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PSC 8-9-10 - bei der Föderation der Schweizer Psychologinnen und ...

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24<br />

FSP AKTUELL<br />

PSYCHOSCOPE 8-9/20<strong>10</strong><br />

Was soll Psychotherapie?<br />

Martin Rufer ist seit vielen Jahren selbständiger Psychotherapeut<br />

<strong>und</strong> Mitglied <strong>der</strong> Expertenkommission<br />

Psychotherapie FSP. Für Psychoscope macht er sich<br />

gr<strong>und</strong>sätzliche Gedanken über Zweck <strong>und</strong> Positionierung<br />

von Psychotherapie auf dem <strong>Schweizer</strong> Ges<strong>und</strong>heitsmarkt.<br />

– Und wagt einen visionären Blick.<br />

Was soll Psychotherapie? Wer diese<br />

Frage stellt, stellt sie kritisch <strong>und</strong><br />

könnte in die Reihe politisch o<strong>der</strong><br />

bio-medizinisch motivierter Hardliner<br />

gestellt werden. Wenn man zudem<br />

seit über 20 Jahren als Psychotherapeut<br />

eigenständig tätig ist, gerät<br />

man in den Verdacht eines «Nestbeschmutzers»<br />

o<strong>der</strong> Verteidigers bzw.<br />

Anklägers von Besitzstandswahrung<br />

jeglicher Art.<br />

Die Frage ist denn auch so lange nicht<br />

von Bedeutung, als all das, was als<br />

«Psychotherapie» angeboten wird,<br />

auch bezahlt wird <strong>und</strong> den Lebensunterhalt<br />

von ärztlichen <strong>und</strong> psychologischen<br />

Psychotherapeuten <strong>und</strong><br />

-therapeutinnen sichert.<br />

Die Gesetze des Marktes<br />

Alles, was aktuell im Rahmen <strong>der</strong><br />

Krankenversicherung abgerechnet<br />

wird, könnte man somit schlussfolgern,<br />

ist Psychotherapie.<br />

Die Frage, was eine «Störung mit<br />

Krankheitswert» ist <strong>und</strong> als «unerlässliche<br />

Hilfestellung» in eine<br />

Gr<strong>und</strong>versicherung gehört, beantwortet<br />

sich zurzeit nicht inhaltlich,<br />

son<strong>der</strong>n ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> berufspolitisch(Krankenversicherungsgesetz<br />

KVG/ Krankenpflege-Leistungsverordnung,<br />

KVL). Tatsächlich ist es<br />

auch im Ges<strong>und</strong>heitswesen – ähnlich<br />

wie in <strong>der</strong> Klimafrage – so, dass<br />

die Entscheidung darüber, was Sache<br />

ist <strong>und</strong> Not tut, den Gesetzen<br />

des Marktes unterliegt.<br />

Auch wenn im therapeutischen Kontrakt<br />

nicht immer eindeutig ist, wer<br />

wen braucht, wird damit deutlich,<br />

dass die Frage nach dem «was» gekoppelt<br />

ist mit <strong>der</strong> Frage nach dem<br />

«wer»: Wer (Psychiater, Psycholo-<br />

ginnen, Kassen, Patienten bzw. Klientinnen)<br />

soll was (Psychotherapie,<br />

Beratung, Coaching usw.) anbieten<br />

bzw. bezahlen?<br />

Grenzen <strong>der</strong> Forschung<br />

Vieles ist in den letzten Jahren zur<br />

Wirksamkeit von Psychotherapie,<br />

also darüber, was Psychotherapie<br />

kann, geschrieben <strong>und</strong> auch<br />

gut bewiesen worden. Die Diagnostik<br />

psychischer Störungen wird laufend<br />

differenziert, störungsspezifische<br />

Interventionen werden unter<br />

kontrollierten Bedingungen (neurowissenschaftlich)<br />

beforscht <strong>und</strong><br />

entsprechende Therapiemanuale<br />

ausgear<strong>bei</strong>tet.<br />

Mit einem kritischen Seitenblick zur<br />

Bergsteigerei könnte man mit Reinhold<br />

Messner allerdings auch für die<br />

Psychotherapie resümieren: «Es wird<br />

zu viel genagelt <strong>und</strong> zu wenig geklettert.»<br />

Und – vielleicht zum Glück –<br />

kann uns die Forschung auch morgen<br />

die Frage nicht beantworten,<br />

wann <strong>und</strong> wie das Blatt vom Baume<br />

fällt <strong>und</strong> welche Bedeutung da<strong>bei</strong><br />

den Gärtnern <strong>und</strong> Gärtnerinnen zukommt<br />

…<br />

Konkrete Fragestellungen<br />

Weniger bildhaft, dafür ganz konkret<br />

müssen wir uns aber – als psychologische<br />

<strong>und</strong> ärztliche! – Psychotherapeuten<br />

Fragen stellen (lassen) wie<br />

<strong>bei</strong>spielsweise die folgenden:<br />

• Soll PT eine alles umfassende<br />

Pflichtleistung (gemäss KLV) einer<br />

am medizinischen Krankheitsmodell<br />

definierten Gr<strong>und</strong>versorgung<br />

sein <strong>und</strong> bleiben?<br />

• Soll PT künftig nur noch die<br />

Schmierflüssigkeit (z.B. als Be-<br />

ziehungs- <strong>und</strong> Kommunikationskompetenz)<br />

für den Aufbau von<br />

Compliance in medizinisch-psychiatrischen<br />

Interventionen sein?<br />

• Soll PT, als Methode <strong>der</strong><br />

Wahl in Abgrenzung zur Psychiatrie<br />

(Medizin), wissenschaftlich<br />

eigenständig neu positioniert werden,<br />

allenfalls auch im Rahmen<br />

eines differenzierten Leistungskataloges?<br />

• Soll PT optional (mit Zusatzversicherungsangebot)<br />

ein Präventionsangebot<br />

für Einzelne, Paare<br />

o<strong>der</strong> Familien sein, um Persönlichkeitsentwicklung<br />

zu ermöglichen<br />

o<strong>der</strong> das Beziehungsklima zu<br />

verbessern <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsvorsorge<br />

<strong>und</strong> «Lebenssinnthemen»<br />

nicht selbsternannten «Heilern» zu<br />

überlassen?<br />

Zweckdienliches Kunsthandwerk<br />

Eines ist klar: Psychotherapie ist<br />

primär ein professionelles Handwerk<br />

an <strong>der</strong> Schnittstelle von Medizin<br />

<strong>und</strong> Psychologie. Und wie viele<br />

gute Handwerker sind gute Psychotherapeuten<br />

<strong>und</strong> -therapeutinnen<br />

«Kunsthandwerker», «Kommunikationskünstlerinnen»<br />

<strong>und</strong> «Beziehungs-<br />

<strong>und</strong> Prozessgestalter». Sie<br />

sind für leidende Menschen «heilsam»<br />

<strong>und</strong> wirken, wenn auch jenseits<br />

von Religion o<strong>der</strong> Selbsterfahrung,<br />

oft spiritueller als sie selber<br />

wahrhaben wollen.<br />

Auf die Frage «Was soll Literatur?»<br />

antwortete <strong>der</strong> Literaturnobelpreisträger<br />

Wole Solynka: «Literatur muss<br />

rein gar nichts. Sie ist eine freie, allen<br />

praktischen Zwecken enthobene<br />

Kunst.» Dies unterscheidet Literatur<br />

offensichtlich von Psychotherapie<br />

genauso wie <strong>bei</strong>spielsweise<br />

auch von Architektur. Psychotherapie<br />

muss also genauso wie Architektur<br />

einen Leistungsnachweis erbringen.<br />

Konkret heisst dies, dass<br />

insbeson<strong>der</strong>e das Pflichtleistungsangebot<br />

genau umschrieben <strong>und</strong> die<br />

Qualität gesichert, d.h. auch kontrol-

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