebnis – die Grotesk-Schriften Helvetica<br />

und Century Gothic passen nicht zueinan<strong>der</strong>.<br />

Dasselbe gilt für Times New Roman und Garamond.<br />

An <strong>der</strong> zweiten unharmonischen<br />

Mischung – Times New Roman und<br />

Garamond – lässt sich noch etwas an<strong>der</strong>es<br />

ablesen. Garamond ist eine eher<br />

lebendige, »laufende« Schrift. Eine<br />

solche Schrift passt nicht zu einer<br />

statischen Schrift wie <strong>der</strong> Times New<br />

Roman. Aus diesem Grund passen<br />

z. B. die Gill Sans und die Garamond<br />

ganz gut zueinan<strong>der</strong> – beides sind<br />

»laufende« Schriften, die einen deutlichen<br />

Drang nach rechts zeigen. Die<br />

Helvetica und die Times New Roman<br />

hingegen sind »stehende« Schriften,<br />

die ebenfalls zueinan<strong>der</strong> passen:<br />

THEORIE & PRAXIS<br />

Grundsätzlich gilt: Wenn Sie<br />

Schriften mit harmonischem Ergebnis<br />

mischen möchten, sollten Sie auf<br />

einen übereinstimmenden Duktus<br />

achten. O<strong>der</strong> Sie gehen einen an<strong>der</strong>en<br />

Weg: Verwenden Sie Schriften, <strong>der</strong>en<br />

Duktus so weit auseinan<strong>der</strong> liegt, dass<br />

ein entschiedener Kontrast besteht.<br />

Ein Beispiel dafür zeigt die folgende<br />

Abbildung:<br />

Klare Kontraste können gemischt werden: Futura<br />

Medium und Times New Roman<br />

Außer <strong>der</strong> Entstehungszeit bietet<br />

die ursprüngliche Gestaltungstechnik<br />

<strong>der</strong> Schrift eine gute Hilfe für die<br />

Auswahl geeigneter Schriften für die<br />

Mischung – manche Schriften wurden<br />

mit <strong>der</strong> Breitfe<strong>der</strong> gestaltet, an<strong>der</strong>e<br />

mit <strong>der</strong> Pinseltechnik, wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

mit <strong>der</strong> Spitzfe<strong>der</strong> (Zeichenfe<strong>der</strong>)<br />

und schließlich gibt es auch mit <strong>der</strong><br />

Graviernadel gestaltete Schriften.<br />

Schriften, die mit <strong>der</strong>selben Technik<br />

gestaltet wurden, harmonieren eher,<br />

Schriften, die aus unterschiedlichen<br />

Techniken hervorgegangen sind,<br />

hingegen so gut wie nie. So sollten Sie<br />

keine Schriften, die aus <strong>der</strong> Pinseltechnik<br />

hervorgegangen sind, mit<br />

Schriften, die mit <strong>der</strong> Graviernadel<br />

entstanden sind, mischen usw. Das<br />

Mischen von Kursiv- und Schreibschriften<br />

sollten Sie ebenfalls vermeiden.<br />

Hier wirkt zudem die normalerweise<br />

abweichende Schräglage<br />

beson<strong>der</strong>s fatal:<br />

Das passt hingegen überhaupt nicht: Unterschiedliche<br />

Schräglagen müssen vermieden werden.<br />

Je stärker übrigens <strong>der</strong> Größenunterschied<br />

zwischen zwei gemischten<br />

Schriften ist, desto eher können Sie<br />

auch einmal von den üblichen Regeln<br />

abweichen. Isolde Kommer<br />

Links: Gill Sans und Garamond als »laufende« Schriften<br />

harmonieren miteinan<strong>der</strong>, ebenso Helvetica und Times<br />

New Roman – beides eher »stehende« Schriften.<br />

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