Strategischer Wandel als identitätsbildender Prozess
Strategischer Wandel als identitätsbildender Prozess
Strategischer Wandel als identitätsbildender Prozess
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<strong>Strategischer</strong> <strong>Wandel</strong> <strong>als</strong> <strong>identitätsbildender</strong> <strong>Prozess</strong><br />
– eine systemische Perspektive<br />
DISSERTATION<br />
der Universität St. Gallen<br />
Hochschule für Wirtschafts-,<br />
Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG)<br />
zur Erlangung der Würde eines<br />
Doktors der Wirtschaftswissenschaften<br />
von<br />
Thomas Schumacher<br />
aus<br />
aus Deutschland<br />
Genehmigt auf Antrag der Herren<br />
Prof. Dr. Johannes Rüegg-Stürm<br />
Prof. Dr. Matthias Varga von Kibéd<br />
Dissertation Nr. 2764<br />
i
Die Universtät St. Gallen Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften<br />
(HSG), gestattet hiermit die Drucklegung der vorliegenden<br />
Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen Anschauungen Stellung zu<br />
nehmen.<br />
St. Gallen, den 23.Januar 2003<br />
ii<br />
Der Rektor<br />
Prof. Dr. Peter Gomez
Eine kleine Übung zur Einstimmung 1 :<br />
Ein Gedankenexperiment<br />
Stellen Sie sich einen Raum vor. In diesem Raum befindet sich eine Linie, die den<br />
Raum teilt. Wählen Sie eine Seite. Welche Seite haben Sie gewählt?<br />
(Bitte lesen Sie erst auf der nächsten Seite weiter, wenn Sie die Übung gemacht<br />
haben.):<br />
1 Diese Übung geht auf Matthias Varga von Kibéd zurück.<br />
iii
iv<br />
Ein Gedankenexperiment<br />
Falls Sie beispielsweise die „rechte“ oder die „linke“ Seite gewählt haben, so ist die<br />
Übung nicht korrekt gelöst. Von „rechts“ oder „links“ können Sie nur sprechen, wenn<br />
Sie sich selbst mit in dem Raum denken.<br />
Rechts<br />
ist da!<br />
(diese Übung stammt von Matthias Varga von Kibéd)<br />
Rechts ist<br />
hier!<br />
Ohne den Beobachter ist eine Unterscheidung dagegen nicht möglich.<br />
?<br />
?
Inhaltsübersicht<br />
Inhaltsübersicht<br />
INHALTSÜBERSICHT ......................................................................................................... V<br />
INHALTSVERZEICHNIS.................................................................................................. VII<br />
ABBILDUNGSVERZEICHNIS ...........................................................................................XI<br />
TABELLENVERZEICHNIS .............................................................................................. XV<br />
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS.......................................................................................XVI<br />
1 QUO VADIS STRATEGIC CHANGE?– ZUM DILEMMA STRATEGISCHEN<br />
WANDELS IN ORGANISATIONEN ........................................................................ 17<br />
1.1 POST-MERGER-INTEGRATION ALS SPEZIAL- ODER GENERALFALL DES STRATEGISCHEN<br />
WANDELS?.................................................................................................................. 19<br />
1.2 EINE EINLADUNG ZU EINEM EXPERIMENT: VOM DILEMMA ZUM TETRALEMMA DER<br />
POST-MERGER-INTEGRATION ..................................................................................... 21<br />
1.3 VOM FORSCHUNGSPROJEKT LEARNING DYNAMICS ZUM FORSCHUNGSINTERESSE POST-<br />
MERGER-INTEGRATION............................................................................................... 26<br />
1.4 ÜBERBLICK ÜBER DEN AUFBAU DER ARBEIT ............................................................... 29<br />
2 HINTERGRUND UND FOKUS DER FORSCHUNGSFRAGE – WAS ES ZU<br />
WISSEN GILT UND WAS GILT ES ZU WISSEN? ................................................ 32<br />
2.1 POST-MERGER-INTEGRATION UND ORGANISATIONALER WANDEL .............................. 34<br />
2.2 IDENTITÄTSBILDENDE PROZESSE ORGANISATIONALEN WANDELS ............................... 51<br />
2.3 FORSCHUNGSFRAGE ..................................................................................................... 62<br />
3 AN IHREN ANNAHMEN WERDET IHR SIE ERKENNEN –<br />
WISSENSCHAFTSTHEORETISCHE UND METHODISCHE<br />
GRUNDÜBERLEGUNGEN........................................................................................ 67<br />
3.1 HORCH WAS KOMMT VON DRAUßEN REIN? – WIRKLICHKEIT UND SPRACHE IN DER<br />
WANDELFORSCHUNG .................................................................................................. 68<br />
3.2 WIE WIRKLICH IST DIE (ORGANISATIONALE) WIRKLICHKEIT? - EPISTEMOLOGISCHE<br />
GRUNDLAGEN ............................................................................................................. 72<br />
3.3 METHODOLOGISCHE GRUNDLAGEN ............................................................................. 81<br />
4 GRUNDSTEINE ORGANISATIONALER THEORIEGEBÄUDE....................... 101<br />
4.1 DIE STRUKTURATIONSTHEORIE VON ANTHONY GIDDENS.......................................... 102<br />
4.2 SYSTEMTHEORIE ........................................................................................................ 117<br />
4.3 FAZIT UND IMPLIKATIONEN EINES SYSTEMISCHEN UND<br />
STRUKTURATIONSTHEORETISCHEN ORGANISATIONSVERSTÄNDNISSES ..................... 142<br />
v
vi<br />
Ein Gedankenexperiment<br />
5 ORGANISATIONS- UND WANDELVERSTÄNDNIS .......................................... 147<br />
5.1 BAUSTEINE ORGANISATIONALER ANWENDUNGSTHEORIEN........................................ 147<br />
5.2 WANDEL UND WANDELFÄHIGKEIT ............................................................................ 164<br />
5.3 IDEALTYPISCHE HERAUSFORDERUNGEN EINER ORGANISATION IM WANDEL............. 178<br />
6 DIE FORSCHUNGSPARTNER, IHR UMFELD, IHRE PROJEKTE ................. 182<br />
6.1 ERSCHLIEßUNG DES FORSCHUNGSFELDES.................................................................. 183<br />
6.2 DIE ORGANISATION DES FORSCHUNGSPARTNERS SBT .............................................. 187<br />
6.3 EXTERNER KONTEXT DER PROJEKTE BEI SBT ........................................................... 198<br />
6.4 WANDELPROJEKTE BEI SBT....................................................................................... 214<br />
6.5 DIE ORGANISATION DES FORSCHUNGSPARTNERS MIGROS AARE .............................. 260<br />
6.6 EXTERNER KONTEXT DER PROJEKTE DER MIGROS AARE .......................................... 267<br />
6.7 STRATEGISCHE WANDELPROJEKTE DER MIGROS AARE............................................. 274<br />
6.8 ZUSAMMENFASSUNG DER VERSCHIEDENEN PROJEKTE............................................... 286<br />
6.9 GEMEINSAMKEITEN UND UNTERSCHIEDE DER BEIDEN UNTERNEHMEN ..................... 287<br />
7 EMPIRISCHE ANALYSE DER IDENTITÄTSBILDENDEN WIRKUNG<br />
STRATEGISCHER INITIATIVEN......................................................................... 289<br />
7.1 DER INTERNE KONTEXT – EINE STRUKTURELLE ANALYSE......................................... 289<br />
7.2 DIE WANDELPROZESSE – EINE ANALYSE DER HANDLUNGEN .................................... 312<br />
8 UND WAS VOM TAGE ÜBRIG BLEIBT............................................................... 376<br />
8.1 VOM WANDEL DER ORGANISATION ZUR ORGANISATION DES WANDELS................... 377<br />
8.2 BRUCHSTELLEN ORGANISATIONALER IDENTITÄTSSTRUKTUREN ................................ 383<br />
8.3 ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT ODER RETROSPEKTIVE IDENTITÄTSBILDUNG – PRAKTISCHE<br />
IMPLIKATIONEN IDENTITÄTSBILDENDER PROZESSE .................................................. 390<br />
8.4 HANDLUNG, STRUKTUR UND IDENTITÄT – THEORETISCHE IMPLIKATIONEN<br />
IDENTITÄTSBILDENDER PROZESSE ............................................................................ 395<br />
8.5 FAZIT: IDENTITÄTSBILDENDE PROZESSE IN POST-MERGER-PHASEN ......................... 399<br />
VERZEICHNIS DER FORSCHUNGSAKTIVITÄTEN................................................. 404<br />
LITERATURVERZEICHNIS............................................................................................ 416
Inhaltsverzeichnis<br />
Inhaltsübersicht<br />
INHALTSÜBERSICHT ......................................................................................................... V<br />
INHALTSVERZEICHNIS.................................................................................................. VII<br />
ABBILDUNGSVERZEICHNIS ...........................................................................................XI<br />
TABELLENVERZEICHNIS .............................................................................................. XV<br />
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS.......................................................................................XVI<br />
1 QUO VADIS STRATEGIC CHANGE?– ZUM DILEMMA STRATEGISCHEN<br />
WANDELS IN ORGANISATIONEN ........................................................................ 17<br />
1.1 POST-MERGER-INTEGRATION ALS SPEZIAL- ODER GENERALFALL DES STRATEGISCHEN<br />
WANDELS?.................................................................................................................. 19<br />
1.2 EINE EINLADUNG ZU EINEM EXPERIMENT: VOM DILEMMA ZUM TETRALEMMA DER<br />
POST-MERGER-INTEGRATION ..................................................................................... 21<br />
1.3 VOM FORSCHUNGSPROJEKT LEARNING DYNAMICS ZUM FORSCHUNGSINTERESSE POST-<br />
MERGER-INTEGRATION............................................................................................... 26<br />
1.4 ÜBERBLICK ÜBER DEN AUFBAU DER ARBEIT ............................................................... 29<br />
2 HINTERGRUND UND FOKUS DER FORSCHUNGSFRAGE – WAS ES ZU<br />
WISSEN GILT UND WAS GILT ES ZU WISSEN? ................................................ 32<br />
2.1 POST-MERGER-INTEGRATION UND ORGANISATIONALER WANDEL .............................. 34<br />
2.1.1 Post-Merger-Integration aus Sicht des strategischen Managements...........................................36<br />
2.1.2 Entwicklungstendenzen bei Unternehmenszusammenschlüssen ..................................................38<br />
2.1.3 Gründe fürs Scheitern und die Fit-Hypothese..............................................................................39<br />
2.1.4 Kritische Anmerkungen zur Fit-Hypothese..................................................................................42<br />
2.1.5 Organisationale <strong>Prozess</strong>e statt struktureller Fit..........................................................................45<br />
2.1.6 7 Thesen zur Post-Merger-Integration.........................................................................................49<br />
2.1.7 Fazit Post-Merger-Integration.....................................................................................................50<br />
2.2 IDENTITÄTSBILDENDE PROZESSE ORGANISATIONALEN WANDELS ............................... 51<br />
2.2.1 Von der individuellen zur kollektiven Identität ............................................................................51<br />
2.2.2 Was ist organisationale Identität? ...............................................................................................53<br />
2.2.3 Organisationale Identität in der Strategieforschung ...................................................................55<br />
2.2.4 Organisationale Identität und organisationaler <strong>Wandel</strong> .............................................................58<br />
2.2.5 Identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e in Organisationen............................................................................59<br />
2.2.6 Zusammenfassung........................................................................................................................61<br />
2.3 FORSCHUNGSFRAGE ..................................................................................................... 62<br />
2.3.1 Theoretische Relevanz..................................................................................................................64<br />
2.3.2 Praktische Relevanz .....................................................................................................................65<br />
vii
3 AN IHREN ANNAHMEN WERDET IHR SIE ERKENNEN –<br />
viii<br />
WISSENSCHAFTSTHEORETISCHE UND METHODISCHE<br />
Ein Gedankenexperiment<br />
GRUNDÜBERLEGUNGEN........................................................................................ 67<br />
3.1 HORCH WAS KOMMT VON DRAUßEN REIN? – WIRKLICHKEIT UND SPRACHE IN DER<br />
WANDELFORSCHUNG.................................................................................................. 68<br />
3.2 WIE WIRKLICH IST DIE (ORGANISATIONALE) WIRKLICHKEIT? - EPISTEMOLOGISCHE<br />
GRUNDLAGEN............................................................................................................. 72<br />
3.2.1 Positivistisches und konstruktivistisches Paradigma...................................................................73<br />
3.2.2 „Ich denke, <strong>als</strong>o bin ich“ oder „Wir kommunizieren, <strong>als</strong>o sind wir“ - kognitiver und relationaler<br />
Konstruktivismus.........................................................................................................................................76<br />
3.2.3 Zwischenfazit und Ausblick..........................................................................................................80<br />
3.3 METHODOLOGISCHE GRUNDLAGEN............................................................................. 81<br />
3.3.1 Ethnographische Datenerhebung ................................................................................................ 82<br />
3.3.2 Comparative Case Studies <strong>als</strong> Forschungsstrategie....................................................................88<br />
3.3.3 Kontextualistische und historische Forschung <strong>als</strong> Leitbild .........................................................91<br />
3.3.4 Gütekriterien der Forschung .......................................................................................................96<br />
4 GRUNDSTEINE ORGANISATIONALER THEORIEGEBÄUDE ...................... 101<br />
4.1 DIE STRUKTURATIONSTHEORIE VON ANTHONY GIDDENS.......................................... 102<br />
4.1.1 Soziale Systeme..........................................................................................................................104<br />
4.1.2 Rekursivität und die Dualität von Struktur und Handlung ........................................................106<br />
4.1.3 Wissen und Können – Regeln und Ressourcen ..........................................................................108<br />
4.1.4 Strukturelle und strategische Analysen......................................................................................113<br />
4.1.5 Zusammenfassung: Organisationaler <strong>Wandel</strong> und die Strukturationstheorie von Giddens......116<br />
4.2 SYSTEMTHEORIE ........................................................................................................ 117<br />
4.2.1 Konstruktivistische Systemtheorie – ein Gedankenexperiment..................................................119<br />
4.2.2 You can’t kiss a system - aber - Draw a Distinction..................................................................122<br />
4.2.3 Regeln, Muster und Strukturen in Systemen ..............................................................................125<br />
4.2.4 Von der Kausalität zur Interdependenz .....................................................................................128<br />
Exkurs Schismogenese .............................................................................................................................. 130<br />
4.2.5 „Und was fast vergessen worden wäre“ - der Kontext des Systems..........................................131<br />
4.2.6 Die Operation der Unterscheidung <strong>als</strong> Ausgangspunkt der Systembildung .............................. 132<br />
4.2.7 Systemprinzipien der Systemischen Strukturaufstellungen und <strong>Prozess</strong>e der<br />
Musterunterbrechung................................................................................................................................ 135<br />
4.3 FAZIT UND IMPLIKATIONEN EINES SYSTEMISCHEN UND<br />
STRUKTURATIONSTHEORETISCHEN ORGANISATIONSVERSTÄNDNISSES..................... 142<br />
4.3.1 Zur Entstehung von Organisationen aus strukturationstheoretischer Sicht .............................. 143<br />
4.3.2 Zur Entstehung von Organisationen aus systemischer Sicht .....................................................143<br />
4.3.3 Implikationen aus Sicht der Theorie von Spencer Brown..........................................................145<br />
5 ORGANISATIONS- UND WANDELVERSTÄNDNIS .......................................... 147<br />
5.1 BAUSTEINE ORGANISATIONALER ANWENDUNGSTHEORIEN........................................ 147<br />
5.1.1 Organisation <strong>als</strong> <strong>Prozess</strong> – Der <strong>Prozess</strong> des Organisierens .....................................................148<br />
5.1.2 Organisation <strong>als</strong> lose gekoppelte Systeme.................................................................................151
Inhaltsverzeichnis<br />
5.1.3 Organisation <strong>als</strong> Kommunikation - Von der Verfertigung der Organisation im Dialog............152<br />
5.1.4 Organisation <strong>als</strong> Praxisgemeinschaft - Communities of practice..............................................153<br />
5.1.5 Organisation <strong>als</strong> Lernendes System – Das Konzept von Argyris und Schön .............................155<br />
5.1.6 Organisation <strong>als</strong> Beziehungsnetzwerk – Die Sozialpsychologie des Organisierens..................158<br />
5.1.7 Organisationen <strong>als</strong> Wissensstrukturen.......................................................................................159<br />
5.1.8 Fazit: Umrisse eines systemisch-konstruktivistischen Organisationsverständnis......................161<br />
5.2 WANDEL UND WANDELFÄHIGKEIT............................................................................. 164<br />
5.2.1 <strong>Wandel</strong> durch die konstruktivistische Brille...............................................................................168<br />
5.2.2 <strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Metafähigkeit?...........................................................................................174<br />
5.3 IDEALTYPISCHE HERAUSFORDERUNGEN EINER ORGANISATION IM WANDEL............. 178<br />
6 DIE FORSCHUNGSPARTNER, IHR UMFELD, IHRE PROJEKTE ................. 182<br />
6.1 ERSCHLIEßUNG DES FORSCHUNGSFELDES .................................................................. 183<br />
6.1.1 Auswahl der Interviewteilnehmer, teilnehmenden Beobachtungen und externen Dokumente...184<br />
6.1.2 Darstellung der empirischen Ergebnisse ...................................................................................185<br />
6.2 DIE ORGANISATION DES FORSCHUNGSPARTNERS SBT .............................................. 187<br />
6.2.1 Entstehungsgeschichte und Hintergrund der SBT......................................................................187<br />
6.2.2 SBT <strong>als</strong> Teil der SIEMENS AG ..................................................................................................189<br />
6.2.3 Organisation der SBT bei ihrer Gründung 1998 .......................................................................189<br />
6.2.4 Organisation der SBT nach der Restrukturierung 2000 ............................................................193<br />
6.2.5 Identitätsmerkmale Landis&Staefa............................................................................................195<br />
6.2.6 <strong>Wandel</strong>arenen bei SBT...............................................................................................................197<br />
6.3 EXTERNER KONTEXT DER PROJEKTE BEI SBT............................................................ 198<br />
6.3.1 Der Markt von Landis&Staefa...................................................................................................199<br />
6.3.2 Der Merger von STAEFA CONTROL und LANDIS&GYR.................................................................202<br />
6.3.3 Die Strategie der SBT: Vom Multi- zum Transnationalen Unternehmen...................................210<br />
6.3.4 Subsidiarität...............................................................................................................................212<br />
6.4 WANDELPROJEKTE BEI SBT....................................................................................... 214<br />
6.4.1 Balanced Scorecard (BSC) ........................................................................................................215<br />
6.4.2 Enterprise Ressource Planning (ERP).......................................................................................236<br />
6.4.3 Performance Contracting (PFC) ...............................................................................................251<br />
6.5 DIE ORGANISATION DES FORSCHUNGSPARTNERS MIGROS AARE............................... 260<br />
6.5.1 Die Entstehungsgeschichte der MIGROS AARE............................................................................261<br />
6.5.2 Struktur der MIGROS AARE..........................................................................................................261<br />
6.5.3 Identitätsmerkmale der MIGROS.................................................................................................263<br />
6.5.4 Treiber des <strong>Wandel</strong>s in der MIGROS...........................................................................................265<br />
6.6 EXTERNER KONTEXT DER PROJEKTE DER MIGROS AARE........................................... 267<br />
6.6.1 Der Markt der MIGROS AARE......................................................................................................268<br />
6.6.2 Fusion ........................................................................................................................................269<br />
6.6.3 Die Strategie der MIGROS AARE .................................................................................................270<br />
6.6.4 Der genossenschaftliche Hintergrund........................................................................................271<br />
6.6.5 Der externe Kontext der SBT und der MIGROS AARE im Vergleich ............................................273<br />
6.7 STRATEGISCHE WANDELPROJEKTE DER MIGROS AARE ............................................. 274<br />
6.7.1 Zentralisierung der Logistik.......................................................................................................275<br />
6.7.2 Zentrales Warenwirtschaftssystem (WWS).................................................................................278<br />
ix
x<br />
Ein Gedankenexperiment<br />
6.7.3 TEZetera ....................................................................................................................................282<br />
6.8 ZUSAMMENFASSUNG DER VERSCHIEDENEN PROJEKTE............................................... 286<br />
6.9 GEMEINSAMKEITEN UND UNTERSCHIEDE DER BEIDEN UNTERNEHMEN ..................... 287<br />
7 EMPIRISCHE ANALYSE DER IDENTITÄTSBILDENDEN WIRKUNG<br />
STRATEGISCHER INITIATIVEN......................................................................... 289<br />
7.1 DER INTERNE KONTEXT – EINE STRUKTURELLE ANALYSE......................................... 289<br />
7.1.1 Die zwei Seiten des <strong>Wandel</strong>s: Wertschätzung des Bestehenden und Erläuterung des<br />
Veränderungsbedarfs ................................................................................................................................ 290<br />
7.1.2 Zugehörigkeit <strong>als</strong> oberstes Prinzip ............................................................................................294<br />
7.1.3 Wachstum und Fortpflanzung – eine Frage der Reihenfolge ....................................................299<br />
7.1.4 Einsatz für das Ganze ................................................................................................................305<br />
7.1.5 Leistungen und Fähigkeiten.......................................................................................................309<br />
7.1.6 Zusammenfassung: Systemische Strukturprinzipien ..................................................................310<br />
7.2 DIE WANDELPROZESSE – EINE ANALYSE DER HANDLUNGEN .................................... 312<br />
7.2.1 Der Ausgangspunkt des <strong>Wandel</strong>s - Wo sind wir? ......................................................................313<br />
7.2.2 Der zukünftige/erwartete Zustand – wo wir hin wollen.............................................................322<br />
7.2.3 <strong>Wandel</strong>projekte <strong>als</strong> <strong>Prozess</strong>e relationaler Identitätsbildung .....................................................331<br />
7.2.4 Unterschiede erkennen und Anschlussfähigkeit schaffen ..........................................................347<br />
7.2.5 Reflexion und Beobachtung 2. Ordnungen – wer sind wir von außen gesehen? .......................363<br />
8 UND WAS VOM TAGE ÜBRIG BLEIBT............................................................... 376<br />
8.1 VOM WANDEL DER ORGANISATION ZUR ORGANISATION DES WANDELS................... 377<br />
8.2 BRUCHSTELLEN ORGANISATIONALER IDENTITÄTSSTRUKTUREN ................................ 383<br />
8.3 ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT ODER RETROSPEKTIVE IDENTITÄTSBILDUNG – PRAKTISCHE<br />
IMPLIKATIONEN IDENTITÄTSBILDENDER PROZESSE .................................................. 390<br />
8.4 HANDLUNG, STRUKTUR UND IDENTITÄT – THEORETISCHE IMPLIKATIONEN<br />
IDENTITÄTSBILDENDER PROZESSE ............................................................................ 395<br />
8.5 FAZIT: IDENTITÄTSBILDENDE PROZESSE IN POST-MERGER-PHASEN ......................... 399<br />
VERZEICHNIS DER FORSCHUNGSAKTIVITÄTEN................................................. 404<br />
LITERATURVERZEICHNIS............................................................................................ 416
Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildung 1: Tetralemma des <strong>Wandel</strong>s in Post-Merger-Phasen ............................................. 23<br />
Abbildung 2: Tetralemma des <strong>Wandel</strong>s II ............................................................................... 24<br />
Abbildung 3: Tetralemma des <strong>Wandel</strong>s III.............................................................................. 25<br />
Abbildung 4: Die drei Phasen der Feldforschung .................................................................... 27<br />
Abbildung 5: Überblick über den Aufbau der Arbeit .............................................................. 30<br />
Abbildung 6: Gedankenfluss Kapitel 2 .................................................................................... 32<br />
Abbildung 7: Gedankenfluss Kapitel 2 .................................................................................... 34<br />
Abbildung 8: Dualität von <strong>Wandel</strong> und <strong>Wandel</strong>fähigkeit........................................................ 36<br />
Abbildung 9: Phasen eines Zusammenschlussprozesses ......................................................... 42<br />
Abbildung 10: Gedankenfluss Kapitel 2 .................................................................................. 51<br />
Abbildung 11: Dualität strategischer Handlungen und organisationaler Identität................... 57<br />
Abbildung 12: Gedankenfluss Kapitel 2 .................................................................................. 62<br />
Abbildung 13: Gedankenfluss Kapitel 3 .................................................................................. 68<br />
Abbildung 14: Gedankenfluss Kapitel 3 .................................................................................. 72<br />
Abbildung 15: Gedankenfluss Kapitel 3 .................................................................................. 81<br />
Abbildung 16: Drei Dimensionen kontextualistischer <strong>Wandel</strong>forschung................................ 93<br />
Abbildung 17: Gedankenfluss Kapitel 4 ................................................................................ 101<br />
Abbildung 18: Gedankenfluss Kapitel 4 ................................................................................ 102<br />
Abbildung 19: Zusammenhang von Struktur und Handlung ................................................. 107<br />
Abbildung 20: Reproduktion von Strukturen in unterschiedlichen Systemen....................... 108<br />
Abbildung 21: Grundstruktur der Strukturationstheorie ........................................................ 109<br />
Abbildung 22: Bewusstseinsebenen und Handlungskontrolle............................................... 111<br />
Abbildung 23: Strukturelle und strategische Analyse............................................................ 113<br />
Abbildung 24: Stratifikationsmodell des Handelnden in Anlehnung an Giddens ................. 115<br />
Abbildung 25: Gedankenfluss Kapitel 4 ................................................................................ 118<br />
Abbildung 26: Pragmatischer Wert der Information auf dem Kontinuum von<br />
Erstmaligkeit und Bestätigung................................................................................. 127<br />
Abbildung 27: Schismogenetische Eskalation ....................................................................... 130<br />
xi
xii<br />
Ein Gedankenexperiment<br />
Abbildung 28: Einschränkung schismogenetischer Reaktionen.............................................131<br />
Abbildung 29: Systemprinzipien in Anlehnung an.................................................................136<br />
Abbildung 30: Überblick über die Grundprinzipien für den Systemerhalt.............................141<br />
Abbildung 31: Gedankenfluss Kapitel 4.................................................................................142<br />
Abbildung 32: Gedankenfluss Kapitel 5.................................................................................147<br />
Abbildung 33: Gedankenfluss Kapitel 5.................................................................................148<br />
Abbildung 34: Anpassungslernen (Single-loop-learning) ......................................................156<br />
Abbildung 35: Reflexives Lernen (Double-loop-learning).....................................................157<br />
Abbildung 36: <strong>Prozess</strong>lernen (Deutero-learning) ...................................................................157<br />
Abbildung 37: Übersicht über die dargestellten Konzepte .....................................................163<br />
Abbildung 38: Gedankenfluss Kapitel 5.................................................................................164<br />
Abbildung 39: <strong>Wandel</strong> <strong>als</strong> Veränderung vom IST- zum SOLL-Zustand ...............................165<br />
Abbildung 40: <strong>Wandel</strong> durch die konstruktivistische Brille...................................................167<br />
Abbildung 41: Höchster pragmatischer Wert der Information ...............................................171<br />
Abbildung 42: Kontinuierlicher und diskontinuierlicher <strong>Wandel</strong> ..........................................172<br />
Abbildung 43: Interpunktion und Verstetigung des <strong>Wandel</strong>s.................................................173<br />
Abbildung 44: <strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Fähigkeit zur Veränderung des <strong>Wandel</strong>musters ............175<br />
Abbildung 45: <strong>Wandel</strong>fähigkeit und <strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Metafähigkeit ..............................176<br />
Abbildung 46: Modell systemorientierter organisationaler Herausforderungen ....................181<br />
Abbildung 47: Übersicht über die Darstellung der empirischen Ergebnisse..........................186<br />
Abbildung 48: Gedankenfluss Empirie...................................................................................187<br />
Abbildung 49: Entstehungsgeschichte der SBT......................................................................188<br />
Abbildung 50: Struktur der SBT bei ihrer Gründung .............................................................190<br />
Abbildung 51: Beispiel eines organisationalen Double Binds................................................193<br />
Abbildung 52: Inhalte des <strong>Wandel</strong>s in der SBT .....................................................................197<br />
Abbildung 53: Gedankenfluss Empirie...................................................................................199<br />
Abbildung 54: Vertriebskanäle im Building Control Markt...................................................200<br />
Abbildung 55: Strategische Positionierung nach dem Value Proposition Ansatz..................202<br />
Abbildung 56: Symbolische Darstellung der beiden Firmen..................................................205
Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildung 57: Darstellung der strategischen Ausrichtung .................................................... 210<br />
Abbildung 58: Globale Integration und Lokale Rezeptivität ................................................. 211<br />
Abbildung 59: Gedankenfluss Empirie.................................................................................. 215<br />
Abbildung 60: Darstellung einer Balanced Scorecard aus einem BSC-Einführungsguide.... 216<br />
Abbildung 61: Abbildung des BSC Gesamtprozesses ........................................................... 217<br />
Abbildung 62: Beispiel BSC.................................................................................................. 231<br />
Abbildung 63: Ausschnitt aus dem Business-Modell ............................................................ 232<br />
Abbildung 64: Gedankenfluss Kapitel 6 ................................................................................ 236<br />
Abbildung 65: Übersicht über die Organisation des Projekts auf der EU Ebene .................. 242<br />
Abbildung 66: Aufbauorganisation des Projekts in der DU CH............................................ 243<br />
Abbildung 67: Übersicht über die geplanten Phasen des Projekts......................................... 244<br />
Abbildung 68: Vorlage für die Länderspezifische Change Impact Analysis......................... 247<br />
Abbildung 69: Vorlage für den Aktionsplan einer Länderspezifischen Change Impact<br />
Analysis.................................................................................................................... 248<br />
Abbildung 70: Gedankenfluss Empirie.................................................................................. 251<br />
Abbildung 71: Darstellung des PFC....................................................................................... 252<br />
Abbildung 72: Geschäftsprozess des PFC ............................................................................. 253<br />
Abbildung 73: Historische Entwicklung des PFC.................................................................. 254<br />
Abbildung 74: Gedankenfluss Empirie.................................................................................. 260<br />
Abbildung 75: Organigramm der Genossenschaft MIGROS AARE......................................... 262<br />
Abbildung 76: Eigenmarken der MIGROS .............................................................................. 264<br />
Abbildung 77: Ausgewählte Treiber des <strong>Wandel</strong>s in der MIGROS ........................................ 266<br />
Abbildung 78: Gedankenfluss Empirie.................................................................................. 268<br />
Abbildung 79: Gedankenfluss Empirie.................................................................................. 275<br />
Abbildung 80: Zusammenlegung der Frischplattform und des Verteilzentrums Non-<br />
Food ......................................................................................................................... 277<br />
Abbildung 81: Geplante Integration der Informatik in drei WWS ........................................ 279<br />
Abbildung 82: Gedankenfluss Empirie.................................................................................. 290<br />
Abbildung 83: Auswirkung der Abwertung des Bestehenden ............................................... 292<br />
Abbildung 84: Konflikt zwischen Zugehörigkeit und Leistung............................................. 296<br />
xiii
xiv<br />
Ein Gedankenexperiment<br />
Abbildung 85: Phasen der Entwicklung eines neuen Geschäftssegments ..............................304<br />
Abbildung 86: Gedankenfluss Empirie...................................................................................312<br />
Abbildung 87: Ausgangspunkt <strong>als</strong> Element des <strong>Wandel</strong>prozesses.........................................313<br />
Abbildung 88: Der erwartete Zustand <strong>als</strong> Element des <strong>Wandel</strong>prozesses..............................322<br />
Abbildung 89: <strong>Wandel</strong>projekte <strong>als</strong> Element des <strong>Wandel</strong>prozesses ........................................331<br />
Abbildung 90: System sich überlappender Gruppen nach Likert ...........................................344<br />
Abbildung 91: Identität im <strong>Prozess</strong> der Strukturierung ..........................................................346<br />
Abbildung 92: Unterschiede und Anschlussfähigkeit <strong>als</strong> Element des <strong>Wandel</strong>prozesses......347<br />
Abbildung 93: Beschreibung der eigenen Position und des Geschäftsverständnisses............354<br />
Abbildung 94: Alte und neue Divisionsbezeichnungen auf den Visitenkarten ......................356<br />
Abbildung 95: Bestätigende und erstmalige Informationen des PFC.....................................362<br />
Abbildung 96: Reflexion <strong>als</strong> Element des <strong>Wandel</strong>prozesses..................................................364<br />
Abbildung 97: Übersicht über Kapitel 8.................................................................................377<br />
Abbildung 98: Rekursivität <strong>Strategischer</strong> <strong>Wandel</strong>projekte und Organisationaler Identität ...378<br />
Abbildung 99: Übersicht über Kapitel 8.................................................................................383<br />
Abbildung 100: Modell zum <strong>Wandel</strong> der organisationalen Identität......................................385<br />
Abbildung 101: Bruchstellen der Identitätsbildung strategischer <strong>Prozess</strong>e............................386<br />
Abbildung 102: Übersicht über Kapitel 8...............................................................................391<br />
Abbildung 103: Möglichkeiten der retrospektiven <strong>Wandel</strong>arbeit..........................................394<br />
Abbildung 104: Überblick über Kapitel 8...............................................................................396<br />
Abbildung 105: Handlung, Struktur und Identität aus system- und<br />
strukturationstheoretischer Sicht ..............................................................................398<br />
Abbildung 106: Übersicht über Kapitel 8...............................................................................399
Tabellenverzeichnis<br />
Tabellenverzeichnis<br />
Tabelle 1: Entwicklung des Marktes für Fusionen................................................................... 37<br />
Tabelle 2: Anzahl weltweiter Fusionen.................................................................................... 38<br />
Tabelle 3: Vergleich des positivistischen und des konstruktivistischen Paradigmas der<br />
Wissenschaft .............................................................................................................. 75<br />
Tabelle 4: Vergleich des kognitionstheoretischen und relationaler Konstruktivismus............ 79<br />
Tabelle 5: Methodologische Anforderungen und das Vorgehen ............................................. 82<br />
Tabelle 6: Typen von Designs für Case Studies ...................................................................... 89<br />
Tabelle 7: Gegenüberstellung von Gütekriterien des positivistischen und des<br />
konstruktivistischen Forschungsverständnisses......................................................... 97<br />
Tabelle 8: Formen des Wissens.............................................................................................. 159<br />
Tabelle 9: Vergleich eines technischen und eines systemisch-konstruktivistischen<br />
<strong>Wandel</strong>- und Systemverständnisses ......................................................................... 168<br />
Tabelle 10: Gegenüberstellung der BSC bei der SBT US und der SBT EU.......................... 235<br />
Tabelle 11: Identität und Image ............................................................................................. 330<br />
xv
Abkürzungsverzeichnis<br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
BSC Balanced Scorecard<br />
BY Business Year (Geschäftsjahr)<br />
Bzgl. bezüglich<br />
bspw. beispielsweise<br />
bzw. beziehungsweise<br />
CIA Change Impact Analysis<br />
d.h. das heißt<br />
DU Divisional Unit bzw. Landesgesellschaft<br />
EBIT Earnings before Interest and Tax<br />
ERP Enterprise Ressource Planning<br />
etc. et cetera<br />
evtl. eventuell<br />
F&C Finance & Controlling<br />
F&E Forschung & Entwicklung<br />
GMN General Management Navigator<br />
HQ Hauptquartier bzw. Sitz der Firmenzentrale<br />
HO Homeoffice bzw. Sitz der Firmenzentrale SBT in den USA<br />
HRM Human Resource Management<br />
i.d.R. in der Regel<br />
i.S. im Sinne<br />
i.S.v. im Sinne von<br />
L&S LANDIS&STAEFA<br />
LSC Learning Support Center<br />
M&A Mergers und Acquisitions<br />
MGB MIGROS Genossenschaftsbund<br />
OCV Outstanding Customer Value<br />
PFC Performance Contracting<br />
P&L Profit und Loss (Gewinn- und Verlust)<br />
PMI Post-Merger-Integration<br />
ROI Return on Investment<br />
SBT SIEMENS BUILDING TECHNOLOGIES<br />
s.g. sogenannte<br />
u.a. unter anderem<br />
u.U. unter Umständen<br />
z.B. zum Beispiel<br />
TS Thomas Schumacher<br />
VPA Value Proposition Ansatz<br />
WWS Warenwirtschaftssystem<br />
xvi
Quo vadis strategic change? – Zum Dilemma strategischen <strong>Wandel</strong>s in Organisationen<br />
1 Quo vadis strategic change?–<br />
Zum Dilemma strategischen <strong>Wandel</strong>s in Organisationen<br />
Über der Veränderung liegt stets ein Hauch von Unbegreiflichkeit.<br />
Carl Friedrich von Weizsäcker<br />
Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr. Diese Binsenweisheit aus dem<br />
Bereich familiärer „<strong>Wandel</strong>prozesse“ bietet eine treffende Analogie zu den strate-<br />
gischen <strong>Wandel</strong>prozessen heiratswilliger Organisationen. Nicht nur, dass enthusias-<br />
tischen Ankündigungen häufig Phasen der Ernüchterung folgen, sondern dass diese<br />
Phasen meist auch nachhaltige Identitätsveränderungen markieren.<br />
Die Konsequenzen, die sich im organisationalen Kontext ergeben, sind - wie bei der<br />
Umsetzung des familiären Pendants – in der Regel über Jahrzehnte zu beobachten. In<br />
Organisationen entscheiden dabei häufig die lang andauernden <strong>Prozess</strong>e über den<br />
Erfolg des strategischen <strong>Wandel</strong>s. Zudem werden diese <strong>Prozess</strong>e meist von anderen<br />
getragen, <strong>als</strong> denjenigen, die die Entscheidung ursprünglich trafen. 2<br />
Wann führt aber eine Strategie (wie z.B. eine Fusionsstrategie) tatsächlich zum organi-<br />
sationalen <strong>Wandel</strong>? Was zeichnet allgemein wirksame strategische Initiativen 3 aus?<br />
Nach MINTZBERG werden Strategien wirksam, wenn, wie bei einem Kunsthandwerker,<br />
in der Tätigkeit des Managers Denken und Tun ineinander fließen. Er spricht in diesem<br />
Zusammenhang von „emergenten Strategien“. 4 Das aus dem Militärischen bekannte<br />
Bild praxisfern denkender Strategen, die von einem sicheren Hügel aus das kämpfende<br />
Fuß- und Reitervolk leiten, eignet sich demnach nicht für den organisationalen<br />
<strong>Wandel</strong>. 5<br />
2 Dieser Umstand wurde in einem der in dieser Studie untersuchten Fusionsfälle mit Hinweis auf ein Zitat von<br />
Norman Schwarzkopf kolportiert: „No matter how much HQ messes things up it’s always the guys in the field<br />
who win or loose the battle“:<br />
3 Anstelle des Begriffs „Projekt“ oder „strategisches Projekt“ wird im Folgenden vornehmlich der Begriff der<br />
Initiative und der „strategischen Initiative“ verwendet. Damit soll vor allem einer stark technischen<br />
Verwendung vorgebeugt werden und darauf aufmerksam gemacht werden, dass es sich bei solchen<br />
Initiativen um eine Struktur handelt, auf die sich die Akteuere im <strong>Wandel</strong>prozess immer wieder beziehen und<br />
die im Rahmen des <strong>Wandel</strong>prozesses stets neu ausgehandelt wird. Vgl. insbes. Rüegg-Stürm, 2001. Der<br />
Begriff „Projekt“ wird aber überall dort verwendet, wo es zur angemessenen Beschreibung und<br />
Wiedererkennung der beobachteten Phänome angemessen erscheint.<br />
4 Vgl. Mintzberg, 1991.<br />
5 Vgl. Schulz, 1999.<br />
17
18<br />
Ein Gedankenexperiment<br />
Die vorliegende Studie untersucht anhand einer Fülle von empirischem Material aus<br />
verschiedenen <strong>Wandel</strong>initiativen die Herausforderung, die sich aus dem Gegensatz<br />
von Identität und strategischem <strong>Wandel</strong> ergibt. Die Initiativen finden jeweils im<br />
Kontext von Fusionen <strong>als</strong> einem Spezialfall strategischen <strong>Wandel</strong>s statt. Sie zielen<br />
mehr oder weniger explizit auf die Integration organisationaler <strong>Prozess</strong>e und<br />
Strukturen und damit implizit auf eine Veränderung der Identität der Organisation ab.<br />
Nach der mehrheitlich in der Strategieliteratur vertretenen Meinung bestimmt vor<br />
allem der „Fit“ der beiden Organisationen den Erfolg solcher Integrationsprozesse. 6<br />
Integration kann demnach funktionieren, wenn Strategie, Organisation und Identität<br />
zueinander passen. Diese Auffassung ist aus konstruktivistischer Sicht äußerst frag-<br />
lich. In Anlehnung an SIMON („Meine Psychose, mein Fahrrad und ich“) 7 klingt die<br />
simplifizierende Verdinglichung vom notwendigen „Fit“ kategorial eher nach dem<br />
Zusammenbau von Legosteinen <strong>als</strong> der Zusammenführung komplexer<br />
Organisationsstrukturen und -prozesse.<br />
Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Satz von ALFRED KORZYBSKI,<br />
wonach „eine Landkarte nicht das Gebiet ist, das sie repräsentiert, aber wenn sie<br />
korrekt ist, ist sie in ihrer Struktur der Struktur des Gebietes gleich (oder ähnlich),<br />
worin ihre Brauchbarkeit begründet ist“. 8<br />
Auch bei der Beschreibung strategischer <strong>Wandel</strong>prozesse scheint es wichtig,<br />
brauchbare Landkarten zu entwickeln, diese aber nicht mit dem Gebiet zu verwech-<br />
seln. So gibt es in der <strong>Wandel</strong>literatur einige Stimmen, die das Bild vom Fit der Orga-<br />
nisationen kritisch beleuchten und plausibel argumentieren, dass insbesondere die<br />
kulturelle Ähnlichkeit dazu führen kann, Unterschiede zu unterschätzen und<br />
Immunreaktionen zu bilden. 9 Damit wird zur entscheidenden Frage für den Erfolg von<br />
Fusionen und Unternehmenszusammenschlüssen, ob kulturell und strategisch ähnliche<br />
oder unterschiedliche Partner gesucht werden müssen.<br />
Wie kommt es aber, dass diese Frage so unterschiedlich beantwortet wird? Warum<br />
verwenden Vertreter aus dem Lager der Strategieformulierung eine völlig andere<br />
6 Vgl. u.a. Jemison und Sitkin, 1986; Buono und Bowditch, 1989; Haspeslagh und Farquhar, 1987.<br />
7 Vgl. Simon, 1997.<br />
8 Vgl. Korzybski, 1980. Bei Korzybski´s Landkartenmetapher handelt es sich um eine der frühesten Theorien mit<br />
einem selbstreferentiellen Modell.<br />
9 Vgl. Deiser, 1994; Jansen, 2000a.
Quo vadis strategic change? – Zum Dilemma strategischen <strong>Wandel</strong>s in Organisationen<br />
Landkarte <strong>als</strong> ihre Kollegen aus der strategischen <strong>Wandel</strong>forschung? Wenngleich es<br />
sich bei den beiden Richtungen nach traditioneller Vorstellung um zeitlich aufein-<br />
anderfolgende Phasen handelt, scheint nicht nur der thematische Fokus sondern<br />
womöglich auch das zugrunde liegende Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis unter-<br />
schiedlich zu sein. Um die divergierenden Ergebnisse zu verstehen, müssen die<br />
zugrundeliegenden Annahmen, wie die der Planbarkeit und der linearen Umsetzung<br />
von Strategien, wie sie traditionell in der Strategieprozessforschung existieren,<br />
offengelegt werden. 10<br />
Die nachfolgende Studie zur Bedeutung strategischer Initiative für die<br />
Identitätsbildung in Post-Merger-Integrationsprozessen wird in diesem Sinne<br />
versuchen, brauchbare Landkarten zu entwickeln. Dazu sollen die impliziten<br />
Annahmen wissenschaftstheoretischer, methodischer und organisationstheoretischer<br />
Art, die in diese Arbeit einfließen, transparent gemacht werden.<br />
Um den Leser durch diese Arbeit zu führen und ihm eine Orientierung zu geben,<br />
werden Landkarten in Form von Kapitelübersichten anzeigen, wo er sich gerade<br />
befindet.<br />
1.1 Post-Merger-Integration <strong>als</strong> Spezial- oder Generalfall des<br />
strategischen <strong>Wandel</strong>s?<br />
Die vorliegende Studie zum Thema Post-Merger-Integration findet im Rahmen eines<br />
Forschungsprojekts statt, das theoretisch und empirisch organisationalen <strong>Wandel</strong> und<br />
Erneuerung in Organisationen untersucht. Eine, wenn nicht die größte, Management-<br />
herausforderung im Bereich des organisationalen <strong>Wandel</strong>s ist nach Auffassung von<br />
DONNERSMARCK und SCHULZ die Bewältigung von Fusionen. 11 Diese Arbeit stellt in<br />
diesem Sinne einen wichtigen theoretischen Teilausschnitt zur Frage des Umgangs mit<br />
organisationalem <strong>Wandel</strong> dar.<br />
Aus der empirischen Arbeit im Rahmen des Forschungsprojekts wurde in den letzten<br />
zwei Jahren deutlich, dass zeitlich nachgelagerte strategische Integrationsinitiativen<br />
zurückliegender Fusionen von enormer Bedeutung für das Selbstverständnis der<br />
Organisation sind. Die tiefgreifenden strukturellen und kulturellen Veränderungen<br />
eines organisationalen Zusammenschlusses gehen häufig mit großen Integrations-<br />
10 Vgl. Huff und Reger, 1987; Rüegg-Stürm, 2000.<br />
11 Vgl. Donnersmarck und Schulz, 1999.<br />
19
20<br />
Ein Gedankenexperiment<br />
projekten einher, welche nachhaltigen Einfluss auf die organisationale Identität haben.<br />
Wenngleich dies im Tagesgeschäft im ersten Moment nicht offensichtlich ist, wird den<br />
Beteiligten häufig allmählich bewusst, wie sich das Gesicht der eigenen Organisation<br />
mit der Zeit verändert.<br />
Fusionen können in diesem Sinne <strong>als</strong> Spezialfall des generellen Themas „organisatio-<br />
naler <strong>Wandel</strong>“ angesehen werden, da sie die Grenzen, Strukturen, Regeln und<br />
Identitäten der betreffenden Organisationen sehr konkret verändern. Sie stellen darüber<br />
hinaus aber auch einen wichtigen Kontextfaktor organisationalen <strong>Wandel</strong>s dar. Denn<br />
im Zuge von Fusionen finden häufig grössere Veränderungen in Organisationen statt.<br />
Dies ist insbesondere bei solchen Fusionen der Fall, die durch die Nutzung von<br />
Synergie- oder Einsparungspotentialen motiviert sind.<br />
WIMMER räumt hierzu ein, dass es schwierig sei, im Nachhinein bestimmte Entwick-<br />
lungen eines Unternehmens eindeutig auf Fusionsprozesse zurückzuführen. 12 So<br />
wurde auch in den vorliegenden Fällen der Zusammenhang zwischen den<br />
„strategischen Projekten“ oder „Kernprozessen“ und den Fusionen, von verschiedenen<br />
Unternehmensangehörigen unterschiedlich stark wahrgenommen. Dieser Umstand ist<br />
aufgrund der vielen parallel laufenden <strong>Prozess</strong>e in einer Fusionsphase, der<br />
verschiedenen Sub-Systeme, der lokalen Logiken und der keineswegs linear-kausalen<br />
Zusammenhänge solcher <strong>Prozess</strong>e durchaus nachvollziehbar 13 . Die große Zahl<br />
paralleler Initiative und <strong>Prozess</strong>e erschwert nicht zuletzt auch den Nachweis, ob die<br />
mit der Fusion verbundenen Ziele und Synergien erreicht worden sind.<br />
Ein Blick auf die hohe Zahl gescheiterter Fusionen macht deutlich, dass die<br />
Auseinandersetzung mit dem komplexen Thema trotzdem Not tut. 14 JANSEN führt<br />
diese hohe Misserfolgsrate vor allem auf das Scheitern der kulturellen Integration<br />
aufgrund der mangelhaften Integrationsmöglichkeit und -fähigkeit der beteiligten<br />
Organisationen zurück. Nach seiner Auffassung ist vor allem der Aufbau einer<br />
12 Vgl. Wimmer, 1999.<br />
13 Bei den, in dieser Arbeit verwendeten Begriffen der Logik handelt es sich nicht um den mathematisch-<br />
philosophischen Begriff, sondern um Regularitäten und Gesetzmäßigkeiten in <strong>Prozess</strong>en und Systemen, die<br />
auch Beobachtungsfehlern unterliegen können.<br />
14 Vgl. hierzu den Überblick über die Evaluationsstudien in Kapitel 2.
Quo vadis strategic change? – Zum Dilemma strategischen <strong>Wandel</strong>s in Organisationen<br />
gemeinsamen Identität und eine Neugründung der Unternehmensgeschichte von<br />
zentraler Bedeutung für die Integration zweier Organisationen. 15<br />
Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht deshalb die Rolle und die Bedeutung, die<br />
strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen im Rahmen von „Post-Merger-Integrationsphasen“<br />
zukommt. Wie müssen strategische Integrationsprojekte im Kontext einer Fusion<br />
gestaltet sein, damit sie einen Möglichkeitsraum für den Aufbau einer gemeinsamen<br />
Identität darstellen? Welche organisationalen Fähigkeiten müssen dazu vorhanden<br />
sein?<br />
Diese Frage impliziert bereits ein zentrales Dilemma strategischen <strong>Wandel</strong>s: Während<br />
die Identität einer Organisation i.d.R. <strong>als</strong> etwas Stabiles, Konstantes und Kontinu-<br />
ierliches angesehen wird, wird organisationaler <strong>Wandel</strong> mit Flexibilität, Dynamik und<br />
Veränderung in Verbindung gebracht. Das nachfolgende Kapitel zeigt ein Modell, das<br />
zum kreativen Umgang mit solchen Dilemma-Situationen inspiriert.<br />
1.2 Eine Einladung zu einem Experiment: Vom Dilemma zum Tetralemma<br />
der Post-Merger-Integration<br />
<strong>Wandel</strong>- und Integrationsprozesse im Rahmen einer Fusion gleichen häufig einer Art<br />
Dilemma: Beispiele dafür sind die Entscheidungen, welcher der beiden Namen,<br />
welcher Firmensitz oder welches der IT-Systeme weitergeführt werden soll.<br />
Anhand der Erweiterung eines Dilemmas in ein Tetralemma 16 sollen im Folgenden<br />
Inspirationen für <strong>Wandel</strong>prozesse aufgezeigt und die scheinbar unüberwindlichen<br />
Gegensätze in einen umfassenderen Kontext gestellt werden.<br />
Das Tetralemma (Sanskrit: catuškoti; „vier Ecken“ im Sinne von vier Positionen oder<br />
Standpunkten) stellt eine Struktur aus der traditionellen buddhistische Logik zur<br />
Kategorisierung von Haltungen und Standpunkten dar. Es wurde im Rechtswesen<br />
verwendet, um mögliche Standpunkte eines Richters in einem Streitfall zwischen zwei<br />
Parteien zu kategorisieren. Die Erweiterung des Tetralemmas um eine fünfte Nicht-<br />
Position geht vermutlich auf Buddhistische Logiker zurück. VARGA VON KIBÉD und<br />
15 Vgl. Jansen, 2000b.<br />
16 Vgl. zum Begriff und der Verwendung des Tetralemmas Sparrer, 2001;Varga von Kibéd und Sparrer, 2000a<br />
Varga von Kibéd und Sparrer, 2000b. In Streng, 1975; Sturm, 1996 finden sich die logischen Grundlagen des<br />
Tetralemmas beschrieben.<br />
21
22<br />
Ein Gedankenexperiment<br />
SPARRER entwickelten schliesslich eine umfassende Theorie des Tetralemma-<br />
<strong>Prozess</strong>es. 17<br />
Das Dilemma beim Zusammenschluss zweier Organisationen äußert sich in einer Viel-<br />
zahl vordergründig sachlicher Fragen, wie etwa der Entscheidung für einen Firmensitz,<br />
der Wahl der Vorstands- oder Geschäftsleitungsmitglieder und der IT- oder Anreiz-<br />
systeme. Die technischen, rechtlichen oder betriebswirtschaftlichen Entscheidungen<br />
weisen allerdings häufig „softe“ und bisweilen übersehene Implikationen für Kultur,<br />
Regeln, Werte und Identität der betroffenen Organisationen auf. Ein Beispiel hierfür<br />
ist die Entscheidung über die Integrationsgeschwindigkeit. Ein langsames Vorgehen<br />
bedeutet viel Zeit, um zu nachhaltigen Entscheidungen zu kommen, bedeutet aber<br />
auch häufig eine Phase längerer Unsicherheit für die Organisation. Ein schnelle<br />
Vorgehensweise – „in einem Handstreich“ – übergeht häufig das vorhandene Wissen<br />
und führt so häufig zu Unverständnis bei den Beteiligten.<br />
So besteht beim Thema dieser Arbeit „Identität und <strong>Wandel</strong>“ bereits von Vorneherein<br />
ein Dilemma: Auf der einen Seite die bestehende Identität. Sie wurzelt in etablierten<br />
Strukturen und Regeln und bedeutet für die Organisationsmitglieder Stabilität,<br />
Beständigkeit, Planbarkeit und Sicherheit. 18<br />
Auf der anderen Seite des Dilemmas der <strong>Wandel</strong>, der i.d.R. Veränderung und Unge-<br />
wissheit für die Beteiligten bedeutet. Die Organisationsmitglieder wissen häufig nicht,<br />
ob und wo sie sich in einer zukünftigen Organisation wiederfinden. Unterschiede<br />
zwischen der jetzigen und der zukünftigen Identität werden – wenn überhaupt bewusst<br />
wahrgenommen – sowohl über- <strong>als</strong> auch häufig unterschätzt.<br />
17 Vgl. [Varga von Kibéd, 2000 #25] [Varga von Kibéd, 2000 #320]. Hierzu gehört neben einer prozessualen<br />
Verbindung der verschiedenen Pole u.a. auch die Entwicklung einer Typologie verschiedener Positionen der<br />
Position „Beides“.<br />
18 Baecker macht darauf aufmerksam, dass die Veränderung der Strukturen abzielt auf „die Wiedereinführung<br />
genau jener Ungewissheit in die Organisation, auf deren Absorption die Funktionsfähigkeit der Organisation<br />
bisher angewiesen war“. Vgl. Baecker, 1993.
Quo vadis strategic change? – Zum Dilemma strategischen <strong>Wandel</strong>s in Organisationen<br />
1. 1. 1. 1. 1. 1. 1. 1. Das Das Eine<br />
Eine Eine Eine Eine Eine Eine Eine<br />
die<br />
z.B. die die eigene<br />
Organisation<br />
Organisation<br />
Identität<br />
die die eigene<br />
Organisation<br />
Organisation<br />
Identität<br />
die die eigene<br />
Organisation<br />
Organisation<br />
Identität<br />
die die eigene<br />
Organisation<br />
Organisation<br />
Identität<br />
2. Das Andere<br />
der <strong>Wandel</strong><br />
<strong>Wandel</strong><br />
partner<br />
Entweder<br />
– oder<br />
Abbildung 1: Tetralemma des <strong>Wandel</strong>s in Post-Merger-Phasen<br />
Das Festhalten an den identitätsstiftenden, bewährten Routinen und Strukturen in<br />
<strong>Wandel</strong>prozessen ist angesichts des oft ungewissen <strong>Wandel</strong>inhalts (WAS?) und<br />
ungewissen <strong>Wandel</strong>prozesses (WIE?) nachvollziehbar 19 . Häufig führt nämlich das<br />
Verlassen des bisherigen Standpunkts zu einem ENTWEDER-ODER, ein Hin- und<br />
Herpendeln zwischen dem bisherigen Standort und einer zweiten Alternative. Sollten<br />
wir X oder nicht doch besser Y beibehalten? Diese Phase kann nur <strong>als</strong> <strong>Prozess</strong> aber<br />
nicht <strong>als</strong> Zustand beschrieben werden. Häufig wird sich dann für eine Alternative<br />
entschieden, während die andere zur Unterdrückung kognitiver Dissonanzen und zur<br />
Reduzierung der Komplexität ausgeblendet oder schnell vergessen wird. Dabei gehen<br />
leider viele gute Aspekte der nicht gewählten Alternative verloren, wie es beispiels-<br />
weise bei der deutschen Wiedervereinigung mit vielen positiven Errungenschaften der<br />
ehemaligen DDR geschah. Auch die Vorteile einer dezentralen Organisationsstruktur<br />
werden im Falle einer stärkeren Zentralisierung häufig schnell ausgeblendet.<br />
Dass die beiden Pole nicht <strong>als</strong> sich ausschließende Gegensätze angesehen werden<br />
müssen, zeigt sich häufig dann, wenn ein SOWOHL ALS AUCH gefunden wird. Die<br />
Gegensätzlichkeiten werden dabei in ihrer Tendenz <strong>als</strong> abnehmend wahrgenommen,<br />
aber nicht überwunden und auch keine gemeinsame Identität erreicht. Beispielsweise<br />
kann die Beibehaltung beider Firmensitze oder das Weiterbetreiben sowohl der<br />
eigenen <strong>als</strong> auch der fremden Software <strong>als</strong> Versuch gesehen werden, SOWOHL die eine<br />
19 Das Wie-Wissen lässt sich dabei noch mal unterscheiden in ein Wissen „wie etwas gemacht wird“ (z.B. wie<br />
ein Projekt man Fahrrad fährt) und „wie es ist etwas zu sein“ (z.B. wie es ist Vater zu sein). Insbesondere die<br />
zweite Art des Wie-Wissens spielt für die hier untersuchten <strong>Prozess</strong>e der Identitätsbildung eine wichtige<br />
Rolle.<br />
23
24<br />
Ein Gedankenexperiment<br />
ALS AUCH die andere Identität aufrecht zu erhalten. Ein solches Vorgehen führt aber<br />
nicht zu einer Verbindung i.S. eines BEIDES. 20<br />
1. 1. Das Das Eine<br />
Eine Eine Eine Eine Eine Eine Eine<br />
die<br />
z.B. die eigene eigene<br />
Organisation<br />
Identität<br />
die eigene eigene<br />
Organisation<br />
Identität<br />
die eigene eigene<br />
Organisation<br />
Identität<br />
die eigene eigene<br />
Organisation<br />
Identität<br />
2. Das Andere<br />
der <strong>Wandel</strong><br />
<strong>Wandel</strong><br />
partner<br />
Sowohl –<br />
<strong>als</strong> auch<br />
3. Beides z.B.<br />
2.1 Post-Merger-Integration<br />
eine und übersummative<br />
organisationaler übersummative <strong>Wandel</strong><br />
Verbindung<br />
Abbildung 2: Tetralemma des <strong>Wandel</strong>s II<br />
BEIDES kann sich u.a. in Form einer übersummativen Verbindung der Pole des<br />
Dilemmas ergeben. So wird beispielsweise der Gegensatz zwischen der Stabilität und<br />
dem <strong>Wandel</strong> der existierenden Identität im Rahmen einer übersummativen Verbindung<br />
nicht mehr länger <strong>als</strong> Gegensatz gesehen (z.B.: Um die Stabilität in einem geänderten<br />
Umfeld zu erhalten, braucht es Veränderung; um die Marktposition zu halten braucht<br />
es einen Produktwechsel). Eine weitere Verbindung kann in der Iteration, dem zeit-<br />
lichen Wechsel der beiden Pole (zeitweise <strong>Wandel</strong>, zeitweise Stabilität) bestehen. Ein<br />
Anschauungsbeispiel liefert das Fahrradfahren: Um das Gleichgewicht beim Fahrrad-<br />
fahren zu halten, bedarf es der beständigen Veränderung. Um die Stabilität zu erhalten,<br />
<strong>als</strong>o ständiger Flexibilität – eben Beides!<br />
Im Kontext von Organisationen können auch Kompromisse <strong>als</strong> Ausdruck von BEIDES<br />
darin bestehen, dass Loyalitäten zur Tradition einer Firma in Zukunft auch anders –<br />
nicht durch blindes Festhalten an einer Gewohnheit – ausgedrückt werden. 21<br />
20 Zum Vergleich der Begriffe „sowohl-<strong>als</strong> auch“ und „Beides“ sei der neugierige Leser an dieser Stelle<br />
eingeladen, die unterschiedlichen körperlichen Reaktionen der beiden Begriffe „entweder-oder“ und<br />
„Beides“ selbst zu testen. Dazu prüfen Sie, wie die Begriffe mit unterschiedlichen körperlichen<br />
Empfindungen einhergehen. Vgl. hierzu auch den Begriff der „semantischen Reaktion“ von KORZYBSKI<br />
(Korzybski, 1980). Hinweis zu dieser Übung von MATTHIAS VARGA VON KIBÉD im Rahmen einer<br />
Fortbildungsveranstaltung.<br />
21 So sind technischen Gründe z.B. beim Wechsel eines Systems, einer Vorgehensweise oder eines<br />
Geschäftsprozesses im Rahmen einer Integration häufig nur ein offizieller Grund. Vielfach sind mit dem<br />
sogenannten Widerstand ausgeblendete Themen der Loyalität oder Identität mit einer Firma verbunden.
Quo vadis strategic change? – Zum Dilemma strategischen <strong>Wandel</strong>s in Organisationen<br />
Auf dem Weg von Beides zur vierten Position (Keines von Beiden) wird die Phase des<br />
WEDER-NOCH durchlaufen. Weder-noch bedeutet dabei das Verlassen des alten<br />
Themenkontexts vor dem Erreichen des neuen Kontexts: Bei aktuellen Kooperations-<br />
oder Integrationsschwierigkeiten zwischen zwei Organisationen, kann der historische<br />
Kontext u.U. Hinweise auf die Gründe für die aktuellen Schwierigkeiten geben. Z.B.<br />
kann die Art und Weise wie ein Unternehmenszusammenschluss zustande gekommen<br />
ist Hinweise geben auf spätere Kooperationsschwierigkeiten in gemeinsamen<br />
Initiativen.<br />
4. Keines von Beiden<br />
2.1 Post-Merger-Integration<br />
z.B. und organisationaler Ereignisse in <strong>Wandel</strong> der<br />
Vergangenheit<br />
1. 1. Das Das Eine<br />
Eine<br />
die<br />
z.B. die eigene<br />
Organisation<br />
Identität<br />
die eigene<br />
Organisation<br />
Identität<br />
die eigene<br />
Organisation<br />
Identität<br />
die eigene<br />
Organisation<br />
Identität<br />
2. Das Andere<br />
der <strong>Wandel</strong> <strong>Wandel</strong>- <strong>Wandel</strong>- -<br />
partner<br />
Abbildung 3: Tetralemma des <strong>Wandel</strong>s III<br />
Weder - noch<br />
3. Beides z.B.<br />
2.1 Post-Merger-Integration<br />
eine und übersummative<br />
organisationaler übersummative <strong>Wandel</strong><br />
Verbindung<br />
In der vierten Position (KEINES VON BEIDEN) wird schließlich der Kontext des Gegen-<br />
satzes berücksichtigt. Fragen nach dem blinden Fleck i.S.v. „Wozu ist es gut in der<br />
Gegenwart, dass Identität und <strong>Wandel</strong> <strong>als</strong> Gegensätze empfunden werden?“ oder „Was<br />
erhält durch das Dilemma Sinn?“ stellen Möglichkeiten dar, um Aspekte des Kontexts<br />
zur Klärung des Gegensatzes zu berücksichtigen. Häufig tauchen hierbei Erfahrungen<br />
aus der Vergangenheit auf, welche die Deutlichkeit des Gegensatzes sinnvoll<br />
erscheinen lassen. So kann beispielsweise die Art und Weise, wie Organisations-<br />
mitglieder organisationalen <strong>Wandel</strong> in der Vergangenheit erlebt haben, Hinweise<br />
darauf geben, warum die Beibehaltung der eigenen Identität ihnen besonders wichtig<br />
erscheint. Bevor allerdings diese Stufe des KEINES VON BEIDEN erreicht wird,<br />
besteht häufig noch eine prozesshafte Vorstufe in dem „Weder-noch“, das in einem<br />
Hin und Her zwischen das Eine, das Andere und Beides besteht.<br />
Das hier dargestellte Tetralemma beschreibt verschiedene Positionen im <strong>Prozess</strong> der<br />
Auseinandersetzung mit einem <strong>als</strong> Dilemma wahrgenommenen Gegensatz. Es handelt<br />
sich in der 4. Position allerdings nicht um einen Schlusspunkt der Betrachtung.<br />
25
26<br />
Ein Gedankenexperiment<br />
Vielmehr liegt dem <strong>Prozess</strong>schema die Vorstellung zugrunde, dass man sich nach dem<br />
Durchlaufen der Positionen auf einer nächsthöheren Ebene wiederfindet.<br />
Die einzelnen Stationen des hier vorgestellten Schemas werden im Rahmen der empi-<br />
rischen Arbeit anhand praktischer Beispiele aus dem Unternehmenskontext noch ein-<br />
mal aufgegriffen. Dem Leser soll dadurch ein Orientierungs- und Handlungswissen für<br />
kreative Auswege zum Umgang mit Dilemmasituationen an die Hand geben werden.<br />
1.3 Vom Forschungsprojekt Learning Dynamics zum<br />
Forschungsinteresse Post-Merger-Integration<br />
Die vorliegende Studie ist Teil des Forschungsprojekts LEARNING DYNAMICS, in dem<br />
fünf DoktorandInnen über zwei Jahre Partnerorganisationen in Veränderungsprojekten<br />
begleitet haben. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, was Organisationen befähigt,<br />
strategischen <strong>Wandel</strong> zu bewältigen: „Im Rahmen unseres Forschungsprojekts wollen<br />
wir deshalb untersuchen, welche Qualitäten lernfördernde Strukturen und Kulturen in<br />
ihrem Zusammenwirken aufweisen, und wie, mit welchen Interventionen und Hilfs-<br />
mitteln, sich solche lernfreundlichen Strukturen und Kulturen ...,wirkungsvoll entwi-<br />
ckeln und nachhaltig gefördert werden können.“. 22<br />
„Die Forschungsmethodik des Projekts entspricht dem interpretativen Paradigma und<br />
zielt darauf ab, die Bedeutungen, die Menschen bestimmten „Dingen“ geben, und die<br />
Wirkungen, die sich daraus für das soziale Zusammenleben ergeben, zu erfassen.“ 23<br />
Die sich daraus ergebende Kontextabhängigkeit und Interpretationsbedürftigkeit der<br />
Beobachtungen setzt der Verallgemeinerung und Dekontextualisierung der Erkenntnisse<br />
einen engen Rahmen und vermittelt dem Leser in erster Linie ein Orientierungswissen<br />
zur Erweiterung des eigenen Kommunikations- und Handlungsvermögens.<br />
Hieraus ergeben sich wichtige Hinweise für Forschungs- und Messmethoden, da sie<br />
die kontextabhängigen Bedeutungszusammenhänge sozialen Handelns erfassen<br />
müssen. „Unsere Forschungsmethoden sind „qualitativer“ Natur, d.h. auf das Medium<br />
Sprache ausgerichtet, und haben den Vorteil, dass sie eine enge Verknüpfung unserer<br />
Forschungstätigkeit mit dem Forschungskontext erlauben, d.h. mit dem organisationalen<br />
Alltag, den wir erforschen wollen“. 24 Es werden vor allem teilnehmende<br />
22 Vgl. Learning Dynamics, 1999 Auslassung durch TS.<br />
23 Vgl. ebenda.<br />
24 Vgl. ebenda.
Quo vadis strategic change? – Zum Dilemma strategischen <strong>Wandel</strong>s in Organisationen<br />
Beobachtungen, Einzelinterviews und Dokumentenanalysen sowie Feedback-<br />
Workshops und Erfahrungsaustausch-Treffen der Partnerorganisationen eingesetzt.<br />
Phasen<br />
Phase 0<br />
Phase 1<br />
Phase 2<br />
ca. 3 Monate ca. 6 Monate<br />
ca. 18 Monate<br />
Aufbau der<br />
Kooperation und<br />
erste Exploration<br />
Erarbeiten einer Fallstudie<br />
pro Partnerorganisation:<br />
Erforschen der Stärken,<br />
Schwächen und unausgeschöpften<br />
Potentiale in<br />
bezug auf organisationale<br />
Lern- und <strong>Wandel</strong>fähigkeit<br />
Detailuntersuchung von spezifischen Teilaspekten<br />
Aktionsforschung mit dem Ziel der nachhaltigen<br />
Verbesserung der Lern- und <strong>Wandel</strong>fähigkeit der<br />
Partnerorganisation (Workshops)<br />
Erfahrungsaustausch unter den Partnerorganisationen<br />
Erarbeiten von Dissertationen und Fachartikeln<br />
Abbildung 4: Die drei Phasen der Feldforschung<br />
Quelle (Learning Dynamics, 1999)<br />
Die Feldforschung fand vor Ort im organisationalen Alltag der Partnerorganisationen<br />
über einen Zeitraum von zwei Jahren in drei Phasen statt:<br />
In der Phase 0 fanden die ersten Kontakte zu den Partnerorganisationen statt, wurden<br />
die Forschungsthemen bzw. strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen („units of analysis“)<br />
sowie Forschungsfragen, Methoden und Termine gemeinsam mit den Organisationen<br />
konkretisiert und die gegenseitigen Erwartungen und Rahmenbedingungen geklärt.<br />
Darüber hinaus wurden Vereinbarungen bzgl. der Dauer, Kosten, Infrastruktur,<br />
Geheimhaltungsvereinbarung, etc. des Forschungsprojekts geregelt. Die Partnerorganisationen<br />
unterstützten die Forschenden finanziell, sodass es möglich war, sich vollzeitlich<br />
über zwei Jahre auf die Forschung zu konzentrieren.<br />
In der Phase 1 wurden aus den teilnehmenden Beobachtungen, Einzel-Interviews und<br />
Dokumentenanalysen über die Partnerorganisationen und die laufenden <strong>Wandel</strong>initiativen<br />
umfassende Case Studies erstellt. Sie geben die Eigenheiten und<br />
Einzigartigkeit der Organisationen in Bezug auf ihre <strong>Wandel</strong>- und<br />
Erneuerungsfähigkeit wieder.<br />
Zeit<br />
27
28<br />
Ein Gedankenexperiment<br />
In der anschließenden Phase 2 wurden in Absprache mit den Partnerorganisationen für<br />
die ausgesuchten <strong>Wandel</strong>initiativen vertiefende Detailuntersuchungen durchgeführt.<br />
Hierzu wurden die Forschungsmethoden vertieft und im Rahmen von Feedbackveranstaltungen<br />
die Beobachtungen der Organisationen zur Diskussion gestellt. Ziel war es<br />
hierbei, die eigenen Beobachtungen bei den Partnerorganisationen in einem reflektiven<br />
<strong>Prozess</strong> zu prüfen und die <strong>Wandel</strong>fähigkeit der Partnerorganisationen zu verbessern.<br />
Teilweise konnten durch einen von unserem Forschungsteam moderierten<br />
Erfahrungsaustausch VertreterInnen der verschiedenen Partnerorganisationen sich<br />
wechselseitig direkt über ihre Projekte informieren.<br />
Das praktische Vorgehen war durch die Zusammenarbeit von jeweils zwei<br />
ForscherInnen in einem Team geprägt, die zusammen jeweils die Forschungsaktivitäten<br />
bei der oder den Partnerorganisationen gemeinsam durchführten. Die<br />
Partnerorganisationen, die dem Team für die Feldforschung Zugang zu ihrem<br />
organisationalen Alltag gewährten, stammten aus der Industrie, dem Dienstleistungsgewerbe<br />
und aus der öffentlichen Verwaltung. Die Zusammenarbeit zwischen dem<br />
Forschungsteam und den Partnerorganisationen war getragen von Vertrauen und von<br />
gemeinsamem Interesse am Forschungsziel. Informationen aus den Partnerorganisationen<br />
wurden sorgfältig und vertraulich behandelt.<br />
Der Beitrag der Partnerorganisationen bestand vor allem in der Gewährung des Zutritts<br />
zum Alltagsgeschehen sowie der Offenheit und Bereitschaft zum Dialog mit dem<br />
Forschungsteam. Die Partnerorganisationen stellten den ForscherInnen darüber hinaus<br />
einen Arbeitsplatz und notwendige Infrastruktur zur Verfügung. Außerdem leisteten<br />
die Partnerorganisationen einen finanziellen Beitrag zum Forschungsprojekt.<br />
Im Rahmen der Begleitung der verschiedenen <strong>Wandel</strong>initiativen entwickelte sich beim<br />
Autor zunehmend das Interesse am Einfluss der beiden Fusionen, die das Partnerun-<br />
ternehmen SIEMENS BUILDING TECHNOLOGIES (SBT) vor vier bzw. zwei Jahren hinter<br />
sich gebracht hatte. Die Auswirkungen und die Bedeutung dieser Veränderungen auf<br />
die laufenden Initiative waren noch deutlich spürbar und veranlassten den Autor ein<br />
weiteres Unternehmen zu einem Vergleich der <strong>Wandel</strong>initiativen im Kontext von Post-<br />
Merger-Phasen hinzuzunehmen.<br />
Die Anfrage der MIGROS AARE, die 1997 aus einer Fusion entstanden war,<br />
ermöglichte eine Comparative Case Study verschiedener strategischer Initiative und<br />
Kernprozesse der beiden Organisationen. 25 Dieser Forschungsprozess wurde aus dem<br />
25 Vgl. die Beschreibung der beiden Unternehmen und der verschiedenen Initivativen erfolgt in Kapitel 6.
Quo vadis strategic change? – Zum Dilemma strategischen <strong>Wandel</strong>s in Organisationen<br />
gleichen Forschungsverständnis wieder mit zwei Forschern, allerdings in einer<br />
wesentlich kürzeren Zeit (ca. 3 Monate), abgeschlossen. Vorteilhaft zeigte sich hier,<br />
dass die Fokussierung des Forschungsinteresses eine schnellere Vorgehensweise bei<br />
den Interviews und Dokumentenanalyse erlaubte. Auf teilnehmende Beobachtungen<br />
musste aufgrund der weitgehend bereits abgeschlossenen Kernprozesse und<br />
strategischen Initiative verzichtet werden. 26<br />
1.4 Überblick über den Aufbau der Arbeit<br />
Der Aufbau der Arbeit gliedert sich in 8 Kapitel. Im Anschluss an die Einführung, ein<br />
Gedankenexperiment sowie die Vorstellung des Forschungsprojekts, innerhalb dessen<br />
diese Arbeit entstand, wird in Kapitel 2 die Forschungsfrage entwickelt.<br />
Hierzu wird in Kapitel 2.1 der Stand der Literatur zur Post-Merger-Integration sowie<br />
insbesondere die Fit-Hypothese vorgestellt, kritisch beleuchtet und eine prozess-<br />
orientierte Sichtweise entwickelt. Als spezieller Fokus und erfolgskritische Grösse der<br />
empirischen Analyse von Post-Merger-Integration-<strong>Prozess</strong>en wird in Kapitel 2.2 die<br />
organisationale Identität vorgestellt. Hierbei wird ebenfalls eine prozessorientierte<br />
Perspektive eingenommen. Vor dem Hintergrund dieser beiden Kapitel wird dann die<br />
Forschungsfrage entwickelt und deren theoretische und empirische Relevanz<br />
begründet.<br />
In Kapitel 3 wird das in dieser Arbeit vertretene sprachtheoretische, wissenschafts-<br />
theoretische und methodologische Verständnis und die damit verbundenen Vorent-<br />
scheidungen dieser Arbeit dargestellt. Zu diesen Themen gehören erstens die Fragen<br />
• nach den (Vor)Annahmen über die (organisationale) Wirklichkeit – „was ist<br />
Wirklichkeit?“<br />
• wie und was der Forscher über diese Wirklichkeit wissen kann bzw. wie dieses<br />
Wissen „über“ den Gegenstand der Forschung zustande kommt<br />
• welche Methodologie der Forscher bei seiner Forschung nutzt.<br />
26 Vgl. zur weiteren Informationen bzgl. der untersuchten <strong>Wandel</strong>projekte Kapitel 6.3 und 6.5.<br />
29
Theorie<br />
30<br />
3. Wissenschafts-, 3. Wissenschafts sprachtheoretisches<br />
und Methodologisches<br />
Vorverständnis<br />
4. Grundlagen: Strukturationsund<br />
Systemtheorie<br />
5. Organisations- und<br />
<strong>Wandel</strong>verständnis<br />
1. Einleitung<br />
2. 2. Post-Merger-Integration, Forschungs organisationale -<br />
-<br />
2. Identität und frage die Forschungsfrage -<br />
6. Forschungspartner,<br />
Umfeld, Projekte<br />
8. Theoretische und praktische<br />
Implikationen<br />
Ein Gedankenexperiment<br />
7. Analyse der Identitätsbildenden<br />
Wirkung strategischer Projekte<br />
Abbildung 5: Überblick über den Aufbau der Arbeit<br />
Hierbei wird es vor allem um Unterschiede des positivistischen und eines konstrukti-<br />
vistischen Paradigmas sowie deren Implikationen für die angewandte Organisations-<br />
forschung gehen.<br />
In Kapitel 4 werden die Bausteine des für diese Arbeit relevanten metatheoretischen<br />
Rahmens entwickelt. Von Bedeutung werden in dieser Arbeit vor allem zwei sozial-<br />
wissenschaftliche Großtheorien sein. Während die neuere Systemtheorie das Verhalten<br />
von Systemen anhand der Leitunterscheidung in Umwelt und System untersucht, 27<br />
versucht die Strukturationstheorie, konkretes Handeln in Systemen mit deren Struktur-<br />
dimension zu verbinden 28 . Beide Theorien kommen trotz der unterschiedlichen<br />
Zugänge und Beschreibungen bei dem hier untersuchten Thema des organisationalen<br />
<strong>Wandel</strong>s zu ähnlichen Implikationen, wenn auch in recht unterschiedlichen<br />
Beschreibungen.<br />
27 Vgl. Luhmann, 1984.<br />
28 Vgl. Reckwitz, 1997a; Giddens, 1984; Giddens, 1979.<br />
Empirie
Quo vadis strategic change? – Zum Dilemma strategischen <strong>Wandel</strong>s in Organisationen<br />
Aufbauend auf diesen Großtheorien wird in Kapitel 5 das in dieser Arbeit zugrunde<br />
gelegte Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis dargelegt. Hierbei wird aus den<br />
anwendungsbezogenen Konzepten heraus ein konstruktivistisch-systemisch-<br />
prozessuales Organisationsverständnis destilliert. Dieses Verständnis hat weit-<br />
reichende Konsequenzen für die Vorstellung, wie sich <strong>Wandel</strong> in Organisationen<br />
vollzieht. So können vor dem Hintergrund der hier vertretenen wissenschaftstheo-<br />
retischen Grundannahmen viele teils implizite Vorstellungen über den <strong>Wandel</strong> in<br />
Organisationen nicht mehr geteilt werden.<br />
Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht die empirische Untersuchung von Post-<br />
Merger-<strong>Prozess</strong>en <strong>als</strong> einem besonderen Phänomen des organisationalen <strong>Wandel</strong>s.<br />
Dazu werden in Kapitel 6 die Rahmenbedingungen der beiden beforschten<br />
Organisationen sowie insbesondere ihrer strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen vorgestellt.<br />
Anschliessend erfolgt in Kapitel 7 eine vergleichende Analyse der identitätsbildenden<br />
Wirkung dieser strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen. Hierbei werden im Wechsel von<br />
Praxis und Theorie jeweils <strong>Wandel</strong>episoden beschrieben und im Gesamtkontext<br />
interpretiert, die im Sinne von SCHÖN den Leser <strong>als</strong> reflective practicioner 29 dazu<br />
inspirieren, sich der eigenen Alltagstheorien bewusster zu werden und evtl. neue zu<br />
erfinden.<br />
Den Abschluss bildet Kapitel 8, in dem theoretische und praktische Implikationen<br />
abgeleitet werden. Sie sollen den Leser unterstützen, die beschriebenen <strong>Wandel</strong>-<br />
episoden zu bündeln und kontextbezogen eine Rekontextualisierung in das jeweils<br />
eigene Organisationsumfeld zu unterstützen.<br />
Zur Orientierung werden dem Leser Übersichten bzw. Darstellungen des Gedanken-<br />
flusses präsentiert, welche die Verknüpfung der einzelnen Kapitel verdeutlichen.<br />
Hervorhebungen sowie eine Cartoonfigur weisen jeweils auf den aktuellen Standort<br />
hin.<br />
29 Dieser Begriff stammt von Schön, 1983.<br />
31
32<br />
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
2 Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu<br />
wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
Die Theorie entscheidet darüber, was wir beobachten können.<br />
Albert Einstein<br />
Das folgende Kapitel stellt die beiden zentralen Themen Post-Merger-Integration und<br />
identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e <strong>als</strong> Ausgangspunkte der Forschungsfrage vor (Kap. 2.1,<br />
2.2) und entwickelt darauf aufbauend die Forschungsfrage dieser Studie (Kap. 2.3).<br />
2.1 Post-Merger-Integration<br />
und organisationaler <strong>Wandel</strong><br />
2. Hintergrund und Fokus der<br />
Forschungsfrage<br />
2.3 Forschungsfrage<br />
Abbildung 6: Gedankenfluss Kapitel 2<br />
2.2 Identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e<br />
organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />
Ausgehend von der Verbindung des Themas der Post-Merger-Integration zu Themen<br />
des organisationalen <strong>Wandel</strong>s (Kap. 2.1.1) werden dazu der Stand der Literatur zur<br />
Post-Merger-Integration (Kap. 2.1.2) und die Entwicklungstendenzen bei Unter-<br />
nehmenszusammenschlüssen dargestellt. Eine zentrale Bedeutung nimmt dabei die<br />
sogenannte „Fit-Hypothese“ (Kap. 2.1.3) ein. Nach dieser Hypothese hängt der Erfolg<br />
von Unternehmenszusammenschlüssen von der Übereinstimmung strategischer,<br />
organisationaler und kultureller Merkmale der Unternehmen ab. Aufbauend auf der<br />
Kritik an dieser Hypothese (Kap. 2.1.4) werden abschließend ein prozessorientierter<br />
Ansatz zur Post-Merger-Integration vorgestellt (2.1.5) sowie 7 zusammenfassende<br />
Thesen formuliert.<br />
Um die Auswirkungen der Post-Merger-Integration zu untersuchen, werden im<br />
Folgenden die identitätsbildenden <strong>Prozess</strong>e im Kontext von Unternehmenszusammen-<br />
schlüssen untersucht. Dazu wird in diesem Kapitel aufbauend auf die Unterscheidung<br />
individueller und kollektiver Identität (Kap. 2.2.1) ein grundlegendes Verständnis<br />
organisationaler Identität entwickelt (Kap. 2.2.2). Die Bedeutung dieses noch jungen
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
Konstrukts wird bereits in der Strategieforschung diskutiert (Kap. 2.2.3). Aber auch<br />
für die Analyse von Phänomenen im Zusammenhang mit organisationalem <strong>Wandel</strong><br />
zeichnet sich ein zunehmendes Interesse an der organisationalen Identität ab (Kap.<br />
2.2.4). Um einer allzu entitativen Vorstellung organisationaler Identität vorzubeugen<br />
wird in dieser Arbeit vor allem die identitätsbildende Wirkung organisationaler<br />
<strong>Prozess</strong>e untersucht (Kap. 2.2.5).<br />
Die beiden Ausgangspunkte – die Post-Merger-Integration und die identitätsbildenden<br />
<strong>Prozess</strong>e – münden in die Formulierung der Forschungsfrage, die den Einfluss stra-<br />
tegischer <strong>Prozess</strong>e auf die Identitätsbildung thematisiert (Kap. 2.3.1). Die Erläuterung<br />
der theoretischen (2.2.1) und der praktischen (2.2.2) Relevanz der Forschungsfrage<br />
bildet den Abschluss des Kapitels. Die praktische Relevanz ergibt sich dabei bereits<br />
aus der wenig schmeichelhaften Bilanz der Integrationsbemühungen im Anschluss an<br />
Fusionen. Die theoretische Bedeutung leitet sich vor allem aus dem Umstand ab, dass<br />
die bislang erfolgten Ansätze zur Untersuchung der Fusionsprozesse häufig durch<br />
• eine Trennung der strategischen Entscheidungsphase und der organisationalen<br />
<strong>Wandel</strong>phase 30 sowie<br />
• ein stark entitatives 31 Organisations- und Kulturverständnis geprägt sind 32 .<br />
Systemische Überlegungen und die Bedeutung sozialer Praktiken und <strong>Prozess</strong>e werden<br />
dagegen weitgehend vernachlässigt.<br />
30 Vgl. z.B. Mintzberg und McHugh, 1985.<br />
31 „Entitativ“ bedeutet hier in Anlehnung an Dachler, 1997; Dachler und Hosking, 1995 ein systemisches<br />
Organisationsverständnis, welches Eigenschaften nicht <strong>als</strong> Merkmale von Elementen betrachtet, sondern in<br />
den Relationen der Elemente bedingt sieht. Vgl. dazu auch die Metapher vom Fussballspiel in Kapitel 4.2.1.<br />
32 Vgl. u.a. Forstmann, 1994; Hapeslagh und Jemison, 1991; Muggli und Zimmermann, 1999; Trautwein, 1990<br />
33
34<br />
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
2.1 Post-Merger-Integration und organisationaler <strong>Wandel</strong><br />
2.1 Post-Merger-Integration<br />
und organisationaler <strong>Wandel</strong><br />
2. Hintergrund und Fokus der<br />
Forschungsfrage<br />
2.3 Forschungsfrage<br />
Abbildung 7: Gedankenfluss Kapitel 2<br />
2.2 Identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e<br />
organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />
Unternehmenszusammenschlüsse bewirken nach ROOST häufig eine „Implosion der<br />
Unternehmenskulturen“. 33 Der Schluss, dass es im wesentlichen kulturelle oder<br />
menschliche Faktoren sind, die zum Scheitern so vieler Fusionsprojekte führen, ist<br />
dabei mittlerweile vielfach erörtert worden. 34<br />
Die These, die auch in die Forschungsfrage dieser Studie mündet, lautet daher: Im<br />
Rahmen von Unternehmenszusammenschlüssen geht es vor allem darum, eine neue,<br />
gemeinsame Wirklichkeitsordnung 35 zu schaffen. 36<br />
Von besonderer Bedeutung für die Integration von Unternehmen und dem damit<br />
verbundenen Umbau der organisationalen Wirklichkeitsordnung scheint dabei die<br />
<strong>Prozess</strong>gestaltung zu sein. Es käme damit weniger auf die „Kompatibilität“ der<br />
beteiligten Strategien, Organisationsstrukturen und -kulturen an, wie es auch ent-<br />
sprechende Evaluationsstudien zeigen. 37 Anders ausgedrückt: Erfolgsentscheidend<br />
scheint das WIE, nicht das WAS der Veränderung. Im Mittelpunkt der wissenschaft-<br />
lichen Aufmerksamkeit und der „Management-Attention“ stehen allerdings meistens<br />
die Inhalte wie Marktanteile, Produkte und Organigramme oder fertige Kulturen.<br />
33 Vgl. Roost, 1998.<br />
34 Vgl. u.a. Jansen, 2000b; Jemison und Sitkin, 1986; Nahavandi und Malekzadeh, 1994.<br />
35 Vgl. zum Begriff der Wirklichkeitsordnung [Buschor, 1996 #428].<br />
36 Vgl. Jansen, 2000a; Roost, 1998.<br />
37 Vgl. dazu eingehender Kapitel 2.1.3 und 2.1.4.
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
Ein eindrückliches Beispiel für die Bedeutung der <strong>Prozess</strong>e nach dem Merger liefert<br />
DEISER anhand zweier Firmen aus der Fotoindustrie. Er beschreibt, wie direkt im An-<br />
schluss an eine Akquisition eines durchaus „kompatiblen“ Unternehmens auf die Ver-<br />
einbarung eines gemeinsamen Integrationsprozesses verzichtet wurde. In der Folge<br />
entstanden unternehmensweit sehr unterschiedliche organisationale Lösungen.<br />
Schließlich entschloss man sich dennoch, eine einheitliche Lösung, und zwar die des<br />
Käufers, (der übernehmenden photochemischen Firma) durchzusetzen. Dabei wurde<br />
die Expertise der Mitarbeiter der photoelektronischen Firma nicht einbezogen, worauf<br />
viele Mitarbeiter die Firma verließen und sogar im angestammten photochemischen<br />
Marktbereich der Käuferfirma bedeutende Marktanteile verloren gingen. 38<br />
Um die strategischen Veränderungen so zu gestalten, dass sie zur Erfahrung und<br />
Schaffung einer gemeinsamen Wirklichkeitsordnung führen, bedarf es eines spezifi-<br />
schen WIE-Wissens über Veränderungsprozesse. Anders ausgedrückt: „Making the<br />
deal real“ 39 bedarf der Verbindung von Wissen, Regeln, praktischen Handlungen und<br />
<strong>Prozess</strong>en zur Schaffung neuer Wirklichkeiten.<br />
Im Folgenden soll diese Verbindung von Potentialität und Aktualität <strong>als</strong> ein spezifi-<br />
sches Vermögen einer Organisation angesehen werden, die Wissens- und Handlungs-<br />
seite miteinander zu verbinden. 40 <strong>Wandel</strong>fähigkeit zeigt sich in der Durchführung tat-<br />
sächlichen <strong>Wandel</strong>s. Die Bewältigung strategischen <strong>Wandel</strong>s wirkt wiederum auf die<br />
<strong>Wandel</strong>fähigkeit zurück. <strong>Wandel</strong>fähigkeit ist eingelagert in den Regeln und Routinen<br />
der Organisation, zeigt sich aber erst im konkreten <strong>Wandel</strong>. Es ist deshalb potentiell<br />
missverständlich, davon zu sprechen, dass eine Organisation eine solche Fähigkeit<br />
„hat“, bzw. dass darüber verfügt werden kann. Die Fähigkeit zeigt sich in konkreten<br />
<strong>Wandel</strong>initiativen und ermöglicht den <strong>Wandel</strong>, ist aber nicht „machbar“ oder gar<br />
imitierbar. 41 Andererseits wirkt der <strong>Wandel</strong> in Organisationen wieder auf das WIE-<br />
Wissen und die Regeln in einer Organisation zurück. Wandlungsfähige Strukturen und<br />
soziale Praktiken in einer Unternehmung reproduzieren sich folglich rekursiv in stra-<br />
tegischen Veränderungsprozessen. 42<br />
38 Vgl. Deiser, 1994.<br />
39 Vgl. gleichnamigen Artikel Ashkenas, et al., 1998.<br />
40 Die Gegenüberstellung von Potentialität und Aktualität ist vergleichbar mit der Form/Strukturunterscheidung<br />
bei Wittgenstein. Vgl. Wittgenstein, 1989a.<br />
41 Vgl. Rüegg-Stürm, 2000.<br />
42 Vgl. zu diesen Strukturationsprozessen insbesondere Kapitel 4.1.2.<br />
35
36<br />
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
Wirkt zurück<br />
auf<br />
<strong>Strategischer</strong> <strong>Wandel</strong><br />
<strong>Wandel</strong>fähigkeit<br />
Abbildung 8: Dualität von <strong>Wandel</strong> und <strong>Wandel</strong>fähigkeit<br />
ermöglicht<br />
Eine interessante Analogie bietet hier wieder der Bereich der Sprache: Sprachfähigkeit<br />
besteht nicht allein in dem Wissen über grammatikalische Regeln, sondern das Beherr-<br />
schen der grammatikalischen Regeln zeigt sich erst im tatsächlichen Sprechen. Die<br />
grammatikalischen Regeln ermöglichen das sinnvolle Sprechen. Das Sprechen der<br />
Sprache wirkt aber auch wiederum auf das Wissen über die grammatikalischen Regeln<br />
zurück. 43<br />
2.1.1 Post-Merger-Integration aus Sicht des strategischen Managements<br />
Folgt man der Differenzierung von GINSBERG 44 in Strategieinhalt und Strategie-<br />
prozess, so wird deutlich, dass nach wie vor der größte Teil wissenschaftlicher und<br />
unternehmerischer Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit Fusionen dem Strategie-<br />
inhalt, insbesondere dem „strategischen Fit“ gilt 45 . Eine Übersicht über die<br />
strategischen Zielrichtungen in verschiedenen Phasen der Merger-Aktivitäten lässt dies<br />
offenkundig werden. Es stehen vor allem übergeordnete, wettbewerbliche Ziel-<br />
setzungen, wie die horizontale oder vertikale Marktstellung im Vordergrund:<br />
43 Eine interessante Analogie zur Schwierigkeit, Strukturen zu verändern bietet die Veränderung der Regeln der<br />
Rechtschreibung in der kürzlich „vollzogenen“ Rechtschreibreform.<br />
44 Vgl. Ginsberg, 1988.<br />
45 Vgl. von Krogh, et al., 1994. Diese Entwicklung geht wohl noch zurück auf die Behandlung von <strong>Wandel</strong> im<br />
Rahmen der Strategie / Struktur Diskussion vgl. Ansoff, 1965;Chandler, 1962 („structure follows strategy“).<br />
Die damit verbundene Vorstellung einer Unterteilung in Strategieformulierung und -implementierung führt<br />
dazu, dass, nachdem eine Strategie ausgewählt ist, die Umsetzung <strong>als</strong> eine Frage des „Fit“ bzw. der richtigen<br />
Mittel gesehen wird vgl. Zan und Zambon, 1993.
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
Zeitraum Strategische Zielrichtung<br />
• 1880-<br />
1904<br />
• 1925-<br />
1904<br />
• 1930-<br />
1935<br />
• Um<br />
1955<br />
• 1965-<br />
1973<br />
• 1965-<br />
1974<br />
• 1. Welle: Erreichung einer Monopolstellung durch horizontale<br />
Übernahmen; Aufbau von Trusts (1904: Sherman Act: Verbot der Trustbildung)<br />
• 2. Welle: Vertikale Integration<br />
Kontrolle des gesamten Produktionszyklus<br />
• Defensiver Merger<br />
Eliminierung von Bewerbern durch Aufkauf und Schließung<br />
(Rationalisierung)<br />
• Konglomeratsbildung und vertikale Integration<br />
Erste feindliche Übernahmeangebote<br />
• Ebenfalls Konglomeratsbildung<br />
Vorrangiges Ziel: „economies of scale“<br />
• 3. Welle: vorrangig in den USA „anti-zyklisches Portfolio“ Ballons<br />
zwischen Unternehmen mit verschiedenen Produktlebenszyklen<br />
• ab 1981 • 4. Welle: Strategische M&A-Transaktionen: Synergien,<br />
Verbesserung des ROI; Strategien: Dekonglomerisierung „back to corebusiness“<br />
• ab 1985 • 5. Welle: M&A <strong>als</strong> Finanztransaktionen<br />
Leveraged Buy out<br />
• 90er<br />
Jahre<br />
• Shareholder Value und Globalisierung<br />
Konzentration durch Fokussierung der einzelnen Geschäftsfelder, Rückgang<br />
der Finanztransaktionen und Konzentration durch horizontale Akquisitionen<br />
Tabelle 1: Entwicklung des Marktes für Fusionen 46<br />
DATTA meint, dass “an interesting area for future research relates to the process of<br />
implementation (of acquisitions), and how the process can best be managed“. 47 Dieser<br />
Ansicht schließen sich andere Autoren an 48 und weisen darauf hin, dass Fusionen <strong>als</strong><br />
ein „long-term process of learning and adaptation that starts with the contact between<br />
two cultures” gesehen werden sollten. 49<br />
Nach DEISER sowie HAPESLAGH und JEMISON ist das Management von Akquisitionen<br />
darüber hinaus einer der bedeutendsten Auslöser für strategische Erneuerung und<br />
organisationale Lernprozesse. 50 Nach BUONO und BOWDITCH sollte das Augenmerk<br />
46 Vgl.Jansen, 1999.<br />
47 Vgl. Datta, 1991.<br />
48 Vgl. z.B. Sinatra und Dubini, 1994.<br />
49 Vgl. Nahavandi und Malekzadeh, 1994.<br />
50 Vgl. Deiser, 1994; Hapeslagh und Jemison, 1991.<br />
37
38<br />
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
dabei insbesondere auf den längerfristigen <strong>Prozess</strong>en einer „corporate marriage“<br />
liegen. 51 Allerdings wird aus strategischer Sicht der Zusammenschluss häufig <strong>als</strong><br />
erledigt angesehen, wenn der Vertrag unterschrieben ist. 52 Damit ist dann auch ein<br />
Verlust an Aufmerksamkeit des Top-Managements verbunden. Dies widerspricht der<br />
Ansicht einer „doing strategy“ oder „strategizing“, <strong>als</strong>o einer prozessorientierten<br />
Betrachtung der Strategiebildung in Unternehmen, die Strategien prozessorientiert <strong>als</strong><br />
organisationales Handeln auffasst. 53<br />
2.1.2 Entwicklungstendenzen bei Unternehmenszusammenschlüssen<br />
Vergegenwärtigt man sich die Entwicklung der Anzahl und des Transaktionsvolumens<br />
von Fusionen in den letzten Jahren so wird die Bedeutung des Themas zunehmend<br />
klarer:<br />
Jahr Zahl der Übernahmen Transaktionsvolumen<br />
1992 7.599 249 Milliarden $<br />
1996 12.320 1.017 Milliarden $<br />
1998 24.000 2.300 Milliarden $<br />
Tabelle 2: Anzahl weltweiter Fusionen 54<br />
Die Gründe für die gestiegene Zahl von M&A liegen vor allem in der Gewinnung von<br />
Synergien (Effizienz-Modell), dem Machtgewinn gegenüber den Kunden (Monopol-<br />
Modell), bzw. den handelnden Manager („Empire-Modell“), Vorteilen in der<br />
Bewertung durch Analysten (Bewertungs-Modell), volkswirtschaftlichen Zyklen<br />
(Wellen-Modell) sowie unüberschaubaren Entscheidungsprozessen. 55<br />
Diese Entwicklungen unterliegen allerdings einer Art Pendelbewegung: Fokussierte<br />
Unternehmen mit einem hohen Cash-flow verlangen häufig nach Re-Investitionen und<br />
Risikosteuerung und sehen dementsprechend M&A <strong>als</strong> eine Möglichkeit zur<br />
Diversifikation. Diversifizierte Unternehmen mit Performance-Unterschieden verlan-<br />
gen dagegen häufig nach Portfolio-Bereinigung und Konzentration auf das Kernge-<br />
51 Vgl. Buono und Bowditch, 1989.<br />
52 Vgl. Deiser, 1994.<br />
53 Vgl. zu den Begriffen strategizing und doing strategy auch Hendry, 2000; Whittington, 2001.<br />
54 Quelle: Jansen, 1999.<br />
55 Vgl. Müller-Stewens, et al., 1999.
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
schäft, was im Ergebnis zu einem Arrondierungs-M&A und einer Fokussierung<br />
führt. 56<br />
Der Erfolg von M&A wird erst seit den 70er Jahren systematisch untersucht. Die<br />
vorliegenden Studien weisen allerdings keine einheitlichen Erfolgskriterien und<br />
Verfahren zur Erfolgsmessung auf. Überwiegend werden ökonomische Größen<br />
(Jahresabschluss, Börsennotierung, Insider-Befragung) herangezogen und nicht-<br />
finanzielle Aspekte (Arbeitszufriedenheit, Personalfluktuationen, Innovationstätigkeit,<br />
etc.) vernachlässigt.<br />
JANSEN konstatiert in einem Überblick über die Studien der Akquisitionserfolge ein<br />
„alarmierendes Ergebnis“ 57 : Anhand von Jahresabschlussanalysen, kapitalorientierten<br />
Analysen, Insiderbefragungen und Wiederverkaufsanalysen wurden Misserfolgsraten<br />
von Unternehmenszusammenschlüssen von bis zu 85% festgestellt (insbesondere<br />
Bankenfusionen). Branchenübergreifend kann die Erfolgswahrscheinlichkeit mit einer<br />
40:60-Formel zusammengefasst werden. Bei einer Analyse von NYSE/AMEX-<br />
Transaktionen wurde für den Zeitraum von 1955 bis 1987 ein statistisch signifikanter<br />
Wertverlust von 10,26% in den ersten fünf Jahren nach der Transaktion festgestellt. 58<br />
Schätzungen zufolge soll der Vermögensverlust bei Akquisitionen in den 80er Jahren<br />
zwischen 300 und 500 Milliarden DM gelegen haben. 59<br />
2.1.3 Gründe fürs Scheitern und die Fit-Hypothese<br />
DONNERSMARCK und SCHULZ bezeichnen angesichts dieser Ergebnisse und ihrer<br />
organisationalen Herausforderungen Fusionen <strong>als</strong> die größte Managementheraus-<br />
forderung, die es gibt. 60 Die Integration von zwei Organisationswelten erfordert des-<br />
halb das ganze Commitment und ausgeprägte Fähigkeiten des Managements. 61<br />
Als Problemfelder in den Studien werden häufig überoptimistische Einschätzungen der<br />
Situation, ein unzureichender Planungsprozess und vor allem personelle, kulturelle<br />
und organisatorische Integrationsprobleme lokalisiert. NAHAVANDI erklärt die hohe<br />
56 Vgl. ebenda.<br />
57 Vgl. Jansen, 2000b.<br />
58 Vgl. Agrawal, et al., 1992.<br />
59 Vgl. Jansen, 1999.<br />
60 Vgl. Donnersmarck und Schulz, 1999.<br />
61 Vgl. Lindgren, 1982; Shrivastava, 1986.<br />
39
40<br />
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
Misserfolgsrate mit “sociocultural aspects, and processes in the merging of two<br />
companies that treat them as human and cultural entities” und bezeichnet sie <strong>als</strong> “key<br />
to the success of the merger”. 62 WALSH weist im Zusammenhang mit den vielen<br />
Fehlschlägen auf den hohen turn-over im Top-Management der gekauften Firma hin. 63<br />
In der Literatur findet sich eine Reihe von Einflussgrössen, die den Erfolg oder Miss-<br />
erfolg von Fusionen beeinflussen. Im wesentlichen hat sich dabei die Unterscheidung<br />
nach JEMISON/SITKIN durchgesetzt, die unter den Begriffen „Strategic Fit“, „Organi-<br />
sational Fit“ und „Acquisition Process“ die wichtigsten Einflussfaktoren identifizieren.<br />
Der Begriff „Fit“ bezeichnet dabei ein „Zusammenpassen“ bzw. die Entsprechung der<br />
Strategie bzw. Organisation der Fusionspartner. 64<br />
Der strategische Fit wird definiert <strong>als</strong> „the degree to which the target firm augments or<br />
complements the parent´s strategy and thus makes identifiable contributions to the<br />
financial and nonfinancial go<strong>als</strong> of the parent”. 65 Es handelt sich <strong>als</strong>o um das Ausmaß,<br />
in dem das gekaufte Unternehmen zu der strategischen Ausrichtung des kaufenden<br />
Unternehmens passt. Einflussgrössen sind hierbei die Zusammenschlussintensität, das<br />
Größenverhältnisse der Unternehmen, die Art der Diversifikation, die Auslands-<br />
orientierung, die Ausgestaltung des Zusammenschlusses, die Qualität des erwerbenden<br />
Managements, der Cash-flow des erwerbenden Unternehmens und das<br />
organisatorische Alter des erwerbenden Unternehmens. 66<br />
Der organisatorische Fit ist definiert <strong>als</strong> “the match between administrative practices,<br />
cultural practices, and personnel characteristics of the target and parent firms and may<br />
affect how the firms can be integrated with the respect to day-to-day operations once<br />
an aquisition has been made“ 67 . Der organisatorische Fit stellt somit angeblich die<br />
Übereinstimmung der Organisationsstrukturen und -kulturen sicher.<br />
62 Vgl. Nahavandi und Malekzadeh, 1988.<br />
63 Vgl. W<strong>als</strong>h, 1988.<br />
64 Vgl. Jemison und Sitkin, 1986. Diese These wurde auch früh von Haspelagh und Farquhar vertreten<br />
(Haspeslagh und Farquhar, 1987).<br />
65 Vgl. Jemison und Sitkin, 1986.<br />
66 Vgl. ebenda.<br />
67 Vgl. ebenda.
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
Als Erfolgskriterium des „organizational fit“ werden vor allem die<br />
Organisationsstruktur des kaufenden Unternehmens 68 sowie die Kompatibilität der<br />
Unternehmenskulturen angesehen. 69 Obwohl der organisatorische Fit immer wieder<br />
<strong>als</strong> zentraler Faktor für den Erfolg von Fusionen genannt wird, ist er empirisch wenig<br />
untersucht und nicht belegt worden. 70<br />
Der Zusammenschlussprozess stellt neben dem strategischen und dem organisatori-<br />
schen Fit den dritten, in der Literatur genannten Erfolgsfaktor dar. Damit ist gemeint,<br />
dass die Art und Weise, wie die einzelnen Phasen des Zusammenschlusses gestaltet<br />
sind, Auswirkungen auf den Erfolg der Fusion hat. Die einzelnen Phasen bestehen aus<br />
der Analysephase (Marktanalyse, Strategie, Screening, etc.), der vorvertraglichen<br />
Verhandlungsphase (Due Dilligence, Finanzierung), Vertrags- und Closingphase (Be-<br />
wertung, Verträge, Closing) sowie der Integrationsphase (Realisierung der Planung,<br />
Audit). 71<br />
Wenige Autoren, wie etwa DEISER und SINATRA/DUBINI, meinen dass die<br />
Realisierung des eigentlichen Wertpotenti<strong>als</strong> in erster Linie durch ein bewusstes und<br />
professionelles Management der neu entstehenden Organisationseinheit nach dem<br />
Kaufprozess realisiert werden kann. 72 Ihre Argumentation eines <strong>Prozess</strong>ansatzes<br />
begründet sich vor allem in der vorsichtigen Ausbalancierung von „Hardfacts“<br />
(strategische und organisationale Analyse, Planung und Restrukturierung) und<br />
„Softfacts“ (kulturelle Integration, Lernen, Perspektivenwechsel). Die rein<br />
ökonomischen oder mechanistischen Modelle offenbaren in der Auseinandersetzung<br />
mit dem komplexen Phänomen der Post-Merger-Integration ihre engen Grenzen.<br />
68 Vgl. Bühner, 1992; Bühner, 1993a; Bühner, 1993b; Bühner, 1993c.<br />
69 Dabei geht es insbesondere um die Frage der Struktur des Konzerns. Hierbei lassen sich verschiedene Formen,<br />
angefangen von einer Holdingstruktur bis hin zu einem sehr zentralisierten Konzern denken. Das Ausmaß der<br />
Integration bzw. Autonomie des gekauften Unternehmens spielt dabei offensichtlich eine entscheidende<br />
Rolle.<br />
70 Vgl. Datta, 1991.<br />
71 Vgl. Jansen, 2000b.<br />
72 Vgl. Deiser, 1994;Sinatra und Dubini, 1994.<br />
41
42<br />
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
Analysephase<br />
Marktanalyse,<br />
Strategie,<br />
Screening<br />
Durchführbarkeits-<br />
analyse<br />
analyse<br />
Vorauswahl Vorauswahl der<br />
der<br />
potentiellen potenziellen potentiellen potenziellen potentiellen potenziellen Kandidaten<br />
Kandidaten<br />
Kandidaten<br />
hinsichtlich hinsichtlich der<br />
Synergiepotentiale<br />
Synergiepotentiale<br />
(z. (z. B. B. Markt, Markt, Wissen,<br />
Kapital, Kapital, Technologie,<br />
Technologie,<br />
HR HR ....)<br />
....)<br />
Geheime<br />
Geheime<br />
Kontaktaufnahme<br />
Kontaktaufnahme<br />
Vorvertragliche<br />
Verhandlungsphase<br />
Due Dilligence ,<br />
Finanzierung<br />
Erwartungsmanagement<br />
Analyse der Immun-<br />
systeme<br />
systeme<br />
Experteninterviews<br />
Experteninterviews<br />
Cultural Cultural Due Due Dilligence<br />
Dilligence<br />
History History Analysis Analysis (M&A<br />
(M&A<br />
und und Kooperation Kooperation im<br />
im<br />
Vorfeld)<br />
Vorfeld)<br />
Erste Erste Planung Planung der<br />
der<br />
Integration<br />
Integration<br />
Aufbau Aufbau von<br />
von<br />
abteilungsüber abteilungsüber -<br />
-<br />
greifenden greifenden Integrations- Integratios -<br />
Teams Teams<br />
Vertrags Vertrags- Vertrags Vertrags- - und<br />
Closingphase<br />
Bewertung, Ver- -<br />
träge, Closing<br />
Integrationsebene<br />
(operativ, strategisch,<br />
organisatorisch- -<br />
administrativ, personell,<br />
kulturell, extern)<br />
Organisationale<br />
Verankerung (Team,<br />
Vorstand, Abteilung,<br />
Berater)<br />
Integrationsintensität<br />
(Absorption, Symbiose,<br />
Holding, Stand Alone)<br />
Integrations Integrationstempo<br />
Integrations Integrationstempo -Tempo ( go<br />
slow/speed) (go slow/speed) (go slow/speed)<br />
Best Best Practice Practice -Übernahme<br />
-Übernahme<br />
Schätzung Schätzung der<br />
der<br />
Integrationskosten<br />
Integrationskosten<br />
Abbildung 9: Phasen eines Zusammenschlussprozesses<br />
(Quelle: Müller-Stewens et al., 1999)<br />
Integrations- -<br />
phase<br />
Realisierung der<br />
Planung, Audit<br />
Roll-Out Architektur<br />
Iterativer Prozeß der<br />
Interventionen<br />
(Kommunikation,<br />
Kultur, HR, etc.)<br />
Gemeinsame<br />
Entwicklung von<br />
zukünftigen<br />
Wachstums Wachstumsstrategien<br />
Wachstums Wachstumsstrategien<br />
Begleitendes Audit,<br />
Dokumentation<br />
Begleitforschung<br />
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die bislang in der Literatur aufge-<br />
führten Erfolgsfaktoren auf den Fit oder die Entsprechung (strategischer und organi-<br />
satorischer Fit) und auf die Gestaltung des Zusammenschlussprozesses abheben.<br />
2.1.4 Kritische Anmerkungen zur Fit-Hypothese<br />
Die prominente und auf den ersten Blick einleuchtende Fit-Hypothese organisationaler<br />
Zusammenschlüsse ist aus mehreren Gründen zu kritisieren.<br />
1. Empirisch ist bislang kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Corporate<br />
Culture Fit und der Post-Merger-Performance festgestellt worden (Jansen 1999, Weber<br />
1996). 73 MOROSINI weist sogar auf einen möglichen positiven Zusammenhang<br />
zwischen Kulturdifferenz und dem finanziellen Erfolg einer Fusion hin. 74 Diese<br />
empirischen Ergebnisse lassen die Fit-Hypothese zumindest sehr fraglich erscheinen.<br />
73 Vgl. Jansen, 2000b Weber, et al., 1996.<br />
74 Vgl. Morosini, et al., 1998.
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
2. Offen bei der Fit-Hypothese bleibt, ob Gegensätze in Unternehmen grundsätzlich<br />
eine Gefahr für den Zusammenschluss bedeuten. 75 DEISER macht darauf aufmerksam,<br />
dass das Nichtbeachten der unterschiedlichen Geschichte und Kultur der beiden<br />
Firmen folgenreich sein kann. Ohne die Berücksichtigung der unterschiedlichen Logik<br />
und „Mind-sets“ der gekauften Einheit und ohne die strategischen Eckpfeiler, die zur<br />
Akquisition führten, offen zu legen, stülpt die übernehmende Organisation oft blind<br />
ihre Prinzipien, Ideen, Werte und Identitäten der gekauften Organisation über.<br />
Bestehende Unterschiede werden oft ignoriert oder <strong>als</strong> bedrohlich wahrgenommen. 76<br />
3. Die Ähnlichkeiten in der Kultur von zwei Organisationen können entgegen der<br />
üblichen Annahme eines Fits auch zu Gegenreaktionen zwischen zwei Organisationen<br />
führen. Eine solche Gegenreaktion zweier (Organisations-)Kulturen aufeinander kann<br />
u.a. durch BATESON´s Modell der Schismogenese erklärt werden. Die Schismogenese<br />
bezeichnet einen <strong>Prozess</strong> der fortschreitenden Verstärkung des vorhandenen<br />
Interaktionsmusters. So können symmetrische oder komplementäre Beziehungen noch<br />
verstärkt werden, möglicherweise zu Konflikten und zur Ausbildung von Immun-<br />
reaktionen führen.. 77<br />
4. Vor dem Hintergrund des in dieser Arbeit vertretenen systemisch-konstruktivistisch-<br />
prozessualen Organisationsverständnisses scheint die angenommene kontextunab-<br />
hängige, generalisierende Analyse und die linear-kausale Prognose bzgl. der Pass-<br />
genauigkeit unterschiedlicher Kulturen äußerst fragwürdig.<br />
Wenn man die zugrundeliegenden Annahmen der Fit-Hypothese betrachtet, offenbart<br />
sich ein stark entitatives Organisationsverständnis. Vergleichbar einer Assessment-<br />
75 In der Regel werden vor allem Unterschiede in der Unternehmenskultur <strong>als</strong> Gefahr für den Erfolg eines Unter-<br />
nehmenszusammenschlusses betrachtet (Forstmann, 1994; Frank, 1993). Für den Fall grenzüberschreitender<br />
Akquisitionen äußert SEWING die Vermutung, dass bereits der Vergleich landeskultureller Profile Rück-<br />
schlüsse auf den späteren Integrations- und damit Akquisitionserfolg ermöglicht (Sewing, 1996). Auch das<br />
Synergiepotential ließe sich ihrer Meinung nach so bestimmen. Allerdings wird in der Literatur auch die<br />
gegenteilige These vertreten, dass sich Unterschiede der Unternehmen positiv auswirken können (Kuiper,<br />
1983).<br />
76 Vgl. Deiser, 1994.<br />
77 Vgl. ausführlicher im Exkurs in Kapitel 4.2.4 sowie ähnlich Krusche, 2000.<br />
43
44<br />
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
Center-Logik wird versucht, über eine Analyse der Eigenschaften der Kandidaten eine<br />
Passung mit a priori konstatierten Anforderungen zu erreichen. 78<br />
DEISER macht darüber hinaus im Sinne eines konstruktivistischeren Organisations-<br />
verständnisses auf die Bedeutung der Einstellungen und Erwartungen – insbesondere<br />
der kaufenden Firma aufmerksam. Die Einstellung ist dabei häufig mehr die einer<br />
kolonialen Eroberung denn einer Partnerschaft. 79<br />
Die mit einer solchen feudalistischen Haltung verbundene Tendenz, die Organisations-<br />
kultur sowie Unterschiede, die für die beiden Organisationen einen Unterschied<br />
machen 80 zu ignorieren, nimmt nach NAHAVANDI und MALEKZADEH mit der Ähnlich-<br />
keit des Geschäfts der beiden Organisationen zu. 81 Je mehr der Käufer davon über-<br />
zeugt ist, dass er die Regeln des Geschäfts versteht, um so weniger wird er offen sein<br />
für andere Perspektiven. „Ironically, a good strategic fit can contribute to a one-sided<br />
colonialistic approach”. 82<br />
In Übereinstimmung mit dem in der Regel analytischen Vorgehen wird dement-<br />
sprechend die Integrationsphase häufig getrennt und unabhängig von der vorher-<br />
gehenden Akquisitionsphase betrachtet. Sie ist nicht mehr Teil des Zusammenschluss-<br />
prozesses. 83 Es findet somit eine erneute sequentielle Trennung von Strategieformulie-<br />
rung (hier der Akquisition) und der Strategieumsetzung (hier der Integration) statt.<br />
78 Dieser Schluss entspricht einer reduktionistischen Logik, die Phänomene und neue Eigenschaften des Ganzen<br />
auf Altes und die Teile eines Systems zurückgeführt. Dies widerspricht allerdings der, in der Formel 1 + 1 =<br />
mehr <strong>als</strong> 2 zum Ausdruck gebrachten Hoffnung auf die Emergenzwirkung von Unternehmenszusammen-<br />
schlüssen – dem „mehr <strong>als</strong> 2“. Der Emergentismus hingegen begreift Altes und Systemteile <strong>als</strong> notwendig,<br />
aber nicht hinreichend, für das Auftauchen von Neuem. Er ermöglicht, dass das Neue <strong>als</strong> mehr <strong>als</strong> das Alte<br />
und das Ganze <strong>als</strong> mehr <strong>als</strong> die Summe seiner Teile betrachtet wird. Als Beispiel für einen Reduktionismus<br />
sei erwähnt, dass die Eigenschaften von neuen Atomanordnungen im voraus bei Kenntnis der<br />
Atomeigenschaften vorhersagbar sind. Neue Eigenschaften werden dabei <strong>als</strong>o in reduktionistischer Manier<br />
durch alte erklärt. Von einer solchen deterministischen Auffassung der physikalischen Welt ist man in der<br />
Physik aber inzwischen bedingt u.a. durch die Quantenmechanik und die Heisenbergesche Unschärferelation<br />
abgegangen.<br />
79 Hierzu passt die Bemerkung eines Interviewpartners, der maßgeblich an einem Merger of Equ<strong>als</strong> in dieser<br />
Studie beteiligt war: „Wir haben sie eigentlich übernommen“.<br />
80 Vgl. Bateson, 1981.<br />
81 Vgl. Nahavandi und Malekzadeh, 1994.<br />
82 Vgl. Deiser, 1994.<br />
83 Vgl. Albrecht, 1994.
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
Aus Sicht des in dieser Arbeit vertretenen prozessualen Organisationsverständnisses 84<br />
muss allerdings davon ausgegangen werden, dass von den Entscheidungen und dem<br />
Vorgehen aus der Akquisitionsphase weitgehende Wirkungen auf den weiteren<br />
Integrationsverlauf ausgehen. Eine längerfristige und umfassende Zeitperspektive des<br />
Zusammenschlussprozesses scheint nicht zuletzt deshalb auch schon berechtigt, weil<br />
die meisten Fusionen nach einer Zeit von 5-7 Jahren scheitern. Eine zeitliche Engfüh-<br />
rung des Betrachtungshorizonts auf i.d.R. ca. 2 Jahre ist daher verwunderlich.<br />
Für die Umsetzung strategischen <strong>Wandel</strong>s weisen BEER ET AL. darauf hin, dass<br />
konkrete Handlungen von wesentlicher Bedeutung sind. Es bedarf geschäftsbezogener<br />
konkreter strategischer <strong>Wandel</strong>initiativen, um den organisationalen <strong>Wandel</strong> und insbe-<br />
sondere die Änderung von Strukturen und Verhalten zu erreichen. 85 Dies widerspricht<br />
den Annahmen, dass organisationaler <strong>Wandel</strong> und eine Änderung im Verhalten der<br />
Organisationsmitglieder durch abstrakte <strong>Wandel</strong>programme und die formale Änderung<br />
der Organisationsstruktur erreicht werden kann. 86 BEER ET AL. resümieren in ihrer<br />
Studie deshalb: “Successful change efforts focus on the work itself, not on abstractions<br />
like participation or culture”. 87<br />
Die folgende Studie untersucht deshalb am Beispiel des strategischen <strong>Wandel</strong>s in Post-<br />
Merger-Phasen die längerfristige Bedeutung von <strong>Wandel</strong>initiativen für die<br />
Entwicklung von Organisationsprozessen (Handlungs- bzw. Projektverläufe) und<br />
Organisationsstrukturen (Regeln, Interpretationsschemata).<br />
2.1.5 Organisationale <strong>Prozess</strong>e statt struktureller Fit<br />
Warum die Fokussierung auf konkrete <strong>Wandel</strong>initiativen? BEER ET AL. weisen in ihrer<br />
Studie darauf hin, dass erfolgreiche strategische <strong>Wandel</strong>initiativen dadurch gekenn-<br />
zeichnet waren, dass Manager „ad hoc organizational arrangements to solve concrete<br />
business problems“ initiieren. 88 Die „organizational arrangements“ stellen in der Regel<br />
84 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 5.<br />
85 Vgl. Beer, et al., 1990.<br />
86 Vgl. Fischer, 2002; Beer, et al., 1990.<br />
87 Vgl. Beer, et al., 1990. Dies entspricht auch der strukturationstheoretischen Grundüberlegung, dass sich<br />
Änderungen in den Strukturen sozialer Systeme nur in konkreten Handlungen zeigen. Vgl hierzu Kapitel ???<br />
in dieser Arbeit.<br />
88 Vgl. ebenda.<br />
45
46<br />
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
strategische <strong>Wandel</strong>initiativen dar und lassen sich <strong>als</strong> Lernarenen und Werkstätten be-<br />
greifen, innerhalb derer neue organisationale Strukturen und Handlungen entstehen. 89<br />
Dieses empirische Ergebnis wird durch eine Reihe von theoretischen Ansätzen ge-<br />
stützt, die in diesem einleitenden Kapitel nur kurz angedeutet werden können. 90 So<br />
weisen VAN MAANEN und BARLEY auf die anthropologische Auffassung hin, dass,<br />
wenn sich beteiligte Akteure begegnen, die gemeinsame Auseinandersetzung und das<br />
Lösen von Problemen zur Entstehung gemeinsamer Werte, Normen, Praktiken und<br />
Einstellungen führt 91 . Der <strong>Prozess</strong> des Anerkennens, des Übereinstimmens und des<br />
gemeinsamen Lösens von Problemen wirkt dabei verstärkend auf die Kombination<br />
verschiedener Kulturen oder Systeme. VON KROGH beschreibt hierzu beispielhaft den<br />
Fall zweier ehem<strong>als</strong> im Wettbewerb stehender Organisationen, die nach der Fusion<br />
weiterhin um gemeinsame Kunden konkurrierten. Erst die intensive gemeinsame<br />
Erörterung der negativen Konsequenzen dieser kompetitiven Haltung führte zu einem<br />
neuen kooperativen Verhalten der Beteiligten. 92<br />
Nach interaktionistischen Ansätzen kann die Identität eines sozialen Systems nicht <strong>als</strong><br />
statische Rollenbeschreibung, sondern nur <strong>als</strong> das Ergebnis eines dynamischen Inter-<br />
aktionsprozesses verstanden werden. 93 Durch die Aktion und Reflexion korrespon-<br />
dierender Erfahrungen durchläuft die Identität eines Systems einen ständigen <strong>Prozess</strong><br />
der Entwicklung. Die „frames of references“ werden somit ständig neu generiert. 94<br />
Dieser <strong>Prozess</strong> ist vergleichbar damit, was WEICK ALS „<strong>Prozess</strong> des Organisierens“<br />
beschreibt. Er ist geprägt von einem rekursiven <strong>Prozess</strong>verständnis, wie es auch<br />
LUHMANN in Anlehnung an das Konzept der Autopoiesis von MATURANA und<br />
VARELA verwendet 95 .<br />
89 Vgl. zum Begriff der Lernarchitektur insbesondere den Projektbericht des Forschungsteams Learning<br />
Dynamics, 1999.<br />
90 Vgl. ausführlicher insbesondere das Kapitel 4.3 zu Implikationen eines strukturationstheoretischen und<br />
systemischen Organisationsverständnisses.<br />
91 Vgl. van Maanen und Barley, 1986. Im Sinne von Giddens Theorie der Strukturierung stellen die bei der<br />
Arbeit entstehenden gemeinsamen Werte, Normen, Praktiken und Einstellungen nicht intendierte Handlungs-<br />
konsequenzen dar. Vgl. Giddens, 1997.<br />
92 Vgl. von Krogh, et al., 1994.<br />
93 Vgl. Parson, 1959.<br />
94 Vgl. Nadler und Tushman, 1989.<br />
95 Vgl. Luhmann, 1984, [Maturana, 1987 #429].
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
Nach dieser systemischen Auffassung führt die sprachliche Koordinierung in sozialen<br />
Systemen dazu, dass sich die Beteiligten auf bestimmte gemeinsame Themen einigen<br />
und einen gemeinsamen Sinn konstituieren. Der Sinn kann eine Ehe oder ein Projekt-<br />
ziel sein, wie z.B. ein gemeinsames Forschungsinteresse oder ein Buch zu verfassen.<br />
Ein System bildet sich <strong>als</strong>o um ein Drittes herum, welches damit zum organisierenden<br />
Prinzip wird, um das die Beteiligten ein Kommunikationssystem aufbauen.<br />
Wenn Systeme sich <strong>als</strong>o um Probleme oder Aufgaben herum bilden, dann erzeugt ein<br />
System nicht ein Problem, sondern ein Problem erzeugt ein System. Dies widerspricht<br />
der häufig anzutreffenden Annahme, dass eine Organisation ein Problem „hat“. Es ist<br />
aus systemischer Sicht genau umgekehrt: Durch ein Verhalten oder Thema und durch<br />
die Kommunikation über dieses Thema oder Problem entsteht ein dadurch geprägtes<br />
Sozi<strong>als</strong>ystem. 96<br />
Es liegt nahe, dass deshalb nicht Fragen nach der Ursache des Problems i.S.v. „wie<br />
kam es zu dem Problem?“, sondern Fragen nach der Aufrechterhaltung i.S.v. „wozu ist<br />
es gut, dass das Problem besteht“, „was braucht dadurch nicht geändert zu werden“<br />
oder „wozu dient es dem System“, gestellt werden sollten. So muss sich häufig nicht<br />
das System verändern, sondern die Kommunikation über das, was <strong>als</strong> Problem von den<br />
verschiedenen Beteiligten definiert wird. 97<br />
Ein attraktiver systemischer Erklärungsansatz zur Thematik der Kulturberührung von<br />
zwei sozialen Systemen stellt die Theorie der Schismogenese dar. BATESON beschreibt<br />
darin, wie die fortschreitende Veränderung komplementärer oder symmetrischer<br />
Beziehungen zu einer Verstärkung des bestehenden Interaktionsmusters führt. Dies<br />
beruht auf der ungedämpften oder unkorrigierten positiven Rückkopplungen im<br />
System.<br />
Zur Auflösung solcher <strong>Prozess</strong>e kommt es nach BATESON, wenn sich die beiden<br />
Gruppen in Relation zu einem dritten Element vereinigen (Problem/Aufgabe). Dieses<br />
kann ein gemeinsames Projekt oder gemeinsame Abhängigkeiten sein, von denen die<br />
Existenz aller abhängt. „Löwe und Lamm legen sich zusammen hin, wenn es nur stark<br />
genug regnet“.<br />
96 Vgl. Schlippe und Schweitzer, 1997.<br />
47
48<br />
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
Aus strukturationstheoretischer Sicht können <strong>Prozess</strong>e, wie sie etwa in strategischen<br />
Integrationsprojekten ablaufen <strong>als</strong> ein gemeinsamer Handlungsstrom verstanden<br />
werden, die eine gemeinsame Struktur schafft. Die gemeinsame Struktur ermöglicht<br />
wiederum gemeinsame Handlungen 98 . Die zufällige Übereinstimmung von Aspekten<br />
der Unternehmenskultur, wie z.B. eine starke Wettbewerbskultur, Hierarchie-<br />
orientierung oder eine Konsenskultur, reicht nicht aus, um eine gemeinsame Struktur<br />
zu bilden und neue gemeinsame Handlungen zu ermöglichen. Außerdem stellt sich bei<br />
einer solchen Betrachtung stets die Frage, wer eine solche Übereinstimmung<br />
beobachtet bzw. bewertet.<br />
Eine solche prozessuale Betrachtungsweise entspricht nicht einer auf Kompatibilität<br />
ausgerichteten statischen „Fit“-Analyse, sondern eher einem <strong>Prozess</strong> der Verfertigung<br />
oder Strukturierung. Die nachfolgenden Ereignisse bzw. Ereignisströme müssen dabei<br />
anschlussfähig an den zurückliegenden Ereignisstrom sein.<br />
In diesem Sinne kann nach VON KROGH das Management von Post-Merger-Integration<br />
<strong>als</strong> ein Strategieimplementierungsprozess verstanden werden. 99 Dabei ist eines der<br />
wesentlichen Probleme, dass die beteiligten Organisationen nicht die gleiche<br />
Geschichte teilen, unterschiedliche Handlungsströme aufweisen, unterschiedliche<br />
Regeln befolgen und nicht die gleiche Sprache sprechen. Die gemeinsame<br />
Auseinandersetzung über ein solches Initiative, wie z.B. die Einführung einer<br />
Balanced Scorecard (BSC) oder eines neuen Geschäftsprozesses bietet die<br />
Möglichkeit, gemeinsam neue Geschichte zu schaffen.<br />
Fasst man die anthropologische, systemische, organisationstheoretische und struktura-<br />
tionstheoretische Argumentation zusammen, so kann man für die Integration und<br />
Fusion eines gemeinsamen Systems schließen, dass durch die gemeinsame Arbeit an<br />
einem Problem oder einer Aufgabe (Projekt) eine gemeinsame Kultur bzw. Struktur im<br />
Sinne neuer gemeinsamer und verbindlicher Regeln errungen bzw. geschaffen wird.<br />
Ein neues System entsteht <strong>als</strong>o gerade in der Auseinandersetzung mit einem Problem.<br />
Neue (fusionierte) Organisationen bilden sich nur an neuen Problemen oder Aufgaben,<br />
97 Diese Auffassung entspricht auch dem systemtheoretischen Verständnis von [Luhmann, 1984 #217]. Eine<br />
ähnliche Perspektive auf die Entstehung von Organisationen liegt dem Garbage Can model zugrunde.<br />
Demnach suchen häufig Lösungen nach Problemen, anstatt dass für Probleme Lösungen gefunden werden.<br />
98 Vgl. Giddens, 1997.<br />
99 Vgl. von Krogh, et al., 1994.
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
sie werden in Handlungen und <strong>Prozess</strong>en, in der Kommunikation und Problembe-<br />
arbeitung erschaffen.<br />
Wie ein solcher <strong>Prozess</strong> aussehen kann, ähnelt der folgenden Beschreibung von VON<br />
KROGH 100 :<br />
Die Manager der kaufenden Firma und der gekauften Firma kommen zusammen, sie versuchen,<br />
bestimmte Entscheidungen zu treffen, eine bestimmte Sprache zu sprechen, sie<br />
tauschen Daten aus und lesen die Reaktionen ihrer Gegenüber. Es gibt eine bestimmte<br />
"evolution of fitting together“ 101 , wenn eine Verbesserung der Kommunikation durch eine<br />
Sequenz von Interaktionen erreicht wird. Einige Pläne und Ideen werden vorgeschlagen aber<br />
niem<strong>als</strong> ausgeführt, einige Definitionen benutzt, aber letztendlich wieder ersetzt, einige Daten<br />
und Informationen präsentiert, aber nach einer Weile verworfen.<br />
2.1.6 7 Thesen zur Post-Merger-Integration<br />
Im Folgenden werden einige Leitthesen, die im Verlaufe der weiteren Arbeit themati-<br />
siert werden, zusammenfassend dargestellt. Sie wollen in kurzer und provokativer Art<br />
insbesondere die gängige Weise herausfordern, wie das Phänomen der Post-Merger-<br />
Integration üblicherweise verstanden wird.<br />
• Die diskursive Konstruktion eines kulturellen Fits erhöht tendenziell die<br />
Wahrscheinlichkeit, dass relevante Unterschiede nicht wahrgenommen werden<br />
oder diesen keine Bedeutung zugemessen wird. 102<br />
• Die diskursive Konstruktion eines kulturellen Fits führt u.U. zur Bildung von<br />
Immunreaktionen im Sinne der Schismogenese. 103<br />
• Zur Durchführung einer Integration bedarf es einer „Metakultur“, d. h. einer<br />
Kultur des Umgangs mit den kulturellen Unterschieden. 104<br />
• Der Versuch, die Integration nach dem Prinzip „Auswahl der jeweils besten<br />
100 Vgl. ebenda.<br />
Systeme oder Mitarbeiter“ zu gestalten, führt zu einer desintegrierenden und<br />
101 Vgl. Bateson, 1979.<br />
102 Vgl. Deiser, 1994.<br />
103 Vgl. Bateson, 1981.<br />
104 Vgl. Jansen, 2000a.<br />
49
50<br />
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
u.U. eskalierenden Verstärkung der Differenzierung im Sinne eines „entweder-<br />
oder“ anstatt der integrierenden Erfahrung im Sinne eines „Beides“ 105 .<br />
• Um „Beides“ zu erreichen, bedarf es konkreter organisationaler Handlungen<br />
(z.B. konkreter Initiative), in denen neue Strukturen 106 erkennbar geschaffen<br />
werden und die über das Entweder-Oder hinaus gehen.<br />
• Einen Beitrag zur Integration leisten nur solche Initiativen, die anschlussfähig<br />
an den bestehenden Handlungsstrom sind. 107<br />
• Eine von konkreten inhaltlichen Herausforderungen losgelöste Thematisierung<br />
der Kultur bei Fusionen führt dazu, dass Kultur von vornherein <strong>als</strong> Problem<br />
diskutiert wird. 108<br />
2.1.7 Fazit Post-Merger-Integration<br />
Post-Merger-Integrationen stellen eine große Herausforderung für Organisationen und<br />
ihr Management dar. Als eine besonders einschneidende Form des organisationalen<br />
<strong>Wandel</strong>s zeigen sie Konsequenzen auf der Inhalts- wie auch auf der Beziehungsebene.<br />
Das bestehende Orientierungswissen, das Manager und Forscher zur Gestaltung von<br />
Integrationsprozessen und zur Erklärung von <strong>Wandel</strong>phänomenen zugrunde legen, ist<br />
allerdings vor allem geprägt durch die statische Logik eines strategischen,<br />
organisationalen und kulturellen Fits. Als Schlüssel zur Integration gilt somit eine<br />
Sachlogik, die sich vor allem an der Kompatibilität von Abläufen, Strukturen und (IT-)<br />
Schnittstellen orientiert.<br />
Sowohl epistemologisch <strong>als</strong> auch empirisch erscheinen dagegen die Gestaltung von<br />
Beziehungsprozessen und die damit verbundenen Sinnbildungs- und Konstruktions-<br />
leistungen wesentlich erfolgskritischer zu sein. Es ist somit nur konsequent, wenn sich<br />
die Forschungsfrage auf die Untersuchung von identitätsbildenden <strong>Prozess</strong>en im Sinne<br />
der Verfertigung einer neuen Wirklichkeitsordnung im Rahmen von Unternehmens-<br />
zusammenschlüssen konzentriert. Im folgenden Kapitel wird daher das Thema der<br />
organisationalen Identität, insbesondere der identitätsbildenden <strong>Prozess</strong>e vorgestellt.<br />
105 Vgl. die Eingangsdarstellung zum Tetralemma des <strong>Wandel</strong>s.<br />
106 Vgl. zum Begriff der Strukturen insbesondere Kapitel 4.1.<br />
107 Vgl. zum Begriff der Anschlussfähigkeit insbesondere Kap. 4.2.3.
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
2.2 Identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />
Die identitätsbildenden <strong>Prozess</strong>e in Post-Merger-Phasen stellen einen Kristallisations-<br />
punkt dar, an dem sich die Implikationen organisationalen <strong>Wandel</strong>s für (immaterielle)<br />
Organisationsstrukturen angemessen beobachten lassen. Das Konstrukt der<br />
organisationalen Identität scheint ein besonders fruchtbares Forschungsfeld zu sein, da<br />
es bislang wenig erforscht wurde. Zudem ermöglicht es eine Verbindung zwischen<br />
einer „Theory of action“ und einer „Theory of strategy“ und ist <strong>als</strong>o von<br />
herausragender Bedeutung für den organisationalen <strong>Wandel</strong>. 109<br />
2.1 Post-Merger-Integration<br />
und organisationaler <strong>Wandel</strong><br />
2. Hintergrund und Fokus der<br />
Forschungsfrage<br />
2.3 Forschungsfrage<br />
2.2 Identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e<br />
organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />
Abbildung 10: Gedankenfluss Kapitel 2<br />
Das nachfolgende Kapitel 2.2 entwickelt daher ausgehend von einer kollektiven<br />
Identitätsvorstellung eine Definition organisationaler Identität und untersucht deren<br />
Bedeutung in der Strategie- und <strong>Wandel</strong>forschung. Darauf aufbauend wird in<br />
Abgrenzung von einer eher entitativen Identitätsvorstellung eine Vorstellung<br />
<strong>identitätsbildender</strong> <strong>Prozess</strong>e dargestellt. Diese Betrachtung dient insbesondere zur<br />
Vorbereitung der Forschungsfrage in Kapitel 2.3.<br />
2.2.1 Von der individuellen zur kollektiven Identität<br />
Nach GIOIA beeinflusst kaum ein anderes Konzept menschliche Handlungen und<br />
Interpretationen so sehr wie das der Identität. Daher scheint es auch nicht erstaunlich,<br />
dass die Identität von zentraler Bedeutung für das Verständnis von Organisationen<br />
ist. 110<br />
108 Vgl. Jansen (2002), S. 6ff.<br />
109 Vgl. Bouchikhi, et al., 1999.<br />
110 Vgl. Gioia, 1999.<br />
51
52<br />
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
Während PLATO Identität <strong>als</strong> eine Form ansah, die metaphysisch existierte und sich<br />
jeweils individuell unterschiedlich zeigte, findet man bei ARISTOTELES bereits<br />
Hinweise, dass das Selbst auch aus mehreren Identitäten bestehen kann. 111<br />
Identität stellt so gesehen den Kern des Seins dar, den nachvollziehbaren roten Faden<br />
des „Ichs“ über die Zeit und das, was die Person (auch die Organisation) unterscheidet<br />
von anderen Menschen oder sozialen Einheiten. Nach WEICK stellt diese Zurechnung<br />
individueller Identität in einem sozialen Umfeld einen sehr mehrdeutigen <strong>Prozess</strong> dar.<br />
Erst die Mehrdeutigkeit erlaubt es, die Komplexität verschiedener paradoxer „beliefs“<br />
zu bewältigen. 112 Ganz im Sinne JAMES („a man has as many social selves as there are<br />
individu<strong>als</strong> who recognize him”) 113 widerspricht dies sowohl der Auffassung von einer<br />
einheitlichen <strong>als</strong> auch einer sozial- und kontextunabhängigen Identitätsvorstellung.<br />
Aus sozialwissenschaftlicher Sicht haben insbesondere GOFFMAN, ERICKSON und<br />
GERGEN dazu beigetragen, Identität <strong>als</strong> einen Rahmen des Selbstverständnisses zu<br />
betrachten, der geformt und erhalten wird durch die soziale Interaktion. Demnach<br />
lernen Individuen über die persönliche und symbolische Interaktion mit anderen, sich<br />
selbst sozial konstruierte Labels zuzuschreiben. Identität wird damit zu einem<br />
relationalen <strong>Prozess</strong>. Es handelt sich stets um eine simultane Konstruktion von Ich<br />
und Kollektiv. 114<br />
Die organisationale Identität <strong>als</strong> eine Form einer kollektiven Identität ist kein<br />
kategorialer Unterschied, sondern nur ein Sprung auf die nächste Analyseebene im<br />
Sinne eines Übergangs vom Individuum über die Gruppe zur Organisation. Damit<br />
ermöglicht das Konzept oder die Frage nach der organisationalen Identität eine von<br />
PETTIGREW geforderte Mehrebenenbetrachtung strategischer <strong>Prozess</strong>e. 115<br />
Organisationale Identität stellt eine Brücke zwischen der Ebene des Individuums, der<br />
Gruppe und der Organisation her. Sie verbindet die Makro- und Mikroebene der<br />
simultanen Identitätskonstruktion von Individuum und Organisation miteinander ohne<br />
111 Vgl. Aristoteles, 1978 und 1980; Platon, 1967.<br />
112 Vgl. Weick, 1985b.<br />
113 Vgl. James, 1918.<br />
114 Vgl. Goffman, 1959; Erickson, 1964; Gergen, 1985.<br />
115 Vgl. Kapitel 3.3.3 und Pettigrew, 1990.
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
die wechselseitige Enstehung der jeweiligen Identität in der Relation zwischen dem<br />
Individuum und der Organisation zu trennen. 116<br />
2.2.2 Was ist organisationale Identität?<br />
Organisationale Identität ist ähnlich wie der Begriff der Organisationskultur ein<br />
Konstrukt, das die soziale Dimension einer Organisation, insbesondere das Selbstver-<br />
ständnis der Organisation abbildet.<br />
Mit der Frage nach der organisationalen Identität, nach den essentiellen Elementen der<br />
Organisation wird selbstreflektiv gefragt, wie die Organisation bzw. die Mitglieder<br />
einer Organisation sich selbst wahrnehmen. Diese Frage ist aus systemisch-<br />
konstruktivistischer Perspektive von außerordentlicher Bedeutung, da jeglicher Wahr-<br />
nehmungs- und Interpretationsprozess – gerade im Rahmen organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />
– stark vom Selbstverständnis und der Einbindung der Organisationsmitglieder in den<br />
organisationalen Diskurs abhängen.<br />
Aber was ist organisationale Identität und warum ist sie aus Sicht der Organisations-<br />
forschung von Interesse? Die Diskussion um organisationale Identität wurde 1985<br />
durch den Artikel von ALBERT und WETTEN angestoßen. Sie stellten fest, dass bereits<br />
anscheinend kleinste Veränderungen im Aufbau oder in den <strong>Prozess</strong>en einer<br />
Organisation eine unkontrollierbare Erosion des organisationalen und teilweise<br />
persönlichen Selbstverständnisses auslösen konnte. Sie definierten die organisationale<br />
Identität daraufhin allgemein <strong>als</strong> das, was die Mitglieder einer Organisation glauben,<br />
das „central, enduring and distinctive“ bezüglich ihrer Organisation sei. 117<br />
Wenngleich diese Definition nicht im strengen Sinne einer aristotelischen Logik den<br />
Definitionsbereich abgrenzt, sondern eher ein Bedeutungsfeld eröffnet, das im Sinne<br />
der Wittgensteinschen Vorstellung eine Familienähnlichkeit impliziert, schafft diese<br />
Defintion einen Verständnisrahmen, der insbesondere zur Austausch mit anderen<br />
Konstrukten einlädt. In diesem Sinne eröffnet die von ALBERT und WHETTEN<br />
vorgesschlagene allgemeine Definition gerade für die qualitative Forschung eine breite<br />
Vielzahl von Anknüpfungspunkte.<br />
116 Vgl. Kramer, 1993.<br />
117 Vgl. Albert und Whetten, 1985.<br />
53
54<br />
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
Nachfolgende Autoren beschrieben dagegen die organisationale Identität wesentlich<br />
eingeschränkter u.a. <strong>als</strong> „strategically planned and operationally applied internal and<br />
external self-representation“. Damit wird wesentlich stärker die Möglichkeit eines<br />
Identitätsmanagements impliziert. 118<br />
Andere theoretische Ansätze verwenden keine Identitäsinhalte zur Definition,<br />
schränken aber durch die genaues Vorstellung, wie eine Identität entsteht ihre<br />
Anschlussfähigkeit an benachbarte Disziplinen stark ein. So definiert etwa die die<br />
soziale Identitätstheorie Identität <strong>als</strong> eine Selbstdefinition, die aus den Definitionen<br />
anderer entwickelt wird. 119<br />
In der folgenden Untersuchung strategischer <strong>Wandel</strong>prozesse soll daher der allge-<br />
meinen Definition von ALBERT und WHETTEN mit den drei Defintionskriterien der<br />
Zentralität, Beständigkeit und Unterschiedlichkeit organisationaler Identität im<br />
wesentlichen gefolgt werden: Auf die Bedeutung der Zentralität weisen bereits GIOIA<br />
und THOMAS hin, da sich strategischer <strong>Wandel</strong> nach ihrer Ansicht stets auf zentrale<br />
Aspekte der Identität bezieht. Umstrittener scheint dagegen, inwieweit sich die, durch<br />
die Organisationen selbst wahrgenommenen Unterschiede zwischen den<br />
Organisationen, durch die vielen Anstrengungen zur Imitation wie z.B. eines<br />
Benchmarkings verändern (lassen). 120 Nicht nur aus systemischer Sicht scheint dieses<br />
Argument allerdings zu kurz zu greifen, da sich die impliziten Wissensstrukturen und<br />
die damit verbundenen latenten Unterscheidungen, welche der organisationalen<br />
Identität zugrunde liegen, einer direkten Imitation bzw. Reproduktion weitgehend<br />
entziehen.<br />
Kritisch muss angesichts der zunehmenden Dynamik organisationaler Entwicklung das<br />
Kriterium der Beständigkeit der organisationalen Identität gesehen werden, soweit es<br />
sich auf blosse Identitätsinhalte bezieht 121 . Im Folgenden wird deshalb nicht von einer<br />
statischen Vorstellung inhaltlicher Konstanz, sondern von der Beständigkeit im Sinne<br />
einer Anschlussfähigkeit neuer zentraler Identitätselemente an die bestehende Struktur<br />
ausgegangen. 122<br />
118 Vgl. Van Riel, 1995, S. 17.<br />
119 Vgl. Schlenker, 1980.<br />
120 Vgl. Gioia und Thomas, 1996.<br />
121 Vgl. Kapitel Organisationale Identität und <strong>Wandel</strong>.<br />
122 Vgl. dazu insbesondere Kapitel 5.
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
Es ist allerdings wichtig, bei allen drei Kriterien zu betonen, dass sie ermöglichen, das<br />
was zentral, beständig und unterschiedlich ist, jeweils aus der Perspektive der<br />
Organisation bzw. der Organisationsmitglieder zu beurteilen.<br />
Über die Charakteristiken der Zentralität, Unterschiedlichkeit und Beständigkeit<br />
hinaus können Identitäten weiter variieren. Nach REGER stellen folgende Aspekte<br />
wichtige Dimensionen organisationaler Identität dar:<br />
1. Homogenität: Grad, in dem die Mitglieder einer Organisation einen gemein-<br />
samen Set an „beliefs“ über eine Organisation teilen<br />
2. Intensity (Conviction): Die Stärke der „beliefs“ und der Grad positiver Affekte<br />
gegenüber dieser Identität<br />
3. Komplexität: Anzahl an „beliefs“, aus denen die Identität besteht, sowie die<br />
Anzahl an Identitäten<br />
4. Abstraktheit: Ausmaß, in dem die Identität in abstrakter Sprache formuliert ist<br />
5. Inhalt: was Gegenstand der Identität ist<br />
6. Kontext: der interne und externe Kontext; Identität ist abhängig von der<br />
Geschichte des Entstehens (path-depency) 123<br />
Die Dimensionen sollen im Folgenden dazu dienen, mögliche Veränderungen der<br />
Identität auf der Beziehungsebene nachzuvollziehen. Sie werden im Rahmen der<br />
Untersuchung der identitätsbildenden Wirkung strategischer Initiativen deshalb immer<br />
wieder zur Beschreibung der Veränderung der organisationalen Identität heran-<br />
gezogen.<br />
2.2.3 Organisationale Identität in der Strategieforschung<br />
Warum ist das Konzept der organisationalen Identität für die Strategieforschung von<br />
Bedeutung? Die Strategieforschung untersucht die Ursache und das Zustandekommen<br />
nachhaltiger Wettbewerbsvorteile und Performance-Unterschiede von Organisationen.<br />
PORTER führte vor allem strukturelle Charakteristika der betroffenen Industriezweige<br />
123 In Anlehnung an Reger, et al., 1998.<br />
55
56<br />
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
und Vorteile einer Organisation in einem Wettbewerbsumfeld <strong>als</strong> Gründe für<br />
nachhaltige Wettbewerbsvorteile an. 124<br />
Schnell wurde indes klar, dass dies die Annahme der Homogenität der Firmen<br />
implizierte keinen hinreichende Erklärung für Unterschiede zwischen den Firmen<br />
darstellte. Die strukturellen Charakteristika von Industriezweigen konnten die<br />
unterschiedlichen Fähigkeiten und Performance-Unterschiede innerhalb eines gleichen<br />
Wettbewerbsumfelds nicht erklären. Insbesondere blieb offen, warum einige Firmen<br />
auch in schlechten Wettbewerbsumfeld bessere Performance erreichten <strong>als</strong> andere.<br />
Diese Unterschiede wurden Ausgangspunkt für die „resource-based view“, die in den<br />
organisationalen Fähigkeiten und Ressourcen den wesentlichen Wettbewerbsvorteil<br />
sieht. 125 Wettbewerbsvorteile werden nach der „resource-based view“ nicht mehr nur<br />
in der Teilnahme an einem lukrativen Wettbewerb, sondern vor allem in Fähigkeiten<br />
und Ressourcen der Organisation gesehen. Der Vorteil hängt allerdings von der Asym-<br />
metrie bzw. der Einzigartigkeit der Ressourcen ab: Nur wenn es sich um nicht oder nur<br />
schwer imitierbare Wettbewerbsvorteile handelt, kann die schnelle Diffusion verhin-<br />
dert werden. Dieser „Asymmetrietest“ wird allerdings nur von wenigen Strategie-<br />
inhalten bestanden. 126<br />
Bei der Suche nach nicht imitierbaren Wettbewerbsvorteilen fiel das Augenmerk auf<br />
das Potential organisationaler <strong>Prozess</strong>e, Routinen und Kulturen, da diese „invisible<br />
assets“ 127 schwer nachzuahmen sind. 128 Das wissenschaftliche Interesse konzentrierte<br />
sich in der Folge vor allem auf interne <strong>Prozess</strong>e und soziale Phänomene. Man begann,<br />
nachhaltige Wettbewerbsvorteile nicht mehr so sehr in spezifischen expliziten<br />
Wettbewerbsinhalten zu sehen, sondern im Management sozial komplexer Verhaltens-<br />
phänomene und -prozesse.<br />
Gerade die Suche nach schwer zu imitierenden und sozial komplexen internen<br />
Ressourcen hat das Interesse an der organisationalen Identität geweckt. Als minimaler<br />
Konsens wird die organisationale Identität dabei <strong>als</strong> die Theorie oder das Verständnis<br />
der Organisation oder der Organisationsmitglieder von sich selbst angenommen.<br />
124 Vgl. Porter, 1980.<br />
125 Vgl. Wernerfeld, 1984; Barney, 1986; Barney, 1991.<br />
126 Vgl. Lippman und Rumelt, 1982.<br />
127 Vgl. Itami, 1987.<br />
128 Vgl. Barney, 1991; Schoemaker, 1990.
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
Organisationale Identität stellt damit, ähnlich z.B. der „dominant logic“ 129 oder der<br />
„theory of the business“ 130 , das Konzept einer Wissensstruktur oder eines Schemas<br />
dar. WALSH identifiziert in einer Untersuchung mehr <strong>als</strong> 75 solcher Konzepte. 131 .<br />
Die strategische Bedeutung der organisationalen Identität besteht vor allem darin, dass<br />
sie die Annahmen beeinflusst, die den strategischen, organisationalen und operatio-<br />
nalen Entscheidungen der Organisationsmitglieder zugrunde liegen. 132 Dies gilt insbe-<br />
sondere für die im Nachfolgenden untersuchten, dezentral strukturierten Organi-<br />
sationen. Der Identität kommt in ihnen nach BICKMANN 133 eine Klammerfunktion zu.<br />
Sie beinhaltet gerade für dezentrale Unternehmen mit Hilfe eines integrativen<br />
Identitätsmanagements die Möglichkeit, „den Laden zusammenzuhalten“. Die Identität<br />
liefert gewissermassen die „Sinnklammer“ oder den „Kitt“, der die Zentrifugalkräfte<br />
der Sub-Einheiten in einem Konzerngefüge zusammenhalten kann. 134<br />
Solange die Organisationsmitglieder dabei mit der Entwicklung zufrieden sind oder<br />
mit der Unzufriedenheit leben können, d.h. kein (handlungs-)relevanter Unterschied<br />
auftritt, entsprechen die Handlungsmuster der bisherigen Identität. Die Handlungen<br />
verstärken damit unbewusst das zugrundeliegende organisationale Identitätsmuster.<br />
Die folgende Abbildung veranschaulicht diesen dualen Zusammenhang:<br />
Strategische<br />
Handlungen<br />
Organisationale<br />
Identität<br />
Abbildung 11: Dualität strategischer Handlungen und organisationaler Identität<br />
129 Vgl. Prahalad und Bettis, 1986.<br />
130 Vgl. Drucker, 1994.<br />
131 Vgl. W<strong>als</strong>h, 1995.<br />
132 Vgl. Dutton und Dukerich, 1991, Gustafson und Reger, 1995.<br />
133 Vgl. Bickmann, 1999.<br />
134 Vgl. ebenda.<br />
57
58<br />
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
Zur Erforschung von Fragen der Identität oder der Identitätsbildung empfiehlt sich<br />
nach ALBERT die qualitative Vorgehensweise, da man zur Beantwortung der Frage<br />
„wer bin ich?“ ein Subjekt, Objekt und ein Verb benötigt und nicht eine Zahl oder eine<br />
Phrase braucht. 135<br />
Aus konstruktivistischer Sicht verlagert sich der Fokus auf die Frage, wie die Mit-<br />
glieder einer Organisation kollektiv ein Verständnis dafür entwickeln, wer sie sind. Es<br />
geht <strong>als</strong>o aus dieser Perspektive nicht um eine objektive und statische Identität,<br />
sondern um die Entwicklung von Bedeutungsstrukturen, die zwischen den Akteuren<br />
ständig aufs Neue ausgehandelt werden. Die Akteure streben dabei nach einer Konver-<br />
genz und Stabilität der Bedeutung. 136<br />
Mit dieser Beschreibung wird bereits deutlich, dass sich bei der Analyse der Identität<br />
ein interpretativer Zugang empfiehlt. Denn so kann untersucht werden, wie die<br />
Organisation über <strong>Prozess</strong>e des Sensemaking ihre Bedeutungssysteme etabliert. Der<br />
Fokus einer solchen Vorgehensweise muss sich vor allem auf <strong>Prozess</strong>e und Praktiken<br />
stützen, die das Selbstverständnis der Organisation ermöglichen und stützen, aber auch<br />
beschränken. Im Mittelpunkt der Untersuchung der organisationalen Identitätsbildung<br />
stehen damit die Bildungsprozesse und nicht die Inhalte des Konstrukts Identität.<br />
2.2.4 Organisationale Identität und organisationaler <strong>Wandel</strong><br />
“The key problem of identity, then, is as the term connotes, the capacity of the ego to<br />
sustain sameness and continuity in the face of changing fate.” 137<br />
Die übliche Vorstellung von Identität impliziert i.d.R. eine gewisse Kohärenz und<br />
Kontinuität. Trotzdem enthält die Identität einer Organisation sowohl Elemente, die<br />
über die Zeit stabil bleiben, <strong>als</strong> auch Werte und Wahrnehmungen, die sich im Verlaufe<br />
der Zeit ändern. Das „Ego“ der Organisation (wie auch das eines Individuums) ist<br />
damit paradoxerweise zugleich unveränderlich und veränderlich:<br />
“But fate always combines changes in inner conditions, which are the result of<br />
ongoing life stages, and changes in the milieu, in historical situation. Identity connotes<br />
the resiliency of maintaining essential patterns in the process of change. Thus, strange<br />
135 Vgl. Albert, 1999.<br />
136 Vgl. Bouchikhi, et al., 1999.<br />
137 Vgl. Erickson, 1964.
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
as it may seem, it takes a well-established identity to tolerate radical change, for the<br />
well-established identity has arranged itself around basic values which cultures have<br />
in common”. 138<br />
Wie ERICKSON anmerkt besteht die Identität vor allem in der Flexibilität bestimmte<br />
identitätsrelevante Muster auch über Bruchstellen der Entwicklung und Phasen des<br />
radikalen <strong>Wandel</strong>s hinaus beizubehalten. Es bedarf daher gut verankerter Strukturen<br />
die Aspekte der grundlegenden Werte wie das Systemvertrauen und prozessuale<br />
Gerechtigkeit umfassen. Sie sind nicht nur der Kern des organisationalen<br />
Selbstverständnisses, sondern stellen auch die Basis für die Bewältigung von <strong>Wandel</strong><br />
und die kontinuierliche Erneuerung der Organisationen dar. 139<br />
Es ist daher nicht überraschend, dass das Konstrukt der organisationalen Identität<br />
zunehmendes Interesse im Bereich des organisationalen <strong>Wandel</strong>s und der Erneuerung<br />
findet. Studien zeigen, dass Manager Schwierigkeiten haben, Veränderungen im<br />
Umfeld einer Organisation festzustellen, zu interpretieren und angemessen darauf zu<br />
reagieren, wenn diese Veränderungen die eigene Identität der Organisation zu stark in<br />
Frage stellen. 140<br />
REGER ET AL. gehen davon aus, dass Firmen eine Vorstellung sowohl von ihrer aktuel-<br />
len <strong>als</strong> auch der erwünschten Identität haben. Die entstehende „identity gap“ beein-<br />
flusst maßgeblich den <strong>Wandel</strong> der Organisation. Erfolgreiche <strong>Wandel</strong>prozesse sind<br />
dabei durch mittlere „identity gaps“ gekennzeichnet, weil sie weder Trägheit noch<br />
Widerstand hervorrufen und es der Organisation erlauben, neue Elemente zur<br />
bestehenden Identität zu ergänzen. Es scheint daher schwierig, <strong>Wandel</strong> zu bewältigen,<br />
der nicht zu der bestehenden Identität der Organisation passt. 141<br />
2.2.5 Identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e in Organisationen<br />
Identität ist kein entitatives internes Konzept, das ausschließlich aus den Werten des<br />
Gründers und einigen isolierten Vorstellungen gestaltet werden kann. Es handelt sich<br />
vielmehr um eine sich wandelnde Sinnstruktur, die sich aus der Interaktion mit<br />
138 Vgl. Erickson, 1964.<br />
139 Vgl. ähnlich auch Sydow und Loose, 1994.<br />
140 Vgl. Rumelt, et al., 1994.<br />
141 Vgl. Reger, et al., 1994.<br />
59
60<br />
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
internen und externen Beteiligten entwickelt. 142 Diese Vorstellung über den <strong>Prozess</strong><br />
der Identitätsbildung ist grundsätzlich vergleichbar einem <strong>Prozess</strong> der Strukturierung,<br />
wie ihn GIDDENS beschreibt. 143<br />
Die Möglichkeit einer Organisation, ihre organisationale Identität zu verändern, kann<br />
somit im Sinne einer Fähigkeit eines Sozi<strong>als</strong>ystems verstanden werden, eine neue<br />
Identität aufzubauen und sie zugleich mit der überwundenen zu verbinden. Es geht<br />
<strong>als</strong>o nicht um die Suche nach der Einheit und Form von Weltbildern im Sinne eines<br />
inhaltlichen Kompromisses. HABERMAS beschreibt dieses prozessorientierte<br />
Verständnis <strong>identitätsbildender</strong> <strong>Prozess</strong>e, wonach man eine kollektive Identität<br />
„allenfalls in den formalen Bedingungen verankert sehen (kann), unter denen Identi-<br />
tätsprojektionen erzeugt und verändert werden. Ihre kollektive Identität steht den<br />
Einzelnen nicht mehr <strong>als</strong> ein Traditionsinhalt gegenüber, an dem die eigene Identität<br />
wie an einem feststehenden Objektiven gebildet werden kann; vielmehr beteiligen sich<br />
die Individuen selbst an dem Bildungs- und Willensbildungsprozess einer gemeinsam<br />
erst zu entwerfenden Identität. Die Vernünftigkeit der Identitätsinhalte bemisst sich<br />
dann allein an der Struktur dieses Erzeugungsprozesses, d.h. an den formalen Bedin-<br />
gungen des Zustandekommens und der Überprüfung einer flexiblen Identität, in der<br />
sich alle Gesellschaftsmitglieder wiedererkennen und reziprok anerkennen, d.h. achten<br />
können.“ 144<br />
Somit wird deutlich, dass es bei der Untersuchung organisationaler Identität nicht um<br />
die Identifikation von Inhalten bzw. ihre Veränderung gehen kann, sondern vielmehr<br />
um die Bildungsprozesse der Identität bzw. deren Strukturmerkmale. Zu diesen<br />
Strukturmerkmalen zählen nach HABERMAS vor allem Reflexion und kontinuierliches<br />
Lernen. Sie bilden die Voraussetzung, um über die Teilnahme am Organisations-<br />
prozess eine kollektive Identität und damit die Sozialintegration zu erreichen. Die<br />
kollektive Identität stellt dabei die Bedingung der Möglichkeit von Sozialintegration<br />
dar. 145<br />
142 Vgl. Bouchikhi, et al., 1999.<br />
143 Vgl. zum <strong>Prozess</strong> der Strukturierung Kapitel 4.1.<br />
144 Vgl. Habermas, 1974.<br />
145 Vgl. ebenda.
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
GIOIA fordert deshalb dazu auf, bei der wissenschaftlichen Erforschung der Identität<br />
nicht nur einen einzelnen „snapshot“ in der Zeit zugrunde zu legen und nicht nur in<br />
das Innere der Person oder Organisation zu schauen. Um zu verstehen, wer die<br />
Organisation ist, sollten vielmehr die Orte des <strong>Wandel</strong>s der Identität fokussiert<br />
werden, wo die Identität geformt und verändert wird. 146<br />
Im Folgenden sollen daher die Merkmale solcher identitätsbildenden <strong>Prozess</strong>e<br />
analysiert werden. Die Analyse wird sich nicht auf die Inhalte, sondern auf die<br />
Struktur der <strong>Prozess</strong>e konzentrieren. Gegenstand sollen die strategischen Initiative in<br />
Organisationen sein, da hier die zukünftige Form der Organisation entworfen wird.<br />
Die <strong>Prozess</strong>e werden dabei <strong>als</strong> relational aufgefasst, d.h. <strong>als</strong> <strong>Prozess</strong>e, in denen die<br />
Beteiligten soziale Realität und damit simultan das persönliche und organisationale<br />
Selbst verfertigen. Daraus folgt, dass das „Wer-jemand-ist“ – seine Identität − eher<br />
multipel <strong>als</strong> singular und eher variabel <strong>als</strong> fixiert erscheint. 147<br />
2.2.6 Zusammenfassung<br />
Organisationale Identität kann viel dazu beitragen, die Effektivität und<br />
Leistungsfähigkeit einer Organisation im Sinne eines nachhaltigen und kaum zu<br />
imitierenden Wettbewerbsfaktors zu steigern. Die Diskrepanz oder die „identity gap“<br />
zwischen der aktuellen und der zukünftigen oder erwünschten Identitätsvorstellung<br />
kann dabei die Verbesserung oder den <strong>Wandel</strong> einer Organisation motivieren. 148<br />
Zwei Aspekte sollten in diesem Zusammenhang allerdings bedacht werden: Zum einen<br />
steht die organisationale Identität in einem engen Verhältnis zur Zugehörigkeit und zu<br />
den Grenzen einer Organisation. Zum anderen muss über Elemente sowohl der<br />
Neuheit und der Bestätigung die Anschlussfähigkeit der neuen an die bestehende<br />
Identität gewährleistet werden. 149<br />
Ein Identitätsmanagement kann damit <strong>als</strong> ein Signifikations- und Sensemakingprozess<br />
verstanden werden und ist auf das Engste verwoben mit dem Management der<br />
impliziten systemischen Wissensstrukturen. Für die Untersuchung der meist impliziten<br />
146 Vgl. Bouchikhi, et al., 1999.<br />
147 Vgl. Bass und Hosking, 1998.<br />
148 Vgl. Dutton und Dukerich, 1991; Dutton, et al., 1994.<br />
149 Vgl. hierzu insbesondere [von Weizsäcker, 1986 #7].<br />
61
62<br />
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
und für selbstverständlich angenommenen identitätsbildenden <strong>Prozess</strong>e scheinen daher<br />
Bruchstellen der organisationalen Entwicklung, wie etwa Merger- oder Outsourcing-<br />
prozesse besonders geeignet. Sie stellen die bisherige Identitätsstruktur in Frage und<br />
fordern ein potenziell neues Selbstverständnis der Organisation.<br />
2.3 Forschungsfrage<br />
2.1 Post-Merger-Integration<br />
und organisationaler <strong>Wandel</strong><br />
2. Hintergrund und Fokus der<br />
Forschungsfrage<br />
2.3 Forschungsfrage<br />
Abbildung 12: Gedankenfluss Kapitel 2<br />
2.2 Identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e<br />
organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />
Vor dem Hintergrund des in Kapitel 2.1 dargelegten Stands der Literatur zum Thema<br />
Post-Merger-Integration und der in Kapitel 2.2 formulierten Überlegungen zur<br />
organisationalen Identität kann nun die Forschungsfrage spezifiziert werden:<br />
Forschungsfrage: Wie beeinflussen strategische <strong>Wandel</strong>initiativen in Post-Merger-<br />
Phasen den <strong>Prozess</strong> der organisationalen Identitätsbildung? Welchen Einfluss hat der<br />
Umgang mit <strong>Prozess</strong>en der Identitätsbildung auf die <strong>Wandel</strong>fähigkeit einer<br />
Organisation?<br />
Zur Bearbeitung der Forschungsfrage sollen kurz die Bestandteile der Forschungsfrage<br />
dargestellt und erläutert werden:<br />
Strategische <strong>Wandel</strong>initiativen:<br />
Unter strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen werden im Folgenden Verännderungsprojekte<br />
verstanden, die von umfassender Bedeutung für die gesamte Organisation sind und das<br />
Potenzial haben, die Handlung und Struktur der Organisation nachhaltig zu verändern<br />
bzw. neu auszurichten.
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
Post-Merger-Phasen:<br />
Als Post-Merger-Phase soll im Gegensatz zur üblichen kurzfristigen Zeitbetrachtung<br />
(häufig maximal zwei Jahre) in der vorliegenden Studie ein größerer Zeitraum be-<br />
trachtet werden, um vor allem langfristige Auswirkungen auf organisationale <strong>Prozess</strong>e<br />
und Strukturen erfassen zu können. 150<br />
<strong>Prozess</strong>e der organisationalen Identitätsbildung:<br />
Die Untersuchung strategischer <strong>Wandel</strong>initiativen zielt darauf ab zu ermitteln,<br />
inwiefern die in den <strong>Wandel</strong>projekten enthaltenen Veränderungsinterventionen an den<br />
zeitlichen Handlungsstrom der Organisation anschließen, bzw. inwiefern sie dazu<br />
beitragen, die unterschiedlichen Handlungsströme der fusionierten Organisationen<br />
zusammenzuführen. Es geht <strong>als</strong>o vor allem darum zu erforschen, wie sich die<br />
Veränderungen, z.B. ein neues Managementsystem an den bestehenden Strom von<br />
Aktivitäten (flow of conduct) anschließen oder ob es zu „Handlungsbrüchen“ kommt.<br />
Dabei liegt das Augenmerk vor allem auf der Entwicklung neuer, gemeinsamer,<br />
organisationaler Wirklichkeitsordnungen und Interpretationsschemata, die eine neue<br />
gemeinsame Identität darstellen.<br />
<strong>Wandel</strong>fähigkeit einer Organisation<br />
Die <strong>Wandel</strong>fähigkeit einer Organisation unterscheidet sich von der Fähigkeit eine<br />
einzelnes <strong>Wandel</strong>ereignis wie z.B. ein ERP Projekt durchzuführen dadurch, dass es<br />
sich um eine kontextübergreifende (Meta-)Fähigkeit handelt. Sie zeigt sich darin, dass<br />
eine Organisation in der Lage ist, eigene Handlungsmuster zu erkennen, zu<br />
reflektieren und gegebenefalls zu verändern. In der <strong>Wandel</strong>fähigkeit kommt damit das<br />
Vermögen zum Ausdruck, Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine Veränderung der<br />
grundlegenden Muster einer Organisation und eine Kontigenz des Handelns<br />
beinhalten.<br />
Worin liegt nun die theoretische und praktische Relevanz der Forschungsfrage? Was<br />
bringt die Beantwortung dem Theoretiker und dem Praktiker an neuen Erkenntnissen<br />
und Möglichkeiten?<br />
150 Die Daten aus den Interviews und den Dokumentenanalysen umfassen jeweils einen Zeitraum von<br />
mindestens 5 Jahren, während die teilnehmenden Beobachtungen sich auf einen Ausschnitt von zwei Jahren<br />
beschränken.<br />
63
64<br />
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
2.3.1 Theoretische Relevanz<br />
Nimmt man die derzeitige Literatur und die bisherigen empirischen Untersuchungen<br />
zum Thema Post-Merger-Integration zur Hand, offenbart sich ein vorwiegend<br />
entitatives Organisations- und Identitätsverständnis – Organisation und Identität <strong>als</strong><br />
abgrenzbare dingliche Einheiten – zur Erklärung des Erfolgs und Misserfolgs. 151<br />
Damit ist gemeint, dass man von einer – wenn auch schwierig zu beschreibenden -<br />
eindeutigen und objektiven Identität „der“ Organisation sprechen kann.<br />
In dieser Studie wird eine deutlich andere, nämlich prozesshafte Sicht von dem, was in<br />
der Regel unter der Identität einer Organisation verstanden wird, eingenommen<br />
werden. Man würde deshalb dem Verständnis von GIDDENS folgend besser von einem<br />
anhaltenden <strong>Prozess</strong> der Identitätsbildung anstatt einem fixierten und isolierbaren<br />
Identitätskonstrukt ausgehen. Damit würde auch deutlich, dass die Identität stets <strong>als</strong><br />
Ergebnis eines <strong>Prozess</strong>es zu verstehen ist, und ihrerseits wiederum die Organisation in<br />
ihrer Handlung stark beeinflusst.<br />
Der theoretische Unterschied gegenüber bisherigen Studien dürfte deshalb in der ex-<br />
plizit systemischen und strukturationstheoretischen Herangehensweise an das Thema<br />
Post-Merger-Integration liegen. Dies entspricht der Forderung eines „putting Giddens<br />
into action“, d.h. einer Fokussierung auf soziale Praktiken, <strong>Prozess</strong>e, Regeln und Inter-<br />
pretationsschemata. 152 Diese Sichtweise ist bei den bisherigen Studien weitgehend<br />
vernachlässigt worden, wird aber mittlerweile von vielen Autoren angesichts des<br />
bisherigen Erkenntnisstands gefordert. So weisen HUNT und TRAUTWEIN angesichts<br />
magerer finanzbezogener Beiträge zur Erklärung der Ergebnisse von Fusionsprozessen<br />
auf die möglichen Vorteile einer kontextuellen und entscheidungsbezogenen<br />
Betrachtungsweise hin. 153<br />
Dieser Empfehlung soll in dieser Arbeit gefolgt werden. Durch das Forschungsdesign<br />
einer „embedded comparative case study“ 154 mit zwei Unternehmen mit mehreren<br />
Initiativen wird eine stark kontextbezogene Untersuchung möglich. Damit können die<br />
bei einem komplexen sozialen Phänomen der Unternehmenszusammenschlüsse offen-<br />
151 Vgl. z.B. Bickmann, 1999; Witzer, 1992.<br />
152 Vgl. Ortmann, et al., 1997, Osterloh und Grand, 1997.<br />
153 Vgl. Hunt, 1990; Trautwein, 1990.<br />
154 Vgl. Yin, 1994.
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
sichtlich bedeutenden historischen Zusammenhänge, ihre path-dependency sowie die<br />
den Entscheidungen zugrunde liegenden Handlungsprozesse berücksichtigt werden. 155<br />
Schließlich unterscheidet sich die Studie durch ihr systemisches Verständnis von Phä-<br />
nomenen des <strong>Wandel</strong>s im Kontext von Fusionen gegenüber vielen wissenschaftlichen<br />
Arbeiten, die stark dem methodologischen Individualismus verpflichtet sind. Dies wird<br />
vor allem anhand häufig diskutierter Themen wie Widerstand, Commitment und<br />
Motivation deutlich. Diese werden im Folgenden <strong>als</strong> organisationale Phänomene und<br />
<strong>als</strong> Ausdruck von <strong>Prozess</strong>en und Dynamiken eines Systems verstanden und nicht <strong>als</strong><br />
individuelle Merkmale einzelner Personen oder organisatorischer Einheiten. Dement-<br />
sprechend fokussiert vor allem die Strukturanalyse im empirischen Teil anhand von<br />
systemischen Prinzipien auf die Interaktionen der Systembeteiligten.<br />
2.3.2 Praktische Relevanz<br />
Die praktische Relevanz der folgenden Untersuchung ergibt sich bereits aus der wenig<br />
schmeichelhaften Bilanz der Integrationsbemühungen im Anschluss an Fusionen. 156 In<br />
Studien zum Ergebnis von Unternehmenszusammenschlüssen werden bis zu 80% der<br />
Transaktionen <strong>als</strong> Misserfolg bezeichnet.<br />
Im Prinzip weiß man noch immer sehr wenig über das, was im Rahmen von Unter-<br />
nehmenszusammenschlüssen stattfindet. Die Frage, wie man mit bestehenden<br />
Strukturen und Kulturen im <strong>Wandel</strong>prozess umgeht und wie sich diese förderlich bzw.<br />
hinderlich auf den <strong>Prozess</strong> der Bildung einer neuen Organisation auswirken, scheint<br />
allerdings entscheidend für den praktischen Erfolg zu sein.<br />
Ein Grund für den geringen Erkenntnisfortschritt scheint darin zu liegen, dass mit<br />
Hilfe der bisherigen methodischen Vorgehensweise und den teilweise sehr speziellen<br />
Fragestellungen der Komplexität des Phänomens nur unzureichend genüge getan<br />
155 Angesichts der Schwierigkeit Entscheidungen zu beobachten, wird üblicherweise von einer mehr oder<br />
weniger klar formulierten Entscheidung rückwirkend auf den <strong>Prozess</strong>, der zu eben dieser Wahl geführt hat,<br />
geschlossen. Allerdings wird diese Vorgehensweise vielfach <strong>als</strong> eine andere Form der ex-post<br />
Rationalisierung gesehen, die einen willkürlichen Realitätsausschnitt bedingt. MINTZBERG/WATERS<br />
argumentieren deshalb dafür, dass organisationale Handlungsströme und nicht Entscheidungen beobachtet<br />
werden sollten (Mintzberg und Waters, 1990). Dieser Forderung soll hinsichtlich der hier untersuchten Post-<br />
Merger-Integrationen explizit Folge geleistet werden, da im Vordergrund die Handlungsanalyse der <strong>Prozess</strong>e<br />
steht.<br />
156 Vgl. u.a. Agrawal, et al., 1992; Jansen, 2000a; Jansen, 2000b.<br />
65
66<br />
Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />
worden ist. So ist dringend benötigtes Orientierungs- und Handlungswissen bislang<br />
nicht im analytischen Sieb der Erforschung des Phänomens Post-Merger-Integration<br />
hängen geblieben. Zwar wird der kulturelle Aspekt von Praktikern und Theoretikern<br />
gleichermaßen <strong>als</strong> äußerst relevant eingeschätzt. Nichtsdestoweniger wird mit einer<br />
Art „f<strong>als</strong>cher Richtigkeit“ die Untersuchung kultureller Aspekte ähnlich technisch,<br />
analytisch und ausgehend von einem entitativen Organisationsverständnis aus<br />
betrieben wie finanztheoretisch und ökonomisch orientierte Erklärungsversuche.<br />
Dementsprechend findet man wenige <strong>Prozess</strong>untersuchungen zur Post-Merger-<br />
Integration. Die Autoren beschränken sich im wesentlichen darauf, mit Hilfe analyti-<br />
scher Vorgehensweisen statische Aspekte zu isolieren.<br />
Die praktische Relevanz diese Studie besteht darin, dass anhand der<br />
herauszuarbeitenden Herausforderungen und idealtypische Fragestellungen Praktiker<br />
Orientierungs- und Handlungswissen für vergleichbare <strong>Wandel</strong>prozesse ableiten<br />
können. Anhand der vergleichenden Analyse der <strong>Wandel</strong>prozesse in den beiden hier<br />
untersuchten Unternehmen sollten sie ausreichend Impulse für den Umgang mit<br />
identitätsbildenden Veränderungsinitiativen in der eigenen Organisation erhalten und<br />
solche <strong>Prozess</strong>e <strong>als</strong> ein „window of opportunity“ begreifen.<br />
Es entspricht allerdings nicht der Intention dieser Studie, fertige Rezepte zu präsen-<br />
tieren. Stattdessen soll der Leser in Anlehnung an WITTGENSTEIN aufgefordert sein,<br />
die stets kontextbezogenen <strong>Prozess</strong>e verstehend nachzuvollziehen und beim Lesen zum<br />
(Ko)Autor seiner eigenen Erfahrungen mit Zusammenschlussprozessen zu werden. 157<br />
Der Leser sei damit eingeladen, die Beschreibungen der strategischen <strong>Prozess</strong>e zu<br />
dekontextualisieren (d.h. aus dem hier beschriebenen Unternehmensumfeld sinnvoll<br />
herauszulösen) und in den eigenen Bezugsrahmen zu rekontextualisieren (d.h. kritisch<br />
und unter Berücksichtigung des spezifischen Kontexts in das eigene<br />
Organisationsumfelds zu übertragen).<br />
157 Wittgenstein macht im Vorwort des Tractatus darauf aufmerksam, dass „Dieses Buch wird vielleicht nur der<br />
verstehen, der die Gedanken, die darin ausgedrückt sind – oder doch ähnliche Gedanken – schon selbst<br />
einmal gedacht hat. – Es ist <strong>als</strong>o kein Lehrbuch. – Sein Zweck wäre erreicht, wenn es Einem, der es mit<br />
Verständnis liest, Vergnügen bereitet.“ Vgl. Wittgenstein, 1989.
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
3 An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen –<br />
wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegungen<br />
Grundüberlegung<br />
Wirklich ist das was wirkt.<br />
Kurt Lewin<br />
Bevor man sich über W i r k -lichkeit in Organisationen <strong>als</strong> das, was in Organisationen<br />
wirksam ist bzw. das, was Organisationen bewegt 158 , den Kopf zerbricht, scheint es<br />
sinnvoll zu sein, sich ein Verständnis zu erarbeiten von dem, was Wirklichkeit ist.<br />
Hierzu seien drei „root distinctions“ – grundsätzliche Weichenstellungen erörtert, und<br />
zwar darüber, was Sprache mit Wirklichkeit zu tun hat, in welchem Verhältnis Wissen<br />
und Wirklichkeit in dieser Arbeit gesehen werden, sowie die methodologischen und<br />
methodischen Aspekte des Wirklichkeitsverständnisses. Die damit jeweils verbun-<br />
denen Annahmen stellen eine Ermöglichung und eine Einschränkung für die weitere<br />
Forschung dar.<br />
Diese Klärung des Vor-Verständnisses und der impliziten Annahmen und Geltungsan-<br />
sprüche wird gleich zu Beginn versucht offenzulegen. Die ausführliche Darstellung<br />
erklärt sich zum einen aus der immer noch wenig verbreiteten konstruktivistischen<br />
wissenschaftstheoretischen Position, die dieser Arbeit zugrunde liegt. Zum anderen<br />
erklärt sie sich aus der Annahme, dass organisationaler <strong>Wandel</strong> stets einhergeht mit<br />
dem Umbau der organisationalen Wirklichkeitsordnung, und untrennbar mit Fragen<br />
des Status der Wirklichkeit und des Wissens verbunden ist.<br />
Im folgenden Kapitel wird deshalb im Anschluss an die Abgrenzung gegenüber einem<br />
sprachtheoretischen „Abbildmodell“ das konstruktivistische Wirklichkeitsverständnis<br />
dargelegt. Dabei werden Unterschiede zum traditionell positivistischen Verständnis<br />
offengelegt und schließlich die methodologischen Implikationen für die hier<br />
verwendete Organisationsforschung gezeigt.<br />
158 Vgl. zum entsprechenden Titel die Arbeit von Baitsch, 1993.<br />
67
68<br />
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
3.1 Wirklichkeit und Sprache<br />
in der <strong>Wandel</strong>forschung<br />
3. Wissenschaftstheoretische und<br />
methodologische Grundüberlegungen<br />
3.2 Wie wirklich ist die<br />
organisationale Wirklichkeit?<br />
Abbildung 13: Gedankenfluss Kapitel 3<br />
3.1 Horch was kommt von draußen rein? –<br />
Wirklichkeit und Sprache in der <strong>Wandel</strong>forschung<br />
Grundüberlegung<br />
3.3 Methodologische<br />
Grundlagen<br />
Das Thema „organisationaler <strong>Wandel</strong>“ hat aus wissenschaftstheoretischer Sicht eine<br />
besondere Tücke: Es ist dem Forscher nicht direkt zugänglich, sondern nur indirekt<br />
über Beschreibungen. Da „das Ding an sich“ 159 sich dem Zugriff des Forschers<br />
entzieht, beschränkt sich diese Arbeit auf das logisch Primäre: die Sprache über das<br />
Phänomen. 160<br />
Wie ist <strong>als</strong>o das Verhältnis zwischen der Sprache und dem was in der Sprache angeb-<br />
lich „abgebildet“ wird – der Welt? Das Alltagsverständnis von Sprache – die realisti-<br />
sche Semantik – ist geprägt durch ein Abbildverhältnis von Sprache und Wirklichkeit -<br />
einer Korrespondenztheorie der Wahrheit 161 : Das sprachliche Zeichen bezieht sich auf<br />
„etwas da draußen“ und bildet es ab wie auf einem Foto: Ein Mitarbeiter, der sich auf<br />
eine bestimmte Weise verhält, bekommt das Etikett „motivierter Mitarbeiter“. 162<br />
Während das bei einem positiven Beispiel i.d.R. nicht weiter schlimm erscheint, liegt<br />
die Sache z.B. bei „der Lehmschicht der mittleren Führungsebene“ im Zusammenhang<br />
mit <strong>Wandel</strong>initiativen schon etwas anders.<br />
159 Nach Kant ist das Wesen der Dinge nicht erkennbar. Er unterscheidet „das Ding an sich“ und „das Ding für<br />
mich“.<br />
160 Kieser spricht in diesem Zusammenhang von der Verfertigung der Organisation beim Reden. Damit ist<br />
gemeint, dass die Organisation im Dialog der Stakeholder eigentlich erst Wirklichkeit wird Kieser, 1998.<br />
Vgl. dazu auch die Anmerkungen zum Relationalen Konstruktivismus im Kapitel 3.2.2.<br />
161 Vgl. Rüegg-Stürm, 2001 Winograd und Flores, 1989.<br />
162 Marshall Rosenberg macht in seinen Arbeiten auf den Umstand aufmerksam, dass bereits jeder<br />
Deklarativsatz eine potentielle Gewaltanwendung darstellt und Konflikte oft auf diese realistische Semantik<br />
zurückzuführen sind. Rosenberg, 2001.
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
Eine solche realistische Semantik setzt zeitlose, stabile und kontextunabhängige Ding-<br />
lichkeiten <strong>als</strong> Bezugsobjekte voraus. Mehr noch, sie setzt voraus, dass es sich bei dem<br />
Bereich der Sprache und dem der Wirklichkeit um getrennte Seinsbereiche handelt.<br />
Die Substantive, die unabhängige Dinge in der Wirklichkeit mit ihren statisch<br />
gegebenen Eigenschaften darstellen, sind dabei nach WEICK das wesentliche Hindernis<br />
auf dem Weg, neue Wirklichkeiten zu erfinden, organisatorisches Geschehen<br />
angemessen zu verstehen und sinnvolle Alternativen zu entdecken. Substantive sollten<br />
deshalb seiner Meinung nach eingestampft werden. 163<br />
Eine vom späten WITTGENSTEIN und seinem Begriff des „Sprachspiels“ inspirierte<br />
Semantik bietet eine Ausgangsbasis für eine alternative konstruktivistische<br />
Semantik. 164 In dieser Arbeit wird daher das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit<br />
gemäß einer solchen „konstruktivistischen Semantik“ verstanden 165 .<br />
Diese Grundüberlegungen sind nicht nur wichtig, um den Forschungsprozess und die<br />
damit verbundenen Annahmen transparent zu machen. Vielmehr finden sie sich auch<br />
in der Theorie der Strukturierung und den systemtheoretischen Überlegungen im<br />
folgenden Kapitel wieder, die in dieser Arbeit Ausgangspunkte für das<br />
<strong>Wandel</strong>verständnis von Organisationen bilden.<br />
Was bedeutet <strong>als</strong>o die WITTGENSTEIN´sche Analogie von Sprache und Spiel? 166<br />
Sprechen ist nach WITTGENSTEIN ein regelgeleitetes Handeln. Die Regeln oder die<br />
Logik des jeweiligen Spiels sind ihre Grammatik, welche die Möglichkeiten, aber auch<br />
die Grenzen des Spiels bestimmen. Das Spiel ist jedoch nicht in alle Richtungen be-<br />
grenzt. Es gibt Fälle – wie die in dieser Arbeit untersuchten <strong>Wandel</strong>prozesse in<br />
Organisationen – in denen Regeln neu ausgehandelt werden müssen.<br />
Die Grammatik besteht aus den Regeln des Sprachgebrauchs. Sie stellt die Logik des<br />
jeweiligen Spiels dar und entscheidet darüber, was sinnvoll und nicht sinnvoll ist. In<br />
ihr äußert sich eine Form von Wirklichkeit.<br />
163 Vgl. Weick, 1985a.<br />
164 Vgl. Wittgenstein, 1989a.<br />
165 Die folgenden Anmerkungen zum Begriff des Sprachspiels basieren vor allem auf einen Beitrag von Hans<br />
Rudi Fischer anlässlich des Kongress „Die Wirklichkeit des Konstruktivismus“ Fischer, 1995.<br />
166 Vgl. zu den folgenden Ausführungen Fischer, 1991;Fischer, 1995.<br />
69
70<br />
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
Der Zusammenhang zwischen Grammatik und Wirklichkeit wird gut nachvollziehbar<br />
in einer Anekdote von FISCHER erläutert.<br />
Als in einer Provinz in Italien das Grundwasser verseucht war und die Bevölkerung<br />
kein Wasser mehr hatte, veränderte ein findiger Bürgermeister einfach den Grenzwert<br />
für die Verseuchung von Wasser. Der Grenzwert stellte sozusagen den grammatischen<br />
Maßstab dar, der an der Wirklichkeit angelegt wurde, um zu testen, ob das Wasser<br />
verseucht war oder nicht. Indem der Bürgermeister den Maßstab veränderte, hatte er<br />
nun sauberes Wasser. Würde man dieser „Manipulation“ begegnen indem man sagt:<br />
“Aber in Wirklichkeit war das Wasser eben doch vergiftet!“, greift man lediglich auf<br />
einen anderen grammatischen Maßstab zurück. Allerdings kann man sich für diesen<br />
grammatischen Maßstab auch nicht auf die davon unabhängige Wirklichkeit beziehen.<br />
Was vergiftet ist und was nicht ist einzig und allein vom Begriff bzw. dessen<br />
Grammatik abhängig. 167<br />
Damit wird der Unterschied zwischen der realistischen und der konstruktivistischen<br />
Semantik deutlich: Es handelt sich nicht um ein unabhängiges Verhältnis, wie es die<br />
übliche Abbildung der Welt in der realistischen Semantik zu suggerieren versucht. In<br />
der Sprache <strong>als</strong> Sprachspiel sind die Regeln <strong>als</strong> Grammatiken untrennbar mit der<br />
Lebensform verknüpft. 168<br />
Wörter funktionieren in diesem Zusammenhang wie die Spielfiguren im Schachspiel.<br />
Ein „Pferd“ ist nicht die Spielfigur auf dem Schachbrett, es ist eine Regel. Es gibt<br />
diese Figur in verschiedenen Variationen, Materialien und Formen. Das Gemeinsame<br />
der Spielfiguren ist die Gebrauchsregel zur Verwendung der Wörter. Sie legen die<br />
Regeln und Regelverstöße fest: So z.B. dass es beim Halma keinen Elfmeter gibt! Ein<br />
Computer kommt sogar ganz ohne Spielfiguren nur mit Regeln aus.<br />
GERGEN verdeutlicht die spiel- bzw. kontextabhängige Funktion der Wörter am<br />
Beispiel „Begrüßungsspiel“:<br />
167 Vgl. Fischer, 1995.<br />
168 Regeln werden im weiteren Verlauf dieser Arbeit <strong>als</strong> Strukturen und Lebensformen <strong>als</strong> <strong>Prozess</strong>e bzw.<br />
Handlungen aufgefasst werden. Die untrennbare Verbindung von Struktur und Handlung, wie sie hier in der<br />
konstruktivistischen Semantik entwickelt wurde, wird für die Argumentation des organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />
später noch wichtig.
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
There are implicit rules for carrying out greetings: each participant takes a turn, typically<br />
there is an exchange of mutual glances, and there are only a limited number of moves that<br />
one can legitimately make after the other has said „good morning“. You may respond<br />
identically, or ask “how are you”, for example, but you would be considered “out of the<br />
game”, if you respond by screaming or cuffing the other in the head. Further, the words<br />
“good morning” are generally meaningless outside the game of greeting. If we are in the<br />
midst of a heated argument on unemployment, and I suddenly say “good morning”, you<br />
would be puzzled. Have I lost my mind? 169<br />
Ähnliche Beispiele finden sich auch bei GARFINKEL. In seiner Ethnomethodologie<br />
untersucht er das Alltagshandeln nach dem Motto „what really happens“. Er sieht<br />
Alltagshandeln <strong>als</strong> soziale Praktiken. Das Handeln des Einzelnen erfolgt nach be-<br />
stimmten sozialen Regeln, die Handlungsmuster und praktische Rechtfertigungen<br />
liefern. Insbesondere Konversationen, in denen sich die Akteure auf einen Bestand an<br />
kulturell gebundenem, implizitem Hintergrundwissen stützen können, sind Hauptge-<br />
genstand der Analyse. In einer Anzahl von sogenannten „Bruchexperimenten“ konnte<br />
GARFINKEL die Existenz entsprechender „Tiefenregeln“ eindrucksvoll nachweisen.<br />
Dabei wurden durch instruierte Akteure unhinterfragte, soziale Normen absichtlich<br />
gebrochen. Beispiele dafür waren, dass die Akteure<br />
• auf die Frage „Wie geht es Dir?“ nachgefragt wurde, wie dies gemeint sei,<br />
gesundheitlich, sexuell etc.;<br />
• an einer Schlange sich nicht hinten, sondern vorn anstellten (vordrängelten);<br />
• in einem Gespräch den Gesprächspartner immer wörtlich nahmen, d.h. übliche<br />
Verwendungen von Begriffen ignorierten, sich „dumm stellten“. 170<br />
Die Bedeutung von Wörtern entsteht <strong>als</strong>o durch den Gebrauch in der Sprache, hängt<br />
<strong>als</strong>o von der Anwendung von Regeln, von der sozialen Praxis ab. Das bedeutet aber<br />
auch, dass die Bedeutung nicht ein für allemal festzulegen ist, weil der Gebrauch nicht<br />
festgelegt werden kann. Der Gebrauch und damit auch die Bedeutung hängen stets<br />
vom Kontext, der Rolle und dem Zweck im jeweiligen Spiel ab. Damit ist der Sinn<br />
nicht letztgültig eindeutig. Es gibt keinen transkontextuellen Sinn. 171<br />
169 Vgl. Gergen, 1999.<br />
170 Vgl. Garfinkel, 1967.<br />
171 Hieraus ergibt sich eine Paradoxie vergleichbar der Lügnerparadoxie: Wenn die Bedeutung stets vom<br />
Kontext abhängt ist die Aussage „es gibt keinen transkontextuellen Sinn“ f<strong>als</strong>ch. Dies spiegelt gleichzeitig<br />
71
72<br />
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
Die vorgestellten sprachtheoretischen Überlegungen geben Anlass, die übliche positi-<br />
vistische, generalisierende und kontextunabhängige Organisationsforschung zu hinter-<br />
fragen. Wenn das Aushandeln sozialer Wirklichkeit immer schon Bezug nimmt auf<br />
eine implizite sprachliche Grammatik und ein Vorverständnis der Wirklichkeit, so ist<br />
der Einbezug dieses vorsprachlichen organisationalen Wissens sowohl in der wissen-<br />
schaftlichen Erforschung von Organisationspraxis <strong>als</strong> auch im praktischen<br />
Managementhandeln unabdingbar.<br />
3.2 Wie wirklich ist die (organisationale) Wirklichkeit? -<br />
Epistemologische Grundlagen<br />
Erkenntnistheorie ist immer und unausweichlich persönlich.<br />
G. Bateson<br />
Objektivität ist die Illusion, dass Beobachtungen<br />
ohne einen Beobachter gemacht werden könnten.<br />
Heinz von Förster<br />
Im diesem Kapitel werden die wissenschaftstheoretischen Grundlagen, die in dieser<br />
Arbeit gewählt wurden dargestellt. Die zentrale Unterscheidung an der sich die Wahl<br />
orientiert ist dabei die unterschiedliche Auffassung von Wirklichkeit im<br />
positivistischen und im konstruktivistischen Verständnis (vgl. Kap. 3.2.1). Eine<br />
weitere Differenzierung erfolgt dann noch innerhalb der konstruktivistischen<br />
Strömungen in Kap. 3.2.2.<br />
3.1 Wirklichkeit und Sprache<br />
in der <strong>Wandel</strong>forschung<br />
3. Wissenschaftstheoretische und<br />
methodologische Grundüberlegungen<br />
3.2 Wie wirklich ist die<br />
organisationale Wirklichkeit?<br />
Abbildung 14: Gedankenfluss Kapitel 3<br />
3.3 Methodologische<br />
Grundlagen<br />
Was ist Organisation? Was ist Strategie? Was kann über strategischen <strong>Wandel</strong> in<br />
Organisationen überhaupt sicher gesagt werden? Wissenschaftliche Antworten auf<br />
die Schwierigkeit generalisierende Aussagen in einer konstruktivistisch orientierten Forschung zu machen<br />
wider.
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
diese Fragen beinhalten Vorannahmen über die Wirklichkeit der beobachteten Phäno-<br />
mene, das Verhältnis des Wissenschaftlers zum beobachteten Phänomen sowie über<br />
die angewandten Methoden. Diese Vorannahmen stellen nach KUHN die Elemente<br />
eines Paradigmas dar - einer für wahr gehaltenen, weltanschaulichen Grundlage einer<br />
wissenschaftlichen Gemeinschaft. Die Glaubenselemente, die den Wissenschaftlern oft<br />
nicht bewusst oder gegenwärtig sind, werden i.d.R. internalisiert und nicht hinterfragt.<br />
Ein historisches Beispiel für die Probleme bei der Ablösung eines Paradigmas stellt die<br />
Auseinadersetzung zwischen dem ptolemäischen und dem kopernikanischen Weltbild<br />
in der Astronomie dar. 172,173<br />
Die häufig implizit getroffenen, wissenschaftstheoretischen Vorannahmen in Bezug<br />
auf das hier behandelte Thema des organisationalen <strong>Wandel</strong>s sollen nunmehr<br />
transparent gemacht werden.<br />
3.2.1 Positivistisches und konstruktivistisches Paradigma<br />
Die Diskussion um Grundlagen, Methoden und Grenzen der wissenschaftlichen Er-<br />
kenntnisse weist vor allem zwei, für diese Arbeit relevante Paradigmen auf: zum einen<br />
den in der Tradition des kritischen Rationalismus stehenden Positivismus und zum<br />
anderen den Konstruktivismus. Zur Veranschaulichung des Unterschieds der beiden<br />
Richtungen soll die Parabel von BRECHT aus „Turandot oder der Kongress der<br />
Weißwäscher“ das Problem der Erkenntnisgewinnung veranschaulichen. Er zitiert mit<br />
deutlich kritischer Haltung gegenüber dem Konstruktivismus: 174<br />
Der Lehrer: Si Fu, nenne uns die Hauptfragen der Philosophie!<br />
Si Fu: Sind die Dinge außer uns, für sich, auch ohne uns, oder sind die Dinge in uns, für<br />
uns, nicht ohne uns?<br />
Der Lehrer: Welche Meinung ist die richtige?<br />
Si Fu: Es ist keine Entscheidung gefallen.<br />
172 Offen bleibt allerdings die Frage der Interpretation, was bzw. ab wann etwas ein Paradigma ist oder nicht: „In<br />
fact, Kuhn himself used the term paradigms in at least 21 ways. As a result of this multiplicity of usages,<br />
there are disputes as to whether cognitive psychology has a paradigm, whether it is a paradigm, whether it<br />
will eventually develop a paradigm, or whether it already has many (and probably too many) paradigms.”<br />
Vgl. Greene, 1992, S 27.<br />
173 Die Ptolemäische Astronomie, welche die Welt im Mittelpunkt des Kosmos sah, ist ein langlebiges Beispiel<br />
eines Paradigmas. Das heliozentrische Weltbild des Kopernikus war erst mit der Zeit in der Lage, bessere<br />
Aussagen zu generieren, und löste allmählich das Ptolemäische Paradigma ab.<br />
174 Vgl. Brecht,<br />
73
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Der Lehrer: Zu welcher Meinung neigte zuletzt die Mehrheit unserer Philosophen?<br />
Si Fu: Die Dinge sind außer uns, für sich, auch ohne uns.<br />
Der Lehrer: Warum blieb die Frage ungelöst?<br />
74<br />
Grundüberlegung<br />
Si Fu: Der Kongress, der die Entscheidung bringen sollte, fand, wie seit 200 Jahren, im<br />
Kloster Mi Sang statt, welches am Ufer des Gelben Flusses liegt. Die Frage hieß:<br />
Ist der Gelbe Fluss wirklich, oder existiert er nur in den Köpfen? Während des<br />
Kongresses aber gab es eine Schneeschmelze im Gebirge, und der Gelbe Fluss<br />
stieg über seine Ufer und schwemmte das Kloster Mi Sang mit allen Kongressteilnehmern<br />
weg. So ist der Beweis, dass die Dinge außer uns, für sich, auch ohne uns<br />
sind, nicht erbracht worden.<br />
Offensichtlich scheint durch die Überschwemmung des Klosters durch den gelben<br />
Fluss völlig klar zu sein, dass es ihn gibt und somit der gelbe Fluss außerhalb der<br />
Teilnehmer, für sich, auch ohne die Teilnehmer existiert. Dennoch wäre eine solche<br />
Interpretation voreilig, da der Beweis, dass der gelbe Fluss außerhalb der Teilnehmer,<br />
für sich, auch ohne die Teilnehmer ist, von den Teilnehmern nicht erbracht wurde. Der<br />
Erkennende ist stets Teil der Erkenntnis! Die Erbringung eines Beweises hängt on der<br />
erkennenden Person ab!
Status der<br />
Wirklichkeit<br />
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
Positivistisches Paradigma Konstruktivistisches Paradigma<br />
• Wirklichkeit ist objektiv gegeben<br />
und besteht unabhängig<br />
vom Subjekt.<br />
Erkenntnis • Erkenntnis besteht in der objektiven<br />
Abbildung der Wirklichkeit.<br />
Beziehung<br />
zwischen Wissenschaftler<br />
und Erkenntnisobjekt<br />
Rolle der<br />
Sprache<br />
Qualitätskriterien<br />
Ort der Bedeutung<br />
bzw.<br />
seiner<br />
Entstehung<br />
Ziel der<br />
Forschung<br />
• Der Wissenschaftler ist ein unabhängiger<br />
Beobachter. Es<br />
besteht eine Kluft zwischen<br />
Erkenntnissubjekt und -objekt<br />
• Die Sprache repräsentiert die<br />
Welt in einer<br />
Abbildbeziehung.<br />
(Korrespondenztheorie der<br />
Wahrheit)<br />
• Objektivität, Reliabilität,<br />
Validität (Güte der<br />
Abbildung)<br />
• „Meaning in the data“. Die<br />
Bedeutung wird aus den Daten<br />
abgeleitet.<br />
• „Erklärung in Form von Beziehungen<br />
zwischen Ursachen<br />
und Wirkungen. (Stimmen im<br />
Sinne des Wahr oder F<strong>als</strong>ch)<br />
• Wirklichkeit ist stets abhängig<br />
vom beobachtenden Subjekt.<br />
• Erkenntnis <strong>als</strong> subjektive und<br />
kontext- wie zeitbezogene Erfahrung<br />
von Sinnzusammenhängen.<br />
Sie bezieht sich auf<br />
die Art und Weise, wie wir<br />
unsere Erfahrungswelt<br />
organisieren.<br />
• Der Wissenschaftler ist Teil<br />
des Erkenntnisprozesses und<br />
nimmt daher Einfluss auf den<br />
Forschungsprozess.<br />
• Die Sprache <strong>als</strong> Spiel.<br />
Sprechen ist<br />
kontextabhängiges<br />
regelgeleitetes Handeln.<br />
• Plausibilität, Kohärenz, Nachvollziehbarkeit<br />
• Bedeutung entsteht im Auge<br />
des Betrachters oder im<br />
Diskurs.<br />
• Verstehen im Sinne eines<br />
Sensemaking. (Passen im<br />
Sinne der Brauchbarkeit,<br />
Lebensfähigkeit)<br />
Tabelle 3: Vergleich des positivistischen und des konstruktivistischen Paradigmas der Wissenschaft 175<br />
Was kann ich wissen? Dieser Frage ist aus wissenschaftstheoretischer Sicht unmittel-<br />
bar mit der Frage verbunden ob das, was wir aufgrund unserer Sinneseindrücke <strong>als</strong><br />
„Wirklichkeit“ bezeichnen, in Wahrheit etwas Gefundenes oder von uns Erfundenes<br />
ist. Im ersten Fall ist es möglich, allgemeingültige Aussagen über eine Welt an sich zu<br />
machen, im zweiten Fall ist es eine eigene Konstruktion, woraus sich Konsequenzen<br />
175 Vgl. Zu den Ausführungen in der Tabelle und dem nachfolgenden Text, Kieser, 1999,Rüegg-Stürm, 2001,<br />
Gergen, 1999.<br />
75
76<br />
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
u.a. für den Geltungsbereich der wissenschaftlichen Aussagen und die Qualitäts-<br />
kriterien wissenschaftlichen Arbeitens ergeben.<br />
Die beiden wissenschaftstheoretischen Richtungen, die in Tabelle 3 kurz dargestellt<br />
sind, geben hierauf unterschiedliche Antworten.<br />
Auch wenn es verschiedene Spielarten des Konstruktivismus gibt, 176 gibt es doch<br />
bedeutende Gemeinsamkeiten. Aus Sicht des Konstruktivismus ist es nicht möglich,<br />
die Wirklichkeit <strong>als</strong> das zu erkennen, was sie ist. WATZLAWICK/BEAVIN/JACKSON<br />
vergleichen das Gewinnen von Erkenntnissen aus Sinneseindrücken mit einem<br />
Kapitän, der bei dunkler und stürmischer Nacht eine Meerenge durchfahren muss, von<br />
der es keine Seekarten und keine Navigationshilfen gibt und von der er noch nicht<br />
einmal weiß, ob es für sein Schiff überhaupt eine befahrbare Route gibt. Wenn ihm<br />
nun die Passage gelingt, kann man dann sagen, der Kapitän kenne nun die wahre<br />
Beschaffenheit dieses Seegebiets? Oder muss er nicht davon ausgehen, dass es auch<br />
andere - vielleicht bessere Durchfahrtsmöglichkeiten gibt? 177<br />
3.2.2 „Ich denke, <strong>als</strong>o bin ich“ oder „Wir kommunizieren, <strong>als</strong>o sind wir“ -<br />
kognitiver 178 und relationaler Konstruktivismus<br />
Aus den wissenschaftstheoretischen Grundüberlegungen ergeben sich für das<br />
Forschungsprojekt verschiedene mögliche Ansätze. Damit verbunden ist die Notwen-<br />
digkeit einer Entscheidung für einen wissenschaftstheoretischen Zugang, nach Mass-<br />
gabe des konkreten Forschungskontexts. 179<br />
Insbesondere zwei root distinctions 180 müssen beachtet werden: Einerseits stellt sich<br />
die Frage bzgl. des Status der Wirklichkeit und zum Frage nach der Möglichkeit des<br />
Wissens über die Wirklichkeit. Hier bieten das positivistische oder das<br />
konstruktivistische Paradigma unterschiedliche Antworten an.<br />
176 Vgl. Zu den verschiedenen Formen des Konstruktivismus Prawat, 1996, Gergen, 1985b; Knorr-Cetina, 1989<br />
177 Vgl. Watzlawick, 1981<br />
178 Der hier verwendete Begriff des kognitiven Konstruktivismus geht auf Korr-Cetina zurück. Vgl. Knorr-<br />
Cetina, 1989.<br />
179 Damit ist keine Entscheidung im Sinne einer Wahr- oder F<strong>als</strong>ch Unterscheidung getroffen. Vgl. Weick,<br />
1985a.<br />
180 Vgl. von Krogh, et al., 1994.
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
Im Falle einer Entscheidung für ein konstruktivistisches Weltverständnis sollte darüber<br />
hinaus eine Positionierung innerhalb der verschiedenen Spielarten des<br />
Konstruktivismus erfolgen.<br />
Warum <strong>als</strong>o ein positivistischer oder ein konstruktivistischer Ansatz zur Untersuchung<br />
des <strong>Wandel</strong>s in Organisationen? Und welche genaueren Differenzierungen sind im<br />
Rahmen eines konstruktivistischen Weltverständnisses für die folgende Untersuchung<br />
eventuell relevant?<br />
Bei der Analyse des sozialen <strong>Wandel</strong>s wird in dieser Studie in Anlehnung an SASSURE<br />
eine synchrone und eine diachrone Perspektive unterschieden. 181 Für die vorliegende<br />
Untersuchung wird dazu die Strukturdimension (synchrone Perspektive) <strong>als</strong> auch die<br />
<strong>Prozess</strong>- und Handlungsdimension (diachrone Perspektive) erfasst. 182 Die Struktur-<br />
dimension stellt dabei eine handlungsleitende und –ermöglichende Komponente dar,<br />
die <strong>Prozess</strong>dimension transportiert gewissermaßen die Strukturen über die Zeit 183 . Die<br />
wissenschaftstheoretische Brille sollte es deshalb ermöglichen, sowohl handlungs-<br />
leitende Interpretationsschemata und Strukturen <strong>als</strong> auch Handlungen und <strong>Prozess</strong>e zu<br />
erfassen.<br />
Deshalb werden insbesondere zwei Spielarten des Konstruktivismus – der kognitive<br />
und der relationale – weitere Beachtung finden. Beide Ansätze beschäftigen sich mit<br />
der Frage, wie sich personale oder soziale Systeme die ihnen passende Wirklichkeit<br />
schaffen, und bieten damit eine erkenntnistheoretische Basis für die hier interessie-<br />
renden Fragen. 184<br />
181 Vgl. Saussure, 1967.<br />
182 Die Arbeit folgt damit auch dem Grundansatz des Forschungsprojekts „Learning Dynamics“, welches die<br />
Bedeutung von Strukturen auf die <strong>Wandel</strong>- und Erneuerungsfähigkeit von Organisationen untersucht. In<br />
dieser Arbeit gliedern sich die Analyseebenen neben der inhaltlichen Dimension in die Untersuchung der<br />
Strukturen des inneren und äußeren Kontexts sowie die Untersuchung der Handlungen der <strong>Wandel</strong>prozesse.<br />
183 Vgl. hierzu auch [Giddens, 1979 #20].<br />
184 Vgl. Frindte, 1995.<br />
77
78<br />
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Kognitionstheoretischer<br />
Konstruktivismus<br />
Ursprünge • Neurobiologische und –<br />
physiologische Erkenntnisse,<br />
Theorie der Autopoiese<br />
lebender Systeme, genetische<br />
Epistemologie<br />
Prominente<br />
Vertreter<br />
Fokus der<br />
Betrachtung<br />
„Ort der Konstruktionsleistung“<br />
Möglichkeit unabhängiger<br />
Aussagen eines<br />
Beobachters?<br />
Was ist das<br />
„Psychische“ 185<br />
Interpersonale<br />
Verbindung der<br />
• Humberto R. Maturana,<br />
Francisco J. Varela, Jean<br />
Piaget, Heinz von Förster,<br />
Ernst von Glasersfeld, Peter<br />
M. Heijl, Gerhard Roth,<br />
Siegfried J. Schmidt, Paul<br />
Watzlawick, Gebhard Rusch<br />
Grundüberlegung<br />
Relationaler Konstruktivismus<br />
• Kognitionstheoretischer<br />
Konstruktivismus, Sozialpsychologie,Sozialkonstruktivismus<br />
(Berger/Luckmann)<br />
• Kenneth J. Gergen, Hans P.<br />
Dachler, Dian-Marie Hosking,<br />
Ian E. Morley<br />
• Individuum • Relationen zwischen<br />
Individuen<br />
• Ort der Konstruktion ist das<br />
individuelle Gehirn <strong>als</strong> selbstreferentielles<br />
System, das<br />
keinen Zugang zur Außenwelt<br />
hat.<br />
• Es ist nicht möglich, <strong>als</strong><br />
externer Beobachter „wahre“<br />
Aussagen über stabile Eigenschaften<br />
des Beobachteten<br />
abzuleiten. Alles Wissen ist<br />
Ergebnis individueller und<br />
beobachterbezogener<br />
Konstruktionen.<br />
• Das Psychische ist ein<br />
affektiv-kognitiver Raum, der<br />
von der Außenwelt abgeschlossen<br />
ist, mit sich selbst<br />
interagiert und Bedeutung<br />
generiert.<br />
• Ort der Konstruktion ist der<br />
Diskurs zwischen den<br />
Menschen. Die Welt wird verstanden<br />
durch die Begriffe, die<br />
im sozialen Austausch mit<br />
anderen konstruiert werden.<br />
• Die Welt, die wir uns<br />
erschließen können, ist die<br />
Welt, die wir im sozialen<br />
<strong>Prozess</strong> selbst schaffen und<br />
bezeichnen. Sie kann auch nur<br />
durch die von uns<br />
geschaffenen Begriffe und<br />
Konstruktionen wahrgenommen<br />
werden.<br />
• Das Psychische ist ein Zeichen<br />
für jene <strong>Prozess</strong>e, die zwar<br />
beim Einzelnen beobachtet<br />
werden können, aber letztlich<br />
Attribute sozial-historischer<br />
Verständigungs- und<br />
Kommunikationsprozesse<br />
sind.<br />
• Das „Soziale“ wird <strong>als</strong> ein • Das „Soziale“ entsteht durch<br />
185 Diese Definitionen des Psychischen folgen den radikalen Versionen wie sie von Frindte zur Kontrastierung<br />
der beiden Ansätze genutzt werden und dienen an dieser Stelle in der überzeichnenden Form zur<br />
Verdeutlichung der Unterschiede ebenda.
Verbindung der<br />
Wirklichkeiten<br />
– Was ist das<br />
„Soziale“?<br />
Gütekriterien<br />
der erzeugten<br />
Wirklichkeit<br />
Erklärung von<br />
Handeln,<br />
Fühlen und<br />
Denken<br />
Kritik an den<br />
Aussagen<br />
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
konsensueller Bereich oder<br />
Bereich der Übereinstimmung<br />
individueller Konstruktionen<br />
gesehen.<br />
• Soziale Beziehungen<br />
entstehen durch wechselseitige<br />
Interaktionen und<br />
Kommunikationen und führen<br />
zu übersteinstimmenden<br />
kognitiven Zuständen der<br />
Interaktionspartner<br />
(Strukturelle Kopplung).<br />
• Passfähigkeit, Nützlichkeit der<br />
individuellen Konstruktionen.<br />
• Was <strong>als</strong> individuelle Charakteristiken<br />
wie Motivation,<br />
Widerstand oder Commitment<br />
gelabelt wird, ist das Ergebnis<br />
individueller Konstruktionsprozesse.<br />
• Frage nach dem Status des<br />
Wissens wird auf die Ebene<br />
des individuellen Bewusstseins<br />
verfrachtet, <strong>Prozess</strong>e<br />
außerhalb der individualkognitiven<br />
Ebene bleiben<br />
unberücksichtigt<br />
Grundüberlegung<br />
und ist Austausch mittels<br />
Sprache im Diskurs. Insbesondere<br />
in Erzählungen<br />
werden soziale Beziehungen<br />
aufgebaut, fortgeführt und<br />
eine eigene Identität<br />
hergestellt. 186<br />
• Die Diskurse sind miteinander<br />
und mit dem Kontext der Beteiligten<br />
verbunden.<br />
• Passfähigkeit, Nützlichkeit der<br />
Diskurse für weitere Diskurse.<br />
• Was <strong>als</strong> individuelle Charakteristiken<br />
wie Motivation, Widerstand<br />
oder Commitment<br />
gelabelt wird ist, das Ergebnis<br />
sozialer (Austausch)-<strong>Prozess</strong>e<br />
• Negierung autonomer individueller<br />
Erkenntnismöglichkeit,<br />
„linguistischer Hausarrest“. 187<br />
Tabelle 4: Vergleich des kognitionstheoretischen und relationaler Konstruktivismus<br />
Während der kognitive Konstruktivismus vor allem die Bedeutung handlungsleitender,<br />
kognitiver interner Strukturen betont, spielen im relatioanalen Konstruktivismus vor<br />
allem Sprache, Diskurse und die laufenden Beziehungs- und Kommunikationsprozesse<br />
eine bedeutende Rolle. Darüber hinaus bieten beide Ansätze auch eine Fülle von<br />
Bezugspunkten zu den in Kapitel 4 vorgestellten systemtheoretischen und<br />
strukturationstheoretischen Basistheorien.<br />
Die Herausarbeitung der beiden Formen des Konstruktivismus geschieht in Form einer<br />
Gegenüberstellung und steht unter dem Vorbehalt, dass es „den“ kognitiven<br />
186 Vgl. Gergen und Gergen, 1988.<br />
187 Vgl. Caputo, 1983.<br />
79
80<br />
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
Konstruktivismus und „den“ relationalen Konstruktivismus nicht gibt. 188 Im Rahmen<br />
dieser Arbeit dient der Vergleich dazu, die gemeinsamen Grundannahmen, aber auch<br />
relevante Unterschiede und den jeweiligen Beitrag zur Klärung des Phänomens der<br />
organisationalen <strong>Wandel</strong>fähigkeit zu erläutern. Gemeinsamkeiten bestehen <strong>als</strong>o darin,<br />
dass Menschen keinen direkten Zugang zur externen Wirklichkeit haben und die Welt<br />
deshalb selbständig konstruieren. Wie die Konstruktionsprozesse erfolgen, wird<br />
kognitiv-konstruktivistisch durch den Beobachter, den Akt der Unterscheidung bzw.<br />
durch seine individuelle Hirnleistung erklärt. Aus der Perspektive des relationalen<br />
Konstruktivismus werden die Konstruktionen über die Welt im sozialen Diskurs<br />
geschaffen. Menschen finden <strong>als</strong>o in den individuellen Konstruktionen (kognitiver<br />
Konstruktivismus) oder in der Kommunikation mit anderen (relationaler<br />
Konstruktivismus) die Gründe für ihr Handeln.<br />
3.2.3 Zwischenfazit und Ausblick<br />
Die verschiedenen konstruktivistischen Wirklichkeits- und Wissensvorstellungen<br />
betonen einerseits die Bedeutung kontingenter Strukturmomente, andererseits aber<br />
auch den Einfluss rekursiver Beziehungs- und Kommunikationsprozesse. Die kon-<br />
struktivistische „Verfertigung von Wissen und Wirklichkeit“ 189 zielt vor allem auf die<br />
Konstitution einer sinnhaften Wirklichkeitsordnung. Dies ist insbesondere der Fall in<br />
den im Folgenden untersuchten Situationen von <strong>Wandel</strong> in Systemen. Bereits bei der<br />
Frage nach dem Status der Wirklichkeit und des Wissens ist dabei das Verhältnis von<br />
Struktur und Handlung von zentraler Bedeutung. Die bisherigen wissenschafts-<br />
theoretischen Antworten der verschiedenen Schulen weisen dabei durch die Betonung<br />
einer der beiden Seiten im Sinne eines “Entweder–Oder“ einen (Schein?)-Gegensatz<br />
auf. Spätestens auf der Ebene der Grundlagen- und Anwendungstheorien in Kapitel 4<br />
und 5 wird dieser Struktur-Handlungs-Gegensatz erneut thematisiert und durch die<br />
Theorie der Strukturierung neu verbunden werden.<br />
Im nächsten Kapitel werden die methodologischen und die methodischen Folgen des<br />
in diesem Kapitel vorgestellten wissenschaftstheoretischen Paradigmas bzw. der ge-<br />
wählten konstruktivistischen Weltsicht vorgestellt.<br />
188 Und das gilt nicht nur für Konstruktivisten.<br />
189 Vgl. Kieser, 1998.
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
Unter einer Methode wird hier ein Instrument oder eine Technik verstanden, die im<br />
Rahmen einer Untersuchung verwendet wird. Eine Methodologie stellt dazu ein<br />
„intricate set of ontological and epistemological assumptions that a researcher brings<br />
to his or her work” dar. 190<br />
3.3 Methodologische Grundlagen<br />
Ein Bild hielt uns gefangen. Und heraus konnten wir nicht, denn es lag<br />
in unserer Sprache und sie schien es uns nur unerbittlich zu wiederholen.<br />
Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 115<br />
Was folgt aus den wissenschafts- und sprachtheoretischen Grundlagen? Ein<br />
forschungsmethodisches Vorgehen, dass sich auf ein konstruktivistisches<br />
Wirklichkeits- und Wissensverständnis beruft und Organisationen <strong>als</strong> sozial<br />
konstruierte Phänomene versteht, sollte diese Prämissen innerhalb der Methodologie<br />
berücksichtigen. Die gewählten „root distinctions“ sollten sich im Forschungsansatz<br />
wiederfinden.<br />
Nachfolgend werden deshalb die Datenerhebung, die Forschungsstrategie, das<br />
kontextualistische Forschungsleitbild sowie die Gütekriterien des hier zugrunde-<br />
gelegten qualitativen Forschungsverständnisses offengelegt. Das Kapitel bietet damit<br />
den forschungstheoretischen Rahmen für die empirische Analyse in Kapitel 6 und 7.<br />
3.1 Wirklichkeit und Sprache<br />
in der <strong>Wandel</strong>forschung<br />
3. Wissenschaftstheoretische und<br />
methodologische Grundüberlegungen<br />
3.2 Wie wirklich ist die<br />
organisationale Wirklichkeit?<br />
Abbildung 15: Gedankenfluss Kapitel 3<br />
3.3 Methodologische<br />
Grundlagen<br />
Für diese Studie heißt das, dass die jeweiligen Konstruktionen der Wirklichkeit, die<br />
Beobachtungen und sozialen Diskurse der Betroffenen beschrieben, verstanden und<br />
interpretiert werden müssen. Wie durch die gewählte Methodologie diese<br />
Anforderungen berücksichtigt werden, wird auf den nächsten Seiten dargestellt.<br />
Tabelle 5 gibt dazu einen Überblick.<br />
190 Vgl. Prasad, 1997.<br />
81
82<br />
Verhältnis<br />
Forscher –<br />
Beforschter<br />
Erfassen der<br />
organisationalen<br />
Wirklichkeit und<br />
Lebensform<br />
Zustandekommen<br />
von<br />
Phänomenen<br />
Verhältnis<br />
System-Kontext<br />
Methoden der<br />
Datensammlung<br />
Darstellung der<br />
Ergebnisse<br />
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Anforderungen an eine<br />
konstruktivistische Forschung<br />
• Einflüsse vom Forscher auf die<br />
„Beforschten“ können nicht<br />
verhindert und sollten daher<br />
offen-gelegt, das Verhältnis<br />
transparent und Einflüsse<br />
reflektiert werden<br />
• Die Subjektive Wirklichkeitsordnungen<br />
der beteiligten<br />
Organisationsmitglieder sollten<br />
erfasst werden<br />
• Gegenwärtige und historische<br />
Phänomene sollten in die Untersuchung<br />
einbezogen werden<br />
• Wechselwirkungen zwischen<br />
der Organisation und ihrem<br />
Kontext sollten beachtet<br />
werden<br />
• Kontextbezug der Ergebnisse<br />
sollte berücksichtigt werden<br />
• Schluss von Beobachtungen<br />
auf Interpretation sollte für den<br />
Leser nachvollziehbar sein<br />
Tabelle 5: Methodologische Anforderungen und das Vorgehen<br />
3.3.1 Ethnographische Datenerhebung<br />
Grundüberlegung<br />
Vorgehen im Rahmen dieser<br />
Arbeit<br />
• Zusammenarbeit mit Partnerorganisation<br />
beschreiben;<br />
Arbeit und Reflexion im<br />
Zweierteam<br />
• Ethnographische Vorgehensweise<br />
bei der Datenerhebung<br />
• Darstellung in Form von Case<br />
Studies unter Berücksichtigung<br />
der historischen Dimension<br />
• Kontextualistische Forschung<br />
(Inhalt, <strong>Prozess</strong>e, Kontext) 191<br />
• Teilnehmende Beobachtungen<br />
Qualitative Interviews<br />
Dokumentanalysen<br />
• Darstellung in Form von Firstund<br />
Second-Order Findings, die<br />
den Einzelfall im jeweiligen<br />
Kontext darstellen und das<br />
Zustandekommen der Interpretationen<br />
verdeutlichen 192<br />
The temptation to form premature theories upon<br />
insufficient data is the bane of our profession.<br />
Sherlock Holmes<br />
Nach GIDDENS ist zum Beschreiben und Verstehen individueller und sozialer Hand-<br />
lungen und Wirklichkeitsordnungen eine Vertrautheit mit den Lebensformen nötig, die<br />
sich in diesen Handlungen ausdrücken. 193<br />
191 Vgl. [Pettigrew, 1979 #163][Pettigrew, 1992 #260][Pettigrew, 1997 #400].<br />
192 Vgl. zur Darstellung der Forschungsergebnisse in Form von First und Second-Order Findings Kapitel 3.3.1.<br />
193 Vgl. Giddens, 1997.
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
Kaum ein anderes methodisches Vorgehen trägt dem Aspekt des Kennenlernens der<br />
Lebensform einer Organisation deshalb so Rechnung wie die ethnographische Heran-<br />
gehensweise. Man taucht gewissermaßen in die Kultur der Organisation ein. VAN<br />
MAANEN bezeichnet es <strong>als</strong> die ethnographische Frage, schlechthin nicht nur zu ver-<br />
stehen wie es ist, ein Mitglied der Organisation zu beobachten, sondern ein Mitglied<br />
der Organisation zu sein. Das Ziel des ethnographischen Ansatzes ist es, das sozial<br />
erworbene und geteilte Wissen oder die Kultur einer Organisation zu nutzen, um die<br />
Muster sozialer Handlungen in Organisationen zu verstehen. 194<br />
CONKLIN definiert das ethnographische Vorgehen <strong>als</strong> „a long period of intimate study<br />
and residence in a well-defined community employing a wide range of observational<br />
techniques including prolonged face-to-face contact with members of local group’s<br />
activities, and a greater emphasis on intensive work with informants than on the use of<br />
documentary or survey data.” 195<br />
Um ethnographische Daten zu bearbeiten schlägt VAN MAANEN die Unterscheidung in<br />
First-Order und Second-Order Findings vor. Dabei versteht er unter First-Order<br />
Findings die Vorstellungen oder Konstruktionen, die die Mitglieder der Organisation<br />
von den Vorgängen in der Organisation haben. 196 Die Second-Order Findings dagegen<br />
geben die Vorstellungen und Muster der Forscher über das, was in der Organisation<br />
vorgeht, wieder. First-Order Findings können, grob gesagt, auch <strong>als</strong> die „Fakten“ und<br />
Second-Order Findings <strong>als</strong> die „Theorien der Forscher“ angesehen werden. VAN<br />
MAANEN weist aber ausdrücklich darauf hin, dass die Fakten nicht allein für sich<br />
sprechen, sondern nur unter Hinzunahme anderer First-Order Informationen wie<br />
situationsbedingten, historischen, biografischen und anderen Interpretationen der<br />
Organisationsmitglieder und dem Kontext insgesamt Bedeutung erlangen.<br />
Die Second-Order Findings stellen „Interpretationen der Interpretationen“ dar. Sie sind<br />
gleichzeitig auch Hintergrunderwartungen oder Strukturen, die in das Verständnis der<br />
Mitglieder eingebettet sind und häufig unausgesprochen von allen Mitgliedern einer<br />
194 Vgl. Van Maanen, 1983.<br />
195 Vgl. Conklin, 1968.<br />
196 Darüber hinaus unterscheidet er auf dieser Ebene „operational data“, welche die laufenden spontanen<br />
Aktivitäten und Kommuikationen beinhalten und „presentational data“, womit Daten gemeint sind, die stark<br />
ideologisch, normativ und abstrakt sind und einem idealisierten Image sowie symbolischen Projektionen<br />
entsprechen. Auf diese Unterscheidung wird im weiteren Verlauf allerdings verzichtet.<br />
83
84<br />
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
Kultur geteilt werden. Die Second-Order Findings stellen häufig Aussagen über<br />
Beziehungsgeflechte, soziale oder Erwartungsstrukturen, soziale Skripts, Regeln oder<br />
Sprachspiele dar. Sie sind aber <strong>als</strong> solche stets Interpretationen bzw. Rekonstruktionen<br />
der Forscher und dürfen – wenngleich diese versuchen, latente Strukturen zu<br />
beschreiben - nicht <strong>als</strong> ontologische Entitäten verstanden werden. 197<br />
Von besonderer Bedeutung für die Interpretation sind Informationen denen sich die<br />
Mitglieder der Organisation nicht bewusst sind. 198 Diese Vorannahmen oder taken-for-<br />
granted assumptions sind handlungsleitende Überzeugungen, Muster oder Strukturen<br />
der Organisation und werden vielfach erst dann offensichtlich, wenn es zu Brüchen 199<br />
im „normalen“ Handlungsablauf kommt. 200<br />
Was bedeutet der ethnographische Ansatz nun für das konkrete Vorgehen des<br />
Forschers und welche Methoden werden dabei verwendet? Ethnographische Methoden<br />
zeichnen sich nach ATKINSON/HAMMERSLEY durch folgende Merkmale aus:<br />
• Die Absicht, die Natur eines sozialen Phänomens zu erfassen und nicht mehr<br />
oder weniger unbegrenzt generalisierungsfähige Hypothesen dazu zu testen,<br />
• die Tendenz, hauptsächlich mit unstrukturierten Daten zu arbeiten und nicht<br />
von vornherein feste Kategorien zu verwenden,<br />
• die Untersuchung weniger detaillierter Fälle,<br />
• die Analyse der Daten, die explizit die Interpretation der Bedeutung mensch-<br />
licher Handlungen beinhaltet und vor allem verbale Beschreibungen und Erklä-<br />
197 Vgl. Van Maanen, 1983. Giddens erörtert in diesem Zusammenhang die Problematik der doppelten<br />
Hermeneutik. Es genügt demnach nicht, die Lebenswelt von Untersuchten in deren Sinn einfühlend nachzu-<br />
zeichnen und zu interpretieren, sondern deren Sinnkonstruktionen werden im innerwissenschaftlichen<br />
<strong>Prozess</strong> in verschiedene Deutungsrahmen oder Paradigmen übersetzt. llein aufgrund dieser unterschiedlichen<br />
wissenschaftlichen Deutungen verbietet sich eine ontologisch anmutende Objektivierierung Giddens, 1997.<br />
198 Van Maanen verweist ausserdem auf die Bedeutung und den Umgang mit F<strong>als</strong>chaussagen und dem<br />
Ignorieren von Informationen durch die „Beforschten“. Vgl. dazu Van Maanen, 1983.<br />
199 Vgl. zu Bruchstellentheorie Greiner Greiner, 1982 und auch in einem ähnlichen Sinne die Bruchexperimente<br />
von Garfinkel, 1967.<br />
200 Vgl. zum Begriff und der Bedeutung der taken-for-granted assumptions auch Barrett, et al., 1995;Hosking,<br />
2000;Isaacs, 1993. Was von den genannten Autoren und auch hier von Van Maanen mit taken for granted<br />
Annahmen bezeichnet wird, entspricht in der Theorie der Strukturierung den nicht erkannten<br />
Handlungsvoraussetzungen und findet <strong>als</strong> solches Eingang in die spätere empirische Analyse.
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
rungen verwendet und kaum quantitative oder statistische Analysen ge-<br />
braucht. 201<br />
Diese Merkmale können <strong>als</strong> Anforderungen an die zu verwendenden Forschungs-<br />
methoden dienen. Es empfehlen sich damit bei der ethnographischen Vorgehensweise<br />
in Organisationen 202 vor allem teilnehmende Beobachtungen, halbstrukturierte Einzel-<br />
interviews, Dokumentenanalysen und gegebenenfalls Feedbacks <strong>als</strong> Methoden der<br />
Datenerhebung. 203<br />
Teilnehmende Beobachtungen dienen in diesem Forschungsprojekt vor allem dazu, die<br />
Interaktionen und Handlungen rund um das Thema <strong>Wandel</strong> und Erneuerung in den<br />
Organisationen zu beobachten. Die Forscher im Forschungsprojekt Learning<br />
Dynamics hatten <strong>als</strong> teilnehmende Beobachter Zugang zu Sitzungen und Workshops,<br />
die im Zusammenhang mit den ausgewählten Themen stehen. Die Rolle der Forscher<br />
beschränkte sich hierbei auf die eines passiven Teilnehmers, der versucht, Handlungen<br />
zu beobachten und Strukturen und Wirklichkeitskonstruktionen der beteiligten Organi-<br />
sationsmitglieder zu erfassen. Über die Teilnahme an offiziellen Sitzungen hinaus er-<br />
gaben sich im Rahmen eines solchen Forschungsprojekts auch weitergehende<br />
informelle Forschungskontakte (z.B. in Pausengesprächen oder bei zufälligen Treffen<br />
auf dem Firmengelände), die i.d.R. ebenfalls protokolliert wurden. In beiden Fällen –<br />
den formellen wie den informellen Forschungskontakten – ist eine reine Beobachter-<br />
position im Sinne einer „objektiven Beobachterposition“ natürlich niem<strong>als</strong> möglich.<br />
Bei den teilnehmenden Beobachtungen im Forschungsprojekt Learning Dynamics<br />
waren deshalb i.d.R. zwei Forscher anwesend. Es wurden von jeder Sitzung getrennte<br />
Notizen und anschließend ein gemeinsames Protokoll angefertigt. Grundsätzlich<br />
wurde alles notiert, was interessant und auffällig war. Insbesondere wurden u.a.<br />
Beobachtungen, die mit dem Thema <strong>Wandel</strong> und Erneuerung zusammenhängen, Inter-<br />
aktionen der Teilnehmer von Sitzungen und Kontextinformationen notiert. Die Beo-<br />
bachtungen sind damit <strong>als</strong> nicht-standardisierte, offene, passiv teilnehmende Beo-<br />
bachtungen zu bewerten. 204<br />
201 Vgl. Atkinson und Hammersley, 1994. Kursiv durch TS.<br />
202 Rüegg-Stürm spricht hier von organisationaler Ethnographie Rüegg-Stürm, 2002.<br />
203 Vgl auch Pettigrew, 1990;Van de Ven, 1992.<br />
204 Vgl. Lamnek, 1989.<br />
85
86<br />
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
Halbstrukturierte Einzelinterviews: Die Interviews wurden jeweils von zwei Forschern<br />
durchgeführt. Die Forscher orientierten sich dabei an einem Interviewleitfaden, der für<br />
jede Interviewperson jeweils vorab individuell angefertigt wurde. Die Interviews<br />
wurden auf Tonband aufgenommen und anschließend inhaltlich zusammengefasst oder<br />
auch teilweise transkribiert. Ganz selten wurde ein Mitschnitt auf Tonband abgelehnt.<br />
Diese wurden dann aber inhaltlich protokolliert. Die Interviewsprache war deutsch<br />
oder englisch.<br />
Im Anschluss an ein Interview fand wie bei den Beobachtungen eine Nachbereitung<br />
der Gespräche statt. Damit konnten u.a. Verbesserungshinweise sowohl methodischer<br />
<strong>als</strong> auch inhaltlicher Art für weitere Interviews gewonnen werden.<br />
Diese Vorgehensweise empfahl sich insbesondere vor dem Hintergrund der sich all-<br />
mählich konkretisierenden Forschungsschwerpunkte der beteiligten Forscher. Themen,<br />
die angesprochen wurden, waren in der Regel: die Biografie des Interviewpartners, die<br />
<strong>Wandel</strong>geschichte der Initiative, zu dem er befragt wurde, Erwartungen und Ergeb-<br />
nisse der Initiative. Hierbei wurden sowohl die Ebene konkreter Handlungen und<br />
Ereignisse <strong>als</strong> auch die Interpretationen bzw. Bewertungen dieser Ereignisse erfragt.<br />
Dies geschah zum einen, um plastische Beispiele zu finden, auf der anderen Seite aber<br />
auch, um die Bedeutung und die Interpretationen der Ereignisse wie beispielsweise<br />
von Fusionen aus Sicht der Beteiligten zu erfassen.<br />
Methodisch ist anzumerken, dass mit der halbstrukturierten Vorgehensweise, den vor-<br />
wiegend offenen Fragen und dem Nachfragen bei Verständnislücken oder –schwierig-<br />
keiten, die Forscher viele relevante Informationen erhielten und die Interviews von den<br />
Interviewpartnern <strong>als</strong> angenehm und konstruktiv empfunden wurden. 205<br />
Die Auswahl der Interviewpartner erfolgte entlang der in Kapitel 3.3.4 skizziereten<br />
Kriterien und im Sinne des von PETTIGREW beschriebenen Prinzips des „planned<br />
opportunism“. 206 Bis auf eine Person konnten alle angefragten Interviewpartner für<br />
ein einstündiges- bis eineinhalbstündiges Interview gewonnen werden. Bei einigen<br />
ausgewählten Schlüsselpersonen wurden auch mehrere Interviews geführt.<br />
Grundsätzlich folgte die Auswahl dem Anliegen, alle Subsysteme und die wichtigsten<br />
205 Vgl. zu den verwendeten Interviewleitfäden und den angefertigten Protokollen auch die Beispiele bzw.<br />
Mustervorlagen im Anhang.<br />
206 Vgl. Pettigrew, 1990.
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
Personen aus dem Kontext der <strong>Wandel</strong>initiative zu befragen. Dabei wurde versucht,<br />
alle Hierarchieebenen einzubeziehen und verschiedene Phasen der Veränderungs-<br />
initiativen zu berücksichtigen, verschiedene Segmente und Funktionen im Unter-<br />
nehmen, verschiedene Funktionen in der <strong>Wandel</strong>initiative und auch Nicht-Unter-<br />
nehmensmitglieder, die für den <strong>Wandel</strong> von Bedeutung waren, z.B. Berater oder<br />
ehemalige Mitarbeiter, zu befragen.<br />
Dokumentenanalysen: Im Rahmen der Dokumentenanalysen wurden die firmen-<br />
internen Publikationen wie z.B. „Building up“, „Local-Global“ und „Aare Info“ sowie<br />
strategische Dokumente, Projekthandbücher, Programm Chartas, offizielle Protokolle,<br />
Finanzinformationen, Trainingskonzepte oder auch Präsentationen und<br />
Dokumentationen zu unterschiedlichen Themen analysiert. Darüber hinaus wurden<br />
auch verschiedene firmenexterne Publikationen ausgewertet.<br />
Feedbackveranstaltungen: Bei den Feedbackveranstaltungen wurden Ansprech-<br />
partnern aus den Initiativen Beobachtungen und Interpretationen der Forscher vorge-<br />
stellt. Im Mittelpunkt stand dabei die Untersuchung und Diskussion der handlungs-<br />
leitenden und -ermöglichenden Wirkungen der bestehenden Strukturen und Kulturen<br />
sowie ihre Bedeutung für den organisationalen <strong>Wandel</strong>.<br />
Durch die Feedbackveranstaltungen könnte der Anschein erweckt werden, dass mit<br />
dieser Vorgehensweise innerhalb des Forschungsprojekts über das ethnographische<br />
Verstehen hinaus bereits Aspekte der Aktionsforschung Eingang in das Forschungs-<br />
vorgehen gefunden haben. 207 Dieser Argumentation wird in der vorliegenden Arbeit<br />
aus zwei Gründen nicht gefolgt. Erstens ist eine Rückmeldung der Beobachtungen und<br />
Interpretationen mit der ethnographischen Methode durchaus vereinbar. 208 Zweitens<br />
werden die Rückmeldungen im wesentlichen genutzt, um bisherige Beobachtungen<br />
anhand der Reaktionen der Organisationsmitglieder zu überprüfen bzw. zu<br />
plausibilisieren. Im Rahmen eines aktionsforschungsähnlichen Vorgehens dienen<br />
solche Interventionen dagegen viel stärker zur gezielten Veränderung der<br />
Organisation. Dies entspricht allerdings nicht den Vorstellungen über die<br />
207 Vgl. hierzu auch die Argumentation bei Fischer, 2002.<br />
208 Persönliche Mitteilung in einem Gespräch mit John van Maanen im November 2000.<br />
87
88<br />
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
Zusammenarbeit mit den Organisationen des Forschungsprojekts Learning<br />
Dynamics. 209<br />
3.3.2 Comparative Case Studies <strong>als</strong> Forschungsstrategie<br />
Es bedarf zweier Etwasse,<br />
um einen Unterschied hervorzubringen.<br />
Gregory Bateson<br />
Nach YIN zeichnen sich verschiedene Forschungsstrategien durch bestimmte Vor- und<br />
Nachteile aus. Die Wahl der geeigneten Forschungsstrategie hängt ab von<br />
• der Art der Forschungsfrage,<br />
• dem Ausmaß an Kontrolle über die Ereignisse im Feld sowie<br />
• der Beachtung von gegenwärtigen und gleichzeitig historischen Phänomenen.<br />
Case Studies definiert YIN <strong>als</strong> eine Forschungsstrategie, „that investigates a<br />
contemporary phenomenon within its real-life context, especially when the boundaries<br />
between phenomenon and context are not clearly evident ” . 210<br />
Diese drei Kriterien sind im Falle der vorliegenden Studie über den strategischen<br />
<strong>Wandel</strong> und die <strong>Wandel</strong>fähigkeit von Organisationen sämtlich erfüllt: Erstens wird<br />
untersucht, wie strategische und strukturelle Faktoren den <strong>Wandel</strong> und die Wandlungs-<br />
fähigkeit fusionierter Organisationen beeinflussen. Zweitens ist dabei der Einfluss i.S.<br />
einer Veränderung des Handlungsstroms der Akteure durch die ethnografische<br />
Forschung <strong>als</strong> eher gering zu beurteilen. Schließlich sind die historischen Ereignisse<br />
(insbesondere jene im Zusammenhang mit der Fusion) für die Untersuchung der<br />
<strong>Wandel</strong>fähigkeit expliziter Gegenstand der Untersuchung.<br />
Case Studies werden insbesondere dann verwendet, wenn die Forschungsfrage das<br />
„Wie“ oder „Warum“ behandelt, wenn der Forscher wenig Kontrolle über die Ereig-<br />
nisse im Feld hat und gegenwärtige Phänomene im Kontext historischer Ereignisse<br />
untersucht werden.<br />
Die Case-Study-Methodik zielt <strong>als</strong>o darauf ab, ganzheitlich und sinnvoll die Charakte-<br />
ristiken von komplexen sozialen Phänomenen zu untersuchen und zu verstehen.<br />
209 Vgl. Learning Dynamics, 1999.<br />
210 Vgl. Yin, 1994.
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
YIN beschreibt vier Typen von Designs für Case Studies. Er unterscheidet single und<br />
multiple-case studies und innerhalb dieser zwei Typen Studien mit einheitlichen und<br />
multiplen units of analysis (Untersuchungseinheiten). Hieraus ergeben sich<br />
entsprechend vier Typen von Designs (vgl. Tabelle 6).<br />
Holistic (single<br />
unit of analysis)<br />
Embedded<br />
(multiple units<br />
of analysis)<br />
Single-case design Multiple-case design<br />
z.B. GROSS: Durch die Studie wurde<br />
anhand eines Falls entgegen der vorherrschenden<br />
Meinung gezeigt, dass<br />
nicht nur Innovationsbarrieren,<br />
sondern auch Implementierungsprozesse<br />
Grund für mangelnde<br />
Innovation sein können. 211<br />
z.B. LIPSET et al: In dieser Studie<br />
wurde mit Hilfe unterschiedlicher<br />
Untersuchungseinheiten – vom<br />
einzelnen Mitarbeiter bis zum<br />
gesamten System – und<br />
unterschiedlichen Methoden soziale<br />
<strong>Prozess</strong>e in einer Gewerkschaft<br />
untersucht. 213<br />
Tabelle 6: Typen von Designs für Case Studies<br />
(in Anlehnung an Yin, 1994)<br />
z.B. HOOK: Die quantitative Studie<br />
zeigte anhand der Flugzeugindustrie<br />
und der Mikroelektonikindustrie in<br />
den USA, dass das amerikanische<br />
Verteidigungsministerium die<br />
Entwicklung dieser Industrien<br />
ähnlich stark beeinflusste und<br />
förderte wie dies in Japan durch das<br />
übermächtige Wirtschaftsministerium<br />
geschah. 212<br />
z.B: Die vorliegende Studie kann <strong>als</strong><br />
eine embedded multiple Case study<br />
bezeichnet werden. Hier werden<br />
zwei Organisationen bzgl. der<br />
Bedeutung <strong>identitätsbildender</strong><br />
<strong>Prozess</strong>e auf mehreren Ebenen und<br />
mehreren Initiativen mit Hilfe<br />
unterschiedlicher Methoden<br />
untersucht.<br />
Ein Single-Case Study Design empfiehlt sich demnach insbesondere, wenn es um<br />
einen kritischen Fall geht, es sich um einen extremen oder einzigartigen Fall handelt<br />
oder wenn der Forscher die Möglichkeit hat, eine Situation zu untersuchen, die bislang<br />
der Forschung noch nicht zugänglich war.<br />
Holistic versus embedded Single Case Study Design: Diese beiden Designs werden<br />
unterschieden je nachdem, ob eine Untersuchung sich beispielsweise auf das gesamte<br />
Unternehmen bezieht (holistic) oder einzelne Initiativen oder <strong>Prozess</strong>e <strong>als</strong> logische<br />
Einheiten einer Unternehmung berücksichtigt (embedded). Die Gefahr für das einge-<br />
211 Vgl. Gross, 1971.<br />
212 Vgl. Hooks, 1990.<br />
213 Vgl. Lipset, et al., 1956.<br />
89
90<br />
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
bettete Design besteht vor allem darin, dass der Fokus nur auf den Untereinheiten<br />
bleibt, die übergreifende Einheit aber unberücksichtigt lässt.<br />
Multiple Case Study Designs folgen nicht einer statistischen Stichprobenlogik, sondern<br />
einer Logik der Wiederholung. Die Annahme hinter der Wiederholungslogik ist, wie<br />
YIN für den medizinischen Bereich anschaulich beschreibt, dass bei einer beschränkten<br />
Zahl von Fällen durch die gleichen Resultate Evidenz erzeugt wird, dass z.B. das<br />
gleiche Syndrom vorliegt. Bildlich gesprochen ist der Forscher wie ein Detektiv, der<br />
nach der Tat zum Tatort kommt und aufgrund der Indizien schließen muss, ob es sich<br />
evtl. um einen Wiederholungstäter handelt. Um solche Muster festzustellen, müssen<br />
im Falle des Forschers die Cases sorgfältig ausgewählt werden, um entweder ähnliche<br />
Resultate zu erzeugen oder bei gegensätzlichen Resultaten diese auf nachvollziehbare<br />
Gründe zurückführen zu können. 214<br />
Holistische versus embedded Multiple Case Studies: Auch für die Multiple Case<br />
Studies muss unterschieden werden, ob die Cases <strong>als</strong> Ganzes oder aus Teilprojekten<br />
bestehend untersucht werden.<br />
Die vorliegende Forschungsarbeit verwendet ein embedded Multiple Case Study<br />
Design. Es werden zwei Organisationen untersucht. Innerhalb dieser Organisationen<br />
werden jeweils Teilprojekte auf ihren Beitrag zum organisationalen <strong>Wandel</strong> bzw. ihrer<br />
<strong>Wandel</strong>fähigkeit im Anschluss an eine Fusion untersucht. 215<br />
Damit können einerseits mittels dichter Beschreibungen 216 Beobachtungen und<br />
Interpretationen zu nachvollziehbaren Fällen zusammengefasst werden. Andererseits<br />
wird durch die Vorauswahl der Forschungspartner ein kontextsensibler Vergleich er-<br />
möglicht, ohne eine vorschnelle Generalisierung zu riskieren. Gerade durch die nach-<br />
vollziehbare Beschreibung mehrerer Initiativen innerhalb ihres unternehmerischen<br />
214 Vgl. Yin, 1994. Damit soll sich explizit abgrenzt werden von einem blossen Akkumulierung von Fällen um<br />
quasi durch statistisch ausreichende Fallzahlen eine rein statistische Signifikanz zu erreichen. In diesem<br />
Sinne argumentieren etwa Kostecki und Krzysztof Kostecki und Krzysztof, 1983.<br />
215 Die im Rahmen dieser Studie verwendete Art von Case Studies sollte nicht mit der insbesondere von<br />
Eisenhardt vorgeschlagenen Methodik der Case Study verwechselt werden, die davon ausgeht dass die<br />
Bedeutung der Daten in den Daten liegt („the meaning is in the data“) (Eisenhardt, 1989). Sie vertritt damit<br />
aus wissenschaftstheoretischer Perspektive eine positivistische Epistemologie. Bedeutung existiert damit<br />
kontextunabhängig, kann vom Forscher unabhängig erfasst werden. Die Kontextabhängigkeit der<br />
Interpretation wird damit aus dem Forschungsprozess ausgeklammert.<br />
216 Vgl. Geertz, C. (1983).
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
Kontexts wird ein lernender Umgang mit unterschiedlichen Kontexten und die<br />
vorsichtige Übersetzung in den eigenen Arbeitskontext des Lesers ermöglicht. Dieser<br />
Lernprozess wird im vorliegenden Fall noch dadurch erleichtert, dass der Schritt der<br />
vorsichtigen Re-kontextualisierung von Ergebnissen 217 durch den Vergleich von zwei<br />
Unternehmen bereits vollzogen wird.<br />
Das hier gewählte methodologische Verständnis unterscheidet sich explizit von dem<br />
bei EISENHARDT 218 und YIN 219 vorgestellten positivistisch-generalisierenden und<br />
komplexitätsreduzierenden Case-Study-Verständnis. 220 Bei den genannten Autoren<br />
geht es darum, durch ein methodisch strenges Vorgehen Komplexität zu reduzieren,<br />
um so zu generalisierbaren, wissenschaftlichen Aussagen zu kommen. In der<br />
vorliegenden Studie steht dagegen die Entwicklung einer Theorie mittels verständ-<br />
licher und illustrativer Beschreibungen der relevanten Kontexte im Vordergrund.<br />
Diese sollten vom Leser nachvollzogen werden und ein Sensemaking- und Plausibili-<br />
tätserlebnis stimulieren und ermöglichen.<br />
3.3.3 Kontextualistische und historische Forschung <strong>als</strong> Leitbild<br />
The world is full of obvious things,<br />
which nobody by any chance will ever see.<br />
Sherlock Holmes<br />
In Kapitel 3.3.1 sind aus den wissenschaftstheoretischen Grundlagen die methodologi-<br />
schen und methodischen Implikationen für das ethnographische Forschungsvorgehen<br />
und insbesondere die Datenerhebung entwickelt worden. In Kapitel 3.3.2 ist die<br />
spätere Darstellung der Ergebnisse in Form vergleichender Case Studies erläutert<br />
worden. Nun stellt sich die Frage, was der allgemeine Gegenstand der Betrachtung –<br />
strategischer <strong>Wandel</strong> – an methodologischen Implikationen mit sich bringt bzw.<br />
217 Vgl. Rüegg-Stürm, 2002.<br />
218 Vgl. Eisenhardt, 1989.<br />
219 Vgl. Yin, 1994.<br />
220 Vgl. wenn in dieser Arbeit der Einteilung nach Yin folgend eine embedded multiple Case Study verwendet<br />
wird, so bezieht sich das ausschließlich auf die Darstellung der Forschungsergebnisse aber nicht auf das<br />
methodologische Verständnis von Yin.<br />
91
92<br />
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
welchen Leitvorstellungen bzgl. des strategischen <strong>Wandel</strong>s aus methodologischer<br />
Sicht relevant sind. 221 Diese Frage wird im folgenden Kapitel beantwortet werden.<br />
Aus der Fülle methodologischer und theoretischer Fragen rund um die sozialwissen-<br />
schaftliche und ökonomische Untersuchung strategischen <strong>Wandel</strong>s lassen sich nach<br />
ZAN, ZAMBON und PETTIGREW insbesondere drei interdisziplinäre Herausforderungen<br />
herausfiltern. 222<br />
• Bislang ist die Zeitdimension bzw. Historizität im Rahmen der Untersuchung<br />
von <strong>Wandel</strong>prozessen zu wenig beachtet worden.<br />
• Die Bedeutung der Subjektivität handelnder Subjekte und ihres Wissens in<br />
individuellen und organisationalen <strong>Wandel</strong>prozessen verdient stärkere Beach-<br />
tung.<br />
• Die Interdependenz zwischen den Elementen und den Phänomenen im <strong>Prozess</strong><br />
des <strong>Wandel</strong>s darf nicht mehr länger verkürzt im Sinne kausaler Beziehungen<br />
wahrgenommen werden.<br />
Schon früh mahnt PETTIGREW deshalb an, den weitgehend ahistorischen, akontex-<br />
tuellen und aprozessualen Charakter der <strong>Wandel</strong>forschung zu beseitigen. Er wendet<br />
sich damit gegen Forschungstendenzen, die sich beispielsweise ausschließlich auf den<br />
Zusammenhang zwischen den Merkmalen einer Führungsperson und einer <strong>Wandel</strong>-<br />
initiative beschränken. 223 In seiner Forschungsmethodologie für die Untersuchung<br />
strategischen <strong>Wandel</strong>s in Organisationen - kontextuelle Forschung - werden deshalb<br />
explizit die drei Dimensionen Inhalt, Kontext und <strong>Prozess</strong> zum Verständnis<br />
strategischer Veränderungsprozesse berücksichtigt.<br />
Grob gesprochen kann man unter dem „Was“ des <strong>Wandel</strong>s dessen Inhalt verstehen,<br />
das „Warum“ leitet sich aus der Analyse des Kontexts ab und das „Wie“ ist<br />
221 Die folgende Betrachtung hebt dabei ausschließlich die methodologischen Konsequenzen ab. Die Einbettung<br />
des Themas strategischer <strong>Wandel</strong> und insbesondere der hier untersuchten Post-Merger-Integration erfolgt in<br />
Kapitel 5.<br />
222 Diese Bereiche sind nach Meinung der Autoren zwar unterscheidbar, aber nicht genau voneinander zu<br />
trennen. Vgl. Zan, et al., 1993.<br />
223 Zu diesem Ergebnis kommt Pettigrew in einer breit angelegten Untersuchung der <strong>Wandel</strong>forschung. Vgl.<br />
Pettigrew, 1985.
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
Gegenstand der Analyse des <strong>Wandel</strong>prozesses. 224 Zum Inhalt gehören die unter-<br />
suchten <strong>Wandel</strong>orte (z.B. Technologie, Mitarbeiter, Management, Unternehmens-<br />
kultur). Der <strong>Prozess</strong> umfasst die Aktionen, Reaktionen und Interaktionen, auf dem<br />
Weg vom gegenwärtigen zum angestrebten Zustand. Der Kontext beinhaltet den<br />
inneren und den äußeren Kontext im Sinne einer System-Umweltunterscheidung. Der<br />
innere Kontext enthält die organisationalen Strukturen und Kulturen, während der<br />
äußere Kontext die sozialen, wirtschaftlichen und wettbewerblichen Rahmenbe-<br />
dingungen der Organisation einbezieht. 225<br />
<strong>Prozess</strong> / Wie?<br />
(Interventionen [= Unterschiede,<br />
die einen Unterschied machen]<br />
im richtigen Zeitpunkt)<br />
Externer<br />
Kontext<br />
Inhalt / Was?<br />
(Thema, Fokus und<br />
Motiv des <strong>Wandel</strong>s)<br />
Interner<br />
Kontext<br />
Kontext / Warum?<br />
(gewachsene Werte, Fähigkeiten,<br />
Errungenschaften, Erfolge,<br />
Beziehungen, Sprachregelungen,<br />
Situation/Hintergrundereignisse)<br />
Abbildung 16: Drei Dimensionen kontextualistischer <strong>Wandel</strong>forschung<br />
(Quelle: Rüegg-Stürm, 2001, S. 274)<br />
Was bedeutet nun eine kontextualistische Untersuchung organisationalen <strong>Wandel</strong>s?<br />
Welche Implikationen ergeben sich daraus für das Forschungsanliegen? Vier Aspekte<br />
können dabei herausgehoben werden:<br />
1. Die Einbettung strategischer Veränderungen innerhalb eines größeren Kontexts<br />
erfordert die Berücksichtigung sowohl horizontal <strong>als</strong> auch vertikal verbundener<br />
Ebenen und deren Wechselwirkungen. Die Mehrebenenanalyse bezieht sowohl hori-<br />
zontale <strong>als</strong> auch vertikale Ebenen und deren Wechselwirkungen untereinander mit ein.<br />
224 Vgl. Pettigrew, 1987.<br />
225 Vgl. ebenda.<br />
93
94<br />
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
Die horizontale Dimension berücksichtigt die Sequenz von Ereignissen und Hand-<br />
lungen sowie die zeitlichen Verbindungen zwischen Ereignissen, Entscheidungen und<br />
Handlungen in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie ist ein wesentlicher<br />
Bestandteil des Forschungsvorgehens und insbesondere bei dem hier untersuchten<br />
Thema Post-Merger-Integration ein unverzichtbares Element der Analyse.<br />
Die vertikale Dimension berücksichtigt Wechselwirkungen zwischen höheren und<br />
tieferen Ebenen, beispielsweise Veränderungen der Markt- und Wettbewerbssituation<br />
und ihre Bedeutung für eine einzelne Firma. 226 Es können aber auch Veränderungen in<br />
Konzernstrukturen erfasst werden, um beispielsweise deren Bedeutung für vertikal<br />
untergeordnete <strong>Wandel</strong>projekte zu ermitteln, wie es auch im Falle dieses Forschungs-<br />
projekts bei SIEMENS BUILDING TECHNOLOGIES und auch der MIGROS AARe der Fall<br />
war. Aus diesem Grund werden verschiedene vertikale Ebenen der Organisation in die<br />
Untersuchung einbezogen. 227<br />
2. „History is not just an event in the past but is alive in the present and may shape the<br />
future. However, history is to be understood not just as events and chronology; there<br />
may be deeper pathways if the analyst searches for structures and underlying<br />
logics“. 228 Die Bedeutung der Zeit für organisationalen <strong>Wandel</strong> ist inzwischen zu<br />
einem eigenen Forschungsbereich geworden und die Untersuchung von <strong>Wandel</strong> erfor-<br />
dert die Berücksichtigung von Elementen wie „Erinnerungsspuren“ (GIDDENS), der<br />
„archeology of knowledge“ (FOUCAULT), „path-dependencies“. 229 Gute Theorie muss<br />
nach PETTIGREW die Geschichte und die Zukunft eines Systems in die wissen-<br />
schaftliche Betrachtung einbeziehen und mit der Gegenwart verbinden. 230 .Die Heraus-<br />
226 Vgl. Pettigrew 1990, S. 269.<br />
227 Neben diesen von Pettigrew explizit genannten Vorteilen der vertikalen Analyse bietet dieses Vorgehen auch<br />
die Möglichkeit, wiederkehrende Handlungsmuster, wechselseitige Interdependenzen sowie hierarchisch<br />
widersprüchliche Botschaften zu identifizieren. Vgl. dazu im empirischen Teil den Begriff und die<br />
Ausführungen zum „Double bind“.<br />
228 Vgl. Pettigrew, 1990.<br />
229 Foucault´s Archäologie des Wissens besteht im Zurückverfolgen und Aufdecken der Bedingungen, welche<br />
einen bestimmten Diskurs oder ein Wissen ermöglichten. Es geht ihm dabei vor allem darum, dass wir, wenn<br />
es uns möglich ist, die Ursprünge unseres gegenwärtigen Selbstverständnisses zu verstehen, die Möglichkeit<br />
zur Veränderung haben. Diese Überlegung deckt sich mit dem, was Giddens mit den nicht beachteten<br />
Handlungsvoraussetzungen beschreibt und im Rahmen des Tetralemmas in der vierten Position mit der Frage<br />
behandelt wird „Was in der Vergangenheit lässt das gegenwärtige Phänomen sinnvoll erscheinen/ vor<br />
welchem Hintergrund macht diese Frage Sinn?“.<br />
230 Vgl. Pettigrew, 1979.
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
arbeitung von zeitlichen Verbindungen muss insbesondere im Rahmen der Unter-<br />
suchung von Post-Merger-Integratiosprojekten Teil der Analyse sein. Grund: Es<br />
handelt sich im sich Wesentlichen um die Auseinandersetzung mit vergangenen<br />
Regeln, Routinen und dem Erlernen von neuen Strukturen und Handlungen.<br />
3. Das Verhältnis zwischen Kontext und Handlungsprozessen beschreibt PETTIGREW<br />
wie folgt: “Context is not just a stimulus environment but a nested arrangement of<br />
structures and processes where the subjective interpretations of actors perceiving,<br />
comprehending, learning and remembering help shape process”. 231 Strukturen bzw.<br />
Kontexte stellen damit nicht nur Grenzen für die Handlung dar, sondern ermöglichen<br />
auch erst Handlungen bzw. <strong>Prozess</strong>e. 232 Das Dualitätsverhältnis von Handlung bzw.<br />
<strong>Prozess</strong> und Struktur und der ermöglichende Charakter, den Integrationsprojekte im<br />
Sinne von <strong>Wandel</strong>arenen in Post-Merger-Phasen dabei spielen können, sind nun der<br />
Fokus der empirischen Betrachtung.<br />
4. Die ganzheitliche Sichtweise organisationalen <strong>Wandel</strong>s macht eine nicht-lineare und<br />
nicht-simplifizierende Vorstellung von Kausalität erforderlich. „The task is to identify<br />
a variety and mixture of causes of change and to explore through time some of the<br />
conditions and contexts under which these mixtures occur“. 233 <strong>Wandel</strong> ist demnach<br />
nur durch multiple Gründe zu erklären und kann eher in Rückkopplungsschleifen <strong>als</strong> in<br />
direkten, kausalen und linearen Ursache-Wirkungs-Beziehungen erklärt werden.<br />
An dieser Stelle deckt sich das <strong>Prozess</strong>verständnis der kontextuellen Forschung mit<br />
dem von VAN DER VEN, 234 der darunter „a sequence of events or activities that desc-<br />
ribes how things change over time“ versteht. 235 Diese verzeitlichte, stark mit dem<br />
Kontext verschränkte, und non-kausale Vorstellung eines <strong>Prozess</strong>es erlaubt es dem<br />
231 Vgl. Pettigrew, 1990.<br />
232 Pettigrew bezieht sich hierbei explizit auf das Dualitätsverständnis von Handlung und Struktur bei Gidddens,<br />
wie es auch in dieser Arbeit im Rahmen der Strukturationstheorie <strong>als</strong> theoretische Grundlage verwendet wird.<br />
233 Vgl. Pettigrew, 1990.<br />
234 Pettigrew folgt ausdrücklich dem <strong>Prozess</strong>verständnis von van de Ven, vgl. und Pettigrew, 1992.<br />
235 Van de Ven unterscheidet drei unterschiedliche <strong>Prozess</strong>verständnisse: „In particular, three meanings of<br />
process are often used: (1) a logic that explains a causal relationship between independent and dependent<br />
variables; (2) a category of concepts or variables that refer to actions of individu<strong>als</strong> or organizations; and (3)<br />
a sequence of events that describe how things change over time.“ Van de Ven, 1993. Insbesondere die dritte<br />
Definition wird von Pettigrew weiter verwendet.<br />
95
96<br />
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
Forscher die drei in der kontextualistischen Forschung geforderten Dimensionen des<br />
Inhalts, <strong>Prozess</strong>es und Kontexts simultan im strategischen <strong>Wandel</strong> zu berücksichtigten.<br />
Die vorliegende Arbeit wird sich deshalb am Leitbild der kontextualistischen Strate-<br />
gieprozessforschung orientieren und sich in der Untersuchung der Post-Merger-Integ-<br />
ration methodisch an den drei vorgestellten Dimensionen orientieren.<br />
3.3.4 Gütekriterien der Forschung<br />
Ein exaktes Bild von Unschärfe muss unscharf sein.<br />
Matthias Varga von Kibéd<br />
Wie schon bei der Methodologie ergeben sich auch bei der Frage der Gütekriterien der<br />
Forschung Konsequenzen aus dem gewählten konstruktivistischen Wirklichkeits- und<br />
Wissensverständnis. Weicht man ab vom Bild der Wissenschaft <strong>als</strong> Abbild der Wirk-<br />
lichkeit, so genügen auch die üblichen Gütekriterien der Objektivität, Reliabilität und<br />
Validität nicht mehr, da sie ausschließlich die intersubjektiv gleiche, genaue und<br />
wirklichkeitsgetreue Abbildung messen. 236<br />
Damit stellt sich die Frage, was gute Forschung im Rahmen eines konstruktivistischen<br />
Paradigmas ausmacht. Während die klassische Forschung im Rahmen eines positivis-<br />
tischen Paradigmas eindeutige Gütekriterien ihrer Ergebnisse formuliert, bietet sich im<br />
Bereich konstruktivistisch orientierter Forschung ein uneinheitlicheres Bild. MAYRING<br />
und LAMNEK geben beispielsweise jeweils einen unterschiedlichen Merkm<strong>als</strong>kanon<br />
zur Bewertung an. 237 Grundsätzlich scheinen allerdings drei Wesenszüge des<br />
konstruktivistischen Paradigmas für die veränderten Vorstellungen über gute<br />
Forschung verantwortlich zu sein:<br />
• die Perspektivität und Kontextabhängigkeit des (wissenschaftlichen) Wissens<br />
und der Wirklichkeitsvorstellung.<br />
• der Umstand, dass wissenschaftliche Ergebnisse <strong>als</strong> Konstruktionen und<br />
Deutungsangebote nicht <strong>als</strong> Abbildung einer objektiv vorhandenen Wirklich-<br />
keit verstanden werden.<br />
236 Vgl. Weick, 1989.<br />
237 Vgl. Mayring, 1993, Lamnek, 1988.
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
• das Beschreiben und Verstehen und nicht so sehr das Erklären im Vordergrund<br />
der Forschungsaktivitäten stehen .<br />
Tabelle 7 stellt die unterschiedlichen Forschungsverständnisse anhand von drei Anfor-<br />
derungsdimensionen gegenüber. Diese beziehen sich auf das Verhältnis des Forschers<br />
zu den Beforschten, dem Forschungsprozess und den Forschungsergebnissen. 238<br />
Anforderungsdimensionen<br />
Wie ist das Verhältnis<br />
zwischen<br />
Forscher und Beforschten?<br />
Wie gut werden<br />
die Ergebnisse<br />
ermittelt?<br />
(„Forschungsprozess“<br />
bzw.<br />
„Verfahrensgüte“)<br />
Wie genau wird<br />
das erfasst, was<br />
man erfassen<br />
möchte?<br />
(„Forschungsergebnis“)<br />
Theorie des<br />
Messens 239<br />
Ziel der wissenschaftlichen<br />
Aussage<br />
Gütekriterien in einem<br />
positivistischen Paradigma<br />
• Objektivität – Grad der<br />
Standardisierung<br />
• Unabhängigkeit des<br />
Ergebnisses vom<br />
Forscher<br />
• Reliabilität – Ausmaß der<br />
Messpräzision unter Absehung<br />
vom Inhalt<br />
• Genaues Erfassen des<br />
stabilen, wahren Wertes<br />
bei möglichst geringem<br />
Fehlerwert<br />
• Validität – Ausmaß der<br />
Merkm<strong>als</strong>sättigung bzw. der<br />
Erfassung des Inhalts<br />
• Übereinstimmung zwischen<br />
gemessenem und<br />
empirischem Wert<br />
• Wiederholung <strong>als</strong> Schlüssel<br />
zur Genauigkeit<br />
• Generalisierbarkeit der<br />
Ergebnisse / Erklären<br />
Gütekriterien in einem konstruktivistischen<br />
Paradigma<br />
• Subjektivität – Subjekt-<br />
Subjekt Verhältnis zwischen<br />
Forscher und Beforschten<br />
• Nähe zum Gegenstand<br />
• Transparenz<br />
• Verfahrensdokumentation<br />
• Regelgeleitetheit<br />
• Triangulation<br />
• Plausibilität<br />
• Argumentative Interpretationsabsicherung<br />
• Kommunikative<br />
Validierung<br />
• Kontextbezug <strong>als</strong> Schlüssel<br />
zum Verständnis<br />
• Spiel mit Unterschieden und<br />
Beachtung von Kontextbezogenheit<br />
der Ergebnisse / Beschreiben<br />
und Verstehen<br />
Tabelle 7: Gegenüberstellung von Gütekriterien des positivistischen und des konstruktivistischen<br />
Forschungsverständnisses<br />
238 Wenngleich diese Aufteilung beiden Paradigmen bzw. den entsprechenden Gütekriterien nicht ganz gerecht<br />
wird, ermöglicht diese Gegenüberstellung einen nachvollziehbaren Vergleich und eine deutlichere<br />
Herausarbeitung der Unterschiede.<br />
239 Vgl. Mir und Watson, 2001.<br />
97
98<br />
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
Da die vorliegende Studie dem konstruktivistischen Paradigma folgt, werden nun die<br />
in Tabelle 5 genannten allgemeinen Gütekriterien in Anlehnung an MAYRING 240 kurz<br />
erläutert. Die Darstellung wird dabei ergänzt durch Hinweise, wie diesen<br />
Anforderungen in dieser Arbeit entsprochen wird.<br />
Während der Forscher im positivistischen Verständnis versucht, die Subjektivität<br />
herauszufiltern, geht es im konstruktivistischen Verständnis um das Kenntlichmachen<br />
seines Einflusses.<br />
• Die Nähe zum Gegenstand wird im Rahmen dieser Arbeit durch die<br />
ethnomethodologische Forschungsmethoden (teilnehmende Beobachtung,<br />
Einzelinterviews, Feedbackworkshops) erzielt. Auf die Datenerhebung wird<br />
dadurch zwangsläufig ein gewisser Einfluss genommen. Auch die<br />
anschliessende Datenauswertung ist nur möglich durch einen engen Bezug zum<br />
Forschungsgegenstand. Die daraus resultierenden Second-Order-Findings,<br />
welche sich zwar <strong>als</strong> Muster organisationaler Handlungen verstehen, stellen<br />
gleichzeitig aber auch Interpretationen der Forscher dar.<br />
Verfahrensdokumentation, Regelgeleitetheit und methodische Triangulation dienen<br />
der Transparenz und Nachvollziehbarkeit des methodischen Verfahrens:<br />
• Die Verfahrensdokumentation wird durch eine differenzierte Beschreibung des<br />
Forschungsvorgehens, 241 die genaue Dokumentation sämtlicher Forschungs-<br />
kontakte in Form schriftlicher Protokolle 242 sowie die Speicherung dieser<br />
Protokolle in einer speziellen Datenbank erreicht.<br />
• Die Regelgeleitetheit des Forschungsprozesses wird durch die Regeln, den Zeit-<br />
und Vorgehensplan sowie die Reflexion des Forschungsprojekts LEARNING<br />
DYNAMICS gesichert.<br />
• Unter der methodischen Triangulation wird die gegenseitige Ergänzung<br />
mehrerer methodischer Zugänge verstanden. Methodische Triangulation kann<br />
durch die Vielfalt der eingesetzten Forschungsmethoden (teilnehmende Beo-<br />
240 Vgl. Mayring, 1993.<br />
241 Vgl. Projektbericht Learning Dynamics, 1999.<br />
242 Vgl. Protokollvorlage im Anhang.
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
bachtung, Einzelinterviews, informelle Gespräche, Feedbackveranstaltungen,<br />
Dokumentenanalysen) erzielt werden.<br />
Die argumentative Interpretationsabsicherung und die kommunikative Validierung<br />
dienen schließlich dazu, einzuschätzen, ob auch das erfasst wurde, was erfasst werden<br />
sollte. Stimmen die Beschreibungen und Interpretationen der Forscher mit der „Wirk-<br />
lichkeit“ überein? Sind sie <strong>als</strong>o plausibel und anschlussfähig an die Vorstellungen der<br />
Organisationsmitglieder? Nach WEICK ist eine Beschreibung dann plausibel und von<br />
guter Qualität, wenn sie „interesting rather than obvious, irrelevant or absurd, obvious<br />
in novel ways, a source of unexpected connections, high in narrative rationality,<br />
aesthetically pleasing, or corresponding with presumed realities“ ist. 243<br />
• Die argumentative Interpretationsabsicherung erfolgt dadurch, dass das<br />
Vorverständnis der Interpretationen adäquat ist und die Deutungen sinnvoll<br />
theoriegeleitet sind. Die Interpretationen sind schlüssig, bzw. es werden dort,<br />
wo sie Brüche aufweisen, diese Brüche erklärt.<br />
• Die kommunikative Validierung wird durch regelmäßige Feedbacks,<br />
Erfahrungsaustauschtreffen und die Diskussion der Zwischen-(ergebnisse) mit<br />
Mitgliedern der Organisation erreicht.<br />
Was bedeutet das für den Forschungsprozess? Die hier zugrunde liegende<br />
evolutionäre, kreativ-verstehende und interpretative Auffassung des<br />
Forschungsprozesses und der Theoriebildung unterscheidet sich deutlich von dem<br />
methodisch strengen positivistischen Verständnis. So charakterisiert WEICK “theory<br />
construction as disciplined imagination“. 244 VON GLASERFELD meint hierzu:<br />
„Concepts, models, theories and so on are viable, if they prove adequate within the<br />
context they were created.” 245 Viabilität und Plausibilität sind innerhalb eines<br />
bestimmten Kontexts zentrale Merkmale guter Theoriekonstruktion. Die Plausibilität<br />
wird dabei danach bewertet, ob eine Theorie interessant, eine Quelle interessanter<br />
Verbindungen, evident, glaubhaft, real oder schön ist. 246 Der <strong>Prozess</strong> entspricht damit<br />
243 Vgl. Weick, 1989.<br />
244 Vgl. ebenda.<br />
245 Vgl. von Glaserfeld, 1995.<br />
246 Vgl. Weick, 1989.<br />
99
100<br />
An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />
Grundüberlegung<br />
nicht einem analytischen Problemlösen bzw. Hypothesentesten, sondern eher einem<br />
Sensemaking-<strong>Prozess</strong>, der möglicherweise ein Heureka-Erlebnis beinhaltet.
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
4 Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
4.1 Die Strukturationstheorie<br />
von Anthony Giddens<br />
Es gibt nichts praktischeres <strong>als</strong> eine gute Theorie.<br />
Kurt Lewin<br />
4. Grundsteine organisationaler<br />
Theoriegebäude<br />
4.2 Systemtheorie<br />
4.3 Fazit und Implikationen eines<br />
strukturations- und systemtheoretischen<br />
Organisationsverständnisses<br />
Abbildung 17: Gedankenfluss Kapitel 4<br />
Im folgenden Kapitel werden ausgehend vom Forschungsinteresse am organi-<br />
sationalen <strong>Wandel</strong> im Allgemeinen und dem <strong>Wandel</strong> im Zusammenhang mit Fusionen<br />
im Speziellen, mit der Theorie der Strukturierung und der Systemtheorie Landkarten<br />
für die empirische Beobachtung von organisationalem <strong>Wandel</strong> vorgestellt. 247<br />
Der Nutzen der Landkarten besteht darin, die empirischen Phänomene – organi-<br />
sationale Handlungen und Strukturen – in ihrer Bedeutung und ihren Implikationen für<br />
den organisationalen <strong>Wandel</strong> und die <strong>Wandel</strong>fähigkeit zu verstehen sowie Erklärungs-<br />
ansätze und logische Implikationen ableiten zu können.<br />
Deshalb werden nachfolgend die beiden wichtigsten Meta-Theorien, die für das<br />
Thema in erster Linie wichtig erscheinen – die Strukturationstheorie von ANTHONY<br />
GIDDENS und die neuere Systemtheorie – vorgestellt. Beide Theorien gehen von der<br />
sinnhaften Konstitution und Konstruktion der sozialen Wirklichkeit aus. Dabei spielt<br />
in der Systemtheorie die Berücksichtigung des Systems innerhalb einer Umwelt eine<br />
herausragende Rolle. In der Strukturationstheorie ist die Berücksichtigung von<br />
247 Vgl. zur Bedeutung von Theorien im <strong>Prozess</strong> des organisationalen <strong>Wandel</strong>s auch insbesondere Rüegg-Stürm,<br />
2000 Rüegg-Stürm, 2001.<br />
101
102<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Wissensstrukturen bei der Betrachtung von (organisationalen) Handlungen von<br />
besonderer Bedeutung. Für die Untersuchung von organisationalem <strong>Wandel</strong> sollen in<br />
dieser Arbeit die Leitunterscheidungen beider Meta-Theorien – die Innen-Aussen-<br />
Unterscheidung der Systemtheorie und die Wissensstruktur-Handlungspraxis-<br />
Unterscheidung der Strukturationstheorie – Berücksichtigung finden. 248 .<br />
4.1 Die Strukturationstheorie von Anthony Giddens<br />
4.1 Die Strukturationstheorie<br />
von Anthony Giddens<br />
Es gibt keine Wege. Nur auf dem Weg sein.<br />
Inschrift in einem spanischen Kloster<br />
4. Grundsteine organisationaler<br />
Theoriegebäude<br />
4.2 Systemtheorie<br />
4.3 Fazit und Implikationen eines<br />
strukturations- und systemtheoretischen<br />
Organisationsverständnisses<br />
Abbildung 18: Gedankenfluss Kapitel 4<br />
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Untersuchung des strategischen<br />
<strong>Wandel</strong>s in Organisationen. Daraus ergeben sich Anforderungen an einen geeigneten<br />
theoretischen Bezugsrahmen, die darin bestehen, dass er<br />
248 Bereits and dieser Stelle kann darauf hingewiesen werden, dass die Unterscheidung in System/Umwelt und<br />
Wissensstrukturen/Handlungspraxis jeweils auch einen Zusammenhalt darstellt. Vergleiche hierzu den<br />
Hinweis von Spencer Brown „Distinction is perfect continence“ was übersetzt werden kann mit<br />
Unterscheidung stellt einen perfekten Zusammenhang dar“ Spencer Brown, 1967, Reckwitz, 1997a.
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
• die Untersuchung organisationalen <strong>Wandel</strong>s im Zusammenhang von Strategie-<br />
und Organisationsarbeit ermöglicht und damit die <strong>Wandel</strong>arbeit in einen über-<br />
geordneten Sinnzusammenhang stellt, 249<br />
• organisationalen <strong>Wandel</strong> <strong>als</strong> ein organisationales oder systemisches und nicht<br />
bloß ein individuelles Phänomen beschreibt, <strong>Wandel</strong> <strong>als</strong>o nicht ausschließlich<br />
auf Merkmale oder Qualitäten eines Systemelements oder Kontextfaktors<br />
reduziert,<br />
• <strong>Wandel</strong> <strong>als</strong> Phänomen der Veränderung von Strukturen begreift,<br />
• Zeit und Geschichte eines Systems im Sinne einer path-dependency berück-<br />
sichtigt, um den Einfluss von zurückliegenden Ereignissen wie Fusionen, Um-<br />
strukturierungen und strategischen Entscheidungen einbeziehen zu können,<br />
• explizite und insbesondere auch implizite Strukturen berücksichtigt,<br />
• die Akteure in sozialen Systemen <strong>als</strong> reflektiv Handelnde wahrnimmt und ihnen<br />
die Fähigkeit zu kontingentem Handeln zuerkennt, ihnen <strong>als</strong>o die Möglichkeit<br />
einräumt auch anders zu handeln <strong>als</strong> das die strukturellen Voraussetzungen oder<br />
die bestehenden rekursiven <strong>Prozess</strong>e es u.U. vorausgeben würden.<br />
Sowohl die Theorie der Strukturierung von ANTHONY GIDDENS <strong>als</strong> auch die System-<br />
theorie entsprechen diesen Anforderungen. Beide teilen insbesondere die Annahme<br />
einer sinnhaften Konstitution sozialer Wirklichkeit und betonen die sozialen Konstruk-<br />
tions- und Interpretationsleistungen. 250<br />
GIDDENS Theorie der Strukturierung hat darüber hinaus für sich selber den Anspruch<br />
“of providing conceptions of the nature of human activity and of the human agent<br />
which can be placed in the service of the empirical work”. 251 GIDDENS versteht die<br />
249 Vgl. hierzu auch die Konvergenzthese von Strategie- und Organisationswissenschaft z.B. bei Schreyögg,<br />
1999b.<br />
250 Der konstruktivistische Charakter der Theorie der Strukturierung kommt u.a. in folgender Einschätzung<br />
Neubergers zum Ausdruck: "Das Konzept der 'Dualität der Struktur' erfordert, das Objektive <strong>als</strong><br />
Objektiviertes und damit von Subjekten Erzeugtes und im Prinzip durch sie Veränderbares zu sehen; ..."<br />
Neuberger, 1995.<br />
251 Vgl. Giddens, 1984.<br />
103
104<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Theorie der Strukturierung <strong>als</strong>o <strong>als</strong> einen geeigneten konzeptionellen Bezugsrahmen<br />
für empirisches Arbeiten.<br />
Die theoretische Verbindung zwischen Handlung und Struktur bietet darüber hinaus<br />
eine Vermittlung zwischen den beiden einseitig vorherrschenden Perspektiven in der<br />
Organisationstheorie. Diese neigen entweder dazu, den institutionellen Kontext, in<br />
dem Organisationsmitglieder handeln, zu vernachlässigen oder das Verhalten in und<br />
von Organisationen ausschließlich durch strukturelle Zwänge determiniert zu<br />
betrachten. 252<br />
Die Systemtheorie hat der anwendungsorientierten Managementlehre bereits seit<br />
längerer Zeit wichtige Impulse geliefert. Dass ein System durch den Beobachter<br />
konstruiert wird und die Anwendung von Differenzschemata zur Entwicklung von<br />
„blinden Flecken“ und impliziten Strukturen führt, sind Erkenntnisse, die im Rahmen<br />
der hier untersuchten <strong>Wandel</strong>thematik von entscheidender Bedeutung sind.<br />
4.1.1 Soziale Systeme<br />
Ähnlich wie die Theorie der Strukturierung ist auch die Systemtheorie eine<br />
Sozialtheorie, die u.a. das Phänomen von Stabilität und <strong>Wandel</strong> von Strukturen und<br />
Handlungen in sozialen Systemen untersucht. 253<br />
Der Grundgedanke der systemischen Sicht auf Organisationen besteht darin, dass Ver-<br />
halten und Handlungen von Organisationsmitgliedern durch die Interaktionen mit<br />
252 Diese beiden Richtungen spiegeln die vorherrschenden Grundpositionen in der Sozial- und<br />
Organisationstheorie wider. Einerseits objektivistische Positionen (Strukturalismus, Funktionalismus) in<br />
denen verdinglichte Strukturen Zwänge auf ein eher passives Subjekt <strong>als</strong> Ziele strukturell-gesellschaftlicher<br />
Kräfte ausüben. Hieraus lassen sich dann Wirkungsketten ausgehend von der Struktur der Organisation zum<br />
Verhalten der Organisationsmitglieder aufbauen (z.B. der situative Ansatz Kieser und Kubicek, 1992). Auf<br />
der anderen Seite stehen dagegen subjektivistische Ansätze (interpretative und hermeneutische Ansätze), in<br />
denen Sinn und Bedeutung des Handelns zur Erklärung von Verhaltensweisen herangezogen werden. Wo ist<br />
die Theorie der Strukturierung soziologisch zu verorten? Soziologisch ist die Theorie der Strukturierung von<br />
Giddens abzugrenzen vom Strukturalismus und vom Funktionalismus. Giddens vergleicht die Untersuchung<br />
von Struktur und Handlung in der Gesellschaft mit dem Studium der Anatomie eines Organismus und den<br />
Funktionalismus mit dem Studium der Physiologie eines Organismus. Im Gegensatz zu biologischen<br />
Systemen können nach Giddens Meinung sozialer Systeme und ihre Muster nur untersucht werden, soweit<br />
sie <strong>als</strong> Systeme organisiert sind und über die Zeit reproduziert werden (Giddens, 1979). Metaphorisch<br />
gesprochen legt er den Schwerpunkt seiner Betrachtung auf das Zusammenspiel von Anatomie und<br />
Physiologie.<br />
253 Vgl. z.B. Selvini Palazolli, et al., 1995, Simon, 1992.
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
anderen Systemmitgliedern und den Kontext beeinflusst werden. 254 WILLKE etwa defi-<br />
niert ein System <strong>als</strong> „ganzheitlichen Zusammenhang von Teilen, deren Beziehungen<br />
untereinander quantitativ intensiver und qualitativ produktiver sind <strong>als</strong> ihre Bezie-<br />
hungen zu anderen Elementen. Diese Unterschiedlichkeit der Beziehungen konstituiert<br />
eine Systemgrenze, die System und Umwelt des Systems trennt“. 255<br />
GIDDENS definiert soziale Systeme prozessual <strong>als</strong> „die Ordnung sozialer Beziehungen<br />
über Raum und Zeit hinweg, sofern diese <strong>als</strong> reproduzierte Praktiken aufgefasst<br />
werden“ 256 . Die Beziehungen zwischen Individuen oder Gruppen sozialer Systeme<br />
werden <strong>als</strong> wiederkehrende soziale Praktiken aufgefasst. Dieses Systemverständnis<br />
blickt im Gegensatz zu vielen anderen vorrangig auf die <strong>Prozess</strong>e und sozialen<br />
Praktiken in Systemen und stellt damit eine Abkehr von eher strukturalistischen und<br />
funktionalistischen Systemvorstellungen dar. 257<br />
Durch die Definition sozialer Systeme <strong>als</strong> Organisation geregelter sozialer Praktiken<br />
ist die Theorie der Strukturierung in mehrfacher Hinsicht systemischer <strong>als</strong> viele struk-<br />
turalistische oder funktionalistische Ansätze. Dies drückt sich in der starken Berück-<br />
sichtigung des Kontexts in den Handlungsvoraussetzungen und Handlungsfolgen, dem<br />
expliziten zeitlichen Kontextbezug der sozialen Praktiken und der Rekursivität der<br />
Handlungen aus. Für GIDDENS sind Organisationen Produkt und Medium<br />
organisationalen Handelns. Die Akteure bringen, vergleichbar der WEICK´schen<br />
Vorstellung vom enactment, in ihrem Handeln das soziale System Organisation erst<br />
hervor. Sie werden nicht nur <strong>als</strong> Teil oder Element des Systems Organisation<br />
verstanden, sondern reproduzieren durch ihr Handeln soziale Systeme.<br />
GIDDENS geht soweit, dass soziale Systeme einzig in der und durch die Kontinuität<br />
sozialer Praktiken existieren. Damit rückt der Interaktionsbegriff ins Zentrum der Be-<br />
trachtung. Von Eigenschaften und generalisierten Strukturen <strong>als</strong> Grundlage oder sogar<br />
Ursache des sozialen Verhaltens wird dagegen abgesehen.<br />
254 Vgl. Willke, 1991.<br />
255 Vgl. ebenda.<br />
256 Vgl. Giddens, 1997. Er grenzt soziale Systeme in ihrer Systemhaftigkeit aufgrund ihrer großen<br />
Variationsbreite gegenüber physikalischen und biologischen Systemen und deren hoher interner<br />
Einheitlichkeit ab.<br />
257 Auf die Unterschiede zu anderen systemischen Strömungen, die in der Regel stärker durch kybernetische und<br />
biologische Systemvorstellungen inspiriert sind und diese dann i.d.R. auf soziale Systeme übertragen, kann<br />
im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter eingegangen werden. Vgl. zu diesen Unterschieden z.B. Willke, 1991.<br />
105
106<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Der rekursive <strong>Prozess</strong> der Strukturierung und das Theorem der Dualität (siehe nächstes<br />
Kapitel) beschreiben die Art und Weise, wie die systemgenerierenden und -<br />
erhaltenden Interaktionen die organisationalen Muster formen.<br />
4.1.2 Rekursivität und die Dualität von Struktur und Handlung<br />
Der Begriff „Organisation“ beinhaltet eine fundamentale Zweideutigkeit: Er kann zum<br />
einen den <strong>Prozess</strong> des Organisierens umschreiben. Zum anderen kann er aber auch das<br />
Erzeugnis dieses <strong>Prozess</strong>es im Sinne der Organisation <strong>als</strong> „Organisiertheit“<br />
bezeichnen.<br />
ORTMANN fordert anstelle der Beseitigung dieser begrifflichen Unklarheit, der Sprache<br />
den „Kredit einer Weisheitsvermutung“ einzuräumen und den möglichen Sinn dieser<br />
Doppeldeutigkeit zu hinterfragen. 258 Dabei liegt es für ihn nahe, das Verhältnis dieser<br />
beiden Bedeutungen von „Organisation“ im Sinne einer Rekursivität zu begreifen.<br />
Die organisationalen Strukturen, die dem <strong>Prozess</strong> des Organisierens zugrunde liegen,<br />
werden durch die organisationalen Handlungen und <strong>Prozess</strong>e wiederum hervorge-<br />
bracht. Anders ausgedrückt: Das Ergebnis einer Handlung geht in den weiteren<br />
<strong>Prozess</strong> <strong>als</strong> Voraussetzung ein. So wird etwa durch das Beachten von Abteilungs-<br />
grenzen im Rahmen alltäglicher Geschäftsprozesse diese Grenzziehung kontinuierlich<br />
<strong>als</strong> Struktur reproduziert und bestätigt.<br />
GIDDENS beschreibt diesen Zusammenhang zwischen Struktur und Handlung <strong>als</strong> eine<br />
Dualität:<br />
“According to the notion of the duality of structure, the structural properties of social systems<br />
are both medium and outcome of the practices they recursively organize.” 259<br />
Strukturen <strong>als</strong> Medium und Ergebnis sozialen Handelns ermöglichen soziale Praktiken<br />
und schränken sie gleichzeitig ein. Am Beispiel des Sprechens wird dieser Zusammen-<br />
hang deutlich: Das Sprechen einer Sprache ist nur möglich, weil bestimmte Sprach-<br />
strukturen (grammatische oder semantische Regeln) existieren. Durch das Sprechen<br />
werden aber genau diese Regeln wiederum reproduziert. 260 Die Struktur existiert erst<br />
durch das Handeln und in der Handlung der Akteure. Das Handeln wiederum auch erst<br />
durch die Existenz von Struktur möglich.<br />
258 Vgl. Ortmann, et al., 1997.<br />
259 Vgl. Giddens, 1984.
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Es ist wichtig zu beachten, dass Systeme zwar Strukturen haben, sie selber aber keine<br />
Strukturen sind. 261 Sozialen Systemen, wie Organisationen, liegen die Strukturen<br />
zugrunde. Systeme können somit <strong>als</strong> <strong>Prozess</strong>e der routinisierten Herausbildung und<br />
Reproduktion von Mustern sozialer Praktiken über Zeit und Raum hinweg verstanden<br />
werden. Um diese Strukturierung sozialer Systeme zu untersuchen, muss man<br />
beobachten, auf welche Art und Weise das System durch Handlungen, <strong>als</strong>o über die<br />
Anwendung von Regeln und Ressourcen, in Interaktionen produziert und reproduziert<br />
wird. 262<br />
Unerkannte<br />
Handlungsbedingungen<br />
Handlung<br />
Struktur<br />
Abbildung 19: Zusammenhang von Struktur und Handlung<br />
(in Anlehnung an Giddens, 1997, S. 52)<br />
Nicht intendierte<br />
Handlungsfolgen<br />
Die Handlung der Akteure in sozialen Systemen kann neben beabsichtigten auch un-<br />
beabsichtigte Folgen haben. ORTMANN nennt hierfür das Beispiel, dass das Bemühen<br />
eines Zulieferers, pünktlich zu liefern, eine beabsichtigte Handlung ist. Dabei findet<br />
<strong>als</strong> unbeabsichtigte Folge eine Reproduktion der Vorstellung statt, dass Zeit einen<br />
ökonomischen Wert darstellt. 263 Die Handlungsbedingung (Zeit ist knappes Gut) wird<br />
<strong>als</strong> Bedingung nicht bewusst und nicht <strong>als</strong> Folge des eigenen Verhaltens (Bemühungen<br />
um pünktliche Lieferung) erkannt. Die unbeabsichtigten Handlungsfolgen werden in<br />
dem beschriebenen Rückkopplungsprozess so zu unerkannten Handlungsbedingungen.<br />
Die beschriebene rekursive Beziehung hat aber noch weiter gehende Konsequenzen:<br />
Die Akteure sind stets Mitglieder mehrerer (Sub)Systeme. Sie wirken <strong>als</strong>o in<br />
260 Vgl. Giddens, 1976.<br />
261 Zum genauen Strukturverständnis bei Giddens siehe das folgende Kapitel.<br />
262 Vgl. Giddens, 1979.<br />
263 Vgl. Walgenbach, 1999.<br />
107
108<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Organisationen aufgrund der Dualität von Struktur und Handlung daran mit,mehrere<br />
soziale Systeme zu produzieren. Sie müssen dabei kompetent mit Mustern<br />
verschiedener sozialer Praktiken der unterschiedlichen Systeme umgehen. Hierbei<br />
führt die beschriebene Rekursivität allerdings auch zu einem Phänomen, das man <strong>als</strong><br />
Musterwiederholung bezeichnen könnte. So finden sich beispielsweise in strategischen<br />
Initiativen häufig Muster der Alltagsorganisation wieder. Abbildung 14 versucht<br />
diesen Zusammenhang zu verdeutlichen.<br />
Struktur System 1 Handeln<br />
Struktur System 2<br />
System 1<br />
System 2<br />
Abbildung 20: Reproduktion von Strukturen in unterschiedlichen Systemen<br />
(Quelle: Becker, 1996, S. 164)<br />
Die Reproduktion von Struktur durch die Handlung schließt allerdings die Möglichkeit<br />
des <strong>Wandel</strong>s und der Erneuerung ein. Wie im sprachlichen Bereich, wo<br />
grammatikalische oder Bedeutungsregeln sich im Laufe der Zeit ändern, treten auch<br />
bei organisationalen Handlungen mehr oder weniger bedeutsame Abweichungen von<br />
der „regelgerechten“ Ausführung auf. Unter Umständen reproduziert eine Anzahl von<br />
Akteuren diese Abweichungen und verändert so die Struktur.<br />
4.1.3 Wissen und Können – Regeln und Ressourcen<br />
Um den <strong>Prozess</strong> der Strukturierung und das Verhältnis von Handlung und Struktur zu<br />
verstehen, werden im Folgenden die Konzeptualisierungen der beiden Begriffe im<br />
Rahmen der Theorie der Strukturierung erläutert.<br />
Systeme sind für GIDDENS raum-zeitlich (re-)produzierte Handlungszusammenhänge –<br />
und bestehen aus den Komponenten Wissen und Können – Strukturen dagegen sind<br />
Zusammenhänge von Regeln und Ressourcen.<br />
Handlung stellt für GIDDENS einen kontinuierlichen Strom von Aktivitäten (flow of<br />
conduct) dar. Die Identifikation und Herauslösung einzelner Akte geschieht erst in der<br />
Reflexion. Die Akteure können das Handeln aufgrund ihres Handlungsvermögens
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
(capability) grundsätzlich beeinflussen und beständig über die handlungsrelevanten<br />
Wissensbestände (knowledgeability) intentional steuern.<br />
Struktur Wissen System 1<br />
Handlung<br />
Struktur<br />
Struktur Können System 1<br />
Regeln Ressourcen<br />
Abbildung 21: Grundstruktur der Strukturationstheorie<br />
(Quelle: Neuberger, 1995)<br />
Können: Die Handlung hängt von der Fähigkeit ab, „to make a difference“, 264 <strong>als</strong>o<br />
einen Unterschied zu machen. Der Handelnde (agent) muss in der Lage sein, anders zu<br />
handeln, d.h. fähig sein, in die Welt einzugreifen oder einen Eingriff zu unterlassen. Er<br />
verliert die Fähigkeit zu handeln in dem Moment, in dem er seine Fähigkeit, einen<br />
Unterschied zu machen verliert. 265 Die Fähigkeit zu Handeln hängt damit von der<br />
Kontingenz menschlichen Handelns, von der Existenz von Wahlmöglichkeiten sowie<br />
der Möglichkeit anders zu handeln ab. 266 Ähnlich betonen auch BARRETT und<br />
SRIVASTVA vor einem zeitbezogenen Handlungs- und Organisationsverständnis die<br />
264 Vgl. Giddens, 1984.<br />
265 Hier werden bereits Ähnlichkeiten z um Informationsbegriff von Bateson (Bateson, 1981) deutlich.<br />
266 An dieser Stelle wird bereits deutlich, dass eine Handlungsanalyse (analysis of strategic conduct) ausgehend<br />
von einer Rekonstruktion des flow of conduct untersuchen muss, wie sich die Bildung von Unterschieden im<br />
Sinne eines „differences that make a difference“ auf den <strong>Prozess</strong> der Strukturierung und damit auf das<br />
Entstehen von Strukturen auswirkt. Es geht bei der Veränderung von Strukturen <strong>als</strong>o um die Einführung von<br />
Unterschieden.<br />
109
110<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Bedeutung der Kontingenz bzw. der Möglichkeit der Wahrnehmung und Wahl von<br />
Alternativen. 267<br />
Wissen (knowledgeability): Im Mittelpunkt des handlungsrelevanten Wissens steht das<br />
gemeinsame Wissen, das den Akteuren in Form von Erinnerungsspuren („memory<br />
traces“) gegenwärtig ist. Allerdings ist es ihnen meist nicht bewusst, sondern<br />
vorbewusst oder implizit („mutual knowledge“). 268 Dieser Wissensbestand erlaubt es<br />
den Handelnden, das eigene Handeln an das anderer Akteure anzuschließen und ist<br />
damit die Voraussetzung für die Reproduktion sozialer Systeme. Die Akteure<br />
unterstellen dabei, dass ihr Wissen auch von anderen geteilt wird. 269<br />
GIDDENS geht davon aus, dass „every social actor knows a great deal about the<br />
conditions of reproduction of the society of which he or she is a member” 270 . Er geht<br />
<strong>als</strong>o grundsätzlich von einem wissenden und zum Bewusstsein fähigen Handelnden<br />
aus.<br />
GIDDENS unterscheidet drei Ebenen der Bewusstheit, die hinsichtlich der Wissens-<br />
bestände zu unterscheiden sind: Das Unbewusste ist dem Handelnden nur schwer bzw.<br />
gar nicht zugänglich. Allerdings gewährleistet es eine „ontologische Sicherheit“ in<br />
dem Sinne, dass der Handelnde zuversichtlich darauf vertrauen kann, dass die Natur<br />
und die soziale Welt so sind, wie sie erscheinen“. 271 Das Bewusstsein unterscheidet<br />
GIDDENS in zwei Ebenen. Das practical consciousness (handlungspraktische<br />
Bewusstsein) umfasst das Wissen über soziale Umstände und Bedingungen des<br />
Handelns, welches im Handeln implizit angewendet wird, aber über das in der Regel<br />
nicht Auskunft gegeben wird. Das discursive consciousness (diskursive Bewusstsein)<br />
umfasst dagegen Handlungswissen, über das auch diskursiv verfügt werden kann. 272<br />
267 Vgl. Barrett und Srivastva, 1991.<br />
268 Auch Polanyi verwendet den Begriff des impliziten oder tacit knowledge (Polanyi, 1985). Wendet man<br />
allerdings die von Cook und Brown vorgeschlagenen Unterscheidungen in explizites/tacit und<br />
individuelles/kollektives Wissen (Cook und Brown, 1999) an, wird schnell deutlich, dass es sich bei dem von<br />
Polanyi vorgestellten impliziten Wissen nur um einen Ausschnitt, nämlich den des individuellen impliziten<br />
Wissens handelt (vgl. hierzu auch ähnlich (Nonaka und Takeuchi, 1997). Im Rahmen dieser Arbeit und dem<br />
Konzept von Giddens steht dagegen vor allem das kollektiv geteilte, implizite Wissen im Vordergrund.<br />
269 Vgl. Giddens, 1984.<br />
270 Vgl. Giddens, 1979.<br />
271 Vgl. Giddens, 1984.<br />
272 Vgl. ebenda.
Routinisiertes<br />
Handeln<br />
Diskursives Bewusstsein<br />
Praktisches Bewusstsein<br />
Unbewusste Motive/Wahrnehmung<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Abbildung 22: Bewusstseinsebenen und Handlungskontrolle<br />
(in Anlehnung an Giddens, 1997, S.57) 273<br />
Diskursiv<br />
gesteuertes<br />
Handeln<br />
Die Trennung zwischen dem handlungspraktischen und dem diskursiven Bewusstsein<br />
ist nicht eindeutig. So kann jedes routinisierte Handeln zumindest teilweise diskursiv<br />
kontrolliert und erklärt werden. Umgekehrt basiert auch die tatsächliche Hand-<br />
lungssteuerung auf einer Unmenge impliziten Wissens. Routinisiertes Handeln in<br />
sozialen Systemen beruht aber in der Regel auf einem relativ hohen Anteil impliziten<br />
Wissens des handlungspraktischen Bewusstseins.<br />
Struktur: Struktur wird insbesondere in der Organisationstheorie <strong>als</strong> eine Art „innere<br />
Ordnung“ und unabhängig vom Handelnden, <strong>als</strong> ihm gegenüberstehendes, äußeres<br />
Gefüge verstanden. Soziale Strukturen tragen damit eine Art Zwangscharakter, welche<br />
„hinter dem Rücken der Handelnden“ deren Handeln bestimmen.<br />
Für GIDDENS sind Strukturen dagegen keine eigenständige virtuelle Entitäten, sondern<br />
verwirklichen sich in einem „immer währenden <strong>Prozess</strong>“ der „rekursiven Reproduk-<br />
tionen von Praktiken“ im Handeln. Es sind typisierte Handlungen, die auch in anderen<br />
Situationen eine Art Mustervorlagen darstellen und auch von anderen Akteuren er-<br />
kannt und benutzt werden können. Dadurch werden die sozialen Praktiken über Raum<br />
und Zeit hinweg identisch reproduziert und bleiben erhalten. Systeme haben somit nur<br />
273 Quelle: Becker, 1996.<br />
111
112<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
insofern Strukturen, <strong>als</strong> diese Strukturmomente sich in Praktiken realisieren und in<br />
Erinnerungsspuren erhalten bleiben. In Anlehnung an BHASKAR lassen sich Strukturen<br />
nach GIDDENS am besten <strong>als</strong> Beziehungsfelder von Positionen und Praktiken charakte-<br />
risieren. 274<br />
Strukturen bestehen wiederum aus Regeln und Ressourcen, die dem Wissen und dem<br />
Können der Handlung gegenüberstehen (vgl. Abb. 21).<br />
Regeln, bzw. das Wissen, um Regeln sind Gegenstand des geteilten und weitgehend<br />
impliziten Wissens. Wenn GIDDENS sich auf das Regelwissen bei WITTGENSTEIN be-<br />
zieht, wird damit der Bezug dieses Wissens zum sozialen und praktischen Aspekt (wie<br />
sie in den sozialen Praktiken zum Ausdruck kommen) deutlich:<br />
Darum ist "der Regel folgen" eine Praxis. Und der Regel zu folgen ist nicht: der Regel folgen.<br />
Und darum kann man nicht der Regel privatim folgen, weil sonst der Regel zu folgen glauben<br />
dasselbe wäre, wie der Regel folgen. 275<br />
Die Regeln geben den Handelnden somit ein praktisches Wissen an die Hand, wie sie<br />
sich in einem entsprechenden Kontext angemessen und kompetent verhalten können.<br />
Es handelt sich dabei nicht um praxisenthobene Bewusstseinstrukturen, sondern ein<br />
Wissen, auf das praxisbezogenes und regelmäßiges Tun angewiesen ist. Die Regeln<br />
sind auch keine externen, sanktionierenden Normen, sondern vorbewusst bleibendes<br />
implizites Regelwissen des praktischen Bewusstseins, die ein methodisches „how to<br />
go on“ angeben.<br />
Aufgrund des impliziten Charakters dieses Regelwissens kann das praktische Know-<br />
how kaum verbalisiert werden. Die Regeln werden <strong>als</strong> Handlungsmuster beständig<br />
sozial reproduziert, entziehen sich aber andererseits dem direkten bewussten Zugriff<br />
und somit einer allzu simplen intentionalen Veränderung durch die Beteiligten.<br />
Ressourcen ermöglichen den Akteuren Kontrolle über materielle Aspekte sozialer<br />
Situationen (allokative Ressourcen) oder auch über Menschen (autoritative Res-<br />
sourcen), z. B. durch die Verfügung über Güter oder Geld oder auch die Definition<br />
eines Geschäftsprozesses.<br />
274 Vgl. Bhaskar, 1979.<br />
275 Vgl. Wittgenstein, 1989a.
4.1.4 Strukturelle und strategische Analysen<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Die Routinisierung und Reproduktion sozialen Lebens ist von zentraler Bedeutung für<br />
die Untersuchung von Stabilität und <strong>Wandel</strong> in Systemen. GIDDENS beschreibt zwei<br />
Ansätze zur Analyse der Strukturierung: Erstens: die strategische oder Handlungs-<br />
analyse, die von einem einsichtsfähigen und handlungsmächtigen Akteur ausgeht und<br />
aus ethnographischer Sicht die Welt der Akteure rekonstruiert und zweitens die<br />
Strukturanalyse, die versucht Regeln und Ressourcen zu identifizieren, die<br />
strukturiertes Handeln ermöglichen und beschränken.<br />
Es ist wichtig zu beachten, dass die strategische Analyse und die Strukturanalyse mit-<br />
einander in Wechselbeziehung stehen. Die Untersuchung sozialer Systeme ist zwar<br />
getrennt möglich. Allerdings sollte jedes Verfahren stets <strong>als</strong> Einklammerung des<br />
jeweils anderen gesehen werden, um so nicht einen neuen Dualismus anstelle der<br />
Dualität von Handlung und Struktur zu inspirieren. 276<br />
Unerkannte<br />
Handlungsbedingungen<br />
Handlung<br />
Struktur<br />
Strategische Analyse:/ Sprechen<br />
• Wissensinhalte der Akteure, aus der Rekonstruktion<br />
Rekonstruktion<br />
der Wirklichkeit aus der Sicht der handelnden Subjekte<br />
• Akteurssicht/ethnographische Sicht<br />
• Handlungssteuerung Handlungssteuerung gem. Stratifikationsmodell<br />
Stratifikationsmodell<br />
Nicht intendierte<br />
Handlungsfolgen Strukturelle Strukturelle Analyse:/Sprache<br />
Analyse:/Sprache<br />
•Wissen, •Wissen, das das den den Laien Laien aus aus ihrer Alltagspraxis heraus heraus<br />
nicht nicht zur zur Verfügung Verfügung steht steht / nicht-intendierte<br />
nicht-intendierte<br />
Nebenwirkungen<br />
Nebenwirkungen<br />
• Beobachterperspektive<br />
Beobachterperspektive<br />
• ethnomethodologische ethnomethodologische Indifferenz Indifferenz vermeiden vermeiden<br />
• Rückmeldung Rückmeldung und Externalisierung Externalisierung der Struktur Struktur<br />
ändern ändern die die Regeln Regeln und Ressourcen Ressourcen<br />
Abbildung 23: Strukturelle und strategische Analyse 277<br />
Im Mittelpunkt der strategischen Analyse, der Untersuchung des strategisch-intentio-<br />
nalen Handelns steht der kontinuierliche Strom von Aktivitäten (flow of conduct) über<br />
die Zeit. Sie dient dem interpretativen Verstehen der Handlungen durch die Rekon-<br />
struktion von Handlungssteuerung, -gründen und -motiven durch die sozialen Akteure<br />
und ihre „Welt“.<br />
Handeln vollzieht sich nach dem Stratifikationsmodell 278 stets „überwacht“ durch die<br />
reflexive Handlungssteuerung (reflexive monitoring of action). Die Akteure sind in der<br />
276 Vgl. Giddens, 1979.<br />
277 Vgl. zum Stratifikationsmodell Abbildung 24 und den folgenden Text.<br />
113
114<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Lage den kontinuierlichen Fluss ihrer Aktivitäten zu steuern und soziale und physische<br />
Aspekte des Kontexts in dem sie sich bewegen, routinemäßig zu kontrollieren. Ebenso<br />
können sie ohne große Anstrengungen ein „theoretisches Verständnis“ für die Gründe<br />
ihres Handelns entwickeln. Sie sind handlungskompetent, d. h. sie können in aller<br />
Regel für ihr Handeln eine Erklärung abgeben, wenn Sie danach gefragt werden<br />
(rationalization of action). Die Handlungsmotivation, die nicht direkt in die<br />
Kontinuität des Handelns eingelassen ist wie die Handlungssteuerung und -<br />
rationalisierung, ist ein Handlungspotenzial, welches unter relativ ungewöhnlichen,<br />
nicht-routinisierten Umständen, eine direkte Auswirkung auf das Handeln haben kann.<br />
Das Ziel der strategischen Analyse ist es nun, den Sinn, den die Handelnden in ihrer<br />
Lage ihrem Tun innerhalb ihrer geschichtlichen und sozialen Einbettung (Kontext)<br />
geben, sowie ihre bewussten Absichten oder Ziele zu rekonstruieren und zu ver-<br />
stehen. 279<br />
Methodisch umfasst die Handlungsanalyse <strong>als</strong>o die Beschreibung der Handlung und<br />
der Steuerung des Handelns, die Befragung der Akteure bezüglich der Gründe ihres<br />
Handelns, sowie - wenn möglich - die Identifizierung von Handlungsmotiven. 280 Eine<br />
sinnverstehende, interpretierende und ethnographisch orientierte Methodologie<br />
entspricht damit den Anforderungen der GIDDENS´schen Handlungsanalyse.<br />
Von zentraler Bedeutung ist daher die Rekonstruktion der Ereignisse, Entscheidungen<br />
und Handlungen der Organisation bzw. ihrer Mitglieder sowie die Befragung der<br />
Handelnden im zeitlichen Kontext (d.h. insbesondere auch der Vorgeschichte) der<br />
<strong>Wandel</strong>initiativen. 281<br />
278 Vgl. Abbildung 24.<br />
279 Die Analyse unterliegt dabei nach Giddens dem Problem der doppelten Hermeneutik. Es genügt nicht, die<br />
Lebenswelt von Untersuchten in deren Sinn einfühlend nachzuzeichnen und zu interpretieren, sondern deren<br />
Sinnkonstruktionen werden im innerwissenschaftlichen <strong>Prozess</strong> in verschiedene Deutungsrahmen oder<br />
Paradigmen übersetzt (Neuberger, 1995).<br />
280 Die Untersuchung der Handlungsmotivation wird dadurch erschwert, das die Motivation Teil des<br />
Unbewussten ist, während die reflexive Steuerung und Handlungsrationalisierung Teil des diskursiven und<br />
praktischen Bewusstseins ist.<br />
281 Ortmann et. al. rufen dazu auf, organisationalen <strong>Wandel</strong> anders zu beschreiben. Darstellungen<br />
organisationalen <strong>Wandel</strong>s müssen nach ihrer Meinung mit Begriffen wie Episoden, Koinzidenzen und<br />
kritischen Schwellen des <strong>Wandel</strong>s arbeiten, mit Kontingents, Notwendigkeit und Zufall rechnen, die den<br />
<strong>Wandel</strong> in bestimmte Verläufe, Trajektorien, zwingen kann. Das Konstrukt der Pfadabhängigkeit
Unerkannte<br />
Handlungsbedingungen<br />
Reflexive<br />
Steuerung<br />
Handlungsrationalisierung<br />
Handlungsmotivation<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Unbeabsichtigte<br />
Handlungsfolgen<br />
Abbildung 24: Stratifikationsmodell des Handelnden in Anlehnung an Giddens<br />
(Quelle: Giddens, 1979, S. 56)<br />
Die Strukturanalyse zielt darauf ab, die „Grauzonen des handlungspraktischen Be-<br />
wusstseins auszuleuchten und explizit zu machen“. 282 Sie dient somit der Erklärung<br />
und Auflösung der „Undurchsichtigkeit“ der Struktur, die aus dem begrenzten und<br />
impliziten Charakter des Wissens der Akteure resultiert. Wenngleich GIDDENS davon<br />
ausgeht, dass das Subjekt wissend und verantwortlich ist, ist es dennoch nicht all-<br />
wissend. Viele Erfahrungen und Handlungen sind ihm kognitiv nicht mehr zugänglich.<br />
Wie für die einzelne Personen so ist auch für Organisationen die eigene Lebens-<br />
geschichte zum Teil undurchsichtig. Diese Undurchsichtigkeit kritisch zu hinterfragen,<br />
Verstrickungen und Verzerrungen <strong>als</strong> solche zu erkennen, Vermischung zu differen-<br />
zieren und Abgespaltenes zu integrieren ist, nach GIDDENS, Aufgabe der Sozialwissen-<br />
schaften. NEUBERGER beschreibt in diesem Sinne die Strukturanalyse analog der Psy-<br />
choanalyse: Anhand der Rekonstruktion des „Gangs der Dinge“ sollen die zugrunde<br />
liegenden Prinzipien und Regeln identifiziert werden, die den beobachteten Ablauf<br />
produziert und reproduziert haben. 283<br />
(organizational tracks) von Greenwood und Hinings (Greenwood und Hinings, 1988) ist nach Ortmanns<br />
Meinung ein wichtiges Konzept, um den organisationalen <strong>Wandel</strong> zu beschreiben.<br />
282 Vgl. Walgenbach, 1999.<br />
283 Vgl. Neuberger, 1995.<br />
115
116<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Die Strukturanalyse ist bereits Teil des organisationalen „Therapeutikums“, da die<br />
Rückmeldung und Reflexion der Befunde bereits implizite Wissensstrukturen und<br />
Regeln der Handelnden ändern. Bislang unerkannte Handlungsbedingungen werden<br />
durch die Strukturanalyse erkannt und gehen in den <strong>Prozess</strong> der Strukturierung anders<br />
ein. Das Wahrnehmen und Anerkennen bislang unerkannter Handlungsbedingungen<br />
wird damit zur Grundvoraussetzung und zum Ausgangspunkt für den <strong>Wandel</strong>. 284<br />
Im Mittelpunkt der Strukturanalyse steht die Identifizierung der konkreten Struktur-<br />
gefüge: „Less encompassing structural properties can be studied as sets of rules and<br />
ressources, specified in terms of clustering of transformation/mediation relations“. 285<br />
Im Gegensatz zu umfassenden sozialen Systemen wie Stammesgesellschaft oder<br />
Klassengesellschaft sollte die Analyse von Organisationen sich deshalb vor allem auf<br />
die Analysen der konkreten Regeln und Muster in diesen Systemen konzentrieren.<br />
Damit würde auch der Kritik von NEUBERGER entsprochen. Er weist darauf hin, dass<br />
intersubjektiven Konstellationen oder Konfigurationen vermutlich sehr große<br />
Bedeutung zukommt und eine Theorie des sozialen <strong>Wandel</strong>s auf diese Dimensionen<br />
nicht verzichten kann. 286<br />
4.1.5 Zusammenfassung: Organisationaler <strong>Wandel</strong> und die<br />
Strukturationstheorie von Giddens<br />
Im Hinblick auf das Thema <strong>Wandel</strong> bleibt festzuhalten: Handlungen führen nicht nur<br />
zum angestrebten Erfolg, sondern sie sind auch stets selbstbezüglich, weil sie in ihrer<br />
Ausführung die Bedingungen ihrer Möglichkeit erneuern. Diese Rekursivität be-<br />
schreibt gleichzeitig eine zentrale Schwierigkeit oder ein Dilemma sozialen <strong>Wandel</strong>s<br />
oder Transformation, weil durch die Handlung die Bedingungen weiterer Handlungen<br />
verändert werden sollen.<br />
284 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zu den Systemprinzipien in Kapitel 4.2.7.<br />
285 Giddens, 1976.<br />
286 Vgl. Neuberger, 1995. Giddens gibt für die Strukturanalyse <strong>als</strong> Orientierungshilfe ein Klassifikationenschema<br />
von Strukturdimensionen (Signifikation, Herrschaft, Legitimation) an. Die Einteilung eignet sich nach seiner<br />
Meinung vor allem für die Analyse von Strukturprinzipien historisch spezifischer Gesellschaftsformen wie z.<br />
B. Stammesgesellschaften oder Klassengesellschaften (Giddens, 1984). Im Rahmen dieser Arbeit wird nicht<br />
auf diese Strukturdimensionen zurückgegriffen, da sie für die Analyse sozialer Beziehungen im Rahmen der<br />
strategischen und strukturellen Analyse von sozialem <strong>Wandel</strong> in Organisationen weniger gut geeignet<br />
erscheinen. So merkt Cohen an, dass in den Strukturdimensionen die verankerten Sozialbeziehungen<br />
unzureichend berücksichtigt werden (Cohen, 1989).
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Aus strukturationstheoretischer Sichten kommt es zu <strong>Wandel</strong>, wenn die handlungs-<br />
mächtigen Akteure einen Unterschied machen. Das heißt, dass der Unterschied nicht<br />
nur erkannt oder implizit gewusst wird, sondern Eingang in soziale Praktiken und<br />
damit den <strong>Prozess</strong> der Strukturierung findet und so zu einer Veränderung der Struktur<br />
führt.<br />
Der organisationale <strong>Wandel</strong> bezieht sich dabei stets auf die Strukturen, die nach<br />
GIDDENS expliziter oder impliziter Natur sein können. Strukturen stehen in einem<br />
rekursiven Verhältnis der Dualität zu den sozialen Praktiken in der Organisation. Die<br />
handlungsmächtigen und reflexionsfähigen Akteure sind allerdings keinem Zwang<br />
ausgesetzt. Insbesondere durch die Externalisierung impliziten Wissens bzw.<br />
impliziter Strukturen, aus dem praktischen Bewusstsein in das diskursive Bewusstsein<br />
können Ansätze zum Erkennen und Entwickeln organisationaler Wandlung und<br />
Erneuerung entstehen. Die Auseinandersetzungen mit den Strukturen und sozialen<br />
Praktiken sowie deren <strong>Wandel</strong> unterliegen dabei Metafähigkeiten, die das System in<br />
die Lage versetzen, Unterschiede, welche relevant sind, zu verdeutlichen bzw.<br />
Unterschiede auch zu verlernen.<br />
Im <strong>Prozess</strong> der Strukturierung bilden unerkannte Handlungsvoraussetzungen und nicht<br />
beabsichtigte Handlungsfolgen wesentliche Elemente der Rekursivität und der<br />
Routinisierung. Im Rahmen dieser Arbeit wird es deshalb darum gehen, durch die<br />
Analyse von Handlungsfolgen und -voraussetzungen von strategischen Initiativen zu<br />
klären, wie sie idealtypisch ausgestaltet sein sollten, um den organisationalen <strong>Wandel</strong><br />
von Strukturen und <strong>Prozess</strong>e zu unterstützen.<br />
4.2 Systemtheorie<br />
Im nachfolgenden Kapitel wird die zweite sozialwissenschaftliche Grosstheorie, die<br />
das nachfolgende Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis sowie auch die nach-<br />
folgenden empirische Betrachtung prägen vorgestellt.<br />
117
118<br />
4.1 Die Strukturationstheorie<br />
von Anthony Giddens<br />
4. Grundsteine organisationaler<br />
Theoriegebäude<br />
4.3 Fazit und Implikationen eines<br />
strukturations- und systemtheoretischen<br />
Organisationsverständnisses<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
4.2 Systemtheorie<br />
Abbildung 25: Gedankenfluss Kapitel 4<br />
Ebenso wie die Theorie der Strukturierung befasst sich auch die Systemtheorie mit der<br />
Art und Weise, wie soziale Systeme (Familien, Organisationen, Staaten)<br />
„funktionieren“. Die Anwendung systemtheoretischer Überlegungen im Rahmen des<br />
Managements und der Unternehmensführung ist dabei schon relativ weit verbreitet<br />
und findet u.a. im St. Galler Managementansatz seinen Niederschlag 287 .<br />
Die Ursprünge der Systemtheorie gehen auf die Biologie und Physiologie zurück 288<br />
und werden auch <strong>als</strong> Kybernetik 1. Ordnung bezeichnet. Diese befasste sich vor allem<br />
mit der Steuerung technischer Systeme. Im Mittelpunkt stand die Frage der Erhaltung<br />
des Gleichgewichts (Homöostase) durch die Angleichung eines Ist- an einen Soll-<br />
zustand. Das Verhalten von Systemen wurde dabei nicht auf Eigenschaften und<br />
Verhalten ihrer einzelnen Elemente reduziert, sondern durch das Zusammenwirken der<br />
Elemente (Emergenz) 289 verstanden. Damit rückten Verhaltensmuster von Systemen<br />
stärker in den Fokus des Interesses.<br />
Die Anwendungen, die sich daraus für den Bereich des Managements ergeben, kreisen<br />
vor allem um das Thema der Bewältigung und der Steuerung von komplexen<br />
Systemen, sowie die Vielschichtigkeit, Vernetzung und Folgelastigkeit von<br />
287 z.B. Rüegg-Stürm, 2001, Gomez, 1981; Probst, 1981; Schreyögg, 1999a;Selvini Palazolli, et al., 1995;<br />
Ulrich, 2001; Willke, 1991.<br />
288 Vgl. Bertalanffy und von Rappaport, 1956.<br />
289 Unter Emergenz versteht man das Zustandekommen von Eigenschaften auf höherer Ebene durch neu<br />
auftauchende Qualitäten im Zusammenspiel niederer Elemente. D.h. es sind nicht die bloßen Merkmale oder<br />
Eigenschaften der einzelnen Elemente eines Systems, die zu neuen Eigenschaften führen.
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Entscheidungen in Organisationen. 290 Der Preis der generalisierenden Übertragung<br />
dieses technischen Modells in den Kontext sozialer Systeme besteht allerdings darin,<br />
dass u.a. die Wechselwirkungen zwischen dem angeblich unabhängigen Beobachter<br />
und dem System <strong>als</strong> dem Objekt seiner Beobachtung vernachlässigt wurden.<br />
4.2.1 Konstruktivistische Systemtheorie – ein Gedankenexperiment<br />
Um den Unterschied der neuen, konstruktivistischen, systemtheoretischen Ansätze<br />
sowie der Kybernetik 2. Ordnung darzustellen, wird der Leser nunmehr zu einem<br />
Gedankenexperiment eingeladen 291 :<br />
Stellen Sie sich vor, Sie sitzen auf der Tribüne eines Stadions. Sie haben – aus<br />
welchen Gründen auch immer – noch nie etwas von Fußball gehört oder gesehen. Auf<br />
dem Spielfeld vor Ihnen findet gerade ein Fußballspiel statt – mit allem, was zu einem<br />
Fußballspiel gehört: 22 kurzbehoste Spieler, ein Schiedsrichter und ein Ball. Aller-<br />
dings tragen 21 Spieler, der Schiedsrichter und der Ball eine „selektive Tarnkappe“,<br />
d.h. Sie (der Zuschauer) können die Spieler nicht sehen, aber die Spieler können sich<br />
untereinander sehen.<br />
Was Sie jetzt auf dem Rasen beobachten, ist das merkwürdige Verhalten eines<br />
einzelnen Kurzbehosten: Er fällt hin, tritt Luftlöcher, reißt die Arme hoch oder bleibt<br />
wie eine Mauer stehen. Als Arzt oder Psychologe werden Sie sehr schnell zu biologi-<br />
schen oder intrapsychischen Erklärungen (Hirnfunktionsstörung, kompensatorische<br />
Überreaktion, o.ä.) greifen, um das sonderbare Phänomen zu ergründen. Die Erklä-<br />
rungen konzentrieren sich dabei auf das Innere des Kurzbehosten.<br />
Entfernen die Tarnkappenträger die Tarnkappen, dann ist das vorher unverständliche<br />
Verhalten nicht mehr lange erklärungsbedürftig. Vielmehr machen die Interaktionen<br />
zwischen den Beteiligten Sinn, weil Sie sie nun im Kontext (der Ball, die Tore und die<br />
anderen Spieler) beobachten können.<br />
Nach einer Weile, in der Sie auch noch die Regeln, nach denen die Interaktionen von-<br />
statten gehen, kennen gelernt haben, ist der Kurzbehoste für Sie keineswegs mehr ge-<br />
stört oder hirnorganisch defizitär. Er verhält sich im Rahmen des geregelten Spiels<br />
völlig normal.<br />
290 Vgl. Willke, 1991.<br />
291 Vgl. Schumacher, 2000; Witsch-Rothmund, 1997.<br />
119
120<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Plötzlich und völlig unerwartet fallen nun zwischen der 80sten und 85sten Minute<br />
hintereinander drei Eigentore durch den Kurzbehosten. Nun stellt sich allerdings<br />
wieder Erklärungsbedürftigkeit ein. Ist der Kurzbehoste eventuell doch gestört (wo-<br />
möglich liegt eine pathologische „Eigentorschusstendenz“ vor)? Oder gehört es<br />
vielleicht zu den Regeln des Spiels, gegen Ende Eigentore zu schießen?<br />
Mittlerweile haben neben Ihnen auf der Tribüne andere Zuschauer Platz genommen,<br />
die die Interna des Klubs kennen. Noch während des Spiels beginnen sie sich darüber<br />
zu unterhalten, dass der Kurzbehoste vor einiger Zeit ein teures Eigenheim erworben<br />
hat und die Rückzahlung des Kredits fällig sei. Außerdem sei der Sponsor der gegneri-<br />
schen Mannschaft einen Tag vor dem Spiel auf der Hausbank des Kurzbehosten<br />
gesehen worden.<br />
Nun sind Sie wieder ganz entspannt und brauchen weder an sich, am Kurzbehosten,<br />
noch an den Spielregeln zu zweifeln. Offensichtlich spielt der Kurzbehoste hier zwei<br />
Spiele gleichzeitig, und der Verlust in einem Spiel (im Fußballspiel) wird für ihn<br />
durch den Gewinn in dem anderen „Spiel“ (Durch das Bestechungsgeld zahle ich<br />
möglichst günstig den Kredit zurück) übertroffen.<br />
Soweit das Gedankenexperiment. Anhand dieser Metapher lässt sich verdeutlichen,<br />
was im Folgenden unter dem Begriff „System“ bzw. „systemisch“ verstanden wird:<br />
1. „Ein System ist nicht ein Etwas, das dem Beobachter präsentiert wird. Es ist ein<br />
Etwas, das von ihm erkannt wird“. 292 In Anlehnung an diese konstruktivistische<br />
Überzeugung gilt, dass es ein System an sich nicht gibt, sondern Systeme werden<br />
vom Beobachter durch den <strong>Prozess</strong> der Unterscheidung „hergestellt“. Der <strong>Prozess</strong><br />
der Unterscheidung zwischen System und Umwelt bedeutet eine Reduzierung der<br />
Wirklichkeitskomplexität und führt zur Konstruktion einer „Landkarte“ oder eines<br />
subjektiven Bildes, das Handlungsleitlinien bietet. Die Grenzziehungen zwischen<br />
System und Umwelt orientieren sich dabei häufig nur am beobachtbaren Verhalten<br />
und lassen unter Umständen weitere wichtige Informationen außer acht.<br />
Im Rahmen des Experiments, bei dem anfangs nur der Kurzbehoste und sein Ver-<br />
halten zu beobachten sind, und die „systemischen Strukturen" außerhalb des<br />
Beobachtungsbereichs bleiben, wird die Bedeutung der Systemgrenze nachvoll-<br />
ziehbar. Indem die Tarnkappen entfernt werden und die Information über den<br />
292 Vgl. Maturana, 1982.
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Kredit bekannt wird, werden die Systemgrenzen erweitert und es kommt zu einer<br />
deutlichen Veränderung der „inneren Landkarte“.<br />
2. Wie die Spielmetapher deutlich macht, erklären Regeln zwischen Menschen die<br />
Verhaltensweisen häufig plausibler <strong>als</strong> individuelle Merkmale des einzelnen<br />
Menschen. Allgemein formuliert, besteht ein System aus den Systemelementen und<br />
den Interaktionen zwischen den Systemelementen, wie z.B. hier den Mitgliedern<br />
einer Mannschaft, Familienmitgliedern oder den Mitarbeitern einer Abteilung. Das<br />
System ist dabei mehr <strong>als</strong> die Summe der einzelnen Komponenten.<br />
Im Mittelpunkt der systemischen Betrachtung stehen deshalb Strukturen, Muster<br />
oder (Spiel)-Regeln, die das gezeigte Verhalten nachvollziehbar machen. So ist es<br />
im Rahmen des Systems „Fußballmannschaft“ verpönt, den Ball in die Hand zu<br />
nehmen oder andere Spieler anzuspucken, ganz gleich welche individuellen Merk-<br />
male einzelne Spieler aufweisen.<br />
3. Ein weiteres Merkmal eines Systems kann am Zustandekommen eines Tores<br />
verdeutlicht werden. Was ist die Ursache eines Torerfolgs? Der Abstoß des Tor-<br />
warts, die Flanke des Linksaußen oder doch der Torschuss des Mittelstürmers? Der<br />
Mittelstürmer ist autonom und selbst verantwortlich dafür, was er mit der Flanke<br />
macht (was Mittelstürmer zum Leidwesen der Zuschauer schon oft gezeigt haben),<br />
gleichzeitig aber auf eine gute Flanke angewiesen. Die gute Flanke bedarf aber<br />
eines guten Flankenlaufs usw.... Systemische <strong>Prozess</strong>e können nicht eindi-<br />
mensional-kausal, sondern nur zirkulär und rekursiv verstanden werden.<br />
4. Schließlich wird am Beispiel des Beobachters klar, dass die zusätzlichen Informa-<br />
tionen, die durch die Entfernung der Tarnkappen sichtbar werden, das Verhalten<br />
des Systems sinnvoll werden lassen. Im vorliegenden Fall werden durch das Sicht-<br />
barwerden des Balles und der anderen Spieler, sowie die Insider-Informationen<br />
über den Eigentorschützen, bisher ausgeblendete oder nicht bekannte<br />
Informationen verfügbar. Die Sichtbarmachung des Kontexts eines Verhaltens<br />
macht das Verhalten nachvollziehbar und plausibel.<br />
Eine systemische Betrachtung des Fußballspiels impliziert <strong>als</strong>o für die Untersuchung<br />
sozialer Systeme, dass man<br />
• die Unterscheidung des Systems von seiner Umwelt durch den Beobachter<br />
berücksichtigt und ein System nicht <strong>als</strong> dinglich gegeben, sondern <strong>als</strong> eine<br />
Unterscheidungs- und Interpretationsleistung auffasst,<br />
121
122<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
• Regeln, Muster und Strukturen des Systems erkennt und nicht Merkmale der<br />
Elemente analysiert bzw. Eigenschaften auf sie attribuiert<br />
• die Zirkularität und Rekursivität der <strong>Prozess</strong>e beachtet und Systemverhalten<br />
nicht in ein komplexitätsreduzierendes Ursache-Wirkungs-Schema zwängt<br />
• den Kontext des Systems beachtet bzw. einbezieht .<br />
Die nachfolgenden Kapitel werden versuchen, anhand dieser vier Punkte die<br />
systemische Auffassung, die dieser Arbeit zugrunde liegt, zu erläutern. Dies geschieht<br />
aus dem Verständnis heraus, dass es die Systemtheorie nicht gibt und dass im Rahmen<br />
dieser Arbeit vor allem die Analyse <strong>identitätsbildender</strong> Muster und <strong>Prozess</strong>e im<br />
Mittelpunkt der Betrachtung stehen.<br />
4.2.2 You can’t kiss a system - aber - Draw a Distinction 293<br />
Dem Lesenden, der die Übung zu Beginn dieses Buches gelöst hat, wird aufgefallen<br />
sein, dass es nicht möglich ist, eine Linie im Raum zu ziehen und eine Seite zu benen-<br />
nen, ohne den eigenen Standpunkt im Raum zu berücksichtigen. 294 Eine Beobachtung<br />
kann, wie diese Übung zeigt, nicht unabhängig vom Beobachter gemacht werden. Im<br />
Mittelpunkt der neueren Systemtheorie und der Kybernetik 2. Ordnung stehen deshalb<br />
<strong>Prozess</strong>e der Beobachtung, Wahrnehmung und Interpretation. 295 In Anlehnung an<br />
SPENCER BROWN kann der systemkonstituierende <strong>Prozess</strong> der Beobachtung <strong>als</strong><br />
<strong>Prozess</strong> der Unterscheidung verstanden werden. 296<br />
GEORGE SPENCER BROWN beginnt die Entwicklung seines Unterscheidungskalküls in<br />
den „Laws of Form” mit der Anweisung “Draw a distinction”. 297 Nach SPENCER<br />
BROWN ist der Akt des Unterscheidens die grundlegende „form-gebende“ und<br />
„informierende“ Operation. Das Ergebnis dieser Operation ist ein Unterschied, der<br />
293 Bei diesem Ausspruch handelt es sich nach Aussage von Fritz Simon um eine systemische „Bauernweisheit“.<br />
Quelle: Persönliche Mitteilung anlässlich des Rheintal Symposiums im April 2002.<br />
294 Vgl. Einstiegsübung zur Unterscheidung zweier Seiten in einem Raum.<br />
295 Im Mittelpunkt der Kybernetik 2. Ordnung steht <strong>als</strong>o die Untersuchung des Systems „Untersuchtes System<br />
plus Beobachter“ Simon, 1992.<br />
296 Vgl. Spencer Brown, 1967.<br />
297 Diese Anweisung besteht aus drei Elementen: Dem Ziehen einer Grenze, dem Markieren einer Seite und dem<br />
Benennen einer Seite vgl. Simon, 1992.
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
einen Unterschied macht für denjenigen, der die Unterscheidung trifft. 298 Nach<br />
BATESON ist dieser Unterschied, der einen Unterschied macht, die Definition einer<br />
Information. 299 Zum Urheber der Informationen wird damit das erkennende System<br />
selbst - und nicht die Umwelt oder das erkannte System <strong>als</strong> Objekt der Beobachtung.<br />
Nur das erkennende System kann Unterscheidungen treffen und damit Informationen<br />
generieren.<br />
BATESON vergleicht den Erkenntnisprozess mit dem Erstellen einer Landkarte. „Was<br />
vom Territorium gelangt in die Karte? Wir wissen, dass das Territorium nicht selbst in<br />
die Karte geklebt wird. Das ist der zentrale Punkt, über den wir uns hier alle einig sind.<br />
Wäre nun das Territorium einförmig, so würden nur seine Grenzen in der Karte auf-<br />
tauchen, da sie die Punkte sind, an denen es gegenüber einer größeren Matrix aufhört,<br />
einförmig zu sein. Was <strong>als</strong>o in die Karte gelangt, ist in der Tat ein Unterschied. Sei es<br />
ein Unterschied der Höhe, der Vegetation, der Bevölkerungsstruktur, der Oberfläche<br />
oder was auch immer. Was in die Karte kommt, sind Unterschiede". 300<br />
Was bedeutet das für die hier betrachteten organisationalen Systeme? An der von<br />
BATESON verwendeten Landkarten-Analogie lassen sich die Implikationen dieser<br />
Sichtweise aufzeigen 301 : Wenn ein Kartograph zwischen Wasser/Nicht-Wasser unter-<br />
scheidet, so wird seine Karte Meere, Flüsse, Seen, Inseln und Festland enthalten. Ein<br />
„ökologischer Kartograph“ wird z.B. zwischen „seltene Arten vorhanden/nicht vor-<br />
handen“ differenzieren, während ein „ökonomischer Kartograph“ die Erde in „be-<br />
stimmte Rohstoffe vorhanden/nicht vorhanden“ einteilen wird. Entscheidend ist dabei<br />
jeweils, dass der Akt der Unterscheidung erst die Information erzeugt. So lange<br />
zwischen giftigem Brunnenwasser und nicht giftigem Brunnenwasser keine Grenze<br />
eingeführt ist, „gibt es“, wie bereits dargelegt wurde, kein vergiftetes Brunnen-<br />
wasser. 302<br />
298 Vgl. Für eine ausführlichere Beschäftigung mit den Grundgedanken von Spencer Brown u.a. Simon, 1992;<br />
Varga von Kibéd und Matzka, 1993.<br />
299 Vgl. Bateson, 1981, S. 580. Die Landkartenmetapher stammt ursprünglich von Alfred Korzybski (Korzybski,<br />
1980). Sie stellt einen der ersten auch formal ausgestalteten Modelltheorien dar.<br />
300 Vgl. Bateson, 1981.<br />
301 Allerdings ist an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass „die Karte nicht das Gelände ist“, dass das Symbol<br />
nicht das Ding ist (Hayakawa, 1961).<br />
302 Vgl. dazu das Beispiel zum vergifteten Wasser in Kapitel 3.1. S. 17.<br />
123
124<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Daraus folgt, dass Systeme nicht <strong>als</strong> dingliche Gegebenheiten angesehen werden<br />
können, sondern sie entstehen und existieren nur in der rekursiven Beziehung zu dem<br />
sie konstituierenden bzw. unterscheidenden Beobachter. Ein System wird etabliert<br />
durch den <strong>Prozess</strong> der Unterscheidung und Grenzziehung zwischen System und Um-<br />
welt und existiert nicht ohne den Beobachter. Dieser Vorgang des „sich-von-der-Um-<br />
welt-differenzierens“ verleiht dem System aber auch erst seine Identität. 303<br />
Betrachtet man eine Beobachtung <strong>als</strong> eine Operation, die eine Unterscheidung einführt<br />
und eine Seite bezeichnet, führt das zu der Frage nach der Unterscheidung selbst.<br />
Wenn Beobachten unterscheiden ist, bleibt die Unterscheidung selbst dabei unbe-<br />
obachtet. Die Unterscheidung ist der blinde Fleck, der in jeder Beobachtung <strong>als</strong> Be-<br />
dingung ihrer Möglichkeit vorausgesetzt ist. Anders ausgedrückt: Der Beobachter ist<br />
der Parasit seines Beobachtens. 304 Auch der Beobachter zweiter Ordnung, der sich auf<br />
das Nichtbeobachtete der Beobachtung erster Ordnung konzentriert, hat seinerseits<br />
keine Möglichkeit, seine eigene Unterscheidungen, die er quasi blind einsetzt, gleich-<br />
zeitig zu beobachten.<br />
Was bedeutet das nun für soziale Systeme und die Beobachtung (latenter) organisatio-<br />
naler Strukturen? Für LUHMANN zeigt die Beschäftigung mit latenten Strukturen einen<br />
erheblichen epistemologischen Nachholbedarf. Wie kann ein Subjekt die Wahrheit<br />
eines anderen auf wahre Weise <strong>als</strong> unwahr bezeichnen? Das Problem der Beobachtung<br />
latenter Strukturen oder impliziten Wissens wird damit zur Frage, wie man Unter-<br />
scheidungen bzw. Differenzschemata beobachten kann. Schließlich verwendet der<br />
Beobachter seine Unterscheidungen, um etwas zu bezeichnen. Sie sind aber im<br />
Moment ihrer operativen Verwendung unbeobachtbar. 305<br />
Um den „blinden Fleck“, die Latenz, das Implizite zu externalisieren, müsste in einem<br />
ersten Schritt die Frage gestellt werden, durch welche Unterscheidungen der Beob-<br />
achter eigentlich beobachtet. Eine solche Beobachtung und der Diskurs darüber kann<br />
nur auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung erfolgen. Die Frage nach den<br />
verwendeten Unterscheidungen zielt demnach auf die Beobachtung des Unter-<br />
303 Vgl. Luhmann, 1984, Reckwitz, 1997a.<br />
304 Vgl. Serres, 1981.<br />
305 Vgl. zur Bildung von Unterscheidungen im strategischen Kontext die Definition eines Geschäftsfelds mittels<br />
einer Portfolioanalyse bei Kasper, et al., 1998.
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
scheidungskriteriums, welches für den Beobachter in der Beobachtung latent bleibt,<br />
was er – möglicherweise unerkannt – voraussetzt. 306<br />
Die Beobachtung der Latenzen hat die Funktion Irrtümer aufzudecken und<br />
Entlarvungen vorzunehmen, ohne aber im Stile eines Romanlesers den Helden zu<br />
beobachten, wie er blind in sein Schicksal läuft. Eine solche Positionen des<br />
„Besserwissens“ und der damit verbundenen Autorität ist nicht die Position, die für<br />
das vorliegende Forschungsprojekt angestrebt wird. Es geht vielmehr um die Frage,<br />
wie eine Organisation über die eigenen Unterscheidungen hinauskommen kann: Wie<br />
Unterscheidungskriterien, die im Latenzbereich des Impliziten liegen, sichtbar<br />
gemacht werden können, und schließlich: wie neue Unterscheidungen von einem<br />
System assimiliert werden können.<br />
Das folgende Kapitel wird Hinweise geben, wie die Handhabung von Unter-<br />
scheidungen in sozialen Systemen erfolgt. Von zentraler Bedeutung sind dabei Regeln<br />
<strong>als</strong> Beschreibungen eines Beobachters, die Unterscheidungen beinhalten und Hand-<br />
lungshinweise geben. So trifft etwa die Regel „über Emotionen wird in dieser<br />
Organisation nicht gesprochen“ eine Unterscheidung und gibt gleichzeitig einen<br />
Handlungshinweis. Solche Regeln können explizit ausgesprochen sein, oder nur<br />
implizit bestehen. Dann werden Sie häufig erst deutlich, wenn Sie übertreten werden.<br />
4.2.3 Regeln, Muster und Strukturen in Systemen<br />
Bereits im Rahmen der Behandlung der Strukturationstheorie ist die handlungsleitende<br />
und –ermöglichende Bedeutung von Regeln angedeutet worden. WEICK weist darauf<br />
hin, dass es nicht Inhalte sondern Beziehungsregeln und -muster in Systemen sind, die<br />
Ereignissen in Organisationen Ordnung verleihen. Sie sind damit auch der Ort, an dem<br />
der <strong>Wandel</strong> der bestehenden Ordnung herbeigeführt werden kann. 307 Warum müssen<br />
aber gerade Regeln und Muster in Organisationen gewandelt werden, damit sich<br />
individuelle Handlungen ändern?<br />
Wenn „Organisationen handeln“ dann sind es stets Individuen, die bestimmte Tätigkeit<br />
ausführen und jedes Handeln, dass einer Organisation zugeschrieben wird, kann in<br />
306 An dieser Stelle drängt sich eine Parallele zur Strukturationstheorie von Antony Giddens auf: Auch bei<br />
Giddens beeinflussen unerkannte Handlungsvoraussetzungen maßgeblich das Ergebnis der Handlung<br />
(Giddens, 1997).<br />
307 Vgl. Weick, 1985a.<br />
125
126<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
individuelle Handlungen zerlegt werden. Entscheidend ist allerdings, dass die indivi-<br />
duellen Aktivitäten ein Muster und damit einen Sinn ergeben. Dieses Muster kann<br />
einen Wechsel des Person<strong>als</strong> oder auch gewisse Abwandlungen überdauern. Diese Be-<br />
ständigkeit der Muster, auch über den Wechsel der Organisationsmitglieder hinaus,<br />
stellt einen Unterschied zu anderen Systemen wie beispielsweise Familien oder einer<br />
Patient-Therapeut-Beziehung dar.<br />
Spricht man von organisationalem Handeln, dann werden dadurch die Muster der<br />
Interaktionen, die Regeln und die Struktur betont und nicht die persönlichen Eigen-<br />
schaften einzelner Individuen, die zu den Ergebnissen führen. 308<br />
Was sind aber diese Strukturen, Regeln und Muster? Welche Qualitäten weisen sie<br />
auf? Strukturen, Regeln und Muster werden im Rahmen dieser Arbeit <strong>als</strong> kollektive<br />
kommunikations- und handlungsleitende Sinnkonstruktionen aufgefasst. 309 Dieses<br />
sozialisierte Wissen bleibt in der Regel implizit. 310 Da der Fokus dieser Arbeit auf der<br />
Ebene des organisationalen <strong>Wandel</strong>s liegt, sind insbesondere die kollektiven und<br />
impliziten Sinn- und Wissensstrukturen von Interesse. Diese Strukturen ermöglichen<br />
organisationales Handeln und schränken es gleichzeitig ein.<br />
Das organisationale Handeln besteht zwar aus einer Reihe von individuellen<br />
Handlungen, kann aber in seiner Gesamtheit nur <strong>als</strong> ein kollektiver „<strong>Prozess</strong> des<br />
Organisierens“ verstanden werden. 311 Die handlungsleitende und identitätsstiftende<br />
Ebene für diesen kontinuierlichen Handlungsstrom ist die Ebene der organisationalen<br />
Regeln, Muster oder Strukturen. Organisationaler <strong>Wandel</strong> bedarf daher vor allem der<br />
Veränderung von Strukturen 312 und führt i.d.R. auch zur Veränderungen der Identität.<br />
Die Betonung von Strukturen und Mustern impliziert die Frage, wie Veränderungen in<br />
einem System vonstatten gehen können. Wie müssen Ereignisse oder Handlungen be-<br />
schaffen sein, damit sie zur Veränderung von Strukturen und Handlungsmustern<br />
führen?<br />
308 Vgl. ebenda.<br />
309 Vgl. Learning Dynamics, 1999.<br />
310 Vgl. Reckwitz, 1997a.<br />
311 Vgl. Weick, 1985a.<br />
312 Diese kann aus strukturationstheoretischer Sicht natürlich nicht von einer Änderung der Handlung getrennt<br />
werden.
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
WEIZSÄCKER unterscheidet Handlungen und Ereignisse anhand des pragmatischen<br />
Werts der Information. Unter einer pragmatischen Information versteht er das<br />
Ausmaß, in dem eine Handlung oder ein Ereignis Erstmaligkeit und Bestätigung ent-<br />
hält.<br />
Erstmaligkeit stellt dabei das Ausmaß an Unterschiedlichkeit dar, den das Ereignis für<br />
die bestehenden (Erwartungs-)Strukturen darstellt. „Wo keine Erstmaligkeit ist, ... ist...<br />
auch praktisch keine Information“. 313 In diesem Sinne enthält auch BATESONS<br />
Informationsbegriff - „a difference that makes a difference“ 314 - die von Weizsäcker<br />
geforderte Erstmaligkeit, da er einen relevanten Unterschied gegenüber den beste-<br />
henden Strukturen enthält.<br />
Bestätigung stellt auf der anderen Seite die notwendige Voraussetzung dafür dar, dass<br />
eine Information anschlussfähig an bestehende Strukturen ist und überhaupt<br />
verstanden wird. Auch dieser Aspekt ist im BATESON´schen Informationsbegriff ange-<br />
legt, wenn er betont, dass der Unterschied für den Beobachter einen Unterschied<br />
machen muss.<br />
Pragmatischer<br />
Wert der<br />
Information<br />
Maximaler pragmatischer<br />
Wert der Information =<br />
Höchste Wahrscheinlichkeit<br />
der Umsetzung<br />
0% Erstmaligkeit 100%<br />
100% Bestätigung 0%<br />
Abbildung 26: Pragmatischer Wert der Information auf dem Kontinuum von Erstmaligkeit und<br />
Bestätigung<br />
(in Anlehnung an: E.U. v. (Weizsäcker, 1986, S. 99)<br />
313 Vgl. Weizsäcker, 1986.<br />
314 Vgl. Bateson, 1981.<br />
127
128<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Somit stellt erst ein ausreichendes Ausmaß an Erstmaligkeit und Bestätigung eine<br />
potenziell verändernde Information dar. Dieser Zusammenhang lässt sich nach<br />
WEIZSÄCKER auf einem Kontinuum darstellen.<br />
<strong>Wandel</strong> in einem System wird von solchen Handlungen und Ereignissen unterstützt,<br />
die in Verbindung mit der Vergangenheit stehen und gleichzeitig neue Informationen<br />
enthalten, <strong>als</strong>o einen Unterscheid gegenüber der Vergangenheit machen. Die<br />
Information muss neue Informationen mit dem existierenden Handlungsstrom verbin-<br />
den. Dadurch können sowohl das “not-invented-here-syndrome”(zu neu) <strong>als</strong> auch das<br />
“das kennen wir doch schon seit Jahren” (zu bekannt) <strong>als</strong> Reaktion vermieden werden.<br />
Handlungen oder Ereignisse können <strong>als</strong>o <strong>als</strong> Irritationen der existierenden Erwartungs-<br />
strukturen des Systems interpretiert werden. 315 Die Irritation kann zu einer Verände-<br />
rung der Organisation führen, wenn die Organisation die neue Information assimilie-<br />
ren kann. Entscheidend für die Veränderung von Strukturen oder die Assimilation<br />
neuer Informationen ist nach WEIZSÄCKER die Höhe des pragmatischen Werts der<br />
Information in der Kombination von Bestätigung und Erneuerung. 316<br />
Was löst aber eine solche irritierende Information oder ein anschlussfähiges Ereignis<br />
in einem System aus? Wie „funktioniert“ <strong>Wandel</strong> in einem System? Gibt es<br />
möglicherweise doch einen Auslöser oder eine Ursache der zum <strong>Wandel</strong> in Systemen<br />
führt?<br />
4.2.4 Von der Kausalität zur Interdependenz<br />
Der Glaube an den Kausalnexus ist ein Aberglaube.<br />
Wittgenstein<br />
Auch wenn Aspirin gegen Kopfschmerzen hilft, so ist Kopfschmerz<br />
nicht auf einen Mangel an Aspirin zurückzuführen.<br />
Nach Matthias Varga von Kibéd<br />
Wie in den beiden vorhergehenden Kapiteln beschrieben, kann das System zum einen<br />
nicht losgelöst vom Beobachter betrachtet werden und sind zum anderen die Muster<br />
oder Regeln der wechselseitig verbundenen Elemente entscheidend für das gesamten<br />
Systemverhalten. Veränderungen in einem Teilbereich des Systems bringen aufgrund<br />
der Interdependenz zwischen den Systemelementen auch Veränderungen in einem<br />
anderen Bereich mit sich.<br />
315 Vgl. Luhmann, 1997.
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Die systemische Perspektive erlaubt es durchaus, logische Verknüpfungen und Gesetz-<br />
mäßigkeiten zu beschreiben. Allerdings können nicht einem Element des Systems<br />
Verantwortung oder Schuld im Sinne einer kausalen Erklärung zugeschrieben werden.<br />
Die Elemente stehen in einem Bedingungsgefüge und in Wechselbeziehung zuein-<br />
ander. Dementsprechend müssen die Relationen und Regeln des Systems untersucht<br />
werden. 317<br />
Betrachtet man in diesem Sinne Systeme <strong>als</strong> interdependente <strong>Prozess</strong>e, dann stellt<br />
Kausalität einen Versuch der Komplexitätsreduzierung durch den Beobachter dar.<br />
VON SCHLIPPE und SCHWEITZER bringen den Aspekt auf den Punkt: „Kausalität gibt<br />
es nur in unserem Kopf, nicht da draußen“. 318<br />
BATESON schlägt zur Unterscheidung dieser Formen der Epistemologie die Begriffe<br />
„lineal“ und „non-lineal“ vor 319 . Während lineale Formen der Epistemologie einer<br />
reduktionistischen, akontextuellen und analytischen Logik folgen, betonen non-lineale<br />
Formen der Epistemologie die Bedeutung von Systemen, Relationen und<br />
Kontexten. 320<br />
Die Frage ob es Kausalität gibt oder nicht, ob Ereignis A oder Person A für etwas<br />
kausal verantwortlich ist, wird damit nicht eine Frage von richtig oder f<strong>als</strong>ch, sondern<br />
eine Frage der Pragmatik, der Beschreibung und der zugrundeliegenden<br />
Epistemologie.<br />
Im Rahmen der konstruktivistischen Systemtheorie tritt an die Stelle der Suche nach<br />
Ursachen die Beschreibung von Mustern, ohne dabei auf eine determinierende Größe<br />
abzustellen.<br />
In eine solche Beschreibung kann sowohl die Position des Beobachters <strong>als</strong> auch die<br />
Ganzheit der Elemente, die im System in einem Bedingungsgefüge in Wechselbe-<br />
ziehungen stehen, mit einbezogen werden. Gerade die Einbeziehung dieser non-<br />
linealen Beziehungen eröffnet die Möglichkeit den Sinn einer Handlung neu zu<br />
begreifen. Der nachfolgende Exkurs zur Schismogenese liefert dazu ein eindrückliches<br />
316 Vgl. Weizsäcker, 1986.<br />
317 Vgl. Ashby, 1956.<br />
318 Vgl. von Schlippe, 1997, S. 91.<br />
319 Vgl. Bateson, 1979.<br />
320 Vgl. Keeney, 1983.<br />
129
130<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Beispiel, welches gerade für den Fall der Berührung zweier Organisationskulturen<br />
relevant erscheint.<br />
Exkurs Schismogenese<br />
Als Beispiel der interdependenten Systemprozesse, die bei der Berührung zweier<br />
Kulturen stattfinden können, beschreibt BATESON die sogenannte Schismogenese. Es<br />
handelt sich hierbei um einen <strong>Prozess</strong> der zunehmenden Gruppendifferenzierung, der<br />
zu einer fortschreitenden Verstärkung des vorhandenen Interaktionsmusters führt. Im<br />
Verlauf dieses <strong>Prozess</strong>es werden die vorhandenen symmetrischen oder komplemen-<br />
tären Beziehungen noch verstärkt. Dies beruht auf der ungedämpften oder un-<br />
korrigierten positiven Rückkopplung in einem System und kann in Beziehungen zu<br />
katastrophalem Ausgang führen. 321<br />
Symmetrische Beziehungen sind gleichwertige Beziehungen mit gleichen kollektiven<br />
Verhaltensweisen zwischen den beteiligten Gruppen, komplementäre Beziehungen<br />
sind ungleichgewichtige Beziehungen und weisen ungleiche kollektive Verhaltens-<br />
weisen zwischen den Gruppen auf.<br />
Muster der Organisation A Muster der Organisation B<br />
Abbildung 27: Schismogenetische Eskalation<br />
Beispiele aus dem Bereich der Berührung zweier Kulturen finden sich im Organisati-<br />
onsbereich natürlich bei der Fusion zweier Organisationen. Unter Umständen werden<br />
Unterschiede dabei zusätzlich betont, wenn die Vorgehensweise nach dem Motto „das<br />
bessere System, die besseren Mitarbeiter werden behalten“ zusätzlich angeheizt wird.<br />
Setzt der <strong>Prozess</strong> der Schismogenese ein, so kommt es in der symmetrischen<br />
Beziehung zur Eskalation, in der komplementären zur Erstarrung.<br />
Die Lösung liegt für BATESON darin, dass sich die beiden Gruppen gegenüber einem<br />
äußeren Element wie einer gemeinsamen Herausforderung, Bedrohung oder allge-<br />
meiner einem Problem oder einer Aufgabe, zusammenschließen: Einschränkende Be-<br />
dingungen können <strong>als</strong>o gemeinsame Initiativen oder gemeinsame Abhängigkeiten<br />
321 Vgl. Bateson, 1981.
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
sein, von denen die Existenz aller abhängt. 322 Fallen die einschränkenden<br />
Bedingungen weg, beginnt die Schismogenese. BATESON resümiert: Löwe und Lamm<br />
legen sich zusammen hin, wenn es nur stark genug regnet. 323<br />
z.B. gemeinsames<br />
strategisches Projekt<br />
Muster der Organisation A Muster der Organisation B<br />
Abbildung 28: Einschränkung schismogenetischer Reaktionen<br />
Da es sich bei der Schismogenese um einen durch Wechselbeziehungen zwischen<br />
Individuen oder Gruppen verursachten Differenzierungsprozess der Normen und des<br />
Verhaltens handelt, liegt es nahe, solche <strong>Prozess</strong>e bei der Berührung oder gar der<br />
Integration von zwei Organisationen auf ein Drittes verbindendes Element, eine<br />
Aufgabe oder einen Sinn auszurichten. Ein solches Drittes können auch die, in dieser<br />
Arbeit untersuchten, <strong>Wandel</strong>initiativen darstellen.<br />
4.2.5 „Und was fast vergessen worden wäre“ - der Kontext des Systems<br />
Es treffen sich zwei Rechtsanwälte. Fragt der eine: „Wie geht´s?“<br />
sagt der andere: „Schlecht! Ich kann nicht klagen!“<br />
In dem Witz über die beiden Rechtsanwälte wird entgegen unserer alltäglichen Erfah-<br />
rung die Antwort „schlecht“ <strong>als</strong> eine gute Nachricht verstanden. Die voreilige Über-<br />
tragung aus dem für uns gewohnten Kontext erfährt in diesem Fall eine Umdeutung.<br />
Bei der Übertragung einer Aussage oder eines Verhaltens von einem Kontext auf einen<br />
anderen kann es zu völlig neuen Bedeutungen kommen. Auf diesen Zusammenhang<br />
macht auch LEONARD-BARTON aufmerksam, wenn sie aufzeigt, dass organisationale<br />
Fähigkeiten in einem Kontext „Core capabilities“ und in einem veränderten Umfeld<br />
„Core rigidities“ darstellen können. 324 Die Bedeutung der Fähigkeiten hängt für die<br />
322 Für den Bereich der Organisationen haben deshalb strategische Initiativen mit einer großen Bedeutung für<br />
die gesamte Organisation das Potenzial zur Überwindung schismogenetischer Reaktionen.<br />
323 Vgl. Bateson, 1981.<br />
324 Vgl. Leonard-Barton, 1992.<br />
131
132<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Organisation dabei von Markt- und Wettbewerbssituationen, technologischen Ent-<br />
wicklungen u.a. Rahmenbedingungen ab. Auch PETTIGREW weist in seinem kontextu-<br />
alistischen Ansatz auf die ermöglichende aber auch einschränkende Bedeutung des<br />
Kontexts für organisationales Handeln hin. 325<br />
SPARRER und VARGA VON KIBÉD bieten im Rahmen der Erörterung der verschiedenen<br />
Positionen des Tetralemmas 326 eine Differenzierung des Kontexts an. Aspekte des<br />
Kontexts können dabei im vergangenen, zukünftigen und gegenwärtigen Kontext –<br />
dem blinden Fleck – oder dem zeitlosen Kontext (Sinnhaftigkeitskontext) liegen. Das<br />
Zustandekommen bestimmter Dilemmata oder Verhaltensweisen kann allerdings<br />
häufig durch die Berücksichtigung des entsprechenden Kontexts erklärt werden. 327<br />
Beispielsweise kann die Nichtlösung eines bestimmten Problems oder das<br />
Aufschieben bestimmter Entscheidungen in einer Organisation auf schmerzliche<br />
Erfahrungen in der Vergangenheit oder schwierige Konsequenzen in der Zukunft<br />
zurückgeführt werden.<br />
BATESON macht deutlich, dass nur durch die Beachtung des Kontexts die Mitteilungen<br />
verständlich werden. Bedeutung und Sinn entsteht erst dann, wenn man sie in einem<br />
bestimmten Kontext stellt. Ohne Kontext haben Worte und Handlungen keine Bedeu-<br />
tung. Anders ausgedrückt stellt der Kontext stets den (häufig ausgeblendeten)<br />
Handlungshintergrund zum Handlungsvordergrund dar. 328<br />
4.2.6 Die Operation der Unterscheidung <strong>als</strong> Ausgangspunkt der Systembildung<br />
Nachdem in den ersten fünf Abschnitten die vier „Bestandteile“ eines Systems<br />
(Systemgrenze, Interaktionsmuster, Rekursivität und Kontext) erläutert worden sind,<br />
soll nun kurz auf den <strong>Prozess</strong> der Systembildung eingegangen werden. Damit wird<br />
übergeleitet zum abschließenden Kapitel, in dem Systemprinzipien dargestellt werden,<br />
die die Erfordernisse eines Systems nach Existenz, Wachstum, Fortpflanzung,<br />
325 Vgl. Kap. 3.3.3.<br />
326 Vgl. Kap. 1.2. Bei dem Tetralemma handelt es sich um ein <strong>Prozess</strong>schema zur Behandlung von Dilemmata.<br />
327 Fragen zur Klärung der Kontextbedeutung können beispielsweise mit Hilfe von Fragen wie „Wie kam es zu<br />
diesem Dilemma/Verhalten etc.? Was wäre danach dran? Was sehen Sie gerade nicht? Was erhält durch das<br />
Dilemma/Verhalten Sinn?“ geklärt werden. Vgl. Varga von Kibéd und Sparrer, 2000a.<br />
328 Vgl. dazu auch die Analogien der Kontextpositionen in den verschiedenen Aufstellungsgrammatiken von<br />
Sparrer und Varga von Kibéd. So können Ähnlichkeiten zwischen dem ausgeblendeten Thema, dem<br />
verdeckten Gewinn und dem Kontext eines Problems gesehen werden. Vgl. ebenda.
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Immunsystembildung und Individuation verdeutlichen. 329 Sie spiegeln eine<br />
Orientierung eines Systems wieder und stellen einen Orientierungsrahmen für <strong>Wandel</strong>-<br />
prozesse von Systemen dar.<br />
Von zentraler Bedeutung für das Verständnis des Systembildungsprozesses ist der Be-<br />
obachtungsprozess, welcher hier mit SPENCER BROWN 330 <strong>als</strong> ein <strong>Prozess</strong> der Unter-<br />
schieds- und Hinweisbildung verstanden wird. Der Beobachtungsprozess setzt bei<br />
einem einzelnen Ereignis und dessen Relationen zu anderen Ereignissen an. Ereignisse<br />
können definiert werden <strong>als</strong> Unterschiede in der Zeit, die einen Unterschied<br />
machen. 331 Entscheidend sind dabei aus Sicht des Systembildung nicht irgendwelche<br />
Unterschiede, sondern solche, die für eine Person oder ein System relevant sind. 332 .<br />
Nach Luhmann kann eine Beobachtung <strong>als</strong> der Vollzug einer Unterscheidung definiert<br />
werden. Varga von Kibéd differenziert vier Aspekte, die mit jeder Unterscheidung und<br />
damit auch mit jedem Hinweis verbunden sind: 333<br />
• das Innere (das, auf das hingewiesen werden soll und das bei der System-<br />
bildung <strong>als</strong> das System bezeichnet werden kann)<br />
• das Äußere (das, was von dem Inneren durch die Grenze getrennt ist und im<br />
Rahmen der Systembildung <strong>als</strong> Kontext bezeichnet werden kann)<br />
• die Grenze und der hiervon noch nicht unterschiedene <strong>Prozess</strong> der Grenz-<br />
ziehung<br />
• der implizite Kontext der Unterscheidung (das ist der Raum, der durch die<br />
Grenzziehung bei der Unterscheidung aufgespalten wird)<br />
Wichtig für das Verständnis der Unterscheidung ist die Anwendung eines Beweg-<br />
grunds (motive), eines Unterscheidungskriteriums. 334 Es bildet eine Möglichkeits-<br />
329 Vgl. Varga von Kibéd, 1998.<br />
330 Vgl. Spencer Brown, 1967.<br />
331 Vgl. Rüegg-Stürm, 2001, Simon, 1992.<br />
332 Vgl. Bateson, 1981.<br />
333 Vgl. Varga von Kibéd, 1993.<br />
334 An dieser Stelle ist es wichtig den von Spencer Brown verwendeten Begriff „motive“ im Sinne eines<br />
Unterscheidungskriteriums nicht mit dem individualpsychologischen Begriff des Motivs im Sinne eines<br />
Beweggrunds für ein Verhalten zu verwechseln.<br />
133
134<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
bedingung oder Voraussetzung für jede Unterscheidung. Nach LUHMANN stellt dieses<br />
Kriterium ein implizites Differenzschema dar, 335 welches auf das, was <strong>als</strong> verschieden<br />
gesehen wird, angewendet wird. Es führt dazu, dass unterschiedliche Inhalte oder<br />
wahrgenommene Verschiedenheiten <strong>als</strong> von unterschiedlichem Wert gesehen werden.<br />
VARGA VON KIBÉD und MATZKA bemerken hierzu: „Es ist wichtig, das Sehen von<br />
Verschiedenheit, genauer: das „<strong>als</strong> von verschiedenem Wert sehen“, nicht <strong>als</strong> Wahr-<br />
nehmung eines Unterschieds misszuverstehen“. 336 Erst wenn die Anwendung eines<br />
Beweggrundes die wahrgenommene Verschiedenheit (difference) zu einem relevanten<br />
Unterschied werden lässt, handelt es sich um einen relevanten Unterschied im Sinne<br />
einer distinction. Es kann somit eine Verschiedenheit durchaus auch <strong>als</strong> ein nicht rele-<br />
vanter Unterschied gesehen werden. 337<br />
Die zugrunde liegenden Differenzschemata – LUHMANN bezeichnet diese <strong>als</strong> latente<br />
Struktur 338 - wirken im <strong>Prozess</strong> der Beobachtung allerdings <strong>als</strong> rekursiv blinde<br />
Flecken. Die Anwendung des Differenzschemas führt i.d.R. wiederum zur Bestätigung<br />
der Unterscheidung bzw. der Struktur.<br />
Eine direkte Beobachtungen des angewandten Differenzschemas ist im Vollzug der<br />
Beobachtung nicht möglich. Dieser Umstand machte es erst zum blinden Fleck. Der<br />
blinde Fleck kann nur durch eine Beobachtung 2. Ordnung, das heißt eine<br />
Beobachtung der Beobachtung entdeckt werden. Mit dieser zweiten Beobachtung ist<br />
allerdings unweigerlich ein weiteres Differenzschema und damit ein weiterer blinder<br />
Fleck verbunden.<br />
Das Beobachten der Beobachtungen zielt auf die Externalisierung impliziter<br />
Strukturen ab. Die Externalisierung solcher Strukturen kann von zentraler Bedeutung<br />
für den organisationalen <strong>Wandel</strong> sein. Da die Unterscheidungen und die Anwendung<br />
von Differenzschemata <strong>als</strong> Grundlage für organisationale Regeln dienen, betrifft eine<br />
Veränderung der Unterscheidungen auch stets eine Veränderung der Regeln.<br />
335 Vgl. Luhmann, 1991.<br />
336 Vgl. Varga von Kibéd und Matzka, 1993.<br />
337 Nach Spencer Brown stellt Identifikation den Verzicht dar, in einer Verschiedenheit eine Unterscheidung zu<br />
sehen. Überträgt man diesen Gedanken auf dem Bereich der Integration von Organisationen, dann könnte<br />
man schließen, dass es für eine neue gemeinsame Identität vor allem um die Aufhebung von<br />
Unterscheidungen oder genauer gesagt um die Bereitschaft geht, Verschiedenheiten nicht automatisch <strong>als</strong><br />
von verschiedenen Wert zu sehen.<br />
338 Vgl. Luhmann, 1991.
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Ein wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit der Veränderung der den Regeln<br />
zugrunde liegenden Unterscheidungen ist deren Kontextabhängigkeit. Beobachtungen<br />
2. Ordnung und Fähigkeiten zur Änderung der Regeln (Metafähigkeiten) müssen<br />
deshalb neben dem eigenen, impliziten Differenzschema auch den Kontext der<br />
jeweiligen Unterscheidung explizit berücksichtigen.<br />
Die Untersuchung der <strong>Wandel</strong>prozesse bedarf <strong>als</strong>o der Analyse der Veränderung der<br />
impliziten Spielregeln unter Berücksichtigung der Kontextveränderung eines Systems.<br />
Angesichts der nicht-linearen Zusammenhänge in Systemen können Instrumente zur<br />
Untersuchung dieser <strong>Wandel</strong>logiken i.d.R. allerdings allenfalls heuristischer Natur<br />
sein.<br />
Die nachfolgend beschriebenen Systemprinzipien stellen in diesem Sinne einen<br />
möglichen Suchfokus dar. Je nach Kontext einer Organisation werden dabei<br />
unterschiedliche Ausrichtungen (z.B. Wachstums-, Effizienzausrichtung) identifiziert,<br />
die auf systemischer Ebene entscheidende Hinweise zum Verständnis des Verhaltens<br />
einer Organisation geben können. Sie können somit <strong>als</strong> <strong>als</strong> Beobachtungsprinzipien<br />
verstanden werden, die bestehende implizite Diffenzschemata oder Motive zugänglich<br />
machen.<br />
4.2.7 Systemprinzipien der Systemischen Strukturaufstellungen und <strong>Prozess</strong>e<br />
der Musterunterbrechung<br />
Nachfolgend werden die Systemprinzipien vorgestellt, die von SPARRER und VARGA<br />
VON KIBÉD aus der Arbeit mit Strukturaufstellungen entwickelt wurden. Sie dienen im<br />
Rahmen dieser Arbeit <strong>als</strong> heuristische Prinzipien, die bei der Analyse der<br />
Systemstrukturen der Partnerorganisationen im anschließenden empirischen Teil An-<br />
wendung finden. Ihr besonderer Beitrag liegt dabei in der Explizierung von Hinter-<br />
grundannahmen und der Plausibilisierung empirischer Beobachtungen. Sie stellen eine<br />
Grammatik zum Verständnis von Organisationsverhalten und -muster dar, mit deren<br />
Hilfe Organisationsverhalten sinnvoll und nachvollziehbar wird.<br />
Die Systemprinzipien sind aufgrund ihrer Formulierung mit einer konstruktivistischen<br />
Auffassung vereinbar. So wird im Rahmen der nachfolgenden Strukturprüfung stets<br />
der Kontext des Systems berücksichtigt und angefragt, ob z.B. ein System wachstums-<br />
orientiert ist. Beispielsweise sind Warteschlangen ausschließlich wachstumsorientierte<br />
Systeme. Bei ihnen ist der zeitliche Eintritt in das System ausschlaggebend für den<br />
Platz eines Mitgliedes. Anders etwa bei der Gruppe der Gründer einer Unternehmung.<br />
135
136<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Hier kann man nicht mehr im Nachhinein Mitglied werden, und sollte die Gründung<br />
von allen gleichzeitig erfolgt sein, spielt auch die zeitliche Reihenfolge keine Rolle.<br />
Die Beachtung dieser heuristischen Prinzipien erfolgt im Rahmen dieser Arbeit im<br />
Sinne einer Prüfung: Wenn für ein System z.B. die Zugehörigkeitsorientierung oder<br />
Wachstumsorientierung relevant ist, dann sollte die Grenze <strong>als</strong> Ausdruck der Zugehö-<br />
rigkeit oder die zeitliche Reihenfolge <strong>als</strong> Ausdruck des Wachstums beachtet werden.<br />
Der Zusammenhang zwischen den Handlungsvoraussetzungen (z.B. Zugehörigkeits-<br />
orientierung oder zeitliche Reihenfolge) und eventuell nachteiligen Handlungsfolgen<br />
darf allerdings nicht linear-kausal gedacht werden. Es handelt sich hierbei um<br />
heuristische Prinzipien. Die Nichtbeachtung solcher Prinzipien kann - muss aber nicht<br />
zu nachteiligen Folgen im System führen. Es liegt <strong>als</strong>o kein Kaus<strong>als</strong>chluss vor.<br />
Das bedeutet: Bei der Nichtbeachtung impliziter Handlungsvoraussetzungen wie etwa<br />
der Zugehörigkeitsorientierung muss es nicht automatisch zu einem Zerfall des<br />
Systems kommen. Allerdings führt eine Veränderung der Regel, wie z. B. die Nichtan-<br />
erkennung der Zugehörigkeit oder einer Leistung (Handlung), u.U. zu problematischen<br />
Handlungen im System. Beispiele dazu finden sich in Kap. 7.1.<br />
Strukturprinzipien Handlungs- und <strong>Prozess</strong>prinzipien<br />
Recht auf Zugehörigkeit<br />
Zeitliche Reihenfolge<br />
Einsatz für das Ganze<br />
Leistung und Fähigkeit<br />
Anerkennen was wirkt<br />
Ausgleich von Geben<br />
und Nehmen<br />
Abbildung 29: Systemprinzipien in Anlehnung an<br />
(Varga von Kibéd und Sparrer, 2000a), (Sparrer und Varga von Kibéd, 1998)
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
SPARRER und VARGA VON KIBÉD 339 haben mit den „systemischen Strukturauf-<br />
stellungen“ eine Methode entwickelt, die die Darstellung von Organisations- und<br />
anderen Systemkonstellationen analog zur Arbeit mit Familiensystemen ermöglicht 340 .<br />
Als „Grammatik“ für alle Arten von Aufstellungen formulierten sie die heuristischen<br />
Grund- und Metaprinzipien für den Erhalt und das Funktionieren von Systemen.<br />
Grundsätze, wie beispielsweise das Recht auf Zugehörigkeit und die zeitliche<br />
Reihenfolge, beschreiben danach Funktionsweisen in einem System und können im<br />
Rahmen von Strukturaufstellungen (Familien-, Organisations-, Problemaufstellungen,<br />
u.a.) beobachtet werden. 341<br />
Wird die Aufstellung <strong>als</strong> eine Unterbrechung der Muster der Wahrnehmung des Orga-<br />
nisationssystems verstanden, dann stellen die Grundprinzipien eine Beschreibung einer<br />
angemessenen Systemwahrnehmung ohne systemschädigende Dynamiken dar.<br />
SPARRER und VARGA VON KIBÉD gehen in ihrer Arbeit explizit von einem<br />
systematisch-ambigen (im Sinne eines systematisch-mehrdeutigen) Verständnis aus.<br />
Das systematisch-ambige Arbeitsverständnis bedeutet dabei: Wenn in der Aufstellung<br />
die Systemelemente etwa <strong>als</strong> Mitglieder einer Organisation benannt und aufgestellt<br />
sind, kann die Lösungsaufstellung sowohl für den aufgestellten Arbeitskontext des<br />
Mitglieds der Organisation wie auch für ähnlich strukturierte Kontexte (familiäre<br />
Konstellationen, Entscheidungs- oder Problemsituationen, u.a.) wirksam sein. Für<br />
Organisationen bedeutet das, dass man Musterähnlichkeiten auch in unterschiedlichen<br />
Kontexten (Abteilungen, Projekte, kritische Situationen, u.a.) wiederfinden kann. 342<br />
Diese Strukturähnlichkeiten der Beziehungsgefüge erlauben den Wechsel der<br />
Bedeutungsebene. Durch eine allgemeinere Formulierung der „Lösungssätze“ im<br />
Rahmen der <strong>Prozess</strong>arbeit kann die gleichzeitige Betrachtung beispielsweise mehrerer<br />
Subsysteme einer Organisation und die Verallgemeinerung der Lernprozesse im Sinne<br />
einer Übertragung in andere Kontexte erleichtert werden.<br />
339 Vgl. u.a. Varga von Kibéd, 1994, Varga von Kibéd und Sparrer, 2000a, Sparrer, 2001; Sparrer und Varga von<br />
Kibéd, 1998.<br />
340 Vgl. allgemein zur Arbeit mit Strukturaufstellungen sowie Familien- und Organisationsaufstellungen Varga<br />
von Kibéd und Sparrer, 2000a; Weber, 1997; Weber, 2000.<br />
341 Vgl. Varga von Kibéd, 1998. Prinzip 1, 2a und 2b gehen auf die Arbeit von Bert Helllinger (u.a. [Hellinger,<br />
1997 #430] zurück, sind aber von Varga von Kibéd Sparrer in Bezug auf die Systemexistenz, wachstum und<br />
–fortpflanzung konstruktivistisch interpretiert worden.<br />
342 Die Wirkung auf andere <strong>als</strong> die aufgestellten Systeme wurde empirisch untersucht in (Schumacher, 2000).<br />
137
138<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Nachfolgend werden die Grundprinzipien <strong>als</strong> „Theorie der Aufstellungsarbeit“ <strong>als</strong><br />
Gegenstand der Lernprozesse des Lernens II im Sinne von BATESON kurz vorge-<br />
stellt. 343 In Verbindung mit der Vorstellung eines systematisch-ambigen Arbeitens<br />
bedeutet die Anwendung der Prinzipien, dass ihre Anwendung auch in anderen<br />
Kontexten zu Veränderungen führen kann. Die im Folgenden angegebenen Nummern<br />
beziehen sich <strong>als</strong> Hinweise auf die Abfolge der Prinzipien in Abbildung 30.<br />
• Erstes Grundprinzip: Prinzip der Zugehörigkeitsregelung<br />
Jedes Systemmitglied hat gleiches Recht auf Zugehörigkeit. Niemand darf einfach aus-<br />
geschlossen werden. (Dieses Prinzip sichert die Existenz des Systems.)<br />
Wird ein Systemmitglied (beispielsweise ein Organisationsmitglied) ausgeschlossen,<br />
repräsentiert möglicherweise ein anderer Mitarbeiter in einer Organisation später diese<br />
Person.<br />
Dieses Prinzip sichert die Existenz des Systems, da von der Zugehörigkeit auch die<br />
Systemgrenze abhängt. Wird die Zugehörigkeit bei Einzelnen in Frage gestellt, ist die<br />
Systemgrenze und damit das System in seiner Gesamtheit bedroht. Im Gegensatz zur<br />
Familie, bei der die Zugehörigkeit durch Ehe, Partnerschaft oder Geburt besteht, ist in<br />
Organisationen die Zugehörigkeit in der Regel vertraglich festgelegt.<br />
WEBER und GROSS bringen hierfür ein Beispiel, bei dem einer von zwei Gründern und<br />
späteren langjährigen Geschäftsführern einer Firma im weiteren Verlauf der<br />
Firmengeschichte vergessen und im Firmennamen nicht berücksichtigt wurde. Die<br />
Aufstellung und Anerkennung der Zugehörigkeit dieses vergessenen Mitgründers hatte<br />
im Rahmen einer Organisationsaufstellung eine schlagartig verbessernde Wirkung auf<br />
das gesamte System. 344<br />
• Zweites Grundprinzip: Prinzip der Reihenfolge<br />
Innerhalb eines Systems hat das Frühere Vorrang vor dem Späteren. Zwischen<br />
Systemen hat das Spätere Vorrang vor dem Älteren. (Dieses Prinzip sichert Wachstum<br />
und Fortpflanzung des Systems.)<br />
343 Vgl. Bateson, 1981.<br />
344 Vgl. Weber und Gross, 1998.
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Innerhalb eines Systems sichert die direkte Zeitreihenfolge die Möglichkeit des<br />
Systemwachstums (2 a ), da sonst der Raumverlust früherer Systemelemente durch das<br />
Hinzukommen jüngerer Elemente zu Gegenreaktionen gegen das Systemwachstum<br />
führt. Zwischen Systemen sichert die inverse Zeitfolge die Möglichkeit der System-<br />
fortpflanzung (2 b ), da sonst die schwächere Grenze des jüngeren Systems häufig zu<br />
dessen Reabsorption durch das ältere oder zur Diffusion führt.<br />
Innerhalb von Organisationen zeigt sich die Reihenfolge etwa in der Beachtung der<br />
zeitlichen Reihenfolge der Zugehörigkeit in einem Team. WEBER formuliert für die<br />
Reihenfolge innerhalb einer Organisation „wer länger da ist, hat Vorrang“. 345 So hat<br />
bei Gleichgestellten der, der früher da war, die älteren Rechte und auch für<br />
Führungskräfte lohnt es sich, Mitarbeiter, die früher da waren, in ihrer Erfahrung und<br />
für ihre Verdienste zu schätzen.<br />
Zwischen den Systemen führt der Grundsatz dazu, dass beispielsweise bei strategi-<br />
schen Initiativen das neue System, solange sich dieses noch in einer frühen Phase<br />
befindet, einen Vorrang vor anderen Abteilungen, Segmenten oder Teams genießt. 346<br />
• Drittes Grundprinzip: Prinzip des Vorrangs des höheren Einsatzes<br />
Derjenige, der sich in einem System besonders einsetzt oder Verantwortung<br />
übernimmt, genießt Vorrang. (Dieses Prinzip sichert die Immunkraftbildung des<br />
Systems.)<br />
Die Anerkennung des Einsatzes für das Ganze (3 a ) fördert die Krisenresistenz und<br />
sichert die Immunkraftbildung des Systems, da ohne die Förderung derartiger Funkti-<br />
onen das System potenziell stabilisierende Kräfte nicht in ausreichendem Maße aus-<br />
bilden würde. Zu dieser Ebene zählen neben dem Vorrang des höheren Einsatzes für<br />
das Ganze (z.B. durch besonderen Einsatz von Mitarbeitern in Krisen) auch die Be-<br />
rücksichtigung und Anerkennung der systemischen und offiziellen Hierarchie (3 b und<br />
3 c ), wodurch das „Funktionieren“ des Systems und die Sicherung des Erscheinungs-<br />
bildes nach außen gefördert werden. Wichtig ist darüber hinaus die Beachtung interner<br />
und externer Einflüsse (3 d und 3 e ). So müssen z. B. „graue Eminenzen“ wie ehemalige<br />
Funktionsträger sowie alte Stammkunden in einer Organisation besondere Aufmerk-<br />
345 Vgl. ebenda.<br />
346 Auf diesen Zusammenhang wird im empirischen Teil noch einmal eingegangen werden.<br />
139
140<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
samkeit erhalten. Die Beachtung dieser Grundsätze wirkt störenden Einflüssen von<br />
innen (z.B. Sabotage) entgegen und führt zu einer besseren Anpassung an die Umwelt.<br />
• Viertes Grundprinzip: Prinzip zur Regelung von Leistung und Fähigkeit<br />
Systemelemente, die höhere Leistungen gezeigt haben, oder die über größere Fähig-<br />
keiten verfügen, haben Vorrang. (Dieses Prinzip sichert Entwicklung und Ausprägung<br />
von Leistungen und Fähigkeiten des Systems.)<br />
Dieses auf den ersten Blick elitäre Prinzip des Leistungs-, Fähigkeits- und Kompe-<br />
tenzvorrangs sichert die Reifung und individuelle Ausprägung des Systems (Individu-<br />
ation), da sonst der pure Weiterbestand des Systems <strong>als</strong> einzige Systemausrichtung<br />
alles dominieren kann. Das Prinzip des Leistungsvorrangs erhält die Leistungsbereit-<br />
schaft (4 a ), während die Beachtung des Fähigkeitsvorrangs (4 b ) den Zugang zu den<br />
Ressourcen sichert.<br />
WEBER merkt hierzu an, dass Mitarbeiter, die besondere Kompetenzen und<br />
Fähigkeiten einbringen und die den Erfolg und die Weiterentwicklung der<br />
Organisation garantieren, besondere Anerkennung und Förderung für ihre Beiträge<br />
brauchen, um bleiben zu können. 347<br />
347 Vgl. Weber und Gross, 1998.
Prinzipien der<br />
Prinzipien der<br />
Zugehörigkeitsregelung<br />
Zugehörigkeitsregelung<br />
Prinzipien der Reihenfolge<br />
Prinzipien der Reihenfolge<br />
SystemfortSystemfortpflanzungpflanzung<br />
Prinzipien der Regelung des<br />
Prinzipien der Regelung des<br />
Energieflusses<br />
Energieflusses<br />
Interne Einflüsse<br />
(gerechtfertigte u. angemaßte)<br />
-> fördert Sabotageschutz<br />
Prinzipien zur Regelung von<br />
Prinzipien zur Regelung von<br />
Leistung und Fähigkeit<br />
Leistung und Fähigkeit<br />
systemische Hierarchie<br />
-> sichert Synergien<br />
im<br />
System<br />
2a 2a 2a 2a 2a 2a 2a 2a 2a 2a 3b 3<br />
b<br />
b 3<br />
b<br />
b 3<br />
b<br />
b 3<br />
b<br />
b<br />
b<br />
1<br />
1<br />
2<br />
2<br />
3<br />
3a 3a 3a 3a 3a Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
zwischen<br />
Systemen<br />
2b 2b 2b 2b 2b 2b 2b 2b 2b 2b Vorrang des höheren<br />
Einsatzes für das Ganze<br />
3c 3c 3c 3c 3c 3d 3e 3d 3e 3d 3e 3d 3e 3d 3e 4<br />
4a 4a 4a 4a 4a 4b 4b 4b 4b 4b Vorrang höherer<br />
Leistung und<br />
Fähigkeiten<br />
Systemexistenz<br />
Systemexistenz<br />
SystemfortSystemfortpflanzungpflanzung<br />
Immunkraftbildung<br />
Immunkraftbildung<br />
Krisenbewältigung<br />
Krisenbewältigung<br />
offizielle Hierarchie<br />
-> sichert das<br />
Erscheinungsbild<br />
externe Einflüsse<br />
(gerechtfertigte u. angemaßte)<br />
-> fördert Umweltadaptation<br />
Individuation<br />
Individuation<br />
Leistungsvorrang<br />
-> sichert Leistungsbereitschaft<br />
Fähigkeitsvorrang<br />
-> sichert Zugang zu Ressourcen<br />
Abbildung 30: Überblick über die Grundprinzipien für den Systemerhalt<br />
(Quelle: Sparrer und Varga von Kibéd, 1998)<br />
Die angesprochenen Prinzipien gelten in ihrer Bedeutung in der genannten Reihen-<br />
folge, d.h. die Anwendungsreihenfolge entspricht der Nummerierung. Das Arbeiten<br />
auf einer nachfolgenden Ebene ist nicht wirkungsvoll, wenn bei einer früheren Ebene<br />
Störungen vorliegen. Die Beachtung der Prinzipien fördert innerhalb von Systemen<br />
141
142<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
u.a. das Überleben, das Wir-Gefühl und das Erschließen von Ressourcen. 348<br />
Abbildung 30 stellt die Prinzipien im Überblick dar.<br />
4.3 Fazit und Implikationen eines systemischen und<br />
strukturationstheoretischen Organisationsverständnisses<br />
4.1 Die Strukturationstheorie<br />
von Anthony Giddens<br />
4. Grundsteine organisationaler<br />
Theoriegebäude<br />
4.2 Systemtheorie<br />
4.3 Fazit und Implikationen eines<br />
strukturations- und systemtheoretischen<br />
Organisationsverständnisses<br />
Abbildung 31: Gedankenfluss Kapitel 4<br />
Im Mittelpunkt der strukturations- und systemtheoretischen Ansätze steht die Frage<br />
nach den Sinnstrukturen bzw. dem <strong>Prozess</strong> ihrer Verfertigung in sozialen Systemen. 349<br />
Sinn- oder Wissensstrukturen stellen das organisierende Prinzip in Systemen dar. Es<br />
kann sich dabei um lange bestehende (z. B. ein Unternehmens- oder Vereinszweck,<br />
Familie) oder kurzfristige Sinnstrukturen handeln (z.B. ein SAP-Einführungsprojekt).<br />
Um die Sinnstruktur baut sich jeweils ein Kommunikationssystem auf, welches sich<br />
typischerweise um eine Aufgabe oder ein Problem herum organisiert. 350<br />
Ausdruck der systemisch-relationalen Perspektive ist, dass es in diesem System nicht<br />
um die Personen <strong>als</strong> Elemente des Systems, sondern um die Kommunikation und<br />
Interaktion zwischen den Beteiligten geht. Ändern sich die Interaktionen der Beteilig-<br />
ten, die Kommunikation über das Problem (Problemdefinition) oder die Regeln des<br />
Problemsystems, so ändert sich auch das Problem.<br />
348 Vgl. Sparrer, 1997.<br />
349 Vgl. Reckwitz, 1997a.<br />
350 Ähnlich das garbage can modell. Cohen, et al., 1972b.
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Diese Erkenntnis, dass die Praktiken und Wissensmuster von entscheidender<br />
Bedeutung für die Struktur des Systems sind, wird in beiden Theorien auf unter-<br />
schiedliche Art und Weise thematisiert. Die nachfolgenden Kapitel erläutern kurz die<br />
Implikationen dieser systemischen und prozessbezogenen Operationslogik aus<br />
strukturationstheoretischer und systemtheoretischer Sicht.<br />
4.3.1 Zur Entstehung von Organisationen aus strukturationstheoretischer Sicht<br />
Die zentrale Idee und Leitdifferenz in der Strukturationstheorie ist die der Dualität von<br />
Handlung und Struktur. Strukturen entstehen nach Auffassung der Strukturati-<br />
onstheorie in Handlungen. Strukturen wiederum ermöglichen und begrenzen Hand-<br />
lungen.<br />
Strategische <strong>Wandel</strong>initiativen in Organisationen können <strong>als</strong> eine Form<br />
organisationalen Handelns betrachtet werden. Die Organisation schafft, indem sie<br />
<strong>Wandel</strong>projekte durchführt, durch dieses organisationale Handeln aber zwangsläufig<br />
auch neue Strukturen. Allerdings ist häufig nicht die Schaffung neuer Strukturen bzw.<br />
die Etablierung neuer Regeln das explizite Ziel solcher <strong>Wandel</strong>initiativen. Vielmehr<br />
wird über die Bewältigung bestimmter Aufgaben oder Probleme (z.B. die Einführung<br />
neuer EDV-Systeme oder eines Managementsystems) <strong>als</strong> mehr oder weniger<br />
beabsichtigter Nebeneffekt, Einfluss auf die Strukturen ausgeübt.<br />
Das offizielle Thema einer solchen Initiative hat dabei die Funktion eines<br />
„trojanischen Pferdes“: Da die direkte Veränderung von organisationalen Regeln und<br />
Strukturen an den Stadtmauern routinisierter sozialer Praktiken scheitert, kann das<br />
Muster oder die Regelstruktur einer Organisation unter dem Decknamen einer<br />
offiziellen (oftm<strong>als</strong> technischen) <strong>Wandel</strong>initiative verändert werden.<br />
Strukturationstheoretisch interpretiert führen auf diese Weise legitimierte neue<br />
Handlungen (strategische Initiativen) zu neuen Strukturen (organisationalen Regeln).<br />
Allerdings vollzieht sich dieser Strukturationsprozess weniger ex ante rational<br />
intendiert <strong>als</strong> vielmehr im Sinne eines ständigen rekursiven sozialen<br />
Konstruktionsprozesses.<br />
4.3.2 Zur Entstehung von Organisationen aus systemischer Sicht<br />
Aufgaben und Probleme können aus systemischer Sicht <strong>als</strong> eine Art Kristallisations-<br />
punkte eines Systems betrachtet werden. Die übliche Auffassung besagt, dass ein<br />
System ein Problem hat (z.B. „Wir haben ein Problem mit der Mitarbeiterfluktuation“;<br />
„Wir haben ein Umsatzproblem“) und dieses Problem quasi ein Strukturmerkmal, eine<br />
143
144<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Eigenschaft bzw. ein Defizit des Systems ist. <strong>Wandel</strong>projekte sind darauf angelegt, ein<br />
solches Problem zu lösen, indem sie es finden, analysieren und beseitigen.<br />
Allein die Befragungen der Beteiligten und deren häufig sehr unterschiedliche<br />
Beschreibungen „des Problems“, machen die konstruktivistische Auffassung, dass<br />
Probleme jeweils von den Beteiligten unterschiedlich konstruiert werden, sehr<br />
plausibel. Die Sprachfigur, die suggeriert, dass es das Problem an sich gibt, wird damit<br />
sehr fragwürdig.<br />
Umgekehrt könnte man allerdings systemisch formulieren, dass ein Problem ein<br />
System hat. Um ein Verhalten oder Thema herum entwickelt sich ein durch die<br />
Kommunikation über das Problem charakterisiertes Sozi<strong>als</strong>ystem, quasi ein „problem-<br />
determiniertes System“. 351 Die Organisation und Verkopplung der unterschiedlichen<br />
Problemkonstruktionen und Beiträge der Beteiligten entscheidet nun darüber, ob und<br />
wie ein Problem aufrecht erhalten wird.<br />
Systemtheoretisch kann das Entstehen von Organisationen auf deren sprachliche Ver-<br />
fertigung um ein Problem herum zurückgeführt werden. Ein Problem erzeugt ein<br />
System - nicht umgekehrt 352 . Für den Zusammenschluss oder die Integration zweier<br />
Organisationen könnte man daraus schließen, dass es eines gemeinsamen Problems<br />
oder einer gemeinsamen Aufgabe bedarf, um ein System zu etablieren. Erst die<br />
Kommunikations- und Verfertigungsprozesse um ein Thema, ein Verhalten oder eine<br />
Aufgabe herum, machen einen Zusammenschluss bislang getrennter Systeme möglich.<br />
Daraus folgt auch, dass die gemeinsame Arbeit an einer Aufgabe oder einem Problem,<br />
die Bildung eines Systems bzw. die Integration verschiedener Systeme ermöglicht.<br />
Ein Problem sollte <strong>als</strong>o nicht <strong>als</strong> Element eines Systems begriffen werden. Es handelt<br />
sich um emergente Phänomene, die in der Beziehung der Elemente untereinander und<br />
zu ihrem Kontext begründet liegen. Deutlich wird das, wenn beispielsweise in einem<br />
Konzernverbund das subsidiäre Verhältnis zwischen der Zentrale und den Länder-<br />
gesellschaften zu Schwierigkeiten bei der Durchführung zentral gesteuerter Ver-<br />
änderungsinitiativen führt. Die Subsidiarität ist hierbei nicht ein Element des Systems,<br />
sondern spiegelt sich in der Beziehungsgestaltung, den Regeln und dem Verhältnis<br />
zwischen den Systemelementen (Zentrale und Ländergesellschaft) wider. Versuche,<br />
351 Vgl. Goolishian und Anderson, 1988.<br />
352 Vgl. Schlippe und Schweitzer, 1997.
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
das „Problem“ zu beseitigen erwecken dann oft den Anschein von Lösungen, die nach<br />
einem Problem suchen. 353<br />
4.3.3 Implikationen aus Sicht der Theorie von Spencer Brown<br />
Auch die Theorie von SPENCER BROWN bietet für organisationale Integrationsprozesse<br />
interessante Hinweise. SPENCER BROWN definiert Identifikation <strong>als</strong> den Verzicht in<br />
einer Verschiedenheit, ein Unterschiedsmotiv zu sehen. Es geht <strong>als</strong>o um die<br />
Aufhebung einer Unterscheidung oder genauer darum, Verschiedenheiten keine<br />
Bedeutung zuzumessen.<br />
In diesem Sinne können Integrationsprozesse im Kontext einer organisationalen<br />
Fusion <strong>als</strong> der Versuch gesehen werden, aus einer Verschiedenheit (bisherige Zuge-<br />
hörigkeit zu unterschiedlichen Unternehmen, unterschiedliche Regeln und Routinen in<br />
einzelnen Abteilungen), nicht einen relevanten Unterschied zu konstruieren.<br />
Die Herausforderung besteht darin, den Unterschied zwar anzuerkennen, aber eben<br />
nicht <strong>als</strong> einen Unterschied, der einen Unterschied macht – einen relevanten Unter-<br />
schied - zu identifizieren. Strategische <strong>Wandel</strong>initiativen im Kontext von PMI stellen<br />
somit die Möglichkeit einer neuen Grenzziehung dar. Das heißt, es könnten nun andere<br />
Verschiedenheiten <strong>als</strong> relevante Unterschiede erkannt werden. Erfolgreiche strategi-<br />
sche <strong>Wandel</strong>initiativen zeichnen sich aus dieser Sicht dadurch aus, dass sie Ver-<br />
schiedenheiten anbieten, die von den Beteiligten im <strong>Prozess</strong> der Grenzziehung in<br />
einem neuen Kontext zu relevanten Unterschieden gemacht werden. Als Konsequenz<br />
eines solchen neuen Grenzziehungsprozesses sollte eine veränderte Innen/Außen<br />
Unterscheidung und eine neue Grenze entstehen.<br />
<strong>Wandel</strong>initiativen stellen somit Konstruktionsgelegenheiten neuer Unterscheidungen<br />
dar. Wie die Konstruktion von neuen, relevanten Unterscheidungen durch die Organi-<br />
353 Auf diesen Zusammenhang spielt auch das in der Literatur beschriebene garbage can modell an (Cohen, et<br />
al., 1972a). Vgl. zu der Idee, dass das Problem nicht ein Element des Systems ist auch die Anmerkung von<br />
Matthias Varga von Kibéd: Wenn die Form eines Dreiecks ein Problem symbolisiert, dann liegt die Lösung<br />
in der Verschiebung eines Elementes, so dass sich eine Gerade ergibt und nicht in dem Herausnehmen eines<br />
Elements. Hieran wird deutlich, dass die Lösung in der Veränderung der Anordnung bzw. der Beziehungen<br />
der Elemente liegt.<br />
145
146<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
sation vom Management des <strong>Wandel</strong>s unterstützt werden kann, wird im Weiteren<br />
dargestellt.
5 Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />
Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />
Organisationen halten Leute beschäftigt, unterhalten sie bisweilen, vermitteln ihnen eine<br />
Vielfalt von Erfahrungen, halten sie von den Straßen fern, liefern Vorwände für Geschichtenerzählen<br />
und ermöglichen Sozialisation. Sonst haben sie nichts anzubieten.<br />
Karl Weick 354<br />
Die Vor - Stellungen 355 über <strong>Wandel</strong> in Organisationen sind von impliziten Annahmen<br />
über Menschen und Organisationen sowie deren Verhalten geprägt. Die Sprache, die<br />
Organisationsmitglieder verwenden, wenn sie über Veränderungen sprechen ist ge-<br />
prägt von den Vorannahmen und prägt ihrerseits wiederum Aspekte dieser impliziten<br />
Vorannahmen. 356<br />
5.1 Bausteine organisationaler<br />
Anwendungstheorien<br />
5. Organisations- und<br />
<strong>Wandel</strong>verständnis<br />
Abbildung 32: Gedankenfluss Kapitel 5<br />
5.2 <strong>Wandel</strong>- und<br />
<strong>Wandel</strong>fähigkeit<br />
Das folgende Kapitel legt ein systemisches Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis dar<br />
und hinterfragt dabei in <strong>Wandel</strong>situationen besonders häufig anzutreffende<br />
individualistisch geprägte <strong>Wandel</strong>vorstellungen wie Commitment der Führungskräfte,<br />
Widerstand und Motivation der Mitarbeiter.<br />
5.1 Bausteine organisationaler Anwendungstheorien<br />
Im Anschluss an die Darstellung der Systemtheorie und die Strukturationstheorie <strong>als</strong><br />
theoretische Referenzpunkte stellen die nachfolgenden Konzepte organisa-<br />
354 Vgl. Weick, 1985a.<br />
355 Der Begriff Vorstellungen ist hier durchaus auch wortwörtlich gemeint: Es wird etwas vor etwas anderes<br />
gestellt. Dies trifft auch auf die impliziten Annahmen zu.<br />
356 Vgl. hierzu auch Watzlawick, et al., 1990, Schulz von Thun, 1981. Jede kommunikative Nachricht beinhaltet<br />
verschiedene Aspekte und enthüllt Aspekte der inneren Vor-Stellungen oder Landkarten, die der Sender „im<br />
Kopf hat“.<br />
147
148<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
tionstheoretische Ansätze dar, die dem Phänomen „Organisation“ anwendungs-<br />
orientiert begegnen. Das Ziel des Kapitels besteht darin, relevante Verknüpfungs-<br />
punkte für ein anwendungsorientiertes Organisationsverständnis zusammenzustellen.<br />
Die Auswahl der Konzepte erfolgte dabei nach Maßgabe und Vereinbarkeit mit dem<br />
prozessorientierten, systemisch-konstruktivistischen Organisationsverständnis wie es<br />
im vorangegangenen Kapitel dargestellt wurde.<br />
5.1 Bausteine organisationaler<br />
Anwendungstheorien<br />
5. Organisations- und<br />
<strong>Wandel</strong>verständnis<br />
Abbildung 33: Gedankenfluss Kapitel 5<br />
5.1.1 Organisation <strong>als</strong> <strong>Prozess</strong> – Der <strong>Prozess</strong> des Organisierens<br />
5.2 <strong>Wandel</strong>- und<br />
<strong>Wandel</strong>fähigkeit<br />
Der organisationstheoretische Ansatz von KARL WEICK stellt einen deutlichen Bruch<br />
mit der Tradition seines Faches dar. WEICK beschreibt Organisationen <strong>als</strong> prozess-<br />
hafte, interpretative und offene Systeme, die insbesondere durch drei Aspekte gekenn-<br />
zeichnet sind:<br />
• Strukturen, Kulturen und Umwelt von Organisationen sind keine stabilen<br />
Entitäten sondern werden prozesshaft im Sinne eines Organizing beschrieben.<br />
WEICK benutzt das Bild eines „multiplen heterogenen Flusses von unterschied-<br />
licher Viskosität, der sich mit variabler Geschwindigkeit bewegt“. 357 Bestand-<br />
teile eines <strong>Prozess</strong>es sind ineinandergreifende Verhaltensweisen (Interakte) von<br />
zwei oder mehr Personen, die sich gegenseitig bedingen. Die Analyseeinheiten<br />
beim Organisieren sind bedingte Reaktionsmuster: Die Handlungen eines<br />
Akteurs A rufen eine spezifische Reaktion bei Akteur B hervor (Interakt) auf<br />
die A wiederum seinerseits reagiert (doppelter Interakt).<br />
• Organisationales Handeln orientiert sich an <strong>Prozess</strong>en der Sinngebung (sense-<br />
making), der Einordnung diskreter Ereignisse und Handlungen in einen<br />
sinnhaften Gesamtkontext. Die Sinngebung erfolgt in organisationalen<br />
357 Vgl. Weick, 1985a.
Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />
Interpretationsprozessen z.B. über den Austausch von Wahrnehmungen und die<br />
Diskussion von Entwicklungen. Dieser <strong>Prozess</strong> charakterisiert den Akt des<br />
Organisierens und befähigt die Organisation eine Konvergenz ihrer<br />
Interpretationen zu erreichen. Allerdings muss einschränkend angemerkt<br />
werden, dass es nicht die Organisation gibt, sondern dass eine „series of nested<br />
systems“ 358 verschiedene Interpretationen hat. In Fragen des strategischen<br />
<strong>Wandel</strong>s geht es vor allem um die Interpretationen der Ebene der Top-<br />
Manager. 359<br />
• Schließlich liegen den <strong>Prozess</strong>en nicht linear-kausale sondern zirkuläre<br />
Wirkungszusammenhänge und Beziehungen zugrunde. Durch das komplexe<br />
Zusammenwirken verschiedener Systemelemente, Subsysteme und Kontexte<br />
ergeben sich Muster, die das charakterisierende Element einer Organisation<br />
sind. Aus WEICK´s Sicht sind diese Muster wichtiger <strong>als</strong> die Inhalte. Es macht<br />
aus seiner Sicht deshalb keinen Sinn, auf einzelne Variablen einzuwirken,<br />
sondern „der einzige Ort, an dem Sie einen bedeutsamen <strong>Wandel</strong> herbeiführen<br />
können, liegt zwischen den Variablen“. 360<br />
Organisationen befinden sich nach WEICK in einem ständigen Transformationsprozess:<br />
Sie sind geprägt durch die Erlebnisströme der Vergangenheit und stehen vor der Her-<br />
ausforderung, die laufenden Ereignisse so zu organisieren, dass sie anschlussfähig an<br />
die laufenden Muster und den „<strong>Prozess</strong> des Organisierens“ werden. Dieser <strong>Prozess</strong><br />
läuft nach einem Satz von Rezepten ab, einer Grammatik, die zu vernünftigen Interpre-<br />
tationen der Ereignisse und einem tragfähigen Sicherheitsniveau führt.<br />
RÜEGG-STÜRM weist daraufhin, dass den unterschiedlichen <strong>Prozess</strong>en des<br />
Organisierens unterschiedliche Logiken im Sinne einer themenbezogenen, inneren<br />
Ordnung zugrunde liegen. 361 Nach der Logik der <strong>Prozess</strong>e lassen sich analytisch<br />
zugängliche und beschreibbare Wertschöpfungsprozesse und relationale schwer<br />
beschreibbare Beziehungsprozesse unterscheiden. Wertschöpfungsprozesse können<br />
dabei verstanden werden <strong>als</strong> Ergebnis eines relationalen Beziehungsprozesses<br />
358 Vgl. Daft und Weick, 1984. Vgl. auch das nachfolgende Kapitel zu lose gekoppelten Systemen.<br />
359 Vgl. ebenda.<br />
360 Vgl. Weick, 1985a. Hervorhebung im Original.<br />
361 Vgl. Rüegg-Stürm, 2001.<br />
149
150<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
(„enactment process”) 362 zwischen den Individuen und Organisationseinheiten. Die<br />
relationalen Beziehungsprozesse umfassen sowohl die Kommunikation <strong>als</strong> auch das<br />
sich rekursiv ständig neu strukturierende Beziehungsnetzwerk zwischen den<br />
Beteiligten. Sie bilden den Hintergrund für die im Vordergrund der organisationalen<br />
Aufmerksamkeit thematisierten Wertschöpfungsprozesse. 363 Ergebnisse dieser<br />
relationalen <strong>Prozess</strong>e sind ein gemeinsames Wirklichkeitsverständnis, geteilte Werte<br />
und Identitäten. Identitäten werden dabei nicht <strong>als</strong> etwas verstanden, was ein Mitglied<br />
oder eine Einheit einer Organisation besitzt, sondern <strong>als</strong> geteilte Wissensbestände über<br />
Personen, Organisationseinheiten und die organisationale Wirklichkeit, die das<br />
Ergebnis eines kollektiv-rekursiven <strong>Prozess</strong>es der Strukturierung sind.<br />
Die Beachtung dieser unterschiedlichen Identitäten und Logiken im Rahmen von<br />
strategischem <strong>Wandel</strong> ist von entscheidender Bedeutung bei der Neudefinition sowohl<br />
von Wertschöpfungsprozessen (Neudefinition von Aufgaben, Abläufe, Regeln, Verant-<br />
wortlichkeiten, etc.) <strong>als</strong> auch Beziehungsprozessen (Identitäten, Rollen, Erwartungen<br />
und Werten). Die Dringlichkeit und Vordergründigkeit, Lösungen auf der Ebene der<br />
Wertschöpfungskette zu finden, führt allerdings häufig dazu, dass Veränderungen auf<br />
der Beziehungsebene erfolgen. Beispiele dafür sind Veränderungen der Identität nach<br />
der gleichen - technischen - <strong>Prozess</strong>logik oder die Veränderung der Geschäftsprozesse.<br />
Die Verfertigung neuer Identitäten ermöglicht allerdings erst die Veränderungen auf<br />
der Ebene der Wertschöpfungsprozesse. Die Reflexion der bestehenden und der<br />
zukünftigen Identitäten und Rollen bietet die Plattform oder auch den Hintergrund, 364<br />
auf der bzw. dem beziehungs- und identitätsstiftende <strong>Prozess</strong>e erfolgen können bevor<br />
organisationale und technische Aspekte behandelt werden.<br />
Erfolgreiche <strong>Wandel</strong>initiativen sollten <strong>als</strong>o beide Dimensionen des <strong>Wandel</strong>s berück-<br />
sichtigen; sowohl die Dimension der Geschäftslogik, der (Wertschöpfung der<br />
362 Vgl. Weick Weick, 1985a.<br />
363 Mit dieser Beschreibung ist keinerlei Bewertung der beiden <strong>Prozess</strong>e verbunden. Es soll mit der<br />
Unterscheidung Hintergrund und Vordergrund lediglich angedeutet werden, dass die relationalen Aspekte<br />
häufig einen ausgeblendeten Kontext darstellen, von dem losgelöst häufig inhaltliche Fragen, die im<br />
Zusammenhang mit Geschäftsprozessen stehen, verhandelt werden. Die Unterscheidung weist damit gewisse<br />
Parallelen zur Unterscheidung von Watzlawicks Beziehungs- und Inhaltsebene der Kommunikation auf. Vgl.<br />
hierzu Watzlawick, et al., 1990.<br />
364 Man könnte hier auch von dem eigentlichen oder ausgeblendeten Thema sprechen, während Fragen der<br />
<strong>Prozess</strong>gestaltung, technische Fragen o.ä. erst einmal zum offiziellen Thema gemacht werden. Vgl. zu dieser<br />
Unterscheidung Varga von Kibéd und Sparrer, 2000a.
Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />
<strong>Prozess</strong>e), <strong>als</strong> auch die unsichtbare Dimension der Identitäten der in die Organisation<br />
involvierter Subsysteme und Individuen.<br />
Aus Sicht des organisationalen <strong>Wandel</strong>s bietet WEICK´s Organisationsverständnis<br />
interessante Verknüpfungen zum Thema Stabilität und Flexibilität der sozialen<br />
Dimension von Organisationen. Von zentraler Bedeutung ist dabei der Kernbestandteil<br />
eines <strong>Prozess</strong>es, der doppelte Interakt. Er verbindet mehr oder weniger stark die<br />
Elemente, Ereignisse, Kommunikationen und Untereinheiten eines Systems in Form<br />
von wechselseitigen Reaktionsmustern. Die Stärke dieser Verbindungen ist der<br />
zentrale Gegenstand seines Konzepts der losen Kopplung, das im nächsten Kapitel<br />
beschrieben wird.<br />
5.1.2 Organisation <strong>als</strong> lose gekoppelte Systeme<br />
Untereinheiten und lose Kopplung liefern das Potential für Flexibilität ebenso wie für<br />
Stabilität. In WEICK´s Konzept sind Untereinheiten dadurch gekennzeichnet, dass sie<br />
durch doppelte Interakte stabil zusammengesetzt sind. Lose Kopplung besteht dagegen<br />
zwischen doppelten Interakten.<br />
Was bedeutet das Konzept der losen Kopplung? Lose Kopplung beschreibt die Be-<br />
ziehung zwischen zwei Elementen. Diese Elemente können Organisationen oder Sub-<br />
systeme einer Organisationen sein. WEICK bemerkt, dass die Kopplung zwischen<br />
Elementen häufig <strong>als</strong> zu eng angesehen wird, was er auf eine angenommene kausale<br />
Verbindungen zwischen den Elementen zurückführt. I.d.R. sind die Untereinheiten<br />
einer Organisation allerdings nur lose gekoppelt. Lose Kopplung liegt vor, wenn ein<br />
Element oder eine Untereinheit eine andere eher plötzlich, gelegentlich, nicht<br />
unbedingt signifikant und indirekt beeinflusst.<br />
Allerdings stellt die lose Kopplung auch ein wichtiges Verbindungselement der Orga-<br />
nisation dar. „Loose coupling <strong>als</strong>o carries connotations of impermanence, dissolva-<br />
bility, and tacitness all of which are potentially crucial properties of the ‚glue‘ that<br />
holds organizations together“. 365<br />
Die Art, wie die doppelten Interakte lose oder fest zu größeren <strong>Prozess</strong>en verbunden<br />
werden, richtet sich nach Rezepten, Mustern, sogenannten „Montageregeln“. <strong>Wandel</strong><br />
kann vor diesem Hintergrund verstanden werden <strong>als</strong> der Umbau der Montageregeln,<br />
365 Vgl. Weick, 1976b.<br />
151
152<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
<strong>als</strong>o der Veränderung der Muster loser und fester Kopplung der verschiedenen<br />
doppelten Interakte in den organisationalen <strong>Prozess</strong>en.<br />
WEICK leistet mit diesem Konzept einen Beitrag zum Verständnis dazu, woraus<br />
<strong>Prozess</strong>e bestehen, wie <strong>Prozess</strong>e aufgebaut sind und wie sie schließlich auch verändert<br />
werden können. Vor diesem Hintergrund ist <strong>Wandel</strong> zu verstehen <strong>als</strong> die An- oder Ab-<br />
kopplung bestehender Verbindungen doppelter Interakte und damit eine Veränderung<br />
der Muster der Verkopplung.<br />
5.1.3 Organisation <strong>als</strong> Kommunikation - Von der Verfertigung der Organisation<br />
im Dialog<br />
Einen wichtige Rolle bei der Verkopplung der Interakte und Untereinheiten spielt die<br />
Kommunikation zwischen den beteiligten Organisationsmitgliedern und -einheiten.<br />
KIESER beschreibt in seinem Ansatz vom Organisieren <strong>als</strong> Kommunizieren die Rolle<br />
der Kommunikation im Rahmen eines konstruktivistischen Organisationsver-<br />
ständnisses. Ausgehend von der Annahme, dass Organisation in den „Köpfen der<br />
Organisationsmitglieder“ stattfindet, schließt KIESER, dass „die in Organisationen<br />
gültigen Interaktionsmuster sich auf dem Wege der Verständigung zwischen Inter-<br />
aktionspartnern herausbilden und nur über das Wissen der handelnden Organisati-<br />
onsmitglieder erschlossen werden können“. 366 Die geteilten Regeln und Muster der<br />
Interaktion <strong>als</strong> Kernbestandteile der Organisation werden mittels Kommunikation<br />
„verfertigt“. 367<br />
KIESER geht von der grundsätzlichen Interpretationsbedürftigkeit organisationaler<br />
Regeln aus. Um gemeinsam zu handeln, müssen Organisationsmitglieder anhaltend<br />
miteinander kommunizieren. Diese handlungsbezogene Kommunikation trägt implizit<br />
zur Interpretation der Regeln durch die Aktionspartner bei. Die Zahl der gelungenen<br />
regelgeleiteten Interaktionen führt bei den Interaktionspartnern zur Reduzierung der<br />
Unsicherheit. 368<br />
Welche Rolle spielt nun die Kommunikation im organisatorischen <strong>Wandel</strong>?<br />
366 Vgl. Kieser, 1998.<br />
367 Kieser spielt damit auf eine Betrachtung von Kleist “Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim<br />
Reden“ an.<br />
368 Der sich hier andeutende <strong>Prozess</strong> der Routinisierung findet sich u. a. auch in dem Strukturierungsprozessen<br />
von Giddens (Giddens, 1997).
Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />
„Wenn die bestehende Organisationsstruktur durch Kommunikation sozial konstruiert<br />
wurde und aufrechterhalten wird, so müssen Versuche zur Änderung der Aktivitäten<br />
der Organisationsmitglieder (um diese geht es letztlich) vor allem darauf abstellen,<br />
Kognitionen der Organisationsmitglieder durch Kommunikation zu verändern“. 369<br />
Zur Veränderung bestehender Organisationsstrukturen müssen <strong>als</strong>o Kommunikations-<br />
strukturen entstehen, die zur Entwicklung neuer Interpretationsschemata und Hand-<br />
lungen beitragen.<br />
Zur Initiierung des organisatorischen <strong>Wandel</strong>s eignen sich nach KIESER´s Ansicht be-<br />
sonders Leitbilder, Visionen, Metaphern und Geschichten, da darin Deutungsangebote<br />
zentraler Grundannahmen und Ziele der Reorganisation enthalten sein können.<br />
Ähnlich betrachten BARRETT ET AL. Organisationen <strong>als</strong> Bedeutungssysteme und<br />
Diskurse, <strong>als</strong> den Kern organisationalen Handelns. Da Sprache in historischen Mustern<br />
und Annahmen der Organisation wurzelt, ergibt sich allerdings ein Paradoxon: Wie<br />
kann eine neue Form des „Organizings“ von den Organisationsmitgliedern verstanden<br />
werden, wenn der <strong>Wandel</strong> nicht in schon bekannter Art und Weise vermittelt wird? 370<br />
Wie kann <strong>als</strong>o das Neue in das Alte eingeführt werden?<br />
Betrachtet man Organisation <strong>als</strong> Kommunikation, ergibt sich für dieses Dilemma eine<br />
neue Perspektive: So bemerken BARRETT ET AL, „meaning is not something that is<br />
delivered from speaker to listener; it is cocreated.“ 371 Bedeutung wird gemeinsam<br />
kommunikativ verfertigt und nach dem Bild des „Nürnberger Trichters“ eingetrichtert.<br />
Folglich kann das Verständnis vom <strong>Wandel</strong> der Organisation nicht getrennt werden<br />
von der Veränderung der Diskursmuster, die zur Konstituierung neuer Handlungen<br />
führen. „Change occurs, when a new way of talking replaces an old way of talking”. 372<br />
5.1.4 Organisation <strong>als</strong> Praxisgemeinschaft - Communities of practice<br />
Das von WENGER/SNYDER stammende Konstrukt der Communities of Practices, kann<br />
<strong>als</strong> wichtiges Element für den <strong>Wandel</strong> und die Erneuerung in Organisationen ange-<br />
369 Vgl. Kieser, 1998.<br />
370 Vgl. Barrett, et al., 1995. Vgl. zum Grad der Neuigkeit insbesondere das Modell der pragmatischen<br />
Information von Weizsäcker im vorangegangenen Kapitel.<br />
371 Vgl. ebenda.<br />
372 Vgl. ebenda.<br />
153
154<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
sehen werden. 373 Fasst man organisationalen <strong>Wandel</strong> <strong>als</strong> <strong>Wandel</strong> von Strukturen bzw.<br />
von Regeln auf, so bieten Communities of Practice eine potenziell katalysatorische<br />
Wirkung für den organisationalen <strong>Wandel</strong>. Aufgrund ihrer vergleichsweise geringen<br />
„Vor-Strukturierung“ sind sie Orte und Situationen in einer Organisation, die einfache<br />
neue soziale Praktiken und neue Strukturen entwickeln.<br />
Die Protagonisten dieses Ansatzes, LAVE und WENGER, 374 bauen auf den Theorien<br />
von GIDDENS und BOURDIEU auf und betonen die Bedeutung sozialer Praktiken. Eine<br />
Community-of-Practices existiert dort, wo Praktiker sich gemeinsam für ein Anliegen<br />
engagieren und dazu ein geteiltes Repertoire an Diskursen und Verhalten ver-<br />
wenden. 375 Communities-of-practice sind demnach Orte oder Situationen, in denen<br />
neue kollektive Wissensbestände entstehen bzw. bestehende Wissensstrukturen<br />
verändert werden. Vor dem Hintergrund, der an sozialen Praktiken orientierten<br />
Wurzeln des Konzepts, müssen diese Wissensstrukturen allerdings im Sinne eines<br />
Know-How impliziter Deutungsregeln und Wissensbestandteile verstanden werden.<br />
Das Erlernen solcher handlungsermöglichenden und -beschränkenden Strukturen,<br />
Regeln und Werte erfordert, Anteil zu haben an sozialen Praktiken und ein Mitglied in<br />
einer Community zu werden. Es bedeutet aber gleichzeitig eine Veränderung in der<br />
Identität: „The central issue in learning is becoming a practitioner, not learning about<br />
practice“ . 376<br />
Communities of practice zeichnen sich durch die gemeinsame Expertise und den<br />
gemeinsam geteilten Zweck aus. Von Teams und Arbeitsgruppen unterscheiden sie<br />
sich durch den informellen, ungezwungenen Zusammenschluss und die starke<br />
Betonung des gemeinsamen Diskurses. Sie weisen keine festen Strukturen auf,<br />
sondern strukturieren sich emergent: „And significantly, communities are emergent.<br />
That is to say their shape and membership emerges in the process of activity, as<br />
opposed to being created to carry out a task”. 377<br />
Im Rahmen dieser Arbeit soll das Konzept der Communities of practice allerdings<br />
nicht nur auf rein informelle Gruppen bezogen werden. Es erscheint im Zusammen-<br />
373 Vgl. Brown und Duguid, 1991, Wenger und Snyder, 2000. Zur Einführung empfiehlt sich Wenger, 1998.<br />
374 Vgl. Lave und Wenger, 1991, Wenger, 1998; Wenger und Snyder, 2000.<br />
375 Vgl. Wenger, 1998.<br />
376 Vgl. Brown und Duguid, 1991. Heraushebung im Original.<br />
377 Vgl. ebenda.
Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />
hang mit den in dieser Arbeit untersuchten Integrationsprozessen vielmehr interessant,<br />
wie der Aufbau einer gemeinsamen Wirklichkeitsordnung, geteilter Wissensstrukturen<br />
und die Ausführung sozialer Praktiken bei unterschiedlichen Gruppen erreicht werden<br />
kann.<br />
LAVE and WENGER 378 betonen den individuellen und sozialen Charakter des Handelns<br />
in den Communities of Practice. Es geht innerhalb der Gruppen um die informelle An-<br />
eignung von kaum bewussten Fähigkeiten durch praktische Erfahrung. Um mit<br />
POLANYI zu sprechen, geht es weniger um die Vermittlung expliziten Wissens,<br />
sondern um die impliziten Wissensbestandteile sozialer Praktiken. 379<br />
RICHTER merkt allerdings an, dass die Literatur zu dem Phänomen der Communities of<br />
Practice vor allem aus dem Bereich abgegrenzter, einfacher „handwerklicher“<br />
Praktiken stammt. 380 Weniger erforscht ist dagegen die Funktion von Communities of<br />
Practice im Rahmen von diffuseren und komplexeren Managementaufgaben. Es bleibt<br />
bislang offen, welche Rolle Communities of Practice beispielsweise bei Aufgaben des<br />
strategischen Managements 381 oder im Rahmen von Integrationsprozessen – quasi <strong>als</strong><br />
Communities of Integration - spielen.<br />
5.1.5 Organisation <strong>als</strong> Lernendes System – Das Konzept von Argyris und Schön<br />
Den Begriff des Lernens auf Organisationen zu übertragen hat für die Entscheidungs--<br />
und Organisationstheorie zu einer langen Diskussion unter den Schlagworten<br />
„Lernende Organisation“ und „Organisationales Lernen“ geführt. 382<br />
Bereits MARCH und OLSEN interpretieren Lernen im organisationalen Kontext <strong>als</strong><br />
Lernen durch Erfahrung interpretiert: Wenn eine Organisation Differenzen zwischen<br />
bestehendem und erwünschten Umweltzuständen beobachtet, wird daraus ein Problem<br />
formuliert und anschliessend werden Handlungen zur Problemlösung durchgeführt.<br />
378 Vgl. Lave und Wenger, 1991.<br />
379 Vgl. Polanyi, 1985. Vgl. zur weiteren Unterscheidung z.B. auch die Arbeiten von Cook und Brown (Cook<br />
und Brown, 1999), die stärker die Unterscheidung individueller und kollektiver Wissensbestandteile<br />
hinauslaufen.<br />
380 Vgl. Richter, 1998.<br />
381 Vgl. Whittington, 2001.<br />
382 Aufgrund der sehr heterogenen Verwendung der Begriffe „Lernende Organisation“ und „Organisationales<br />
Lernen“ werden im Rahmen des Forschungsprojekt Learning Dynamics statt des Lernbegriff die Begriffe<br />
<strong>Wandel</strong> und Erneuerung verwendet.<br />
155
156<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Die Organisation wirkt damit auf die Umwelt ein, worauf die Umwelt erneut reagiert.<br />
Mit der Interpretation der Umweltreaktionen durch die Organisationsmitglieder wird<br />
dann ein neuer Lernzyklus in Gang gesetzt. 383<br />
ARGYRIS und SCHÖN gehen in ihrem Ansatz über den <strong>Prozess</strong> des Anpassungslernens<br />
hinaus und betonen die Bedeutung von Wahrnehmungs- und selbstorganisatorischen<br />
<strong>Prozess</strong>en. Das Organisationssystem nimmt demnach die Umwelt beständig wahr,<br />
reflektiert und selektiert die eigenen Handlungen. Diese <strong>Prozess</strong>e in Organisationen<br />
sind - wie auch das übliche Handeln von Menschen - geprägt von Alltagstheorien,<br />
sogenannten „theories-in-use“. 384<br />
Lernen findet nach Vorstellung von ARGYRIS und SCHÖN in drei aufbauenden Lern-<br />
ebenen statt: Auf der ersten Ebene findet ein Vergleich der Handlungsergebnisse mit<br />
den Erwartungen statt. Wenn die Abweichungen korrigiert und die herrschende<br />
Managementphilosophie (theories in use) beibehalten wird, spricht man von einem<br />
Single-loop-Lernen (Anpassungslernen). Diese Vorstellung entspricht einer An-<br />
passung der Organisation an Veränderungen der Umwelt. Die Erfahrungen aus ver-<br />
gangenen gleichen Situationen („mehr desselben“) dienen dabei <strong>als</strong> Modell des Um-<br />
gangs.<br />
Ziele (Governing Values)<br />
Handlung (Action)<br />
Ergebnisse<br />
(Missmatch of Errors)<br />
Korrekturen<br />
Abbildung 34: Anpassungslernen (Single-loop-learning)<br />
Quelle: (Probst und Büchel, 1994, S. 35) in Anlehnung an (Argyris, 1990).<br />
Die zweite Lernebene ist erreicht, wenn für die Korrekturen neue<br />
Interpretationsschemata gesucht und verwendet werden. ARGRIS und SCHÖN nennen<br />
diesen <strong>Prozess</strong> auch Double-loop-Lernen (Reflexives Lernen).<br />
383 Vgl. March und Olsen, 1976.<br />
384 Vgl. Argyris und Schön, 1978.
Ziele (Governing Values)<br />
Korrekturen<br />
Handlung (Action)<br />
Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />
Ergebnisse<br />
(Missmatch of Errors)<br />
Korrekturen<br />
Abbildung 35: Reflexives Lernen (Double-loop-learning)<br />
Quelle: (Probst und Büchel, 1994, S. 35) in Anlehnung an (Argyris, 1990).<br />
Double-loop-Lernen basiert ebenfalls auf den bisherigen Erfahrungen der Organisa-<br />
tion, hinterfragt aber die damit verbundenen Ziele und Wertvorstellungen der<br />
Organisation. Im Mittelpunkt eines solchen Lernens steht eine Auseinandersetzung mit<br />
den institutionellen „theories-in-use“. 385 Diese kann natürlich dazu führen, dass die<br />
bestehenden Handlungsmuster durch neue Handlungen ergänzt oder ersetzt werden.<br />
Auf der Ebene dritten Ebene des Lernens oder „Deutero- Lernen“ (Lernen zweiter<br />
Ordnung nach Bateson) erfolgt ein Lernen durch doppelte Reflexion. 386 Es ist ein<br />
"Lernen-zu-Lernen"; ein Lernen auf einer Metaebene, welche die Verbesserung der<br />
<strong>Prozess</strong>e sowohl auf der Single-loop- <strong>als</strong> auch auf der Double-loop-Ebene ermöglicht.<br />
Das heißt, dass die Fähigkeiten und <strong>Prozess</strong>e auf der Ebene des Single- und Double-<br />
loop-Lernens besser genutzt werden können.<br />
Reflexion, Analyse und<br />
Herstellung von Sinnbezügen<br />
385 Vgl. ebenda.<br />
386 Vgl. Bateson, 1981.<br />
Korrekturen<br />
Ziele (Governing Values)<br />
Korrekturen<br />
Handlung (Action)<br />
Abbildung 36: <strong>Prozess</strong>lernen (Deutero-learning)<br />
Quelle: (Probst und Büchel, 1994, S. 35) in Anlehnung an (Argyris, 1990).<br />
Ergebnisse<br />
(Missmatch of Errors)<br />
Korrekturen<br />
157
158<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Die Reflexion des Lernkontextes und das Entdecken von Lernhindernissen und<br />
Lernerleichterungen stellt eine wichtige Aufgabe dar. 387 Deutero-Lernen basiert auf<br />
der kontinuierlichen Reflexion der eigenen „theories-in-use“. Für den Bau einer<br />
lernenden Organisation sollte deshalb die Entwicklung und Anwendung neuer<br />
„theories-in-use“ alltäglich und zur Selbstverständlichkeit werden.<br />
Organisationales Lernen baut nach ARGYRIS, SCHÖN und BATESON auf allen drei<br />
Lernniveaus auf. Dabei geht es auf allen drei Lernebenen darum, entsprechende<br />
Kontexte zu schaffen, damit organisatorische Fähigkeiten (Umgang mit dem Neuen)<br />
und das Reflexionsvermögen zur Entwicklung angemessener "theories-in-use"<br />
verbessert werden.<br />
Somit müssen eingefahrene Lernroutinen, die Lernen verhindern, zunächst einmal<br />
abgebaut werden, um Lernpotenziale freisetzen zu können. 388 Neues Lernen bedingt<br />
demnach zuerst ein Verlernen, damit neue Wissensstrukturen und Handlungsmuster<br />
alte ersetzen können.<br />
5.1.6 Organisation <strong>als</strong> Beziehungsnetzwerk – Die Sozialpsychologie des<br />
Organisierens<br />
Der organisationstheoretische Ansatz von HOSKING und MORLEY 389 basiert auf einem<br />
relationalkonstruktivistischen Wirklichkeitsverständnis und betont die Bedeutung von<br />
Beziehungsprozessen in Organisationen. Die zentrale Idee des Ansatzes besteht darin,<br />
dass Identität und Ordnung ein Ergebnis von Beziehungsprozessen ist und nicht auf<br />
den kontext- und beziehungsunabhängigen Eigenschaften der beteiligten Individuen<br />
besteht.<br />
Organisieren vollzieht sich in Beziehungsprozessen, in denen die Identität der Organi-<br />
sation <strong>als</strong> auch der beteiligten Personen verfertigt wird. Erst aus den Kommunikations-<br />
und Beziehungsprozessen konstituiert sich <strong>als</strong>o die Organisation 390 . Beziehungs-<br />
387 Vgl. Argyris und Schön, 1978. Im Rahmen des Forschungsprojekts Learning Dynamics wird die<br />
Auseinandersetzung mit den Lernhindernissen und Lernerleichterungen beschrieben <strong>als</strong> Reflexion der<br />
wandelförderlichen bzw. wandelhinderlichen Strukturen und Kulturen in der Organisation. Vgl. Learning<br />
Dynamics, 1999.<br />
388 Vgl. Klimecki, et al., 1991.<br />
389 Vgl. Hosking und Morley, 1991.<br />
390 Vgl. auch Burr, 1995.
Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />
prozesse bestehen dabei nicht nur zwischen Personen, sondern auch zu Aufgaben,<br />
Kontextfaktoren, Zielen, Teams, Projekte usw.<br />
Das Organisationsverständnis von HOSKING und MORLEY ist im Wesentlichen geprägt<br />
durch Dialoge, in denen die Beteiligten eine geteilte Wirklichkeit aushandeln. Dabei<br />
werden verschiedene Beschreibungen eingebracht und eine Wirklichkeitsvorstellung<br />
vereinbart, die mit Erwartung und Rechtfertigung verbunden sind, bestimmte Hand-<br />
lungen durchzuführen oder zu unterlassen. 391<br />
HOSKING und MORLEY unterscheiden im Rahmen der organisationalen <strong>Prozess</strong>e eine<br />
politische und eine soziale Dimension. Unter der politischen Dimension werden unter-<br />
schiedliche Interessen, Werte und Anliegen bzgl. inhaltlicher Fragestellungen ver-<br />
standen. Die soziale Dimension umfasst die Beziehungen zwischen Personen sowie<br />
Beziehungsnetzwerke, die die Bearbeitung etwa aufgrund bestehenden Vertrauens<br />
fördern aber auch z.B. aufgrund von „Seilschaften“ verkomplizieren und verlang-<br />
samen können. 392<br />
5.1.7 Organisationen <strong>als</strong> Wissensstrukturen<br />
Organisationen werden in ihren Handlungen befähigt aber auch eingeschränkt durch<br />
Strukturen und Kulturen, 393 welche ihnen implizit bekannt sind und welche ein Wissen<br />
über Interpretationregeln beinhalten. 394 COOK und BROWN beschreiben die kollektive,<br />
implizite Ebene des Wissens <strong>als</strong> sogenannte “genres”. Aus ihrer Sicht stellen diese<br />
kollektiven Wissensbestände Verständnisrahmen zur Interpretation der<br />
organisationalen Wirklichkeit dar. Die Bedeutung wird dabei ständig entwickelt und<br />
unterliegt impliziten Verhandlungen. 395<br />
Explizit<br />
(diskursiv)<br />
Tacit<br />
(implizit)<br />
Individuell Kollektiv<br />
Concepts Stories<br />
Skills Genres<br />
Tabelle 8: Formen des Wissens<br />
391 Vgl. Hosking und Morley, 1991 und zur Interpretation des Ansatzes Rüegg-Stürm, 2001.<br />
392 Vgl. Hosking und Morley, 1991;Rüegg-Stürm, 2001.<br />
393 Vgl. Learning Dynamics, 1999.<br />
394 Vgl. z.B. Giddens, 1997.<br />
395 Vgl. Cook und Brown, 1999.<br />
159
160<br />
(Quelle: Cook und Brown, 1999)<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Ähnlich dem Konzept von COOK and BROWN definieren QUINN and HOLLAND<br />
“culture” <strong>als</strong> eine sinn- und wissensorientierte Dimension, die auf sozialen Praktiken<br />
basiert. Kultur wird verstanden <strong>als</strong> geteiltes Wissen darüber “what people must know<br />
in order to act as they do, making things they make, and interpret their experiences in<br />
the distinctive way they do”. 396 Der Sinn der Handlung kann daher nur verstanden<br />
werden, wenn man die Ebene kollektiv geteilter impliziter Wissensstrukturen berück-<br />
sichtigt, die <strong>als</strong> know how von Interpretationsregeln dient. 397<br />
Handeln wird in diesem Zusammenhang verstanden, nicht <strong>als</strong> eine Reihe diskreter,<br />
intentionalen einzelner Akte, sondern <strong>als</strong> eine kontinuierliche Sequenz sozialer und<br />
aufeinander bezogener Praktiken. Die Akteure sozialer Systeme reproduzieren die<br />
Strukturen durch ihre Handlungen. Die Strukturen ihrerseits ermöglichen und<br />
schränken gleichzeitig die Handlungen ein in denen sie zum Ausdruck kommen. Die<br />
Strukturen haben damit ermöglichende und gleichzeitig auch einschränkende<br />
Wirkung. 398<br />
Hierin liegen weitreichende Implikationen für Fragen organisationalen <strong>Wandel</strong>s.<br />
Wenn die impliziten kollektiven Wissensstrukturen organisationales Handeln ermög-<br />
lichen und einschränken, müssen gerade diese impliziten oder vorsprachlichen<br />
Strukturen im Mittelpunkt der Betrachtung organisationalen <strong>Wandel</strong>s stehen.<br />
Der Ort, an dem die impliziten Wissensstrukturen verankert sind, ist nach GIDDENS<br />
das praktische Bewusstsein. Es beinhaltet die Wissensbestände, die den Handelnden<br />
Orientierung darüber geben, „how to go on“ in verschiedenen sozialen Kontexten.<br />
Wenngleich die Wissensstrukturen nicht direkt diskursiv formuliert werden können,<br />
kann jedoch auf der Ebene des diskursiven Bewusstseins darüber reflektiert werden<br />
bzw. können die Intentionen der daraus hervorgehenden Praktiken ex post<br />
rationalisiert werden 399 .<br />
396 Vgl. Quinn und Holland, 1987.<br />
397 Vgl. Reckwitz, 1997a.<br />
398 Vgl. Giddens, 1997;Walgenbach, 1999.<br />
399 Vgl. Reckwitz, 1997a.
Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />
Ein <strong>Wandel</strong> der impliziten Wissensstrukturen kann demnach erfolgen durch die Re-<br />
flexion auf der Ebene des diskursiven Bewusstseins im und durch zeit- und kontext-<br />
spezifisches Handeln. 400<br />
5.1.8 Fazit: Umrisse eines systemisch-konstruktivistischen<br />
Organisationsverständnis<br />
Aus den vorgestellten Anwendungskonzepten können für die weitere Arbeit folgende<br />
relevanten Bestandteile und Unterscheidungen zur Beschreibung eines konstrukti-<br />
vistischen Organisationsverständnisses herausgeschält werden:<br />
• Organisationsgrenzen entstehen durch einen <strong>Prozess</strong> der Grenzziehung und der<br />
System-Umwelt Unterscheidung. Dieser <strong>Prozess</strong> führt zur Ausbildung einer<br />
gewissen Autonomie und beeinflusst gleichzeitig die Identität eines Systems.<br />
Allerdings handelt es sich nicht um einen abschließbaren <strong>Prozess</strong>, sondern die<br />
Identitätsfindung ist ein sich rekursiv ständig wiederholender und vom System<br />
selbst beobachteter <strong>Prozess</strong>. Die Umwelt ist dabei keine von außen gegebene<br />
Determinante, sondern ist mit dem System verbunden und wird durch das sie<br />
beobachtende System konstruiert.<br />
• Organisationen sind weniger <strong>als</strong> homogene Einheiten, sondern <strong>als</strong> Subsysteme<br />
lose gekoppelter Praxis-Gemeinschaften zu verstehen, die miteinander stärker<br />
oder schwächer verbunden sind. Die lokale Logik und Orientierung dieser<br />
Praxis-Gemeinschaften ist geprägt durch ihre jeweiligen Diskurs- und<br />
Interpretationsprozesse.<br />
• Innerhalb der Organisation werden durch diskursive und interpretative Be-<br />
ziehungs- und Kommunikationsprozesse Muster weitergetragen und verändert.<br />
• Die Muster und Routinen des Alltagsgeschehens fungieren <strong>als</strong> Träger<br />
organisationalen Wissens und prägen nicht nur die Identität der Organisation,<br />
sondern vermitteln auch entgegen der Fluktuation ihrer Mitglieder Konstanz<br />
und Konsistenz.<br />
• Die Routinisierung führt zur Entlastung und sedimentiert sich in dem was<br />
GIDDENS das praktische Bewusstsein nennt. 401 Die Routinen haben vor allem<br />
400 Vgl. Giddens, 1979.<br />
401 Vgl. Giddens, 1997.<br />
161
162<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
impliziten oder vorsprachlichen Charakter und können bisweilen aber ex post<br />
rationalisiert werden. Sie vermitteln eine Form von Gewissheit im Alltag,<br />
können aber im Rahmen von <strong>Wandel</strong>initiativen die Erneuerung der<br />
Organisation gefährden.<br />
• Durch die Reflexion der organisationalen Handlungen kann sich die Organisa-<br />
tion der Muster, <strong>Prozess</strong>e und Routinen des eigenen Alltagshandelns bewusster<br />
werden und die zugrunde liegenden Alltagstheorien, die „theories-in-use“<br />
kennenlernen.<br />
• Aufbauend auf ein prozessuales Organisationsverständnis soll für die weitere<br />
Arbeit eine Unterscheidung in relationale Beziehungsprozesse und technische<br />
Wertschöpfungsprozesse verwendet werden. Beide <strong>Prozess</strong>arten weisen<br />
unterschiedliche Logiken auf.<br />
Ordnet man die organisationstheoretischen Anwendungskonzepte bzgl. ihrer Nähe zu<br />
den beiden im vorigen Kapitel beschriebenen beiden Grundlagentheorien, ergibt sich<br />
eine interessante Landkarte theoretischer Positionierungen: Die Ansätze tendieren<br />
dazu, in unterschiedlich starker Weise entweder durch die Brille der System/Kontext-<br />
Unterscheidung oder durch die Bedeutung sozialer Praktiken und/oder<br />
handlungsleitender Strukturen zu fokussieren. Keiner der Ansätze vermag hingegen<br />
beide Unterscheidungen in einem Konzept zu vereinbaren und damit die<br />
strukturationstheoretische und systemische Dimension sozialer <strong>Prozess</strong>e zu<br />
berücksichtigen.<br />
Ziel der vorliegenden empirischen Untersuchung ist es, sowohl die Bedeutung von<br />
sozialen Strukturationsprozessen <strong>als</strong> auch die aus der System/Umweltunterscheidung<br />
entstehenden Systemeinflüsse bei strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen zu berücksichtigen.
hoch<br />
Ausprägung<br />
systemischen<br />
Organisationsverständnisses<br />
niedrig<br />
III<br />
Loosely<br />
Coupled Systems<br />
(Weick, 1989)<br />
Communitites of practice<br />
(Wenger, 1998)<br />
I<br />
Organisational Learning<br />
(Argyris/Schön 1978)<br />
Organisation <strong>als</strong> Wissensstruktur<br />
(Cook/Brown, 1999)<br />
IV<br />
II<br />
niedrig hoch<br />
Bedeutung <strong>identitätsbildender</strong><br />
Strukturations- und Beziehungsprozesse<br />
Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />
Zielgebiet<br />
der Arbeit<br />
Der <strong>Prozess</strong> des<br />
Organisierens (Weick, 1985)<br />
Abbildung 37: Übersicht über die dargestellten Konzepte<br />
Sozialpsychologie des<br />
Organisierens Organisierens (Hosking/Morley, (Hosking, 1991) 1991)<br />
Organisation und Kommunikation<br />
(Kieser, 1989)<br />
Die Gegenüberstellung der verschiedenen Ansätze auf den beiden Dimensionen ergibt<br />
folgende Einteilung der Ansätze:<br />
Im Quadranten I findet sich mit dem Konzept des Organizational Learning von<br />
Argyris/Schön ein Konzept, das dem systemischen Verständnis einer Mehr- bzw.<br />
Metaebenenbetrachtung nahe steht, aber Organisationen nicht in erster Linie <strong>als</strong><br />
Systeme behandelt.<br />
Im Quadranten II finden sich mit den Konzepten der „Loosely coupled systems“ und<br />
dem Konzept der „Communities of practice“ zwei Ansätze, die die Bedeutung relativ<br />
autonomer und lose mit dem Restsystem verbundener Subsysteme innerhalb von<br />
Organisationen behandeln. In beiden Fällen bieten die Systeme innerhalb des Systems<br />
Organisation das Potenzial zur Veränderung der restlichen Organisation. Allerdings<br />
wird nicht erörtert, welche Rolle dabei Beziehungs- und Kommunikationsprozesse<br />
bezogen auf die gesamte Organisation spielen.<br />
Im Quadranten III werden mit WEICK´s <strong>Prozess</strong> des Organisierens, HOSKING´s UND<br />
MORLEY´S Sozialpsychologie des Organisierens, der Organisation <strong>als</strong> Wissensstruktur<br />
nach COOK/BROWN und dem kommunikationsorientierten Organisationsverständnis<br />
nach KIESER solche Ansätze zusammengefasst, die vor allem die Bedeutung von<br />
163
164<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Kommunikations- und Beziehungsprozessen betonen und Organisationen <strong>als</strong> Produkte<br />
solch relationaler Verfertigungsprozesse ansehen.<br />
Quadrant IV stellt nun das Zielgebiet dieser Arbeit dar, in dem versucht werden soll,<br />
sowohl die relationalen Beziehungsprozesse <strong>als</strong> auch die Organisation <strong>als</strong> System in<br />
ihrer Bedeutung für die Bildung der organisationalen Identität zu berücksichtigen.<br />
Drei Implikationen für organisationalen <strong>Wandel</strong> können darüber hinaus bereits<br />
gefolgert werden: Erstens ist es nicht ausreichend, das individuelle, explizite Wissen<br />
und die Erwartungen zu berücksichtigen. Vielmehr müssen die darunter liegenden<br />
kollektiven und impliziten Wissensstrukturen, die in den sozialen Praktiken eingelagert<br />
sind, aufmerksam einbezogen werden. Zweitens ist die Externalisierung impliziter<br />
Regeln notwendig, um die förderlichen und hinderlichen Dynamiken organisationalen<br />
<strong>Wandel</strong>s zu erkennen. Drittens sollte, um Kontingenz <strong>als</strong> einen „enabling factor“ oder<br />
sogar <strong>als</strong> Voraussetzung für den <strong>Wandel</strong> zu erreichen, der reflektierende Dialog der<br />
taken-for-granted-assumptions gefördert werden, um „a new way of talking“ 402 zu er-<br />
reichen.<br />
5.2 <strong>Wandel</strong> und <strong>Wandel</strong>fähigkeit<br />
5.1 Bausteine organisationaler<br />
Anwendungstheorien<br />
5. Organisations- und<br />
<strong>Wandel</strong>verständnis<br />
5.2 <strong>Wandel</strong>- und<br />
<strong>Wandel</strong>fähigkeit<br />
Abbildung 38: Gedankenfluss Kapitel 5<br />
Nachdem in den vorangegangenen Kapiteln das Organisationsverständnis erarbeitet<br />
wurde, wird im Folgenden ein konstruktivistisches Verständnis von organisationalem<br />
<strong>Wandel</strong> entwickelt (Kap. 5.2.1). Kapitel 5.2.2 geht dabei auf eine systemische<br />
Vorstellung und die strategische Bedeutung von <strong>Wandel</strong>- und Erneuerungsfähigkeit<br />
einer Organisation ein.<br />
402 Vgl. Barrett, et al., 1995: Nach Auffassung der Autoren kommt es zum <strong>Wandel</strong> in Organisationen wenn „a<br />
new way of talking replaces an old way of talking“ vgl. S. 368.
Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />
Ausgangspunkt der Betrachtung von <strong>Wandel</strong> und <strong>Wandel</strong>fähigkeit ist dabei die<br />
Position des Forschungsprojektes: „Was braucht eine Organisation um den rapiden<br />
ökonomischen <strong>Wandel</strong> und die zunehmende Zahl an Veränderungen zu bewältigen? Industrie-<br />
und Dienstleistungsfirmen wie auch öffentliche Verwaltungen finden sich mit einer immer<br />
schneller sich ändernden Umwelt konfrontiert. Innerhalb kurzer Zeit müssen strategische<br />
Fähigkeiten aufgebaut und praktiziert werden. Dazu sind Strukturen und Kulturen notwendig,<br />
die den <strong>Wandel</strong> des Systems selber ermöglichen und fördern. Diese Strukturen sollten die Ent-<br />
wicklung neuer strategisch wichtiger und kollektiv verankerter Kernkompetenzen auf breiter<br />
Basis fördern. Sie können <strong>als</strong> Metafähigkeiten oder Fähigkeiten zweiter Ordnung gesehen<br />
werden, die dabei helfen Kernkompetenzen zu entwickeln, die Organisation selbst zu erneuern<br />
und einzelne Transformationsphasen nicht nur zu bewältigen, sondern langfristig aus ihnen<br />
zu lernen“. 403<br />
Grundlage der Betrachtung von <strong>Wandel</strong> ist in der Regel ein wahrgenommener<br />
Unterschied, eine Differenz zwischen einem IST- und einem SOLL-Zustand. Als IST-<br />
Zustand wird dabei die Situation vor der Veränderung, <strong>als</strong> SOLL-Zustand die Situation<br />
nach Ablauf des <strong>Wandel</strong>s charakterisiert. <strong>Wandel</strong> bedeutet dann, den Weg vom IST-<br />
zum SOLL-Zustand. 404<br />
<strong>Wandel</strong> nach<br />
einem bestimmten<br />
Muster<br />
A (IST-Zustand) B (zukünftiger<br />
oder SOLL-<br />
Zustand)<br />
Abbildung 39: <strong>Wandel</strong> <strong>als</strong> Veränderung vom IST- zum SOLL-Zustand<br />
Um an dieser Stelle einer zu vereinfachenden Vorstellung organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />
vorzubeugen, sollen kurz mögliche Implikationen eines simplen Ist-Soll-vergleichs<br />
angedeutet werden.<br />
403 Vgl. Learning Dynamics, 1999.<br />
404 Vgl. ähnlich Janes, et al., 2001und Beer, et al., 1990.<br />
165
166<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
• Bei der Wahrnehmung des IST- und SOLL-Zustandes handelt es sich jeweils<br />
um eindeutige Zustände einer Organisation (objektiv).<br />
• Der IST- Zustand wird durch die Initiatoren des <strong>Wandel</strong>s i.d.R. <strong>als</strong> negativ be-<br />
wertet, während der SOLL-Zustand häufig positiv „verkauft“ wird (Bewertung<br />
eindeutig).<br />
• IST- und SOLL-Zustand sind jeweils sich im Zeitablauf nicht verändernde<br />
Zustände (statisch).<br />
• Der Weg vom IST- zum SOLL kann durch eine lineare Transformation<br />
beschrieben und vorherbestimmt werden.<br />
Aus systemisch-konstruktivistischer Sicht muss dieses Modell verändert aufgefasst<br />
werden:<br />
• Die Wahrnehmung des IST- und SOLL-Zustandes entspricht jeweils einer<br />
diskursiv verfertigten Perspektive der betroffenen Personen, Gruppe oder<br />
Organisation (subjektiv).<br />
• Die Bewertung des IST- und SOLL-Zustands durch die beteiligten Personen<br />
und Gruppen ist abhängig von der persönlichen Bedeutung (Bewertung je nach<br />
der Relevanz der Unterschiede).<br />
• Der IST- und SOLL-Zustand sind keine zeitstabilen Zustände. Sie stellen je-<br />
weils Momentaufnahmen eines kontinuierlichen Handlungs- und Ereignis-<br />
stromes dar. 405 So ändert sich der IST-Zustand ohnehin ständig nach einem i. d.<br />
R. rekursiven Muster (dynamisch).<br />
Die folgende Abbildung versucht, die Aspekte der diskursiven Verfertigung und<br />
Subjektivität, der Betonung der Unterschiede anstelle der absoluten Werte und der<br />
Dynamik des <strong>Wandel</strong>s aus konstruktivistischer Sicht zu veranschaulichen.<br />
405 Erinnert sei hier an den Ausspruch von Heraklit: Man steigt nie zweimal in den gleichen Fluß.
Das macht für<br />
mich keinen<br />
Unterschied!<br />
Das wäre für<br />
mich schon eine<br />
radikale<br />
Umstellung!<br />
A (Ist-Zustand) B (ein möglicher<br />
zukünftiger)<br />
Abbildung 40: <strong>Wandel</strong> durch die konstruktivistische Brille<br />
Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />
Die oben beschriebenen unterschiedlichen Vorstellungen über ein Management des<br />
<strong>Wandel</strong>s beruhen häufig auf einem unterschiedlichen Organisations- und <strong>Wandel</strong>-<br />
verständnis.<br />
Folgt man der bereits erwähnten Metapher von der Karte und dem Territorium so kann<br />
man bildlich verschiedene Karten über das jeweilige Organisations- und <strong>Wandel</strong>ver-<br />
ständnis unterscheiden. Bei der empirischen Arbeit mit Organisationen wird schnell<br />
deutlich, dass es häufig eine technische Karte ist, die herangezogen wird, um soziale<br />
<strong>Prozess</strong>e zu erklären. 406 Sie entspricht sozusagen der lokalen Managementlogik mit<br />
der über Organisationen und <strong>Wandel</strong> gedacht wird. 407<br />
406 Vgl. zur technischen Vorverständnis in <strong>Wandel</strong>- und Transformationsprozessen insbesondere auch Wimmer<br />
(Wimmer, 1999).<br />
407 Vgl. zum Begriff der lokalen Logik auch Baitsch, 1993;Elden, 1983.<br />
167
Kriterien des <strong>Wandel</strong>- und<br />
Organisationsverständnisses<br />
• Gestaltung und <strong>Wandel</strong> von<br />
Organisationen<br />
• Probleme in Organisationen<br />
werden gesehen <strong>als</strong> ...<br />
168<br />
Technisches <strong>Wandel</strong>- und<br />
Organisationsverständnis<br />
• Organisationsgestaltung <strong>als</strong><br />
ingenieurmäßige Aufgabe<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Systemisch-konstruktivistisches<br />
<strong>Wandel</strong>- und<br />
Organisationsverständnis<br />
• Kommunikative Verfertigung408<br />
<strong>als</strong> massgebliches<br />
Element eines<br />
Veränderungsprozesses<br />
• Funktionsmangel • Entwicklungsschritte<br />
• Ziel der Veränderung • Vorwegdefinierte Sollkonzeption<br />
die Top Down<br />
umgesetzt werden muss<br />
• Verständnis des<br />
Managements<br />
• Umgang mit sog.<br />
Widerstand<br />
• Verhältnis Veränderer – zu<br />
Verändernden409<br />
• Management nicht Teil des<br />
Problems und Systems<br />
• Bewältigung des <strong>Wandel</strong>s,<br />
Entwicklung erneuerungsfähiger<br />
Strukturen, vorhandenes<br />
Potential neu entdecken<br />
• Management <strong>als</strong> Teil des<br />
Problems und Systems<br />
• Muss man brechen • Wird wahrgenommen <strong>als</strong> ein<br />
Kommunikationsangebot<br />
• Hierarchisch (Subjekt –<br />
Objekt)<br />
• Gleichrangig (Subjekt –<br />
Subjekt)<br />
• Binnendifferenzierung • Hierarchien • Teilsysteme<br />
Tabelle 9: Vergleich eines technischen und eines systemisch-konstruktivistischen <strong>Wandel</strong>- und<br />
Systemverständnisses<br />
Im folgenden Abschnitt wird nun stärker auf das, in dieser Arbeit und in der Unter-<br />
suchung der empirischen <strong>Wandel</strong>initiativen Bezug genommene, systemisch-konstrukti-<br />
vistische <strong>Wandel</strong>verständnis eingegangen.<br />
5.2.1 <strong>Wandel</strong> durch die konstruktivistische Brille<br />
Das Verständnis von organisationalem <strong>Wandel</strong> hat sich beträchtlich entwickelt,<br />
seitdem LEWIN in homöostatischer Tradition drei Phasen des <strong>Wandel</strong>s (unfreeze –<br />
change – refreeze) beschrieb. Sein Konzept beschreibt, wie viele andere, <strong>Wandel</strong> vor<br />
allem <strong>als</strong> ein diskretes, intentionales und historisches Ereignis, das sich losgelöst vom<br />
Kontext, vollzieht. 410<br />
408 Vgl. zum Verständnis der kommunikativen Verfertigung von Organisationen Kapitel 5.1.3 sowie<br />
insbesondere Kieser, 1998.<br />
409 Vgl. zum Verhältnis der Führungskräfte im <strong>Wandel</strong> aus der Perspektive einer Subjekt-Objekt- und einer<br />
Subjekt-Subjekt-Beziehung insbesondere Rüegg-Stürm, 2001.<br />
410 Vgl. Lewin, 1958.
Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />
Im Gegensatz dazu wird organisationaler <strong>Wandel</strong> im Folgenden aus systemisch-<br />
konstruktivistischer Sicht <strong>als</strong> ein vergangenheits- und zukunftsbezogenes, interde-<br />
pendentes Ereignis im Handlungsverlauf einer Organisationen in einem dynamischen<br />
Kontext aufgefasst. 411 Organisationaler <strong>Wandel</strong> zeigt sich in der Veränderung<br />
immaterieller und materieller Strukturen und damit der Veränderung der kollektiv<br />
geteilten Wirklichkeitsordnung einer Organisation. 412<br />
Die systemisch-konstruktivistische Herangehensweise trägt insbesondere drei<br />
Aspekten organisationalen <strong>Wandel</strong>s besonders Rechnung:<br />
• Der <strong>Wandel</strong>kontext wird in die Betrachtung des Phänomens <strong>Wandel</strong><br />
einbezogen, was in Zeiten sich schnell ändernder Umwelten von zentraler<br />
Bedeutung ist.<br />
• Organisationale <strong>Wandel</strong>phänomene, wie beispielsweise das oft zitierte<br />
„Commitment der Führungskräfte“ und der „Widerstand der Mitarbeiter“,<br />
werden nicht durch linear-kausale Zuschreibungen erklärt. Strukturelle<br />
Veränderungen einer Gesamtorganisation können kaum glaubwürdig aus-<br />
schließlich auf einzelne Eigenschaften individueller Personen zurückgeführt<br />
werden. 413 <strong>Wandel</strong>phänomene werden vielmehr <strong>als</strong> Ergebnis zirkulärer<br />
Beziehungen zwischen verschiedenen Elementen eines Systems und seinem<br />
Kontext aufgefasst. 414 Organisationale <strong>Prozess</strong>e und Strukturen sollten deshalb<br />
<strong>als</strong> das Ergebnis eines kollektiven Strukturierungsprozesses und Ausdruck einer<br />
organisationalen Fähigkeit aufgefasst werden.<br />
• Schließlich ist aus konstruktivistischer Sicht die wahrgenommene und für den<br />
Beobachter relevante Differenz zwischen zwei Zuständen entscheidend. Es<br />
kommt darauf an, ob und wie ein Unterschied zwischen dem IST- und SOLL-<br />
Zustand konstruiert und bewertet wird. Um mit GUNTHER SCHMIDT zu<br />
sprechen, könnte man statt von einer Wahrnehmung von einer Wahrgebung<br />
eines Zustandes sprechen. 415<br />
411 Vgl. Learning Dynamics, 1999.<br />
412 Vgl. Rüegg-Stürm, 2001.<br />
413 Vgl. Pettigrew, 1985.<br />
414 Vgl. Willke, 1991.<br />
415 Persönliches Gespräch bei einem Seminar am 17.02.02.<br />
169
170<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Was führt nun dazu, dass die Beteiligten in der Organisation einen für sie relevanten<br />
Unterschied zwischen einem IST- und einem SOLL- oder Zielzustand wahrnehmen?<br />
Traditionellerweise zielt das Management von Veränderungen darauf ab, IST, SOLL<br />
und den Weg vom IST zum SOLL auf eine bestimmte Art zu „verkaufen“. Der<br />
gegenwärtige Zustand wird dabei <strong>als</strong> kritisch, bedrohlich oder defizitär dargestellt. Der<br />
zukünftige Zustand <strong>als</strong> möglichst attraktiv verkauft und der Weg vom IST zum SOLL<br />
muss dann schließlich noch <strong>als</strong> realistisch und machbar dargestellt werden. 416<br />
Damit ist aber implizit bereits eine Abwertung der bestehenden Situation durch die<br />
Agenten des <strong>Wandel</strong>s verbunden. Veränderungsdruck wird aus einem solchen<br />
<strong>Wandel</strong>verständnis heraus häufig durch die Dramatisierung des IST-Zustands erreicht.<br />
Als „flankierende Maßnahme“ wird dann versucht, durch Anreize z.B. finanzieller Art,<br />
das Erreichen des zukünftigen oder SOLL-Zustands extrinsisch motiviert zu<br />
unterstützen.<br />
Ein systemisch-konstruktivistisches <strong>Wandel</strong>verständnis zielt dagegen auf die<br />
Konstruktion von relevanten Unterschieden zwischen zwei Zuständen durch die be-<br />
teiligten Personen und Gruppen ab. Das Management des <strong>Wandel</strong>s ist darauf ange-<br />
wiesen, dass ein Unterschied von den am <strong>Wandel</strong> beteiligten Parteien <strong>als</strong> für sie<br />
relevant erachtet wird. 417 Relevante Unterschiede führen mit höherer Wahrscheinlich-<br />
keit zu Veränderungen. 418<br />
Verbindet man nun das Modell des pragmatischen Werts der Information 419 mit dem<br />
vorgestellten <strong>Wandel</strong>modell, können Ableitungen für einen konstruktivistischen<br />
Umgang mit <strong>Wandel</strong> formuliert werden. Demnach ist die Wahrscheinlichkeit eines<br />
<strong>Wandel</strong>s des Systems dann besonders hoch, wenn die Soll-Situation anschlussfähig ist,<br />
d.h. wenn sie einen relevanten Unterschied macht. Anschlussfähiger <strong>Wandel</strong> zeichnet<br />
sich dadurch aus, dass sich die Beteiligten selbst damit identifizieren können bzw. dass<br />
416 Vgl. z.B. Janes, et al., 2001. Aus einer ähnlichen Logik heraus argumentiert auch Wimmer (Wimmer, 1999).<br />
417 An dieser Stelle spiegelt sich auch der erste Schritt in dem eingangs beschriebenen Tetralemma wider: Der<br />
gegenwärtige (IST)-Zustand wird <strong>als</strong> unbefriedigend und der (SOLL)-Zustand <strong>als</strong> u.U. erstrebenswert<br />
angesehen.<br />
418 Vgl. zu den methodischen Implikationen eines solchen Vorgehens insbesondere die Arbeiten von Steve<br />
DeShazer z.B. de Shazer, 1994; de Shazer, 1995.<br />
419 Vgl. Abschnitt 4.2.3.
Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />
er von Ihnen selbst (mit)initiiert ist, positiv und in ihrer eigenen Sprache formuliert ist<br />
und den Beteiligten realistisch erscheint.<br />
Veränderungen, die einen zu geringen Anteil neuer Informationen enthalten, führen<br />
demnach mit geringer Wahrscheinlichkeit zur Zielerreichung, weil sie von den Betei-<br />
ligten nicht <strong>als</strong> unterschiedlich erkannt werden. Dagegen führen Veränderungen, die<br />
einen zu hohen Anteil neuer Informationen enthalten, u. U. nicht zu Veränderungen,<br />
weil sie <strong>als</strong> irrelevant im Sinne der Nicht-Erreichbarkeit eingeschätzt werden.<br />
Die höchste Wahrscheinlichkeit der Umsetzung fällt deshalb zusammen mit dem<br />
höchsten pragmatischen Wert der Information. Dort wo ein ausreichendes Mass an<br />
bestätigenden und neuen Informationen zur Konstruktion von relevanten Unter-<br />
schieden durch die Beteiligten führt, ist die Wahrscheinlichkeit für den <strong>Wandel</strong> am<br />
höchsten.<br />
Pragmatischer<br />
Wert der<br />
Information<br />
Maximaler<br />
pragmatischer<br />
Wert der<br />
Information =<br />
Höchste Wahrscheinlichkeit<br />
der Umsetzung<br />
0% Erstmaligkeit 100%<br />
100% Bestätigung 0%<br />
Abbildung 41: Höchster pragmatischer Wert der Information<br />
(in Anlehnung an: E.U. v. (Weizsäcker, 1986, S. 99)<br />
Diese konstruktivistische Beschreibung von <strong>Wandel</strong> beinhaltet implizit auch bereits<br />
die, in der <strong>Wandel</strong>literatur oftm<strong>als</strong> anzutreffende Unterscheidung zwischen kontinu-<br />
ierlichem und diskontinuierlichem <strong>Wandel</strong>. Kontinuierlicher <strong>Wandel</strong> wird dabei <strong>als</strong><br />
Veränderung in langen Perioden kleiner kontinuierlicher Anpassungen in einer<br />
stabilen Umwelt beschrieben. Diskontinuierlicher <strong>Wandel</strong> findet dagegen in kurzen<br />
Perioden revolutionärer Veränderungen statt. Beide Formen des <strong>Wandel</strong>s finden sich<br />
z.B. im „punctuated equilibrium model“, welches den organisationalen <strong>Wandel</strong> <strong>als</strong><br />
171
172<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
einen Wechsel zwischen langen Perioden kontinuierlichen <strong>Wandel</strong>s und kurzen<br />
Perioden diskontinuierlichen <strong>Wandel</strong>s beschreibt. 420<br />
Aus konstruktivistischer Sicht ist es problematisch zwischen einem „objektiv“<br />
kontinuierlichen und einen „objektiv“ diskontinuierlichen <strong>Wandel</strong> zu unterscheiden,<br />
weil die Unterscheidung subjektiv von einem Beobachter getroffen wird. Es stellt sich<br />
vielmehr die Frage, wie kontinuierlicher und diskontinuierlicher <strong>Wandel</strong> von den<br />
Beteiligten konstruiert wird bzw. worin sich für den Beobachter kontinuierlicher und<br />
diskontinuierlicher <strong>Wandel</strong> unterscheidet?<br />
Überträgt man diese konstruktivistischen <strong>Wandel</strong>vorstellungen in WEIZSÄCKERS<br />
Modell der pragmatischen Information, dann handelt es sich beim diskontinuierlichen<br />
<strong>Wandel</strong> um Veränderungen, die einen zukünftigen Zustand anzielen, der ein hohes<br />
Maß an neuen und ein geringes Maß an bestätigenden Informationen enthält.<br />
Kontinuierlicher <strong>Wandel</strong> beschreibt dagegen Veränderungen, bei denen der zukünftige<br />
Zustand sich u.U. zu wenig vom bestehenden Zustand unterscheidet, zu bestätigend<br />
und zu geringfügig relevant erscheint bzw. konstruiert wird.<br />
Pragmatischer<br />
Wert Wert der der der<br />
Information Information<br />
Unternehmen Unternehmen in in<br />
Optimierung<br />
Optimierung<br />
Routineereignisse<br />
Routineereignisse<br />
Routineereignisse<br />
Routineereignisse<br />
Routineereignisse<br />
Routineereignisse<br />
Routineereignisse<br />
Unternehmen Unternehmen in in<br />
Erneuerung Erneuerung<br />
Irritationsereignisse<br />
Irritationsereignisse<br />
Irritationsereignisse<br />
Irritationsereignisse<br />
Irritationsereignisse<br />
Irritationsereignisse<br />
Irritationsereignisse<br />
TranskontinuierlicherDiskontinuier-<br />
Kontinuierlicher <strong>Wandel</strong> licher <strong>Wandel</strong><br />
<strong>Wandel</strong><br />
100% Bestätigung 0%<br />
0% Erstmaligkeit 100%<br />
Abbildung 42: Kontinuierlicher und diskontinuierlicher <strong>Wandel</strong><br />
(in Anlehnung an Rüegg-Stürm, 2001, S. 257)<br />
Das Management des <strong>Wandel</strong>s zielt dann darauf ab, die Konstruktion relevanter<br />
Unterschiede bei den Beteiligten zu fördern. So kann es bei kontinuierlichem <strong>Wandel</strong><br />
420 Vgl. Gersick, 1991.
Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />
nötig sein, die Unterschiede stärker herausarbeiten. Beispielsweise könnte der lang-<br />
fristig angestrebte, zukünftige Zustand im Sinne der sogenannten „Wunderfrage“ 421<br />
plastisch erarbeitet werden. Dagegen könnte im Falle des diskontinuierlichen <strong>Wandel</strong>s<br />
das Management des <strong>Wandel</strong>s durch die Konstruktion von graduellen Unterschieden<br />
die Anschlussfähigkeit des <strong>Wandel</strong>s an die Wirklichkeitsvorstellungen der Beteiligten<br />
unterstützen. Anders ausgedrückt kann ein Spiel mit den Unterschieden darin be-<br />
stehen, Unterschiede für die Organisation „verdaubar“ zu machen. Die „absorptive<br />
capacity“, 422 <strong>als</strong>o die Fähigkeit <strong>Wandel</strong> zu integrieren, kann aus konstruktivistischer<br />
Perspektive durch die Verstetigung diskontinuierlichen <strong>Wandel</strong>s oder die Inter-<br />
punktion des kontinuierlichen <strong>Wandel</strong>s den <strong>Wandel</strong> für die Organisation wahr-<br />
scheinlicher machen.<br />
Pragmatischer<br />
Wert Wert der<br />
der<br />
Information<br />
Information<br />
Interpunktion<br />
Transkontinuierlicher<br />
<strong>Wandel</strong><br />
Verstetigung<br />
100% Bestätigung 0%<br />
0% Erstmaligkeit 100%<br />
Abbildung 43: Interpunktion und Verstetigung des <strong>Wandel</strong>s<br />
VARGA VON KIBÉD spricht in diesem Sinne von Transkontinuierlichem <strong>Wandel</strong>. 423<br />
Darunter ist eine Veränderung des <strong>Wandel</strong>musters im Sinne einer Interpunktion oder<br />
eine Verstetigung zu verstehen. Dabei können sich Interventionen in Richtung einer<br />
Verstetigung oder Interpunktion des <strong>Wandel</strong>s auswirken. Hierdurch verändert sich das<br />
421 Vgl. de Shazer, 1996.<br />
422 Vgl. Cohen und Levinthal, 1990. Der Begriff wird hier verwendet im Sinne der Fähigkeit einer Organisation<br />
neue technologische Entwicklungen, neues Wissen oder Strukturen und andere Herausforderungen in die<br />
bestehenden Organisationsstrukturen und –prozesse zu integrieren.<br />
423 Dieser Begriff stammt von Louis Cauffman vom Korzybski Institut Brügge und wurde auf dem EWTA<br />
Kongress vorgestellt.<br />
173
174<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
<strong>Wandel</strong>muster. Die Befähigung zu dieser Veränderung des <strong>Wandel</strong>musters findet auf<br />
einer logisch übergeordneten Ebene statt und kann <strong>als</strong> Metafähigkeit verstanden<br />
werden. 424<br />
5.2.2 <strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Metafähigkeit?<br />
Ein wichtiger Beitrag zum systemischen Verständnis von <strong>Wandel</strong> und<br />
<strong>Wandel</strong>fähigkeit von Organisationen die auf WATZLAWICK/WEAKLAND/FISH<br />
eingebrachte Unterscheidung in <strong>Wandel</strong> erster und zweiter Ordnung. 425 Während<br />
<strong>Wandel</strong> erster Ordnung die Veränderungen innerhalb eines Systems beschreibt und in<br />
der Regel Veränderungen des Verhaltens der Systemmitglieder beinhaltet, die das<br />
Gesamtsystem weitgehend unverändert lassen, umfasst der <strong>Wandel</strong> zweiter Ordnung<br />
Veränderungen in der Struktur und den internen Regeln des Systems. Letzterer führt<br />
damit zu Veränderungen des Systems selbst. Ähnlich unterscheidet ASHBY zwischen<br />
<strong>Wandel</strong> von einem internen Zustand zum nächsten und <strong>Wandel</strong> von einer<br />
Transformation zur nächsten Transformation. Dies führt zu einer Veränderung des<br />
gesamten Systemverhaltens. 426<br />
Aufbauend auf diese Unterscheidung verschiedener logischer Ebenen, wie sie bereits<br />
in ähnlichen Modellen von BATESON oder auch dem vorgestellten Modell von<br />
ARGYRIS und SCHÖN verwendet werden, 427 sollen im weiteren Formen der <strong>Wandel</strong>-<br />
fähigkeit unterschieden werden. Um diese Unterscheidung deutlich zu machen, wird<br />
das bereits eingeführte <strong>Wandel</strong>modell noch einmal aufgegriffen.<br />
<strong>Wandel</strong> beinhaltet die Veränderung von einem Zustand A zum Zustand A`. Diese<br />
Veränderung läuft häufig nach einem rekursiven <strong>Prozess</strong> und Muster ab. Die rekursive<br />
Veränderung von Zustand A nach A` stellt bereits einen <strong>Wandel</strong> dar und bedarf einer<br />
<strong>Wandel</strong>fähigkeit im Sinne einer Bewältigung der Veränderung. Die Veränderung von<br />
Zustand A nach B setzt allerdings eine Veränderung des <strong>Wandel</strong>musters voraus und<br />
bedarf einer Reflexion und Veränderung des zugrunde liegenden Veränderungs-<br />
musters. Geht man von handlungsmächtigen Akteuren in sozialen Systemen aus, so<br />
424 Auf die genaue Unterscheidung zwischen <strong>Wandel</strong> und <strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Metafähigkeit wird im folgenden<br />
Kapitel eingegangen.<br />
425 Vgl. Watzlawick, et al., 2001.<br />
426 Vgl. Ashby, 1956.<br />
427 Vgl. Bateson, 1981, Argyris und Schön, 1978.
Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />
sind diese verschiedenen zukünftigen Zustände für die Akteuere <strong>als</strong> kontingent zu<br />
betrachten.<br />
Veränderung des<br />
Muster des <strong>Wandel</strong>s<br />
B (zukünftiger<br />
Zustand)<br />
A (Ist-Zustand) A`(zukünftiger<br />
Zustand)<br />
Veränderung des<br />
Verhaltens<br />
(mehr desselben)<br />
Abbildung 44: <strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Fähigkeit zur Veränderung des <strong>Wandel</strong>musters<br />
Aus Sicht der Theorie der Strukturierung sind die Akteure zur Veränderung der<br />
rekursiven Muster im <strong>Prozess</strong> der Strukturierung befähigt. Allerdings bedarf es hierzu<br />
der Reflexion der im <strong>Prozess</strong> der Strukturierung nicht erkannten Handlungsvoraus-<br />
setzungen und nicht intendierten Handlungskonsequenzen. 428<br />
Allgemein ausgedrückt liegt ein solcher <strong>Wandel</strong> vor, wenn eine Veränderung eines<br />
Verhaltens zu einem späteren Zeitpunkt stattfindet, beispielsweise von C nach D - <strong>als</strong>o<br />
eine Veränderung in einem anderen Kontext stattfindet. Ein Erreichen der Zustände B<br />
oder D macht jeweils eine Veränderung des Musters der Veränderung nötig.<br />
Ist beispielsweise ein Mitarbeiter gewohnt, dass er im Falle eines Problems<br />
(Unterschied zwischen A und B) zur Problemlösung seinen Geschäftsführer<br />
kontaktiert, dann erfolgt die Problemlösung nach einem bestimmten Muster A („den<br />
Geschäftsführer fragen, der sagt mir wie es geht“). Wechselt z.B. der Geschäftsführer<br />
und verfügt dieser neue Geschäftsführer nicht über das gleiche, tiefe, inhaltliche<br />
Wissen, kann er u.U. keine inhaltliche Lösung bestimmen.<br />
428 Vgl. Kap. 4.1.<br />
175
176<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Um nun D zu erreichen, muss u. U. das Problemlösungsmuster geändert werden. Da<br />
die Mitarbeiter in aller Regel das Wissen mitbringen, um von A nach B oder von C<br />
nach D zu gelangen, muss der Problemlösungsprozess mit dem neuen Geschäftsführer<br />
nach einem veränderten Muster erfolgen. Es werden <strong>als</strong>o die Regeln, wie man von A<br />
nach B gelangt, verändert, um von C nach D zu gelangen.<br />
<strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Metafähigkeit<br />
Kontext 1<br />
<strong>Wandel</strong>fähigkeit zur Bewältigung<br />
des <strong>Wandel</strong>s gemäß Muster A<br />
Kontext 2<br />
<strong>Wandel</strong>fähigkeit zur Bewältigung<br />
des <strong>Wandel</strong>s gemäß Muster B<br />
A B C D<br />
Abbildung 45: <strong>Wandel</strong>fähigkeit und <strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Metafähigkeit<br />
Bei der Veränderung der Regeln handelt es sich um mehr <strong>als</strong> die bloße Überwindung<br />
einer <strong>als</strong> problematisch angesehenen und Leidensdruck verursachenden Differenz<br />
zwischen A und B. Solange es darum geht, den Leidensdruck nur zu mildern, und B zu<br />
erreichen, führt das häufig zu einem Rückfall in alte Verhaltensmuster, sobald sich der<br />
Druck abgeschwächt hat. 429<br />
Die <strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Metafähigkeit unterscheidet sich von dem Vermögen, eine<br />
<strong>Wandel</strong>initiative durchzuführen, dadurch dass das Muster des Verhaltens erkannt und<br />
verändert wird. Es werden verschiedene Alternativen A´ und B <strong>als</strong> kontingente Alter-<br />
nativen (z.B. eines Strategieentwicklungsprozesses) erkannt und <strong>als</strong> relevant unter-<br />
schiedlich wahrgenommen.<br />
429 Vgl. Wimmer, 1999.
Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />
<strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Metafähigkeit besteht in dem Vermögen, Muster der Veränderung<br />
kontext- und interaktionsbezogen zu reflektieren und zu verändern. 430 Es geht <strong>als</strong>o<br />
nicht allein um die Bewältigung des Weges von A nach B. Vielmehr geht es darum<br />
Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine Veränderung des Musters der Veränderung<br />
der eigenen Organisation ermöglichen. Damit sind automatisch Grenzen der Machbar-<br />
keit verbunden, weil derlei <strong>Wandel</strong> nicht herkömmlich gemacht, sondern nur<br />
ermöglicht werden kann. 431<br />
RÜEGG-STÜRM weist zur Begründung dieser Grenzen der Machbarkeit darauf hin, dass<br />
die Führung einer Organisation nicht mehr länger <strong>als</strong> unabhängig und außerhalb des<br />
Systems positioniert betrachtet werden kann. Die konstruktivistische Systemtheorie<br />
plaziert die Führung vielmehr <strong>als</strong> Mitbeteiligte und Mitbetroffene innerhalb der<br />
<strong>Prozess</strong>e der Konstitution der sozialen Wirklichkeit. 432<br />
Deutlich wird dieser Zusammenhang am Konzept des Widerstands, welcher nach<br />
WIMMER letztlich genau in der Möglichkeit wurzelte, sich selbst <strong>als</strong> Veränderer aus-<br />
zuklammern und die Probleme am Widerstand der anderen festzumachen. 433 Es geht<br />
vielmehr um eine Selbst-Transformation, <strong>als</strong>o um die Notwendigkeit, den Beobachter,<br />
in den <strong>Prozess</strong> einzubeziehen. Die Regel ist dagegen häufig, dass er glaubt sich<br />
heraushalten zu können und Ausgangs- und Endzustand sowie den Weg von A nach B<br />
vorgeben zu können.<br />
<strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Metafähigkeit kann damit <strong>als</strong> <strong>Wandel</strong>fähigkeit 2. Ordnung ver-<br />
standen werden. Die Fähigkeit,die bestehenden Muster und Routinen der eigenen<br />
Organisation zu wandeln,setzt dabei die Externalisierung, das Erkennen sowie die<br />
Reflexion der eigenen bestehenden Muster und Wissensstrukturen voraus.<br />
Von entscheidender Bedeutung für die <strong>Wandel</strong>fähigkeit ist es, unterschiedliche<br />
Kontexte differenzieren zu können. Der abschließende Abschnitt versucht deshalb,<br />
organisationale <strong>Wandel</strong>situationen zu identifizieren, die eine gesteigerte <strong>Wandel</strong>- und<br />
430 Bei der Bezeichnung der <strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Metafähigkeit soll hier verdeutlichen, dass es sich auf der<br />
Ebene der Veränderung der <strong>Wandel</strong>muster um eine logisch andere Klasse von Fähigkeit handelt, <strong>als</strong> bei der<br />
Fähigkeit den <strong>Wandel</strong> von A nach B zu bewältigen.<br />
431 Vergleiche zum Thema der Machbarkeit des <strong>Wandel</strong>s insbesondere die Ausführungen bei Rüegg-Stürm,<br />
2000 Rüegg-Stürm, 2001.<br />
432 Vgl. Rüegg-Stürm, 2001.<br />
433 Vgl. Wimmer, 1999.<br />
177
178<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Erneuerungsfähigkeit einer Organisation verlangen. Das Modell idealtypischer<br />
Bruchstellen organisationalen <strong>Wandel</strong>s stellt einen ersten Versuch dar, vor einem<br />
explizit systemischen Hintergrund solche Situationen und die mit ihnen verbundenen<br />
Herausforderungen zu systematisieren.<br />
5.3 Idealtypische Herausforderungen einer Organisation im <strong>Wandel</strong><br />
Welchen <strong>Wandel</strong>situationen stehen Unternehmen im Ablauf ihrer Geschichte<br />
gegenüber? Wann und bei welchen idealtypischen Gelegenheiten entsteht die<br />
Notwendigkeit organisationalen <strong>Wandel</strong>s?<br />
Das nachfolgende Kapitel gibt eine erste Orientierung auf diese Frage. Die Ausein-<br />
andersetzung mit dieser Frage geschieht dabei in dem Bewusstsein, dass es sich bei<br />
Organisationen um heterogene Gebilde verschiedener Systeme, <strong>als</strong>o Systeme von Teil-<br />
systemen handelt und dass nur bedingt kontextunabhängig Aussagen über die<br />
spezifischen Organisationen gemacht werden können.<br />
Es wird deshalb versucht, Aufgabenstellungen organisationalen <strong>Wandel</strong>s einer Unter-<br />
nehmung zu identifizieren. Der Entwurf orientiert sich dabei an den Systemprinzipien<br />
von SPARRER und VARGA VON KIBÉD, indem versucht wird, idealtypische organisati-<br />
onale Herausforderungen und damit verbundene Fragestellungen beispielhaft aufzu-<br />
zeigen.<br />
Der daraus resultierende Modellansatz ist dazu angelegt empirische Beispiele in den<br />
Orientierungsrahmen einordnen zu können. Er unterscheidet sich von anderen Unter-<br />
nehmensmodellen vor allem durch die explizit systemische und konstruktivistische<br />
Ausrichtung. 434 Das Modell steht unter dem Vorbehalt, dass die Herausforderungen<br />
stets in Abhängigkeit vom jeweiligen Kontext bzw. der Orientierung des Systems zu<br />
sehen sind. Darüber hinaus ergeben sich aus den Systemprinzipien, auf die das Modell<br />
aufbaut, Hinweise auf mögliche Interventionsmöglichkeiten. 435<br />
434 Vgl. zu anderen Unternehmensmodellen z.B. das Modell des wachsenden UnternehmensGreiner, 1982, das<br />
Modell der Unternehmensentwicklung Bleicher, 1991 oder das Modell des machtpolitischen Unternehmens-<br />
Lebenszyklus Mintzberg, 1984, Mintzberg, 1983. Für einen umfassenden Überblick über verschiedene<br />
Unternehmensmodelle vgl. Pümpin und Prange, 1991.<br />
435 Vgl. zu den Interventionsmöglichkeiten im Sinne eines Management des <strong>Wandel</strong>s vgl. Kap. 8.2.<br />
(Bruchstellen organisationaler Identitätsstrukturen).
Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />
Organisationen sind i.d.R. soziale Systeme, die sich um ein bestimmtes gesellschaft-<br />
liches Problem oder einen Bedarf herum bilden. Sie sind daraufhin orientiert,<br />
Leistungen anzubieten und eine bestimmte Aufgabe zu lösen. 436 Organisationen ent-<br />
stehen gewissermaßen <strong>als</strong> Antwort auf eine Bedarfslage. Allerdings ergeben sich bei<br />
verschiedenen Organisationen unterschiedliche Zielsetzungen oder Orientierungen:<br />
Wie bereits im systemtheoretischen Teil der Arbeit deutlich wurde, 437 benötigen<br />
Organisationen eine Grenze zwischen der Umwelt und sich. Innerhalb dieser Grenze<br />
können Systeme wachsen und ggfs. weitere Systeme gründen. Es werden Strukturen<br />
und <strong>Prozess</strong>e ausgebildet, die die Bewältigung von Krisen und die Produktion von<br />
Leistungen ermöglichen, mit deren Hilfe sich das System zum Interaktionspartner<br />
seines Umfelds macht. Damit organisiert eine Organisation nicht nur sich selbst,<br />
sondern organisiert bzw. konstruiert sich auch die entsprechende Umwelt. 438<br />
Sobald eine Organisation diesen <strong>Prozess</strong> der Ausdifferenzierung abgeschlossen hat,<br />
kann sie auf eine identitätsstiftende Geschichte zurückblicken, in der sich bereits<br />
Muster und Entscheidungsroutinen gebildet haben: Die zukünftigen Ereignisse und<br />
Entscheidungen in Organisationen folgen dann den in der Systemgeschichte aufge-<br />
bauten Struktur- und <strong>Prozess</strong>mustern. Diese lassen sich verstehen <strong>als</strong> die konden-<br />
sierten Traditionen, Lernerfahrungen und Selbstidentifikationen des Systems“. 439<br />
Organisationaler <strong>Wandel</strong> trifft nun auf explizite und implizite Erwartungsstrukturen,<br />
über die bei den Beteiligten im Sinne eines <strong>Prozess</strong>es des Gebens und Nehmens Buch<br />
geführt wird. Strategische <strong>Wandel</strong>prozesse greifen in die daraus entstehenden Tausch-<br />
beziehungen und Loyalitäten von Personen und Organisation ein und verschieben die<br />
bestehenden Systemgefüge. In die Auseinandersetzung über geeignete Strukturen und<br />
<strong>Prozess</strong>e mischen sich dann häufig Fragen dieser Austauschbeziehungen.<br />
Gegenstand der Tauschbeziehungen und Erwartungen sind u.a. Fragen der Zugehörig-<br />
keit und Identität, der Anerkennung des Vorrangs untereinander, der Anerkennung des<br />
436 Vgl. dazu auch im vorhergehende Kapitel die Implikationen des systemischen Organisationsverständnisses.<br />
437 Vgl. Kap. 4.2.<br />
438 Vgl. Wimmer, 1999.<br />
439 Vgl. Willke, 1997.<br />
179
180<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Einsatzes für die Organisationen oder auch der Leistungen oder Fähigkeiten, die der<br />
Organisation zur Verfügung gestellt werden oder erbracht worden sind. 440<br />
Die Bedeutung beispielsweise der Zugehörigkeit hängt allerdings ganz wesentlich von<br />
dem Kontext und der Ausrichtung des Systems ab. D.h. je nachdem auf welchen Sinn<br />
und Zweck die Organisationen ausgerichtet ist, erhalten die Prinzipien einen unter-<br />
schiedlichen Stellenwert.<br />
So wird für Unternehmen, bei denen die Zugehörigkeit i.d.R. vertraglich geregelt ist,<br />
in Phasen von Fusionen die Systemgrenze häufig verändert. Daraus ergeben sich u.a.<br />
Unsicherheiten bzgl. der Zugehörigkeit der Mitglieder zum neuen System und Fragen<br />
bzgl. der Identität des neuen Systems. Zusätzliche Probleme im Kontext von Fusionen<br />
ergeben sich aus dem Umstand, dass einige Positionen nach der Fusion doppelt besetzt<br />
sein können. Es muss <strong>als</strong>o für das neue System erst eine neue gemeinsame<br />
Systemgrenze gezogen werden.. 441<br />
Allerdings sind mit Fusionsprozessen auch häufig Probleme bzgl. des Prinzips der<br />
zeitlichen Reihenfolge verbunden. Hierzu zählen Aspekte der Nichtwürdigung<br />
früherer Kulturen und Strukturen, die durch den <strong>Wandel</strong> in Frage gestellt werden. 442<br />
Problematische Lösungsversuche bestehen dann häufig im Ausschluss von Personen<br />
oder Kulturen oder in der Nichtanerkennung geleisteten Einsatzes. So ist häufig in der<br />
Phase vor, während oder im Anschluss an eine Fusion besonderer Einsatz von einigen<br />
Elementen des Systems erforderlich. Wird dieser Einsatz nicht anerkannt, verliert das<br />
System die Fähigkeit, mit solchen Herausforderungen oder Krisen umzugehen.<br />
Beispiele für einen solchen Einsatz in Organisationen stellen etwa die Phase der Due<br />
Dilligence vor der Fusion oder die Integration der Geschäftsprozesse beispielsweise im<br />
Rahmen von einer SAP Einführung im Anschluss an eine Fusion dar.<br />
440 Vgl. hierzu insbesondere die Ausführungen zum Thema Systemprinzipien in Kapitel 4.2.7.<br />
441 Praktisch bedeutet das, dass häufig aus den zwei getrennten Systemen auch äußerlich erkennbar erst ein<br />
System gebildet werden muss (gemeinsame Geschäftsleitung, ein Firmenname, gemeinsamer Kundenstamm<br />
usw.).<br />
442 In Anlehnung an einen Ausspruch von Gunter Schmidt anlässlich des Symposiums Complex Change, könnte<br />
man nach diesem Prinzip den <strong>Wandel</strong> auch <strong>als</strong> den Zwerg auf der Schulter des Bestehenden verstehen.
Beispielhafte<br />
<strong>Wandel</strong>anlässe<br />
Unternehmenszusammenschlüsse,<br />
Outsourcing, Projekte<br />
Zeitweise Organisationsformen<br />
Organisationsformen<br />
Kooperationen, Allianzen<br />
Akquisitionen, Joint Ventures,<br />
Gründung und Umgang mit<br />
neuen Geschäftsfeldern, Spin-Offs<br />
Krisen, Umstrukturierungen,<br />
Phasen besonderen Einsatzes<br />
Kosteneinsparungsprogramme<br />
ERP, Shared Shared Service,<br />
Faster Time to Market<br />
...betreffen...<br />
Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />
Systemorientierung<br />
Systemorientierung<br />
Unterscheidung Innen-Aussen<br />
(Zugehörigkeitsorientierung)<br />
Zeitliche Reihenfolge<br />
(Wachstumsorientierung)<br />
Gründung neuer Teil-Systeme<br />
(Fortpflanzungsorientierung)<br />
Einsatz für das Ganze<br />
(Immunkraftbildung)<br />
Systemleistung und -fähigkeiten<br />
(Outputorientierung)<br />
Abbildung 46: Modell systemorientierter organisationaler Herausforderungen<br />
Im anschließenden empirischen Teil der Arbeit werden die beschriebenen<br />
heuristischen Systemprinzipien dazu verwendet, um implizite systemische Strukturen<br />
zu analysieren und zu verdeutlichen, welche Wirkung von den <strong>Wandel</strong>initiativen für<br />
die bestehenden Strukturen ausgehen. Daraus sollen Rückschlüsse auf die Gestaltung<br />
von <strong>Wandel</strong>initiativen gezogen werden, welche die häufig nicht intendieren<br />
Handlungskonsequenzen bzw. die nicht beachteten Handlungsvoraussetzungen solcher<br />
strategischer Initiativen transparenter machen.<br />
181
182<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
6 Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Organisieren ist zuallererst gegründet auf Einigung darüber,<br />
was Wirklichkeit ist und was Illusion ist.<br />
Karl Weick 443<br />
Da das Forschungsprojekt und die methodologischen Leitvorstellungen bereits vorge-<br />
stellt wurden. 444 sollen vor dem Einstieg in den empirischen Teil der Arbeit lediglich<br />
die noch offenen Fragen zum Forschungsprozess geklärt werden. Dabei handelt es sich<br />
vor allem um die Fragen bzgl. der Erschließung des Forschungsfeldes, der Auswahl<br />
der <strong>Wandel</strong>orte und -inhalte sowie der Interviewteilnehmer.<br />
Im Anschluss daran werden die beiden Forschungspartner, SIEMENS BUILDING<br />
TECHNOLOGIES und MIGROS AARE, der externe Kontext in dem sich die Organi-<br />
sationen befinden sowie die dort jeweils untersuchten strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen<br />
vorgestellt. Vielfach hängen die dargestellten <strong>Wandel</strong>projekte auch mehr oder weniger<br />
eng mit den geschilderten externen Kontextfaktoren zusammen. Dies gilt insbesondere<br />
für die Unternehmenszusammenschlüsse, welche jeweils eine wichtige Voraussetzung<br />
zum Verständnis der <strong>Wandel</strong>initiativen bilden.<br />
Die Darstellung der empirischen Ergebnisse erfolgt unter Zuhilfenahme des Konzepts<br />
der first- und second order findings von VAN MAANEN. 445 Dabei werden Episoden<br />
bzw. Vignetten 446 aus den <strong>Wandel</strong>initiativen beschrieben und vor dem Hintergrund<br />
eines systemisch-konstruktivistischen Ansatzes im Gesamtkontext der Unternehmung<br />
interpretiert.<br />
Die Forschungsstrategie folgt dabei einer vergleichenden Studie zwischen den beiden<br />
Partnerorganisationen, d.h. der Einfluss der strategischen Initiativen auf die Strukturen<br />
und <strong>Prozess</strong>e der Unternehmen erfolgt in einer vergleichenden Form.<br />
Dazu werden zuerst die beiden Unternehmen, ihr externer Kontext und die unter-<br />
suchten <strong>Wandel</strong>projekte vorgestellt (Kapitel 6). Im Hauptteil des empirischen Teils<br />
(Kapitel 7) wird dann mit Hilfe der bereits beschriebenen Systemprinzipien eine<br />
443 Vgl. ebenda.<br />
444 Vgl. Kap. 1.3 bzw. 3.<br />
445 Vgl. Kap. 3.1 und Van Maanen, 1983.<br />
446 Mit Vignetten sind im Folgenden kleinere <strong>Wandel</strong>episoden gemeint, die jeweils first-order Beschreibungen<br />
darstellen.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Strukturanalyse durchgeführt. Daran schließt sich eine Handlungs- bzw. <strong>Prozess</strong>-<br />
analyse an, die versucht, die Wirkung der <strong>Wandel</strong>initiativen auf die Identitätsbildung<br />
zu erfassen.<br />
6.1 Erschließung des Forschungsfeldes<br />
Wie bereits bei der Vorstellung des Forschungsprojekts Learning Dynamics 447 deut-<br />
lich wurde, war der inhaltliche Rahmen der Gesamtforschungsfrage sowie die der<br />
einzelnen Dissertationen zu Beginn offen formuliert. Die Fragestellungen wurden erst<br />
während des Forschungsprozesses mit der Konkretisierung der Feldbeziehungen und<br />
der strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen der Partnerorganisationen definiert.<br />
Nachdem bereits umfangreiche Vorarbeiten geleistet worden waren, startete die empi-<br />
rische Arbeit im April 2000 mit der Begleitung der drei strategischen <strong>Wandel</strong>projekte<br />
bei der SBT.<br />
SBT wurde aus mehreren Gründen für das Forschungsprojekts ausgewählt, u.a. weil<br />
die Grundfragestellung des organisationalen <strong>Wandel</strong>s und der Erneuerung ein aktu-<br />
elles Thema im Anschluss an zwei vorhergehende Fusionen war.<br />
Die Gespräche mit Verantwortlichen auf der Bereichs- und der Divisionsebene erga-<br />
ben in der Anfangsphase eine Reihe von größeren strategischen Initiativen, bei denen<br />
auch von Seiten der SBT und der Divisionen ein Interesse bestand, diese wissen-<br />
schaftlich begleiten zu lassen.<br />
Die Auswahl der <strong>Wandel</strong>orte war vor allem von dem Ziel geleitet, <strong>Wandel</strong>prozesse<br />
mit einer hohen strategischen und bereichsübergreifenden Bedeutung in unterschied-<br />
lichen Tätigkeitsbereichen der Organisation zu finden. Es sollten Initiativen gewählt<br />
werden, welche die Organisation tiefgreifend veränderten, mehrere Hierarchiestufen<br />
involvierten und vor allem den Zusammenhang zwischen den Strukturen und organi-<br />
sationalen Handlungen der Organisation deutlich werden ließen.<br />
Für die Wahl der letztlich untersuchten Initiativen sprach, dass das Forschungsteam im<br />
Falle des ERP-Projekts 448 die Möglichkeit hatte, eine Initiative fast vom Start an,<br />
sozusagen „live“, zu begleiten. Beim BSC-Projekt 449 sollte ein Vergleich zwischen der<br />
447 Vgl. Kap. 1.3.<br />
448 ERP steht für Enterprise Ressource Planning. Vgl. näheres in Kap. 6.3.2.<br />
449 BSC steht für Balanced Scorecard. Vgl. näheres in Kap. 6.3.1.<br />
183
184<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
BSC in Europa und den USA vorgenommen werden und beim PFC 450 das Thema der<br />
strategischen Erneuerung innerhalb einer großen Organisation direkt angesprochen<br />
war.<br />
Zu allen drei Projekten wurden uns je Ansprechpartner genannt. Die weitere Aus-<br />
gestaltung der Forschungsaktivitäten sowie der Aufbau tragfähiger Feldbeziehungen<br />
war weitgehend dem Forschungsteam überlassen und erfolgte im wesentlichen nach<br />
dem Prinzip des „planned opportunism“. 451 Allerdings wurden wir bis auf ganz<br />
wenige Ausnahmen sehr offen und interessiert aufgenommen.<br />
Während der folgenden, etwa zweijährigen Begleitung der strategischen Initiativen bei<br />
der SBT, wurde der Einfluss der zurückliegenden Merger und der daraus entstandenen<br />
strategischen Projekte auf die Identität der Organisation zunehmend deutlicher. Um<br />
den Einfluss solcher Initiativen auf die bestehenden Identitätsstrukturen näher zu<br />
untersuchen, wurde mit der kürzlich fusionierten MIGROS AARE ein zweiter<br />
Forschungspartner gewonnen. Hier wurden im Rahmen einer Interviewreihe,<br />
wiederum mit zwei Forschern, wiederum drei strategische Post-Merger-Projekte<br />
hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die bestehenden Strukturen untersucht.<br />
6.1.1 Auswahl der Interviewteilnehmer, teilnehmenden Beobachtungen und<br />
externen Dokumente<br />
Die Auswahl der Interviewteilnehmer erfolgte sowohl bei SBT wie auch bei der<br />
MIGROS frei und ohne Einflussnahme seitens der Organisationen. Während im Falle<br />
der MIGROS und der SBT US 452 aufgrund der kürzeren Forschungsdauer die Auswahl<br />
unterstützt wurde durch den jeweiligen Hauptansprechpartner aus der Geschäfts-<br />
leitung, waren die Forscher bei der SBT EU völlig unabhängig in der Auswahl der<br />
Interviewten. Die Auswahl war vor allem durch theoretische und pragmatische<br />
Gesichtspunkte bestimmt:<br />
Aus theoretischer Sicht war es wichtig, die <strong>Wandel</strong>prozesse möglichst umfassend<br />
kennen zu lernen. Es wurde versucht, sowohl verschiedene Hierarchiestufen <strong>als</strong> auch<br />
verschiedene Aufgabeninhalte im Rahmen der Interviews zu erfassen. Außerdem soll-<br />
450 PFC steht für ein Segment mit der Bezeichnung Performance Contracting. Vgl. näheres in Kap. 6.3.3.<br />
451 Vgl. Pettigrew, 1990.<br />
452 Die Bezeichnungen SBT US und SBT EU beziehen sich jeweils auf die nordamerikanische bzw. europäische<br />
„Area“ des SBT-Bereichs.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
ten sowohl die lokalen Anforderungen der Initiativen <strong>als</strong> auch der Gesamtrahmen<br />
durch die Interviews beleuchtet werden.<br />
Aus pragmatischer Sicht stellten sowohl die Ressourcen der Partnerorganisationen <strong>als</strong><br />
auch die des Forschungsteams knappe Ressourcen dar (Zeit und Finanzen). Aus-<br />
schlaggebend für die Auswahl der Interviewteilnehmer waren daher neben der Abde-<br />
ckung der gesamten Hierarchieebene, auch die Erfassung der Funktionen im Rahmen<br />
der betrieblichen Tätigkeit, der Funktionen in der <strong>Wandel</strong>initiative. 453<br />
Über die Mitarbeiter und Führungskräfte der beteiligten Organisationen hinaus wurden<br />
jeweils auch noch Externe (beispielsweise Trainer, Berater oder auch sonstige<br />
Personen von Interesse) interviewt, die an den jeweiligen Initiativen beteiligt waren.<br />
Die teilnehmenden Beobachtungen von Interaktionen und Handlungen bei Workshops<br />
und Sitzungen erfolgte vor allem mit dem Ziel, (Hintergrund-) Informationen rund um<br />
das Thema <strong>Wandel</strong> und Erneuerung in den Organisationen zu erhalten. Dazu wurden<br />
vor allem ethnographisch orientierte Beobachtungen, in denen die Forscher in einer<br />
passiven Beobachterrolle waren, durchgeführt. Darüber hinaus wurden auch – vor<br />
allem in der letzten Phase des Forschungsprojekts – Feedbackworkshops veranstaltet,<br />
bei denen die Forscher eine aktive (moderierende, informierende und beratende) Rolle<br />
einnahmen.<br />
Die Auswahl der Dokumente, die analysiert wurden, erfolgte flankierend zu den Inter-<br />
views und teilnehmenden Beobachtungen. Hierbei wurden über die projektbe-<br />
gleitenden Präsentationen und Dokumente hinaus vor allem Firmenzeitschriften, sowie<br />
Strategiepapiere sowie externe Berichte einbezogen.<br />
6.1.2 Darstellung der empirischen Ergebnisse<br />
Die Darstellung der empirischen Ergebnisse erfolgt in den Kapiteln 6 und 7: Zum<br />
einen werden in den Kapiteln 6.2 - 6.4 die SBT, ihr externer Kontext sowie die Inhalte<br />
der untersuchten <strong>Wandel</strong>initiativen zusammenhängend vorgestellt. Daran schließt sich<br />
in den Kapiteln 6.5 - 6.7 die Darstellung der MIGROS AARE mit ihrem externen<br />
Kontext und den dort untersuchten Post-Merger-Projekten an.<br />
453 Vgl. ähnlich Rüegg-Stürm, 2002.<br />
185
Partnerorganisationen<br />
186<br />
SBT<br />
Migros<br />
Aare<br />
Externer Kontext<br />
Externer<br />
Kontext SBT<br />
Externer Kontext<br />
Kontext<br />
Externer Kontext<br />
Kontext<br />
Migros Migros Aare<br />
Aare<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
<strong>Wandel</strong>inhalte<br />
<strong>Wandel</strong>inhalte<br />
(Projekte)<br />
(Projekte)<br />
BSC<br />
ERP<br />
PFC<br />
Postmerger- PMI- -<br />
projekte<br />
projekte<br />
Interner<br />
Kontext<br />
Analyse der<br />
Internen<br />
Kontexte<br />
Abbildung 47: Übersicht über die Darstellung der empirischen Ergebnisse<br />
<strong>Wandel</strong>prozesse<br />
Analyse der<br />
<strong>Wandel</strong>- -<br />
prozesse<br />
Im Anschluss werden dann im Kapitel 7.1 im Rahmen einer strukturellen Analyse der<br />
interne Kontext sowie in Kapitel 7.2 im Rahmen einer Handlungsanalyse die identi-<br />
tätsbildende Wirkung der <strong>Wandel</strong>prozesse in vergleichender Form untersucht. Im<br />
Mittelpunkt steht dabei jeweils ein Vergleich zwischen den verschiedenen Projekten<br />
(nicht zwischen den beiden Firmen).<br />
Wie Abb. 48 zeigt, werden Firma, externer Kontext und die <strong>Wandel</strong>initiativen aufein-<br />
anderfolgend dargestellt, um den Einfluss des Firmenhintergrunds sowie dessen<br />
Umfeld auf die <strong>Wandel</strong>initiative für den Leser leichter nachvollziehbar zu machen.<br />
Die Analyse des internen Kontexts und der <strong>Wandel</strong>prozesse in Kapitel 7 erfolgt<br />
dagegen systematisch und stärker vergleichend, um hieraus Hinweise auf<br />
kontextübergreifende Muster und Dynamiken zu erhalten.<br />
Die Vorgehensweise dieser Comparative Case Study orientiert sich somit nicht in<br />
erster Linie an methodischer Strenge, sondern zielt vor allem auf eine verständliche<br />
und illustrative Beschreibung, die die jeweiligen Kontexte und Initiativen für den<br />
Leser nachvollziehbar werden lassen. 454<br />
454 Vgl. zu den unterschiedlichen Verständnissen solcher Fallstudien insbes. Dyer und Wilkins, 1991;Eisenhardt,<br />
1989.
6.2 Die Organisation des Forschungspartners SBT<br />
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Die Vorstellung der Organisationen erfolgt nacheinander, wobei jeweils zuerst allge-<br />
meine Informationen (Geschichte, Firmenumfeld, Organisation, Identitätsmerkmale)<br />
und dann der externe Kontext mit den für den <strong>Wandel</strong> wesentlichen Einflussfaktoren<br />
(Markt, Merger, strategische Aspekte sowie Firmenkultur) präsentiert werden. Zum<br />
Abschluss werden die daraus hervorgehenden <strong>Wandel</strong>initiativen bzw. <strong>Wandel</strong>projekte<br />
dargestellt.<br />
In Kapitel 6.2 wird der Forschungspartner SBT vorgestellt. Hierbei wird Bezug ge-<br />
nommen auf die Entstehungsgeschichte, die Einbettung in den SIEMENS-Konzern, die<br />
Organisationsstruktur bei der Gründung und nach der wichtigen Umstrukturierung im<br />
Jahr 2000 sowie die Identitätsmerkmale und die <strong>Wandel</strong>arenen zum Zeitraum des<br />
Forschungsprojekts.<br />
Partnerorganisationen<br />
SBT<br />
Migros<br />
Aare<br />
Externer Kontext<br />
Externer<br />
Kontext SBT<br />
Externer Kontext<br />
Kontext<br />
Externer Kontext<br />
Kontext<br />
Migros Aare<br />
Aare<br />
<strong>Wandel</strong>inhalte<br />
<strong>Wandel</strong>inhalte<br />
(Projekte)<br />
(Projekte)<br />
BSC<br />
ERP<br />
PFC<br />
Postmerger- PMI- -<br />
projekte<br />
projekte<br />
Abbildung 48: Gedankenfluss Empirie<br />
6.2.1 Entstehungsgeschichte und Hintergrund der SBT<br />
Interner<br />
Kontext<br />
Analyse der<br />
Internen<br />
Kontexte<br />
<strong>Wandel</strong>prozesse<br />
Analyse der<br />
<strong>Wandel</strong>- -<br />
prozesse<br />
Die SIEMENS BUILDING TECHNOLOGIES AG (SBT) entstand im Oktober 1998 aus dem<br />
Industrieteil der ELEKTROWATT AG und den Gebäudetechnik-Aktivitäten der SIEMENS<br />
AG. Aus der 1895 gegründeten „ELEKTROBANK“, die durch die Bereitstellung von<br />
Risikokapital die Elektrifizierung Europas vorantrieb, wurde 1945 die<br />
„ELEKTROWATT“. Schon gegen Ende des Zweiten Weltkriegs kam es durch Firmen-<br />
käufe zu einer Expansion in angrenzende Industriebereiche. Dabei wurden unter<br />
187
188<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
anderem CERBERUS (1944) und STAEFA CONTROL SYSTEM (1974) gekauft, die auch<br />
heute noch zum Portfolio der SBT gehören. 455<br />
Die ELEKTROWATT verstand sich <strong>als</strong> Finanzholding, die weder strategisch noch opera-<br />
tiv in die Geschäfte ihrer Firmenbeteiligungen eingriff. Die Firmen genossen daher<br />
unter dem Dach der Holding ein hohes Maß an Autonomie.<br />
1895<br />
Elektrobank<br />
1896<br />
Landis & Gyr<br />
Cerberus<br />
1941 1945<br />
1962<br />
1944<br />
Staefa<br />
Umbennenung in<br />
Elektrowatt<br />
1974<br />
Siemens Gebäudetechnik<br />
1996<br />
Abbildung 49: Entstehungsgeschichte der SBT<br />
Restrukturierung<br />
(6 Divisionen)<br />
Gründung<br />
(4 Divisionen)<br />
SBT 2000<br />
1998<br />
2001<br />
Namensänderung<br />
der Divisionen<br />
Ende 1995 kündigte die ELEKTROWATT den Kauf der 1896 gegründeten<br />
LANDIS & GYR an. Im Frühjahr 1996 wurde die LANDIS & GYR dann mit der bereits<br />
zur ELEKTROWATT gehörenden STAEFA CONTROL SYSTEM zur neuen Division<br />
LANDIS & STAEFA zusammengeschlossen.<br />
Zu diesem Zeitpunkt gehörte die ELEKTROWATT-Gruppe mehrheitlich der CREDIT<br />
SUISSE AG, die im Juli 1996 eine Umstrukturierung ihrer Beteiligungen ankündigte.<br />
Im Zuge dieser Umstrukturierung erfolgte im Dezember 1996 der Verkauf des Indust-<br />
455 Die präsentierten Case Studies zum Forschungspartner Siemens haben ihren Ursprung in einer ersten<br />
Zusammenstellung allgemeiner Ergebnisse, die der Autor dieser Arbeit mit seinem Forschungskollegen Udo<br />
Fischer anfertigte, der ebenfalls im Team von Learning Dynamics die Partnerorganisation Siemens Building<br />
Technologies AG betreute. Diese ursprüngliche Zusammenstellung wurde für die speziellen Belange dieses<br />
Dissertationsprojekts nochm<strong>als</strong> grundlegend überarbeitet und ergänzt.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
rieteils der ELEKTROWATT an die SIEMENS AG. Aus juristischen Gründen wurde die<br />
Übernahme allerdings erst zum 1. Oktober 1998 rechtlich wirksam.<br />
Aus den Industriebeteiligungen der ELEKTROWATT und der SIEMENS GEBÄUDE-<br />
TECHNIK entstand so die SBT. Die ELEKTROWATT brachte einen Umsatz von<br />
5,4 Mrd. DM und 22.000 Mitarbeiter in das neue Unternehmen ein, SIEMENS einen<br />
Umsatz von 2,6 Mrd. DM und 8.000 Mitarbeiter.<br />
6.2.2 SBT <strong>als</strong> Teil der SIEMENS AG<br />
Im Geschäftsjahr 1999/2000 gab die SIEMENS AG <strong>als</strong> Mutterkonzern der SBT ihr bis-<br />
her bestes Ergebnis bekannt. Bei einem Umsatz von € 78,4 Mrd. konnte ein Gewinn<br />
nach Steuern und vor außerordentlichem Ergebnis von € 3,4 Mrd. erzielt werden.<br />
Themen, die dabei die SIEMENS AG dominierten, waren zum einen der Umbau des<br />
Unternehmens zur E-Company und zum anderen die konsequente Steigerung der<br />
Ertragskraft und des Unternehmenswerts durch die Weiterführung des erfolgreichen<br />
top+ Programms. 456<br />
Das operative Geschäft der SIEMENS AG war in sieben Arbeitsgebiete eingeteilt:<br />
Energie, Industrie, Information & Kommunikation, Medizin, Verkehr, Licht und Bau-<br />
elemente. SBT war <strong>als</strong> einer von vier Bereichen dem Arbeitsgebiet „Industrie“ zuge-<br />
ordnet.<br />
Die SBT mit Sitz in Zürich war der einzige Bereich der SIEMENS AG mit Stammhaus<br />
außerhalb Deutschlands und eigenen, vom restlichen SIEMENS-Konzern unabhängigen<br />
Landesgesellschaften der einzelnen Firmen. 457 So verfügten <strong>als</strong>o sowohl STAEFA,<br />
CERBERUS <strong>als</strong> auch LANDIS & GYR anfangs über eigene Landesgesellschaften.<br />
6.2.3 Organisation der SBT bei ihrer Gründung 1998<br />
Bei ihrer Gründung am 1. Oktober 1998 bestand die SBT aus vier Divisionen. Neben<br />
den Divisionen LANDIS & STAEFA und CERBERUS, die fast unverändert in die SBT<br />
integriert wurden, kamen das Facility Management und Project Business neu hinzu.<br />
456 Vgl. Dokument D64, D65.<br />
457 Ausser der SBT verfügt allerdings die OSRAM AG auch über eine eigene Vertriebsstruktur ausserhalb der<br />
Siemens Landesgesellschaften.<br />
189
190<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Die einzelnen Divisionen waren in unterschiedlichen Bereichen der Gebäudetechnik<br />
tätig: LANDIS & STAEFA war Spezialist für Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnik<br />
(HLK). Das Leistungsspektrum umfasst einzelne Komponenten wie Regler, Ventile,<br />
Sensoren und Steuergeräte, aber auch komplette Heizungs-, Lüftungs- und Klima-<br />
anlagen (HLK-Systeme). CERBERUS war spezialisiert auf den Bau von Sicherheits-<br />
anlagen zum Schutz vor Brand, Einbruch und unberechtigtem Zutritt. Dazu gehören<br />
komplette Systemlösungen und einzelne Komponenten wie etwa Brandmelder. In der<br />
elektronischen Sicherheitstechnik nahm Cerberus weltweit eine Führungsposition ein.<br />
Das FACILITY MANAGEMENT entlastete Gebäudebetreiber, indem es situationsbe-<br />
zogene Unterhaltskonzepte für Gebäude erarbeitete und Management- und Serviceauf-<br />
gaben selbst oder in Zusammenarbeit mit Partnerfirmen übernahm. Das<br />
PROJEKTGESCHÄFT hatte seinen Schwerpunkt in Deutschland, Österreich und<br />
Norwegen. Die Division war technischer Generalunternehmer für die gebäude-<br />
technische Infrastruktur in Großprojekten.<br />
Landis<br />
&<br />
Staefa<br />
Division<br />
Cerberus<br />
Division<br />
Siemens<br />
Facility<br />
Management<br />
Division<br />
Siemens Building Technologies<br />
Abbildung 50: Struktur der SBT bei ihrer Gründung<br />
(Quelle: Dokument D36)<br />
Project<br />
Business<br />
Division<br />
Im Gegensatz zur ELEKTROWATT AG, sah sich die SBT nicht länger <strong>als</strong> Finanz-<br />
sondern bereits <strong>als</strong> Strategieholding. Sie initiierte divisionsübergreifende Verände-<br />
rungsprojekte, wie die Implementierung einer Balanced Scorecard, 458 koordinierte das<br />
Zukunftsthema e-Business und widmete sich aktiv der strategischen Ausrichtung ihres<br />
Portfolios. Dennoch dominierte in den ersten beiden Jahren nach der Gründung der<br />
SBT das Subsidiaritätsprinzip, die Zusammenarbeit zwischen den Divisionen und der<br />
458 Vgl. nähere Informationen zur Methode der Balanced Scorecard in Kap. 6.4.1.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Zentrale. Somit ergaben sich bei den strategischen Projekten teilweise Irritationen<br />
bzgl. der Spielregeln der Zusammenarbeit und des Führungsverständnisses. Aus dem<br />
Holdingverständnis heraus war man seitens der Divisionen und Landesgesellschaften<br />
ein hohes Maß an Autonomie gewöhnt. Dieses wurde auch von Seiten der SBT bestä-<br />
tigt, indem sie sich weiter <strong>als</strong> Holding verstand. Angesichts der Ressourcen auf der<br />
SBT-Ebene war eine stärkere Führung auch nicht zu leisten.<br />
Auf der anderen Seite ergaben sich aus den hochoperativen Initiativen wie z.B. der<br />
BSC deutliche Eingriffe in das Geschäft der Organisationen. 459 Auch wurden den<br />
Divisionen von Seiten der SBT durch Planzahlen (<strong>als</strong> mathematische Exploration der<br />
gegenwärtigen Zahlen) zwar keine Strategien vorgeben, aber die Divisionen mussten<br />
aufgrund der Planzahlen Strategien entwickeln. Spannungsfelder ergaben sich da-<br />
durch, dass in Wachstum investiert werden musste, um die geforderten EBIT-Ziele zu<br />
erreichen, die das heutige Geschäft nicht mehr bringen konnte. Ein Manager bezeich-<br />
net SBT in diesem Zusammenhang <strong>als</strong> „strategisch unbedarft" und beschrieb ein<br />
„Strategievakuum“ zwischen SBT und den Divisionen. 460<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Auf den ersten Blick schien die Veränderung der SBT von einer Finanz- zu einer<br />
Strategieholding relativ geringfügig. Sieht man allerdings genauer hin, so wird offen-<br />
sichtlich, dass dieser geringe <strong>Wandel</strong> im Selbstverständnis der Holding zu weit-<br />
reichenden Veränderungen im Verhältnis zu den Divisionen führen musste und maß-<br />
geblich in den strategischen Initiativen spürbar wurde.<br />
Das Verhältnis zwischen SBT und den Divisionen kann aufschlussreich mit dem<br />
Begriff des Double Bind von BATESON beschrieben werden. 461 Nach BATESON ent-<br />
steht eine Double Bind Situation, wenn zwischen zwei oder mehr Personen/Parteien<br />
bei einer wiederholten Erfahrung ein primäres negatives Gebot (z. B. „tu dieses oder<br />
jenes nicht, oder ich werde dich bestrafen“ oder „wenn du dies oder jenes nicht tust,<br />
werde ich dich bestrafen“) auf ein sekundäres Gebot trifft. Das sekundäre Gebot muss<br />
dabei mit dem ersten auf einer abstrakteren Ebene in Konflikt stehen und wie das erste<br />
bestrafend wirken oder Signale verstärken, die das Überleben bedrohen („betrachte<br />
459 Vgl. zur BSC Kapitel 6.3.1.<br />
460 Vgl. Interview I55.<br />
461 Vgl. Bateson, 1981.<br />
191
192<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
mich nicht <strong>als</strong> die Strafinstanz“ oder „unterwirf dich nicht meinen Verboten“).<br />
Schließlich darf es dem Opfer nicht möglich sein, den Schauplatz bzw. die Beziehung<br />
zu verlassen. 462<br />
Im Hinblick auf das Verhältnis SBT/Divisionen findet man diese Zutaten zu einem<br />
Double Bind fast idealtypisch wieder: Das primäre Gebot besteht in der Anforderung<br />
bezüglich des Wachstums oder des EBIT: „Bringe nicht weniger <strong>als</strong> X % Wachstum<br />
oder EBIT, sonst werde ich dich bestrafen.“ Trotzdem wird ebenso auf der „höheren“<br />
oder anderen Ebene formuliert: „Wir sind eine Holding und führen die Organisation<br />
daher nicht.“ Schließlich kann die Division auch nicht aus dieser Situation fliehen.<br />
Derlei widerstreitende Gebote führen nach BATESON zur Ausbildung schizophrener<br />
Verhaltensweisen. Die Organisation weiß nun nicht mehr, auf welche Mitteilung sie<br />
reagieren soll. Nach BATESON besteht die normale Reaktion eines Individuums in<br />
einer Double Bind Situation darin, defensiv zu reagieren. So lässt sich auch die<br />
Reaktion der Divisionen, die BSC weder ganz abzulehnen noch ganz einzuführen,<br />
verstehen. Auch das Verhalten, kaum Strategien zu entwickeln und sich auf die<br />
Erreichung der EBIT-Ziele zu beschränken, kann <strong>als</strong> eine defensive Reaktion im Sinne<br />
des Double Bind verstanden werden. 463<br />
Das BSC Projekt erfüllte nun die Voraussetzungen, um das Double Bind zu verschär-<br />
fen. Mit der BSC griff SBT stark operativ in die Divisionen ein und überschritt damit<br />
einen Bereich, der bislang ausschließlich den Divisionen oblag. Verschärfend wirkte<br />
dabei auch sicherlich, dass die SBT für sich selbst keine BSC erstellte.<br />
Dieses Instrument, welches auf ein ganzheitliches Führungsverständnis abzielt, wendet<br />
sich gegen ein ausschließliches „Führen nach Finanzkennzahlen“. Der Umstand, dass<br />
man sich bei SBT gegen die Einführung einer BSC entschieden hatte, aber von den<br />
Divisionen ein solches Instrument forderte, kann auch <strong>als</strong> eine Ursache für den schlep-<br />
penden Fortgang des Projekts gesehen werden. Es stellt sich die Frage, ob durch ein<br />
„Vormachen“ seitens der SBT nicht auch das so oft bemängelte Commitment seitens<br />
der Divisionen stärker gewesen wäre.<br />
462 Vgl. ebenda.<br />
463 Vgl. Interview I55.
Wenn die<br />
Division nicht<br />
X% Ebit<br />
erreicht, dann...<br />
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
???<br />
Bereichsführung Wir sind eine<br />
Holding, wir<br />
führen die<br />
Divisionen nicht!<br />
Division<br />
Abbildung 51: Beispiel eines organisationalen Double Binds<br />
Im vorliegenden Fall war das Double Bind offensichtlich durch die Veränderung der<br />
Organisationsstruktur und die unterschiedlichen Führungsverständnisse der<br />
ELEKTROWATT und der SIEMENS bedingt. Während in der Holdingstruktur der<br />
ELEKTROWATT den Divisionen viel Autonomie eingeräumt wurde, war die Struktur<br />
der SIEMENS wesentlich hierarchischer angelegt.<br />
Eine Lösung für die Double Bind Situation konnte nur in der Unterscheidung der<br />
logischen Ebenen der Aussagen, d.h. einer eindeutigen Kommunikation liegen. Die<br />
notwendige Metakommunikation zur Markierung und Klärung der verschiedenen<br />
Kommunikationsebenen war aber bislang zwischen den Ebenen noch nicht erfolgt.<br />
Somit verschob sich der Konflikt jeweils in die strategischen Initiativen.<br />
6.2.4 Organisation der SBT nach der Restrukturierung 2000<br />
Am 1.10.2000 erhielt die SBT eine neue Struktur, mit vier statt bisher sechs Divisi-<br />
onen. Drei Gründe wurden dafür angeführt: Erstens entwickelte sich der Markt für<br />
Gebäudesicherheit zu einem großen und attraktiven Markt, an dem SBT mit Systemen<br />
und Dienstleistungen zu Zutrittskontrolle, Überwachung und Einbruchschutz partizi-<br />
pieren wollte. Dazu wurden vorhandene Aktivitäten der CERBERUS fokussiert und in<br />
die neue Division CERBERUS SECURITY ausgelagert. Zweitens war der Markt für<br />
Komponenten der Heizungs-, Lüftungs-, Klima-, Sicherheits- und Brandmeldetechnik<br />
infolge hoher Margen sehr interessant. Zur Forcierung des Komponentengeschäfts<br />
193
194<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
wurden LANDIS & STAEFA und CERBERUS deshalb jeweils in eine Produkte- und eine<br />
Solutions/System-Division geteilt. Dadurch entstanden die Divisionen<br />
LANDIS & STAEFA PRODUCTS, CERBERUS PRODUCTS (Alarmcom), LANDIS & STAEFA<br />
SOLUTIONS und CERBERUS FIRE. Schließlich wurden drittens das FACILITY<br />
MANAGEMENT und das PROJECT BUSINESS in der neuen Division INTEGRATED<br />
BUILDING SOLUTIONS zusammengeführt. Diese Reorganisation wurde den Führungs-<br />
kräften der Divisionen Ende Mai 2000 auf der jährlich stattfindenden Führungskräfte-<br />
tagung (Joint Management Meeting) von der SBT-Führung vorgestellt.<br />
LANDIS & STAEFA SOLUTIONS umfasste somit den Vertrieb von Systemen und Dienst-<br />
leistungen für Gebäude- und Energiemanagement. Das Geschäft bestand im wesent-<br />
lichen aus dem Verkauf von Heizungs-, Lüftungs- und Klimasystemen (HLK), auch<br />
Contracting genannt, dem Service für bestehende Anlagen und dem Performance<br />
Contracting, einem neuen Geschäftssegment, bei dem die garantierte<br />
Energieeinsparung nach dem Austausch einer alten Anlage die Investition in eine neue<br />
Anlage finanziert. LANDIS & STAEFA PRODUCTS war verantwortlich für die<br />
Entwicklung und Fertigung von HLK-Komponenten sowie deren Vertrieb,<br />
beispielsweise an OEM-Kunden. Produktionsorte befanden sich in Schweden,<br />
Finnland, Deutschland, Australien, Korea, den USA und der Schweiz.<br />
CERBERUS SECURITY entwickelte und vertrieb Systeme und Dienstleistungen für Zu-<br />
trittskontrolle, Überwachung und Einbruchsschutz. CERBERUS FIRE entwickelte und<br />
vertrieb Systeme und Dienstleistungen für Brandmeldung, Brandlöschung und Gas-<br />
warnung. CERBERUS PRODUCTS (Alarmcom) war verantwortlich für die Entwicklung<br />
und Fertigung von Sicherheits- und Brandmeldetechnik. Produktionsorte befanden<br />
sich in Deutschland, China, den USA und der Schweiz. INTEGRATED BUILDING<br />
SOLUTIONS war ein technischer Generalunternehmer für Gebäudeinfrastruktur und<br />
Gebäudemanagement mit Schwerpunkt in Deutschland.<br />
Umsatz BY 99/00<br />
(Mill. EUR)<br />
L&S Cerberus Facility<br />
Management.<br />
Project<br />
Business<br />
Total - SBT<br />
Europa 1.110 1.302 328 557 3.297<br />
Amerika 1.152 277 - - 1.429<br />
Asien/Pazifik 146 74 - - 220<br />
Total 2.408 1.653 328 557 4.947<br />
Tab. 1: Umsatzerlöse der SBT im Geschäftsjahr 1999/2000
Mitarbeiter BY<br />
99/00<br />
L&S Cerberus Facility<br />
Management<br />
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Project<br />
Business<br />
Total - SBT<br />
Europa 8.290 9.704 2.080 2.455 22.529<br />
Amerika 6.200 2.010 - - 8.210<br />
Asien/Pazifik 1.259 1.120 - - 2.379<br />
Total 15.749 12.834 2.080 2.351 33.233 464<br />
Tab. 2: Mitarbeiter der SBT im Geschäftsjahr 1999/2000 465<br />
6.2.5 Identitätsmerkmale Landis&Staefa<br />
Innerhalb der SBT begleitete das zweijährige Forschungsprojekt im wesentlichen<br />
Initiativen bei der L&S. Im Folgenden werden deshalb kurz die Identitätsmerkmale<br />
bzw. das Selbstverständnis der L&S beschrieben.<br />
Die L&S hatte <strong>als</strong> Marktführer in Europa ein breit angelegtes Geschäft. In großen<br />
Ländern wurden dabei 200 - 300 Aufträge pro Tag abgewickelt und in 20 - 40<br />
Vertriebsbüros wurden bis zu 20.000 Kunden bewirtschaftet. Im Mittelpunkt der L&S<br />
stand dabei der Verkauf eigener Produkte, Systeme und Serviceleistungen im Bereich<br />
HVAC 466 Controls and Building Automation.<br />
Ihre Wettbewerbsvorteile sah die L&S im wesentlichen in der starken lokalen Präsenz<br />
und der Qualität der lokalen Organisationen, dem HVAC und Building Management<br />
Know-how, dem umfassendsten Marktangebot (products/systems/services), der<br />
größten installierten Basis, der größten Kundenbasis und ihrer führenden Position in<br />
allen Segmenten. Dabei verfügte die Organisation über eine lange Erfahrung im<br />
Management unterschiedlicher Vertriebskanäle.<br />
Führung und Management waren geprägt von Transparenz, offenem Dialog und<br />
Vertrauen. Das Management strebte nach Einigkeit und einer „commitment culture”.<br />
Entscheidungen sollten dort entwickelt und getroffen werden, wo sie auch Auswir-<br />
kungen hatten (Subsidiaritätsprinzip).<br />
Generell wurde L&S EU <strong>als</strong> eine “stand-alone company” im SBT-Verbund gesehen,<br />
die ihre Führungsposition in Europa, dem mittleren Osten und Afrika eigenständig<br />
464 In dieser Zahl sind zusätzlich 115 Mitarbeiter der SBT Zentralverwaltung addiert.<br />
465 Vgl. Dokumente D38, D08, D54.<br />
466 HVAC steht hier für Heating, Ventilation, Air Conditioning und Cooling.<br />
195
196<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
stärken wollte. Synergien mit anderen SBT-Divisionen und innerhalb der SIEMENS<br />
wurden <strong>als</strong> zusätzliche Möglichkeiten („frost on cake“) 467 gesehen. Man war dabei<br />
insbesondere interessiert an zusätzlichen Wachstumsmöglichkeiten. Innerhalb der SBT<br />
sah man den Marktzugang in unterschiedlichen Divisionen <strong>als</strong> zwingend an, da insbe-<br />
sondere für L&S und CERBERUS aufgrund der fragmentierten Märkte, der hohen<br />
Marktanteile und der extrem großen Kundenbasis eine einheitliche Verkaufsstrategie<br />
der gesamten SBT für die L&S nicht geeignet erschien.<br />
Die Grundregeln für die Kooperation mir anderen SBT-Divisionen und SIEMENS im<br />
Bereich Marketing und Vertrieb sollte daher „always at arms length“ und „never on<br />
exclusivity basis“ sein. Als erste Priorität in der Zusammenarbeit mit SBT und<br />
SIEMENS wurde deshalb „never jeopardise our very high market shares“ formuliert.<br />
Möglichkeiten der strategischen Zusammenarbeit mit SIEMENS wurden vor allem in<br />
der Kombination der Stärken der L&S im Bereich der HVAC-control mit den<br />
SIEMENS Stärken im Bereich der Elektrik gesehen. Man versprach sich vor allem zu-<br />
sätzliche Verkäufe und Möglichkeiten der Kooperation im Technologie- und Einkaufs-<br />
bereich und dem SIEMENS Financial Service. Darüber hinaus sollte SIEMENS auch<br />
Türöffner für große Aufträge sein. 468<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Von besonderer Bedeutung für den Erfolg des Geschäfts und das Selbstverständnis der<br />
Organisation war die lokale Präsenz. Da die Organisation ihren strategischen Wett-<br />
bewerbsvorteil vor allem in der Kundennähe und dementsprechend in ihrer starken<br />
Vertriebsstruktur sah, entsprachen die Erhaltung der lokalen Strukturen und das aus-<br />
geprägte subsidiäre Kooperationsverständnis der eigenen Identität.<br />
Vor diesem Hintergrund waren die Vorstellungen über die Zusammenarbeit mit den<br />
anderen SBT-Divisionen und dem Mutterkonzern vor allem durch ein hohes Maß an<br />
Autonomie geprägt.<br />
Gerade die Betonung dieser Eigenständigkeit im Anschluss an den Merger zwischen<br />
LANDIS&GYR und STAEFA sowie die Übernahme durch die SIEMENS kann <strong>als</strong> eine<br />
verstärkte Sorge um die eigene Rolle innerhalb des Gesamtkonzerns gesehen werden.<br />
467 „Frost on cake“ bedeutet hier soviel wie das i-Tüpfelchen.<br />
468 Vgl. Dokument D58.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Wie die weitere Entwicklung zeigte, war diese Sorge auch nicht unberechtigt, da sich<br />
eine sukzessive Integration in die SIEMENS-LANDESGESELLSCHAFTen im weiteren<br />
Verlauf abzeichnete.<br />
Da aber gerade die starke Vertriebsstruktur und die Autonomie der Landesgesell-<br />
schaften zentrale Elemente in der Identität der Organisation waren, musste eine Ver-<br />
änderung dieser Strukturen zu einem tiefen <strong>Wandel</strong> des Selbstverständnisses führen.<br />
6.2.6 <strong>Wandel</strong>arenen bei SBT<br />
Während der Zeit, in der das Forschungsteam das Unternehmen begleitete, liefen<br />
mehrere parallele <strong>Wandel</strong>initiativen bei SBT und insbesondere bei Landis&Staefa. Sie<br />
hatten teilweise einen technischen Hintergrund wie z.B. die Integration der verschie-<br />
denen Produktfamilien und die Weiterentwicklung der Web-Aktivitäten. Teilweise<br />
stand aber auch der Austausch von best practices zwischen verschiedenen Teilen der<br />
SBT im Vordergrund.<br />
Vor allem zwei Initiativen sind aus den vielen <strong>Wandel</strong>projekten hervorzuheben. Beide<br />
Initiativen hatten im Rahmen der Strategie der L&S in der Folge der Unternehmenszu-<br />
sammenschlüsse und der Post Merger Integration besondere Bedeutung:<br />
Strategische<br />
Bedeutung<br />
der<br />
<strong>Wandel</strong>arenen<br />
Web DESIGO -Projekt<br />
Rolle PFC der SBT?<br />
Nichtangriffspakt<br />
BSC<br />
Veränderung<br />
des des Verhältnisses<br />
Verhältnis<br />
zu Siemens<br />
BSC DESIGO BSC<br />
Namensänderung<br />
ERP<br />
Netzwerkentwicklung<br />
CON<br />
Abbildung 52: Inhalte des <strong>Wandel</strong>s in der SBT 469<br />
Shared SharedServices Services<br />
Restrukturierung<br />
& Neue GL<br />
Verhältnis SBT Verhältnis SBT Verhältnis SBT Verhältnis SBT Verhältnis SBT Verhältnis SBT Verhältnis SBT Regional zu<br />
Siemens Heads Siemens Heads Siemens Heads Siemens Heads Siemens Heads Siemens Heads Siemens Heads<br />
Zum einen zielte man mit dem sogenannten DESIGO auf die Verschlankung der<br />
mergerbedingten Vielfalt an Produkten und Systemen. Zum anderen beabsichtigte man<br />
mit dem ERP durch die Standardisierung und Optimierung der Geschäftsprozesse und<br />
469 Die strategische Bedeutung und die zeitliche Zuordnung ist grob geschätzt. Die Abbildung soll ausschließlich<br />
eine grobe Orientierung über die <strong>Wandel</strong>situation des Forschungspartners vermitteln. „GL“ steht hier für<br />
Geschäftsleitung.<br />
Zeit<br />
Zeit Zeit Zeit Zeit Zeit Zeit Zeit<br />
197
198<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
der Implementierung einer neuen IT Plattform, die Effizienz, Produktivität und<br />
Qualität des Geschäfts zu verbessern.<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Die beiden zentralen strategischen Initiativen (DESIGO und ERP) im Anschluss an die<br />
Firmenzusammenschlüsse zielten in der Post Merger Phase jeweils auf Vereinheit-<br />
lichung und Standardisierung. Die verschiedenen Produktfamilien der ehem<strong>als</strong> selb-<br />
ständigen Firmen führten zu einer hohen Komplexität und, u.a. im Servicebereich, zu<br />
erhöhten Kosten. Eine ähnliche Situation ergab sich für den Bereich der europaweit<br />
ebenfalls mergerbedingten unterschiedlichen Geschäftsprozesse.<br />
Die Vereinheitlichung der Produkte und Geschäftsprozesse war daher eine logische<br />
Konsequenz, die erst die erwarteten Synergieeffekte des Zusammenschlusses<br />
erbringen sollte. Allerdings traf aufgrund der lokalen und subsidiären Orientierung der<br />
Organisation gerade dieser Eingriff den Kern der organisationalen Identität.<br />
6.3 Externer Kontext der Projekte bei SBT<br />
Im folgenden Abschnitt wird der externe Kontext der Initiativen der SBT dargestellt.<br />
Als externe Kontextfaktoren stellten die Marktsituation, die strategische Ausrichtung,<br />
die zurückliegenden Unternehmenszusammenschlüsse zwischen der LANDIS&GYR und<br />
der STAEFA CONTROL sowie die Übernahme durch die SIEMENS wichtige<br />
Einflussfaktoren im Rahmen der <strong>Wandel</strong>initiativen und der Identitätsbildung der<br />
Organisation dar. Darüber hinaus war das stark verankerte Subsidiaritätsprinzip von<br />
besonderer Bedeutung.
Partnerorganisationen<br />
SBT<br />
Migros<br />
Aare<br />
Externer Kontext<br />
Externer<br />
Kontext SBT<br />
Externer Kontext<br />
Kontext<br />
Externer Kontext<br />
Kontext<br />
Migros Migros Aare<br />
Aare<br />
6.3.1 Der Markt von Landis&Staefa<br />
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
<strong>Wandel</strong>inhalte<br />
<strong>Wandel</strong>inhalte<br />
(Projekte)<br />
(Projekte)<br />
BSC<br />
ERP<br />
PFC<br />
Postmerger- PMI- -<br />
projekte<br />
projekte<br />
Abbildung 53: Gedankenfluss Empirie<br />
Interner<br />
Kontext<br />
Analyse der<br />
Internen<br />
Kontexte<br />
<strong>Wandel</strong>prozesse<br />
Analyse der<br />
<strong>Wandel</strong>- -<br />
prozesse<br />
Die Marktposition der L&S EU wurde durch den Merger der beiden Firmen deutlich<br />
gestärkt. 470 Mit 30% Marktanteil war L&S EU Marktführer im Bereich HVAC in<br />
Europa. Die Nummer zwei, Honeywell hatte rund 15% Marktanteil, Johnson Controls<br />
<strong>als</strong> drittgrößter Anbieter 10% Marktanteil.<br />
Im Gegensatz zur weitgehend großkundenorientierten SIEMENS machte L&S das<br />
Hauptgeschäft mit vielen kleinen Kunden. 471 Die Stärke von L&S lag dabei in der<br />
differenzierten Vertriebsorganisation, der parallelen Bearbeitung verschiedener<br />
Vertriebskanäle sowie dem Management der dabei entstehenden Kanalkonflikte. Die<br />
Vielfalt an Vertriebswegen stellte dabei einen Unterschied zur Muttergesellschaft<br />
SIEMENS dar, welche hauptsächlich <strong>als</strong> Generalunternehmer am Markt auftrat.<br />
470 Vgl. zur Entstehungsgeschichte Kapitel 6.2.1.1.<br />
471 Vgl. Dokument D77.<br />
199
Erstausrüster<br />
Erstausrüster<br />
(OEM)<br />
(OEM)<br />
200<br />
Angebot<br />
Landis & Staefa<br />
L A A N N D D I I S S & & S S T T A A E E F F A<br />
A<br />
HLK-Installateur<br />
HLK HLKInstallateur<br />
HLK HLKInstallateur<br />
HLK Installateur<br />
E N N D D K K U U N N D D E<br />
E<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Grosshändler<br />
Grosshändler E-Commerce SystemSystemhäuserhäuser<br />
Angebot<br />
Kunden<br />
Beratung<br />
Abbildung 54: Vertriebskanäle im Building Control Markt<br />
(in Anlehnung an: Dokument D44).<br />
Die interne Wertschöpfung lag mit 64% für ein Industrieunternehmen vergleichsweise<br />
hoch. Dies war auch Resultat der speziellen Struktur von L&S EU, der Aufteilung auf<br />
die Zentrale L&S EU, die Produktionswerke und die verschiedenen L&S-Länder-<br />
gesellschaften und lokalen Vertriebsbüros. Deutschland war der wichtigste Markt für<br />
L&S EU, mit einem Umsatz in 98/99 von 571 Mio. DM, gefolgt von Frankreich mit<br />
210 Mio. DM. 472<br />
Eine Vergleichsstudie der Auftragsgrößen des gesamten HVAC-Markts von 1994 bis<br />
1997 in Europa zeigte, dass kleine Geschäfte (< 50 TDM) sehr stark und mittlere Ge-<br />
schäfte (50-280 TDM) stark zunahmen, hingegen große Millionenaufträge rückläufig<br />
waren. Vielfach wurden nur noch Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen getätigt, was<br />
sich in der Auftragsgröße niederschlug. Ein Mitglied der Geschäftsleitung brachte<br />
diesen, für die Unternehmung bedeutenden Umstand auf den Punkt: „Europa ist<br />
gebaut“. 473<br />
Die kleinen Geschäfte waren allerdings aus finanzieller Sicht interessanter, weil die<br />
Margen bei kleinen Aufträgen wesentlich höher waren <strong>als</strong> bei großen Aufträgen.<br />
472 Vgl. Dokument D44.<br />
473 Vgl. Interview I44.<br />
Planer<br />
Planer
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Untersuchungen ergaben, dass die Differenz zwischen angestrebten und tatsächlich<br />
realisierten Margen mit zunehmendem Projektumfang immer größer wurde – zu un-<br />
gunsten von L&S. Es stellte sich oft im Nachhinein heraus, dass Großprojekte nicht<br />
kostendeckend durchgeführt wurden. 474<br />
Über die Veränderungen der Auftragsgrößen hinaus waren mittel- und langfristig Ver-<br />
änderungen im Bereich der Markt- und Umweltbedingungen absehbar: Dazu zählten<br />
die Integration der Bereiche HVAC und Elektrik, der <strong>Wandel</strong> zu endkundenorien-<br />
tierten Gesamtlösungen und Dienstleistungen, die Entwicklung von effizienten Multi-<br />
Channel-Absatzstrukturen, mehr E-Commerce beim Produktverkauf und bei Dienst-<br />
leistungen sowie eine ökologisch einwandfreie Produktentwicklung bei gleichzeitig<br />
niedrigen Produktionskosten. 475<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Die zurückliegenden und noch bevorstehenden Marktveränderungen stellten die Orga-<br />
nisation L&S vor große strategische und organisationale Herausforderungen. Sowohl<br />
die technischen, wie auch die produktbezogenen Veränderungen wirkten sich auf die<br />
bestehende Organisationsstruktur, die zugrunde liegende soziale Logik und nicht<br />
zuletzt die Identität der Organisation aus.<br />
Die starke und differenzierte Vertriebsorganisation stellt dabei wohl das prägendste<br />
Element der bisherigen Struktur und des organisationalen Selbstverständnisses dar.<br />
Dies wurde nicht zuletzt in verschiedenen Strategieprozessen mit unterschiedlichen<br />
Managementebenen deutlich.<br />
Das strategische Selbstverständnis und die Stärke der Organisation wurde vom Mana-<br />
gement vor allem im Bereich der Kundennähe hoch eingeschätzt, während die Pro-<br />
duktführerschaft und die <strong>Prozess</strong>qualität nach Meinung des Managements weniger<br />
stark ausgeprägt war. Wie in der Abbildung durch die Pfeile angedeutet, zielten aller-<br />
dings die strategischen Veränderungen auf eine Erhöhung der Produkt- und Geschäfts-<br />
prozessqualität. TREACY und WIERSEMA weisen indes in diesem Zusammenhang<br />
474 Vgl. Interview I04.<br />
475 Vgl. Interview I53, Dokument D77.<br />
201
202<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
darauf hin, dass es für eine Organisation nahezu unmöglich ist, auf allen drei Dimensi-<br />
onen hohe Ergebnisse zu erzielen. 476<br />
Die beabsichtigen Veränderungen insbesondere der Geschäftsprozesse ließen aller-<br />
dings Rückwirkungen auf das organisationale Selbstverständnis erwarten.<br />
Operational<br />
excellence<br />
Product leadership<br />
Customer<br />
intimacy<br />
Abbildung 55: Strategische Positionierung nach dem Value Proposition Ansatz<br />
(Quelle: Dokument D77)<br />
Aus Sicht unseres Forschungsprojekts sollten diese Veränderungen <strong>als</strong> erstes in den<br />
entsprechenden <strong>Wandel</strong>initiativen zur Erhöhung der <strong>Prozess</strong>- und Produktqualität<br />
erwartet werden.<br />
6.3.2 Der Merger von STAEFA CONTROL und LANDIS&GYR<br />
1995 feierte die ELEKTROWATT ihr hundertjähriges Bestehen und damit eine lange<br />
Tradition <strong>als</strong> Stromversorger. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sie über die Strom-<br />
versorgung hinaus eine industrielle Entwicklung in angrenzende Ingenieurbereichen<br />
gemacht. Bis Mitte der neunziger Jahre hatte sie sich zu einer Finanzholding mit weit-<br />
gehend selbständig geführten Unternehmen wie der STAEFA CONTROL und der<br />
CERBERUS gewandelt. Die ELEKTROWATT <strong>als</strong> Dachorganisation hielt dabei die Rolle<br />
einer Holding ein und trat weder strategisch noch operativ in den Unternehmen auf. 477<br />
Bis 1994 bestand die ELEKTROWATT <strong>als</strong> Holding aus vier Personen. In der Folgezeit<br />
wurde sie durch die Berufung der Unternehmensleiter in die Geschäftsleitung der<br />
476 Vgl. Treacy und Wiersema, 1995.<br />
477 Vgl. Interview I04, I05.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
ELEKTROWATT ausgeweitet, was aber den Charakter der „freestanding Companies“<br />
unter dem Dach der ELEKTROWATT erhielt. 478<br />
Der 1995 angekündigte und 1996 vollzogene Merger zwischen der ELEKTROWATT-<br />
Tochter STAEFA CONTROL und der LANDIS & GYR zur LANDIS & STAEFA änderte den<br />
Charakter dieser Philosophie nicht. Erst der Verkauf der Industriebereiche der<br />
ELEKTROWATT 1996 durch ihren damaligen Besitzer, die CREDIT SUISSE, an die<br />
SIEMENS AG und die daraus neu gegründete SBT <strong>als</strong> SIEMENSbereich, konfrontierte<br />
die Firmen unter dem Dach der ehemaligen ELEKTROWATT sukzessive mit einem<br />
anderen Führungsverständnis. Die wettbewerbsrechtlich bedingte Übergangszeit für<br />
den Vollzug der Übernahme durch SIEMENS wurde zwar für den Vollzug des vorange-<br />
gangenen Mergers zwischen LANDIS&GYR und STAEFA CONTROL genutzt. 479 Aller-<br />
dings führte die Eingliederung in den Weltkonzern SIEMENS zu einem stärkeren<br />
Führungsanspruch und einer stärkeren Einflussnahme der SIEMENS AG. Dies bedeu-<br />
tete eine Einschränkung der relativ selbständigen Strategien der vorm<strong>als</strong> weitgehend<br />
autonomen Traditionsunternehmen. Zusätzlich musste die SIEMENS GEBÄUDETECHNIK<br />
in die Divisionen integrierte werden. 480<br />
Während das Selbstverständnis der Divisionen und der SBT noch immer geprägt war<br />
durch die Selbständigkeit aus der ELEKTROWATT-Vergangenheit und die Holding-<br />
Spielregeln, liefen die Erwartungen von Seiten der SIEMENS-Führung auf eine stärkere<br />
Integration der SBT <strong>als</strong> ein Industriebereich in der Konzernorganisation hinaus. 481<br />
Es ergaben sich somit zwei Fusionsprozesse: Die Integration der LANDIS&GYR und<br />
der STAEFA unter dem Dach der ELEKTROWATT sowie die Integration der ehemaligen<br />
ELEKTROWATT-Industrieunternehmen <strong>als</strong> neuer SIEMENS-Bereich SBT in die SIEMENS<br />
AG.<br />
Die Fusion der LANDIS&GYR und der STAEFA CONTROL brachte zwei Unternehmen<br />
zusammen, die vorher <strong>als</strong> erbitterte Wettbewerber auf dem gleichen Markt tätig<br />
gewesen waren. Hintergrund der Fusion war die strategische Überlegung der<br />
ELEKTROWATT ihr Portfolio an Industriebeteiligungen auszubauen. Um die STAEFA<br />
ähnlich gut zu positionieren wie die CERBERUS wurde die L&G zugekauft. Man war<br />
478 Vgl. Interview I04, I05.<br />
479 Vgl. Interview I04, I05.<br />
480 Vgl. Interview I20.<br />
481 Vgl. Interview I05, Beobachtung B111, Dokument D10.<br />
203
204<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
vor allem daran interessiert, die Building Control-Aktivitäten der L&G mit denen der<br />
STAEFA zusammenzubringen. Ein beteiligter Manager beschrieb den Merger zwischen<br />
der L&G und der STAEFA mit den Worten „Der Merger war ein Verschmelzen von<br />
zwei Organisationen.“ 482<br />
Die Verschmelzung der beiden Unternehmen stellte die neue Organisation vor große<br />
Integrationsherausforderungen. Bei L&G und STAEFA CONTROL bestanden<br />
zusammengenommen fünf verschiedene Produktfamilien (wozu dann durch die spätere<br />
Integration der SIEMENS GEBÄUDETECHNIK nochm<strong>als</strong> zwei weitere dazukamen). Die<br />
Verschlankung der Produktlinien durch eine einheitliche Managementstation<br />
(DESIGO) sollte die alte, durch die Merger aufgeblähte Produktpalette ersetzten.<br />
Allerdings bot die Entwicklung in der Folgezeit letztlich kaum einen Zusatznutzen für<br />
die Kunden. Ein Manager kommentierte dies mit den Worten: „We are spending<br />
money on the past, not on growth.” 483<br />
Ein zweites strategisches Projekt aus dem Merger der beiden Firmen stellte das im<br />
Folgenden untersuchte ERP dar. Ziel war, die Geschäftsprozesse in den verschiedenen<br />
europäischen Ländern zu harmonisieren und zu optimieren. Allerdings wurde diese<br />
Initiative nicht direkt im Anschluss an den Merger gestartet. Der Leiter der L&S<br />
Europa verschob diese für die Organisation gewaltige Herausforderung für drei Jahre<br />
nach dem Merger. 484<br />
In der Zeit nach dem Merger wurden kulturelle Unterschiede zwischen den Organisa-<br />
tionen deutlich. Diese Unterschiede wurden von den Interviewpartnern auf Seiten der<br />
STAEFA vor allem in der familiär geprägten Atmosphäre, dem kollegialen Führungs-<br />
stil, der technischen Orientierung und den kurzen Wegen gesehen. Dagegen wurde die<br />
L&G eher <strong>als</strong> marktorientierter, hierarchisch-multinationaler Konzern beschrieben. 485<br />
Gemeinsam war beiden Organisationen jedoch die starke regionale Verankerung. 486<br />
Ein ehemaliger L&G-Mitarbeiter und Mitglied der neuen Geschäftsleitung schildert zu<br />
den Unterschieden der beiden Firmen eine Anekdote: Als er während der Fusions-<br />
482 Vgl. Interview I04, I05.<br />
483 Vgl. Beobachtung B001.<br />
484 Vgl. hierzu auch Kapitel 7.1.2. Vignette „Erst einmal den Laden zusammenhalten“.<br />
485 Ein Interviewpartner bemerkte zu der regionalen Stellung der Landis&Gyr, dass in der Gegend wohl<br />
niemand heiratete ohne Landis&Gyr gefragt zu haben. Vgl. Interview I 14, I 42.<br />
486 Vgl. Interviews I51, I 14, I21.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
phase auf dem Weg zu einem Meeting im Aufzug mit einigen Mitarbeitern der ehe-<br />
maligen STAEFA fuhr, die ihn aber nicht kannten, machten diese sich darüber lustig,<br />
dass die Verteilerliste einer internen Mitteilung in Zukunft doppelt so lang wäre wie<br />
die eigentliche Mitteilung. 487<br />
Viele Interviewpartner – insbesondere aus unteren Hierarchieebenen – beschrieben<br />
noch nach fünf Jahren, dass Unterschiede im Umgang miteinander noch spürbar<br />
seien. 488 In einem Workshop mit einer technischen Abteilung wurden diese Unter-<br />
schiede durch zwei Bilder der beiden Organisation symbolisch dargestellt. Darin<br />
wurde die L&G <strong>als</strong> englischer Gentleman und die STAEFA <strong>als</strong> Cowboy dargestellt.<br />
Abbildung 56: Symbolische Darstellung der beiden Firmen<br />
(Quelle: (Muggli und Zimmermann, 1999, S. 8))<br />
Der <strong>Prozess</strong> des Zusammenschlusses war geprägt von dem beiderseits stark ausgebil-<br />
deten subsidiären Führungsverständnis. 489 Die damit verbundene Verlagerung vieler<br />
Fusionsentscheidungen und -kompetenzen auf die Länderebene führte zu einer<br />
Stärkung der lokalen Autonomie und einer Vielzahl verschiedener organisatorischer<br />
und in der Folge auch technischer Lösungen. Während das HQ damit bewusst die<br />
Komplexität reduzieren konnte, waren die Länder in der Umsetzung des Fusionspro-<br />
487 Vgl. Interviews I60, I61.<br />
488 Vgl. Interviews I14, I48, I65, I28, I29, I01.<br />
489 Vgl. zum Einfluss des Subsidiaritätsprinzips <strong>als</strong> kultur- und identitätsbildendes Strukturelement den<br />
folgenden Abschnitt.<br />
205
206<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
zesses weitgehend auf sich selbst gestellt. Die Subsidiarität ermöglichte ein freies<br />
Spiel der Kräfte, führte in dem mit solchen <strong>Prozess</strong>en meist unerfahrenen<br />
Landesmanagement stellenweise sogar zur „ethnischen Säuberung“. 490<br />
Beispielsweise schilderte ein Manager aus einem Vertriebsbüro, dass man zu Beginn<br />
nicht so recht gewusst habe, wie man nun auf die andere Seite zugehen sollte. Es<br />
bestanden in seinem Bereich zwei Vertriebsbüros – eines von L&G und eines von<br />
STAEFA – und er habe mehrm<strong>als</strong> versucht, den Leiter des Vertriebsbüros in seinem<br />
Gebiet zu erreichen. Schließlich habe er sich gefragt, warum er ihn denn überhaupt<br />
anrufen solle. Als er ihn dann schließlich erreicht habe, hätte man sich abends auf<br />
einer Autobahnparkplatz verabredet. Bei diesem Treffen ging es aus seiner Sicht<br />
darum, sich kennen zu lernen. Sein Gegenüber präsentierte dagegen einen dicken<br />
Ordner mit Folien. Insgesamt, so der Interviewpartner wäre das wohl eine „blöde Situ-<br />
ation“ gewesen, die man durch eine bessere Begleitung hätte verhindern können.<br />
Die zweite Fusion, die Übernahme der ELEKTROWATT-Firmen durch SIEMENS, wurde<br />
von den Beteiligten auf Seiten der ehemaligen ELEKTROWATT auch stets <strong>als</strong> ein<br />
„Merger“ bezeichnet. Alle Interviewpartner waren sich aber einig, dass es ein völlig<br />
anderer <strong>Prozess</strong> war. „Bei SIEMENS wurden wir eigentlich in die Organisation einge-<br />
steckt, wie ein neues Modul in einem Computer“, schilderte ein Manager auf der<br />
Bereichsebene den <strong>Prozess</strong>. Man habe sich bei SIEMENS für die Gebäudetechnik ent-<br />
schieden und sei deshalb auf Einkaufstour gegangen. „Es gab eigentlich keine Integra-<br />
tion.“ 491<br />
Für die Landesgesellschaften waren lange Zeit keine wesentlichen Umgestaltungen<br />
spürbar: „Mit der SIEMENS gab es keine großen Veränderungen, außer, dass nochm<strong>als</strong><br />
zwei technische Systeme hinzukamen, die betreut werden mussten“. 492 Trotzdem be-<br />
stand hinter vorgehaltener Hand stets die Frage, wie die eigenen Landesgesellschaften<br />
der LANDIS&STAEFA und übrigen SBT-Firmen <strong>als</strong> selbständige Unternehmen neben<br />
den zentralen SIEMENS-Landesgesellschaften fortbestehen würden. Außer der SBT<br />
verfügte sonst nur die OSRAM AG <strong>als</strong> einzige Konzerntochter von SIEMENS über<br />
eigene Landesgesellschaften. Man befürchtete, dass beide Firmen ihre Selbständigkeit<br />
nur so lange erhalten könnten, solange sich die Selbständigkeit der Vertriebsbereiche<br />
490 Vgl. Interviews I14.<br />
491 Vgl. Interviews I52.<br />
492 Vgl. Interviews I03.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
<strong>als</strong> ein Erfolgsmodell bewies und die Bereiche besonders profitabel waren 493 Eine<br />
erste Veränderung in dieser Richtung deutete sich im Oktober 2000 an, <strong>als</strong> die SBT<br />
umstrukturiert wurde und die traditionellen Unternehmen in Produkt- und System-<br />
divisionen aufgeteilt wurden.<br />
Ein nächster Schritt hin zu einer stärkeren Integration erfolgte dann mit der Benennung<br />
von REGIONAL HEADS <strong>als</strong> den Gesamtverantwortlichen der verschiedenen Divisionen<br />
in den Ländern. Wie bereits allgemein erwartet worden war, wurde damit die voll-<br />
ständige Integration in die zentralen SIEMENS-Landesgesellschaften zunehmend wahr-<br />
scheinlicher. 494<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Die Mergerprozesse bedeuteten auch das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Organi-<br />
sations- oder Konzernverständnisse. Insbesondere die Übernahme durch SIEMENS<br />
machte zwei sehr unterschiedliche Philosophien deutlich: Die ehemaligen ELEKTRO-<br />
WATT-Firmen verstanden sich <strong>als</strong> Anbieter spezialisierter Technologien im Markt der<br />
Gebäudetechnik. Ein SIEMENS-Manager formulierte dagegen den Anspruch der<br />
SIEMENS an sich selbst mit den Worten „der Kunde kann von SIEMENS alles erwar-<br />
ten“. 495 Dieses unterschiedliche Verständnis hatte bereits historische Wurzeln.<br />
So wurde bei SIEMENS bereits früh die Entscheidung getroffen, sowohl im Bereich mit<br />
der Kommunikationstechnik im Bereich „Schwachstrom“ (Telegraphen-Bauanstalt<br />
von Siemens & H<strong>als</strong>ke) <strong>als</strong> auch im Bereich „Starkstrom“ tätig zu sein. Die<br />
Akquisition von SCHUCKERT& CO. (Kraftwerksanlagenbau) stellte dabei eine<br />
Weichenstellungen zum Angebot eines sehr weiten Produktsortiments dar. 496<br />
Darüber hinaus bestand durch den frühen Aufbau zentraler eigener Landesgesell-<br />
schaften, die SIEMENS vor allem gründete, um öffentliche Aufträge besser zu bedienen,<br />
ein wesentlicher Unterschied zur ehemaligen ELEKTROWATT. SIEMENS verfügte bis<br />
1989 über eine zentrale Vertriebsorganisation, die alle Produkte (vom Kernkraftwerk<br />
bis zur „Weißen Ware“) für die verschiedenen Divisionen vertrieb. Unweigerlich<br />
wurden dabei durch den zentralen Vertrieb vor allem die starken Produkte verkauft.<br />
493 SBT war ausserdem der einzige Bereich mit einem Hauptsitz nicht außerhalb Deutschlands.<br />
494 Vgl. Beobachtung Interviews B067.<br />
495 Vgl. Beobachtung Interviews B111.<br />
496 Vgl. Feldenkirchen, 1997.<br />
207
208<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Die Bereichsstruktur mit 17 Bereichen – einer davon die SBT – waren dagegen in der<br />
SIEMENS erst 1989 gegründet worden. 497 Diesen Bereichen, welche die eigentliche<br />
Führung inne hatten, unterstanden Divisionen, auf deren Ebene die strategische<br />
Planung stattfand. Sie waren darauf angewiesen, intern um die Kooperation und das<br />
Commitment der Landesgesellschaften für den Vertrieb ihrer Produkte zu werben. 498<br />
Die Struktur und die SIEMENS-Landesgesellschaften waren damit Ausdruck einer<br />
zentralen Vertriebsorganisation, die weltweit so in den Ländern organisiert waren.<br />
Landesgesellschaften, wie die von L&S mit ihren Vertriebsbüros, gab es daher bei<br />
SIEMENS nicht.<br />
Das anfängliche Modell bei SBT ging dagegen auf die ELEKTROWATT zurück und ent-<br />
sprach dem Modell einer Holding. Hier gab es in der Vergangenheit nur einen kleinen<br />
zentralen Bereich und darunter die sehr autonom geführten Firmen CERBERUS und<br />
LANDIS&STAEFA. Diese hatten jeweils ihre eigenen Landesgesellschaften in den<br />
Ländern, welche wiederum über Filialen und Vertriebsbüros verfügten. Die Bereichs-<br />
organisation war dementsprechend weniger ausgeprägt <strong>als</strong> bei SIEMENS. 499<br />
Damit war für die L&S mit dem Merger auch die Befürchtung verbunden, dass das<br />
Geschäft, welches sehr von diesen Vertriebsbüros getrieben war und im Gegensatz zu<br />
SIEMENS stärker den direkten Kontakt zu kleinen und kleinsten Kunden (Handwerker)<br />
pflegte, untergehen würde, wenn die eigenen kleinen Landesgesellschaften in die<br />
großen SIEMENS-Landesgesellschaften integriert würden. 500<br />
Es standen sich somit zwei Konzernverständnisse gegenüber: Zum einen ein klassisch-<br />
zentralisierter Konzern, und zum anderen eine Holding, die wenig strategisch und<br />
operativ führte. Diese Hintergrundverständnisse oder „frames of reference“ stellen<br />
wichtige Bezugspunkte der Unternehmensidentität dar, bestimmen sie doch maß-<br />
geblich die Interaktionen zwischen der Konzernspitze und den Divisionen: 501<br />
Eine Holding bezieht i.d.R. ihre „Daseinsberechtigung“ aus dem Management des<br />
Portfolios, der Allokation von Ressourcen und nimmt keinen Einfluss auf das Geschäft<br />
497 Vgl. Interviews I60, I61.<br />
498 Vgl. Interviews I60, I61.<br />
499 Vgl. Interviews I60, I61.<br />
500 Vgl. Beobachtung B111.<br />
501 Vgl. Deiser, 1994.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
der Divisionen. Der Konzern versucht dagegen aus der Herstellung von Synergien<br />
zwischen den Bereichen, z.B. durch Kosteneinsparungen bei der Entwicklung neuer,<br />
übergreifender Technologien oder der Verbreitung von best practices, zusätzlichen<br />
Mehrwert zu generieren und leitet daraus auch sein Selbstverständnis ab.<br />
Gerade die immer wieder thematisierte schwierige (Führungs-)Rolle der SBT wird vor<br />
dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Konzernauffassungen nachvollziehbar. Aus<br />
der traditionellen Perspektive der Divisionen der SBT und ihrem eigenen Selbstver-<br />
ständnis heraus war nur ein kleiner Kopf nötig, der sich um Fragen der Nachfolge, der<br />
Beschaffung von Finanzen, der Kommunikation zu den Finanzmärkten und in seltenen<br />
Fällen auch um die Schaffung von Synergien kümmerte. Das SIEMENS-Verständnis<br />
entsprach dagegen eher dem eines klassischen Konzerns. 502<br />
Betrachtet man diese unterschiedlichen Konzernverständnisse vor dem Hintergrund<br />
der von COASE dargelegten Transaktionskostentheorie, so fällt der unterschiedliche<br />
Umgang mit den Kosten der Komplexität bei den beiden Organisationen auf. 503<br />
Im Rahmen der SIEMENS-Struktur wurden die Transaktionen - und damit die Trans-<br />
aktionskosten - sehr stark in das Unternehmen hereingeholt, da jeder Bereich für seine<br />
Produkte und Anliegen in den Regionalgesellschaften kämpfen musste. Diese Struktur<br />
erschwert es, führende Positionen mit Hilfe von Spezialisten auf dem Markt aufzu-<br />
bauen, weil das gesamte Geschäft von den Regionalgesellschaften vertreten werden<br />
muss. Auch der Verkauf von unprofitablen Teilen des Geschäfts widerspricht dieser<br />
Konzernvorstellung, weil es sich eben nicht um eine Holding, sondern um einen<br />
zentral geführten Konzern handelt. 504<br />
Dem Holdingverständnis entspricht es dagegen eher, die Komplexität so weit wie<br />
möglich nach außen zu verlagern. Die Business Units erhalten damit eine hohe Auto-<br />
nomie und Flexibilität im Aufbau eigener marktgerechter Strukturen.<br />
Die SBT stellte so gesehen noch einen Fremdkörper in der Struktur des SIEMENS-<br />
Gefüges dar. Ein Manager formulierte das mit den Hinweis: „SBT ist innerhalb der<br />
SIEMENS noch eine Insel für sich.“ 505<br />
502 Vgl. Interviews I60, I61.<br />
503 Vgl. Coase, 1937.<br />
504 Vgl. Interviews I60, I61.<br />
505 Vgl. Interview I45.<br />
209
210<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
6.3.3 Die Strategie der SBT: Vom Multi- zum Transnationalen Unternehmen<br />
Die strategische Ausgangssituation der Unternehmen unter dem Dach der SBT, insbe-<br />
sondere der LANDIS&STAEFA war durch die starke Stellung der Landesgesellschaften<br />
in Europa geprägt, die sich aufgrund des Mergerprozesses noch verstärkt hatte. Der<br />
strategische Einfluss sowohl der SBT- <strong>als</strong> auch der Divisionsführungen war durch das<br />
stark ausgeprägte subsidiäre Organisationsverständnis gegenüber den Ländergesell-<br />
schaften lange Zeit relativ gering. Angesichts der Anforderungen zur EBIT-Steigerung<br />
und der Herausforderung in dem neu entstandenen Umfeld innerhalb des SIEMENS-<br />
Konzerns ergaben sich Notwendigkeiten und Möglichkeiten zur Synergienutzung.<br />
Die strategischen Anstrengungen der verschiedenen <strong>Wandel</strong>projekte (z.B. ERP, BSC,<br />
DESIGO) hatten deshalb sowohl eine höhere „Operational Excellence“ <strong>als</strong> auch einen<br />
höheren „Customer Focus“ zum Ziel. Dahinter wurde der Ertragsdruck seitens des<br />
Mutterkonzerns sichtbar, aber auch das Bemühen durch eine höhere Differenzierung<br />
der Produkte und des Service einerseits und die Verbesserung der Kostenstruktur<br />
durch die Nutzung von Synergien andererseits, die gute Marktposition zu erhalten<br />
bzw. auszubauen.<br />
Relative<br />
Product/Service<br />
differentiation<br />
High<br />
Average<br />
Low<br />
Weak<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Customer Focus<br />
Average<br />
Strong<br />
Abbildung 57: Darstellung der strategischen Ausrichtung<br />
(Quelle: Dokument D58)<br />
Operational<br />
Excellence<br />
Relative cost<br />
position of<br />
delivered solution<br />
Multinationale Konzerne wie SBT mit einem stark „lokalen business“ stehen in einem<br />
starken Spannungsfeld: Einerseits führt die globale Integration der Technologien und<br />
<strong>Prozess</strong>e zu einer zunehmenden Standardisierung, andererseits erfordert die lokale Re-<br />
zeptivität bei diesen Konzernen auch die Berücksichtigung der lokalen Anforderungen.
Globale Integration<br />
schwach stark<br />
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Global Transnational<br />
International<br />
Strategische<br />
Strategische<br />
Strategische<br />
Strategische<br />
<strong>Wandel</strong>projekte<br />
<strong>Wandel</strong>projekte<br />
<strong>Wandel</strong>projekte<br />
<strong>Wandel</strong>projekte<br />
Shared Shared Shared Shared Services Services Services Services<br />
SBT<br />
tief hoch<br />
Lokale Rezeptivität<br />
Multinational<br />
SBT<br />
Abbildung 58: Globale Integration und Lokale Rezeptivität<br />
(Quelle: (Ghoshal und Norhira, 1993)<br />
Neben der hohen lokalen Wertschöpfung stellte die Kundennähe und die lokale Ab-<br />
stützung der Organisation einen langjährigen Wettbewerbsvorteil dar. 506 Firmen wie<br />
SBT stehen in Zeiten des technologischen, ökonomischen und kulturellen <strong>Wandel</strong>s vor<br />
der Herausforderung, von einer multinationalen zu einer transnationalen Struktur zu<br />
finden. Die vorher <strong>als</strong> „core capabilities“ entwickelten Strukturen, Kompetenzen und<br />
Identitäten einer Organisation können in einem solchen <strong>Prozess</strong> in Anlehnung an<br />
LEONHARD-BARTON dann allerdings zu „core rigidities“ werden, wenn sie den <strong>Prozess</strong><br />
des <strong>Wandel</strong>s aus der alten Logik heraus behindern. 507<br />
Neue Technologien und organisatorische Lösungen ermöglichen es mittlerweile, die<br />
beiden Dimensionen der globalen Integration und der lokalen Rezeptivität durch tech-<br />
nische Fortschritte stärker zu differenzieren. Allerdings stellt sich aus sozialer Logik<br />
weiterhin das Problem, dass Initiativen wie z.B. Shared Administrative Services, ERP<br />
u.ä. auch die Identität der oft sehr stark lokal verankerten multinationalen Organisa-<br />
tionen verändern. Angesichts der technologischen Möglichkeiten bestehen die Heraus-<br />
forderungen solcher <strong>Wandel</strong>prozesse primär nicht in der inhaltlichen, sondern in der<br />
sozio- und psychologischen Umsetzung.<br />
Die Veränderung der Marktposition vom Multi- zum Transnationalen Unternehmen<br />
sowie die damit häufig einhergehenden Fusionsprozesse und Einführungen einheit-<br />
506 Vgl. Interview I12.<br />
507 Vgl. Leonard-Barton, 1992.<br />
211
212<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
licher Informationsplattformen führen auf diese Weise oftm<strong>als</strong> zu Veränderungen der<br />
organisationalen Identität.<br />
6.3.4 Subsidiarität<br />
Das bereits an verschiedenen Stellen genannte Subsidiaritätsprinzip kennzeichnete<br />
besonders die Zusammenarbeit zwischen zentralen und dezentralen Unternehmens-<br />
einheiten bei SBT und LANDIS&STAEFA. Als wichtiger Kontextfaktor, der sich sowohl<br />
im Tagesgeschäft <strong>als</strong> auch bei den untersuchten <strong>Wandel</strong>projekten auswirkte, soll an<br />
dieser Stelle kurz seine Bedeutung skizziert werden. 508<br />
Trotz einzelner negativer Erlebnisse wurde die subsidiäre Vorgehensweise <strong>als</strong> wesent-<br />
licher Grund für den Erfolg des Mergers zwischen LANDIS&GYR und der STAEFA<br />
CONTROL gesehen. Das subsidiäre Organisationsverständnis prägte nach dem Merger<br />
sowohl die Zusammenarbeit zwischen der ELEKTROWATT- bzw. SBT-Führung und<br />
den Unternehmens- bzw. Divisionsleitungen <strong>als</strong> auch die Zusammenarbeit zwischen<br />
Unternehmens- bzw. Divisionsleitungen und den Landesgesellschaften. 509 Ein<br />
Manager beschrieb die Bedeutung dieses seit längerem praktizierten Führungsver-<br />
ständnisses und die sich daraus ergebenden Konflikte für die anstehenden <strong>Wandel</strong>-<br />
projekte mit den Worten: „Wenn man an so langer Leine führt, dann hat das grund-<br />
sätzlichen Charakter. Da kannst Du nicht sagen, in dieser Sachfrage lange Leine und<br />
da ganz kurz. Und mit dem ERP gehen wir natürlich in die andere Richtung. Das ist<br />
natürlich sehr stark zentralistisch orientiert.“ 510<br />
Der Begriff der Subsidiarität knüpft an den lateinischen Ausdruck subsidium an und<br />
kann übersetzt werden mit Hilfeleistung oder Unterstützung. Das auf die katholische<br />
Soziallehre zurückgehende Subsidiaritätsprinzip zielt darauf ab, dem Einzelnen oder<br />
untergeordneten Einheiten eines Systems möglichst viel Eigeninitiative und Selb-<br />
ständigkeit zu überlassen. Hilfsbedürftigkeit des Einzelmenschen oder kleinerer<br />
Gemeinschaften besteht nur dann, wenn bestimmte Aufgaben ihre Kräfte übersteigen.<br />
Die Unterstützung durch die übergeordnete Gemeinschaft wird vor allem in der Hilfe<br />
zur Selbsthilfe gesehen. 511<br />
508 Vgl. ausführlicher zu diesem Punkt Fischer, 2002.<br />
509 Vgl. Vgl. Beobachtung B005, B009, B017, B040;B041, B043, Interview I02, I25, I33, I34, I39, I51, I54.<br />
510 Vgl. Interview I21.<br />
511 Vgl. von Nell-Breuning, 1990, Lecheler, 1993, Waschkuhn, 1995.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Der Begriff, der in der politischen Diskussion im Zusammenhang mit der Föderalis-<br />
musdebatte erörtert wird, 512 bezieht sich im betriebswirtschaftlichen Kontext weniger<br />
auf die Hilfsbedürftigkeit einer Organisation <strong>als</strong> vielmehr auf die Entscheidungs-<br />
möglichkeiten untergeordneter Einheiten. Demnach sollten Entscheidungen so<br />
dezentral wie möglich und so zentral wie nötig getroffen werden.<br />
Für das strategische Management in subsidiär geführten Unternehmen ergibt sich<br />
damit ein Dilemma: Auf der einen Seite strebt man - insbesondere im Anschluss an<br />
Fusionsprozesse - eine Standardisierung von <strong>Prozess</strong>en, Tools, Managementpraktiken<br />
und Best Practices an, um Synergien zu nutzen. Auf der anderen Seite braucht man<br />
dezentrale Autonomie und Flexibilität, um über die Berücksichtigung lokaler Bedürf-<br />
nisse Innovation und Kundennähe zu erreichen.<br />
Identitätsbildende Wirkmomente dezentraler und zentraler Strukturen<br />
Merkmal<br />
(auf Sachebene)<br />
Dezentralisation Zentralisation<br />
Identitätsbildende<br />
Faktoren<br />
(auf Beziehungsebene)<br />
• erhöhte Flexibilität • höhere Selbständigkeit<br />
• Komplexitätsreduzierung<br />
höherer Ebenen<br />
• komplexere Entscheidungs-<br />
u. Konfliktprozesse<br />
• ortsnahe Problemlösung<br />
(u.U. suboptimal)<br />
• unterschiedliche<br />
Entwicklungen<br />
• Weniger zentrale<br />
Kontrollmöglichkeiten;<br />
Vertrauen<br />
nötig<br />
• eher symmetrisches<br />
Verhältnis<br />
• Raum für kreatives<br />
Potential und unterschiedliche<br />
Lösungen<br />
Merkmal<br />
(auf Sachebene)<br />
• erhöhte Standardisierung<br />
• Grösseneffekte<br />
• Entlastung tieferer<br />
Ebenen<br />
• top-down Führungsverständnis<br />
• Optimierung des<br />
Gesamtsystems,<br />
Effizienzsteigerung<br />
Tab. 3: Wirkungen dezentraler und zentraler Strukturen 513<br />
Identitätsbildende<br />
Faktoren<br />
(auf Beziehungsebene)<br />
• mehr Konformität<br />
• Mehr Einfluss zentraler<br />
Einheiten<br />
• eher asymmetrisches<br />
Verhältnis<br />
• Weniger Spielraum<br />
für Eigenentwicklungen<br />
Die aus strategischen Gründen initiierte Veränderung der Macht und der Entschei-<br />
dungskompetenzen in Richtung Zentralisation oder Dezentralisation bedeutet aber<br />
oftm<strong>als</strong> eine Veränderung der hierarchisch geprägten Beziehungen zwischen über- und<br />
512 Nur in föderalistischen Systemen ergibt sich die die Möglichkeit, Entscheidungskompetenzen auf<br />
verschiedenen Ebenen anzusiedeln. Vgl. dazu Lecheler, 1993;Waschkuhn, 1995.<br />
513 Vgl. dazu auch Waschkuhn, 1995, S. 84.<br />
213
214<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
untergeordneten Organisationseinheiten. 514 Veränderungen in die eine wie die andere<br />
Richtung haben somit spezifische Rückwirkungen auf die hier untersuchte Identitäts-<br />
bildung in strategischen <strong>Wandel</strong>prozessen.<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Die größte Herausforderung im Umgang mit dem Subsidiaritätsprinzip stellt die Art<br />
und Weise der Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen über- und untergeordneten<br />
Einheiten dar. Ähnlich wie bei der Initiierung von <strong>Wandel</strong> ist auch mit der Einfluss-<br />
nahme zentraler Einheiten in subsidiären Strukturen potentiell eine kritische implizite<br />
Botschaft verbunden: Der bestehende Zustand bzw. die aktuellen Ergebnisse entspre-<br />
chen nicht den Erwartungen bzw. sind so schlecht, dass sich die übergeordnete Einheit<br />
einschalten muss. Die Notwendigkeit eines zentralen Eingriffs bzw. zentraler Ent-<br />
scheidung bei gleichzeitiger Wertschätzung der unteren Einheiten trotz eines eventu-<br />
ellen Unvermögens plausibel zu machen, stellt hohe Anforderungen an die<br />
Beziehungsqualität und die <strong>Prozess</strong>kompetenz der Beteiligten.<br />
Der damit einhergehende <strong>Prozess</strong> der Klärung von Ist- und Sollzustand (Was) sowie<br />
der Vorgehensweise (Wie) beinhaltet stets auch ein - meist implizites - Aushandeln der<br />
Beziehungskonstellation und der damit verbundenen wechselseitigen Identitätszu-<br />
schreibungen.<br />
Es erscheint angesichts der dynamischen und komplexen <strong>Prozess</strong>e in Organisationen<br />
illusorisch, abschließend und allumfassend dezentrale und zentrale Verantwortlich-<br />
keiten und Zuständigkeiten zu definieren. Eine solche Vorstellung entspricht einer<br />
technokratischen Organisationsauffassung, die dem ständigen Aushandeln organisa-<br />
tionaler W i r k -lichkeiten in subsidiären Kontexten nicht entspricht.<br />
6.4 <strong>Wandel</strong>projekte bei SBT<br />
Nachfolgend werden die Projektinhalte, die den <strong>Wandel</strong> bei SBT inhaltlich<br />
beschreiben, kurz vorgestellt. Es handelt sich um die Einführung eines neuen strategi-<br />
schen Zielsystems der Balanced Scorecard, der Einführung eines SAP-gestützten<br />
Systems zum Management der Ressourcenplanung – ERP - sowie um den Aufbau<br />
eines neuen Geschäftssegments bei L&S (PFC).<br />
514 Vgl. ebenda, S. 83ff.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Das Ziel der nachfolgenden Darstellungen der Initiativen ist es, den Leser mit den<br />
Inhalten der Projekte vertraut zu machen und die Bezüge zu den treibenden Faktoren<br />
des externen Kontextes darzustellen.<br />
6.4.1 Balanced Scorecard (BSC)<br />
“In our mission statement, we have defined the businesses we want to be in and we have <strong>als</strong>o<br />
defined our vision in terms of an objective to attain a leading position in each of our<br />
businesses, everywhere. By ‘leading position’ we mean being better than the competition both<br />
from the perspective of our customers and with respect to overall profitability. We have<br />
defined strategies, organizational structures, business processes, cooperation mechanisms<br />
and cultural guidelines to enable us to achieve these objectives.<br />
Partnerorganisationen<br />
SBT<br />
Migros<br />
Aare<br />
Externer Kontext<br />
Externer<br />
Kontext SBT<br />
Externer Kontext<br />
Kontext<br />
Externer Kontext<br />
Kontext<br />
Migros Migros Aare<br />
Aare<br />
<strong>Wandel</strong>inhalte<br />
<strong>Wandel</strong>inhalte<br />
(Projekte)<br />
(Projekte)<br />
BSC<br />
ERP<br />
PFC<br />
Postmerger- PMI- -<br />
projekte<br />
projekte<br />
Abbildung 59: Gedankenfluss Empirie<br />
Interner<br />
Kontext<br />
Analyse der<br />
Internen<br />
Kontexte<br />
<strong>Wandel</strong>prozesse<br />
Analyse der<br />
<strong>Wandel</strong>- -<br />
prozesse<br />
But we will not succeed unless all our employees continually behave in a way that is<br />
consistent with our vision of achieving the leading position. The BSC is an excellent<br />
management tool that supports us in the implementation of this process. It <strong>als</strong>o forces to<br />
check our strategy for consistency and provides the framework for our action plans to achieve<br />
the objectives.” Oskar Ronner, CEO SBT 515<br />
515 Vgl. Dokument D04.<br />
215
Customers<br />
Processes<br />
216<br />
People<br />
Financial<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Actual Target Actual Target Actual Target<br />
Strategic Objectives Indicator 98/99 99/00 00/01 00/01 01/02 01/02<br />
1. Maintain a high brand recognition Recognition Index ...% ...% ...% ...% ...% ...%<br />
2. Achieve high customer loyalty Re-purchase Rate ...% ...% ...% ...% ...% ...%<br />
3. Increase market-share Mkt Share ...% ...% ...% ...% ...% ...%<br />
4. Recruit the Best Management talent Hit Rate ...% ...% ...% ...% ...% ...%<br />
5. Improve empowerment Empowerment Index …% ...% ...% ...% ...% ...%<br />
6. Improve employee loyalty Employee Turnover …% ...% ...% ...% ...% ...%<br />
7. Maintain Product Leadership Innovation Rate<br />
8. Improve efficiency in Project Management Project Margin<br />
9. Increase cross-selling with Siemens, SBT,<br />
...% ...% ...% ...% ...% ...%<br />
Divisions cross-selling ...DEM ...DEM ...DEM ...DEM ...DEM ...DEM<br />
10. Increase EVA EBIT, ROCE, NWC,<br />
EVA<br />
11. Grow maintenance business Sales Growth<br />
12. Grow security business Sales Growth<br />
Abbildung 60: Darstellung einer Balanced Scorecard aus einem BSC-Einführungsguide<br />
(Quelle: Dokument D04)<br />
Die Balanced Scorecard (BSC) wurde von KAPLAN/NORTON an der Harvard Business<br />
School in Boston entwickelt 516 und stellt ein Bindeglied zwischen langfristigen Visio-<br />
nen und Strategien eines Unternehmens und deren Umsetzung in Aktionen und Pro-<br />
jekten dar. Die Kernidee der BSC besteht darin, ein ausbalanciertes Zielsystem zur<br />
Implementierung der Strategie zu entwickeln, das nicht nur die finanziellen Kenn-<br />
ziffern, sondern auch die Zielperspektiven der Kunden, der Mitarbeiter und der inter-<br />
nen Wertschöpfungsprozesse berücksichtigt. Die nötigen strategischen Ziele (strategic<br />
objectives), Messgrößen (Indicators) und Ergebnisgrößen pro Quartal finden sich dann<br />
in einer Übersicht wieder, wie sie in Abbildung 61 dargestellt sind.<br />
Die BSC stellt keine Konkurrenz zu den geläufigen Management-Informations-<br />
systemen dar, sondern ist eine Ergänzung um langfristige strategische Aspekte. Sie ist<br />
folglich weniger ein Kontroll- <strong>als</strong> vielmehr ein Führungsinstrument. Im Mittelpunkt<br />
steht dabei vor allem der gesamte BSC-<strong>Prozess</strong> von der Visionsbildung über die<br />
Formulierung der Strategie, die Identifizierung der strategischen Ziele, die Definition<br />
der Indikatoren der einzelnen strategischen Ziele und die Bestimmung der Einfluss-<br />
größen (drivers) bis hin zur Definition der Messgrößen und Projekte. Dieser <strong>Prozess</strong><br />
516 Vgl. Kaplan und Norton, 1993;Kaplan und Norton, 1996a;Kaplan und Norton, 1996b;Kaplan und Norton,<br />
1996c.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
wird in Abbildung 61 dargestellt und wird im Sinne einer Anpassung an die aktuelle<br />
Strategie regelmäßig wiederholt.<br />
Vision<br />
Strategy<br />
1. Identify<br />
2. Define<br />
Indicators<br />
Strategic with actual<br />
Objectives and target<br />
(Translate for each<br />
Strategy) Strategic<br />
Objective<br />
Clarify Strategic Objectives<br />
Overall Process<br />
Balanced Scorecard<br />
3. Determine<br />
Drivers for<br />
each<br />
Strategic<br />
Objectives<br />
(Key Success<br />
Factors)<br />
Refine Strategy<br />
4. Define<br />
specific<br />
measures and<br />
Projects/Actions<br />
to address<br />
the high-leverage<br />
Drivers<br />
Define Drivers and Projects to Implement Strategy<br />
Abbildung 61: Abbildung des BSC Gesamtprozesses<br />
(Quelle: Dokument D04)<br />
6.4.1.1 Vorläufer der heutigen BSC-Implementierung<br />
Bei LANDIS&GYR wurde Anfang der 90er Jahre die Vision bereits an den Dimensi-<br />
onen „Outstanding Customer Value“, „Outstanding Investor Value“, „Better<br />
Processes“ und „Better Teams“ ausgerichtet. Erstm<strong>als</strong> nahm sich 1995 dann das<br />
Corporate Development der BSC an. In einer ersten Phase war die Einführung der<br />
BSC ab 1995 auf die USA fokussiert und ab 1997 auf Europa. Unterstützt wurde diese<br />
frühe Initiative durch ein Manager-Training für die Leiter der großen Vertriebsbüros,<br />
bei dem weltweit den Leitern die BSC erstm<strong>als</strong> vorgestellt wurde.<br />
Mit der Übernahme von LANDIS&GYR durch die ELEKTROWATT Ende 1995 und dem<br />
Merger mit STAEFA CONTROL Anfang 1996 kam die BSC-Implementierung zum<br />
Erliegen. Die Prioritäten der Führungskräfte lagen in dieser Zeit im operativen Bereich<br />
und zielten vor allem auf die Stabilisierung der neuen Unternehmung<br />
LANDIS&STAEFA. Nach der Devise „Stop all Meetings“ wurden deshalb in dieser<br />
Phase der Fusion rund 20 weitere strategische Initiativen eingestellt.<br />
217
218<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Mitte 1997 wurde das Thema BSC bei der ELEKTROWATT dann wieder aufgegriffen.<br />
Das Manager-Development-Training wurde neu initiiert und sah vor, während eines<br />
Zeitraums von 18 Monaten weltweit alle 580 Filialleiter mit dem Thema BSC vertraut<br />
zu machen. Von Seiten der Verantwortlichen erhoffte man sich, dass in den Landes-<br />
gesellschaften ein <strong>Prozess</strong> einsetzte, der, getrieben durch die Manager aus den<br />
Vertriebsbüros, eine BSC für jede Landesgesellschaft hervorbrächte. Zu dieser Zeit<br />
entstanden in den Filialen erste BSCs; von einer durchgängigen Implementierung<br />
konnte aber nicht gesprochen werden. Eine Führungskraft brachte es auf den Punkt:<br />
„Das Thema war im Dornröschenschlaf bis 1998.“ 517<br />
6.4.1.2 BSC Implementierung bei SBT und L&S EU ab 1998<br />
Ende 1998 ergriff der Bereichsvorstand, der neu gegründeten SBT die Initiative und<br />
legte Rahmenbedingungen für die bereichsweite Einführung der BSC fest. Diese sahen<br />
vor, die BSC in den Business Units aller vier Divisionen und ihren Landesgesell-<br />
schaften einzuführen. Den Functional Units aller Ebenen wurde es freigestellt, selbst<br />
eine BSC zu erstellen. Von Seiten der SBT wurde mit der BSC ein strategischer Denk-<br />
und Gestaltungsprozess angestrebt, der zu einer Harmonisierung lokaler Handlungen<br />
durch den Gebrauch einer gemeinsamen Sprache und Methodik führen sollte. 518<br />
Bei LANDIS&STAEFA EUROPA verband man darüber hinaus die Erwartung, den in<br />
einer Führungskräftebefragung ermittelten Mangel an strategischer Orientierung zu<br />
überwinden, der durch die operative Ausrichtung während der Mergerphase aufge-<br />
treten war.<br />
Im Januar 1999 bestimmte jede Division einen sogenannten Ambassador für die Ein-<br />
führung der BSC. Im Fall von LANDIS&STAEFA EUROPA wurde, wie auch bei den<br />
übrigen Divisionen, diese Position durch den Assistenten der Geschäftsleitung besetzt.<br />
Zusammen mit dem Corporate Development von SBT fand im gleichen Monat ein<br />
Kick-off Meeting zur Entwicklung eines Roll-out-Plans statt. 519<br />
Ab dem Frühjahr 1999 hatten die Ambassadoren die Aufgabe, die BSC-Implementie-<br />
rung in ihren Divisionen anzustoßen. Bei LANDIS&STAEFA EUROPA wurde entschie-<br />
den, die BSC in den laufenden Strategieprozess zu integrieren und die neue Roof<br />
517 Vgl. Interview I55, Beobachtung B004.<br />
518 Vgl. Beobachtung B006, B078, Interview I58, I36, I33.<br />
519 Vgl. Dokument D42, Interviews I55, I58.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Strategy mit Hilfe der BSC umzusetzen. Die Landesgesellschaften von<br />
LANDIS&STAEFA EUROPA hatten dazu den Auftrag, bis September 1999 ihre eigene<br />
Landesstrategie aus der Roof Strategy abzuleiten und daraus eine BSC zu erstellen.<br />
Unterstützt wurden die Länder in diesem Vorhaben von den Country Coaches. Die<br />
Ergebnisse blieben aber hinter den Erwartungen zurück.<br />
Initiiert durch das Corporate Development beschäftigte sich die SBT Bereichsleitung<br />
im September 1999 erneut mit der flächendeckenden Einführung der BSC. Zur Ent-<br />
scheidung stand ein Konzept zur Einführung der BSC durch ein großes Consulting-<br />
unternehmen. Diese Initiative wurde nach dem Motto „Wir lassen es uns was kosten“<br />
den Divisionen vorgestellt. Der Vorschlag stieß bei den bislang stets autonom geführ-<br />
ten Divisionen auf Zurückhaltung. Das Konzept wurde schließlich abgelehnt und statt<br />
dessen eine Lösung gewählt, die den beteiligten Divisionen stärkeren Einfluss und<br />
Eigeninitiative beließ. Dazu wurde die Organisation durch einen externen Berater in<br />
der Methodik der BSC geschult, sowie ein Coaching für die Divisionen und Landesge-<br />
sellschaften durch das Corporate Development von SBT angeboten.<br />
Im Herbst 1999 fand bei LANDIS&STAEFA EUROPA ein Geschäftsleitungsworkshop<br />
statt, bei dem sich die Führungskräfte die BSC auf ihre Fahne schrieben. Es galt, SBT<br />
zu beweisen, dass man die Einführung selbst professionell durchführen konnte. Man<br />
vereinbarte, die Methodik der BSC mit Hilfe des externen Beraters auf Workshops<br />
bekannt zu machen und die Implementierung in den Ländern durch die Country Coa-<br />
ches zu unterstützen. Dabei wurde auf eine Einführung über die Linie gesetzt, <strong>als</strong>o von<br />
LANDIS&STAEFA EUROPA, über die Landesgesellschaften bis zu den Vertriebsbüros.<br />
Man entschied sich damit gegen die Einführung über die Segmente, was zu einer<br />
höheren Kohärenz der strategischen Ziele und Projekte innerhalb der Segmente geführt<br />
hätte.<br />
Im November 1999 wurde den Divisionen von der SBT ein BSC-Einführungs-Guide<br />
zur Verfügung gestellt, der auf rund 20 Seiten Zweck und Methodik der BSC erklärt.<br />
Bei LANDIS&STAEFA EUROPA wurde dieser Einführungs-Guide durch einen Anhang<br />
ergänzt, der die spezifischen Rahmenbedingungen dieser Division berücksichtigte und<br />
festlegte, welche Einheiten eine BSC erstellen müssten und nach welchem Zeitplan<br />
dies ablaufen sollte. 520 Im November 1999 wurde den Leitern der Landesgesell-<br />
520 Vgl. Dokument D04, D02.<br />
219
220<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
schaften von LANDIS&STAEFA der Einführungsplan auf dem jährlich stattfindenden<br />
europäischen Management-Meeting vorgestellt. 521<br />
6.4.1.3 BSC-Einführung bei LANDIS&STAEFA Europa<br />
Der Anhang zum Einführungs-Guide sah vor, bis Dezember 1999 eine BSC für<br />
LANDIS&STAEFA EUROPA aus der Roof Strategy abzuleiten und jeweils eine BSC für<br />
jedes Segment in der Zentrale zu erstellen. Den Functional Units wurde es freigestellt,<br />
ob sie ebenfalls eine BSC erstellen wollten. Die Landesgesellschaften waren aufge-<br />
fordert, bis Mai 2000 eine BSC aus der Landesstrategie abzuleiten. Den Segmenten<br />
und Functional Units in den Landesgesellschaften war es wiederum freigestellt, eine<br />
BSC zu erstellen. Von den Filialen, die i.d.R. keine Unterteilung in Segmente und<br />
Functional Units mehr kennen, wurde eine BSC bis Juni 2001 erwartet.<br />
Auf eine zentrale Projektorganisation zur Koordination der Einführung der BSC wurde<br />
bewusst verzichtet, selbst ein Vorschlag für einen Erfahrungsaustausch zwischen den<br />
Functional Units wurde von der Geschäftsleitung abgelehnt. Die Länder sollten weit-<br />
gehend frei über Fragen der Implementierung innerhalb des gesetzten Rahmens ent-<br />
scheiden können.<br />
Die interne Trainings- und Beratungsabteilung (Learning Support Center) begleitete<br />
die Einführung der BSC teilweise in den Segmenten und Functional Units der Zentrale<br />
von LANDIS&STAEFA Europa. Ein wesentliches Element war dabei die Unterstützung<br />
der Gruppen, die eine BSC erstellten. Häufig wurde der Kick-off Workshop<br />
zusammen mit dem externen Berater durchgeführt, während das Learning Support<br />
Center den weiteren <strong>Prozess</strong> bis zur Fertigstellung der BSC moderierte.<br />
In der zentralen Unternehmensführung kam es im Laufe des Jahres 2000 zu einer<br />
Reihe von BSC-Implementierungen in Segmenten und Functional Units, die zum Teil<br />
mit der Restrukturierung der Divisionen von SBT im Oktober 2000 ins Stocken<br />
gerieten.<br />
6.4.1.4 Beispiele der BSC in Segmenten und Functional Units der Unternehmszentrale<br />
von LANDIS&STAEFA EU<br />
Nachfolgend werden kurz Beispiele zur Einführung der BSC in den Segmenten und<br />
Functional Units auf europäischer Ebene sowie auf der Ebene einer Landesgesellschaft<br />
521 Vgl. Interviews I55, I13.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
dargestellt. An den Beispielen wird die unterschiedliche Vorgehensweise bei der Ein-<br />
führung und Weiterentwicklung der BSC deutlich.<br />
Segment Core Service (CSV)<br />
Eine erste Version der europäischen BSC im Service Segment wurde aus dem strategi-<br />
schen Programm zur Weiterentwicklung des Servicegeschäfts heraus entwickelt. Die<br />
Weiterentwicklung des Servicegeschäfts war Teil der übergeordneten Roof Strategy<br />
der L&S EU. Diese Version der BSC wurde im November 2000 auf einer Service-<br />
leitertagung mit den Landesgesellschaften abgestimmt und weiterentwickelt. Ein<br />
Hauptziel dieses BSC-Workshops war es, eine europäische Dach-BSC für das Service-<br />
geschäft zu entwickeln und damit die bereits erarbeiteten Servicestrategien der Länder<br />
zu synchronisieren. Anfang 2001 diente dann eine Revision der BSCs im Service dazu,<br />
die Länder-BSCs im Service auf die europäische Service-BSC abzustimmen. 522<br />
Functional Unit Human Resources (HR)<br />
Den Functional Units wie dem HR oder dem Marketing war es auf der europäischen<br />
Ebene freigestellt, eine BSC zu entwickeln. Die Functional Unit HR erstellte während<br />
drei moderierter Workshops mit rund zehn Mitarbeitern eine eigene BSC. Begonnen<br />
hatte der <strong>Prozess</strong> schon 1999 mit der Formulierung eines neuen Leitbildes, das die<br />
strategische Relevanz des HR für den Erfolg der gesamten Unternehmung unter-<br />
mauern sollte. Um die Kohärenz zu wahren, diente die übergeordnete BSC von L&S<br />
<strong>als</strong> Grundlage und es wurde geprüft, zu welchen übergeordneten Zielen das HR einen<br />
Beitrag leisten konnte.<br />
Auf einer europäischen HR-Konferenz wurde ein Workshop zu Methodik und zum<br />
Vorgehen bei der Erstellung einer BSC durchgeführt und im Anschluss wurden mit<br />
den HR-Managern aus den Landesgesellschaften gemeinsame strategische Ziele defi-<br />
niert. Eine vollständige BSC für den Bereich HR in den Ländern wurde allerdings<br />
nicht erarbeitet, weil die Länder bei der Umsetzung der gemeinsamen Ziele größtmög-<br />
liche Freiheit haben und den lokalen Bedürfnissen gerecht werden sollten. 523<br />
Functional Unit Finance & Controlling (F&C)<br />
522 Vgl. Interview I34, I64.<br />
523 Vgl. Interview I60, I61.<br />
221
222<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
In der Functional Unit F&C wurde auf der europäischen Ebene die Erstellung der BSC<br />
mit dem Sonderprogramm „Fit for the Future“ gestartet. Das Programm zielte auf den<br />
Austausch von Best Practice aus dem Aufgabenbereich des F&C. Dabei ging es vor<br />
allem um die Frage, wo das F&C zum Geschäftserfolg der gesamten Unternehmung<br />
beitragen konnte. Es wurden zehn Bereiche für Verbesserungen identifiziert, wie z.B.<br />
die Verbesserung der Zahlungsbereitschaft. Die Themen wurden auf die Länder ver-<br />
teilt, die dann Treiber und Maßnahmen zur Verbesserung identifizierten. Die Vor-<br />
schläge dienten <strong>als</strong> Input bei der Erstellung einer BSC im F&C. Sowohl die Unter-<br />
nehmenszentrale wie auch die Länder wählten aus den Vorschlägen jeweils die Treiber<br />
aus, die ihnen für ihr Geschäft am geeignetsten erschienen. 524<br />
Segment Performance Contracting (PFC)<br />
Im Gegensatz zu den anderen Segmenten und Functional Units war die Einführung der<br />
BSC im PFC sehr viel stärker top-down getrieben. Die wichtigsten strategischen Ziele<br />
und Treiber wurden 1999 in der Zentrale definiert, die Länder ergänzten lediglich<br />
landesspezifische Gegebenheiten und versuchten eine Verbindung zur allgemeinen<br />
BSC der Landesgesellschaft herzustellen. Vorgestellt wurde die BSC anlässlich eines<br />
europäischen PFC-Manager-Meetings und anschliessend an die PFC Organisationen<br />
der Länder übergeben. Nachfolgende Meetings auf europäischer Ebene zeigten, dass<br />
fast alle Länder die BSC der Zentrale übernommen hatten und nur die Budgetziele pro<br />
Land angepasst wurden. Der <strong>Prozess</strong> zur Erstellung der BSC stand in diesem Segment<br />
mit dem schwer zu kalkulierenden Projektgeschäft offensichtlich nicht im Vorder-<br />
grund, sondern es ging primär um das Nachvollziehen und die Prognose der<br />
Geschäftsentwicklung. 525<br />
Interpretation im Gesamtkontext: Organisationen verändern die Werkzeuge und<br />
Werkzeuge verändern die Organisationen<br />
Die Beispiele zeigen, dass es in den einzelnen Abteilungen sehr unterschiedliche Ein-<br />
führungen und Umgangsweisen mit der BSC gab. Auch wenn es sich um die gleiche<br />
Methodik handelte, gab es bereits auf der europäischen Ebene ein sehr unterschied-<br />
liches Verständnis davon, wie man mit dem Werkzeug BSC umgehen sollte. Unter-<br />
schiede bestanden dabei vor allem hinsichtlich des Ausmaßes der zentralen Abstim-<br />
524 Vgl. Interview I56.<br />
525 Vgl. Interview I40.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
mung sowie der Art der Einführung. Insbesondere die eher <strong>als</strong> Rahmenvorgaben bzw.<br />
„Dach-BSC“ konzeptionierten Ansätze spiegeln deutlich das subsidiäre Führungs-<br />
verständnis der Organisation wider. Dieser Umgang mit der BSC stellt einerseits eine<br />
besondere Herausforderung dar, da es nicht dem „einfachen“ Bild eines kaskaden-<br />
förmigen top-down angelegten Strategieprozesses entspricht. Andererseits ist diese<br />
Vorgehensweise, die auf die Gestaltung von Rahmenbedingungen und die Einbe-<br />
ziehung der nachgeordneten Ebenen ausgerichtet ist, in einem subsidiären Kontext<br />
dazu geeignet, ein höheres Maß an Nachhaltigkeit zu erreichen.<br />
Nachteilig wirkten sich im Fall der L&S EU die starken Kontextveränderungen durch<br />
die Fusionen und Veränderungen in der Geschäftsleitung sowie das unterschiedlich<br />
kommunizierte Commitment der verschiedenen Führungsebenen aus. Beispielsweise<br />
muss man sich fragen, welche Bedeutung einer solchen Initiative beigemessen wird,<br />
wenn man auf einen Erfahrungsaustausch verzichtet und <strong>als</strong> Projektowner oder<br />
„Ambassadoren“ ausgerechnet die Assistenten der Geschäftsleitung benennt. 526<br />
6.4.1.5 BSC in der Landesgesellschaft Schweiz<br />
Nachfolgend wird der <strong>Prozess</strong> der Erstellung der Balanced Scorecard in der Landes-<br />
gesellschaft Schweiz und in der Region Ostschweiz vorgestellt. Im Anschluss wird ein<br />
strategisches Projekt der Landesgesellschaft Schweiz, die „Gesamtheitliche Kunden-<br />
bewirtschaftung“ näher vorgestellt, welches aus dem BSC-<strong>Prozess</strong> heraus entwickelt<br />
wurde. 527<br />
Die Einführung der BSC wurde in der Landesgesellschaft Schweiz <strong>als</strong> Kulturwechsel<br />
wahrgenommen. Unter der früheren Leitung der Landesgesellschaft hatte keine ausge-<br />
prägte Strategiearbeit stattgefunden. Entscheidungen von strategischer Relevanz<br />
blieben ausschließlich dem Geschäftsführer der Landesgesellschaft vorbehalten. In<br />
diesem Stil wurde auch die erste BSC für die Landesgesellschaft Schweiz „im stillen<br />
Kämmerlein“ entwickelt, um die Zentrale von LANDIS&STAEFA EUROPA zufrieden zu<br />
stellen. Mit einem Wechsel an der Spitze der Landesgesellschaft wurde die BSC ein<br />
wichtiges Element der Strategiearbeit, die damit gleichzeitig für weite Teile der<br />
Mitarbeiter geöffnet und nachvollziehbar wurde.<br />
526 Vgl. Beobachtung B015.<br />
527 Vgl. Beobachtungen B040, B054, Interviews I63, I03, I14, I42.<br />
223
224<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Im Oktober 1999 begann die systematische Einführung der BSC bei der Landesgesell-<br />
schaft Schweiz. Zu Beginn wurden generelle BSC-Ziele für die geplante Entwicklung<br />
der einzelnen Segmente erarbeitet und <strong>als</strong> Input für die Erstellung der BSCs in die<br />
Segmente weitergegeben. Bis Ende März 2000 wurde zunächst von jedem Segment<br />
durch ein BSC-Projektteam eine BSC erstellt, die dann zu einer übergeordneten<br />
Schweizer BSC integriert und koordiniert werden sollte. Die übergeordnete Schweizer<br />
BSC sollte dann die Grundlage für die Erstellung einer BSC in den Filialen sein.<br />
Bei der Erstellung der BSCs für die Segmente gingen die einzelnen Projektteams weit-<br />
gehend nach dem gleichen Muster vor. In drei halbtägigen Workshops wurden die<br />
strategischen Ziele für die Segmente erarbeitet, Treiber identifiziert, Messgrößen fest-<br />
gelegt und strategische Projekte oder Aktionen zur Erreichung der Ziele vorgeschla-<br />
gen. Dabei gab es keine Abstimmung mit den BSCs der Segmente auf europäischer<br />
Ebene.<br />
Ende März 2000 kam es zu einer ersten Koordination im Rahmen einer erweiterten<br />
Geschäftsleitungssitzung. Die Projektteams stellten hierzu jeweils ihre Segment-BSC<br />
vor. Dabei wurde deutlich, dass die Zahl der strategischen Ziele und Aktionen viel zu<br />
groß war. Insgesamt brachten es die vier BSCs aus den Segmenten auf über 50 Vor-<br />
schläge. Aus diesem Grund wurde vereinbart, bis zur abschließenden Konsolidierung,<br />
die wichtigsten zwei bis vier Ziele und Aktionen je Segment festzulegen.<br />
Im Rahmen einer späteren erweiterten Geschäftsleitungssitzung wurden dann die<br />
BSCs aus den Segmenten zu einer BSC für die Landesgesellschaft Schweiz zusam-<br />
mengeführt. In zwei Gruppenarbeiten wurden jeweils aus den BSCs der Segmente die<br />
wichtigsten Ziele und Aktivitäten ausgewählt und auf ihre inhaltliche Konsistenz hin<br />
überprüft. Zusätzlich wurden generelle Ziele und Aktivitäten für die Dimensionen<br />
Kunden und Mitarbeiter definiert sowie die Teilergebnisse der Arbeitsgruppen in einer<br />
Gesamt-BSC konsolidiert und verabschiedet. 528<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Im Rahmen der Einführung der BSC auf der Ebene der Landesgesellschaft ist bemer-<br />
kenswert, dass sich die Organisationsstruktur im Aufbau dieses strategischen Projekts<br />
deutlich wiederfindet. Der <strong>als</strong> Top-Down und Bottom-up <strong>Prozess</strong> zu beschreibende<br />
Verlauf dieses Projekts nutzte die bestehenden Segmentstrukturen und schloss damit<br />
528 Vgl. Interview I63.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
an die bestehenden Kommunikationsgemeinschaften an. Allerdings bringt dieses Vor-<br />
gehen ein hohes Maß an Integrationsanforderung seitens der Geschäftsleitung mit sich.<br />
Die strenge Aufteilung des strategischen <strong>Prozess</strong>es in die einzelnen Segmente führte<br />
darüber hinaus auch nicht zu einem Austausch zwischen den Segmenten.<br />
6.4.1.6 Beispiel eines strategischen Projekts aus der BSC der Landesgesellschaft<br />
Schweiz – „Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung“<br />
Nachfolgend soll anhand eines strategischen Projekts ein Beispiel präsentiert werden,<br />
wie die BSC auf Landesebene strategische Veränderungen initiierte. 529<br />
Das strategische Projekt „Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung“ (GKB) aus der<br />
BSC des Segments Contracting wurde während einer erweiterten Geschäftsleitungs-<br />
sitzung <strong>als</strong> besonders wichtig eingestuft.<br />
Bereits über lange Jahre wurde in der Landesgesellschaft Schweiz eine kontinuierlich<br />
professionelle Kundenbewirtschaftung betrieben. Von zentraler Bedeutung für den<br />
langjährigen Erfolg war dabei die Kundennähe des Vertriebs. Charakteristisch für<br />
diese Kundennähe waren die persönlichen Beziehungen der Verkäufern von LANDIS&-<br />
STAEFA zu den Einkäufern der Kunden sowie die starke regionale Verankerung des<br />
Verkaufs in den Filial- und Vertriebsbüros, die in dieser Form bei der Konkurrenz<br />
nicht zu finden war.<br />
Die vertrauensvollen langjährigen Beziehungen zu den Kunden und deren weitgehend<br />
stabilen Organisationsformen waren allerdings in den letzten Jahren tiefgreifenden<br />
Strukturveränderungen unterzogen. Großkunden, vornehmlich des Segments<br />
Contracting, wie die ehemaligen Schweizer Staatsbetriebe PTT, SBB oder SWISSCOM<br />
wurden privatisiert, Banken und andere Kunden aus Industrie und Dienstleistung<br />
organisierten sich vermehrt dezentral in Profitcenter-Strukturen oder fusionierten.<br />
Diese organisationalen Veränderungen der Kunden blieben nicht ohne Folgen für die<br />
Kundenbewirtschaftung bei L&S, bedeuteten sie doch, dass sich die Ansprechpartner<br />
im Einkauf der Kunden veränderten oder gar ganze Einkaufsabteilungen reorganisiert<br />
wurden. In aller Regel waren bei Großkunden verschiedene Einkäufer Ansprech-<br />
partner für den Vertrieb bei L&S Schweiz. Diese richteten sich häufig nach der Auf-<br />
tragsgröße oder Auftragsregion des Kunden. Erschwerend für die Kundenbewirt-<br />
529 Vgl. Beobachtungen B071, B025, B094, B097, Dokumente D57, D13, D07, D37, D52, D45, D67, D66.<br />
225
226<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
schaftung kam hinzu, dass die regionale Aufteilung der Großkunden häufig nicht mit<br />
der von L&S Schweiz übereinstimmte und so eine interne, schweizweite Koordination<br />
dieser überregionalen Kundenbeziehungen nötig wurde. Diese veränderten Anfor-<br />
derungen führten zu einer erhöhten Komplexität bei der Planung und Durchführung<br />
der Kundenbewirtschaftung.<br />
Das Ziel des Projekts „Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung“ bestand nun darin,<br />
diese zunehmende kundenseitige Komplexität und Dynamik zu bewältigen. Gleich-<br />
zeitig sollte ein Umsatzwachstum bei Kunden mit weiterem Potential erschlossen<br />
werden, ohne allerdings die Beziehungen zu kleineren Kunden zu vernachlässigen.<br />
Mit der Ausarbeitung eines Konzepts für die Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung<br />
wurde ein Projektteam, bestehend aus vier Mitgliedern des ursprünglichen Teams für<br />
die BSC im Segment Contracting und zwei weiteren Mitarbeitern, beauftragt. Aus dem<br />
vorangegangenen Projektteam waren der Marketing- und der Verkaufsleiter sowie<br />
zwei Filialleiter vertreten. Neu hinzu kamen der Leiter des Service und ein weiterer<br />
Mitarbeiter mit besonderen Erfahrungen im Bereich Key Account Management.<br />
Die Projektdauer wurde mit vier Monaten veranschlagt. Geplant waren insgesamt vier<br />
Projektsitzungen, eine Information an einer erweiterten Geschäftsleitungssitzung zum<br />
Stand des Projekts sowie abschließend die Bewilligung des ausgearbeiteten Konzepts<br />
durch die erweiterte Geschäftsleitung. Darüber hinaus kam es zu zwei Reviewsitzun-<br />
gen, in denen der Fortgang der Umsetzung überprüft wurde.<br />
Die erste Projektsitzung begann der Projektleiter mit einem Rückblick auf die noch<br />
kurze Historie des strategischen Projektes GKB. Diese Einführung bezog alle Team-<br />
mitglieder mit ein, weil vorher nicht alle an der Entstehung der BSC im Contracting<br />
oder an der erweiterten Geschäftsleitungssitzung Ende Mai 2000 beteiligt waren.<br />
Zum Projektstart wurde mit Hilfe der Brainwriting-Methode versucht, Ideen für eine<br />
gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung zu generieren. Dazu wurden Antworten zu<br />
sechs Fragen zur Kundenbewirtschaftung von jedem Teilnehmer gesammelt. Auf diese<br />
Weise wurde innerhalb kürzester Zeit rund 100 Ideen produziert und im weiteren<br />
Verlauf allen Beteiligten zur Verfügung gestellt.<br />
An der zweiten Sitzung gab es zur Inspiration der weiteren Arbeit zwei Impulsreferate<br />
externer Referenten über die Möglichkeiten der bestehenden Marketingsoftware zur<br />
gesamtheitlichen Kundenbewirtschaftung und zum Key Account Management.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Aus den Ideen des Brainwriting und dem Input aus den beiden Referaten, wurden fünf<br />
Teilprojekte definiert, und in der darauffolgenden Sitzung näher spezifiziert. Im<br />
einzelnen ging es dabei um die Planung von Vertriebs- und Marketingaktivitäten, ein<br />
Konzept zur Verkaufsinfrastruktur, die Marktsegmentierung im Contracting in<br />
Kundengruppen (Endkunden, Absatzmittler, Beeinflusser), die Erstellung von Listen<br />
für die Planung, Durchführung und Dokumentation der Kundenbewirtschaftung sowie<br />
die operative Umsetzung einer gesamtheitlichen Kundenbewirtschaftung.<br />
Durch einen Lenkungsausschuss sollten auf Vorschlag der Regionen Kunden festge-<br />
legt werden, die vornehmlich nach einer intensiven gesamtheitlichen Kundenbewirt-<br />
schaftung zu betreuen wären. Darüber hinaus wurde die Schaffung eines Aktionsplans<br />
vorgesehen, der geplante Kundenaktivitäten über das Jahr hinweg dokumentieren und<br />
koordinieren sollte.<br />
In der vierten und abschließenden Sitzung wurde die Konzeption für den Lenkungs-<br />
ausschuss wie auch ein Grundgerüst für den Aktionsplan vorgestellt und weiterent-<br />
wickelt. Anschließend definierten die Teilnehmer den <strong>Prozess</strong> zur Einführung. Für den<br />
Aktionsplan wurde dabei lediglich ein Grundgerüst festgelegt und die konkrete Aus-<br />
gestaltung den verantwortlichen Verkäufern überlassen. Ohne ins Detail zu gehen,<br />
wurden Aktionen wie Kundenbesuche, kulturelle Events, Usertagungen, eine Kunden-<br />
zeitschrift etc. beschlossen.<br />
Ein halbes Jahr nach Abschluss des Projekts kam es zu einer ersten Review im GKB<br />
Projekt, bei dem der Status kontrolliert und Erfahrungen ausgetauscht wurden. Die<br />
Betreuung der durch das GKB-Projekt identifizierten Kunden hatte in der Zwischen-<br />
zeit Einzug in die persönlichen Zielvereinbarungen der Verkäufer gefunden. Ebenfalls<br />
initiiert durch das GKB-Projekt war die erste Ausgabe einer Kundenzeitschrift<br />
erschienen, die zukünftig halbjährlich für alle Kunden herausgegeben werden sollte.<br />
Das GKB-Team hatte sich darüber hinaus zu einem Raum weiterentwickelt, über den<br />
neue Ideen und Themen in Bezug auf die Kundenbewirtschaftung in die Organisation<br />
der Landesgesellschaft einfließen konnten. So wurden bei der ersten Review Konzepte<br />
des Customer Relationship Managements (CRM) und deren Potential für die Gesamt-<br />
heitliche Kundenbewirtschaftung diskutiert. 530<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
227
228<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Im vorliegenden Fall des GKB handelt es sich um die Umsetzung eines strategischen<br />
Projekts aus der BSC eines lokalen Geschäftssegments heraus. Das Projektteam setzte<br />
sich aus Mitgliedern unterschiedlicher Bereiche zusammen und erhielt zusätzlich noch<br />
Input von außen durch Gastreferenten, um eine strategische Idee umzusetzen. Die<br />
Gründung und Zusammenarbeit wurde dabei initiiert durch die BSC und führte zur<br />
gemeinsamen Erarbeitung eines Konzepts. Anders <strong>als</strong> bei einer Konzeptentwicklung<br />
im stillen Kämmerlein wurde um Begriffe gefeilscht, Wichtiges von Unwichtigem<br />
unterschieden, um letztlich gemeinsam eine Strategie zu entwickeln. Die BSC gab<br />
damit einen Rahmen, der den gemeinsamen Strategieprozess ermöglichte und die<br />
Umsetzung der Maßnahmen unterstützte.<br />
Die organisatorische Form eines interdisziplinären Teams, welches für eine vorüber-<br />
gehende Zeit an einer konkreten strategischen Aufgabe arbeitet kommt der Vorstellung<br />
einer Community of practice bereits sehr nahe. Wenngleich es sich hierbei nicht um<br />
eine informelle Gruppe handelte, wies das Team durch die Nutzung und Weiterent-<br />
wicklung bestehender Wissensstrukturen und sozialer Praktiken sowie das starke<br />
Engagement für ein gemeinsames Anliegen wesentliche Aspekte einer Community of<br />
practice auf. 531<br />
6.4.1.7 Die Einführung der BSC bei SBT US<br />
Die folgende Beschreibung von der Einführung und vom Umgang mit der BSC in den<br />
USA zeigt deutliche Unterschiede gegenüber dem BSC-Ansatz bei L&S EU. Sie stützt<br />
damit die bereits angeklungene Feststellung, dass Methoden wie z.B. die BSC die<br />
Organisationen verändern, dass aber auch der Einsatz solcher Management-Tools sehr<br />
stark durch den organisatorischen Kontext geformt wird. 532<br />
Die Einführung der BSC in den USA erfolgte im Zuge der Implementierung einer<br />
sogenannten „Total Solution Strategie“. Im Vordergrund stand dabei die Umsetzung<br />
der Strategie und nicht die Einführung der BSC. Aus der Sicht des Managements<br />
stellte sie lediglich eine gute Ergänzung zum Total Solution-Ansatz dar, weil sie die<br />
Aufmerksamkeit auf die Wertschöpfungsprozesse mit den entsprechenden Indikatoren<br />
lenkte.<br />
530 Vgl. Interview I63<br />
531 Vgl. Brown und Duguid, 1991;Wenger, 1998;Wenger und Snyder, 2000 und Kapitel 5.4.1.<br />
532 Vgl. Interview I57, I50, I19.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Aufbauend auf eine bereits früher eingeführte Methodik des „Outstanding Customer<br />
Value“ (OCV), durch die bereits drei Dimensionen der Geschäftstätigkeit erfasst<br />
wurden, erfolgte 1995 bis 1997 erstm<strong>als</strong> eine Umstellung der darin enthaltenen „busi-<br />
ness indicators“. Damit wurde aber noch nicht die BSC eingeführt. Erst 1996 wurde<br />
die neue Total Solution Strategie entwickelt und neun Monate später mit Hilfe der<br />
BSC ausgerollt. Im Mittelpunkt dieser Strategie stand die Überlegung, den Angebots-<br />
prozess abzukürzen und ausgewählten Kunden durch guten Service und hohe Qualität<br />
auch höhere Margen abgewinnen zu können.<br />
Der Roll-out der BSC zu dieser Strategie erfolgte per Email. Es gab keinen Einfüh-<br />
rungsprozess bei dem die Vertriebsbüros auf diese Methode vorbereitet oder, dem<br />
europäischen Beispiel vergleichbar, mit einzelnen Business Units oder Abteilungen<br />
Workshops veranstaltet wurden. Zur Vorbereitung diente lediglich ein Manager<br />
Development Training, bei dem die Leiter der großen Vertriebsbüros einen Tag lang<br />
mit dem Konzept der BSC vertraut gemacht wurden. Zur Vorbereitung auf dieses<br />
Training wurde den Beteiligten eine CD mit einem Computer Based Training zuge-<br />
sandt.<br />
Die BSC war verbunden mit einem webbasierten Software-Programm, bei dem die je-<br />
weiligen Vertriebsbüros über ihre eigenen Zahlen sowie die landesweite Entwicklung<br />
informiert wurden. Die einzelnen Niederlassungen und Distrikte erfuhren aus Gründen<br />
der Vertraulichkeit allerdings nichts über die Zahlen anderer Niederlassungen.<br />
Im Gegensatz zur Situation in Europa war die strategische Situation in Nordamerika<br />
insgesamt durch einen homogenen Markt und eine Kontinuität in der Führung der<br />
Organisation geprägt: Es gab nur zwei Länder (USA und Kanada) mit weitgehend<br />
gleicher Sprache. (Zum Vergleich dazu existieren in Europa 22 Länder). Die ca. 90<br />
Vertriebsbüros wurden im wesentlichen vom HQ zentral geführt.<br />
Inhaltlich war SBT auf dem amerikanischen Markt fast ausschließlich auf das System-<br />
geschäft beschränkt. Anders <strong>als</strong> in Europa war in den USA kein zusätzliches Produkt-<br />
geschäft strategisch zu berücksichtigen. Auch hatte man in den USA wesentlich<br />
weniger, dafür aber grössere Kunden und Auftragslose. Beide Faktoren erleichterten<br />
im Hinblick auf die BSC die Gewinnung von Informationen zum Beispiel über die<br />
Kundenzufriedenheit.<br />
Die Homogenität des Geschäfts und der Organisation in den USA wurde auch durch<br />
die Merger zwischen LANDIS&GYR und STAEFA CONTROL nicht beeinträchtigt, weil<br />
229
230<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
die STAEFA in den USA kaum vertreten war. Von der vergleichsweise kleinen Mann-<br />
schaft von ehem<strong>als</strong> 350 Mitarbeitern der STAEFA CONTROL wurden nur neun Mit-<br />
arbeiter in die neue Organisation übernommen.<br />
Unterschiede zur europäischen Organisation bestanden in unterschiedlich breiten<br />
Produkt-Portfolios, unterschiedlichen Geschäftsstrukturen und der heterogenen Struk-<br />
tur durch die Vielzahl der Länder in Europa. Zusätzlich zu diesen äußeren Geschäfts-<br />
faktoren zeichnet sich die Situation in den USA durch die Stabilität der Organisation<br />
aus.<br />
Das Top Management hatte bis zur Umstrukturierung im Jahr 2001 in nahezu gleicher<br />
Besetzung zehn Jahre zusammengearbeitet. Ein Manager aus einer Filiale beschrieb<br />
die Geschlossenheit des Managements <strong>als</strong> „large amount of consistency of vision and<br />
thought among the senior managers“. Die Gespräche mit den Managern aus der Zent-<br />
rale machten auf ihn den Eindruck, „as if everybody was on the same page“. Diese<br />
Konsistenz und Konstanz des Top Managements half seiner Ansicht nach, Verände-<br />
rungen, wie etwa die Einführung der BSC, anzugehen. Dazu trug die starke<br />
Zusammenarbeit der Vice Presidents mit den Vertriebsbüros bei.<br />
Insgesamt war die Kultur darauf ausgerichtet, Kontinuität zu erhalten und sich darüber<br />
hinaus nur auf wenige Aspekte der Veränderung zu konzentrieren. Dies sei, so<br />
argumentierte ein lokaler Manager, aber kein Anzeichen von Selbstzufriedenheit in der<br />
Organisation.<br />
In der Organisation der USA gab es nur zwei BSCs: Eine BSC für den Hauptsitz, das<br />
so genannte Homeoffice (HO), und eine für die Vertriebsbüros, die hinsichtlich der<br />
inhaltlichen Ziele, nicht aber hinsichtlich der Zielgrößen für alle gleich war.<br />
Der für die Einführung verantwortliche Vice President zeigte sich zu Beginn ent-<br />
täuscht, <strong>als</strong> er feststellte, dass die Manager aus den Vertriebsbüros die BSC nicht<br />
nutzten. Eine nähere Untersuchung ergab allerdings, dass sie zwar nicht mit der<br />
gesamten BSC aber sehr wohl mit den einzelnen Messgrößen arbeiteten. Aus Sicht der<br />
Vertriebsbüros handelte es sich bei der BSC um eine „dash-board view“ 533 bzw. einen<br />
„snap-shot“, der einen groben Überblick über das Geschäft vermittelte. Sie wurde<br />
nicht <strong>als</strong> Enabler für die Arbeit im Feld gesehen, sondern ihre Vorzüge werden im<br />
Reporting und bei der Messung von Zielgrößen betont. Kritisch wurde die Aussage-<br />
533 Dashboard kann heisst soviel wie Armaturenbrett
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
kraft der roten und grünen Bewertungen („flags“) gesehen, die das Maß an Zieler-<br />
reichung anzeigten. Für die guten Vertriebsbüros ergaben sich hieraus keine zusätz-<br />
lichen Informationen, da ihre Ergebnisse ohnehin immer mit „grün“ bewertet wurden,<br />
bei den chronisch „roten“ Indikatoren war die Aussagekraft ebenfalls eher be-<br />
schränkt. 534<br />
Abbildung 62: Beispiel BSC<br />
(Quelle: Dokument D78)<br />
Hintergrund der BSC war ein im HO entwickeltes quantitatives Modell, in dem die<br />
verschiedenen Treiber hinsichtlich ihrer ursächlichen und zeitlichen Wirkung zueinan-<br />
der erfasst wurden. Dazu wurden verschiedene Indizes aus den vier Dimensionen der<br />
BSC in regelmäßigen zeitlichen Abständen erhoben und korreliert.<br />
Die Korrelationen zwischen den Messgrößen aus dem Businessmodell waren aus Sicht<br />
des Managements hilfreich für das Verständnis des Geschäfts. Nach Ansicht eines<br />
Managers aus einem Vertriebsbüro würden noch viele ältere Mitarbeiter ihre Aufgaben<br />
so erledigen wie vor 20 Jahren, obwohl sich das Geschäft fundamental verändert hätte.<br />
So sei es vor 20 Jahren im Vertrieb primär darum gegangen, Umsatz zu machen.<br />
„Here we are trying to teach old dogs new tricks.” 535<br />
In diesem Zusammenhang wurden die Erkenntnisse aus dem Business-Modell ver-<br />
wendet, um die Mitarbeiter mit den neuen Geschäftsbedingungen vertraut zu machen.<br />
Das aus der BSC entwickelte Businessmodell unterstützte die Führung dabei, Mitar-<br />
beitern die strategischen Veränderungen des Geschäfts bewusst zu machen. Allerdings<br />
534 Vgl. Interview I15, I26.<br />
535 Vgl. Interview I15.<br />
231
232<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
waren die Erkenntnisse aus dem Modell, wie beispielsweise die Bedeutung der<br />
Kundenloyalität nicht allgemein bekannt, wenngleich das Interesse an diesen<br />
Zusammenhängen bei den interviewten Mitarbeitern generell sehr hoch war.<br />
Im Rahmen einer Validierungsstudie konnten auf der Basis der über längere Zeit erho-<br />
benen Daten interessante Zusammenhänge zwischen Indikatoren entdeckt werden: So<br />
wurde die Bedeutung des Servicesegments für die Pflege der Kundenbeziehung be-<br />
stätigt. Ergebnisse der Studie zeigten u.a. die Bedeutung solcher Messgrößen wie der<br />
„Kundenloyalität“ (Tendenz von bestehenden Kunden zum Wiederkauf) und des<br />
„Voluntary Employee Turnover“ (Bedürfnis bei den Mitarbeitern, die man gerne<br />
halten will, die Organisation zu wechseln) für den finanziellen Erfolg der Unter-<br />
nehmung. Man hatte z.B. vor der Studie nicht realisiert, dass die Kundenloyalität eine<br />
weitaus wichtigere und aussagekräftigere Grösse war <strong>als</strong> der globale Index der<br />
Kundenzufriedenheit.<br />
Staffing<br />
Capacity<br />
Employee<br />
Success<br />
Index<br />
Time<br />
to<br />
Performance<br />
Time-to-Market<br />
Processes<br />
Customer<br />
Loyalty<br />
Index<br />
Time-to-Market<br />
Solutions<br />
Target<br />
Customer<br />
BTS Share<br />
TSP<br />
Net<br />
Change<br />
Abbildung 63: Ausschnitt aus dem Business-Modell<br />
(Quelle: Dokument D78)<br />
Financial:<br />
Growth,<br />
Profit, ...<br />
Über die Erstellung eines homogenen Sets an Indikatoren hinaus war man von Seiten<br />
des HO auch bemüht festzustellen, inwieweit beim lokalen Management der Ver-<br />
triebsbüros das Bedürfnis nach eigenen lokalen Messgrößen vorhanden war. Auch<br />
wenn es deutliche Anzeichen für ein Interesse an einer solchen „customized version“<br />
der BSC gab, stellten die Kapazität und die Fähigkeiten der lokalen Manager bzw.<br />
Mitarbeiter im Verbund mit der hohen Belastung durch das Tagesgeschäft deutliche<br />
Hindernisse dar.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Ziel des Business-Modells war es, die Manager in die Lage zu versetzen, Hypothesen<br />
zu testen und verschiedene Szenarios durchzuführen, um herauszufinden und zu<br />
prognostizieren wo Wachstumsmöglichkeiten für das Geschäft bestanden. Fragen wie<br />
z.B. „Was passiert, wenn Sie den „mechanical service“ im nächsten Jahr verdoppeln<br />
und nicht in das PFC investieren?“ oder „Was passiert wenn Sie die Investitionen im<br />
Training verstärken?“ sollten aufgrund des Modells beantwortet werden können. Ent-<br />
scheidungen sollten so im Sinne eines „Management by Hypothesentesten“ simuliert<br />
werden, um die Entscheidungsqualität der Manager zu verbessern. 536<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Der Umgang mit der BSC in den USA weist deutliche Unterschiede zu den beschrie-<br />
benen Beispielen aus dem europäischen Kontext auf. Dies erscheint im ersten Moment<br />
erstaunlich, weil es sich doch anscheinend um die gleiche Firma und die gleiche<br />
Methodik handelt. Allerdings werden bei näherem Hinsehen die unterschiedlichen<br />
Voraussetzungen und Intentionen in der Organisation in Europa und den USA deut-<br />
lich.<br />
Während die BSC in Europa stark durch die lokalen Strategieprozesse geprägt war,<br />
handelte es sich in den USA um ein operatives und zentral geführtes Controlling-<br />
instrument. Demzufolge ergab sich in Europa ein höherer Einführungsbedarf, während<br />
sich dies angesichts der Verwendung in den USA erübrigte. Zugespitzt könnte man<br />
formulieren, dass die BSC in Europa um ihrer selbst willen und in den USA „just by<br />
the way“ eingeführt wurde.<br />
Dementsprechend standen bei der amerikanischen BSC Indikatoren und Kennzahlen<br />
sowie Kommunikation und Review einer top-down Strategie in die Organisation<br />
hinein im Mittelpunkt des Interesses. Dagegen fokussiert die BSC in Europa vor allem<br />
auf die strategischen Projekte in den Ländern und unterstützt die lokalen Sensemaking<br />
<strong>Prozess</strong>e.<br />
Während <strong>als</strong>o die amerikanische Zentrale mit der BSC ihre Strategie selbstverständlich<br />
tief in die Organisation kommunizierte, musste in Europa aufgrund der unklaren Posi-<br />
tion der SBT und der Gefahr eines kommunikativen double bind ein tendenziell eher<br />
subsidiär geprägter BSC-Ansatz gewählt werden.<br />
536 Vgl. Interview I57.<br />
233
234<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Ein wichtiger Faktor für den Ansatz in den USA war die Konstanz in der Unter-<br />
nehmensentwicklung. Während die Geschäftsleitung in den USA seit Jahren in unver-<br />
änderter Form in einem gleichbleibenden Markt operierte, beschrieb ein Manager für<br />
Europa die Situation mit „...die BSC war der Versuch, nach den Mergern das Chaos<br />
hinter sich zu lassen und eine messbare Strategie zu entwickeln“. Die BSC kam damit<br />
gerade recht, weil die Roof-Strategy kurz zuvor erarbeitet worden war und jetzt umge-<br />
setzt werden musste. 537<br />
Diese Unterschiede machten sich selbstverständlich bis in die Ausgestaltung der BSC<br />
bemerkbar. Die Möglichkeit, eine Software zur Unterstützung der Filialen bereit zu<br />
stellen, war nur aufgrund der starken Generalisierung der BSC in den USA möglich.<br />
Allerdings machte die eingeschränkte Aussagekraft grüner und roter „Flaggen“ <strong>als</strong><br />
Hinweis auf eine Zielerreichung bzw. –abweichung den mangelnden Kontextbezug<br />
und die eingeschränkte Aussagekraft des Instruments deutlich. Die Reduzierung der<br />
Komplexität und Abstraktion von den lokalen Gegebenheiten wurde so mit deutlichen<br />
Einschränkungen hinsichtlich der Aussagekraft bezahlt.<br />
Gerade das „Management by rote und grüne Flaggen“ und die Vergleiche mit tech-<br />
nischen Instrumenten weisen auf die Gefahr hin, die Steuerung eines solchen<br />
Geschäfts bzw. Systems zu sehr zu vereinfachen. VON FÖRSTER macht in diesem<br />
Zusammenhang auf die Unterschiede zwischen trivialen und nichttrivialen Systemen<br />
aufmerksam. Bei trivialen Systemen besteht ein fixer Zusammenhang zwischen Input<br />
und Output, man hat <strong>als</strong> Führungskraft den Durchblick und ist in der Lage, die Situ-<br />
ation „objektiv“ zu erfassen. Nichttriviale Systeme sind dagegen in ihrer Funktions-<br />
weise nicht restlos durchschaubar, reagieren nicht nur auf den Input, sondern vor allem<br />
auf den eigenen Zustand. Sie sind geschichtsabhängig und zeigen nicht linear-kausale,<br />
sondern zirkuläre Kaus<strong>als</strong>trukturen auf. 538<br />
Die Ausgestaltung des BSC Ansatzes in den USA erinnert in diesem Zusammenhang<br />
an ein stark triviales und technisches Organisations- und Menschenverständnis.<br />
Führung und Steuerung von Systemen zielt demnach vor allem auf die direkte und<br />
effiziente Durchsetzung von Unternehmenszielen. Im Verständnis eines nichttrivialen<br />
Organisationssystems gewinnen dagegen indirekte Steuerungsformen wie z.B. auch<br />
eine sinnstiftende Unternehmensidentität zunehmend an Bedeutung.<br />
537 Vgl. Beobachtungen B083.<br />
538 Vgl. Förster H.v., 1984.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Die folgende Übersicht zeigt zusammenfassend die beiden Ansätze zum Umgang mit<br />
der BSC.<br />
Einführung Einführung über die Linie,<br />
BSC-Ambassadors und<br />
Country Coaches<br />
Vorgänger Wenig Erfahrung im Umgang<br />
mit non-financial figures<br />
Operative vs. strategische<br />
Intention<br />
Europa USA<br />
Anstoß für die Strategiearbeit,<br />
Kommunikation der Strategie<br />
„Multiplikatorenmodell“ über<br />
Manager aus den Vertriebsbüros<br />
OCV, Erfahrung im Umgang<br />
mit non-financial figures<br />
IT-gestütztes Controllingsystem,<br />
Benchmarking<br />
Marktsituation Unterschiede in Kundenanzahl u. –größe, Produkt- und Systemgeschäft,<br />
Homogenität des Marktes<br />
Geschäftsverlauf Änderungen durch Fusionen<br />
und Umstrukturierungen<br />
Umgang mit der<br />
BSC<br />
Grad der Standardisierung<br />
Rolle des Business<br />
Modells<br />
von unten getrieben; Focus auf<br />
den strategischen Projekten<br />
„Customized BSC” jeder<br />
Einheit<br />
Kein explizites Business<br />
Modell; kein “Kaskadeneffekt”<br />
Unterstützung Workshops, BSC-Guide,<br />
Country Coaches, LSC,<br />
Corporate Development,<br />
Sensemaking in den Landesgesellschaften<br />
und Vertriebsbüros<br />
<strong>Wandel</strong> und<br />
<strong>Wandel</strong>fähigkeit<br />
Kontinuierlicher Geschäftsverlauf;<br />
Konsistenz der Führung<br />
TOP-Down Ansatz; operatives<br />
Controllinginstrument<br />
Starke Standardisierung<br />
Systemgrundlage; kontinuierliche<br />
Weiterentwicklung der<br />
Kennzahlen, Benchmarking<br />
Systempflege, Bereitstellung<br />
aktualisierter Zahlen<br />
im Homeoffice<br />
BSC ist eine Neuerung für die Organisation und stellt längerfristig<br />
eine wandelfähige Struktur bzw. Methodik dar<br />
Tabelle 10: Gegenüberstellung der BSC bei der SBT US und der SBT EU<br />
Obwohl mit den beschriebenen Vorgehensweisen sehr unterschiedliche Konzepte<br />
gewählt wurden, unterstützen beide die Kommunikation und die Konsistenz der Stra-<br />
tegie. Wenngleich die Einführung und der Umgang mit dem Tool in Europa und den<br />
USA sehr unterschiedlich waren, so waren sie damit jeweils doch anschlussfähig an<br />
das bestehende Selbstverständnis der Organisation. Bezeichnend dafür war nicht zu-<br />
letzt der Umstand, dass kein Interviewpartner einen Widerspruch sah zwischen der<br />
BSC und der bestehenden subsidiären Kultur der Organisation in Europa.<br />
235
6.4.2 Enterprise Ressource Planning (ERP)<br />
Partnerorganisationen<br />
236<br />
SBT<br />
Migros<br />
Aare<br />
Externer Kontext<br />
Externer<br />
Kontext SBT<br />
Externer Kontext<br />
Kontext<br />
Externer Kontext<br />
Kontext<br />
Migros Migros Aare<br />
Aare<br />
Postmerger- PMI- -<br />
projekte<br />
projekte<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
<strong>Wandel</strong>inhalte<br />
<strong>Wandel</strong>inhalte<br />
(Projekte) (Projekte)<br />
BSC<br />
ERP<br />
PFC<br />
Abbildung 64: Gedankenfluss Kapitel 6<br />
Interner<br />
Kontext<br />
Analyse der<br />
Internen<br />
Kontexte<br />
<strong>Wandel</strong>prozesse<br />
Analyse der<br />
<strong>Wandel</strong>- -<br />
prozesse<br />
ERP (Enterprise Ressource Planning oder Unternehmensressourcenplanung) ist ein<br />
Begriff, der sich auf betriebliche Planung, Buchführung und das Management von<br />
Unternehmensressourcen wie Lagerhaltung, Einkauf, Absatz usw. bezieht. ERP wird<br />
oft auch <strong>als</strong> Kürzel für ERP-Programme verwendet, d.h. für die Einführung von Soft-<br />
waresystemen, die diese betrieblichen Aufgaben unterstützen.<br />
Ein ERP-System besteht normalerweise aus einer oder mehreren relationalen Daten-<br />
banken sowie Anwendungsprogrammen, die für betriebliche Aufgabenbereiche, wie<br />
Lagerverwaltung, Pflege der Kunden- und Personaldateien, Einkaufsplanung, Finanz-<br />
buchhaltung, Rechnungslegung, Produktionsplanung etc. eingesetzt werden. Ein<br />
Beispiel dafür ist SAP R/3. Mittlerweile ist ERP-Software in aller Regel netzwerkfähig<br />
und bietet Schnittstellen zu E-Commerce-Plattformen, etwa bei der Beschaffung oder<br />
dem Vertrieb.<br />
6.4.2.1 Der Umfang des ERP-Programms bei L&S<br />
Im Januar 2000 hatte man sich in der Geschäftsführung der LANDIS&STAEFA für die<br />
Einführung eines ERP <strong>als</strong> einer gemeinsamen Informationsplattform auf der Basis von<br />
SAP/R3 entschieden. Mit der Projektbezeichnung „ERP“ anstelle von „SAP-<br />
Einführung“ verband die Geschäftsleitung die Hoffnung, dass das Projekt <strong>als</strong> ein<br />
strategisches <strong>Wandel</strong>projekt („Business-Projekt“) wahrgenommen werden würde und
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
nicht <strong>als</strong> „IT-Projekt“. Die Wahl fiel auf SAP, weil SAP über strategische Allianzen<br />
mit weiteren Softwarefirmen verfügte, eine gute Finanzsituation (gute Investition in<br />
die Weiterentwicklung der Programme) und eine breite Palette an ausgereiften<br />
Modulen aufwies. Außerdem verfügte die deutsche Landesgesellschaft von L&S<br />
bereits über gute Kontakte zu SAP.<br />
Die Einführung des ERP stellte die Fortsetzung der Idee einer gemeinsamen Informa-<br />
tionsplattform bei L&S EU dar und betraf die gesamte Organisation. Bisher verfügte<br />
die Organisation mit SAP/R3 am Hauptquartier in Zug und in der Landesgesellschaft<br />
Deutschland sowie mit einer anderen Software (BPCS) in allen übrigen Ländern über<br />
zwei verschiedene Informationsplattformen. Die Software in den Ländern war aller-<br />
dings an vielen Stellen von den Mitarbeitern in Eigenleistung teilweise bis aufs<br />
äußerste optimiert worden. Stellenweise bestanden im Unternehmen parallel private<br />
Excelsheets und Datenbanken, welche die ursprünglichen Schwachstellen der Soft-<br />
wareplattform gelöst hatten. Die Einführung von SAP/R3 <strong>als</strong> einheitlicher Informa-<br />
tionsplattform in allen europäischen Ländern führte dazu, dass diese individuellen<br />
Lösungen ersetzt wurden und die Geschäftsprozesse europaweit harmonisiert werden<br />
mussten.<br />
Anlass für die Überlegung, eine gemeinsame Informationsplattformen einzuführen,<br />
war der Umstand, dass das in den Ländern bestehende BPCS-System wegen<br />
mangelnder Investition des Herstellers nicht mehr konkurrenzfähig war und das Ende<br />
seines Lebenszyklus erreicht hatte. Darüber hinaus war im Rahmen der strategischen<br />
Entwicklung eine Verbesserung der <strong>Prozess</strong>qualität für die Zukunft der Organisation<br />
essentiell. 539<br />
6.4.2.2 Die Ausgangssituation bei der L&S EU<br />
Im Unterschied zu anderen Firmen, in denen die Geschäftsprozess schon weitgehend<br />
definiert waren, fehlten bis dato bei L&S EU ausführlichere <strong>Prozess</strong>beschreibungen.<br />
Während in anderen Firmen die Vorstufe des Processmodellings daher i.d.R. entfällt,<br />
weil die bestehenden <strong>Prozess</strong>handbücher ohne große Änderungen in SAP übersetzt<br />
werden können, wurde bei L&S erst seit kurzem durch die neu gegründete Abteilung<br />
CM&BPM (Customer Marketing & Business Process Development) daran gearbeitet,<br />
539 Vgl. die Ausführungen zum externen Kontext der Initiativen Kap. 6.2.2.3.<br />
237
238<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
die teilweise recht heterogenen Geschäftsprozesse zu erfassen. Eine Analyse der<br />
bestehenden <strong>Prozess</strong>e wurde damit unumgänglich.<br />
Der Grund für die europaweit recht unterschiedliche <strong>Prozess</strong>landschaft und damit auch<br />
ein Grund für das ERP-Programm waren die zurückliegenden Merger. Diese hatten die<br />
<strong>Prozess</strong>landschaften von L&G und STAEFA sowie später der SIEMENS<br />
GEBÄUDETECHNIK zwar zusammengebracht, aber bislang nicht harmonisiert. Insofern<br />
war das ERP eine logische Fortsetzung des Mergers, mit dem Ziel, die beabsichtigen<br />
Synergien und Economies of Scale zu realisieren. 540<br />
Das ERP-Projekt stellte damit das prozessseitige Äquivalent zum „DESIGO“-Projekt<br />
dar. Im DESIGO-Projekt wurde durch die Entwicklung einer einheitlichen und mit den<br />
bestehenden Produktfamilien kompatiblen Produktplattform die technische Integration<br />
der verschiedenen Produkte geleistet.<br />
Die Motive der Geschäftsleitung, ERP einzuführen, bestanden vor allem<br />
1. in den rasanten technologischen Veränderungen (z.B. e-business), die eine<br />
starke und kontinuierliche Integration in operative Systeme verlangten,<br />
2. in der angestrebten Effizienzsteigerung durch die Harmonisierung der<br />
Geschäftsprozesse. So wurde bspw. für die Landesgesellschaft Schweiz fast<br />
eine Verdreifachung der EBIT-Ziele über die nächsten 5 Jahren festgelegt.<br />
3. in der Ablösung von BPCS, das nicht mehr konkurrenzfähig war.<br />
Die Vision und die Mission des Programms wurde dementsprechend von der<br />
Geschäftsleitung wie folgt formuliert:<br />
“The Divisional Units of L&S EU are operating their Business in optimised processes<br />
based on a standard European model. They use a common IT platform and standar-<br />
dised tools. In this way the business processes across the DU´s L&EU become harmo-<br />
nised. Platform and tools are maintained and provided by highly professional compe-<br />
tence centers. Expertise and feedback from the DU´s enable a continuous improvement<br />
of the processes and adequate reflection in the ERP system.” 541<br />
“The mission of the ERP Program is to implement the single platform solution SAP<br />
540 Vgl. ausführlicher zum Merger Kap. 6.2.2.2.<br />
541 Vgl. Dokument D68.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
R/3 based on a strong European template within all DU of L&S EU completed end of<br />
2003 keeping the total cost frame ... Mio EUR 542 and aiming for the highest possible<br />
degree of harmonisation of Business Processes. The mission is <strong>als</strong>o to support<br />
customer relationship within SBT and SIEMENS.” 543<br />
Die Geschäftsleitung von L&S EU verband mit dem ERP-Projekt folgende Ziele:<br />
1. Eine gemeinsame und einheitliche Informationsplattform in Europa (SAP/R3)<br />
2. Unterstützung der Beziehungen zu den Kunden. Bessere Kundenpflege, weni-<br />
ger Zeit für EDV, mehr Zeit für Kunden<br />
3. Harmonisierte <strong>Prozess</strong>e (Harmonisierungsgrad von mindestens 70%) zur<br />
Effizienzsteigerung und Verbesserung des EBIT.<br />
Darüber hinaus sollte mit dem ERP auch die Grundlage für ein Benchmarking und den<br />
Austausch von Best Practices gelegt werden. Als Rahmenbedingungen waren vor<br />
allem eine dreijährige Projektdauer zur Einführung von SAP/R3 Ende 2003 in allen<br />
DUs, ein fester Kostenrahmen der nicht überschritten werden durfte 544 sowie die<br />
Beibehaltung der Umsatz- und Wachstumsziele trotz des ERP-Projekts vorgesehen.<br />
6.4.2.3 Organisation im HQ<br />
Die anfängliche Projektorganisation des ERP war ein Unternehmen, dass nach vier<br />
Jahren wieder aufgelöst werden sollte.<br />
„The ERP Program Team consists of 100+ members combining a broad range of<br />
skills and experiences from different DUs, organisational units and segments.“ 545<br />
Insgesamt umfasste das ERP Program Team über hundert Mitglieder, die eine breite<br />
Palette an Fähigkeiten und Erfahrungen aus unterschiedlichen Landesgesellschaften,<br />
Segmenten und andere Organisationseinheiten mitbrachten. Es wurde versucht, die<br />
besten Mitarbeiter und Know-how-Träger in den jeweiligen Organisationen und<br />
Abteilungen zu gewinnen, weil nur so die Qualität des Programms gewährleistet<br />
542 Vgl. Beobachtungen B081, B073, B073, Dokumente D48, D12. Aus Gründen der Vertraulichkeit werden an<br />
dieser Stelle die genauen Kosten des Projekts nicht veröffentlicht.<br />
543 Vgl. Dokument D 68.<br />
544 Aus Gründen der Vertraulichkeit werden die konkreten Zahlen hier nicht genannt.<br />
545 Vgl. Dokument D 68.<br />
239
werden konnte. 546<br />
240<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Das oberste Leitungsgremium des ERP war das Steering Commitee, in dem neben<br />
dem Projektleiter vier Mitglieder der Geschäftsleitung (Leiter der Geschäftsführung,<br />
der Projekt-Owner und gleichzeitig Leiter F+C und IT, der Leiter des CM&BPM und<br />
der Leiter der DU Deutschland) angehörten. Darüber hinaus wurden Bereichsmanager<br />
nach Bedarf hinzugezogen: Es handelte sich um den Manager IS/IT (IT-Ressourcen<br />
und deren Koordination), die Business Process Manager: (<strong>Prozess</strong>mapping), die<br />
Change Managerin (Vorbereitung der Organisation und Mitarbeiter auf die Verände-<br />
rungen) sowie die Managerin Controlling & Administration (Projektadministration<br />
und Budgetcontrolling).<br />
Das ERP Program Team mit den Funktionen Leitung, IT, Business Process, Change<br />
Management und Controlling wurde während des gesamten ERP-Projekts in dieser<br />
Form beibehalten. Die anderen Teams wurden im Laufe der 5 Projektphasen jeweils<br />
zu Beginn einer neuen Phase neu zusammengestellt. So kam es immer wieder zu einer<br />
Review der Teilnehmer und der Meetingstruktur, um die Programmstruktur an die<br />
jeweilige Projektphase anzupassen.<br />
Wichtige Rollen und Verantwortungen aus Sicht des HQ waren darüber hinaus:<br />
• Business Process Owner (BPO trugen die Verantwortung für die Definition der<br />
harmonisierten <strong>Prozess</strong>e, versuchten ein Einverständnis auf der Ebene der<br />
Landesgesellschaften zu erreichen und stellten sicher, dass die harmonisierten<br />
<strong>Prozess</strong>e implementiert wurden. Sie waren außerdem für die Pflege des so<br />
genannten Champions Netzwerks der beteiligten Spezialisten zuständig.<br />
• Die Business Process Manager (BPM) waren für die Konsistenz der <strong>Prozess</strong>e<br />
zuständig, implementierten die <strong>Prozess</strong>e, koordinierten das Champions Netz-<br />
werk und bereiteten die Integrationstests vor. Insbesondere die Koordination<br />
der Netzwerke der Landesgesellschaften war eine erfolgskritische Aufgabe.<br />
Mittels dieser Netzwerke konnten die Landesgesellschaften ihre Wünsche und<br />
Beiträge zum ERP beitragen und sich gegenüber dem Programm bzw. dem<br />
Hauptquartier Gehör verschaffen.<br />
546 Vgl. zu den möglichen Konsequenzen die Vignette „Qualifizierung für die Konkurrenz“ in Kapitel 7.1.4.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
• Die Solution Teams bereiteten den so genannten Cut-over vor und führten ihn<br />
durch, waren verantwortlich für die Team deliverables, das Teamreporting und<br />
managten selbständig ihre Ressourcen. Es gab in jedem Segment (Service,<br />
Products/OEM, Contracting/Performance Contracting, Logistik und F&C) ein<br />
Solution Team, welches von dem BPM (in den drei Business Segementen) oder<br />
dem Functional Team Leader (Logistik und F+C) geführt wurde.<br />
• Functional Teams waren für die Konfiguration und Dokumentation des<br />
Systems zuständig, bereiteten die Datenmigration, Tests und Trainingsdaten vor<br />
und spezifizierten die Programmierung.<br />
• Power User Teams waren für den sogenannten Data Clean up zuständig,<br />
führten den unit test durch, bereiteten das Trainingsmaterial vor und führten die<br />
Anwendertrainings durch. Die Power User und Process Champions mussten<br />
einerseits das ERP in der Organisation vorantreiben und ihre Kollegen vorbe-<br />
reiten, andererseits stellten ihre Beschlüsse und Arbeiten (<strong>Prozess</strong>definitionen,<br />
etc.) zugleich die Grundlage für die Veränderung der Organisation dar.<br />
Darüber hinaus bestanden noch das Technical Team sowie Task Forces für die Auf-<br />
gaben Modelling, Process, Support Organizational Change, Cut-over & Migration,<br />
Support & Maintenance, Configuration & Testing, Development & Interfaces und<br />
Training.<br />
Wichtige Gremien waren vor allem das<br />
• ERP Steering Committee: Es diente <strong>als</strong> Schnittstelle zur Geschäftsleitung und<br />
entschied vor allem strategische Fragen wie z. B. den Umfang des Programms,<br />
Budgetfragen und kontrollierte den Status des Programms.<br />
• Das ERP Program Managementteam: Hier fand das eigentliche Management<br />
des Programms (Planung, Budget, Ressourcen, Deliverables) statt. Es garan-<br />
tierte die Einhaltung der Standards und der Qualität.<br />
• ERP Core Team: Es diente vor allem der Koordination der verschiedenen<br />
Teams. Darüber hinaus wurden hier die Aktivitäten in Absprache mit den DUs<br />
synchronisiert und die Aufgabe an die Teams verteilt.<br />
• ERP BPM Team: Durch dieses Team wurde im wesentlichen die Integration<br />
über die verschiedenen <strong>Prozess</strong>e, Segmente und Länder gewährleistet. Im<br />
241
Logistics<br />
F & & C C<br />
242<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Mittelpunkt standen dabei die <strong>Prozess</strong>harmonisierung, die Einhaltung der BPM-<br />
Standards sowie die Koordination mit den Landesgesellschaften im Rahmen<br />
des Milestone Plans.<br />
Change<br />
Change<br />
Mgt Mgt<br />
Products<br />
/ OEM<br />
Business<br />
Business<br />
Process<br />
Process<br />
Program Program Management Management Team<br />
Team<br />
IT/IS<br />
IT/IS<br />
Products / OEM CON / PFC Service<br />
Solution Teams<br />
Steering Steering Committee<br />
Committee<br />
CON / PFC Service<br />
DU Controlling<br />
Administration Program<br />
DU<br />
Controlling<br />
Administration<br />
Office<br />
Program<br />
DU Controlling<br />
Administration Office<br />
Program<br />
DU<br />
Controlling<br />
Administration<br />
Program<br />
Office<br />
Program<br />
Office<br />
Modelling / /<br />
Process<br />
Implementation<br />
Implementation<br />
Support<br />
Organisational<br />
Change<br />
Cut-over Cut-over &<br />
Migration<br />
Migration<br />
Support &<br />
&<br />
Maintenance<br />
Task forces<br />
Abbildung 65: Übersicht über die Organisation des Projekts auf der EU Ebene<br />
(Quelle: Dokument D 21)<br />
Configuration<br />
& Testing<br />
Testing<br />
Development&<br />
Development &<br />
Interfaces<br />
Training<br />
• ERP IT/IS Team: In diesem Team wurde die Integration über die verschiedenen<br />
Module erarbeitet. Es war für das Management der gesamten IT/IS-Ressourcen<br />
verantwortlich sowie die Sicherstellung der IT/IS-Standards, der Methodologie<br />
und der Qualitätsanforderungen.<br />
• ERP Change Management Team: Dieses Team war für die Kommunikation<br />
innerhalb des Programms zuständig. Es entwickelte das Trainingskonzept, war<br />
für den Bereich Konfliktmanagement Ansprechpartner und unterstützt die<br />
Programmbeteiligten bei allen Fragen des Change Managements.<br />
6.4.2.4 Organisation in den Landesgesellschaften<br />
Die Projektorganisation in den Landesgesellschaften wurde sehr ähnlich aufgebaut wie<br />
das Projekt im HQ: Es gab ein lokales Steering Comittee, ein Projekt Management<br />
Team (mit ähnlichen Funktionen wie auf der europäischen Ebene das Program<br />
Management Team) sowie <strong>Prozess</strong> Champions und Power User für die 5 Segmente<br />
bzw. Funktionen.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Die auf Seiten der Landesgesellschaften benannten Power User, waren vor allem<br />
zuständig für<br />
• die Zusammenarbeit mit Business Process Champions, Business Process Mana-<br />
gern sowie den SAP Functional Team Leadern<br />
• die Mithilfe bei der Dokumentation, Überprüfung und Freigabe der Spezifika-<br />
tionen<br />
• die Unterstützung bei der Endbenutzerausbildung.<br />
Project Office<br />
Technical<br />
Team (IT/IS)<br />
IT/IS<br />
Products<br />
Local Local ERP ERP Steering Steering Committee<br />
Committee<br />
ERP ERP Project Project Manager Manager DU DU<br />
Project Project Management Management Team Team DU DU<br />
Business<br />
Processes<br />
Contracting<br />
Functional<br />
Integration<br />
CSV<br />
Services<br />
Change<br />
Management<br />
Logistics<br />
SCM<br />
HR<br />
(Optional)<br />
F & C<br />
Business Business Process Process Champions Champions and and Power Power Users Users DU DU<br />
Abbildung 66: Aufbauorganisation des Projekts in der DU CH<br />
(Quelle: Dokument D 35)<br />
6.4.2.5 Fünf Projektphasen im ERP<br />
QM / ISO<br />
(Optional)<br />
Das ERP Projekt startete mit einer Verifikationsstudie im März 1999 und sollte Ende<br />
2003 abgeschlossen werden. Es bestand aus fünf Phasen (Verification, Initialisation,<br />
Business Process Modelling, Pilot & Template Development, Roll-out in den<br />
DU´s). 547<br />
547 Bereits an dieser Stelle kann angemerkt werden, dass der Gesamtumfang nicht realisiert worden ist, da das<br />
ERP Projekt auf der Divisionsebene nach der Einführung im Pilotland beendet wurde in ein Shared Service<br />
Projekt auf der nächsthöheren Ebene des Bereichs überführt wurde. Vgl. zum vorzeitigen Ende und der<br />
Fortsetzung im Shared Service Programm Kap. 6.3.2.5.<br />
243
244<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Nachfolgend werden kurz die verschiedenen Phasen beschrieben, um dem Leser für<br />
die nachfolgende Analyse des <strong>Wandel</strong>kontexts und der <strong>Wandel</strong>prozesse einen groben<br />
Überblick über die inhaltlichen Themen des Projekts zu vermitteln.<br />
IV/99 I/00 II/00 III/00 IV/00 I/01 II/01 III/01 IV/01 I/02 II/02 III/02 IV/02 I/03 II/03 III/03<br />
III/03 IV/03 I/04<br />
Verif.<br />
Initialisation<br />
BPM<br />
1. Phase: Verification<br />
Template / Pilot: CH<br />
Go-live: Oct 01<br />
PR BE / ES<br />
Go-live: Feb 02<br />
Development/field test IS E&C in DE<br />
SATIN task force<br />
Wave Wave 1<br />
1<br />
Wave Wave 2<br />
2<br />
IT / FI<br />
Go-live: June 02<br />
FR/UK/NO<br />
Go-live: Oct 02<br />
Maintenance & Support<br />
NL/AT/DK<br />
Go-live: Feb 03<br />
Convergence wavetbd: tbd:<br />
- - Merge Euro Template w/ E&C<br />
- - Pilot EU Template + E&C<br />
- - Migration SAP Core + MSTE<br />
- - Alignment SAP DE<br />
Wave Wave 3<br />
3<br />
Wave Wave 4<br />
4<br />
Wave Wave 5<br />
5<br />
SE/HU/CZ<br />
Go-live: June 03<br />
Abbildung 67: Übersicht über die geplanten Phasen des Projekts<br />
(Quelle: Dokument D68)<br />
Wave Wave 6<br />
6<br />
PL/SK/PT<br />
Go-live: Oct 03<br />
DE<br />
Wave Wave 7<br />
7<br />
GR/SA/AE<br />
Go-live: Feb 04<br />
Im Jahr 1999 wurde eine Verifikationsstudie 548 gestartet, die prüfen sollte, ob es<br />
vorteilhafter sei, eine neue Version des bestehenden BPCS-Systems zu übernehmen<br />
und damit zwei Plattformen zu erhalten oder eine einheitliche Plattform wie z.B. SAP<br />
R/3 einzuführen. Dazu wurde von März 1999 bis Dezember 1999 mit einer Beratungs-<br />
gesellschaft, den Business Processs Managern und den Repräsentanten der Länderge-<br />
sellschaften eine umfangreiche Prüfung der beiden Alternativen betrieben. Anfang<br />
Januar 2000 wurde das Ergebnis vor der Geschäftsleitung präsentiert. Die Geschäfts-<br />
leitung beschloss daraufhin die Einführung von SAP R/3.<br />
2. Phase: Program Initialisation<br />
In der Program-Initialisation Phase wurde vom Program Management zeitweise an der<br />
Project Charta gearbeitet, die allerdings erst in der darauffolgenden Phase fertiggestellt<br />
wurde. Sie stellte die Sammlung aller Dokumente dar, welche die Grundlage des ERP<br />
548 Vgl. Dokument D70.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
EU bildeten und die Erwartungen der Programmbeteiligten steuern sollte. In der<br />
Program Charta wurden die Rollen und Verantwortlichkeiten definiert und die Koope-<br />
ration mit dem BPM EU, der IT EU und der IT Organisation Deutschland festgelegt.<br />
Außerdem wurden in dieser Phase die Piloten und Co-Piloten vorbereitet und eine<br />
Kick-Off Veranstaltung durchgeführt. 549<br />
Das Change Management, das mit einer gewissen Verzögerung begann, definierte in<br />
dieser ersten Phase das Kommunikationskonzept 550 sowie ein erstes Trainingskonzept<br />
und unterstützte das Change Management für den Piloten und den Co-Piloten.<br />
Der Bereich Business Process arbeitete in dieser Phase im wesentlichen an der Etablie-<br />
rung der Business Teams für die einzelnen Segmente sowie der Vorbereitung und<br />
Koordination der gesamten Workshops und Quality reviews der nächsten Phase.<br />
Der Bereich IT/IS war in dieser Phase mit dem Aufbau der IT-Infrastruktur, der SAP-<br />
Schulung der ERP-Teammitglieder sowie der Planung und Erstellung der Systemland-<br />
schaft und Client Architektur beschäftigt.<br />
Die Position im Bereich Controlling/Administration wurde erst mit Verspätung besetzt<br />
und arbeitete in dieser Phase an einem Controlling Konzept. Sie war mit der Gesamt-<br />
organisation, dem Bezug der neuen Räumlichkeiten und der Vorbereitung eines<br />
großen Kick-Offs durch das Gesamtteam beschäftigt.<br />
3. Phase: Business Process Modelling (As-Is und To Be)<br />
Die Process Modelling Phase bestand im wesentlichen aus 5 Phasen und hatte die Er-<br />
stellung des so genannten Business Blueprint zum Ziel. Über die „initial graphical<br />
description“ wurde in der Phase des As-Is Modelling der Status Quo der Geschäfts-<br />
prozesse mit Hilfe der Landesgesellschaften ermittelt. Dazu wurden im Rahmen von<br />
23 Workshops nicht nur die bestehenden <strong>Prozess</strong>e aufgenommen, sondern auch schon<br />
die Best Practices aus den vielen verschiedenen As-Is Modells abgeleitet.<br />
Die Ergebnisse wurden dokumentiert und einer Quality Review unterzogen. Anschlie-<br />
ßend wurde im Rahmen von 16 Workshops das To-Be mit den Landesgesellschaften<br />
festgelegt. Den Abschluss dieser Phase bildete dann eine Quality Review der To-Be<br />
549 Vgl. Dokumente D18, D34, D17, Interviews I31, I48.<br />
550 Vgl. Beobachtung B031, B010, B017, Interview I31.<br />
245
246<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
<strong>Prozess</strong>e, die von den Ländern abgesegnet werden musste. Das Ergebnis dieser Phase<br />
– die vereinbarten To-Be Geschäftsprozesse – bildete die Basis für das customizing<br />
des europäischen ERP Templates. Die Implementierung der neuen ERP Plattform be-<br />
deutete damit auch eine Veränderung der existierenden Geschäftsprozesse, die ent-<br />
sprechend den neuen europäischen To-Be Geschäftsprozessen gestaltet werden<br />
mussten.<br />
Während das As-Is Modelling noch unkritisch erschien, weil in erster Linie der Status<br />
Quo aufgenommen wurde und half ein Bewusstsein für die Verbesserung der <strong>Prozess</strong>e<br />
zu entwickeln, war das To-Be Modelling kritisch. Spätestens dort wurde den Landes-<br />
gesellschaften bewusst, welchen Grad an Harmonisierung sie akzeptieren mussten.<br />
Man befürchtete seitens der Projektverantwortlichen die Gefahr einer „Ja-aber-<br />
Reaktion“ von den Landesgesellschaften. Dies wurde allgemein <strong>als</strong> erfolgskritisch<br />
betrachtet, da der Erfolg des Programms im wesentlichen von einem starken und<br />
anhaltenden Commitment der beteiligten Landesgesellschaften abhing.<br />
Die To-Be <strong>Prozess</strong>e wurden allerdings von den europäischen Ländern weitgehend <strong>als</strong><br />
anwendbar betrachtet, sodass aufgrund des Feedback geschlossen werden konnte, dass<br />
sich die DUs der Dimension und des Einflusses des ERP-Programms bewusst<br />
geworden waren. 551<br />
4. Phase: Pilot and Template Development<br />
Gegenstand dieser Phase war einerseits die Entwicklung des europäischen Templates<br />
aus den To-Be <strong>Prozess</strong>en und zum anderen die Vorbereitung des Piloten. In dieser<br />
Phase wurde u.a. mit den Ergebnissen und den Aktivitätslisten der Change Impact<br />
Analysis gearbeitet. Im Rahmen der DU-spezifischen Change Impact-Analyse wurden<br />
die organisationalen Veränderungsthemen gesammelt, interpretiert und kategorisiert,<br />
um ihren Impact abschätzen zu können. Die Ergebnisse wurden dann in einen kon-<br />
sistenten Aktionsplan umgesetzt, um die erfolgreiche Implementierung des ERP-<br />
systems in der Pilot DU zu ermöglichen.<br />
Die DU-spezifische Change Impact Analysis (CIA) versuchte vor allem zu ermitteln,<br />
welche Veränderungen sich für die bisherigen Rollen bezüglich Aufgaben und Verant-<br />
wortung ergaben und welche neuen Fähigkeiten dafür notwendig waren. Dazu wurden<br />
551 Vgl. Dokument D68, D32, D3, D16.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Rollen, <strong>Prozess</strong>e und Entscheidungswege, die Kooperation in der Organisation,<br />
Verantwortlichkeiten und Kommunikationswege untersucht. Entscheidend war dabei<br />
die Beschreibung des <strong>Wandel</strong>s <strong>als</strong> Unterschied zwischen dem As Is und To Be des<br />
Geschäftsprozesses, wie es in Abb. 68. in der entsprechenden Spalte beschrieben wird.<br />
Aus diesem Unterschied ergab sich der notwendige Veränderungsbedarf.<br />
Die CIA-Methode bestand aus zwei Vorlagen. Zum einen der CIA, einer Identifikation<br />
und Aufstellung der Change Impacts, und zum anderen dem Aktionsplan. Nachfolgend<br />
sind die beiden Vorlagen, mit den denen die DUs bei der Umsetzung der Veränderung<br />
unterstützt wurden, abgebildet. 552<br />
Process<br />
Abbildung 68: Vorlage für die Länderspezifische Change Impact Analysis<br />
(Quelle: Dokument D68)<br />
Die CIA war ein wichtiges Tool, um dem Piloten und den nachfolgenden Landes-<br />
gesellschaften einen Rahmen zu geben innerhalb dessen die Organisation die Change<br />
Impacts analysieren und die Organisation auf den <strong>Wandel</strong> vorbereiten konnte. Die CIA<br />
sollte jeweils zur Vorbereitung einer neuen Welle in den einzelnen Ländern durch-<br />
geführt werden. 553<br />
552 Vgl. Dokument D68.<br />
Describtion of Change<br />
(As Is/To Be)<br />
553 Vgl. Dokumente D16, D21, D22, D01, D43, D30.<br />
Link to other<br />
processes/segments/tools<br />
Possible<br />
actions<br />
Priority<br />
247
248<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Abbildung 69: Vorlage für den Aktionsplan einer Länderspezifischen Change Impact Analysis<br />
(Quelle: Dokument D68)<br />
5. Phase: Roll-Out in die Länder in fünf Wellen<br />
Aus der Erfahrung der zurückliegenden Implementierungen von Betriebssoftware und<br />
angesichts der Tatsache, dass L&S Europa in einem dynamischen Umfeld tätig war,<br />
hatte man sich entschlossen, eine schnelle Implementierung in allen Landesgesell-<br />
schaften zu verfolgen. Damit sollte einerseits verhindert werden, dass die verschie-<br />
denen Landesgesellschaften über längere Zeit unterschiedliche Systeme verwendeten.<br />
Andererseits sollte die Organisation sich schnell an technologische und an Marktver-<br />
änderungen anpassen können.<br />
Um die ehrgeizigen zeitlichen Ziele zu erreichen, hatte man sich entschlossen, jeweils<br />
zwei bis drei Roll-Outs parallel durchzuführen und einen „Local big-bang Ansatz“ zu<br />
verfolgen. D.h., dass das ERP-System mit seiner gesamten Funktionalität innerhalb<br />
einer DU von einem zentralen ERP-Programm Team implementiert und unterstützt<br />
wurde.<br />
Process<br />
Possible<br />
actions<br />
Potential Impact<br />
on business<br />
Change action<br />
Owner<br />
Completed<br />
Status<br />
Sobald das System im Pilotland stabil lief, sollte das ERP in den anderen Ländern in<br />
Wellen von durchschnittlich 4-6 Monaten in 2 bis 3 Ländern parallel ausgerollt<br />
werden. Eine Welle sollte dabei jeweils bestehen aus der Initialisierung, der Imple-<br />
mentierung des europäischen <strong>Prozess</strong>modells, den erforderlichen lokalen Konfigura-<br />
by
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
tionen, Entwicklung und Tests, lokalem Cut-over & Migration, Endnutzertraining,<br />
dem Go-live und der anfänglichen Unterstützung. 554<br />
Vorzeitiges Ende und Fortsetzung auf der Ebene SBT<br />
Im Mai 2001 beschloss das Executive Board der SBT eine einheitliche SAP-Lösung<br />
für SBT EU einzuführen. Damit sollte versucht werden, SBT-weit einen hohen Grad<br />
an Standardisierung und Harmonisierung im Bereich der back und front offices zu<br />
erreichen.<br />
Das Programm war auf drei bis vier Jahre geplant und sollte die laufende Geschäfts-<br />
tätigkeit der Regionalgesellschaften bzw. DUs so wenig wie möglich beeinflussen.<br />
Dieser Entschluss wurde begleitet mit einem gleichzeitigen Start der Implementierung<br />
von Shared Administrative Services (SAS) im Bereich der IT/IS und F&C auf der<br />
Ebene der Regionalgesellschaften.<br />
Der Ansatz sah vier Phasen vor: Initialisation, Core SBT, SBT Template und der Roll-<br />
out des SBT Template bis zum Ende des Jahres 2004. 555<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Die Fusion zwischen LANDIS&GYR und STAEFA CONTROL 1996 sowie die Übernahme<br />
der ELEKTOWATT-Firmen durch SIEMENS 1997 waren <strong>als</strong> zeitliche Kontextfaktoren für<br />
das ERP-Projekt wie auch für das anschließende SAS-Projekt auf der Ebene der SBT<br />
bedeutsam. Während der Erfolg des organisationalen Zusammenschlusses nicht zuletzt<br />
auf den subsidiär geprägten <strong>Prozess</strong> zurückgeführt wurde, bei dem die Länder ein<br />
hohes Maß an lokaler Autonomie hatten, wollte man durch das DESIGO und ERP nun<br />
die Harmonisierung, Optimierung und damit die Effizienzsteigerung vorantreiben. Es<br />
sollte letztlich die Fusions-Dividende abgeschöpft werden.<br />
Mit dem ERP ging es <strong>als</strong>o um die Identifikation und Realisierung der erhofften<br />
Synergieeffekte aus dem Merger. Das bedeutete aber auch eine andere kulturelle Ge-<br />
wichtung. Während bislang bei strategischen Entscheidungen den lokalen Anforde-<br />
rungen und damit der Subsidiarität i.d.R. der Vorrang eingeräumt wurde, wurde mit<br />
554 Vgl. Dokumente D21, D22.<br />
555 Vgl. Dokumente D10, D28.<br />
249
250<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
dem ERP nun das Gewicht sehr viel stärker auf eine europaweite Standardisierung<br />
gelegt.<br />
Der Aufbau des ERP zeigte dabei in vielen Bereichen eine ähnliche Struktur wie die<br />
Organisation selbst. Die Einteilung der Teams entsprechend der Struktur der Segmente<br />
spiegelt das Muster der L&S wider und stellte vertraute Organisationsmuster für die<br />
Mitarbeiter bereit. Das hatte den Vorteil, dass die Struktur an eine Logik anschloss, die<br />
den Mitarbeitern schon bekannt war. Auf der anderen Seite wurden damit aber auch<br />
die Schwierigkeiten der Organisation mit der bestehenden Struktur repliziert.<br />
Es traten ähnliche Schnittstellenprobleme in den Bereichen Kommunikation, Ent-<br />
scheidung und Integration auf, wie sie die gesamte Organisation beschäftigten.<br />
Von besonderer Bedeutung für den Erfolg des Programms war dabei die Schnittstelle<br />
zwischen der Programmleitung am HQ und den Landesgesellschaften. Hier galt es, das<br />
für die Identität der Ländergesellschaften kritische Dilemma zwischen der ange-<br />
strebten divisionsweiten Standardisierung und dem Selbstverständnis der mittel-<br />
ständischen „Local Entrepreneurs“ zu vereinbaren.<br />
Für das Pilotland Schweiz erhöhte sich zudem durch die Einbeziehung der Power User<br />
die Belastung für das tägliche Geschäft. Allerdings ergaben sich aus der frühen Einbe-<br />
ziehung auch Möglichkeiten, das Projekt stärker im eigenen Sinne zu prägen.<br />
Der Umgang des Hauptquartiers mit den Landesgesellschaften war wegen dieser<br />
Belastung und der Notwendigkeit, die bisherigen <strong>Prozess</strong>e ändern zu müssen, von<br />
hoher Wertschätzung geprägt. Das daraus resultierende hohe Maß an Einbeziehung<br />
führte zu einer Komplexität, die zu hohen Anforderungen im Bereich Kommunikation,<br />
Entscheidungsfindung und Integration führte. 556<br />
556 Vgl. D17, BeobachtungenB011, B107, B021, B093.
6.4.3 Performance Contracting (PFC)<br />
Partnerorganisationen<br />
SBT<br />
Migros<br />
Aare<br />
Externer Kontext<br />
Externer<br />
Kontext SBT<br />
Externer Kontext<br />
Kontext<br />
Migros Migros Aare<br />
Aare<br />
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
<strong>Wandel</strong>inhalte<br />
<strong>Wandel</strong>inhalte<br />
(Projekte)<br />
(Projekte)<br />
BSC<br />
ERP<br />
PFC<br />
Postmerger- PMI- -<br />
projekte<br />
projekte<br />
Abbildung 70: Gedankenfluss Empirie<br />
6.4.3.1 Ein neues strategisches Geschäftssegment: PFC<br />
Interner<br />
Kontext<br />
Analyse der<br />
Internen<br />
Kontexte<br />
<strong>Wandel</strong>prozesse<br />
Analyse der<br />
<strong>Wandel</strong>- -<br />
prozesse<br />
Das Performance Contracting (PFC) war ein neues Geschäftssegment der L&S. Neben<br />
dem Verkauf von Produkten, Systemen und Service bot L&S in Europa seit etwa 1996<br />
<strong>als</strong> Generalunternehmer eine Gesamtlösung an, mit deren Hilfe die Kunden garantierte<br />
Energie- und Betriebskosteneinsparungen erreichen konnten. L&S übernahm dabei<br />
Projektierung, Planung, Ausführung und Fertigstellung von Kosten-<br />
optimierungsmaßnahmen unter Einsatz des L&S-eigenen Materi<strong>als</strong> und Arbeit, sowie<br />
Drittleistungen und -lieferungen. 557<br />
Wesentliches Element des neuen Angebots war einerseits die Garantie, die L&S für<br />
die Einsparungen übernahm: Wurden die Einsparungen nicht erreicht, kam L&S für<br />
die Differenz auf. Andererseits amortisierten sich die Investitionen der Kunden aus<br />
den Einsparungen im Bereich des Energieverbrauchs und den übrigen Betriebskosten.<br />
Die PFC-Projekte konnten zusätzlich entweder durch den Kunden selbst oder durch<br />
kooperierende Banken finanziert werden.<br />
557 Vgl. zu den folgenden Ausführungen die Beobachtungen B039, B007, B044, B101, B095, Interviews I40.<br />
I23, I35 sowie Dokumente D 49, D50.<br />
251
252<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Für L&S war das Performance Contracting ein neues Geschäft. Unterschiede waren<br />
vor allem, dass es sich um einen entwicklungsfähigen Markt mit hohem Wachstums-<br />
potential handelte, mit den Kunden Verträge direkt ausgehandelt wurden, ein lang-<br />
jähriges Vertragsverhältnis mit dem Endkunden entstand und sich langjährige Service-<br />
Verträge ergaben. Diese Merkmale stellten einen Unterschied zu den angestammten<br />
Geschäftsbereichen dar.<br />
Einsparungen<br />
- Optimierte GLT<br />
- Erneuerte Mechanik (HLK)<br />
- Energiesparlampen<br />
- Energie- und Gebäudeservices<br />
Energie- Energie- und und<br />
Kostenanalysen<br />
Kostenanalysen<br />
Umfassende<br />
Umfassende<br />
Gesamtlösungen<br />
Gesamtlösungen<br />
Reduzierte<br />
Kosten<br />
Licht, Wasser<br />
Wärme / Kälte Betrieb<br />
Garantierte<br />
Garantierte<br />
Einsparungen<br />
Einsparungen<br />
Abbildung 71: Darstellung des PFC<br />
(Quelle: Dokument D80)<br />
Bezahlung Bezahlung aus aus<br />
Einsparungen<br />
Einsparungen<br />
Der Geschäftsprozess im PFC konnte grob unterteilt werden in drei Phasen: Im<br />
Rahmen der Akquisitionsphasen wurden in einer Grob- und Feinanalyse durch einen<br />
Energie-Ingenieur die Kostenoptimierungsmöglichkeiten analysiert und entsprechende<br />
Maßnahmen in einem Vertrag mit dem Kunden vereinbart.<br />
In der Investitionsphase wurden durch den Projektmanager die Maßnahmen durch<br />
SBT oder Subunternehmer implementiert und die Anlage in Betrieb genommen.<br />
In der abschließenden Garantiephase wurden im Rahmen der so genannten Perfor-<br />
mance-Assurance die Einhaltung der garantierten Einsparungen kontrolliert, dem<br />
Kunden berichtet und eventuellen Abweichungen durch erforderliche Wartungs-<br />
arbeiten oder Anpassungen entgegengewirkt. Abbildung 72 verdeutlicht den<br />
Geschäftsprozess.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Der Geschäftsprozess beinhaltete <strong>als</strong>o eine Vielzahl von Tätigkeiten und notwendigen<br />
Qualifikationen. Neben dem Vertrieb und dem Projektmanagement war Know-how im<br />
Bereich des so genannten Energieengineering und der Performance Assurance<br />
erforderlich. Wichtig war darüber hinaus das Risikomanagement und das Management<br />
von Kostenabweichungen im gesamten Projektverlauf.<br />
Das neue Geschäftsegment stellte somit bereits aufgrund der Breite der Aufgaben-<br />
felder hohe Anforderungen an die Mitarbeiter. Neben dem veränderten Geschäfts-<br />
prozess stellte auch die interne Strukturierung der Mitarbeiter in interdisziplinäre<br />
Teams einen Unterschied gegenüber den bisherigen Organisationsformen und gleich-<br />
zeitig eine Herausforderung für die Organisation dar. 558<br />
Close<br />
L.O.U<br />
Energy<br />
Facility<br />
Data<br />
Preliminary<br />
Audit<br />
Engineering<br />
Study<br />
Close<br />
L.O.I<br />
Building Owner / Operator<br />
Detailed<br />
Audit<br />
Detailed<br />
Engineering-<br />
Study<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Close<br />
Contract<br />
Project<br />
Management<br />
Landis & Staefa<br />
Project<br />
Implementation<br />
Abbildung 72: Geschäftsprozess des PFC<br />
(Quelle: Dokument D80)<br />
Joint effort<br />
for further<br />
improvements<br />
Performance<br />
Assurance<br />
Energy &<br />
Performance<br />
Services<br />
Vergleicht man die Logik der bestehenden Geschäftsbereiche im Produkt-, System-<br />
und Servicegeschäft so stellte das PFC eine Weiterentwicklung dar. An der Logik des<br />
PFC waren für die Organisation wirtschaftliche und finanzielle Aspekte der PFC-<br />
Projekte neu, die es in dieser Form im bestehenden Geschäft nicht gab. Ein <strong>Wandel</strong><br />
von der technischen zur finanziellen Orientierung und die selbst initiierten Verkäufe<br />
(created sales) standen dabei im Vordergrund, während z.B das Systemgeschäft auf<br />
558 Vgl. Dokument D79.<br />
253
254<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
„reacted sales“ beruht (Kunden kommen aktiv auf SBT zu und fragen nach Ange-<br />
boten).<br />
Das neue Geschäftssegment mit einem neuen Produkt und einer neuen Geschäftslogik<br />
stellte eine deutliche strategische Innovation dar. Im PFC standen nicht mehr die<br />
klassischen HLK-Produkte im Vordergrund. Die Kombination der Einsparung von<br />
Energie- und Betriebskosten mit einem Finanzierungsangebot und dem klassischen<br />
Produkt- und Systemgeschäft führte zu einer Veränderung der Geschäftslogik. Inso-<br />
fern war es dem PFC gelungen, die „rules of the game“ 559 erfolgreich zu ändern.<br />
Durch diese Innovation wurde die Stellung des Marktführers gefestigt und es war nicht<br />
auszuschließen, dass es sich um eine schwerpunktmässige Verlagerung der bestehen-<br />
den Märkte handelte. 560<br />
yesterday<br />
today<br />
Products / Systems<br />
Solutions<br />
tomorrow Results<br />
comprehensive<br />
solution for energy<br />
efficiency with<br />
guaranteed results<br />
Abbildung 73: Historische Entwicklung des PFC<br />
(Quelle: Dokument D080)<br />
Neben dieser Veränderung des externen Kontexts der Organisation hat der strategische<br />
<strong>Wandel</strong>prozess auch ein identitätsveränderndes Potential für die Organisation selbst.<br />
Die Erweiterung der Aufgaben in Richtung auf betriebswirtschaftliche Anforderungen<br />
und interdisziplinäre Aspekte ermöglichen und erfordern eine Ergänzung der vor-<br />
nehmlich technischen Orientierung.<br />
559 Vgl. Markides, 1998.<br />
560 Vgl. Beobachtungen B112.
6.4.3.2 Geschichte, Logik und Struktur des PFC<br />
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
In einer ersten Phase Anfang der 90er Jahre wurde das PFC in Europa <strong>als</strong> Teil des<br />
Service-Segments unter dem Namen „Advantage Modul“ vorangetrieben. In Deutsch-<br />
land gab es zu dieser Zeit schon erste Projekte zu dem Thema. Das PFC hatte seinen<br />
Ursprung am HQ und wurde von dort aus an die Länder „verkauft“. Es gab deshalb<br />
von Anfang an einen stärkeren Einfluss des HQ <strong>als</strong> in den klassischen Segmenten. 561<br />
Das PFC-HQ verstand sich <strong>als</strong> Dienstleister und Support für das PFC in den Landes-<br />
gesellschaften. Zur Qualifizierung der Länder wurden vor allem Handbücher erstellt,<br />
Workshops durchgeführt und der Austausch von best practices gefördert. Dabei<br />
wurden jeweils Themen Projektmanagement, Performance Assurance, Engineering,<br />
Sales und Marketing sowie klassische Betriebswirtschaft bearbeitet. 562<br />
Unterschiede zwischen dem PFC und anderen Segmenten bestanden vor allem in der<br />
stärkeren Führung durch das PFC HQ. Während andere Segmente stärker subsidiär<br />
geführt waren und z.B. Qualifizierungsmaßnahmen selten vom HQ aus initiiert<br />
wurden, war angesichts der sehr jungen und unerfahrenen Teams in den Ländern das<br />
HQ im PFC stärker gefordert. 563<br />
Die Mission des PFC lautete: “We profitably grow PFC business and strengthen our<br />
leading market position by highly skilled, professional teams and a stepwise geo-<br />
graphic expansion.” 564<br />
Die Arbeit in den ersten Jahren stellte allerdings eine Missionarsarbeit gegen Intern<br />
und Extern dar. Intern musste die Geschäftsleitung für das Thema sensibilisiert<br />
werden. Dazu wurden hohe Erwartungen geweckt, da man sonst Geld und Personal für<br />
den Aufbau nicht bekommen hätte. Da diese hoch gesteckten Erwartungen später nicht<br />
erfüllt wurden, stellten sie mit der Zeit eine gewisse Last dar. Allerdings konnte das<br />
Segment nach Auffassung einiger Manager zu diesem Zeitpunkt nicht mehr so einfach<br />
„abgesägt“ werden. Extern befand sich das Segment aufgrund des unbekannten<br />
561 Vgl. Beobachtungen B113.<br />
562 Vgl. Beobachtungen B029.<br />
563 Vgl. Beobachtungen B029.<br />
564 Vgl. Dokument D50, D10.<br />
255
256<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Produkts in einem noch zu entwickelnden Markt ebenfalls einer schwierige Ausgangs-<br />
situation. 565<br />
Die Notwendigkeit, das Segment intern zu verkaufen, zeigte sich selbst im Jahr 2000<br />
noch, <strong>als</strong> anlässlich des ERP-Projekts das PFC lange Zeit <strong>als</strong> Teil des Systemgeschäfts<br />
(CON) betrachtet wurde, obwohl dem Segment grundlegend verschiedene <strong>Prozess</strong>e<br />
zugrunde lagen.<br />
Hieran war deutlich die Unkenntnis der Organisation bezüglich der Stellung und der<br />
Tätigkeit des PFC <strong>als</strong> einem eigenständigen Segment zu erkennen. Hinzu kam, dass im<br />
PFC die Strukturen noch sehr stark in Bewegung waren. Da es ein im Aufbau befind-<br />
licher Bereich war, konnten die <strong>Prozess</strong>e noch nicht endgültig festgelegt werden. 566<br />
Im Verlauf der „Pionierphase“ wurde bis ca. 2000 das europäische Netz weiter ausge-<br />
baut und die Entwicklung in Deutschland forciert. In dieser Phase wurden auch<br />
negative Ergebnisse akzeptiert, nicht zuletzt weil der Leiter des Segments die PFC-<br />
Strategie plausibel verkaufen konnte. 567<br />
Diese Wachstumsstrategie bestand vor allem darin, das Segment schnell in möglichst<br />
vielen Ländern in Europa zu etablieren. Das Wachstum des PFC führt allerdings zu<br />
einem Dilemma. Der steigende Auftragseinhang führte dazu, dass für jede zusätzliche<br />
Umsatzmillion (DM) ein neuer Mitarbeiter eingestellt werden musste. Dies bedeutete<br />
Investitionen in Höhe ca. 200.000 DM für Ausbildung und Arbeitsplatz, die sich erst<br />
mittelfristig amortisierten und sich negativ auf die Profitabilität auswirkten. 568<br />
Das rasche Wachstum und die Ausbreitung in den Ländern führte auch dazu, dass in<br />
manchen Ländern die organisationalen Voraussetzungen nicht erfüllt wurden oder<br />
noch kein genügend großes Kundeninteresse an PFC-Lösungen bestand. Somit ver-<br />
besserten sich die Finanzkennzahlen nicht wesentlich und es blieben die gleichen<br />
Länder <strong>als</strong> „Problemfälle“ auf dem Tisch. Das lag zum einen an der starken Wachs-<br />
tumsorientierung, der zufolge man die Aktivität in keinem Land wieder einstellen<br />
konnte, da es ein f<strong>als</strong>ches politisches Signal gegeben hätte. Auf der anderen Seite<br />
565 Vgl. Interviews I23.<br />
566 Vgl. Beobachtung B036, B029, B030, B042.<br />
567 Vgl. Interviews I07.<br />
568 Vgl. Beobachtung B105.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
wirkte sich auch das stark ausgeprägte Subsidiaritätsprinzip der Organisation aus,<br />
welches die Etablierung neuer, zentral geführter Segmente wie des PFC behinderte. 569<br />
Man entschloss sich deshalb, eine „konservative Wachstumsstrategie“ zu wählen, um<br />
die Profitabilität des Segments zu steigern. 570 Damit bekam das Segment den im GJ<br />
2000/2001 entstandenen EBIT-Druck wesentlich zu spüren.<br />
So äußerte ein Manager aus einer Landesgesellschaft die Vermutung, dass die starke<br />
EBIT-Orientierung die bestehende Struktur zementiere. Die erfolgreichen Regionen in<br />
dieser Landesgesellschaft, die ihre EBIT- und Wachstumsziele erreichten, sahen<br />
danach keine Notwendigkeit in ein neues Geschäft wie das PFC zu investieren. 571 Für<br />
viele Landesgesellschaften war in Zeiten der stärkeren Ebit-Orientierung ein hohes<br />
Investment und dazu ein hohes Risiko zu ergebnisgefährdend.<br />
Die starke Profit-Center-Struktur führte im übrigen dazu, dass in einigen Landesge-<br />
sellschaften auch das PFC strukturell ähnlich aufgebaut war, was für das junge PFC-<br />
Geschäft allerdings eher ungeeignet erschien. So standen viele Vertriebsbüros vor der<br />
Schwierigkeit, Projekte nicht allein bewältigen zu können und waren auf die Koopera-<br />
tion mit anderen Büros oder anderen Segmenten angewiesen. Aufgrund von Profit-<br />
Center-Struktur und der damit verbundenen starken EBIT-Orientierung waren diese<br />
aber wenig interessiert, durch die Kooperation ihr eigenes Ergebnis zu gefährden. Das<br />
PFC befand sich gemessen an den anderen Segmenten in einer anderen Entwicklungs-<br />
phase und zeigte eine andere Geschäftslogik.<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Am Beispiel der Struktur des neuen Segments zeigt sich ein rekursiver <strong>Prozess</strong> der<br />
Strukturierung: Die vorhandene Struktur der Organisation – hier eine Profit-Center-<br />
Struktur prägte auch die Strukturierung des neuen Segments. Allerdings erwies sich<br />
diese Struktur aufgrund der veränderten Geschäftslogik <strong>als</strong> ein eher hinderlicher<br />
Faktor, insbesondere im Hinblick auf die Kooperation zwischen den einzelnen<br />
Vertriebsbüros und Segmenten.<br />
569 Vgl. Beobachtung B059.<br />
570 Vgl. Beobachtung B105.<br />
571 Vgl. Beobachtung B047.<br />
257
258<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Die Auswirkung verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Handlung und Kontext:<br />
Die Profit-Center-Struktur verbunden mit der starken EBIT-Orientierung schränkt das<br />
Handeln und die Kooperation der Regionalbüros ein. Diese sind in erster Linie daran<br />
interessiert, die Synergien in den Regionen zu nutzen. Allerdings werden dadurch<br />
keine Anreize zur Kooperation zwischen den Vertriebsbüros vermittelt und überge-<br />
ordnete strategische <strong>Prozess</strong>e und Veränderungen werden behindert. 572<br />
6.4.3.3 Kooperation zwischen dem PFC und anderen Segmenten<br />
Im November 2001 äußerte ein Manager aus dem Servicesegment auf einer PFC-<br />
Tagung die Meinung, dass sich das PFC etabliert habe und sich nun die Frage nach<br />
den Synergien zwischen den Segmenten stelle. Er betonte deutlich, dass das Service-<br />
segment älter wäre und zeigte nach der Präsentation der Aufgabenschwerpunkte des<br />
Service auf, wo seiner Meinung nach Kooperationsmöglichkeiten zwischen dem PFC<br />
und dem Service bestünden.<br />
Die Schwierigkeiten hinsichtlich der mangelnden Kooperation erklärte er vor allem<br />
durch die „unterschiedliche Denke“. Man gehe wohl allgemein davon aus, dass ein<br />
Kunde einem Segment angehöre. Darüber hinaus stelle das PFC mit seiner Größe noch<br />
nicht einmal fünf Prozent des Umsatzes vom Service dar. Schließlich sei auch der<br />
Zugang zum Kunden durch die hauptsächlich ökonomischen Argumente des PFC an<br />
die Adresse des Managements und die vorwiegend technischen Argumente des Service<br />
an die Adresse der Techniker recht unterschiedlich. 573<br />
Ansätze zur Verbesserung der Kooperation zwischen den Segmenten zielten vor allem<br />
darauf, die Vorteile aus der Kooperation für alle Beteiligten so zu gestalten, dass auch<br />
für die „alten“ Segmente ein ausreichender Anreiz bestand. Aus Sicht des PFC wäre<br />
ein Zugang zu den Kunden über diese Segmente, etwa um vorhandene Anlagen zu<br />
modernisieren, wesentlich einfacher. 574<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Das PFC stellte ein neues Produkt in einem neuen Markt dar. Es handelte sich damit<br />
im Sinne von MARKIDES um ein Beispiel für eine „strategic innovation“. Im PFC<br />
572 Vgl. Beobachtungen B115, B102, B086, B090, B051.<br />
573 Vgl. Beobachtungen B108.<br />
574 Vgl. Interview I08.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
standen nicht mehr die klassischen HLK-Produkte im Vordergrund, sondern die<br />
Finanzierung und die Einsparung von Energie(kosten). Das PFC änderte <strong>als</strong>o die<br />
„rules of the game“. 575 Damit kann von dieser neuen Initiative nicht auf Anhieb die<br />
gleiche Leistungsfähigkeit erwartet werden wie von Bereichen, die ausschließlich eine<br />
technische Innovation umsetzen.<br />
Zwei Punkte hebt MARKIDES im Hinblick auf strategische Innovationen wie das PFC<br />
hervor: Einerseits ist die frühzeitige Identifikation von Warnsignalen für strategische<br />
Veränderungen in Großunternehmen von zentraler Bedeutung. Das frühzeitige<br />
Erkennen sollte es ermöglichen, notwendige Veränderungen einzuleiten, solange die<br />
Unternehmung noch „gesund“ ist. Aus diesem Grund verbieten sich rein finanzielle<br />
Indikatoren, da diese typische „lagging indicators“ darstellen. 576<br />
Andererseits bedarf es, um neue strategische Positionen zu schaffen, einer innovativen<br />
Kultur. Diese wird im wesentlichen durch die Unternehmenskultur, Anreize, Struk-<br />
turen und Menschen bestimmt. Den von MARKIDES untersuchten strategischen Innova-<br />
toren lag jeweils ein spezifisches „mind-set“ zugrunde, daß auch Unzufriedenheit mit<br />
dem Status Quo ausdrückte.<br />
Vor diesem Hintergrund stellte das PFC eine interessante „unit of analysis“ für die<br />
Untersuchung <strong>identitätsbildender</strong> <strong>Prozess</strong>e dar. Schließlich waren das von MARKIDES<br />
geforderte „mind set“ und die Unzufriedenheit mit dem Status Quo bereits wesentliche<br />
Aspekte einer sich verändernden Identität.<br />
Das PFC repräsentierte damit eine doppelte Herausforderung: Einerseits impliziert<br />
eine solche strategische Innovation den Aufbau einer neuen aber anschlussfähigen<br />
Segmentidentität. Andererseits stellte das PFC-Segment eine große Herausforderung<br />
für die Art und Weise der Zusammenarbeit mit anderen Segmente dar. Durch seinen<br />
interdisziplinären Aufbau wurde nicht nur die interne Struktur des PFC, sondern auch<br />
die Struktur der gesamten Organisation hinterfragt.<br />
575 Vgl. Markides, 1998.<br />
576 Damit sind Indikatoren gemeint, die erst spät auf Veränderungen reagieren. Zu diesen Indikatoren zählen<br />
auch die meisten Finanzkennzahlen, da sie i.d.R. erst das abgeschlossene Ergebnis der Geschäftstätigkeit<br />
darstellen.<br />
259
260<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Allerdings zeigt die Beobachtung der Segmente, dass die gegenwärtige Struktur <strong>als</strong><br />
eine Unterscheidung im Sinne von SPENCER BROWN 577 derzeit von der Organisation<br />
nicht hinterfragt wurde. Man ging nach wie vor vom Fortbestand der Segmentierung<br />
aus und blieb damit auf der Ebene des <strong>Wandel</strong>s erster Ordnung, ohne das System in<br />
seiner Struktur zu hinterfragen. 578<br />
Wenngleich dieser Umstand angesichts der umfangreichen laufenden Veränderungen<br />
der Organisation im Sinne einer begrenzten „absorptive capacity“ 579 nachvollziehbar<br />
war, wurde damit ein „window of opportunity“ im Sinne der <strong>Wandel</strong>fähigkeit und im<br />
Sinne eines frühzeitigen <strong>Wandel</strong>s wie sie von MARKIDES gefordert wird u.U. ausge-<br />
lassen.<br />
6.5 Die Organisation des Forschungspartners MIGROS AARE<br />
Partnerorganisationen<br />
SBT<br />
Migros<br />
Aare<br />
Externer Kontext<br />
Externer<br />
Kontext SBT<br />
Externer Kontext<br />
Kontext<br />
Migros Migros Aare<br />
Aare<br />
<strong>Wandel</strong>inhalte<br />
(Projekte)<br />
BSC<br />
ERP<br />
PFC<br />
Postmerger- PMI- -<br />
projekte<br />
projekte<br />
Abbildung 74: Gedankenfluss Empirie<br />
Interner<br />
Kontext<br />
Analyse der<br />
Internen<br />
Kontexte<br />
<strong>Wandel</strong>prozesse<br />
Analyse der<br />
<strong>Wandel</strong>- -<br />
prozesse<br />
Nachfolgend wird der zweite Forschungspartner, die MIGROS AARE vorgestellt. Auch<br />
hier werden, wie bereits im Falle der SBT, zuerst allgemeine Informationen<br />
(Geschichte, Struktur der Organisation, Identitätsmerkmale und Treiber des <strong>Wandel</strong>s)<br />
und der externe Kontext mit den für den <strong>Wandel</strong> wesentlichen Einflussfaktoren<br />
577 Vgl. Spencer Brown, 1967.<br />
578 Vgl. die Ausführungen zur <strong>Wandel</strong>fähigkeit in Kapitel 5.2.2.<br />
579 Vgl. zum Begriff der „absorptive capacity“ Cohen und Levinthal, 1990.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
(Markt, Fusion, strategische Aspekte sowie Firmenkultur) vorgestellt werden. Den<br />
Abschluss bilden die Inhalte der strategischen <strong>Wandel</strong>projekte.<br />
6.5.1 Die Entstehungsgeschichte der MIGROS AARE<br />
Die MIGROS wurde 1925 von Gottlieb Duttweiler mit dem Ziel gegründet, vor allem<br />
die ärmere Bevölkerung vor Ort zu versorgen. Er begann mit 5 Verkaufswagen und<br />
einem Startkapital von SFr. 100.000. 1926 wurde in Zürich bereits der erste Laden<br />
eröffnet. In den folgenden Jahren erfolgte u.a. 1928 die Gründung der ersten Genos-<br />
senschaft im Tessin, 1936 die Gründung des schweizweiten MIGROS BUND und 1948<br />
die Eröffnung des ersten Selbstbedienungsladens in der Schweiz.<br />
Aufgrund politischer Widerstände, die in einem Filialverbot zwischen 1933-1945<br />
mündeten, engagierte sich die MIGROS in der Folge in anderen Märkten. Vor allem in<br />
den 40er und 50er Jahren wurden eine ganze Reihe von Fachunternehmen unter dem<br />
Dach der MIGROS gegründet, wie z.B. 1954 die Benzin- u. Heizölgesellschaft<br />
„MIGROL“ und 1957 die „MIGROSBANK“.<br />
1978 veröffentlichte die MIGROS <strong>als</strong> erstes Schweizer Unternehmen eine Sozialbilanz.<br />
Ein Engagement im Ausland, 1993 in Österreich, wurde zwei Jahre später wieder<br />
beendet. Der Genossenschaftsgedanke wirkte allerdings noch in die Geschäftspolitik<br />
der MIGROS hinein. Ziele wie Preisführerschaft oder die breite Versorgung der Bevöl-<br />
kerung waren Resultate einer genossenschaftlich orientierten Geschäftspolitik.<br />
Im Jahr 2000 realisierte der MIGROS-Konzern mit ca. 52.000 Vollzeitstellen bzw.<br />
knapp 72.000 beschäftigten Mitarbeitern einen Gesamtumsatz von etwa 20,174 Mrd.<br />
Franken und einem EBIT von 488 Mrd. SFr. 580<br />
6.5.2 Struktur der MIGROS AARE<br />
Der MIGROS-GENOSSENSCHAFTSBUND (MGB) war die Dachgesellschaft von zehn<br />
regional selbständigen Genossenschaften. Der MGB gehörte wiederum den Genossen-<br />
schaften, die Anteile am MGB besaßen. Die dezentral-föderale Struktur entwickelte<br />
sich aus dem raschen Wachstum in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahr-<br />
hunderts. Trotz einer gemeinsamen Dachorganisation gab es bei den verschiedenen<br />
Genossenschaften unterschiedliche Ablauf- und Aufbauorganisationen sowie recht<br />
heterogene Unternehmenskulturen.<br />
580 Vgl. Dokument D71.<br />
261
262<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Der MGB hatte im wesentlichen eine Dienstleistungsfunktion gegenüber den regio-<br />
nalen Genossenschaften. Darüber hinaus waren ihm die Industriebetriebe ange-<br />
schlossen, welche die Eigenmarken produzierten. Sowohl die genossenschaftliche<br />
Struktur <strong>als</strong> auch die Eigenmarken waren Elemente, durch die sich die MIGROS von<br />
der Konkurrenz deutlich unterschied. 581<br />
Finanzen / Information<br />
Personelles<br />
Kommunikation/Kulturelles<br />
Logistik<br />
Bau/Liegenschaften/Expansion<br />
Sekretariat<br />
Geschäftsleitung<br />
Supermarkt<br />
Sicherheitsdienst<br />
Projekte Logistik<br />
Fachmarkt<br />
Kunden<br />
Gastronomie<br />
Klubschule<br />
Abbildung 75: Organigramm der Genossenschaft MIGROS AARE<br />
(Quelle: Dokument D73).<br />
Die MIGROS AARE, <strong>als</strong> größte Genossenschaft nach der Fusion gliederte sich in vier<br />
Geschäftsbereiche. Die Detailhandelsaktivitäten umfassten die Super- und Ver-<br />
brauchermärkte, Fachmärkte, sowie Gastronomie. Das vierte Standbein waren die<br />
Klubschulen. Das Kerngeschäft stellt das Supermarktgeschäft der MIGROS AARE dar,<br />
welches aus der Vermarktung von Food, Kolonialwaren und Non-Food bestand. 582<br />
Die nachfolgende empirische Analyse der <strong>Wandel</strong>initiativen bezieht sich vor allem auf<br />
den Supermarktbereich, in dem die Fusion zu Synergien führen sollte. Dieser Bereich<br />
581 Vgl. Dokument D72.<br />
582 Zur Güterkategorie Food gehören Frischprodukte (Molkerei, Früchte/Gemüse, Fleisch/Fisch/Geflügel und<br />
Brot). Unter Kolonialwaren subsumieren sich alle weiteren Lebensmittel, die nicht zu den Frischeprodukten<br />
gehören (z.B.: Teigwaren, Schokolade, Konservennahrungsmittel usw.). Non-Food umfasst nicht essbare<br />
Güter des täglichen Bedarfs, wie beispielsweise Hygieneartikel oder Bekleidung.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
war, wie der gesamte Retailmarkt, im wesentlichen ein „local business“, d.h. dass es<br />
für den Kunden ersichtlich eine starke Differenzierung geben sollte. Damit stellte sich<br />
für die Organisation die Herausforderung, in den zentralen Unternehmensfunktionen,<br />
wie z.B. der Logistik, eine Standardisierung und Vereinheitlichung bei gleichzeitiger<br />
lokaler Rezeptivität zu erreichen.<br />
Insbesondere durch den Druck des Tagesgeschäfts und den Umstand, dass die Filialen<br />
täglich beliefert werden mussten, wurden die IT und die Logistik zu zentralen<br />
Funktionen. Die Filialen hatten dabei relativ wenig unternehmerische Aufgaben. Der<br />
Filialleiter war kein selbständig handelnder Unternehmer, da die Preise und Sortimente<br />
weitgehend zentral bestimmt wurden. „Er sorgt dafür, dass sich der Laden dreht“. 583<br />
6.5.3 Identitätsmerkmale der MIGROS<br />
Ein wesentliches Merkmal der MIGROS waren ihre Eigenmarken. Der Kunde sollte<br />
möglichst Produkte antreffen, die es anderswo nicht zu kaufen gab. So machten im<br />
Super-/Verbrauchermarkt Eigenmarken oder Brands, die in der Schweiz allein die<br />
MIGROS vertrieb, einen Anteil von ca. 95 Prozent aus. Die Sortimente wurden durch<br />
Fremdmarken lediglich ergänzt. In den Fachmärkten war der Anteil der Fremdmarken<br />
entsprechend höher.<br />
Neben den Eigenmarken mit z.T. Markenartikel-Charakter waren weitere Eckpfeiler<br />
des Erfolgs der MIGROS die Selbstbedienung, die in der Schweiz von der MIGROS zu-<br />
erst eingeführt wurde, das kulturelle Profil, welches geprägt war durch die Idee des<br />
Sozialen Kapit<strong>als</strong>, die Mitarbeiterpartizipation am Erfolg (Einstiegsprämie etc.) und<br />
die Vorsorgeleistungen für die Mitarbeiter (2/3 der Beträge für die Vorsorge wurden<br />
von MIGROS bezahlt).<br />
Darüber hinaus zeichnete sich die MIGROS vor allem durch den Verzicht auf den<br />
Verkauf von Alkohol und Tabak, eine starke ökologische Orientierung (die Grobver-<br />
teilung der Güter wird konsequent per Bahn vorgenommen), die Erstellung eines jähr-<br />
lichen Umweltberichts sowie durch ein Kundenbindungsinstrument (M-Cumuluskarte)<br />
aus, das eine große Menge an Daten und Informationen generierte, die aber noch nicht<br />
adäquat für ein Direct Marketing verwertet wurden. 584<br />
583 Vgl. Interview I66, I70.<br />
584 Vgl. Interview I66.<br />
263
264<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Strukturelle Herausforderungen ergaben sich vor allem aus den verschiedenen<br />
Sprachen im Verkaufsgebiet, dem stagnierenden Markt, der Nicht-Mitgliedschaft in<br />
der EU, der hohen Dichte des Verkaufsnetzes und nicht zuletzt der subsidiär-demo-<br />
kratischen Struktur, die gleichzeitig ein wesentliches kulturprägendes Element<br />
darstellte. 585<br />
Damit verbunden war eine Kultur, in der Konsens einen hohen Stellenwert einnahm.<br />
MIGROS-Teams brauchten Konsens und es durfte keiner herausragen. Das Gremium<br />
entschied. „Es ist nicht einer der Chef, sondern das Gremium ist der Chef.“ Die<br />
„Friede-Freude-Eierkuchen-Mentalität“ und der hohe Harmoniebedarf waren aller-<br />
dings mit einer ausgeprägten Schonkultur verbunden. Da auch keine Leistungskultur<br />
vorherrschte und Topleistungen nicht besonders gelobt oder bezahlt wurden, gingen<br />
viele Mitarbeiter und Führungskräfte Konflikten aus dem Weg. 586<br />
Abbildung 76: Eigenmarken der MIGROS<br />
(Quelle: Dokument D86)<br />
Zur Kultur gehörte es auch, wenig Externe hinzuzuziehen, sondern es selbst zu<br />
machen („Macher-Kultur“). Dies wurde beispielsweise in der Personalpolitik sichtbar:<br />
Um innerhalb der MIGROS Karriere zu machen und aufzusteigen, musste man sich im<br />
Geschäft der MIGROS auskennen. Freie Stellen wurden immer zuerst intern ausge-<br />
schrieben. Vielfach stiegen Mitarbeiter von der Filiale über eine Betriebszentrale bis<br />
585 Vgl. Interview I71.<br />
586 Vgl. Interview I71.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
zum MGB auf. Damit kannten die Mitarbeiter und Führungskräfte die Strukturen und<br />
Bedürfnisse der Filialen i.d.R. sehr gut. Auf der anderen Seite kamen dadurch wenig<br />
neue Impulse in die Organisation herein. 587<br />
Im Rahmen der Post-Merger Integration führte die Macher-Kultur dazu, dass die<br />
Organisation wenig Erfahrung im Umgang mit Beratern hatte und die Fusion weitge-<br />
hend selbständig schulterte.<br />
Innerhalb der MIGROS AARE bestanden nach der Fusion neben den vorrangigen Berner<br />
Elementen (u.a. top-down Führungsverständnis, konservativ, zahlen- und kosten-<br />
orientiert, wenig smart) auch viele der Elemente der ehemaligen Genossenschaft<br />
Aargau/Solothurn (u.a. innovativ, open minded, teamorientiert, experimentierfreudig)<br />
und zeigten sich z.B. im selbstverständlichen Umgang mit Großgruppeninter-<br />
ventionen. 588<br />
6.5.4 Treiber des <strong>Wandel</strong>s in der MIGROS<br />
Aktuelle <strong>Wandel</strong>themen ergaben sich für die gesamte MIGROS und damit auch für die<br />
einzelnen Genossenschaften aus Markt- und internen Veränderungen, der Organisation<br />
und der neuen Strategie der gesamten Migros (M-Gruppe).<br />
Die Marktveränderungen ergaben sich vor allem durch die Stagnation im Detail-<br />
handelsmarkt, Konzentrationsprozesse im Retailgeschäft, zunehmende Markteintritte<br />
ausländischer Anbieter sowie Veränderungen der Gewohnheiten der Konsumenten hin<br />
zu mehr Convenience.<br />
Interne Herausforderungen ergaben sich vor allem aus den steigenden Kosten der<br />
Genossenschaften und dem damit verbundenen sinkenden Betriebsergebnis. Vor allem<br />
die sinkenden Quadratmeter-Umsätze führten die Genossenschaften in eine Kosten-<br />
schere.<br />
587 Vgl. Interview I72.<br />
588 Vgl. Interview I71.<br />
265
266<br />
Marktveränderungen<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
• Logistikstrategie<br />
- Zentralisierung Kolonial<br />
• Stagnation im Detailhandelsmarkt<br />
• Konzentrationsprozess imRetailgeschäft<br />
• Zunehmende Markteintritteausl. Retailer<br />
in spezifische Gebiete<br />
• Veränderung der Einkaufsgewohnheiten<br />
der Konsumenten<br />
Interne Herausforderungen<br />
(Verteilzentrum)<br />
- Zentralisierung Non-Food<br />
(Verteilzentrum)<br />
- Konzentration Frische auf 5<br />
strategische Plattformen<br />
• Projektgruppe Non-Food<br />
„UNO“<br />
„UNO“<br />
• • Informatikstrategie:<br />
Informatikstrategie:<br />
Migros<br />
Genossenschaften<br />
• Steigende Kosten in der GM<br />
• Sinkende Betriebsergebnisse<br />
• Sinkende qm-Umsätze<br />
-> Kostenschere<br />
Vereinheitlichung<br />
Vereinheitlichung<br />
• • Neue Neue Struktur Struktur nach nach Sparten<br />
Sparten<br />
•<br />
• Wachstum Wachstum im im Bereich Bereich Fachmarkt<br />
Fachmarkt<br />
• • Konzernarchitektur/Neuorganisation<br />
Konzernarchitektur/Neuorganisation<br />
der der Führungsstruktur<br />
Führungsstruktur<br />
• • Fusionen Fusionen der der Genossenschaften<br />
Genossenschaften<br />
Neue Neue Strategien Strategien der der M-Gruppe<br />
M-Gruppe<br />
Organisation der gesamten MIGROS (M-Gruppe)<br />
Abbildung 77: Ausgewählte Treiber des <strong>Wandel</strong>s in der MIGROS<br />
Neue strategische Veränderungen der M-Gruppe führten vor allem zu einer geplanten<br />
Zentralisierung der verschiedenen Verteilzentren, wodurch eine markante Reduktion<br />
der betriebenen Logistikplattformen erreicht werden sollte. So war ein zentrales<br />
Kolonialwarenlager am Standort Suhr vorgesehen, ein zentrales Verteilzentrum für<br />
den Bereich Non-Food, eine Konzentration der Frischeplattformen auf fünf Standorte,<br />
eine zusätzliche Vereinheitlichung im Bereich Non-Food und eine einheitliche Infor-<br />
matik in Form eines einheitlichen Warenwirtschaftssystems. 589<br />
Veränderungen in der Organisation der M-Gruppe ergaben sich aus einer neuen<br />
Spartenorganisation, dem Wachstum im Bereich der Fachmärkte, einer veränderten<br />
Konzern- und Führungsstruktur sowie bereits vollzogene oder absehbare Fusionen<br />
zwischen einzelnen Genossenschaften.<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Insbesondere die Marktveränderungen stellten die bestehende Organisation der<br />
MIGROS-Genossenschaften vor eine gewaltige Herausforderung. Das Selbstverständnis<br />
589 Vgl. Dokument D74.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
der Organisationen, welches vor allem durch die lokale Bezogenheit und den sozialen<br />
Hintergrund der Gründerfiguren geprägt war, wurde angesichts der aktuellen Ent-<br />
wicklungen und strategischen Überlegungen auf den Prüfstand gestellt.<br />
Auch im Fall der MIGROS ergab sich daraus die Notwendigkeit der Veränderung von<br />
Strukturen, Systemen und Routinen. In den ablauforganisatorischen <strong>Prozess</strong>en waren<br />
aber gleichzeitig Wissen und Werte der Organisation verankert. Gerade die Abläufe,<br />
wie sie beispielsweise in der Logistik bestanden, prägten die Spielregeln der Zusam-<br />
menarbeit zwischen den Filialen und den Betriebszentralen. Eine Veränderung dieser<br />
Spielregeln kam angesichts ihrer langen Konstanz und Vergangenheit einer unge-<br />
ahnten und herausfordernden Veränderung im wechselseitigen Selbstverständnis<br />
gleich.<br />
6.6 Externer Kontext der Projekte der MIGROS AARE<br />
Im folgenden Abschnitt werden für die Initiativen der MIGROS AARE wichtige externe<br />
Einflussfaktoren dargestellt. Es handelt sich zum einen um die Marktsituation, die<br />
durch die zentrale Stellung des Tagesgeschäftes insbesondere im Bereich der Frische-<br />
produkte gekennzeichnet ist. Weitere wichtige Kontextfaktoren stellen die Fusion der<br />
MIGROS BERN und MIGROS AARGAU/SOLOTHURN zur MIGROS AARE, die Strategie der<br />
MIGROS AARE sowie die genossenschaftliche Struktur der Organisation dar.<br />
Die Darstellung des Kontexts dient auch hier vor allem dem Verständnis externer<br />
Einflussfaktoren auf die <strong>Wandel</strong>initiativen. 590 Damit wird gewissermaßen die<br />
Tarnkappe der Spieler, 591 die aus dem vergangenen, gegenwärtigen oder zukünftigen<br />
Kontext herrühren kann, offengelegt.<br />
590 Vgl. Pettigrew, 1987.<br />
591 Vgl. Gedankenexperiment in Kapitel 4.2.1<br />
267
Partnerorganisationen<br />
268<br />
SBT<br />
Migros<br />
Aare<br />
Externer Kontext<br />
Externer<br />
Kontext SBT<br />
Externer Kontext<br />
Migros Aare<br />
6.6.1 Der Markt der MIGROS AARE<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
<strong>Wandel</strong>inhalte<br />
<strong>Wandel</strong>inhalte<br />
(Projekte)<br />
(Projekte)<br />
BSC<br />
ERP<br />
PFC<br />
Postmerger- PMI- -<br />
projekte<br />
projekte<br />
Abbildung 78: Gedankenfluss Empirie<br />
Interner<br />
Kontext<br />
Analyse der<br />
Internen<br />
Kontexte<br />
<strong>Wandel</strong>prozesse<br />
Analyse der<br />
<strong>Wandel</strong>- -<br />
prozesse<br />
Die MIGROS AARE <strong>als</strong> Marktführer im Supermarktbereich stand in ihrem Geschäfts-<br />
gebiet in intensivem Wettbewerb mit der COOP-GENOSSENSCHAFT. Das Geschäfts-<br />
gebiet war aufgrund von abnehmenden Bevölkerungszahlen und dem Markteintritt<br />
ausländischer Großanbieter im Fachmarktbereich durch einen zunehmend intensiveren<br />
Wettbewerb mit Sättigungstendenzen gekennzeichnet. 592<br />
Die MIGROS AARE betrieb ihr Hauptgeschäft, den Verkauf von Frischeprodukten, 593 in<br />
einer hochdezentralen Fili<strong>als</strong>truktur mit über 140 Filialen. Der Umsatz verteilte sich<br />
auf die Bereiche Kolonialwaren (Nahrungsmittel ohne Frischeprodukte) mit ca. 25<br />
Prozent, Frischeprodukte und Brot über 50 Prozent sowie den restlichen ca. 25 Prozent<br />
für den Bereich Non-Food. 594<br />
Die wesentliche Herausforderung des Tagesgeschäfts bestand darin, die Erwartungen<br />
des Kunden bezüglich Qualität, Lieferbereitschaft, Ladendesign und Frische-<br />
kompetenz zu erfüllen. Hinzu kam noch die zunehmende Tendenz zur Convenience<br />
beim shopping sowie das selbstgesteckte Ziel, die Genossenschaft MIGROS AARE <strong>als</strong><br />
592 Vgl. Interview I66.<br />
593 In den Interviews Nr. 66 und 69 wird das Geschäft mit den Frischwaren <strong>als</strong> das „ureigene Kerngeschäft“<br />
bezeichnet in dem <strong>als</strong> einzigem Bereich noch bedeutende Margen erwirtschaftet werden können.<br />
594 Vgl. Interview I74.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
besten Frischeanbieter zu positionieren. 595 Der Grund dafür lag in der höheren Marge<br />
und dem Umstand, dass 66% des Umsatzes aus dem Frischebereich kamen. Die<br />
Bereitstellung frischer Produkte hatte bedeutende Auswirkungen auf die Wert-<br />
schöpfungskette (Rüsten, Kühlkette, saubere LKW, Laden, Qualität) und setzt hohe<br />
Verkaufs- und Lieferbereitschaft voraus.<br />
6.6.2 Fusion<br />
Am 19. Juni 1998 gaben die beiden Genossenschaften MIGROS AARGAU/SOLOTHURN<br />
und MIGROS BERN ihren Zusammenschluss zur MIGROS AARE bekannt. Mit ihren rund<br />
140 Filialen, 50 Restaurants, 10 Klubschulen und etwa 12.000 Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeitern wurde die neu gegründete MIGROS AARE zur größten Regionalge-<br />
nossenschaft innerhalb der MIGROS-GEMEINSCHAFT (MGB) und zum zweitgrößten<br />
Arbeitgeber im Kanton Bern. Das Detailhandelsunternehmen erzielte im Geschäftsjahr<br />
2001 einen Umsatz von 2,871 Mrd. CHF. 596<br />
Der Zusammenschluss zur MIGROS AARE war innerhalb der MIGROS-GEMEINSCHAFT<br />
die zweite Fusion, nachdem rund ein Jahr zuvor bereits eine Fusion in der Ostschweiz<br />
zur MIGROS OSTSCHWEIZ erfolgt war.<br />
Auslöser für die Fusionen war u.a. eine vom MGB in Auftrag gegebene Studie über<br />
die Organisation der Logistik. Die Logistik <strong>als</strong> zentraler <strong>Prozess</strong> für den Detailhandel,<br />
sollte nach dem Ergebnis der Studie in Zukunft im Frischebereich mit fünf und in den<br />
Bereichen Non-Food und Kolonial mit jeweils einer zentralen Plattform schweizweit<br />
betrieben werden. In Suhr, dem bisherigen Hauptsitz der MIGROS<br />
AARGAU/SOLOTHURN, sollte das zentrale Kolonialwarenlager gebaut werden.<br />
Aufgrund der räumlichen Verhältnisse war es für die MIGROS AARGAU/SOLOTHURN<br />
nicht möglich, parallel zur neuen, zentralen Kolonialwarenplattform die bestehende<br />
Frische-Plattform weiter zu unterhalten. Für die MIGROS AARGAU/SOLOTHURN stellten<br />
sich deshalb die Alternativen, entweder Zulieferverträge mit anderen Regionalge-<br />
nossenschaften für Frischeprodukte abzuschließen, eine gemeinsame Logistik-Gesell-<br />
schaft für Frischeprodukte mit anderen Regionalgenossenschaften aufzubauen oder mit<br />
der Genossenschaft MIGROS BERN zu fusionieren, um eine gemeinsame neue Frische-<br />
Plattform in Schönbühl, dem Hauptsitz der MIGROS BERN aufzubauen. Man entschloss<br />
595 Hierzu wurde auch eine Grossgruppenveranstatltung gemacht. Vgl. Dokument D75.<br />
596 Vgl. Dokument D83.<br />
269
270<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
sich schließlich anhand der Kriterien Machbarkeit, wirtschaftlicher Nutzen, Aus-<br />
wirkungen auf die Belegschaft, Positionierung sowie Sicht der MIGROS-<br />
GEMEINSCHAFT und nicht zuletzt aus Gründen der Komplexitätsreduzierung für die<br />
Fusion mit der MIGROS BERN zur gemeinsamen MIGROS AARE. 597<br />
Da es vorher keine Überlappungen der Geschäftsgebiete gegeben hatte, kam es im An-<br />
schluss an die Fusion auch nicht zu Fili<strong>als</strong>chließungen, wenngleich sich für die<br />
Zukunft die Frage nach der Dichte der Verkaufsstellen stellte. Durch die Einführung<br />
des neuen Warenwirtschaftssystems würden dazu in Zukunft die Voraussetzungen im<br />
Sinne eines Benchmarking und möglicher Rentabilitätsvergleiche unter den Filialen<br />
gegeben sein. 598<br />
Die Fusion zur MIGROS AARE wurde aus formalrechtlichen Gründen 599 <strong>als</strong> Übernahme<br />
durch die MIGROS BERN durchgeführt. Beabsichtigt war allerdings ein „merger of<br />
equ<strong>als</strong>“ <strong>als</strong>o ein Zusammenschluss unter gleichberechtigten Partnern mit dem Haupt-<br />
sitz der MG BERN und unter Beibehaltung sämtlicher Verkaufsstellen.<br />
6.6.3 Die Strategie der MIGROS AARE<br />
Die Fusion der MIGROS AARE und die strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen waren eine<br />
Folge der Geschäftsstrategie der MIGROS AARE, die u.a. Thesen zur Entwicklung des<br />
MGB enthielt und das Verhalten gegenüber den anderen Genossenschaften festlegte.<br />
Die strategische Zielsetzung der MIGROS AARE war es, die „Leaderposition“ unter den<br />
Genossenschaften zu erreichen. Zielgröße dafür sollte die langfristige Ergebnisent-<br />
wicklung sein. Aufbauend auf die Zufriedenheit der Kunden und der Mitarbeitenden<br />
sollte das ertragsorientierte Wachstum dem Unternehmen Freiraum und Akzeptanz <strong>als</strong><br />
kompetenter Gesprächspartner in der MIGROS sowie den Mitarbeitern Sicherheit für<br />
ihre Arbeitsplätze bringen. Diese Zielsetzung sollte erreicht werden durch die Ver-<br />
stärkung der Markt- und Kundenorientierung sowie die Profilierung <strong>als</strong> attraktivster<br />
Arbeitgeber im Detailhandel. 600<br />
597 Vgl. Dokument D74.<br />
598 Vgl. Interview I66.<br />
599 Vgl. die Ausführungen in Kapitel 4.3.1 zur rechtlichen Post-Merger-Integration.<br />
600 Vgl. Dokument D73.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Neben der Verbesserung der Ertragsorientierung war auch das „fit machen“ für die<br />
absehbare Einheitsgenossenschaft durch eine Verstärkung der <strong>Prozess</strong>orientierung,<br />
eine Entflechtung der verschiedenen Genossenschaftsaktivitäten, die Schaffung<br />
offener kompatibler Systeme und die Förderung der Veränderungsfähigkeit der<br />
MIGROS AARE mit ihren Mitarbeitenden Teil der Strategie.<br />
Die Thesen zur Entwicklung der MIGROS-GRUPPE von denen die MIGROS AARE in<br />
ihrer Strategie ausging, sah eine Entwicklung der MIGROS-GRUPPE hin zu einem divi-<br />
sionalisierten Konzern vor. Dabei sollte die Leitung die übergeordneten Aufgaben,<br />
Kompetenzen und die Verantwortung wahrnehmen. Die einzelnen Divisionen würden<br />
demnach prozessorientiert aufgebaut sein und über eine Divisionsleitung mit Gewinn-<br />
verantwortung verfügen. Die Gewinn-Optimierung würde primär in den Divisionen<br />
und Geschäftsbereichen stattfinden und nicht in den einzelnen Genossenschaften und<br />
Regionen. Die gesamte Leistungserstellung sollte über die verschiedenen Wert-<br />
schöpfungsstufen hinweg optimiert werden. 601<br />
6.6.4 Der genossenschaftliche Hintergrund<br />
Wenngleich die Anteile an einer Genossenschaft keinen Wertpapiercharakter haben 602<br />
und die vertraglichen Beziehungen zwischen Genossenschaften und ihren Mitgliedern<br />
im wesentlichen dem gesetzlichen Ziel der „gegenseitigen Selbsthilfe“ 603 dienen,<br />
musste die gemeinsame Fusion zur MIGROS AARE von den beiden Ursprungsge-<br />
nossenschaften durch Abstimmung genehmigt werden.<br />
Im Vergleich zu aktienrechtlichen Fusionen, bei denen vor allem die Steigerung des<br />
„Shareholder-Value“ 604 im Vordergrund steht, fehlt bei genossenschaftlichen Fusio-<br />
nen aufgrund des Nicht-Wertpapiercharakters der Einfluss von Seiten des Kapital-<br />
marktes. Dennoch stellte sich im Falle der MIGROS AARE die Frage, inwiefern die<br />
genossenschaftliche Rechtsform und die damit verbundenen Identitätsaspekte für die<br />
strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen von Bedeutung waren.<br />
601 Vgl. Dokument D73.<br />
602 Vgl. Reymond (1998), S. 52.<br />
603 Art. 828 Abs. 1 OR.<br />
604 Auf eine Diskussion der Shareholder-Value-Theorie wird in dieser Arbeit verzichtet und auf die einschlägige<br />
Literatur von Rappaport, Gomez/Weber und Busse von Colbe/Coenenberg verwiesen.<br />
271
272<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Eine offensichtliche Einflussnahme der Genossenschafter erfolgte zu Beginn des<br />
Fusionsprozesses im Rahmen der Genehmigung der Fusion durch die beiden<br />
Genossenschaften in einer Urabstimmung. Dabei war sowohl von der MIGROS<br />
AARGAU/SOLOTHURN <strong>als</strong> auch von der MIGROS BERN ein Mehrheitsquorum an Zu-<br />
stimmung und eine Mindeststimmbeteiligung erforderlich. Dazu wurden im „Brücken-<br />
bauer“, der Mitgliederzeitschrift der Genossenschaft, die Mitglieder kontinuierlich<br />
informiert und an den Entscheid herangeführt. 605 Wenngleich vor der Abstimmung bei<br />
der Geschäftsleitung der MIGROS AARE Unsicherheit darüber herrschte, ob die Mit-<br />
gliederbasis der Fusion zustimmen würde, ergaben die beiden Urabstimmungen eine<br />
große Zustimmung zur Fusion. 606<br />
Diese Abstimmung war der wesentliche Einfluss der Genossenschaftler. Es gab dar-<br />
über hinaus keinen Integrationsdruck oder offizielle Einflussnahme der Anteilseigner.<br />
Die Genossenschaften hatte damit für die Post-Merger-Integration und die unter-<br />
suchten strategischen Initiativen weitgehend freie Hand, auch was das<br />
Zeitmanagement anging. Nach Ansicht der Interviewpartner wirkte sich die<br />
Genossenschaftsform deshalb u.a. verlangsamend auf die Geschwindigkeit der<br />
Integration aus. 607<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Ähnlich der Situation der SBT stellt sich auch für die MIGROS AARE die strategische<br />
Herausforderung, in einem stark umkämpften und gesättigten Markt durch die<br />
Nutzung standardisierter <strong>Prozess</strong>e und moderner IT-Technik, eine Veränderung der<br />
strategischen Positionierung zu erreichen. Während die MIGROS in der Vergangenheit<br />
aus ihrem Sozialverständnis heraus durch die Versorgung der lokalen Bevölkerung<br />
und ihre genossenschaftlich-dezentrale Struktur geprägt war, bestimmten nun<br />
zunehmend die integrierten Strukturen der zentralen Funktionen wie Logistik und<br />
Informatik das Bild und die Identität der Organisation.<br />
605 Vgl. Interview I66, I69.<br />
606 Besonders das Erreichen der Mindeststimmbeteilung war für die Geschäftsleitung ein Unsicherheitsfaktor.<br />
Die Teilnahme an der Abstimmung über die Fusion wurde deshalb – entgegen der bisherigen Tradition - mit<br />
einem Geschenk in Form einer Tafel Schokolade verbunden. Man hatte befürchtet, dass ansonsten die Gefahr<br />
bestünde, die gesetzlich erforderlichen Quoren nicht zu erreichen.<br />
607 Vgl. Interview I68, I72, I73.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Analog dem Sprung einer multinationalen Organisation zu einer transnationalen<br />
Organisation schien es für die MIGROS vor allem darum zu gehen, von einer „multi-<br />
kantonalen“ dezentralen Struktur zu einer „transkantonalen“ zentralisierteren Organi-<br />
sationsstruktur zu gelangen. Dabei wurde die starke Orientierung an den lokalen<br />
Bedürfnissen teilweise etwas zurückgenommen und durch eine stärkere Integration der<br />
nationalen Organisationen bzw. in diesem Fall kantonalen Genossenschaften erweitert.<br />
Diese Zentralisierung führte tendenziell dazu, dass die lokalen Bedürfnisse und<br />
Besonderheiten im täglichen Geschäft weniger stark berücksichtigt werden konnten.<br />
Allerdings waren die faktischen Veränderungen, wie z.B. logistikbedingte Verände-<br />
rung der Sortimente, geringer <strong>als</strong> gedacht. Wesentlich schwerer wog dagegen der<br />
Verlust an unternehmerischer Autonomie. Die Möglichkeiten, selbst zu entscheiden,<br />
waren ein wesentlicher Teil des organisationalen Selbstverständnisses. Mit ihrer zu-<br />
künftigen Strategie strebte die MIGROS AARE nun eine Leaderposition an, um sich<br />
über den wirtschaftlichen Erfolg und ihre Vorreiterrolle einen unternehmerischen<br />
Freiraum und Akzeptanz <strong>als</strong> kompetenter Gesprächspartner in der MIGROS zu bewah-<br />
ren. 608 Sollte dieser Schritt gelingen, könnte man von dem gleichen Identitätsmuster<br />
auf einer höheren Ebene sprechen, da es der Genossenschaft auf diesem Wege<br />
gelungen wäre, ihre Ziele wieder stärker selbst bestimmen zu können.<br />
Der genossenschaftliche Hintergrund wirkte in diesem Zusammenhang ähnlich wie die<br />
Subsidiarität <strong>als</strong> ein anfängliches Hindernis. Er führte aber dazu, dass die getroffenen<br />
Entscheidungen ein hohes Maß an Konsens und Verankerung bei den Beteiligten<br />
fanden.<br />
So wurden Entscheidungsprozesse, wie etwa die zur Erreichung der juristisch erfor-<br />
derlichen Quoren, sehr langsam getroffen. Sie zwangen die Anteilseigner damit aber<br />
gleichzeitig zu einem hohen Maß an Sensemaking und Sensegiving, was wiederum ein<br />
verbindliches Fundament für die konkrete Planung und Ingangsetzung, beispielsweise<br />
der Post-Merger-Integration, schuf. 609<br />
6.6.5 Der externe Kontext der SBT und der MIGROS AARE im Vergleich<br />
Die Analyse des externen Kontexts zeigt für beide Unternehmen einen deutlichen<br />
Schritt vom multi- zum transnationalen Unternehmung (SBT) bzw. von einer lokalen<br />
608 Vgl. Dokument D73.<br />
609 Vgl. Gioia und Chittipeddi, 1991;Weick, 1985b.<br />
273
274<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
zu einer national einheitlichen Genossenschaft (MIGROS AARE). Mit diesem strate-<br />
gischen Schritt waren in beiden Organisationen Unternehmenszusammenschlüsse<br />
verbunden, die das Gesicht der Unternehmen maßgeblich veränderten.<br />
Mehr noch: Für beide Unternehmen – vor allem für die SBT – standen noch weitere<br />
Zentralisierungsschritte und damit auch kulturelle Veränderungen bevor. Für beide<br />
Unternehmen ging es damit aufgrund des sich verändernden Kontexts auch um die<br />
Neudefinition zentraler kultureller Elemente wie des Subsidiaritätsprinzips bzw. der<br />
genossenschaftlichen Struktur.<br />
Bauplätze dieser neuen organisationalen Architektur sind vor allem die strategischen<br />
<strong>Wandel</strong>initiativen. Sie haben explizite Wirkung auf die neuen <strong>Prozess</strong>abläufe und bis-<br />
weilen implizite Auswirkungen auf die organisationale Identität.<br />
Im Folgenden werden daher die strategischen Initiativen, die von zentraler Bedeutung<br />
für die Umsetzung der neuen Strukturen sind, hinsichtlich ihrer identitätsbildenden<br />
Wirkung untersucht.<br />
Entscheidend ist dabei, ob die identitätswandelnde Bedeutung der strategischen<br />
Initiativen erkannt wird, wie relevante Unterschiede wahr- und ernstgenommen<br />
werden, wie mit der „alten“ Identität umgegangen wird und wie neue<br />
Identitätselemente evtl. an bestehende anschließen können.<br />
Im Mittelpunkt steht dabei die Form des <strong>Prozess</strong>es der Erneuerung bzw. des <strong>Wandel</strong>s<br />
der Identität. Das Augenmerk der empirischen Analyse liegt daher weniger auf inhalt-<br />
lichen Aspekten, sondern vielmehr darauf, wichtige Elemente der <strong>Prozess</strong>gestaltung zu<br />
untersuchen, wie beispielsweise die Art und Weise der Einbeziehung, des Sense-<br />
making oder der Reflexion .<br />
Im Anschluss an die Klärung des externen Kontexts der MIGROS AARE werden nun die<br />
strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen kurz skizziert.<br />
6.7 Strategische <strong>Wandel</strong>projekte der MIGROS AARE<br />
Als viertes strategisches <strong>Wandel</strong>projekt werden im Folgenden drei Teilprojekte aus der<br />
Post-Merger-Phase der MIGROS AARE vorgestellt. Gewählt wurde das Logistikprojekt,<br />
das neue Warenwirtschaftssystem (WWS) und der Führungsentwicklungsprozess<br />
TEZetera der MIGROS AARE. Die Wahl fiel auf diese Initiativen, da sie einerseits den<br />
vorgestellten <strong>Wandel</strong>projekten bei der SBT vergleichbar und andererseits für die Post-
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Merger-Phase der MIGROS AARE <strong>als</strong> Post-Merger-Integrations-Projekte (PMI-<br />
Projekte) von zentraler Bedeutung waren.<br />
Partnerorganisationen<br />
SBT<br />
Migros<br />
Aare<br />
Externer Kontext<br />
Externer<br />
Kontext SBT<br />
Externer Kontext<br />
Migros Aare<br />
6.7.1 Zentralisierung der Logistik<br />
<strong>Wandel</strong>inhalte<br />
<strong>Wandel</strong>inhalte<br />
(Projekte)<br />
(Projekte)<br />
BSC<br />
ERP<br />
PFC<br />
Postmerger PMI- PMI- -<br />
-<br />
projekte<br />
projekte<br />
Abbildung 79: Gedankenfluss Empirie<br />
Interner<br />
Kontext<br />
Analyse der<br />
Internen<br />
Kontexte<br />
<strong>Wandel</strong>prozesse<br />
Analyse der<br />
<strong>Wandel</strong>- -<br />
prozesse<br />
Vier Jahre nachdem der Verwaltungsrat des MGB eine neue Logistikstrategie be-<br />
schlossen hatte, wurde in der ehemaligen Betriebszentrale der MIGROS<br />
AARGAU/SOLOTHURN das neue MIGROS-Verteilzentrum Suhr (MVS) für Trocken-<br />
waren und Getränke eröffnet. Die Errichtung des MVS stellte eine der wichtigsten<br />
Initiativen zur Umsetzung der übergeordneten Logistikstrategie des MGB dar, welche<br />
die Zentralisierung der Warenwirtschaft zum Ziel hatte. Die Hochleistungsanlage, mit<br />
moderner Kommissionierung, Bahnhalle mit Gleisanlage und Hochregallager, sollte<br />
bei voller Inbetriebnahme täglich bis zu 5.700 Euro-Paletten im Wareneingang und<br />
rund 7.200 Paletten im Warenausgang umschlagen. 610<br />
Für das MVS wurden rund 115 Mio. Franken in Bauten und Infrastruktur investiert<br />
und weitere 65 Mio. Franken für die Informationstechnologie aufgewendet. Die<br />
610 Vgl. Dokument D76.<br />
275
276<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Gesamtinvestitionen für die Umstellung aller Warenbereiche auf eine zentralisierte<br />
Warenflusslogistik für die nächsten zehn Jahre wurden vom MGB auf etwa eine<br />
Milliarde Franken veranschlagt.<br />
Bereits vor der Inbetriebnahme des Verteilzentrums für Trockenwaren und Getränke in<br />
Suhr war die Zentralisierung der Warenwirtschaft erfolgreich im Non Food-Bereich<br />
Kinder/Bébé, Bekleidung und Schuhe im MIGROS Verteilzentrum Neuendorf einge-<br />
führt worden. Mit der Eröffnung des MVS kam allerdings das gesamte Trockenwaren-<br />
sortiment inklusive der Getränke dazu.<br />
Ziel dieser Zentralisierungsmaßnahmen war es, durch eine hocheffiziente Logistik und<br />
intelligente Warenwirtschaftssysteme, Kosten zu sparen und den Kunden kompe-<br />
tentere Sortimente zu präsentieren. Dank hoher Warenverfügbarkeit und tieferer<br />
Kosten sollten die Kunden von besseren Preisen profitieren. Durch einen kürzeren<br />
Lagerumschlag – 10 statt 32 Tage – tiefere Lagerbestände, verringerte Lagerflächen,<br />
niedrigere Abschreibungen und höhere Umsätze auf besser genutzten Filialflächen<br />
sollten Kosteneinsparungen ab 2006 in Höhe von jährlich 200 Mio. Franken erreicht<br />
werden.<br />
Voraussetzung für eine zentrale Verteilung von Suhr aus war allerdings, dass die bis-<br />
lang noch aus Suhr gelieferten Frischeprodukte zukünftig von Schönbühl aus geliefert<br />
werden konnten. Eine zentrale Frischeplattform erschien schon deshalb notwendig,<br />
weil die Komplexität sonst zusätzlich erhöht und die Synergien nicht optimal genutzt<br />
worden wären. 611<br />
Da die bestehende Frische-Plattform in Schönbühl nicht genügte, um die Frische-<br />
produkte für das gesamte neue Geschäftsgebiet der fusionieren Genossenschaft zu<br />
liefern, musste in Schönbühl bis Herbst 2000 eine neue zentrale Logistik für die<br />
Frischeprodukte aufgebaut werden, um die Umsetzung der Logistikstrategie in Suhr zu<br />
ermöglichen. Es ging <strong>als</strong>o darum, zeitgerecht die alte Plattform in Suhr zu räumen und<br />
eine neue Plattform für Frischprodukte in Schönbühl aufzubauen, die den Anforder-<br />
ungen des Frischevertriebs der fusionierten MIGROS AARE entsprach. Dadurch konnte<br />
dann im zweiten Schritt Platz gemacht werden für die Errichtung des MVS. Die<br />
folgende Abbildung zeigt vereinfacht die Logik des Wechsels.<br />
611 Vgl. Interview I73.
Schönbühl/exMigros<br />
Bern<br />
Frischeprodukte<br />
Non-Food<br />
Suhr/exMigros<br />
Aargau/Solothurn<br />
Frischeprodukte<br />
Non-Food<br />
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Schönbühl/exMigros<br />
Bern<br />
Frischeprodukte<br />
(für die MG Aare)<br />
Suhr/exMigros<br />
Aargau/Solothurn<br />
Non-Food MVS<br />
(für den gesamten<br />
MGB)<br />
Abbildung 80: Zusammenlegung der Frischplattform und des Verteilzentrums Non-Food<br />
Die Errichtung einer neuen Frischeplattform bedeutete ein hohes Maß an Destabi-<br />
lisierung, da die Logistik von den eingeschliffenen Routinen lebte. Ein Mitglied des<br />
Managementteams beschrieb die Routinen neben einer funktionierenden Teamstruktur<br />
und erfahrenen Mitarbeitern <strong>als</strong> die eigentlichen hintergründigen Stabilisatoren. 612<br />
Von besonderer Herausforderung für die Veränderung dieser Routinen war, dass<br />
neben Planung, Organisation und Umsetzung der Veränderungsmaßnahmen das<br />
Tagesgeschäft aufrechterhalten werden musste.<br />
Die Integration der zwei funktionierenden Logistiksysteme, die trotz des gleichen<br />
Geschäfts unterschiedliche Lösungen wie z.B. unterschiedliche Bestelllieferrhythmen<br />
aufwiesen, stellte eine große Herausforderung dar. Die unterschiedlichen Ansprüche in<br />
einen Belieferungskontext zu stellen und eine einheitliche Lösung zu erarbeiten, stellte<br />
Ansprüche an die Veränderungsbereitschaft aller Beteiligten. 613 So wurden z.B. in der<br />
ehemaligen MG Bern die Milchprodukte im Tagesverlauf ausgeliefert. In der MG<br />
Aargau/Solothurn wurden die Milchprodukte dagegen am Morgen vor Ladeneröffnung<br />
angeliefert. Im neuen System konnten nicht mehr beide Belieferungen aufrechterhalten<br />
werden, sondern es musste eine Lösung gefunden werden.<br />
Bezüglich der Lieferrhythmen beschloss man einen Teil der Ware nach wie vor am<br />
Morgen, einen anderen Teil vor dem Mittag auszuliefern. Für die Filialen in Bern war<br />
612 Vgl. Interview I73.<br />
613 Vgl. Interview I73.<br />
277
278<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
dies kein Problem, für die Filialen in Aargau/Solothurn war die getroffene Lösung eine<br />
Verschlechterung gegenüber dem bisherigen Vorgehen. 614<br />
6.7.2 Zentrales Warenwirtschaftssystem (WWS)<br />
Mit der Zentralisierung der Warenwirtschaft sollte auch eine Vereinheitlichung der IT-<br />
Systeme einhergehen. Eine neue SAP-Retail-Standardsoftware sollte u.a. sicherstellen,<br />
dass die in rund 530 MIGROS-Filialen und Restaurants abverkaufte Ware der Trocken-<br />
sortimente und Getränke automatisiert nachgeliefert wurde. Artikel- und Preis-<br />
mutationen sollten automatisch auf rund 6.000 Kassen der MIGROS-Filialen fehlerfrei<br />
übermittelt werden. Lagerbestände auf der Stufe der Filialen, Verteilzentren und<br />
Außenlager sollten täglich kontrolliert und verifiziert werden. Geplant war, im<br />
Anschluss an die Aufschaltung der MIGROS AARE im nächsten Schritt auch die<br />
MIGROS BASEL bis Mai 2003 und etappenweise die anderen acht Genossenschaften<br />
zuzuschalten.<br />
Die Logistikstudie sah vor, dass die Genossenschaften mittelfristig nur noch die<br />
Frischeplattformen betreiben sollten und die Verteilung der Kolonialwaren und Non-<br />
Food-Artikel durch nationale Verteilzentren erfolgen sollte. Für die Übergangsphase<br />
bedeutete das einen Parallelbetrieb mehrer Warenwirtschaftssysteme. Abbildung 82<br />
veranschaulicht den geplanten Übergang.<br />
Bereits vor der Fusion hatte es Bestrebungen zur Modernisierung des WWS gegeben.<br />
Ausgangspunkt waren Mängel am alten WWS. 1994 hatte man beschlossen, das<br />
Warenwirtschaftssystem der MIGROS zu überarbeiten. Gemeinsam mit den Genossen-<br />
schaften Bern, Aargau/Solothurn, Winterthur/Schaffhausen, Basel und Zürich wurde<br />
das Projekt MIZU (MIGROS Informatikzusammenarbeit) gestartet.<br />
614 Vgl. Interview I73
WWS Bern<br />
Migros Aare<br />
-Non-Food<br />
-Kolonial<br />
Postmergerphase<br />
Zwei alte regionale WWS (Non-Food, Kolonial)<br />
Ein neues regionales WWS (Food)<br />
Filiale Migros Aare Nord<br />
Filiale Migros Aare Süd<br />
SAP-Retail (Food)<br />
Betrieben von<br />
Migros Aare<br />
WWS AG/SO<br />
Migros Aare<br />
-Non-Food<br />
-Kolonial<br />
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
SAP-Retail (Non-Food)<br />
betrieben vom<br />
MGB<br />
Integrationsziel laut Logistikstudie<br />
Zwei neue zentrale WWS (Non-Food, Kolonial)<br />
Ein neues regionales WWS (Food)<br />
Filiale Migros Aare<br />
SAP-Retail (Food)<br />
Betrieben von<br />
Migros Aare<br />
Abbildung 81: Geplante Integration der Informatik in drei WWS 615<br />
SAP-Retail (Kolonial)<br />
betrieben von<br />
MGB<br />
Zu Beginn versuchte man, eine eigene Lösung zu entwickeln, entschied sich aber rasch<br />
dazu, eine Standard-Software zu verwenden. Man wollte keine „Innovation in alter<br />
Technik“. Gegen eine Eigenentwicklung sprach insbesondere, dass man befürchtete,<br />
hinter dem Stand der Technik hinterherzuhinken und eine Inflation der Anforderungen<br />
von Seiten der Benutzer zu bekommen. Trotz der hohen Kosten für ein integriertes<br />
Fremdsystem entschied man sich schließlich für SAP.<br />
In der Zwischenzeit war die MIGROS WINTERTHUR/SCHAFFHAUSEN mit der MIGROS<br />
ST. GALLEN fusioniert und auch die MIGROS BASEL hatte das Projekt verlassen. 1998<br />
startete man dann mit den verbleibenden vier Genossenschaften mit SAP Retail, ein<br />
noch junges Produkt von SAP. Kurz vor dem Start erfolgte dann die Entscheidung zur<br />
Fusion zwischen den GENOSSENSCHAFTEN BERN und AARGAU/SOLOTHURN.<br />
Der Leiter der IT der neuen MIGROS AARE wurde auch Leiter des Projekts „Ein-<br />
führung Warenwirtschaftssystem Frische“, das die Produkte der Molkerei, Früchte und<br />
Gemüse, Blumen und Fleisch, Fisch und Geflügel umfasste. Im Verlauf des Projekts<br />
kam auch der Bereich „Brot“ noch dazu. Dieser war vorher Teil der Kolonialwaren,<br />
der aber jetzt für die gesamte Schweiz zentral von Suhr aus durchgeführt werden<br />
sollte. Als Termin für die Einführung der neuen Frische-Plattform wurde Ende 2001<br />
bestimmt.<br />
615 Abbildung in Anlehnung an Stofer, 2002.<br />
279
280<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Anders <strong>als</strong> im Bereich der Kolonialwaren, bei dem die Filialen zukünftig in der<br />
gesamten Schweiz durch ein zentrales System beliefert und direkt mit der Zentrale<br />
Zürich kommunizieren sollten, sollte im Bereich der Frischprodukte der Weg über die<br />
Genossenschaften gehen. Für den dritten Bereich Non-Food war dagegen wieder eine<br />
schweizweit zentrale Lösung wie bei den Kolonialwaren geplant. 616<br />
Durch die Neustrukturierung erhielten zahlreiche MIGROS-Mitarbeitende die Chance,<br />
neue interne Funktionen und neue Arbeitsplätze zu übernehmen. Teilweise fielen aber<br />
auch Arbeiten weg. Von den 4.300 Personen in den Verteilzentren arbeiteten nach der<br />
Umstellung etwa 300 weniger in der Logistik. Da der Entscheid bereits seit Frühjahr<br />
1998 bekannt war, kam es aber durch frühzeitige Personalplanung zu keinen Ent-<br />
lassungen. 617<br />
Ähnlich wie bei der Logistik führte das neue SAP-gestützte Warenwirtschaftssystem<br />
in der Informatik zu einer Veränderung der Abläufe und der Logik des Systems.<br />
Herausforderungen waren insbesondere das Umdenken von Wertgrößen auf Mengen-<br />
größen, die artikelgenaue Bewirtschaftung und die Bedeutung der Tagesaktualität. 618<br />
Dadurch ergaben sich Änderungen bei Retouren oder beim Schwund. Außerdem<br />
musste nun tagfertig der Wareneingang berechnet werden und der Lagerbestand sauber<br />
geführt werden, da sonst die Voraussetzung für ein automatisches Bestellwesen der<br />
Filialen nicht gegeben war.<br />
Eine Schwierigkeit ergab sich dadurch, dass die Filialen drei verschiedene Ansprech-<br />
partner für Kolonial, Frische und Non-Food hatten. Ein Interviewpartner wies darauf<br />
hin, dass dadurch Schwierigkeiten zum Beispiel bei Verkaufsaktionen auftreten<br />
konnten. So konnte beispielsweise der Tiefkühlplatz von verschiedenen Bereichen<br />
beansprucht werden, was dann zu Konflikten führen konnte. 619<br />
Geplant war, dass die gesamten Frischeprodukte zum Ende 2001 auf SAP laufen<br />
sollten, während der Bereich Kolonialwaren Ende 2003 abgeschlossen sein sollte.<br />
Ende 2006 sollte es dann ein System für den Bereich Non-Food geben, d.h. Ende 2006<br />
sollte es zwei Warenwirtschaftssysteme und eine Handvoll Frische-Plattformen geben.<br />
616 Vgl. Interview I74, I73.<br />
617 Vgl. Dokument D76.<br />
618 Vgl. Interview I66, I70.<br />
619 Vgl. Interview I74, I73.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Ein Interviewpartner bezweifelte allerdings, dass man zu den fünf Systemen kommen<br />
werde, die in der Logistikstudie vorgesehen waren. Die dezentrale Struktur der Genos-<br />
senschaften mit den zehn Geschäftsleitern sei schließlich auch dafür verantwortlich,<br />
dass von dem,was in der Studie zur Zentralisierung bis 2001 vorgesehen war, bislang<br />
noch nichts erreicht worden war. Der Umstand, dass der MGB den Genossenschaften<br />
gehöre, erschwere den geplanten Zentralisierungsprozess. 620<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Die beiden Initiativen aus dem Bereich der Logistik und der Warenwirtschaft stellten<br />
die zentralen Eckpfeiler der strategischen Neupositionierung der MIGROS AARE dar.<br />
Insbesondere die neue Organisation der Logistik entsprechend der Logistikstudie mit<br />
dem MVS und der Frische-Plattform war der Grund für die beiden Genossenchaften,<br />
eine engere Zusammenarbeit zu suchen, die letztendlich in einer Fusion mündete. Eine<br />
Umstellung der Logistik war mit dem Fusionsentscheid unvermeidlich.<br />
Damit verbunden war auch die Notwendigkeit, die bestehenden Informatiksysteme der<br />
beiden Genossenschaften zusammenzuführen. Der Umstand, dass parallel dazu das<br />
SAP-Retail (Food) im Rahmen der MIZU zeitgleich entwickelt wurde, stellte eine<br />
Doppelelastung für die Organisation dar. Hätte man allerdings das Projekt aufgegeben,<br />
dann wäre die Zusammenarbeit im Rahmen der MIZU vermutlich beendet gewesen.<br />
Auf der anderen Seite bedeutete die Ablösung der alten Warenwirtschaftssysteme<br />
durch ein neues gemeinsam entwickeltes System auch eine Chance für die Integration.<br />
Durch das neue System konnte eine Unterscheidung, die durch die unterschiedlichen<br />
technischen Systeme <strong>als</strong> Differenzschemata zwischen den Organisationen weiter be-<br />
standen hätte, überwunden werden. Es wurde <strong>als</strong>o nicht mehr von einem Warenwirt-<br />
schaftssystem Bern bzw. Süd und einem Warenwirtschaftssystem Aargau/Solothurn<br />
bzw. Nord gesprochen.<br />
Die eigentliche Integration fand damit nicht in der Auswahl des jeweils besten<br />
Systems beider Organisationen statt, da durch diese Auswahl erneut eine Verschärfung<br />
der Unterscheidung stattgefunden hätte. Durch das neue System wurde dagegen die<br />
formale Unterscheidung aufgehoben.<br />
620 Vgl. Interview I74, I73.<br />
281
6.7.3 TEZetera<br />
282<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Die Geschäftsleitung hatte bereits früh realisiert, dass die Integration nur funktionieren<br />
konnte, wenn die Führungspersonen einig waren und zusammen Probleme lösen<br />
konnten. Die oberste Führung sollte Vorbild sein und einheitlich auftreten. Dieser<br />
<strong>Prozess</strong> brauchte nach Ansicht der Geschäftsführung externe Unterstützung, da man<br />
sonst auf die Wichtigkeit nicht aufmerksam geworden wäre und sich schwer getan<br />
hätte. 621<br />
Der Geschäftsleitung wurde durch zwei Berater, die zuvor ein Projekt zur Divisionali-<br />
sierung in der MG Aargau/Solothurn begleitet hatten, nahegelegt, mit einer Teament-<br />
wicklung die Integration der Geschäftsleitung zu starten. Die Geschäftsleitung willigte<br />
ein, sich durch die beiden Berater (einen Kaufmann und einen Psychologen) begleiten<br />
zu lassen und erteilte ihnen eine „carte blanche“ für die Ausgestaltung des <strong>Prozess</strong>es.<br />
Die Berater organisierten zum Start eine dreitägige Geschäftsleitungs-Klausur, wovon<br />
zwei Tage <strong>als</strong> Outdoor-Event gestaltet wurden. Man flog mit dem Helikopter zum<br />
Aaregletscher und machte mit den Teilnehmern eine Outdoor-Übung bei schlechtem<br />
Wetter. Die Übung wurde – vor allem auf der kommunikationspsychologischen Ebene<br />
- ausgewertet und es wurde drei Tage lang an der Formung des Teams gearbeitet.<br />
Die Idee hinter dieser Intervention bestand darin, dass die Einzelnen bei den Outdoor-<br />
Übungen an ihre Grenzen stoßen und dadurch mit den eigenen Glaubenssätzen,<br />
Ängsten etc. konfrontiert würden. Es wurden auch tatsächlich Grenzen erreicht, über<br />
welche die Teilnehmer noch nie gesprochen hatten. Damit sollte eine Parallele zu der<br />
Fusionsphase geschaffen werden von der angenommen wurde, dass jeder Manager an<br />
einen Grenzbereich gelangen würde. Das Wissen, wie man <strong>als</strong> Manager mit diesen<br />
Grenzen oder Befürchtungen in Bezug auf die Fusion umgehen konnte, sollte die<br />
nötige <strong>Prozess</strong>sicherheit vermitteln. Die paradoxe Logik lautete: Unsicherheit zugeben<br />
und dadurch Sicherheit erreichen. Die Gewissheit sollte über die Vergewisserung der<br />
Ungewissheit erreicht werden. Vor dem Hintergrund einer Mehrebenenbetrachtung<br />
löst sich ein solch scheinbarer Widerspruch wieder auf. Das Ziel bestand <strong>als</strong>o darin,<br />
ein Klima der Offenheit zu gestalten. 622<br />
621 Vgl. Interview I66, I67.<br />
622 Vgl. Interview I71.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
Das Ziel des TEZetera-Integrationsprojekt war, eine möglichst schnell funktions-<br />
fähige, gemischt zusammengesetzte Geschäftsleitung zu bilden. Zuerst wurde die<br />
Teambildung durch den Outdoor-Event gestartet. In einer nächsten Phase ging es um<br />
eine Strategieüberarbeitung und Übungen, die dabei halfen, die kulturellen Unter-<br />
schiede aufzuarbeiten. Der <strong>Prozess</strong> war jeweils zweitägig und wurde durch die beiden<br />
Berater begleitet.<br />
Die Vision für das Geschäftsleitungsteam bestand darin, dass man mittels des<br />
TEZetera-<strong>Prozess</strong>es ein Hochleistungsteam werden könnte. Herausforderungen waren<br />
dabei insbesondere eine Werte-Diskussion (Werte der Geschäftsleitung), kulturelle<br />
Unterschiede, Teamprozesse (wer arbeitet mit wem? Outsideridentifikation? Netz-<br />
werke?), die Bildung einer starken Führungscrew, das bisherige Problemlösungs-<br />
muster bei der Behandlung von Inhaltsthemen („MIGROS-Macher-Kultur“) sowie ver-<br />
schiedne Themen, bei denen die externen Berater den Mitgliedern der Geschäfts-<br />
leitung den Spiegel vorhielten. Darüber hinaus brachten die Berater die Methodik des<br />
Kontraktmanagements ein und es wurden auf jeder Geschäftsleitung-Sitzung<br />
Konktrakte hergestellt und in Übungen immer wieder abgerufen. 623<br />
Die Vision des Hochleistungsteams der Geschäftsleitung führte dazu, dass durch die<br />
gute Entwicklung der Geschäftsleitung die unteren Ebenen nicht mit dem Ent-<br />
wicklungsprozess mithalten konnten. Dies lag zum einen daran, dass bzgl. der zweiten<br />
Hierarchieebene lange nicht erkannt wurde, wo die Stärken des Managements und der<br />
einzelnen Personen der zweiten Führungsebene waren, und worin Überforderungen<br />
der zweiten Ebene im <strong>Prozess</strong> bestanden. 624<br />
Die Geschäftsleitung hatte anfänglich die Wahrnehmung, dass die Organisation diesen<br />
<strong>Prozess</strong> im gleichen Tempo nachvollzog. Aus Sicht der übrigen Organisation bestand<br />
aber eine Lücke zwischen dem Entwicklungsstand der Geschäftsleitung und der Orga-<br />
nisation. Zwar wurden, im Anschluss an die Sitzungen der Geschäftsleitung, der Integ-<br />
rationsleiter und der Kommunikationschef jeweils darüber informiert, was von der<br />
Geschäftsleitung beschlossen worden war bzw. was kommuniziert werden sollte,<br />
trotzdem war das rasante Tempo der Geschäftsleitung auf diesem Wege nicht nach<br />
außen zu vermitteln.<br />
623 Vgl. Interview I71, I66.<br />
624 Vgl. Interview I71, I69.<br />
283
284<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Innerhalb der Geschäftsleitung wurde bei den monatlichen Sitzungen an konkreten<br />
Projekten gearbeitet und es wurde Raum gegeben, um Denkhaltungen, Grundwerte<br />
und Problemlösungsmuster der Geschäftsleitungskollegen kennen zu lernen und<br />
antizipieren zu können. Dabei wurde mit relativ einfachen Formen der Zusammen-<br />
arbeit begonnen. Mit der Zeit wurden dann zunehmend anspruchsvollere Aufgaben<br />
und <strong>Prozess</strong>e bis hin zum Konfliktmanagement anhand der inhaltlichen Probleme im<br />
Team bearbeitet. Es bestand Teilnahmepflicht für alle Geschäftsleitungsmitglieder.<br />
Die Mitglieder trafen sich i.d.R. an einem anderen Ort, abseits vom Tagesgeschäft, zu<br />
dem sie bereits gemeinsam anreisten. Die Sitzungen waren ausgerichtet auf konkrete<br />
Managementthemen, die im Rahmen der Integration anstanden. Auch Unangenehmes<br />
wurde dabei behandelt, sodass anlässlich der Erstellung eines Kostenstellenplans nicht<br />
nur hart diskutiert wurde, sondern auch Personen in Frage gestellt wurden. 625<br />
Aus Sicht der externen Begleiter war zu Beginn des <strong>Prozess</strong>es allerdings eine ausge-<br />
prägte Schonkultur, verbunden mit einem hohen Harmoniebedürfnis, vorhanden. Es<br />
gab nach Meinung vieler Interviewpartner in der ganzen MIGROS eine hohe<br />
Harmonienorm. In Verbindung mit dem Fehlen einer Leistungskultur, die Top-<br />
leistungen anerkannte, lobte und auch bezahlte, gingen die Mitarbeiter den Konflikten<br />
vorwiegend aus dem Weg. Die Konfliktfähigkeit wurde deshalb von Beginn an<br />
thematisiert und bis zum Abschluss immer wieder besprochen. Das Auftauchen dieser<br />
Themen wurde dabei durch die Neubesetzungen in der Geschäftsleitung gefördert, da<br />
dadurch nach Ansicht der Beteiligten ein „diskrepanterer Ton“ in die Geschäftsleitung<br />
einzog und auch unangenehme und persönliche Themen auf den Tisch kamen. 626<br />
Themen, die bei dem <strong>Prozess</strong> offen diskutiert wurden waren u.a.<br />
• der Umstand, dass es Gewinner und Verlierer bei einer solchen Fusion gibt und<br />
nicht mehr jeder die gleiche Funktion wie vor der Fusion haben konnte,<br />
• die Geschäftsleitungsmitglieder aus zwei unterschiedlichen Welten kamen und<br />
sich dies an verschiedenen Punkten zeigte,<br />
625 Vgl. Interview I66, I71.<br />
626 Vgl. Interview I71.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
• Feedback-Runden über die kulturellen Unterschiede und die verschiedenen<br />
Meinungen über die jeweils andere Genossenschaft. 627<br />
Nach Meinung verschiedener Interviewpartner führte das Projekt TEZetera dazu, dass<br />
die Geschäftsleitung ein starkes einheitlichen Auftreten zeigte. 628<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Die Initiative TEZetera kann aus systemtheoretischer Perspektive <strong>als</strong> eine<br />
Beobachtung 2. Ordnung aufgefasst werden: Die Geschäftsleitung begab sich<br />
unterstützt von zwei <strong>Prozess</strong>begleitern in die Metaperspektive und beobachtet das<br />
eigene Verhalten. Damit wurde der <strong>Prozess</strong> der Integration im Anschluss an die Fusion<br />
der beiden Genossenschaften nicht mehr dem Bereich des impliziten und individuellen<br />
Wissens überlassen, sondern es wurden die Selbstverständlichkeiten und im Vorhinein<br />
getroffene Annahmen über die andere Organisation explizit behandelt. Die<br />
unumgängliche Thematisierung der Beziehungsthemen erfolgte damit nicht mehr auf<br />
Stellvertreterschauplätzen sachlicher oder strategischer Fragen nach dem Motto „wer<br />
hat das bessere System?“, sondern es wurden anhand konkreter Integrationsthemen die<br />
dahinter liegenden und oftm<strong>als</strong> ausgeblendeten Beziehungsfragen thematisiert. Es<br />
wurden gewissermaßen die impliziten Wirkmomente expliziert.<br />
Die Differenzierung der Inhalts- und Beziehungsebene ergab dabei zwei erstaunliche<br />
Paradoxien: Erstens führte die bewusste Beachtung und aktive Bearbeitung der<br />
Beziehungsdynamik und der persönlichen Grenzen zu einer Zunahme an Gewissheit<br />
im hochkomplexen und –dynamischen <strong>Prozess</strong> des Unternehmenszusammenschluss.<br />
Das scheinbare Paradoxon, dass man über die Vergewisserung der eigenen Unge-<br />
wissheit Gewissheit gewinnt, fand damit seine Auflösung in der Mehrebenenbe-<br />
trachtung und Differenzierung von sozialer und inhaltlicher Dimension.<br />
Zweitens führte der Umstand, dass die Geschäftsleitung sich Zeit nahm für die eigene<br />
Entwicklung, überraschenderweise nicht dazu, dass der <strong>Prozess</strong> für die Gesamt-<br />
organisation langsamer wurde. Vielmehr erfolgte von Seiten der Organisation die<br />
Rückmeldung, dass die Geschäftsleitung der restlichen Organisation zu sehr voraus-<br />
eilte. Hieran zeigt sich deutlich, dass durch das zeitliche Investment in die<br />
Beziehungsarchitektur der Geschäftsleitung sich später auszahlte.<br />
627 Vgl. Interview I71.<br />
285
286<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Betrachtet man den TEZetera <strong>Prozess</strong> aus kultureller Perspektive, so stellt er sicher<br />
einen Gegensatz zur MIGROS-üblichen „Ärmel-hoch"-Mentalität dar. Der Verzicht auf<br />
einen ähnlichen <strong>Prozess</strong> auf der Ebene der Mitarbeiter und der Bruch zwischen der<br />
Geschäftsleitungsebene und der zweiten Führungsebene zeigt, dass ein dem TEZetera<br />
vergleichbarer <strong>Prozess</strong> für die übrige Organisation notwendig gewesen wäre. 629<br />
6.8 Zusammenfassung der verschiedenen Projekte<br />
Die vier vorgestellten Projekte stellen strategische <strong>Wandel</strong>initiativen mit einem mehr<br />
oder weniger deutlichen Bezug zu den zurückliegenden Fusionen der jeweiligen<br />
Organisation dar. Wenngleich sie teilweise nicht direkt im Anschluss an einen Unter-<br />
nehmenszusammenschluss stattfanden (z.B. ERP), so sind sie doch insofern typisch<br />
für eine Post-Merger-Phase, <strong>als</strong> sie die Schaffung neuer Strukturen, die Nutzung<br />
möglicher Synergien und eine Vereinheitlichung und Harmonisierung von <strong>Prozess</strong>en<br />
und Strukturen zum Ziel haben.<br />
Ausgelöst durch die neuen technischen Möglichkeiten integrierter IT-Systeme werden<br />
häufig die Geschäftsprozesse und die dahinterliegenden Routinen in den betroffenen<br />
Bereichen grundlegend verändert. Stellvertretend zeigen die beiden beschriebenen<br />
SAP-Einführungen, dass sich mit den neuen technischen Systemen eine Veränderung<br />
der Verantwortung, der Transparenz der Abläufe und Handlungsroutinen und damit<br />
auch der Führungs- und Organisationsstrukturen ergibt.<br />
Dies hat weitgehende Auswirkungen auf die soziale Logik und verändert über das<br />
Verständnis der Beziehungen der verschiedenen stakeholder auch das Verständnis der<br />
individuellen und organisationalen Identitäten. Es wäre an dieser Stelle ein gefähr-<br />
licher Irrtum anzunehmen, dass die Einführung einer neuen EDV über die Ablauf-<br />
organisation hinaus ohne weitere Konsequenzen bliebe.<br />
Ganz im Gegenteil: Wie bereits in Kapitel 2 aufgezeigt, erweisen sich bei einem<br />
Großteil der Fusionen die „soft issues“ i.d.R. <strong>als</strong> die härtesten Probleme. Es wird<br />
deshalb interessant sein, im weiteren Verlauf zu analysieren, wie in den verschiedenen<br />
Initiativen mit den Auswirkungen auf die soziale Logik des <strong>Prozess</strong>es und<br />
insbesondere mit der Veränderung der Identität im Rahmen der strategischen Projekte<br />
umgegangen wurde.<br />
628 Vgl. Interview I68.<br />
629 Vgl. zur Bedeutung und zum Umgang mit Paradoxien Littmann und Jansen, 2000.
Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />
6.9 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Unternehmen<br />
Wenngleich sich der Vergleich der strategischen <strong>Wandel</strong>prozesse in erster Linie auf<br />
die Gegenüberstellung der Projekte und nicht der Unternehmen bezieht, bietet eine<br />
vergleichende Betrachtung der beiden Unternehmen interessante Aufschlüsse für die<br />
hier interessierenden Fragen des strategischen <strong>Wandel</strong>s:<br />
Beide Unternehmen waren in einem gesättigten Markt tätig und standen aufgrund<br />
strategischer Überlegungen und zurückliegender Mergerprozesse vor einer grund-<br />
legenden Veränderung ihrer unternehmerischen Identität.<br />
Die SBT, bzw. ihre ehem<strong>als</strong> selbständigen Traditionsunternehmen, wurde durch die<br />
beiden Merger Teil eines Weltkonzerns und damit in der Folge mit Themen der<br />
Synergienutzung, der Vereinheitlichung von Produkten und <strong>Prozess</strong>en konfrontiert.<br />
Für die MIGROS AARE ergab sich nach ihrer Fusion ebenfalls die Notwendigkeit zur<br />
Vereinheitlichung verschiedener Systeme und Strukturen. Wenngleich diese vorder-<br />
gründig erst einmal nur Unternehmensfunktionen wie IT oder Logistik betrafen, hatte<br />
das unmittelbare Auswirkungen auf den Kern des organisationalen Selbstver-<br />
ständnisses.<br />
Die MIGROS <strong>als</strong> traditionelles Unternehmen im Detailhandel mit ausgeprägtem<br />
sozialen Selbstverständnis und die ehemaligen SBT Firmen mit einer charakteristisch<br />
technischen Orientierung hatten beide eine stark subsidiäre bzw. dezentrale Struktur.<br />
Hinsichtlich der Tradition ließen sich dabei die Divisionen durchaus mit den<br />
Genossenschaften vergleichen. Für beide stand in der Vergangenheit – und steht u.U.<br />
auch noch weiterhin – eine markt- und strategiebedingte Standardisierung zentraler<br />
Wertschöpfungsprozesse an. Interessanterweise reagierten beide Organisationen<br />
dadurch, dass sie sich quasi zum Vorreiter der Entwicklung machten und sich durch<br />
die Flucht nach vorne im Vergleich zu anderen Divisionen oder Genossenschaften eine<br />
gewisse Autonomie und Stärke in ihrem neuen Umfeld zu erarbeiten versuchten.<br />
Dass sich daraus für alle Beteiligten Herausforderungen hinsichtlich der neuen Spiel-<br />
regeln und der Selbst- und Fremdverständnisse ergaben, formulierte ein Manager <strong>als</strong><br />
die eigentliche Managementaufgabe für die bevorstehenden Jahre: „Give SBT a<br />
meaning.“ 630<br />
630 Vgl. Interview I68.<br />
287
288<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Die Implikationen, die sich daraus für die soziale Logik und die Beziehungsprozesse<br />
ergaben, werden wesentlicher Teil der folgenden empirischen Analyse sein.<br />
Da es dabei im weiteren nicht um einen Vergleich der Unternehmen geht, sondern um<br />
einen Vergleich der <strong>Wandel</strong>prozesse und ihrer identitätsbildenden Wirkung, erfolgt die<br />
weitere Analyse anhand des Vergleichs der strategischen Projekte und nicht des Ver-<br />
gleichs der Unternehmen. Es werden damit <strong>als</strong>o jeweils <strong>Prozess</strong>e aus verschiedenen<br />
<strong>Wandel</strong>initiativen gegenübergestellt und deren Implikationen für die Identitätsbildung<br />
untersucht.
Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />
7 Empirische Analyse der identitätsbildenden Wirkung<br />
strategischer Initiativen<br />
Die Erforschung von Mensch und Organisation bleibt eine unendliche Geschichte.<br />
Christoph Baitsch<br />
Die Beschreibung und Interpretation der <strong>Wandel</strong>phänomene wird nachfolgend entlang<br />
der von PETTIGREW vorgeschlagenen Dimensionen mit der Untersuchung der internen<br />
Kontexte und der <strong>Wandel</strong>prozesse fortgesetzt. 631 Dazu werden jeweils zuerst die<br />
Ergebnisse (first order findings) und dann die Interpretation der beschriebenen Pro-<br />
zesse aus der Perspektive des Forschers (second order findings) dargestellt. 632<br />
Während die <strong>Wandel</strong>inhalte der Projekte und der externe Kontext im vorangehenden<br />
Kapitel jeweils der Darstellung des jeweiligen Unternehmens zugeordnet waren,<br />
werden in diesem Kapitel der interne Kontext und die <strong>Wandel</strong>prozesse der vier Pro-<br />
jekte direkt und unabhängig vom jeweiligen Unternehmen miteinander verglichen.<br />
Das Augenmerk der Analyse liegt dabei auf der identitätsbildenden Wirkung der inter-<br />
nen Kontextfaktoren und <strong>Prozess</strong>aspekte der vier strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen.<br />
Dabei wird allerdings nicht eine systematische Analyse aller Aspekte, sondern ledig-<br />
lich eine durch die Forschungsfrage motivierte Strategie des „planned opportunism“<br />
befolgt, die besonders relevante Aspekte in komparativer Form darstellt. 633<br />
7.1 Der interne Kontext – eine strukturelle Analyse<br />
Die nachfolgende Analyse des internen Kontexts des organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />
geschieht in Anlehnung an PETTIGREW. Unter dem internen Kontext versteht er vor<br />
allem organisationale Strukturen und Kulturen. 634<br />
Um die Untersuchung dieser internen Strukturen zu systematisieren, wird die Analyse<br />
anhand der in Kapitel 4.2.7 vorgestellten Strukturprinzipien nach SPARRER/VARGA<br />
VON KIBÉD durchgeführt. 635 Es wird damit ein heuristischer Rahmen gesteckt, der die<br />
<strong>Wandel</strong>prozesse durch eine systemorientierte Brille wahrnimmt und ein Raster für die<br />
631 Vgl. zu den Dimensionen <strong>Wandel</strong>inhalt und externer Kontext das vorhergehende Kapitel Pettigrew, 1987.<br />
632 Vgl. Zum Umgang mit first- und second-order findings bei der ethnographischen Arbeit Van Maanen, 1983<br />
und Kapitel 3.3.1.<br />
633 Vgl. Pettigrew, 1990.<br />
634 Vgl. Pettigrew, 1987.<br />
635 Vgl. Kapitel 4.2.7 und Sparrer, 1997, Varga von Kibéd und Sparrer, 2000a.<br />
289
290<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Implikationen der Veränderungsprozesse bereitstellt. Im wesentlichen werden dabei<br />
die fünf Strukturprinzipien verwendet, um die Dynamik der internen<br />
Kontextveränderungen aufzuzeigen.<br />
Partnerorganisationen<br />
SBT<br />
Migros<br />
Aare<br />
Externer Kontext<br />
Externer<br />
Kontext SBT<br />
Externer Kontext<br />
Migros Aare<br />
<strong>Wandel</strong>inhalte<br />
<strong>Wandel</strong>inhalte<br />
(Projekte) (Projekte)<br />
BSC<br />
ERP<br />
PFC<br />
Postmerger PMI- PMI- -<br />
-<br />
projekte<br />
projekte<br />
Abbildung 82: Gedankenfluss Empirie<br />
Interner<br />
Kontext<br />
Analyse der<br />
Internen<br />
Kontexte<br />
7.1.1 Die zwei Seiten des <strong>Wandel</strong>s: Wertschätzung des Bestehenden und<br />
Erläuterung des Veränderungsbedarfs<br />
<strong>Wandel</strong>prozesse<br />
Analyse der<br />
<strong>Wandel</strong>- -<br />
prozesse<br />
Im Rahmen der <strong>Wandel</strong>- und Erneuerungsinitiativen ergab sich für die Protagonisten<br />
immer wieder die paradoxe Situation, dass die Einführung des Neuen <strong>als</strong> implizite Ab-<br />
wertung des bestehenden Alten gesehen werden konnte. Schlimmer noch: Um die Not-<br />
wendigkeit des <strong>Wandel</strong>s zu verdeutlichen, musste bisweilen erst eine Einsicht in die<br />
Unzulänglichkeit der bisherigen Vorgehensweisen erreicht werden. Dabei war stets der<br />
Umstand zu berücksichtigen, dass die Beteiligten sich oft stark mit dem Bestehenden<br />
identifizierten.<br />
Vignette: Abzulösende Systeme<br />
Durch die Einführung der SAP Software im Rahmen des ERP-Projekts<br />
wurden bisherige Softwareentwicklungen weitgehend überflüssig. Diese<br />
Lösungen waren in der Vergangenheit von den Mitarbeitern teilweise bis<br />
aufs äußerste in Eigenarbeit optimiert worden. Die Leitung des ERP-Pro-
Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />
jekts vermutete zu Beginn, dass an vielen Stellen im Unternehmen auch<br />
private Excelsheets und Datenbanken bestünden, welche die ursprünglichen<br />
Schwachstellen der Softwareplattform überbrückt hatten. Die Einführung<br />
einer neuen Plattform bedeutete für viele der betroffenen Mitarbeiter einen<br />
doppelten Rückschritt: Einerseits verlor man die individuell angepassten<br />
eigenen Lösungen und zum anderen auch die Möglichkeit, selbst flexibel<br />
und bedarfsgerecht Änderungen in den Programmen vorzunehmen. 636<br />
Ein ERP-Manager bekundete in diesem Zusammenhang seine Auffassung,<br />
dass nicht die technischen Probleme, sondern das Commitment und die Ko-<br />
operation im Projekt die erfolgskritischen Punkte seien. Er sprach sich ins-<br />
besondere dafür aus, dass es wichtig sei, die Tradition und das bestehende<br />
Wissen anzuerkennen. 637<br />
Die Aussagen der Leitung des ERP-Programms und der Geschäftsleitung<br />
insbesondere gegenüber den Landesgesellschaften waren von Beginn an<br />
geprägt durch die Anerkennung des Werts der bestehenden Software-<br />
systeme und die Entwicklungsarbeit, die dafür aufgebracht worden war.<br />
Angesichts der neuen Situation und des verschärften Wettbewerbs war es<br />
aus Sicht der Geschäftsleitung aber notwendig, ein neues System mit<br />
harmonisierten <strong>Prozess</strong>en einzuführen, um den Erfolg der Organisation in<br />
Zukunft zu sichern. 638<br />
So erklärte ein ERP-Manager bei der Kick-off-Veranstaltung für die<br />
Landesgesellschaft Schweiz, dass Anfang der 90er Jahre, <strong>als</strong> die bestehende<br />
Software eingeführt wurde, auf dem Markt noch keine ERP-Software er-<br />
hältlich war, die alle <strong>Prozess</strong>e in einem Unternehmen hätte abbilden<br />
können. Nachdem aber solche Lösungen mittlerweile entwickelt wären, sei<br />
es folgerichtig, die verschiedenen Detaillösungen durch eine integrierte<br />
ERP-Software zu ersetzen. Mit SAP bestünde eben jetzt seit wenigen<br />
Jahren die Möglichkeit, ein umfassende ERP-Lösung zu bekommen. 639<br />
636 Vgl. Beobachtung B114.<br />
637 Vgl. Beobachtung B058, B077.<br />
638 Vgl. Beobachtung B061.<br />
639 Vgl. Beobachtung B045, B046.<br />
291
Vignette: Wertschätzung für eine gesamte Organisation<br />
292<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Auch auf der Ebene der Gesamtorganisation bestand die Notwendigkeit<br />
einer solchen Anerkennung: Die Landesgesellschaft Deutschland verfügte<br />
bereits über ein eigenes funktionierendes SAP-System. Sie sollte aber in das<br />
neu zu entwickelnde, gesamteuropäische System integriert werden, wo-<br />
durch sie voraussichtlich auf bestimmte Vorteile wie z.B. die deutsch-<br />
sprachige Menüführung verzichten musste. Auf der anderen Seite konnten<br />
durch die Größenvorteile einer gesamteuropäischen Lösung auch zusätz-<br />
liche Module, wie etwa eine Industrielösung, entwickelt werden, in deren<br />
Genuss dann auch die deutsche Landesgesellschaft kam.<br />
Um die besondere Rolle der deutschen Landesgesellschaft zu würdigen,<br />
wurde im Verlauf des Projekts der Geschäftsführer der Landesgesellschaft<br />
Deutschland auch in das Steering Comittee des Projekts einberufen. Damit<br />
sollte die Bedeutung der Landesgesellschaft auch nach außen hin doku-<br />
mentiert werden und die erfolgskritische Zusammenarbeit garantiert<br />
werden. 640<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Veränderungen wie auch die, in der deutschen Landesgesellschaft können eine<br />
Abwertung des Bestehenden enthalten: Wenn das Bestehende noch gut genug wäre,<br />
gäbe es keine Veranlassung es zu ersetzen. Diese Abwertung der bestehenden Lösung<br />
führt dann in einen Teufelskreis, der sich negativ auf die Wertschätzung, Kooperation<br />
und die Einsicht der Notwendigkeit der Veränderung auswirkt.<br />
Abwertung der bestehenden<br />
Lösung<br />
-<br />
-<br />
640 Vgl. Beobachtung B069, Interview I59.<br />
Persönliche Akzeptanz<br />
& Wertschätzung<br />
Einsicht in die Notwendigkeit<br />
des <strong>Wandel</strong>s<br />
Bereitschaft zur<br />
Kooperation<br />
Abbildung 83: Auswirkung der Abwertung des Bestehenden<br />
-<br />
-
Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />
Die paradox anmutende Anfangsaufgabe der Agenten des <strong>Wandel</strong>s besteht somit<br />
darin, das Alte <strong>als</strong> gut anzuerkennen und zu würdigen, gleichzeitig aber klar zu<br />
kommunizieren, dass damit die Zukunft nicht zu meistern ist. 641<br />
Im Fall der ERP-Einführung war der wertschätzende Umgang der Projektleitung mit<br />
den Ländergesellschaften die Voraussetzung für den Erfolg des Projekts. Akzeptanz<br />
und Einverständnis der Länder für den <strong>Wandel</strong>prozess wurden über einen intensiven<br />
Dialog erreicht, der das Bestehende ausreichend würdigte, gleichzeitig aber deutlich<br />
machte, dass es nicht ausreichen würde, um in Zukunft weiterhin erfolgreich zu<br />
sein. 642<br />
Aus diesem Grund musste zu Beginn kommuniziert werden, warum eine neue Soft-<br />
wareplattform überhaupt notwendig war. Es ging dabei insbesondere darum, das stra-<br />
tegische Potential und die zu erwartenden Nutzenaspekte zu verdeutlichen. Im<br />
vorliegenden Fall wurde die Situation noch zusätzlich dadurch verschärft, dass die<br />
neue Plattform für einige Mitarbeiter einen Rückschritt bedeutete. Zwar gewann die<br />
Organisation, etwa durch das Vermeiden von Mehrfacheingaben, an Effizienz auf der<br />
Gesamtebene. Aber es konnte für einzelne Mitarbeiter eine deutliche Verschlechterung<br />
in ihren Arbeitsroutinen bedeuten. Diese häufig nicht zu vermeidenden Konsequenzen<br />
auf der Ebene der Geschäftsprozesse (Inhaltsebene) machen eine umso stärkere<br />
Gestaltung einer tragfähigen Sozialarchitektur (Beziehungsebene) notwendig. Als<br />
erster Schritt zu einer solchen tragfähigen Sozialarchitektur kann in der Anerkennung<br />
des Bestehenden gesehen werden. Darin wird gleichzeitig auch die Nichtleugnung der<br />
bestehenden Identität der Mitarbeiter, Muster und Organisationsroutinen deutlich.<br />
Diese Identität ist häufig stark mit den bisherigen Ergebnissen in Form von Strukturen,<br />
Produkten u.a. verbunden.<br />
Eine interessante Vorgehensweise wurde in diesem Zusammenhang bei der Fusion der<br />
beiden MIGROS Genossenschaften gewählt. Hier ließ man die Mitarbeiter in der<br />
Fusionsphase ein „Buch“ schreiben, damit diese von den alten Organisationen Ab-<br />
schied nehmen konnten. Sie konnten dabei in freier Form ihre Eindrücke zur Integra-<br />
641 Eine Möglichkeit diese Paradoxie aufzulösen besteht etwa darin, dass für alle Beteilitgten deutlich wird, dass<br />
vergangene Lösungen zwar in einem zurückliegenden Kontext geeignet waren, mittlerweile aber keine gute<br />
Lösung mehr darstellen.<br />
642 Dazu bemerkt Wimmer 1999, S. 176 allgemein: „Es ist eine Voraussetzung, dass das Bedrohungspotenzial,<br />
das in einer Fortführung der bisherigen Erfolgsmuster steckt, plausibel gemacht werden kann.“<br />
293
294<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
tion schildern. Das Ziel dabei war, durch die Anerkennung der alten Organisation das<br />
Loslassen zu fördern. 643<br />
7.1.2 Zugehörigkeit <strong>als</strong> oberstes Prinzip<br />
Das Prinzip der Zugehörigkeit spielt für die System-Umwelt-Unterscheidung einer<br />
Organisation eine zentrale Bedeutung. Eng verbunden damit ist die Frage nach der<br />
Existenz des Systems, weil die Systemgrenze und die Gleichwertigkeit der Zuge-<br />
hörigkeit auch das Überleben des Systems sichert.<br />
Vignette: Merger oder „erst mal den Laden zusammen halten, dann Synergien<br />
nutzen“<br />
Das Management des Mergers bei L&S war - wie bereits angedeutet - durch<br />
ein stark subsidiäres Vorgehen geprägt. Der Leiter, der dieses Prinzip gera-<br />
dezu verkörperte, entschied sich sehr früh gegen ein Business Reen-<br />
gineering, die Einführung eines ERP oder ein dem ERP vergleichbares<br />
Programm zur Kostensenkung in der ersten Phase. Vielmehr wurde die<br />
Integration in zwei Phasen gestaltet:<br />
In der ersten Phase bestanden die Ziele vor allem darin, ein Team zu bilden,<br />
eine gemeinsame Identität aufzubauen, den gemeinsamen Kundenstamm zu<br />
erhalten und eine gemeinsame Planung und Budgetierung vorzunehmen.<br />
Dazu wurden früh die Mitglieder der neuen Geschäftsleitung am HQ be-<br />
stimmt. In den Ländern übernahm jeweils einer der beiden Geschäftsführer<br />
(L&G oder STAEFA CONTROL) <strong>als</strong> neuer Leiter der LANDIS&STAEFA die<br />
Verantwortung. Man betrieb auch schnell die Zusammenführung der Stand-<br />
orte. Anschließend wurden die wichtigsten Mitarbeiter aus den Ländern in<br />
einem Workshop zusammengerufen und die Strategie und Struktur der<br />
Organisation erarbeitet. Damit hatte man sehr schnell für eine Stabilisierung<br />
der DUs und des Geschäfts gesorgt.<br />
Ein Manager beschrieb das zentrale Anliegen in dieser Phase damit, dass<br />
man in der ersten Phase „um Himmels willen Geschäftsvolumen behalten“<br />
wollte, <strong>als</strong>o den Fokus auf die Bewahrung der Marktanteile und weniger auf<br />
Effizienz oder Optimierung legte. Man handelte nach dem Motto: „Kunden,<br />
die wir jetzt verlieren, sind viel schwieriger wiederzuholen <strong>als</strong> ein schlech-<br />
643 Vgl. Interview I71, I66.
Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />
tes Geschäftsjahr. Das Jahr hängt sowieso durch. Aber wenn man die<br />
Kundenbasis noch hat, hat man eine wesentlich besserer Ausgangslage für<br />
die Verbesserung der Effizienz.“ 644<br />
In der zweiten Phase arbeitete man dann stärker an der Erhöhung der Pro-<br />
fitabilität und der Harmonisierung der IT. Dies sollte durch die beiden stra-<br />
tegischen Projekte ERP und DESIGO geschehen. Man erwartete davon eine<br />
deutliche Effizienzsteigerung. 645<br />
Nachdem damit der Bestand und die Existenz gesichert waren, ging man<br />
die Frage der Effizienzsteigerung an. Das kam vor allem in einer erhöhten<br />
EBIT-Orientierung sowie der Einführung des ERP zum Ausdruck. Insbe-<br />
sondere vom ERP erhoffte man sich mit zunehmender Zeit eine Kostenein-<br />
sparung aufgrund der harmonisierten Geschäftsprozesse. 646<br />
Vignette: Geht es auch umgekehrt? Über Shared Service zum Merger?<br />
Mit dem Shared Administrative Service Projekt (SAS) versuchte die SBT,<br />
administrative Funktionen, die bislang von jeder Division noch selber aus-<br />
führt wurden, in einem „internen outsourcing“ für alle Divisionen zu<br />
bündeln. Hierzu waren vor allem die Funktionen Finance & Accounting, IT<br />
Infrastructure Services, IT Back Office Applications und Personnel<br />
Administration vorgesehen.<br />
Durch Service Level Agreements mit den Divisionen und durch standardi-<br />
sierte <strong>Prozess</strong>e sollte die neue Shared Administrative Service Organisation<br />
ehrgeizige Kosteneinsparung realisieren und das Management von<br />
administrativen <strong>Prozess</strong>en entlasten. Allerdings sollte sie keine eigene<br />
P&L-Verantwortung tragen.<br />
Die Konsequenz für die Organisationen war vergleichbar mit der des<br />
Mergers und des ERP: Es wurde damit eine organisationale Zusammen-<br />
legung von Teilen bisher unabhängiger Organisationen und eine Standardi-<br />
sierung ihrer <strong>Prozess</strong>e erforderlich. Aufgrund der Schnittstellenproblematik<br />
äußerten sich verschiedene Interviewpartner skeptisch, inwieweit eine<br />
644 Vgl. Interview I21.<br />
645 Vgl. Interview I64, I02.<br />
646 Vgl. Interview I04, I06.<br />
295
296<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
solche Standardisierung den Bereich der eigentlichen Business Units aus-<br />
sparen könnte. Nach Meinung eines Interviewpartners kam deshalb das<br />
Shared Service Projekt teilweise einem Merger zwischen den Divisionen<br />
gleich.<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Der Erfolg des ERP-Projekts kann u.a. darauf zurückgeführt werden, dass die Zuge-<br />
hörigkeitsaspekte eines Systems beachtet wurden. Der Organisation wurde Zeit ge-<br />
geben, die Systemgrenzen neu zu definieren, zu bilden und zu festigen, bevor man<br />
daran ging, die Leistungsfähigkeit zu verbessern.<br />
Das SAS-Projekt wurde demgegenüber von einigen Beteiligten von Beginn an <strong>als</strong><br />
„sehr politisch“ beschrieben. Es stellt sich die Frage, wie angesichts der Implikationen<br />
für die organisationale Zugehörigkeit eine Vermischung der Optimierung der<br />
Geschäftsprozesse mit Fragen der Zugehörigkeit hätte vermieden werden können.<br />
Ohne eine Klärung und Etablierung der Systemgrenzen ist das Scheitern eines<br />
betriebswirtschaftlich möglicherweise sinnvollen Outsourcings der administrativen<br />
Funktionen an den Tretminen ungeklärter organisationaler Zugehörigkeitsfragen sehr<br />
wahrscheinlich. 647 Abbildung 84 macht das Spannungsfeld zwischen der Unsicherheit<br />
bzgl. der Zugehörigkeit und dem wirtschaftlichen Erfolg deutlich.<br />
-<br />
Unsicherheit bzgl.<br />
der Zugehörigkeit<br />
Bereitschaft zur Optimierung<br />
der Geschäftsprozesse<br />
EBIT<br />
-<br />
+<br />
Abbildung 84: Konflikt zwischen Zugehörigkeit und Leistung<br />
In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf, wie viel man einer Organisation<br />
im Rahmen von Veränderungsinitiativen zumuten darf. Kann z.B. ein Systemwechsel<br />
<strong>als</strong> ein „window of opportunity“ zur Verbesserung, zur Innovation oder auch für ein<br />
Reengineering genutzt werden? Muss eine Verbesserung oder ein Reengineering vor-<br />
her oder im Anschluss an eine Systemeinführung wie die eines SAP durchgeführt<br />
werden, um die „Verdauungskapazität“ der Organisation nicht zu sehr zu strapazieren?<br />
647 Vgl. Interview I37.<br />
:
Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />
Ein Blick auf die Systemprinzipien macht deutlich, dass die Reihenfolge ihrer Beach-<br />
tung von Bedeutung ist. Es geht aus dieser Perspektive nicht um die Frage des „wie<br />
viel“, sondern um die Beachtung der Reihenfolge der Prinzipien. So bedarf, wie im<br />
Falle des ERP-Programms im Anschluss an einen Merger, die Zugehörigkeit und<br />
damit die Existenz des Systems primär der Managementattention, bevor man sich<br />
Fragen der Leistungsfähigkeit (EBIT) zuwendet.<br />
Das muss nicht, wie im vorliegenden Fall, durch eine mehrjährige Karenzzeit gelöst<br />
werden, sondern bedarf eines gezielten Managements der Fragen der Zugehörigkeit,<br />
der zeitlichen Reihenfolgen usw. Nur so werden die impliziten systemischen Ebenen<br />
des <strong>Wandel</strong>s externalisiert.<br />
Die aktive Auseinandersetzung mit ausgeblendeten Aspekten z.B. bei der Fusion von<br />
Organisationen, dem Outsourcing oder dem Reengineering kann ein Management<br />
impliziter <strong>Wandel</strong>prozesse ermöglichen. Damit wird es möglich, nicht nur auf den<br />
Faktor Zeit zu setzen und darauf zu warten, dass sich die Dinge beruhigen.<br />
Hinweise zu Möglichkeiten eines solchen Managements idealtypischer organisatio-<br />
naler Bruchstellen werden im abschließenden Kapitel skizziert. 648<br />
Vignette: Der Wert der Zugehörigkeit oder das olympische Motto – dabei sein ist<br />
alles<br />
Anlässlich eines europäischen HR-Manager Meetings wurde von einer Pro-<br />
jektgruppe ein neues Projekt zum Coaching von Mitarbeitern vorgestellt.<br />
Ziel des Projekts war es, durch ein Coaching Mitarbeiter und Organisatio-<br />
nen in Veränderungen und Entwicklungen zu unterstützen. Eine Projekt-<br />
gruppe hatte dazu im Rahmen eines zweitägigen Workshops ein gemein-<br />
sames Verständnis erarbeitet und stellte auf einem internationalen HR<br />
Meeting das Konzept den Personalleitern aus den Ländern vor. Es sollte im<br />
Anschluss Feedback eingeholt werden und man wollte sich gemeinsam<br />
Gedanken über einen möglichen Einführungsprozess machen.<br />
Bereits früh wurde deutlich, dass die Vorstellung von dem, was unter<br />
Coaching zu verstehen sei, sehr unterschiedlich war. So wurden vor allem<br />
die Rolle, die Verantwortung und die Kompetenzen eines Coachs und des<br />
Coachee diskutiert.<br />
648 Vgl. Kapitel 8.2.<br />
297
298<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Bereits die Diskussion in der Gruppe zeigte, dass es unterschiedliche Kon-<br />
zepte über das Coaching gab, bislang aber kaum Erfahrungen dazu<br />
vorlagen. Es breitet sich in der Folge Unmut aus, weil die Projektgruppe<br />
selbst offensichtlich ein weitgehend einheitliches Verständnis von Coaching<br />
hatte, während bei allen anderen unterschiedliche Vorstellungen darüber<br />
vorlagen.<br />
Einige Teilnehmer aus den Ländern fragten schließlich an, ob das Manage-<br />
ment im HQ auch hinter diesem Konzept stünde und wie eine Zusammen-<br />
arbeit mit dem <strong>als</strong> sehr business- und zahlenorientierten Management in den<br />
Ländern aussehen könne. Es wurden Vermutungen geäußert, dass dem<br />
lokalen Management der Nutzen des Coaching nur schwer dargestellt<br />
werden könne, die Annahme des Konzepts aber wesentlich von dem lokalen<br />
Management abhängen würde. 649<br />
In einem späteren Gespräch mit einem beteiligten HR-Manager äußerte sich<br />
dieser kritisch darüber, dass sowohl die Bedürfnisse und Wünsche der<br />
Länder <strong>als</strong> auch die Anforderungen des lokalen Managements nicht richtig<br />
integriert gewesen seien.<br />
In einem späteren Workshop mit einigen Verantwortlichen für das Coa-<br />
ching-Konzept zeigte sich zudem die exklusive und kaum integrierte<br />
Position der Teams innerhalb der Organisation. In der Besprechung wurde<br />
deutlich, dass man bei den strategischen Projekten kaum dabei war, kaum<br />
mit dem leitenden Management zusammenarbeitete und der Zugang zur<br />
Organisation hauptsächlich über das lokale HR-Management lief, nicht<br />
aber über die direkt Betroffenen.<br />
Diese Beobachtungen deckten sich auffallend mit der Erfahrung, dass in<br />
den strategischen <strong>Wandel</strong>projekten, wie beispielsweise dem ERP, trotz<br />
großen Coaching-Bedarfs, das HR kaum vertreten war. 650<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Das Beispiel zeigt, wie sich die Zugehörigkeit und die Beteiligung an <strong>Wandel</strong>-<br />
initiativen nachhaltig auf die Identität der beteiligten Akteure oder Abteilungen<br />
649 Vgl. Beobachtungen B100, B109, Dokument D61.<br />
650 Vgl. Interview I31, B016, B60, B092, B056.
Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />
auswirken kann. Das HR stand und steht dabei vor der Herausforderung, häufig bzgl.<br />
der fachlichen Seite wie etwa dem Reengineering oder einer SAP-Einführung, wenig<br />
inhaltliches Wissen zu besitzen aber für die <strong>Prozess</strong>aspekte ein möglicher<br />
Ansprechpartner sein zu wollen.<br />
Eine strategische Richtungsentscheidung in der Vergangenheit hatte im vorliegenden<br />
Fall zudem auch zu einer stärkeren Kooperation mit den HR-Abteilungen zu<br />
ungunsten des direkten Zugangs zum operativen Managements geführt. Der Rückzug<br />
aus den strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen machte die Abteilung damit nicht mehr zum<br />
Ansprechpartner für das „kritische Management“ und resultierte in entsprechenden<br />
Kooperationsschwierigkeiten.<br />
7.1.3 Wachstum und Fortpflanzung – eine Frage der Reihenfolge<br />
Neben der Zugehörigkeit stellen Wachstum und Fortpflanzung eines Systems nach<br />
SPARRER und VARGA VON KIBÉD wichtige Systemorientierungen dar. Für die folgende<br />
Betrachtung des Wachstums und der Fortpflanzung ist entscheidend, ob ein Subsystem<br />
einer Organisation primär <strong>als</strong> System für sich oder <strong>als</strong> Element eines Gesamtsystems<br />
wahrgenommen wird. 651<br />
Vignette: PFC<br />
Wachstumsinitiativen in investitionsintensiven Business Units wie dem<br />
PFC stehen häufig vor dem Dilemma der Vereinbarkeit von Wachstum und<br />
Profitabilität: Im PFC musste durchschnittlich für jede zusätzliche<br />
Umsatzmillion ein neuer Mitarbeiter eingestellt werden. Dies bedeutete<br />
Investitionen in Höhe von 200.000 DM für die Ausbildung und den<br />
Arbeitsplatz und hatte damit kurzfristig negative Auswirkungen vor allem<br />
auf die Profitabilität. 652<br />
In den ersten Jahren nach seiner Gründung wurde das aus dem Service-<br />
bereich stammende PFC eher <strong>als</strong> eine „Experimentalgruppe“ gesehen. Die<br />
Leitung des PFC kämpfte in dieser Zeit um die Existenz und die Aner-<br />
kennung des PFC und schraubte dazu die Ergebniserwartungen hoch. Es<br />
wurden insbesondere in der Anfangsphase in möglichst vielen inner- und<br />
651 Die Anwendung dieser Differenzierung geht auf Matthias Varga von Kibéd zurück. Vgl. näheres zur<br />
Unterscheidung in der abschließenden „Interpretation im Gesamtkontext“.<br />
652 Vgl. Dokument B105.<br />
299
300<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
außereuropäischen Ländern PFC-Teams in den Landesgesellschaften von<br />
L&S gegründet. Damit war die Hoffnung vieler PFC Manager verbunden,<br />
dass eine breite Präsenz in den Ländern und ein gewisses Volumen zur<br />
Anerkennung <strong>als</strong> Segment führen würde. Allerdings entstanden durch das<br />
Engagement in Ländern wie in Dubai oder Saudi-Arabien auch gewisse<br />
Schwierigkeiten. So stellte man nach einer großen Expansionsphase fest,<br />
dass in manchen Ländern die organisationalen Voraussetzungen nicht<br />
erfüllt waren oder noch kein genügend großes Kundeninteresse am PFC<br />
bestand. So verbesserten sich die Finanzkennzahlen in dieser Zeit nicht<br />
substantiell. Man hatte die Wachstumsanstrengungen aus „Überlebens-<br />
gründen“ offensichtlich übertrieben. 653<br />
Bezeichnend für die hohe Bedeutung lokalen Wachstums war in dieser<br />
Phase der Umgang mit einer lange unprofitablen Landesgesellschaft. Dort<br />
wurde über mehrere Jahre viel Geld investiert, aber die Landesgesellschaft<br />
erwirtschaftete regelmäßig negative Ergebnisse. Die verantwortlichen<br />
Manager scheuten sich davor, das PFC in diesem Land zu schließen. Sie be-<br />
fürchteten eine negative Signalwirkung und wollten dem jungen Segment<br />
einen gewissen Vorrang einräumen. 654<br />
Zusätzlich erschwerend kam für das PFC der hohe Marktanteil von L&S<br />
von bis zu 50% in einem weitgehend stagnierenden Markt hinzu. Der hohe<br />
Marktanteil relativierte die Bedeutung des Wachstums für die Unter-<br />
nehmung. Nach Ansicht eines Interviewpartners fehlte eine „Wachstums-<br />
kultur“ und somit stand die Wachstumsinitiative im Widerspruch zu<br />
aktuellen, gewinnorientierten Wert- und Zielvorstellungen im Unter-<br />
nehmen. 655<br />
Aber auch das Wachstum durch Zukäufe war für das PFC nicht unproble-<br />
matisch: In der Phase des Mergers zwischen L&G und STAEFA CONTROL<br />
war das PFC bedroht, weil die Unternehmung „größere Probleme hatte“.<br />
Man entschloss sich deshalb, einen vorübergehenden Stillstand einzulegen<br />
und das PFC in dieser Phase nicht weiter zu forcieren. Es sollte nicht weiter<br />
653 Vgl. Interview I43.<br />
654 Vgl. Interview I07.<br />
655 Vgl. Interview I40.
Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />
aufgebaut werden und durfte keine Verluste einfahren. Für die Unter-<br />
nehmensleitung stand die Integration der beiden Unternehmen zuvorderst.<br />
Das neue kleine Segment war demgegenüber nachrangig. Nach voll-<br />
zogenem Merger wollte man das Wachstum des PFC weiter betreiben. 656<br />
Die notwendigen Investitionen für einen Ausbau des PFC wurden zu dieser<br />
Zeit ohnehin vor allem für die strategischen Herausforderungen, die sich<br />
aus dem Merger ergeben hatten, insbesondere für das DESIGO und das<br />
ERP benötigt. Dadurch wurden der Freiraum und die Ressourcen für inno-<br />
vative Initiativen zusätzlich eingeschränkt. 657<br />
Das Verhältnis des PFC zu anderen Segmenten war in dieser Zeit durch die<br />
Integrationsbemühungen und die EBIT-Anstrengungen nicht auf Wachstum<br />
ausgerichtet. Die starke Subsidiarität hemmte zusätzlich das Wachstum<br />
zentral initiierter Segmente. Die Bonusstruktur der Führungskräfte in den<br />
Landesgesellschaften war auf kurzfristige Erfolge ausgerichtet. Das PFC<br />
wurde von ihnen nicht <strong>als</strong> ein zusätzliches Geschäft, sondern eher <strong>als</strong> eine<br />
unsichere Kannibalisierung des bestehenden Geschäfts wahrgenommen.<br />
Nach dem Abschluss des Mergers setzte die Geschäftsleitung strategisch<br />
wieder auf Wachstum und die Entwicklung neuer Business Initiativen. Als<br />
Ausdruck dessen wurde ein so genanntes Growth Team gegründet. Dessen<br />
gedankliche Grundlage wurde u.a. das Buch von McKinsey „The Alchemy<br />
of Growth“. 658 in dem die Methode der „Three Horizons“ vorgestellt<br />
wurde. Daneben wurde ein <strong>Prozess</strong> zur Formulierung und Begleitung stra-<br />
tegischer Initiativen entwickelt. 659 Beide Methodologien fanden in der<br />
Folge Eingang in das strategische Denken des Managements. 660<br />
In dieser Zeit änderte sich allmählich auch das Image des PFC. Es wurde<br />
nun langsam <strong>als</strong> ein strategisches Wachstumssegment wahrgenommen und<br />
656 Vgl. Interview I53.<br />
657 Vgl. Interview I28, I29.<br />
658 Vgl. Baghai, et al., 1999.<br />
659 Vgl. Beobachtungen B103, B086, B099, Dokumente D59, D60.<br />
660 Vgl. Beobachtung B105.<br />
301
302<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
begann gleichberechtigt neben den bereits etablierten Segmenten zu<br />
stehen. 661<br />
Allerdings zeigte sich der Umstand, dass die Organisation das PFC lange<br />
nicht <strong>als</strong> eigenständiges Segment und somit <strong>als</strong> Systemelement wahrge-<br />
nommen hatte, noch einmal deutlich im Verlauf des ERP-Projekts. Dort<br />
wurde das PFC lange <strong>als</strong> Teil des Segments Contracting betrachtet, obwohl<br />
die Segmente auf grundlegend verschiedene <strong>Prozess</strong>e aufbauten lagen. So<br />
wurde erst sehr spät im PFC mit dem Modelling der <strong>Prozess</strong>e begonnen. 662<br />
Auf dem Weg zum selbständigen Segment unterstützten zwei Umstände<br />
den Weg des PFC zu einer stärkeren Eigenständigkeit: Erstens wurden in<br />
den osteuropäischen Ländern aufgrund finanztechnischer Voraussetzungen<br />
rechtlich unabhängige PFC-Organisationen gegründet, die nicht in der<br />
L&S-Struktur integriert waren und sich damit nicht mit den anderen Seg-<br />
menten auseinandersetzen mussten. 663 Der Umstand, dass die Entwicklung<br />
in diesen Ländern stabil und erfolgreich war, förderte die Selbständigkeit<br />
des PFC sehr. Hier wurden auch jeweils ausreichend große Teams gegrün-<br />
det (Critical Mass) bei denen mit ca. 6-8 Personen ein kontinuierliches<br />
Geschäft aufgebaut werden konnte. Dadurch war es möglich, ausreichend<br />
Aufträge bei gleichzeitiger guter Abwicklung der laufenden Projekte zu<br />
garantieren.<br />
Zweitens wurde im September 2000 in jeder Region ein Regionalleiter PFC<br />
benannt. Damit wurde das PFC <strong>als</strong> normales Segment neben den beste-<br />
henden Segmenten geführt und hatte den Sprung von einer Wachstums-<br />
initiative in die normale Organisationsform der übrigen Segmente voll-<br />
zogen. 664<br />
In der Folgezeit trat das PFC – unterstützt durch personelle Wechsel in der<br />
Führung des PFC-EU – in eine Konsolidierungsphase. Während in der Ver-<br />
gangenheit der strategische Aufbau in Sinne eines klassischen Business<br />
Development im Vordergrund stand, kam es nun zu einem Paradigmen-<br />
661 Vgl. Interview I30.<br />
662 Vgl. Beobachtungen B136.<br />
663 Vgl. Beobachtungen B106.<br />
664 Vgl. Beobachtung B057, B80.
Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />
wechsel und zu mehr Profitabilität. Ausdruck war ein zunehmendes<br />
Business Improvement, bei dem es nicht mehr um die Entwicklung von<br />
Tools ging, sondern vor allem um den Erfahrungsaustausch unter den<br />
Ländern (best practice). 665<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Das beschriebene Wachstum des PFC stellte einen <strong>Prozess</strong> dar, der für die Organisati-<br />
on eigentlich kein neues Phänomen war. Auch die bestehenden Segmente hatten sich<br />
in der Reihenfolge Produktsegment-Systemsegment-Servicesegment auseinander ent-<br />
wickelt. Ähnlich wie der <strong>Wandel</strong> vom Produkt- zum Systemgeschäft stellte das PFC<br />
den <strong>Wandel</strong> vom Systemgeschäft zum Geschäft mit Energieeinsparungen und Dienst-<br />
leistungen dar. Allerdings bedeutete diese Unterscheidung für weite Teile der<br />
Organisation (noch) keinen relevanten Unterschied.<br />
Für diese Systembildung stellen sich zwei Möglichkeiten der organisationalen Genese:<br />
erstens die Entwicklung innerhalb eines bestehenden Systems. Dabei wird wie im vor-<br />
liegenden Fall auf der Ebene des HQ innerhalb der bestehenden Organisation ein<br />
weiteres Segment gegründet.<br />
Zweitens: der „grüne Wiese Approach“. Bei ihm wird ausserhalb der Firma eine neue<br />
Organisation gegründet. Dieser <strong>Prozess</strong> fand im Falle des PFC aus rechtlichen<br />
Gründen bei den osteuropäischen Ländern statt.<br />
Da ein entscheidender Wettbewerbsvorteil die starke lokale Präsenz und Kundennähe<br />
war, büßten diese neuen Organisationen potenziell einen gewissen Startvorteil bei den<br />
Kunden und gewisse Synergien mit den etablierten Landesgesellschaften ein. Diese<br />
Synergien mussten erst aufgebaut werden. Auf der anderen Seite ergaben sich aus<br />
diesem Neuanfang unternehmerische Freiheiten, die für den schnellen Aufbau eines<br />
Business Segments mit einer veränderten Logik einen Wettbewerbsvorteil darstellen<br />
konnten.<br />
Aus systemischer Perspektive stellt sich das Wachstum einer Organisation und dessen<br />
Fortpflanzung <strong>als</strong> ein zweiphasiger <strong>Prozess</strong> dar. Während in der ersten Phase das neue<br />
Segment i.d.R. einen deutlichen Vorrang vor anderen Systemelementen genießt, muss<br />
es sich <strong>als</strong> jüngstes Segment in der zweiten Phase nach der Etablierung „hinten“ ein-<br />
665 Vgl. Interview I07 und I30.<br />
303
304<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
reihen. Gefahren liegen dabei einerseits in der mangelnden Wertschätzung der alten<br />
Segmente, bzw. einem Ausgleich für den Platz, den sie für das neue Segment frei-<br />
machen mussten; zum anderen in einer möglichen Reabsorption des jüngeren und<br />
noch schwachen Segments durch das ältere System. 666<br />
Schwierigkeiten in der Kooperation zwischen den Segmenten deuteten teilweise auf<br />
eine mangelnde Anerkennung der älteren Segmente durch ein neues Segment wie das<br />
PFC hin. Nach SPARRER und VARGA VON KIBÉD kann die Beachtung und<br />
Anerkennung der zeitlichen Reihenfolge der Systemelemente, Gegenreaktionen gegen<br />
das Wachstums des Systems vermeiden.<br />
Aus dieser systemischen Perspektive liegt der Schlüssel zum Wachstum und zur Fort-<br />
pflanzung sowie mögliche Konflikte von Unternehmen nicht in der Struktur, sondern<br />
im Umgang mit der Struktur (hier den Segmenten). Darunter ist insbesondere der Vor-<br />
rang des Neuen vor dem Alten und die Beachtung der zeitlichen Reihenfolge zwischen<br />
Elementen eines Systems zu verstehen.<br />
Phase 1 Phase 2<br />
PFC CON CSV<br />
CON CSV PFC<br />
• Neues „Baby“ PFC<br />
• Neues System hat Vorrang (z.B.<br />
Investitionen, geringere Gewinnerwartungen<br />
• Verhältnis zu etablierten Segmenten<br />
u.U. problematisch (Kommunikation,<br />
Zusammenarbeit, etc.)<br />
• PFC <strong>als</strong> „normales“ Segment neben anderen<br />
• PFC <strong>als</strong> Teil des Systems; etablierte ältere<br />
Systeme haben Vorrang (Systemwachstum)<br />
• Verhältnis zu anderen Segmenten entspannter,<br />
aber: PFC nun „nichts besonderes mehr“!<br />
Abbildung 85: Phasen der Entwicklung eines neuen Geschäftssegments<br />
Beides trifft im vorliegenden Fall zu: Das Segment wurde zu Beginn <strong>als</strong> neues System<br />
wahrgenommen und später erst <strong>als</strong> „normales“ Element des Systems behandelt. Diesen<br />
Zusammenhang veranschaulicht Abbildung 85. 667<br />
666 Vgl. hierzu ausführlich Varga von Kibéd und Sparrer, 2000a.<br />
667 Vgl. Interview I43.
Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />
Unmittelbar verbunden mit den unterschiedlichen Subsystemen sind unterschiedliche<br />
lokalen Theorien, 668 unterschiedliche Wertvorstellungen und Selbstverständnisse in<br />
den Segmenten. Im Falle des PFC stellte u.a. die neue interdisziplinäre Organisations-<br />
form in Teams und die <strong>als</strong> „kritische Masse“ bezeichnete Mindestgrösse eine deutliche<br />
Veränderung der Organisationsstruktur dar.<br />
7.1.4 Einsatz für das Ganze<br />
Organisationale <strong>Wandel</strong>prozesse stellen außerordentliche Herausforderungen an die<br />
Krisenbewältigung von Organisationen. Systemelemente, die sich in solchen Phasen<br />
besonders für das System einsetzen, sind von besonderer Bedeutung für das System.<br />
Sie sollten nach SPARRER und VARGA VON KIBÉD einen Vorrang eingeräumt bekom-<br />
men. 669 Nachfolgend werden Beispiele aus den <strong>Wandel</strong>initiativen geschildert.<br />
Vignette: Die Zusammenführung von 45 unterschiedlichen Informatiksystemen<br />
Im Rahmen der Post-Merger-Integration der MIGROS AARE bestand eine<br />
zentrale Herausforderung darin, 45 verschiedene Softwarelösungen voll-<br />
ständig zu integrieren. Die Integration der Systeme lief dabei weitgehend<br />
parallel zur Entwicklung und dem Aufbau der neuen zentralen Warenwirt-<br />
schaft. Die Post-Merger-Integration für die Informatikabteilungen war<br />
damit geprägt durch extreme Belastungen:<br />
• Gleichzeitige Bewältigung des Pilotprojekts SAP-Retail (Food) und Post-<br />
Merger-Integration mit der Zusammenlegung von 45 Informations-<br />
systemen.<br />
• Auswahl des jeweils besten Informatiksystems aus beiden Genossen-<br />
schaften und Aufrechterhaltung aller Systeme, die für den reibungslosen<br />
Tagesbetrieb nötig waren.<br />
• Physische Integration der Informatikabteilungen in der Betriebszentrale<br />
Schönbühl, was zur Kündigungen wichtiger Know-how-Träger führte.<br />
668 Vgl. zum Begriff lokale Theorien Elden, 1983.<br />
669 Vgl. hierzu ausführlich Varga von Kibéd und Sparrer, 2000a.<br />
305
306<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Vignette: Das Subsidiaritätsprinzip <strong>als</strong> etwas, dem man viel verdankt<br />
Der Erfolg des Mergers zwischen LANDIS&GYR und STAEFA CONTROL war<br />
nach Aussage vieler Interviewpartner vor allem auf das Subsidiaritäts-<br />
prinzip zurückzuführen. Das dezentrale Vorgehen bei der Umsetzung des<br />
Mergers und die Verlagerung der Entscheidungen auf die Länder- und<br />
Filialebene ermöglichte es, die Komplexität und Dynamik des <strong>Wandel</strong>s zu<br />
bewältigen. Dem Subsidiaritätsprinzip kam damit ein wesentlicher Anteil<br />
an der Bewältigung dieser für die Organisation existenziellen Heraus-<br />
forderung zu.<br />
Über die rasche wirtschaftliche Erholung hinaus hatte das Subsidiaritäts-<br />
prinzip auch den Weiterbestand eines großen Teils der Strukturen ermög-<br />
licht. So war die in Anlehnung an BARTLETT und GHOSHAL <strong>als</strong> multi-<br />
nationales Unternehmen zu bezeichnende Struktur 670 durch den Merger<br />
auch kaum verändert worden und die Ausrichtung dieser unter-<br />
nehmerischen Einheiten auf die meist unterschiedlichen Märkte in den je-<br />
weiligen Ländern und Regionen unverändert geblieben. 671<br />
Auch die Aufteilung der Rollen zwischen den zentralen und dezentralen<br />
Einheiten, die „balance of power“, war dank des subsidiär geprägten<br />
Integrationsprozesses erhalten geblieben. Das HQ war <strong>als</strong> Impulsgeber in<br />
strategischen Fragen akzeptiert, solange die lokale Autonomie der Länder<br />
im operativen Geschäft nicht untergraben wurde.<br />
In der Folge nahm das Subsidiaritätsprinzip bei allen Veränderungs-<br />
projekten die Rolle eines „verdienten Systemelements“ ein und nach-<br />
folgende Projekte hatten dessen Einfluss zu berücksichtigen.<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Außerordentliche <strong>Prozess</strong>e, wie z.B. die beschriebene IT-Intgration oder auch der<br />
Mergerprozess der L&S, sind nur durch den besonderen Einsatz von Personen,<br />
Gruppen oder auch durch Prinzipien zu bewältigen. Der Umgang mit diesen Garanten<br />
des Erfolgs ist für die Organisation von entscheidender Bedeutung und bestimmt lang-<br />
fristig deren Wandlungsfähigkeit und Fähigkeit zur Krisenresistenz. Wird der Ver-<br />
670 Vgl. Kapitel 6.2.1.<br />
671 Vgl. Bartlett/Ghoshal 1998, S. 75.
Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />
dienst dieser Elemente besonders anerkannt, so geht davon Signalwirkung für zukünf-<br />
tige besondere Herausforderungen aus. Eine Organisation ist nur dann in der Lage, die<br />
zukünftigen Herausforderungen zu bewältigen, wenn sie mit den Systemelementen,<br />
die sie durch Krisenzeiten hindurchgeführt haben, angemessen umzugehen lernt und<br />
die Gründe für deren Einsatz würdigt.<br />
Die Gründe für den außerordentlichen Einsatz sind vielfach immaterieller Art und<br />
nicht mit den üblichen Mitteln der Leistungskompensation auszugleichen. Motive<br />
bestehen häufig in einem hohen Verantwortungsgefühl, einer wahrgenommenen<br />
Herausforderung oder der Verbundenheit mit der Organisation. Im Falle der hohen<br />
Belastung der IT-Mitarbeiter der MIGROS AARE war auch der starke Gemeinschafts-<br />
gedanke, verbunden mit dem Wunsch, die geleistete Arbeit nicht abrupt stoppen zu<br />
müssen, Basis für den besonderen Einsatz.<br />
Wenngleich es teilweise schwierig ist, angemessene Ausdruckformen der Aner-<br />
kennung für diesen Einsatz zu finden, so können solche Formen in finanziellen,<br />
karrierebezogenen, kommunikativen oder auch symbolischen Formen bestehen. Die<br />
nachfolgende Vignette beschreibt eine Qualifikationsproblematik, die sich im Zusam-<br />
menhang mit strategischen Veränderungsinitiativen häufig ergibt.<br />
Vignette: Qualifizierung für die Konkurrenz<br />
Im Verlauf des ERP-Projekts bei L&S wurden bereits früh die besten Mit-<br />
arbeiter aus der Organisation für das Projekt ausgewählt. Dies bezog sich<br />
insbesondere auf die Mitarbeiter aus den Landesgesellschaften. Hier<br />
wurden vorzugsweise die Mitarbeiter ausgewählt, die über das umfang-<br />
reichste Know-how bezüglich der Geschäftsprozesse verfügten. Man war<br />
der Überzeugung, dass von der Gewinnung dieser Mitarbeiter für das Pro-<br />
jekt wesentlich die Qualität der späteren ERP-Lösung abhängen würde. 672<br />
Die ausgewählten Mitarbeiter erfuhren durch das Projekt selber eine<br />
wesentliche Weiterqualifizierung. Ihr Marktwert stieg immens durch die Er-<br />
fahrungen, die sie im Rahmen des Projekts gemacht hatten. Viele der Mit-<br />
arbeiter wollten deshalb nicht auf ihre alte Stelle zurück, sondern erwarteten<br />
von der Organisation, dass ihnen eine höhere Position angeboten würde.<br />
Diese Situation führte dazu, dass aufgrund eines mangelnden strategischen<br />
672 Vgl. Beobachtung B111.<br />
307
308<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
HR und eines geringen Coaching 673 sowie der Schwierigkeit, angemessene<br />
Position für hervorragende Mitarbeiter anzubieten, die Organisation Gefahr<br />
lief, viele gute Mitarbeiter zu verlieren. So berichtete ein Mitarbeiter schon<br />
früh während des Projekts, dass sich für ihn die Frage stellt, wie es nach der<br />
Einführung von SAP für ihn weitergehen würde. Obwohl er sehr qualifiziert<br />
war, war er unsicher bzgl. seines weiteren Verbleibs bei der Organisation.<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
In Anlehnung an das „Peter Prinzip“ („In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte<br />
dazu, bis zur Stufe seiner Unfähigkeit aufzusteigen.“) 674 könnte das beschriebene<br />
Phänomen formuliert werden <strong>als</strong> „In einer Organisation neigt der gute Beschäftigte<br />
dazu, bis zu einer Stufe qualifiziert zu werden, in der es keinen Arbeitsplatz mehr für<br />
ihn gibt.“ Diese zugegeben etwas zugespitzte Formulierung macht die Schwierigkeiten<br />
deutlich, vor die eine Organisation mit einem Qualifizierungsprogramm wie einem<br />
ERP gestellt wird:<br />
Eine Organisation ist i.d.R. daran interessiert, ihre besten Mitarbeiter, die man durch<br />
eine Qualifizierungsmaßnahme, wie sie ein ERP-Projekt darstellt, zusätzlich<br />
qualifiziert, für die Organisation zu erhalten. Zwar ist „Nachbetreuung“ der Mitar-<br />
beiter nicht unbedingt Teil des Projekts, weil die Einführung von SAP in der Regel mit<br />
den bestehenden Mitarbeitern abgewickelt werden kann. Zur Entwicklung organisatio-<br />
naler <strong>Wandel</strong>fähigkeit und eines längerfristigen Wissensmanagements und im<br />
Interesse der Organisation, sollten aber gerade die besonders wichtigen Know-how-<br />
Träger nicht nur für den Markt „wegqualifiziert“ werden. Schließlich kann durch eine<br />
Weiterbeschäftigung auch der besondere Einsatz dieser Mitarbeiter gewürdigt und<br />
dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit entsprochen werden. In den untersuchten Projekten<br />
wurde der Einsatz i.d.R. durch kleinere monetäre Beträge und einen Dankesbrief ab-<br />
gegolten. Statt dessen hätte man sich über den weiteren beruflichen Weg der Mitar-<br />
beiter und über eine Anerkennung der Leistung, auch in Form von weiterführenden<br />
Managementaufgaben, mit den Betroffenen ganz im Sinne eines strategischen HR und<br />
Coachings unterhalten können.<br />
673 Vgl. Vignette in Kapitel 7.1.2: Der Wert der Zugehörigkeit oder Das olympische Motto – dabei sein ist alles.<br />
674 Vgl. Laurence J. Peter und Hull, 1973.
Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />
Ein Mangel in diesen Bereichen kann allerdings auch laufende Projekte gefährden:<br />
Selbst wenn die aktuellen Ziele des Projekts und jedes einzelnen Mitarbeiters häufig<br />
klar und deutlich formuliert sind, stellt sich für viele Mitarbeiter im Verlaufe des Pro-<br />
jekts die Frage nach der zukünftigen Aufgabe. Dieser Aspekt sollte, wie sich am Bei-<br />
spiel in der Vignette zeigt, möglichst früh geklärt bzw. einbezogen werden. Ansonsten<br />
kann sich zwischen den aktuellen Zielen des Projekts und der zukünftigen Aufgabe der<br />
Mitarbeiter ein Zielkonflikt ergeben: Einerseits will man das Projekt vorantreiben, auf<br />
der anderen Seite besteht Unsicherheit bezüglich der persönlichen weiteren Aufgaben<br />
im Anschluss an das Projekt. Unter Umständen kann diese Situation dazu führen, dass<br />
die Unklarheit über die zukünftige Aufgabe die aktuelle Zielerreichung bzw. den<br />
Abschluss des Projekts blockiert. 675<br />
7.1.5 Leistungen und Fähigkeiten<br />
Der Umgang mit Leistungen und Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter spielt für eine Organi-<br />
sation eine besondere Rolle, da sie ansonsten ausschließlich auf den Weiterbestand<br />
ausgerichtet ist. 676 Nachfolgend werden zwei Beispiele für den Umgang mit der<br />
Leistung der Mitarbeiter im Rahmen der beschriebenen <strong>Wandel</strong>initiativen dargestellt.<br />
Vignette: Ein billiger Millionen-Auftrag<br />
Im Jahr 2000 konnte vor allem durch den Einsatz eines Mitarbeiters des<br />
PFC für L&S ein 25-Millionen-Auftrag gewonnen werden. Ein Vertrag in<br />
dieser Größenordnung war bis dahin im PFC EU noch nicht abgeschlossen<br />
worden.<br />
Dieser Vertrag bedeutete eine deutliche Ergebnisverbesserung für das PFC<br />
und führte dazu, dass ein lokaler PFC-Manager seine beabsichtigte<br />
Kündigung zurückzog.<br />
Der Mitarbeiter, der den Vertrag gewonnen hatte, wurde anschließend mit<br />
1.000 SFr belohnt und zeigte sich in einem persönlichen Gespräch ange-<br />
sichts des hohen Arbeitsaufwands für den Abschluss des Vertrags sehr<br />
enttäuscht.<br />
675 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zur Problemaufstellung und zum Umgang mit der „Aufgabe die danach<br />
kommt“ in Varga von Kibéd und Sparrer, 2000a.<br />
676 Vgl. ebenda.<br />
309
Vignette: Erfolgsprämien für die Softwareentwicklung<br />
310<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Im Rahmen der Entwicklung des neuen WWS für die MIGROS AARE wurde<br />
den Mitarbeitern für die Fertigstellung einzelner Abschnitte des Systems<br />
eine Erfolgsprämie ausgezahlt. Man hatte sich in Absprache mit der<br />
Geschäftsleitung dazu entschlossen, angesichts der Arbeitsmarktlage, der<br />
hohen Arbeitsbelastung und der teilweise langen Anfahrtswege, die Leis-<br />
tung der Mitarbeiter mit Erfolgsprämien anzuerkennen. Dadurch gelang es<br />
auch, die meisten Mitarbeiter im Projekt zu halten. Von fünfundzwanzig<br />
Mitarbeitern verließen im Verlaufe des Projekts nur zwei das Projekt. 677<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Aus systemischer Sicht stellt die Forderung des „Vorrangs der höheren Leistung und<br />
der höheren Fähigkeit“ eine Notwendigkeit zur Erzielung von besonderen Leistungen<br />
und zur Ausbildung von Fähigkeiten in Organisationen dar. In den vorliegenden<br />
Vignetten wird deutlich, dass von der Anerkennung der Leistung eine deutlich<br />
motivierende bzw. demotivierende Wirkung ausgehen kann. Auf das gesamte System<br />
bezogen werden damit Botschaften vermittelt, welche die Erbringung besonderer<br />
Leistung oder die Ausbildung besonderer Fähigkeiten fördern oder auch hemmen. Die<br />
Gestaltung von Anreizsystemen haben dabei nachhaltige Wirkung auf das Verhalten in<br />
Organisationen. Allerdings gilt es zu berücksichtigen, dass die vorher genannten<br />
Systemprinzipien aus systemischer Sicht vorrangig beachtet werden sollten.<br />
7.1.6 Zusammenfassung: Systemische Strukturprinzipien<br />
Den Systemprinzipien, wie sie in Kapitel 4.2.7 vorgestellt wurden und in diesem<br />
Kapitel zur Untersuchung von <strong>Wandel</strong>phänomenen genutzt wurden, liegt eine explizit<br />
systemische Sichtweise organisationalen Handelns zugrunde. Durch die Berück-<br />
sichtigung der Interdependenzen zwischen dem Kontext und den verschiedenen<br />
Systemelementen bieten sich Erklärungs- und Interventionsansätze, die über<br />
reduktionistisch-kausalanalytische Schlussfolgerungen hinausgehen.<br />
Ähnlich beschreiben auch VICARI und TROILO vor einem systemisch-kognitiven<br />
Hintergrund Systemprinzipien, die den <strong>Wandel</strong> und insbesondere die Kreativität von<br />
Systemen erhöhen. Sie gehen von der Annahme aus, dass eine Veränderung der<br />
kognitiven Schemata einer Organisation zu einer Erhöhung der Kreativität der<br />
677 Vgl. Interview I74.
Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />
Organisation führt. Mögliche Variationen sind dabei z.B. die Einstellung eines neuen<br />
Managers, eine Veränderung der Beziehungen von Abteilungen durch ein<br />
Reengineering-Projekt, die Veränderung der Bedeutung der Beziehungen z.B. zum<br />
Kunden durch die Einrichtung eines Call-Centers oder auch die Veränderung des<br />
Schemas durch verändertes individuelles Verhalten. 678<br />
Trotz inhaltlicher Unterschiede und der teilweise differierenden Grundannahmen bzgl.<br />
der systemischen und epistemologischen Grundlagen wird anhand der beiden Samm-<br />
lungen von Systemprinzipien deutlich, dass die systemische Perspektive und die Be-<br />
rücksichtigung darauf beruhender heuristischer Prinzipien Phänomene, wie die in<br />
diesem Kapitel beschriebenen <strong>Wandel</strong>phänomene, plausibel und nachvollziehbar<br />
machen können. Die Abkehr von individualistisch orientierten Erklärungsversuchen<br />
und die Erweiterung der Perspektive über individualistisch orientierte Konstrukte wie<br />
Motivation, Commitment und Widerstand hinaus, eröffnen den Weg, <strong>Wandel</strong>prozesse<br />
im Rahmen des Kontextes und der Muster der Organisation zu reflektieren. Hierzu<br />
bieten die Systemprinzipien ein nützliches Orientierungwissen das zu einem<br />
systemangemessenen Handeln in Organisationen befähigt.<br />
Die Veränderungen der organisationsinternen Strukturen sind von besonderer<br />
Bedeutung für den Verlauf organisationaler Veränderungsprozesse. Sowohl die hier<br />
beschriebenen systemischen Muster <strong>als</strong> auch die strukturationstheoretischen Über-<br />
legungen legen es daher nahe, die folgende Analyse der <strong>Wandel</strong>prozesse stets unter<br />
Berücksichtigung der Regeln und Routinen der Organisation zu vollziehen.<br />
678 Vgl. Vicari und Troilo, 2000.<br />
311
312<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
7.2 Die <strong>Wandel</strong>prozesse – eine Analyse der Handlungen<br />
Aufbauend auf das in Kap. 5 dargestellte <strong>Wandel</strong>modell 679 wird im folgenden Kapitel<br />
die empirische Analyse der <strong>Wandel</strong>prozesse dazu genutzt, ein <strong>Wandel</strong>modell zu ent-<br />
wickeln, welches die epistemologischen Schwächen positivistisch orientierter Modelle<br />
vermeidet:<br />
Im Mittelpunkt der folgenden empirischen Analyse der <strong>Wandel</strong>prozesse steht dabei die<br />
Frage wie organisationale <strong>Wandel</strong>prozesse interpretiert werden können, wenn man sie<br />
durch die Brille eines systemischen Organisationsverständnisses betrachtet. Aus der<br />
Beschreibung und Interpretation der <strong>Wandel</strong>prozesse werden dann Implikationen einer<br />
konstruktivistischen Perspektive für die Gestaltung organisationalen <strong>Wandel</strong>s gezogen.<br />
Den inhaltlichen Schwerpunkt und Fokus der Betrachtung bildet der <strong>Wandel</strong> der<br />
organisationalen Identität.<br />
Partnerorganisationen<br />
SBT<br />
Migros<br />
Aare<br />
679 Vgl. Kap. 5.2.1.<br />
Externer Kontext<br />
Externer<br />
Kontext SBT<br />
Externer Kontext<br />
Migros Aare<br />
<strong>Wandel</strong>inhalte<br />
<strong>Wandel</strong>inhalte<br />
(Projekte)<br />
(Projekte)<br />
BSC<br />
ERP<br />
PFC<br />
Postmerger PMI- PMI- -<br />
-<br />
projekte<br />
projekte<br />
Abbildung 86: Gedankenfluss Empirie<br />
Interner<br />
Kontext<br />
Analyse der<br />
Internen<br />
Kontexte<br />
<strong>Wandel</strong>prozesse<br />
Analyse der<br />
<strong>Wandel</strong>-<br />
prozesse
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Zur besseren Nachvollziehbarkeit für den Leser werden die Elemente der Betrachtung<br />
grafisch dargestellt und <strong>als</strong> Modell im Verlaufe des nachfolgenden Kapitels sukzessive<br />
aufgebaut.<br />
Es enthält neben den bereits erörterten <strong>Wandel</strong>projekten <strong>als</strong> pragmatischen Heraus-<br />
forderungen 680 und Kern der identitätsbildenden <strong>Prozess</strong>e die Elemente Ausgangs-<br />
punkt der Veränderung, zukünftiger oder erwarteter Zustand, relevanter Unterschied<br />
sowie eine Reflexion bzw. Beobachtung 2. Ordnung. Diese Aspekte werden in den<br />
folgenden Kapiteln einzeln behandelt.<br />
7.2.1 Der Ausgangspunkt des <strong>Wandel</strong>s - Wo sind wir?<br />
Reflexion / Beobachtung<br />
2. Ordnung<br />
Diejenigen, die die Geschichte nicht kennen, sind dazu verurteilt,<br />
sie, vielleicht sogar <strong>als</strong> Farce, zu wiederholen.<br />
Der Ausgangspunkt<br />
<strong>Wandel</strong>projekte<br />
<strong>als</strong> Identitätsbildende<br />
Identitätsbildende<br />
<strong>Prozess</strong>e<br />
<strong>Prozess</strong>e Der erwarteteZustand<br />
des <strong>Wandel</strong>s<br />
- Wer sind wir?<br />
- Wer werden wir sein?<br />
relevante Unterschiede erkennen<br />
und Anschlussfähigkeit schaffen<br />
Abbildung 87: Ausgangspunkt <strong>als</strong> Element des <strong>Wandel</strong>prozesses<br />
Karl Marx<br />
Nachfolgend wird die Ausgangslage verschiedener <strong>Wandel</strong>projekte beleuchtet. Warum<br />
die Analyse des Ausgangspunkts? Der Ausgangspunkt beschreibt die Startvoraus-<br />
setzungen des organisationalen <strong>Wandel</strong>s und beinhaltet die Bedingungen unter denen<br />
680 Vgl. Kap. 6.3 und 6.5.<br />
313
314<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
ein <strong>Wandel</strong>projekt erfolgreich aufgegleist werden kann. Im Mittelpunkt der Analyse<br />
stehen deshalb Fragen nach der Geschichte, den bestehenden Strukturen und<br />
Kontexten sowie möglichen einzigartigen Identitätsmerkmalen des <strong>Wandel</strong>orts.<br />
Im Gegensatz zum statischen Verständnis einer zeitpunktbezogenen Betrachtung er-<br />
scheint es vor dem Hintergrund der empirischen Beobachtungen plausibler, von einer<br />
dynamischen, prozessbezogenen Betrachtungsweise organisationalen <strong>Wandel</strong>s auszu-<br />
gehen. Der Ausgangspunkt des <strong>Wandel</strong>s, vor dessen Hintergrund Handlungen sozial<br />
konstruiert werden und zeit- und kontextbezogen zu verstehen sind, spielt dabei eine<br />
entscheidende Rolle.<br />
Die folgenden Vignetten beleuchten deshalb u.a. die Bedeutung der (Vor-)geschichte<br />
von <strong>Wandel</strong>prozessen, der bestehenden Identität sowie die Wirkung der eingesetzten<br />
Analyse- und Interventionsmethoden auf die Identität der Organisationen. Im Mittel-<br />
punkt steht dabei die Frage: Wie wirken sich System- und Kontextelemente am Aus-<br />
gangspunkt des <strong>Wandel</strong>s auf die Identitätsbildung der Organisation aus?<br />
Vignette: History Matters<br />
Wie bereits bei der Beschreibung der Inhaltsebene zur BSC-Einführung in<br />
den USA angedeutet wurde, 681 folgte diese Einführung aufbauend auf die<br />
bereits etablierte Methodik des „Outstanding Customer Value“ (OCV).<br />
Durch das OCV waren wichtige Voraussetzungen für die Einführung der<br />
BSC <strong>als</strong> ganzheitlichem Zielsystem gelegt worden. Das Management war<br />
bereits gewohnt, dass auch nicht-finanzielle Indikatoren wie z.B. für die<br />
Dimensionen der Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit regelmäßig er-<br />
hoben wurden und bezog diese Indikatoren aktiv in seine Entscheidungen<br />
ein. Die Umstellung der bestehenden OCV-Systematik auf die BSC-<br />
Dimensionen im Verbund mit der Einführung der neuen Total Solution<br />
Strategie stellte damit eine Weiterentwicklung der bereits in der Ver-<br />
gangenheit angelegten <strong>Prozess</strong>e dar. Das Management wurde deshalb auch<br />
nicht müde, bei der Einführung die Nähe zum bereits bekannten OCV<br />
Ansatz zu betonen. 682<br />
681 Vgl. Kap. 6.3.1.7.<br />
682 Vgl. Interview I57.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Aus der Sicht der Interviewteilnehmer aus den Vertriebsbüros stellte die<br />
BSC auch wirklich eine Weiterführung des OCV-Ansatzes dar. Die BSC<br />
war für die meisten Mitarbeiter nur eine neue Art und Weise, die „key<br />
measures“ auf einem einzigen Blatt übersichtlich darzustellen. 683<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Ein Schlüsselelement bei der erfolgreichen Einführung der BSC in den USA war die<br />
Akzeptanz, welche die Vertriebsbüros dem neuen Instrument entgegenbrachten. Als<br />
besonders hilfreich erwies sich dabei, dass die BSC eine Weiterführung des beste-<br />
henden OCV-Ansatzes war und die Führung damit Kontinuität und Konsistenz der<br />
Geschäftsentwicklung kommunizierte. Die BSC war nicht etwas revolutionär Neues<br />
oder eine bloße Managementmode, sondern bildete eine Ergänzung und Weiter-<br />
entwicklung einer bestehenden Logik. Die Berücksichtigung und Betonung dieser<br />
path-dependency durch das Management implizierte gleichzeitig Akzeptanz und Wert-<br />
schätzung für bisherige Ansätze. 684<br />
Die deutliche Bezugnahme auf die bereits bestehenden Instrumente (den vergangenen<br />
Kontext) erlaubte es den Beteiligten, an die vergangenen Erfolge anzuschließen. Aller-<br />
dings führte diese Tradition auch dazu, dass sich das Aussehen und der Umgang mit<br />
der BSC deutlich von dem in Europa unterschied. 685 Die Vergangenheit der Organisa-<br />
tion führte <strong>als</strong>o dazu, dass nicht nur das <strong>Wandel</strong>instrument BSC die Organisation ver-<br />
änderte, sondern auch die Organisation mit ihrer Geschichte und Lernerfahrung maß-<br />
geblichen Einfluss auf die Gestaltung der BSC nahm. Das <strong>Wandel</strong>instrument wurde<br />
damit kontextspezifisch abgeändert. Hieraus ergaben sich deutliche Unterschiede zu<br />
der Einführung und Ausprägung der BSC in Europa.<br />
Die nächste Vignette erläutert die wechselseitige Beeinflussung von <strong>Wandel</strong>instrument<br />
und Organisation.<br />
Vignette: Tools change Organizations and Organizations change Tools<br />
Obwohl es sich bei der amerikanischen und der europäischen SBT um so<br />
genannte „Areas“ der gleichen Firma handelte, war der Ansatz der BSC in<br />
Europa und Nordamerika in vielerlei Hinsicht fundamental unterschiedlich.<br />
683 Vgl. Interview I62, I16.<br />
684 Vgl. auch Barrett und Srivastva, 1991 Foucault, 1983.<br />
315
316<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Die BSC in den USA war in erster Linie auf die Bereitstellung standardi-<br />
sierter Indikatoren und Maßzahlen für die Vertriebsbüros und das Home-<br />
office ausgerichtet. Der Fokus in Europa lag dagegen vor allem auf der<br />
Unterstützung der strategischen Kommunikation und der Generierung stra-<br />
tegischer Projekte in den Ländern.<br />
Darüber hinaus saß das US Home Office bei der Einführung der BSC „in<br />
the driverseat“ und nutzte die BSC-Methodik, um eine neue Geschäfts-<br />
strategie zu implementieren. In Europa delegierte die SBT-Zentrale dage-<br />
gen die Verantwortung an die Divisionen und diese wiederum an die<br />
Länder.<br />
Schließlich zeigten sich angesichts der unterschiedlichen Erfahrung mit<br />
dem Einsatz nicht-finanzieller und ganzheitlicher Zielsysteme – die ameri-<br />
kanische Organisation hatte bereits durch das OCV Erfahrungen sammeln<br />
können - deutliche Unterschiede bei dem Versuch, die BSC-Methodik in<br />
die Lebenswelt der Organisation umzusetzen.<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Was eine Organisation aus einem strategischen Projekt wie der BSC macht oder auch<br />
nicht, ist weitgehend eine Frage des Anschlusses an bestehende Muster in der<br />
Organisation. Dem liegt die autopoietische und strukturationstheoretische Überlegung<br />
zugrunde, dass Organisation ihre Wirklichkeit rekursiv verfertigen und aus der Viel-<br />
zahl von Entscheidungsmöglichkeiten vor allem die anschlussfähigen Alternativen<br />
auswählen.<br />
Wichtig ist, die organisationale Realität zu erfassen und ihr gerecht zu werden. Es geht<br />
um ein Ankoppeln an die bestehenden Wirklichkeitsvorstellungen und Handlungs-<br />
prozesse.<br />
Eine gemeinsame organisationale Wirklichkeitsvorstellung <strong>als</strong> Ausgangspunkt von<br />
Veränderungsprozessen ist daher von zentraler Bedeutung. Insbesondere die Ver-<br />
änderung von Handlungsroutinen und Strukturen setzt voraus, dass die „Agenten“ die<br />
derzeitigen Handlungsroutinen und -prozesse nachvollziehen und verstehen. Für die<br />
Adressaten des <strong>Wandel</strong>s besteht mit diesem wechselseitigen Sensemakingprozess die<br />
685 Vgl. hierzu insbesondere die Gegenüberstellung in Kap. 6.3.1.7.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Möglichkeit, subjektive Bilder miteinander abzugleichen und implizite Aspekte zu<br />
versprachlichen.<br />
Die nachfolgende Vignette zeigt ein Beispiel eines solchen Klärungs- und Sense-<br />
makingprozesses im Rahmen der As-Is Analyse des ERP-Programms.<br />
Vignette: As-Is Analyse <strong>als</strong> Mittel zur Rekonstruktion der Wirklichkeit<br />
Während bei anderen Firmen die Geschäftsprozesse vor dem Start eines<br />
ERP i.d.R. schon in <strong>Prozess</strong>handbüchern festgehalten sind und ohne große<br />
Änderungen in das SAP-System übersetzt werden können, war das bei L&S<br />
nicht der Fall. Hier hatte man erst vor einem Jahr damit begonnen, durch<br />
die Abteilung CM&BPM die Geschäftsprozesse der Segmente zu<br />
definieren. 686<br />
Im Rahmen des ERP-Projekts wurde deshalb eine As-Is-Phase vorge-<br />
schaltet, in der mit Hilfe der Ländergesellschaften der Status Quo der<br />
Geschäftsprozesse in den Ländern erfasst wurde. Im Rahmen von 23 Work-<br />
shops wurden die bestehenden <strong>Prozess</strong>e aufgenommen und Best Practices<br />
aus den verschiedenen Varianten abgeleitet, um anschließend mit den DUs<br />
die To-Be <strong>Prozess</strong>e festzulegen. 687<br />
Sowohl von der Programmleitung <strong>als</strong> auch von Seiten der Länder wurde die<br />
Phase des As-Is Modelling <strong>als</strong> unkritisch angesehen, weil es in erster Linie<br />
darum ging, den Status Quo aufzunehmen und ein Bewusstsein für die Ver-<br />
besserung der <strong>Prozess</strong>e zu entwickeln. Kritischer wurde dagegen das an-<br />
schließende To-Be Modelling eingeschätzt, weil dabei die Ländergesell-<br />
schaften mit der Notwendigkeit der Harmonisierung konfrontiert wurden.<br />
Man befürchtete von Seiten der Projektverantwortlichen eine „ja-aber-<br />
Reaktion“ der Ländergesellschaften. Dies wurde <strong>als</strong> projektentscheidend<br />
betrachtet, da der Erfolg des Programms im wesentlichen von einem starken<br />
und anhaltenden Commitment der beteiligten Landesgesellschaften ab-<br />
hing. 688<br />
686 Vgl. Beobachtung B091, B018, B104, B070, Interviews I32, I39.<br />
687 Vgl. auch Kap. 7.1.2.<br />
688 Vgl. Beobachtung B104.<br />
317
318<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Der Leiter des Programms erklärte deshalb regelmäßig zur Eröffnung der<br />
As-Is Workshops mit den Ländern: „We want to understand what you<br />
need.“ 689<br />
Die Workshops führten tatsächlich dazu, dass eine gemeinsame Vorstellung<br />
von den Geschäftsprozessen der Organisation entwickelt wurde. Ein<br />
Manager erklärte nach Abschluss der As-Is Phase, man habe erst durch<br />
diesen <strong>Prozess</strong> ein gemeinsames Verständnis entwickeln können und damit<br />
auch die Voraussetzung geschaffen, das Know-how von der Business-Pro-<br />
cess Seite und der IT-Seite zusammenzuführen. 690<br />
Allerdings gestaltete sich das bloße Abstimmen der gemeinsamen Vorstel-<br />
lungen <strong>als</strong> ein recht komplexer und damit auch kostenintensiver <strong>Prozess</strong>.<br />
Ein Manager aus einer davon besonders betroffenen Landesgesellschaft<br />
antwortete deshalb auch auf die Frage, was er im Wiederholungsfall anders<br />
machen würde, dass er das Projekt aus Kostengründen „leaner“ durchführen<br />
würde und z.B. auf die As-Is Phase verzichten würde. Nachteilig an seinem<br />
eigenen Vorschlag fand er allerdings, dass dadurch die Ländergesell-<br />
schaften weniger berücksichtigt würden und es dann schwerer wäre, ein<br />
gemeinsames Verständnis aufzubauen. 691<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Der Mangel an <strong>Prozess</strong>dokumentation und <strong>Prozess</strong>bewusstsein vor Beginn des ERP<br />
überraschte angesichts der vielen Veränderungen in der Organisation nicht. Nachdem<br />
über die letzten Jahre Merger und Umstrukturierungen die Organisation in Anspruch<br />
genommen hatten, war in dieser Zeit die Harmonisierung der Geschäftsprozesse nicht<br />
das drängendste Problem der Organisation gewesen. Dazu trug auch die stark<br />
subsidiäre Struktur der Organisation bei.<br />
Die Subsidiarität führte zu einer Fülle verschiedener organisationaler Lösungen, die im<br />
Rahmen der As-Is Phase den Ausgangspunkt für das ERP beschrieben. Gerade die<br />
vielen As-Is-Workshops ermöglichten es, angesichts der Vielfalt der Geschäfts-<br />
prozesse in den verschiedenen Ländern die Organisation neu zu verfertigen. Das hohe<br />
689 Vgl. Beobachtung B104.<br />
690 Vgl. Interview I27.<br />
691 Vgl. Interview I63.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Maß an Kommunikation und Austausch über die verschiedenen vorhandenen<br />
Lösungen in den Ländern ermöglichte es den Beteiligten auch gleichzeitig, die Organi-<br />
sation neu zu „erfinden“.<br />
Die Phänomene zeigen anschaulich die Bedeutung von Kommunikationsprozessen<br />
auf, die bereits KIESER sowie BARRETT et al. in ihrem Organisationsverständnis hin-<br />
weisen. 692 Demnach wird die Organisation beim Reden verfertigt und eine neue<br />
Organisation entsteht erst, wenn eine neue Art der Kommunikation etabliert wird.<br />
Die zentrale Bedeutung, die der gemeinsame Verfertigungsprozess im Rahmen der As-<br />
Is-Phase auch für das ERP hatte, wurde von allen Beteiligten wahrgenommen. Die<br />
gemeinsame Verfertigung einer neuen Wirklichkeit erscheint dabei offensichtlich<br />
leichter, wenn es keine alten Muster oder Loyalitäten zu überwinden gilt, sondern<br />
wenn es um einen Neustart geht. Die folgende Vignette liefert dazu ein Beispiel.<br />
Vignette: Additionen zu organisationalen Identität<br />
Im OEM-Segment war vor der Einführung des ERP <strong>als</strong> neue, übergreifende<br />
Informationsplattform noch kein Vorläufersystem vorhanden. Dieser Um-<br />
stand wurde anfangs <strong>als</strong> ein besonderes Handicap eingeschätzt, da man<br />
davon ausging, dass sich deshalb die Mitarbeiter mit einem neuen System<br />
besonders schwer tun würden.<br />
Im Verlaufe der Vorbereitung wurde allerdings bald deutlich, dass bei den<br />
Mitarbeitern im OEM-Segment ein besonders großes Bedürfnis nach Unter-<br />
stützung bei der Abwicklung der täglichen Geschäftsprozesse vorhanden<br />
war. Die Einführung des ERP erwies sich schließlich in diesem Segment <strong>als</strong><br />
einfacher, da man sich in diesem Segment mit weniger „altem Ballast“ und<br />
Loyalitäten zu selbstgestrickten Lösungen beschäftigen musste. 693<br />
Interpretation im Gesamkontext<br />
Der Umstand, dass im OEM-Segment bislang kein System und keine Unterstützung<br />
vorhanden war, führte dazu, dass das neue System ausschließlich <strong>als</strong> eine Berei-<br />
cherung gesehen wurde. Es bestanden keine Beziehungsloyalitäten oder sachlichen<br />
692 Vgl. Kap. 5.1.3 sowie Barrett, et al., 1995;Kieser, 1998.<br />
693 Vgl. Interview I18.<br />
319
320<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Routinen, die durch die Einführung neuer Geschäftsprozesse und –abläufe konfrontiert<br />
wurden.<br />
ALBERT weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es nach der „Algebra des<br />
<strong>Wandel</strong>s“ einfacher ist, bei organisationalem <strong>Wandel</strong> etwas zur organisationalen Iden-<br />
tität zu addieren <strong>als</strong> etwas zu subtrahieren. Der Grund dafür liegt darin, dass es im<br />
Falle des Subtrahierens stets zum Verlust von etwas kommt, was zumindest ein Teil<br />
der Organisation wertschätzt. 694<br />
Dies zeigte sich im negativen Fall auch in der nachfolgenden Vignette, bei der deutlich<br />
wird, dass die Erwartungen der Länder darauf hinaus liefen, dass sie etwas von ihrer<br />
Einzigartigkeit verloren bzw. dass diese Einzigartigkeit nicht berücksichtigt wurde.<br />
Vignette: Die Einzigartigkeit der Länder – Auswirkungen auf die organisationale<br />
Identität<br />
Zu Beginn des ERP-Programms erhielt das Management immer wieder die<br />
Botschaft von den Ländern, dass die Verhältnisse in den Ländern jeweils<br />
sehr speziell und einzigartig wären. Nach Auffassung eines Managers aus<br />
der Zentrale steckte für ihn dahinter die implizite Botschaft: „HQ pass auf,<br />
wir sind nicht 08/15“.<br />
Im Verlaufe des Projekts machten die Länder durch den Austausch unter-<br />
einander allerdings wiederholt die Erfahrung, dass bei der Vorstellung be-<br />
stimmter <strong>Prozess</strong>e, zum Beispiel im Bereich Finanzen durch eines der<br />
Länder, andere Länder erkannten, dass ihre eigenen <strong>Prozess</strong>e vielleicht auch<br />
einfacher gestaltet werden konnten. 695<br />
Interpretation im Gesamtkontext: Sensemaking zu Beginn des <strong>Wandel</strong>s<br />
Die „Distinctiveness“ oder Unterschiedlichkeit stellt nach ALBERT und WHETTEN ein<br />
wesentliches Element der organisationalen Identität dar. Das organisationale Selbst-<br />
verständnis beruht auf einer Reihe relevanter Unterschiede, mit denen sich die eigene<br />
Identität im Gegensatz zu anderen Identitäten definiert bzw. abgrenzt. 696<br />
694 Vgl. Albert, 1992.<br />
695 Vgl. Interview I18, I27.<br />
696 Vgl. Albert und Whetten, 1985.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Die Harmonisierung und Gleichbehandlung der Länder im Rahmen des ERP bedrohte<br />
deshalb zu Beginn des Programms die Identität, insbesondere der Ländergesell-<br />
schaften, da sie einen Teil der Unterschiedlichkeit durch die Angleichung der Ge-<br />
schäftsprozesse zu verlieren glaubten. 697<br />
Die Vignetten zeigen, dass die Beurteilung der Ausgangssituation von einer Reihe von<br />
Faktoren abhängt und keinesfalls <strong>als</strong> objektiv und eindeutig gegeben angesehen wer-<br />
den kann. Aus einer prozessualen Sichtweise kommt es sehr wohl darauf an, wie die<br />
eingesetzten Tools sich zur Vergangenheit verhalten. Das Verhältnis ist dabei, wie in<br />
der zweiten Vignette aufgezeigt wurde, durch ein wechselseitiges Beeinflussen ge-<br />
prägt. Dabei können sich scheinbare Nachteile oder Hindernisse, wie z.B. der Umstand<br />
dass noch keine Tools oder keine <strong>Prozess</strong>definitionen aus der Vergangenheit vor-<br />
handen waren, durchaus <strong>als</strong> Vorteil erweisen.<br />
Das bedeutet allerdings nicht, dass man im Hinblick auf die Identität einer Organisa-<br />
tion von einer Nicht-Identität ausgehen kann. Vielmehr sollte zu Beginn Wert darauf<br />
gelegt werden, die zentralen Merkmale der organisationalen Identität, die häufig auch<br />
den Mitgliedern der Organisation nicht ausreichend bewusst sind zu identifizieren. Im<br />
nächsten Schritt können dann gemeinsam Vorstellungen darüber entwickelt werden,<br />
wie eine zukünftige Identität aussehen kann.<br />
Fazit: Ausgangspunkt des <strong>Wandel</strong>s<br />
Die Analyse des Ausgangspunkt des <strong>Wandel</strong>s hat gezeigt, dass die Geschichte einer<br />
Organisation und bzw. eines <strong>Wandel</strong>orts von besonderer Bedeutung für den Erfolg des<br />
<strong>Wandel</strong>s und den angemessenen Umgang mit den eingesetzten Interventions-<br />
instrumenten ist. Die Klärung der Ist-Situation in einer angemessenen dramaturgischen<br />
Form (z.B. eine As-Is Analyse) ist deshalb von zentraler Bedeutung. Nur so können<br />
gemeinsame Vorstellungen über den Status Quo bewusst gemacht werden und<br />
besondere Identitätsmerkmale wie etwa eine hohe lokale Autonomie markiert werden.<br />
Der Ausgangspunkt des <strong>Wandel</strong>s erhält dabei zusätzliche Bedeutung, wenn im<br />
nächsten Schritt auch eine gemeinsame Zielvorstellung entwickelt werden kann.<br />
Im Anschluss an die Darstellung des Ausgangspunkts wird deshalb im nächsten Ab-<br />
schnitt die Bedeutung des zukünftigen Zustands bzw. die Bedeutung von <strong>Prozess</strong>en<br />
der Ziel- und Erwartungsklärung dargestellt.<br />
697 Vgl. ebenda.<br />
321
7.2.2 Der zukünftige/erwartete Zustand – wo wir hin wollen<br />
322<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Je planmäßiger die Menschen vorgehen,<br />
desto wirksamer trifft sie der Zufall.<br />
Friedrich Dürrenmatt<br />
Als zweites Element des <strong>Wandel</strong>prozesses wird im Folgenden der zukünftige Zustand<br />
bzw. Zielzustand dargestellt. Dabei geht es um die Frage: Welche Bedeutung haben<br />
Ziel- oder Erwartungsstrukturen im <strong>Wandel</strong>prozesse und wie können <strong>Prozess</strong>e der<br />
Ziel- und Erwartungsklärung aussehen?<br />
Reflexion / Beobachtung<br />
2. Ordnung<br />
Der Ausgangspunkt<br />
<strong>Wandel</strong>projekte<br />
<strong>als</strong> <strong>als</strong> Identitätsbildende<br />
Identitätsbildende<br />
<strong>Prozess</strong>e<br />
<strong>Prozess</strong>e Der erwarteteZustand<br />
des <strong>Wandel</strong>s<br />
- Wer sind wir?<br />
-Wer - --Wer<br />
- werden wir sein?<br />
relevante Unterschiede erkennen<br />
und Anschlussfähigkeit schaffen<br />
Abbildung 88: Der erwartete Zustand <strong>als</strong> Element des <strong>Wandel</strong>prozesses<br />
Während traditionelle <strong>Wandel</strong>theorien häufig von einer festen Zielvorstellung ausge-<br />
hen, sind empirische <strong>Wandel</strong>prozesse i.d.R. von unklaren Zielen bzw. Erwartungen<br />
gekennzeichnet. <strong>Prozess</strong>e der Ziel- und Erwartungsklärung sind deshalb zentraler<br />
Bestandteil organisationaler <strong>Wandel</strong>prozesse und von immenser Bedeutung für die<br />
Motivation und das Commitment der Beteiligten. Insbesondere die Möglichkeit der<br />
Beteiligung und Mitgestaltung an <strong>Prozess</strong>en der Ziel- und Erwartungsklärung tragen<br />
dazu bei, divergierende Vorstellung gegebenenfalls anzugleichen. Dabei können die<br />
Zwischenziele auf dem Weg zur Erreichung übergeordneter Ziele durchaus unter-<br />
schiedlich sein, wie die nachfolgende Vignette zeigt.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Vignette: Unterschiedliche Wege können dem gleichen Ziel dienen<br />
Im Rahmen des BSC-Projekts bei L&S wurde für die Landesgesellschaft<br />
Schweiz von der Geschäftsführung das Ziel „Aufbau des Segments Raum-<br />
management (Licht- und Storensteuerung zusätzlich zu HLK)“ festgelegt.<br />
Dieses Ziel galt es, für die fünf Filialen in ihre eigenen strategischen Pro-<br />
jekte zu integrieren und umzusetzen. Die gleiche strategische Zielsetzung<br />
führte in den fünf Gebieten jeweils zu unterschiedlichen Aktionen:<br />
Schweiz West: Zuerst kompetente Vertriebsleute aufbauen<br />
Schweiz Mittelland: Uns wohlgesinnte Elektroplaner via Schwesterfirma<br />
Cerberus ausfindig machen<br />
Schweiz Süd: Millionärsvillen <strong>als</strong> Testobjekte verwenden<br />
Schweiz Zentral: Eigenes Sitzungszimmer einrichten und austesten<br />
Schweiz Ost: Servicetechniker auf ein Umbauprojekt holen, um zu<br />
zeigen, wie Umbaupotential im Raum gewonnen<br />
werden kann 698<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Die fünf Filialen der Landesgesellschaft hatten im Rahmen des BSC-Projekts die<br />
Möglichkeit, eigene strategische Projekte zu definieren. Um die übergeordneten Ziele<br />
zu erreichen, verfügten die Filialen über ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit. Da die<br />
Ausgangssituationen in den Filialen nur bedingt vergleichbar war und die gewählten<br />
Aktionen sich offensichtlich unterschieden, wurde an diesem Beispiel deutlich, wie<br />
unterschiedliche Zielsetzungen bzw. Umsetzungsstrategien alle zur Erreichung des<br />
übergeordneten Ziels „Aufbau des Segmentes Raummanagement“ dienen konnten.<br />
Möglichkeiten, über Ziele und Erwartungen stärker Aufmerksamkeit zu steuern und<br />
Verhalten zu beeinflussen, werden in den folgenden beiden Vignetten beschrieben.<br />
Vignette: „Wysiwyg“ - What you see is what you get<br />
Im Rahmen des ERP bei L&S wurde in einem To-Be Workshop des OEM-<br />
und Produkt-Segments zu einem frühen Zeitpunkt des Projekts über einen<br />
698 Vgl. Dokument D15.<br />
323
324<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
ganzen Nachmittag eine Demonstration der zukünftigen Software gegeben.<br />
Auch wenn es sich dabei nicht um das endgültige Produkt handelte, das<br />
später in der Organisation eingesetzt wurde, konnten doch viele Funktiona-<br />
litäten bereits vorgestellt werden. Die Teilnehmer waren von den Möglich-<br />
keiten sehr begeistert und kommentierten sie und auch die Gestaltung ihres<br />
zukünftigen Programms <strong>als</strong> „sexy“. 699<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Durch die Demonstration der Software wurde den Teilnehmern gezeigt, wie das Ziel<br />
ihrer Bemühungen aussehen würde. Die Veränderung wurde „verkauft“, d.h. die<br />
Betroffenen, die sich noch kein Bild von den anstehenden Veränderungen machen<br />
konnten, sollten so frühzeitig konkrete Informationen, Anwendungen und Vorteile der<br />
neuen Technik erfahren können. Beispiele konkreter Vorführungen von SAP-Modulen<br />
in Workshops halfen nicht nur, ein Bild von der zukünftigen Funktionsweise des<br />
Systems zu erhalten, sondern auch, die Aufmerksamkeit auf den zukünftigen Zustand<br />
zu lenken.<br />
Diesem Ziel der Aufmerksamkeitssteuerung dienten u.a. auch die Bonus- und Anreiz-<br />
systeme, die das Handeln der Mitarbeiter steuern und lenken sollten. Diese Systeme<br />
waren i.d.R. mit Zielvereinbarungs- und Messsystemen verbunden.<br />
Vignette: Formen der Aufmerksamkeitsfokussierung – only what you measure<br />
gets managed<br />
In Gesprächen und Interviews über die Wirkung der BSC <strong>als</strong> Anreiz-<br />
instrument für das Verhalten der Mitarbeiter waren wiederholt Aussagen zu<br />
hören, wie: „Only what is measured gets managed.“ 700 Oder: „People do<br />
not what is expected from them, but where they are measured.“ 701<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Die Aussagen machen deutlich, dass es zwischen den offiziell kommunizierten<br />
Erwartungen der Unternehmensleitung und den über die Bonussysteme kommunizier-<br />
ten Erwartungen Unterschiede geben kann. Diese resultieren häufig daraus, dass die<br />
699 Vgl. Interview I17.<br />
700 Vgl. Interview I17.<br />
701 Vgl. Interview I50, I16.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Bonussysteme nicht mehr aktuell sind und im Widerspruch zu den aktuellen strategi-<br />
schen Zielen der Organisation stehen können.<br />
Diese Situation kann die Beteiligten in ein Dilemma führen: Die Erwartung des Mana-<br />
gements, dass nur Ziele erreicht werden, die gemessen werden, führt dazu, dass in den<br />
nicht messbaren Bereichen auch keine Ziele verfolgt werden.<br />
Diese Folgerung rührt aus der einfachen Überlegung, dass ein Zielvereinbarungs-<br />
system niem<strong>als</strong> das gesamte Verhalten der Mitarbeiter umfassen kann und vor allem<br />
die Funktion der Komplexitätsreduktion übernimmt.<br />
Verhalten, das in diesen „ausgeblendeten“ Bereichen liegt und damit der monetären<br />
Belohnung und der Aufmerksamkeit des Managements und der Mitarbeiter entzogen<br />
ist, verweigert sich damit einer einfachen Stimulus-Response Logik. Hier müssen auf<br />
andere Art die wechselseitigen Erwartungen formuliert und ausgetauscht werden. 702<br />
Beispiele wie ein solches Management von Erwartungsprozessen aussehen kann,<br />
werden im Folgenden geschildert. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Klärung und<br />
Steuerung von Erwartungen und Erwartungserwartungen 703 im <strong>Prozess</strong> des strategi-<br />
schen <strong>Wandel</strong>s.<br />
Vignette: Erwartungssteuerung und <strong>Wandel</strong>bereitschaft<br />
Bei Bekanntgabe der Fusion der MIGROS AARE wurde an die Filialen<br />
kommuniziert, dass sich für die Filialen durch die Fusion nichts ändern<br />
würde. Damit sollte vor allem signalisieren werden, dass es aufgrund der<br />
getrennten Geschäftsgebiete zu keinen Entlassungen oder Schließungen<br />
kommen würde. Den Mitarbeitern sollte die Angst vor Veränderungen<br />
genommen werden.<br />
Allerdings sahen sich die Filialen im Laufe des Integrationsprozesses<br />
zunehmenden Veränderungen gegenüber, die für sie nach der anfänglichen<br />
Ankündigung unerwartet kamen. Beispielsweise ergaben sich aus dem<br />
neuen Warenwirtschaftssystem und der Standardisierung der Informatik-<br />
systeme Veränderungen in der Filialbelieferung, die zu erheblichen Um-<br />
stellungen der filialinternen Abläufe, wie Warenanlieferung, Regalauf-<br />
702 Vgl. hierzu auch Simon, 1998.<br />
703 Erwartungserwartungen sind Erwartungen darüber, weche Erwartungen bei anderen vorliegen.<br />
325
326<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
füllung, Bestellverhalten oder Warenbewirtschaftung, führten. Auf diese<br />
Neuerungen waren die Filialen nicht vorbereitet und so fanden sich die<br />
Filialen, und mit ihnen vor allem die Filialleiter, in der neuen Organisation<br />
lange nicht zurecht. 704<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Die anfängliche Botschaft an die Adresse der Filialen, es würde sich für sie nichts<br />
ändern, führte logischerweise zu einer Reduzierung der Veränderungserwartung und<br />
der <strong>Wandel</strong>bereitschaft der Filialen. Die „persönliche Relevanz“ der Fusion wurde von<br />
den Filialen damit deutlich geringer eingeschätzt und führte dazu, dass sie keine<br />
größeren Konsequenzen aus der Fusion erwarteten. Damit wurde zwar die Vergewis-<br />
serung der Arbeitsplatzsicherheit, Zugehörigkeit und Weiterführung des Tagesge-<br />
schäfts unterstützt. Auf der anderen Seite resultierte aus der Ankündigung aber auch<br />
eine massive Unterschätzung des notwendigen Engagements und der Konsequenzen<br />
für die Filialen. Für die MIGROS AARE bedeutete diese reduzierte <strong>Wandel</strong>bereitschaft,<br />
dass von Seiten der Filialen keine Sonderleistungen erwartet wurden und „business as<br />
usual“ bruchlos fortgesetzt werden konnte. 705<br />
Der Grund für diese fehlgeleitete Erwartungssteuerung war vor allem in einem Mangel<br />
an Erwartungsklärung 706 seitens der Betriebszentrale zu sehen. Durch die Koinzidenz<br />
der Fusion, der Neugestaltung des WWS und der Logistik waren die Konsequenzen<br />
der Fusion sowie der parallelen Aktivitäten nicht voneinander zu unterscheiden. Somit<br />
führte zwar die Fusion unmittelbar nicht zu Veränderungen bei den Filialen. Aller-<br />
dings hatten die mittelbar mit der Fusion zusammenhängenden Projekte einschnei-<br />
dende und nachhaltige Auswirkungen auf die Filialen.<br />
Eine ähnliche Ausgangssituation ergab sich auch für das ERP bei L&S. Nachfolgend<br />
soll deshalb der Start des ERP-Projekts beschrieben werden, bei dem ein erfolgreiches<br />
Management der Erwartungssteuerung erreicht wurde.<br />
704 Vgl. Interview I70, I72.<br />
705<br />
In seinen Ausführungen zur „systemischen Irritationstoleranz“ erläutert Rüegg-Stürm die<br />
Erwartungserwartungen <strong>als</strong> Fähigkeit, menschliche Irrungen zuzulassen und Tabuzonen zu vermeiden. (Vgl.<br />
Rüegg-Stürm (2001), S. 317).<br />
706 Vgl. Rüegg-Stürm, 2000.
Vignette: Erwartungsklärung beim ERP Kick-off<br />
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Nachdem das ERP-Programm im Januar 2000 von der Geschäftsleitung ge-<br />
nehmigt worden war, wurden sukzessive die wichtigen Einheiten IT und<br />
BPM zusammengestellt und die Länder mit einbezogen. 707 In der Initialisie-<br />
rungsphase wurde dann ein Kick-off für das ERP-Programm veranstaltet,<br />
bei dem neben dem ERP-Management vor allem auch Vertreter der Landes-<br />
gesellschaften Schweiz und Deutschland beteiligt waren. 708<br />
Der Kick-off wurde moderiert von einem externen Berater, der bereits in<br />
der Fusionsphase für L&S tätig gewesen war. Er fordert die Teilnehmer zu<br />
Beginn der zweitägigen Veranstaltung auf, sich den Abend nach der zwei-<br />
tägigen Veranstaltung vorzustellen und stellte die Frage: „Was soll mein<br />
Ziel sein bis Donnerstagabend?“ Jeder Teilnehmer sollte die Antwort für<br />
sich auf ein Kärtchen notieren, an einer Tafel befestigen und kurz erläutern.<br />
Als Ziele der Teilnehmer wurden vor allem genannt: Kennenlernen unter-<br />
einander, Klärung der Rollen im ERP-Team (Wer macht was?), Wir-<br />
Gefühl/Team sowie einzelne fachliche Themen (<strong>Prozess</strong>e und IT). Im Laufe<br />
der Veranstaltung wurde dann der Fokus vor allem auf „das Zwischen-<br />
menschliche“ gelegt. 709<br />
Ein Mitarbeiter der Zentrale erklärte nachträglich zur Kick-off Veran-<br />
staltung: „Ich halte solche Teamentwicklungsmaßnahmen für wichtig, um<br />
vielleicht in einem ersten Schritt wirklich die Zielsetzung, die Strategie, die<br />
Rahmenbedingungen eines Projekts gemeinsam zu verstehen und die Teil-<br />
nehmer abzuholen, ob das wirklich verstanden ist [..].“ 710<br />
Ein weiterer Teilnehmer erklärte später in einem Interview, dass der Work-<br />
shop dazu beigetragen habe, die Erwartungen bei Projektstart zu formulie-<br />
ren und abzustimmen. 711<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
707 Vgl. Dokument D27, D35.<br />
708 Vgl. Beobachtung B110.<br />
709 Vgl. Beobachtung B110, Interview I31, I56.<br />
710 Vgl. Interview I56.<br />
711 Vgl. Interview I25.<br />
327
328<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
<strong>Strategischer</strong> <strong>Wandel</strong> beginnt nicht erst mit der Ankündigung eines Projekts oder<br />
einem Kick-off. 712 Auch die Vorphase des ERP-Programms, in der die Geschäfts-<br />
leitung die Rahmenbedingungen und die Ziele festlegte, war wichtig; denn bereits<br />
Vorankündigungen oder kursierende Gerüchte beinhalteten eine Reihe interpretations-<br />
bedürftiger Ereignisse, die von den Beteiligten in dieser Phase häufig unterschiedlich<br />
gedeutet wurden.<br />
Der Aufbau eines gemeinsamen Verständnisses von der Zielsetzung sowie tragfähigen<br />
Beziehungen ist deshalb zu Beginn des strategischen <strong>Wandel</strong>s von besonderer Bedeu-<br />
tung. Hier können Informationsasymmetrien zwischen den Beteiligten aufgehoben und<br />
Konflikte oder Vorurteile abgebaut werden, um zu verhindern, dass es zu verscho-<br />
benen Konflikten oder Stellvertreterkriegen auf dem Schauplatz des neuen Projekts<br />
kommt.<br />
Der <strong>Prozess</strong> ist deshalb vor allem auf eine frühe wechselseitige Erwartungs- und Ziel-<br />
klärung angewiesen. Das beinhaltet aber nicht nur die Klärung der Sachfragen, Rollen-<br />
und Verantwortungsklärung, sondern insbesondere eine Klärung der zukünftigen<br />
Identität. Erst die Klärung der „identity gap“ 713 – des Unterschiedes zwischen der<br />
bisherigen und der zukünftigen Identität der Organisation - machen es den Mitglie-<br />
dern der Organisation möglich, eine persönliche Standortbestimmung in der zukünf-<br />
tigen Organisation vorzunehmen und sich darin persönlich zu „verorten“.<br />
Vignette: Die zukünftige Identität - was soll 2004 in der Zeitung stehen?<br />
Wie bereits bei der Beschreibung der <strong>Wandel</strong>inhalte gezeigt, ist die BSC ein Instru-<br />
ment, um die Umsetzung zukunftsorientierter Visionen und Strategien zu unterstützen.<br />
Die Ausrichtung auf bestimmte Ziele und Erwartungen ist damit unweigerlich am zu-<br />
künftigen Selbstverständnis ausgerichtet. Die folgende Vignette zeigt den Zusammen-<br />
hang zwischen dem zukünftigen Selbstverständnis und den strategischen Zielen.<br />
Im Rahmen eines BSC-Workshops einer Funktionsabteilung am L&S HQ<br />
EU war ein externer Berater eingeladen worden, um die Abteilung in die<br />
Methodik der BSC einzuführen und gemeinsam mit etwa 30 Mitarbeitenden<br />
Ziele, Treiber, Indikatoren und strategische Projekte zu erarbeiten.<br />
712 Vgl. zum Ausgangspunkt des <strong>Wandel</strong>s auch Kapitel 7.2.1.<br />
713 Vgl. Bouchikhi, et al., 1999.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Um die wichtige Differenzierung von Zielen, Treibern und Indikatoren zu<br />
erläutern, zeigte der Berater die Zusammenhänge an dem persönlichen Ziel<br />
„Gewicht verlieren“ auf. Als Indikator legte er fest, „von 90 auf 80 Kilo“ zu<br />
gelangen. Als Treiber im Sinne von Einflussgrößen auf das Gewicht<br />
wurden Nahrungsaufnahme, Sport, Alkohol etc. identifiziert. Als ein strate-<br />
gisches Projekt wurde „Schwimmen“ bestimmt.<br />
Ziele beschrieben demnach den erwünschten Zustand in der Zukunft.<br />
Treiber stellten stets nur eine Möglichkeit dar, ein Ziel zu erreichen und<br />
umzusetzen. Da der Erfolg der BSC u.a. von der klaren Benennung und der<br />
Unterscheidung der Elemente abhing, war die Entwicklung eines grund-<br />
legenden Verständnisses von entscheidender Bedeutung.<br />
Anhand der vorliegenden BSC-Versionen wurden in der folgenden Diskus-<br />
sion insbesondere die Formulierungen der bisherigen BSC-Ziele unter die<br />
Lupe genommen. Dabei wurde deutlich, dass die Qualitäten der Ziele (nicht<br />
im inhaltlichen Sinne zu verstehen) wie z.B. nur einzelne Ziele, positive<br />
Formulierung eines zukünftigen Zustands (nicht: ich will nicht mehr so dick<br />
sein) u.a. Aspekte eingehend bearbeitet werden mussten.<br />
Anschließend wurde auf Vorschlag des Beraters der gesamte Zyklus einer<br />
BSC-Erstellung einmal durchgearbeitet. Ausgangspunkt dafür war die Be-<br />
schreibung einer gemeinsamen Vision. Dazu startete man mit der Frage:<br />
Was soll die Financial Times im Jahr 2003 über SBT schreiben? 714<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Die Erstellung einer BSC bedeutet ein Arbeiten an der Form des zukünftigen Unter-<br />
nehmens. Dazu zählt u.a. auch das Bild, das man von dem eigenen Unternehmen in der<br />
Zukunft konstruiert bzw. das Bild, das andere stakeholder in der Zukunft voraus-<br />
sichtlich entwickeln werden.<br />
Bereits HAMEL und PRAHALAD machen auf die Bedeutung dieses Bildes aufmerk-<br />
sam:“ ...aber die wirkliche, emotional getragene Motivation entsteht erst dann, wenn<br />
ein Unternehmen artikulieren kann, auf was es hinwächst“ 715 .<br />
714 Vgl. Beobachtung B083.<br />
715 Vgl. Hamel und Prahalad, 1997.<br />
329
330<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
BOUCHIKHI ET AL. 716 unterscheiden hinsichtlich der zukünftigen Vorstellung über die<br />
Organisation das Fremdbild der Organisation, das sogenannte Image, von dem Selbst-<br />
bild der Organisation, der Identität. Während die Identität das Bild der Organisation<br />
bzw. ihrer Mitglieder von sich selbst ist, stellt das Image die Außensicht des Unter-<br />
nehmens bzw. die Wahrnehmung des Unternehmens durch Außenstehende dar. Be-<br />
rücksichtigt man <strong>als</strong> weitere Dimension die zukünftige Sicht auf das Unternehmen und<br />
die gegenwärtige Sicht, so können eine Reihe nützlicher Unterschiede für die Be-<br />
schreibung und Entwicklung der Identität gewonnen werden.<br />
Wahrnehmung von<br />
Organisationsmitgliedern<br />
Wahrnehmung von<br />
externen Stakeholdern<br />
Gegenwart Zukunft<br />
Gegenwärtige<br />
Identität<br />
Zukünftige Identität<br />
Gegenwärtiges Image Zukünftiges Image<br />
Tabelle 11: Identität und Image<br />
Die Frage des Beraters, was in der Financial Times im Jahr 2003 über das Unter-<br />
nehmen stehen soll, stellte damit den Einstieg in ein Spiel mit relevanten Unter-<br />
schieden dar, durch das der zukünftige Zustand aus Sicht der Beteiligten erarbeitet<br />
werden konnte. Hier wird <strong>als</strong>o das Selbstbild bzw. die Identität der Organisation abge-<br />
fragt bzw. (re)konstruiert.<br />
Die Frage nach dem zukünftigen Image zielt dagegen auf die zukünftigen Erwartungs-<br />
erwartungen. In diesem Sinne kann auch die Wunderfrage von DE SHAZER eingesetzt<br />
werden 717 Sie basiert auf einer Pseudoprojektion in die Zukunft und erfragt die interne<br />
und externe Sicht des zukünftigen Zustands.<br />
Wie diese Transformation vom derzeitigen Zustand zum zukünftigen Zustand erfolgt,<br />
d.h. wie die neue Identität und das neue Image <strong>als</strong> Strukturen im <strong>Prozess</strong> der<br />
Strukturation rekursiv entwickelt werden können, zeigt der nächste Abschnitt.<br />
Fazit: Zukünftiger Zustand<br />
Aus den Darstellungen dieses Abschnitts wird deutlich, dass Zielen und Erwartungen<br />
der Beteiligten eine starke handlungsleitende Funktion zukommt. Wenngleich hierbei<br />
716 Vgl. Bouchikhi, et al., 1999.<br />
717 V gl. de Shazer, 1995.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
unterschiedliche Wege der Zielerreichung denkbar sind, kommt den Zielen jeweils die<br />
Funktion einer Aufmerksamkeitsfokussierung zu. Damit werden Formen der Ziel- und<br />
Erwartungsklärung zum unverzichtbaren Bestandteil von <strong>Wandel</strong>prozessen.<br />
7.2.3 <strong>Wandel</strong>projekte <strong>als</strong> <strong>Prozess</strong>e relationaler Identitätsbildung<br />
Alles wirkliche Leben ist Begegnung.<br />
Martin Buber<br />
Bereits in Kapitel 2.2 ist auf die Bedeutung der relationalen Verfertigung der organi-<br />
sationalen Identität hingewiesen worden. Im nachfolgenden Abschnitt werden Bei-<br />
spiele solcher <strong>Prozess</strong>e beschrieben. Die Beschreibung, Analyse und Interpretation<br />
dieser <strong>Prozess</strong>e gilt allerdings nicht den Identitätsinhalten, sondern vor allem der<br />
Struktur des Verfertigungsprozesses, der den Bedingungen des Zustandekommens<br />
neuer Identitätsstrukturen zugrunde liegt.<br />
Reflexion / Beobachtung<br />
Beobachtung<br />
2. 2. Ordnung Ordnung<br />
Der Ausgangspunkt<br />
<strong>Wandel</strong>projekte<br />
<strong>als</strong> <strong>als</strong> Identitätsbildende<br />
<strong>Prozess</strong>e Der erwarteteZustand<br />
des <strong>Wandel</strong>s<br />
- Wer sind wir?<br />
- Wer werden wir sein?<br />
relevante Unterschiede erkennen<br />
und Anschlussfähigkeit schaffen<br />
Abbildung 89: <strong>Wandel</strong>projekte <strong>als</strong> Element des <strong>Wandel</strong>prozesses<br />
331
332<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Somit steht nicht der „Fit“ organisationaler Tiefenstrukturen, 718 sondern der gemein-<br />
same <strong>Prozess</strong> der Strukturierung und Vergemeinschaftung der Identität im Mittel-<br />
punkt.<br />
Die Analyse unterliegt dabei einer Mehrebenenbetrachtung: So sollen insbesondere die<br />
Einbeziehung nicht erkannter Handlungsvorrausetzungen und –konsequenzen sowie<br />
der Differenzierung zwischen Inhalt- und Beziehungsebene behilflich sein, die Heraus-<br />
forderungsdimensionen für das Management des <strong>Wandel</strong>s zu differenzieren.<br />
Die folgende Vignette beschreibt ein Beispiel einer impliziten Identitätsentwicklung in<br />
Form von strategischen Projekten. Dieses, wie auch die folgenden Beispiele zeigen,<br />
dass es vor allem konkrete Handlungen sind, welche die (impliziten) Identitäts-<br />
strukturen einer Organisation aufrecht erhalten aber auch verändern.<br />
Auffallend ist hierbei, dass es in der Regel nicht das Ziel dieser Maßnahmen ist, die<br />
kulturelle Ebene oder die soziale Architektur der Organisation zu verändern. Vielmehr<br />
sind solche Initiativen in der Regel einem sehr konkreten Ziel, wie z.B. der Geschäfts-<br />
prozessgestaltung, gewidmet. Die eigentliche Herausforderung für ein Management<br />
des <strong>Wandel</strong>s besteht allerdings häufig nicht in der Bewältigung der aufgaben- und<br />
inhaltsbezogenen <strong>Prozess</strong>e (offizielles Thema), sondern in den vielfach ausge-<br />
blendeten Aspekten ihrer strukturellen „Nebenwirkungen“.<br />
Vignette: Integration via Workshop<br />
Viele Interviewpartner beschrieben den Integrationsprozess zwischen L&G<br />
und STAEFA CONTROL in der frühen Post-Merger-Phase <strong>als</strong> sehr spannend.<br />
Die beiden langjährigen „Feinde“ sollten über Nacht zu Freunden werden.<br />
Dass die Post-Merger-Phase trotzdem erfolgreich gestaltet werden konnte,<br />
war nach Meinung vieler Manager vor allem auf eine Kick-Off Veran-<br />
staltung in der frühen Projektphase im Frühjahr 1996 zurückzuführen.<br />
Bei diesem dreitägigen „Workshop in Feusisberg“ wurde mit ca. 15<br />
Managern aus den größten Landesgesellschaften und wenigen Managern<br />
aus dem HQ ungeachtet ihrer Position eine Organisationsstruktur ent-<br />
wickelt, die während der nächsten Jahre Bestand hatte.<br />
718 Vgl. Bickmann, 1999.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Dazu wurde am ersten Tag nur über den Markt, die Marktstrukturen,<br />
Kundensegmente und Kundenprozesse diskutiert. Dabei wurde den Betei-<br />
ligten früh deutlich, dass man zwar über ähnliche Inhalte sprach, für viele<br />
Dinge aber unterschiedliche Bezeichnungen verwendete, was wiederum zu<br />
vielen Aha-Erlebnissen führte. Bis zum Abend hatte man erarbeitet, wie die<br />
zukünftige Markt- und Business-Struktur aussehen würde. Es ergab sich für<br />
die Organisation eine Produkt-Markt-Matrix, bei der die verschiedenen<br />
Marktleistungen und Kunden gegenübergestellt wurden.<br />
Am zweiten Tag wurde aufgrund des am Vortag erarbeiteten Markt- und<br />
Kundenverständnisses eine gemeinsame Struktur für die Filialen entworfen.<br />
Im Mittelpunkt stand dabei für alle Beteiligten die Frage, wie ein Vertriebs-<br />
büro aussehen konnte, das in der bereits definierten Produkt-Markt-Matrix<br />
tätig war. Auch hier stellten die Beteiligten fest, dass sie unterschiedliche<br />
Bezeichnungen für das gleiche Thema verwendeten. Allen wurde aber<br />
schnell klar, dass der Markt die Struktur der Vertriebsbüros diktierte und<br />
dass daraus schnell abgeleitet werden konnte, wie ein Vertriebsbüro aus-<br />
sehen musste. Anschließend wurde dann beraten, wie das Hauptquartier in<br />
einem Land strukturiert sein musste, das die Vertriebsbüros unterstützte.<br />
Man ging dabei immer wieder von den Kunden über die Geschäftsprozesse<br />
zur Organisationsstruktur.<br />
Am Abend des zweiten Tages hatten die Beteiligten nicht nur ein gemein-<br />
sames Markt- und Kundenverständnis, sondern waren sich auch gemeinsam<br />
klar über die Vertriebsprozesse und Leistungsdefinitionen. Außerdem war<br />
man sich einig, wie die Vertriebsbüros und das HQ in einem Land organi-<br />
siert sein sollten.<br />
Am dritten Tag wandte man sich der Frage zu, wie angesichts der Länder-<br />
organisation dann das Hauptquartier EU aussehen sollte und erarbeitete<br />
gemeinsam die Grundlagen für ein neues Management-Informationssystem.<br />
Bis zum Abend hatte man auch dafür eine gemeinsame Vorstellung ent-<br />
wickelt.<br />
Insgesamt hatte man sich <strong>als</strong>o aufgrund der Strategie (Markt) eine Struktur<br />
(Vertriebsbüro, HQ in den Landesgesellschaften, HQ EU) gegeben und<br />
schließlich auch noch ein für beide Seiten neues, gemeinsames Manage-<br />
ment-Informationssystem (MIS) beschlossen. Dabei waren neben dem MIS<br />
333
334<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
auch die Definitionen von Markt und Organisationsstruktur für beide Seiten<br />
neu. Im Bereich OEM und Service war STAEFA CONTROL relativ schwach,<br />
dafür aber im Bereich Small Works, Contracting stärker.<br />
Man hatte mit diesem Workshop den ersten Durchbruch im Mergerprozess<br />
erreicht. Von zentraler Bedeutung war dabei nach Aussage der Teilnehmer<br />
die Entwicklung einer gemeinsamen Sprache. 719<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Der „Workshop in Feusisberg“ wurde im Verlaufe unserer empirischen Arbeit immer<br />
wieder genannt und der Leiter der europäischen Division bezeichnete diesen Work-<br />
shop <strong>als</strong> seinen größten Erfolg in seiner Managementkarriere.<br />
Die Ausgangslage dieses Workshops war durch die bislang in direktem Wettbewerb<br />
stehenden Unternehmen und noch anstehende Personalentscheidungen äußerst prekär.<br />
Die beabsichtigte Integration der beiden Unternehmen, zu der dieser Workshop einen<br />
wesentlichen Teil beitragen sollte, hing wesentlich davon ab, eine neue gemeinsame<br />
Struktur des Unternehmens zu entwickeln. Eine solche Struktur bestand mehr oder<br />
weniger bereits bei beiden Firmen. Hier ging es aber vor allem darum, ein gemein-<br />
sames Verständnis und eine gemeinsame Sprache <strong>als</strong> Basis für die neue Unter-<br />
nehmung zu schaffen. Der Entwurf einer neuen gemeinsamen Struktur diente dabei im<br />
Prinzip <strong>als</strong> Anlass oder Vehikel, um der Organisation einen neuen Zugang zu sich<br />
selbst zu eröffnen.<br />
Von zentraler Bedeutung war dabei, wie in der Vignette ersichtlich wird, die<br />
lösungsorientierte Entwicklung einer gemeinsamen Vorstellung der relevanten<br />
Umwelt und der Struktur der eigenen Organisation.<br />
Fragen nach den zu lösenden Kundenproblemen oder dem eigentlichen Geschäft in<br />
dem man arbeitet, gehören nach WIMMER und NAGEL dabei zu den zentralen<br />
Identitätsfragen eines Unternehmens. 720 Die geteilten Vorstellungen über die Regeln<br />
und Muster der geschäftlichen <strong>Prozess</strong>e und Strukturen <strong>als</strong> Kernbestandteile der<br />
Organisation werden dabei mittels Kommunikation „verfertigt“ und stellen das nötige<br />
Orientierungswissen strategischen Handelns bereit. Diese handlungsbezogene Aus-<br />
719 Vgl. Interview I53, I06, I21.<br />
720 Vgl. Wimmer und Nagel, 2000.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
einandersetzung über die relevanten Fragen trägt zur Interpretation der interpretations-<br />
bedürftigen Regeln bei und hilft, die Unsicherheit der Beteiligten zu reduzieren. 721<br />
Von zentraler Bedeutung bei diesem Bewältigungsprozess sind Aspekte des Sense-<br />
making und der Erwartungsklärung über die zukünftige Identität der Organisation.<br />
Fragen, die in diesem Zusammenhang bearbeitet werden müssen, sind z.B.: Was für<br />
ein Geschäft machen wir? Wie sieht unsere zukünftige Struktur aus? etc.<br />
Die nachfolgende Vignette zeigt, dass es Kommunikations- und Interaktionsanlässe<br />
bzw. bestimmte Inszenierungen braucht, um die kommunikativen Veränderungen<br />
zentraler Identitätsmerkmale zu ermöglichen.<br />
Vignette: ERP <strong>als</strong> Trojaner für die Harmonisierung der Geschäftsprozesse<br />
Während im Anschluss an die Fusion zwischen L&G und STAEFA<br />
CONTROL keine Harmonisierung der Geschäftsprozesse angestoßen wurde,<br />
erforderte die Einführung des ERP drei Jahre später genau diese europa-<br />
weite organisatorische Angleichung. Auf die Frage, warum nicht direkt im<br />
Anschluss an die Fusion zwischen L&G und STAEFA CONTROL eine<br />
Harmonisierung der Geschäftsprozesse betrieben worden sei, erklärte ein<br />
Manager: „Es war kein Druck da, <strong>als</strong>o den Druck hättest Du künstlich er-<br />
zeugen müssen. Mit dem ERP hast Du ihn. Wir müssen das Zeugs (die<br />
Geschäftsprozesse) abbilden. Und da kann man nur eine Sicht abbilden –<br />
Ende der Durchsage. Und wenn Du sonst einfach über die <strong>Prozess</strong>e hin-<br />
weggegangen wärst, warum sollte man sich dann einigen, könnte ja<br />
sowieso jeder wieder machen was er will. Vom damaligen (ERP) System<br />
her ist das ja gegangen. [..]. Also du hattest keinen äußeren Druck, und mit<br />
dem ERP hast Du den“. 722<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Eine Harmonisierung der Geschäftsprozesse kann prinzipiell auf unterschiedliche Art<br />
und Weise erreicht werden. Das ERP-Programm ist dabei nur eine Möglichkeit.<br />
Grundsätzlich wäre auch die Fusion zwischen den beiden Organisationen ein „window<br />
721 Vgl. zur Bedeutung der kommunikativen Verfertigung der neuen Strukturen insbes. Barrett, et al.,<br />
1995;Kieser, 1998.<br />
722 Vgl. Interview I22.<br />
335
336<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
of opportunity“ gewesen, um die Ablauforganisationen in den verschiedenen euro-<br />
päischen Ländern anzugleichen. Immerhin stellen Fusionen und andere <strong>Wandel</strong>anlässe<br />
Zeiten dar, in denen die vorhandenen Erwartungen wesentlich irritationsbereiter sind.<br />
Allerdings hätte die Standardisierung im vorliegenden Fall dem ansonsten eher<br />
subsidiär geführten <strong>Prozess</strong> der Post-Merger-Integration stark widersprochen.<br />
Die Einführung einer neuen, standardisierten ERP-Software legitimierte nun die Har-<br />
monisierung der Geschäftsprozesse sehr viel stärker, da es mit der Entscheidung für<br />
eine einheitliche Informationsplattform keine Alternative mehr zu den einheitlichen<br />
<strong>Prozess</strong>en gab.<br />
Die Einführung des ERP <strong>als</strong> neuer gemeinsamer Informationsplattform stellte somit<br />
einen „Trojaner“ dar, der vor allem die Harmonisierung der bestehenden Geschäfts-<br />
prozesse beinhaltete. Durch die technische Notwendigkeit wurde damit die<br />
Angleichung der Ablauforganisation legitimiert und gleichzeitig die Tür geöffnet zu<br />
einer bis dahin kaum leistbaren, europaweiten Zentralisierung und Integration. Dazu<br />
diente, vielleicht nicht zufällig, in einer technisch orientierten Organisation ein<br />
technisches „Pferd“.<br />
Das „eigentliche“ Thema und der Kern der Veränderung war dabei bei L&S die<br />
Veränderung eines zentralen, identitätsstiftenden Elements, nämlich der Balance<br />
zwischen Zentralität und Dezentralität auf der Strukturebene.<br />
Die nächste Vignette zeigt – wenn auch für einen wesentlich abgegrenzteren Bereich –<br />
ebenfalls ein Beispiel für einen solchen identitätsstiftenden Verfertigungsprozess an-<br />
hand der Neugestaltung eines Verkaufsprozesses in einer Landesgesellschaft.<br />
Vignette: Neugestaltung eines Verkaufsprozesses<br />
Die Integration der beiden Unternehmen LANDIS&GYR und STAEFA<br />
CONTROL wurde in der Post-Merger-Phase vor Ort in den Ländern von<br />
diesen weitgehend autonom betrieben. Dadurch kam es in den einzelnen<br />
Ländern zu unterschiedlichen Projekten. Beispielsweise wurde in Öster-<br />
reich die Integration segment- und bereichsbezogen durchgeführt, wodurch<br />
es in den einzelnen Segmenten zu einer Reihe von Projekten kam, wie bei-<br />
spielsweise der im Folgenden beschriebenen Reorganisation des<br />
Marketings.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Die Reorganisation hatte bereits 1994 mit einem Projekt zur Definition der<br />
Geschäftsprozesse anlässlich der ISO-Zertifizierung begonnen. Im Rahmen<br />
der Post-Merger-Integration wurde dieses Projekt nun zur gemeinsamen,<br />
prozessbezogenen Entwicklung eines Qualitätsmanagements genutzt. Ein<br />
leitender Manager kommentierte dazu in einem Interview rückblickend:<br />
„Das war der Synergietreiber.“ 723<br />
Anlass hierzu gab die anstehende Qualitätszertifizierung, die für den Herbst<br />
1996 für L&G geplant war, und nun im Kontext der Fusion durchgeführt<br />
werden sollte.<br />
Für die Neugestaltung des Verkaufsprozesses traf sich ein Team aus 5 Mit-<br />
arbeitern, wobei neben dem leitenden Manager jeweils zwei von L&G und<br />
zwei von STAEFA CONTROL zusammen kamen und sich zu drei Tagesver-<br />
anstaltungen trafen. Der leitende Manager bezog bewusst Mitarbeiter aus<br />
beiden ehemaligen Firmen mit ein, um eine paritätische Besetzung zu er-<br />
reichen, was nach seiner Meinung sehr wichtig für das Gelingen war.<br />
Darüber hinaus war die Gruppe auch bzgl. ihres Alters und der beruflichen<br />
Hintergründe heterogen zusammengesetzt.<br />
Im Mittelpunkt der Projektarbeit stand der Aufbau eines gemeinsamen Ver-<br />
ständnisses für den Verkaufsprozess der fusionierten Firmen. Dazu analy-<br />
sierte man die Vertriebsprozesse bis in die Vertriebsbüros hinein, einigte<br />
sich auf so genannte best practices und übertrug das Ergebnis in eine Soft-<br />
warelösung.<br />
Die Neudefinition des Verkaufsprozesses richtete sich dabei am System-<br />
geschäft aus. Es ging darum, zu erkennen welche Kunden welchen<br />
Segmenten zugeordnet werden konnten, um z.B. bei einem öffentlichen<br />
Auftrag oder einem Auftrag der sogenannten „installed base“ den Ver-<br />
kaufsprozess entsprechend zu strukturieren.<br />
Im Rahmen der Meetings wurde über die Erstellung von Handbüchern für<br />
den Verkauf ,sowie über die Klärung unterschiedlicher konkreter<br />
Geschäftsthemen allmählich ein gemeinsames <strong>Prozess</strong>verständnis und<br />
723 Vgl. Interview I20.<br />
337
338<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
gleichzeitig viel gegenseitiger Respekt zwischen den Mitarbeitern ent-<br />
wickelt.<br />
Als zusätzliche Integrationsmaßnahme wurden die Verkäufer im Anschluss<br />
zum Thema „Strategic Selling“ in Form von „gemischten Seminaren“<br />
trainiert, wobei nicht nur die Verkäufer der beiden ehemaligen Firmen<br />
sondern auch IT-Leute und Controller einbezogen wurden. 724<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Die beschriebenen Maßnahmen stellten neben ihren direkten Aufgabenbezügen<br />
(Gestaltung des Verkaufsprozesses, Verkaufsschulung) auf der darunter liegenden,<br />
strukturellen Ebene gleichzeitig auch Integrationsmaßnahmen dar. Die Projekte<br />
eigneten sich damit auch, die zwei ehemaligen Konkurrenten, die gemeinsam auf<br />
einem Markt tätig waren, zu einer Firma zusammen zu bringen.<br />
Damit zeigt das Beispiel, dass die Zusammenführung von zwei Firmen durch die Be-<br />
arbeitung gemeinsamer Themen und Projekte gefördert werden kann. Allerdings sollte<br />
es sich, wie im Falle der Neudefinition des Verkaufsprozesses, um Themen aus dem<br />
Tagesgeschäft handeln und nicht, wie ein Manager sich ausdrückte, um „etwas<br />
Künstliches [...] wie etwa das Bauen einer Brücke bei Outdoor-Events mit<br />
Coaches.“ 725<br />
Wenngleich in der folgenden Vignette genau ein solcher Outdoor Event den Einstieg<br />
in einen mehrjährigen Entwicklungsprozess einer Gruppe von Managern darstellt,<br />
scheint der Bezug zu konkreten Themen aus dem Tagesgeschäft der Beteiligten förder-<br />
lich für die Integration zu sein.<br />
Auf diesen Praxisbezug hebt insbesondere die Literatur zu den von WENGER/SNYDER<br />
beschriebenen Communities of practice ab. 726 Als Orte mit einer geringen „Vor-<br />
Strukturierung“ bieten sie einen organisationalen Rahmen, um in einer Organisation,<br />
einfache, neue soziale Praktiken und neue Strukturen zu entwickeln.<br />
Die beschriebene Neugestaltung des Verkaufsprozesses enthielt in diesem Sinne<br />
typische Aspekte einer Community of practice. Neben der Bewältigung der inhalt-<br />
724 Vgl. Interview I20.<br />
725 Vgl. Interview I20.<br />
726 Vgl. Brown und Duguid, 1991, Wenger und Snyder, 2000. Zur Einführung empfiehlt sich Wenger, 1998.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
lichen Aufgabe, neue Strukturen und Regeln für den Verkauf zu entwickeln, führte die<br />
Arbeit des Projekts auch zur Entwicklung neuer Strukturen und Praktiken der Zusam-<br />
menarbeit. Es führte damit sowohl auf der inhaltlichen wie auch auf der sozial-prozes-<br />
sualen Ebene zur Ausbildung einer praxisbezogenen Community of Integration.<br />
Für diese Integration scheint neben der Behandlung konkreter Sachthemen das Erleben<br />
eines gemeinsamen <strong>Prozess</strong>es und die Neugestaltung sozialer Praktiken unabdingbar<br />
zu sein. Dass sich die intensive Bearbeitung der sozialen Ebene und ein damit ver-<br />
bundenes zeitliches Investment auch auf der inhaltlichen Ebene auszahlt, zeigt das<br />
nachfolgende Beispiel der Vision eines Hochleistungsteams der Geschäftsleitung der<br />
MIGROS AARE.<br />
Vignette: Entwicklung neuer sozialer Praktiken im Projekt TEZetera<br />
Das Integrationsprojekt TEZetera stellte für die Geschäftsleitung der<br />
MIGROS AARE eine ganzheitliche <strong>Wandel</strong>initiative dar. Mit der prozessbe-<br />
gleitenden Teamentwicklung der Geschäftsleitung wollte man in der Post-<br />
Merger-Phase möglichst schnell die Bildung einer funktionsfähigen<br />
Geschäftsleitung unterstützen.<br />
Im Anschluss an einen anfänglichen Outdoor-Event wurden dazu die<br />
monatlichen Geschäftsleitungssitzungen, bei der die Teilnahme für alle<br />
Mitglieder streng verpflichtend war, von zwei Beratern begleitet. Man<br />
nutzte die Sitzungen einerseits um die Strategieüberarbeitung und die<br />
Bewältigung der vielen Fusionsprojekte zu bearbeiten; andererseits wurden<br />
anhand der Integrationsthemen, die sich in Form von verschiedenen Kern-<br />
prozessen und strategischen Projekten darstellten, auch die innere Struktur<br />
und die Zusammenarbeit in der Geschäftsleitung gemeinsam aktiv bear-<br />
beitet.<br />
Die Methodik des interdisziplinären Beraterteams war dabei nicht nur auf<br />
die Arbeit an Inhalts- oder Sachfragen ausgerichtet. Es sollte vielmehr<br />
anhand der Sachfragen eine neue Form der Zusammenarbeit gelernt<br />
werden, um die Denkhaltungen, Grundwerte und Problemlösungsansätze<br />
der Kollegen kennen zu lernen und antizipieren zu können. Dieser Lern-<br />
prozess wurde im Anschluss an die anfänglich explizite Thematisierung von<br />
Kommunikations- und Beziehungsthemen anhand der sich ergebenden<br />
Geschäftsprozesse thematisiert und bearbeitet.<br />
339
340<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Ein Mitglied der Geschäftsleitung beschrieb diesen <strong>Prozess</strong> <strong>als</strong> ein<br />
„Zusammenkitten“ der Geschäftsleitung anhand der anstehenden Heraus-<br />
forderungen, die sich aus der Integration ergaben. Ein Interviewteilnehmer<br />
betonte, wie wichtig es war, die Ausrichtung des <strong>Prozess</strong>es an konkreten<br />
Managementthemen aufzuhängen, da so auch unangenehme Themen hart<br />
und kontrovers in der Sache behandelt wurden. Beispielsweise stand die<br />
Informatikabteilung zeitweise unter massivem Druck und war aufgrund der<br />
personellen Knappheit kaum in der Lage, ihre Vorgaben zu erfüllen. Trotz-<br />
dem wurden angesichts einer neu auftauchenden Kostenstellenproblematik<br />
auch plötzlich Personen in Frage gestellt. 727<br />
Grundlage der gesamten Arbeit war die Vision eines Hochleistungsteams.<br />
Die Annahme war, dass die GL die Fusion nur bewältigen könne, wenn sie<br />
sich bewusst Zeit nehmen würde, um anlässlich verschiedener Business-<br />
Themen auch persönliche und organisationale Implikationen bis auf die<br />
persönliche Ebene hin zu reflektieren. 728<br />
Heute arbeitet die Geschäftsleitung selbständig ohne die Berater, die nur<br />
noch sporadisch zur Unterstützung bei heiklen Teamthemen hinzugezogen<br />
werden.<br />
Allerdings hatte der <strong>Prozess</strong> innerhalb der Geschäftsleitung auch Auswir-<br />
kungen auf andere Geschäftsbereiche. In der zweiten Ebene brauchte man<br />
lange Zeit, bis das Verhalten der Geschäftsleitung State-of-the-Art wurde.<br />
Während die Geschäftsleitung anfänglich die Wahrnehmung hatte, dass die<br />
Organisation diesen <strong>Prozess</strong> mitmache, identifizierten die Mitarbeiter mit<br />
der Zeit eine Lücke zwischen dem Entwicklungsstand und der Dynamik der<br />
Geschäftsleitung und der übrigen Organisation.<br />
Ein möglicher Grund dafür: Für die die zweite Ebene gab es keinen ver-<br />
gleichbaren <strong>Prozess</strong>. Um die zweite Ebene einzubeziehen, wurden lediglich<br />
im Anschluss an das Meeting der Geschäftsleitung der Kommunikations-<br />
chef und der Integrationsmanager über die Ergebnisse informiert.<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
727 Vgl. Interviews I66, I70.<br />
728 Vgl. Interview I69.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Das Projekt TEZetera stellte im Vergleich zur bisherigen „Ärmel-hoch“-Mentalität für<br />
die Organisation eine deutliche Innovation dar. Zum ersten Mal wurden, mit der mehr<br />
<strong>als</strong> zweijährigen Begleitung durch Externe, Impulse von Außen gezielt in den strategi-<br />
schen <strong>Prozess</strong> einbezogen. Die Impulse bezogen sich dabei nicht nur auf betriebswirt-<br />
schaftliche und strategische Inhalte, sondern aufgrund der interdisziplinären Zusam-<br />
mensetzung des Beraterteams auch auf die Beziehungs- und <strong>Prozess</strong>ebene.<br />
Die gemeinsame Arbeit an einer Aufgabenstellung, und die sprachliche Koordination<br />
des Systems führten dazu, dass die Beteiligten einen gemeinsamen Sinn und eine<br />
gemeinsame Identität konstituierten. Die Aufgabe der Bewältigung der Post-Merger-<br />
Phase wurde damit im Falle der Geschäftsleitung der neuen MIGROS AARE zum<br />
organisierenden Prinzip, um das ein Kommunikationssystem aufgebaut wurde.<br />
Die geteilte Praxis der Entwicklung gemeinsamer sozialer Praktiken und einer damit<br />
entstehenden Identität ist allerdings äußert schwierig über den Kreis der Beteiligten<br />
hinaus zu „transportieren“. BROWN und DUGUID bemerken dazu:<br />
„Aufgrund seiner Wurzeln auf der sozialen Ebene bewegt sich Wissen innerhalb von Gemeinschaften<br />
anders <strong>als</strong> zwischen ihnen. Innerhalb ist das Wissen kontinuierlich in die Praxis eingebettet<br />
und daher leicht zu verbreiten. Die Mitglieder haben ein gemeinsames Verständnis<br />
davon, was die Praxis und die Kriterien für die Beurteilung ausmacht - das hält die Gruppe<br />
zusammen. Zwischen Gemeinschaften dagegen, wo definitionsgemäß keine gemeinsame<br />
Praxis geteilt wird, müssen Know-how, Fachkenntnis und Kriterien zur Verbreitung voneinander<br />
getrennt werden. Das sorgt für Probleme. Verschiedene Gemeinschaften haben unterschiedliche<br />
Standards und unterschiedliche Vorstellungen davon, was wichtig ist“. 729<br />
Damit wird deutlich, dass die Systemgrenze und die Teilhabe an sozialen Praktiken,<br />
die im Zusammenhang mit der Aufgabenbewältigung stehen, unmittelbar miteinander<br />
verwoben sind. Zugehörigkeit zum System und Teilhabe am sozialen - insbesondere<br />
impliziten – Wissen kann daher nur durch die prozessuale Einbeziehung erfolgen.<br />
Die folgende Vignette macht deutlich, wie durch die Einbeziehung selbst ehrgeizige,<br />
zentral initiierte <strong>Wandel</strong>prozesse in einem subsidiär geprägten Umfeld erfolgreich<br />
umgesetzt werden können.<br />
729 Vgl. Brown und Duguid, 1999.<br />
341
342<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Vignette: Einbeziehung <strong>als</strong> Bedingung der Identitätsbildung im ERP-Programm<br />
Im Mittelpunkt der Einführung der neuen ERP-Software bei L&S stand vor<br />
allem die Harmonisierung und Standardisierung der Geschäftsprozesse in<br />
den Ländern.<br />
Die Erreichung dieses Ziels machte neben der Einbeziehung der für die<br />
Geschäftsprozesse verantwortlichen zentralen Einheiten vor allem die der<br />
Ländergesellschaften nötig. 730<br />
Bereits in der ersten Phase der Initialisierung kam es erstm<strong>als</strong> zur direkten<br />
Einbeziehung der Länder, <strong>als</strong> die Landesgesellschaft Schweiz die Funktion<br />
des Piloten übernahm und fortan im ERP-Steering Committee vertreten<br />
war. Kurze Zeit später erhielten die Länder, anlässlich eines jährlich statt-<br />
findenden europäischen Managementmeetings, erste Informationen und die<br />
Möglichkeit, Erwartungen, Anregungen und Kritik an dem Programm zu<br />
formulieren. 731<br />
Im Rahmen des dann folgenden Kick-Offs 732 wurde das Programm durch<br />
das ERP-Management aus der Zentrale und Vertreter der Landesgesell-<br />
schaften Schweiz und Deutschland gemeinsam gestartet. 733<br />
In der zweiten Phase, in der die Modellierung der Geschäftsprozesse und<br />
die Definition eines Blueprint erfolgen mussten, waren die Länder stark<br />
beteiligt. In insgesamt 23 Workshops wurden die As-Is-Geschäftsprozesse<br />
zusammengetragen. Ausgewählte Länder entsandten dazu Business Process<br />
Champions, die <strong>als</strong> Experten für die jeweiligen Geschäftsprozesse zusam-<br />
men mit Mitarbeitern aus dem HQ und externen Beratern die <strong>Prozess</strong>e<br />
definierten. Früh merkten die Länder dabei, dass sie im Gegensatz zu<br />
früheren Projekten wesentlich mehr Einfluss auf die Gestaltung der neuen,<br />
harmonisierten Geschäftsprozesse hatten. 734<br />
730 Vgl. Interview I56, I18, Dokument D27, D35.<br />
731 Vgl. Beobachtung B019, B032, B087; Dokument D11.<br />
732 Vgl. hierzu auch Kap. 7.4.2.<br />
733 Vgl. Beobachtung B110, B061.<br />
734 Vgl. Beobachtung B104, B037.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Die Ergebnisse der As-Is-Phase wurden den Landesgesellschaften im<br />
September 2000 zu einer Qualitätskontrolle vorgelegt. Aus der As-Is<br />
Modellierung und dem Feedback der Länder wurde dann von Oktober bis<br />
November 2000 in 16 Workshops, wiederum unter Beteiligung der Länder,<br />
die zukünftigen To-Be Geschäftsprozesse generiert. Auch diese Phase<br />
wurde wieder durch eine Qualitätskontrolle durch die Länder abge-<br />
schlossen. 735<br />
In der anschließenden Phase der Vorbereitung des Roll-out im Pilotland<br />
Schweiz und der Konfiguration der ERP-Software stellten die Länder neben<br />
ihren Business Process Champions zusätzlich so genannte Power User ein,<br />
die <strong>als</strong> Schlüsselanwender fundierte Kenntnisse über die Details der<br />
bestehenden Geschäftsprozesse hatten. Von den rund 160 Mitarbeitern, die<br />
in dieser Phase für das ERP-Programm tätig waren, kamen etwa 90 aus den<br />
Ländern. 736<br />
Auch in den abschließenden Tests, Schulungen und Trainings der End-User<br />
in den Ländern wurden Business Process Champions und Power User aus<br />
den Ländern eingesetzt.<br />
Die starke Einbeziehung der Länder über den gesamten Ablauf des ERP-<br />
Programms wurde von den Interviewpartnern immer wieder <strong>als</strong> ent-<br />
scheidender Erfolgsfaktor genannt. Im Gegensatz zu vergangenen Einfüh-<br />
rungen neuer Softwarelösungen, die <strong>als</strong> Unterstützung für die Länder<br />
konzipiert waren, bestätigten insbesondere die Vertreter aus den Ländern,<br />
dass man den Eindruck habe, dass die Länderinteressen bei diesem Projekt<br />
wirklich berücksichtigt würden. 737<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Die starke Einbeziehung der Ländergesellschaften war ein wesentliches Merkmal des<br />
ERP-Programms. Gerade der Umstand, dass ein auf stärkere Zentralisierung angelegte<br />
<strong>Wandel</strong>initiative in einem subsidiären Umfeld auf einen starken Einbezug der de-<br />
zentralen Einheiten setzte, hatte zur Folge, dass insbesondere die Qualität der abge-<br />
735 Vgl. Dokument D24, D27, D69.<br />
736 Vgl. Beobachtung B045; Dokument D20, D30.<br />
737 Vgl. Interview I25, I38, I46, I49, I51, I54, I63, I64.<br />
343
344<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
bildeten Geschäftsprozesse enorm verbessert wurde. Insofern wandelte sich die<br />
anfangs <strong>als</strong> Hindernis bewertete, subsidiäre Identität der Organisation im Verlaufe des<br />
<strong>Prozess</strong>es zum Qualitätstreiber.<br />
Allerdings wurde auch im Vergleich zu anderen Initiativen besonders stark und aktiv<br />
der Einbezug der Länder gefördert. Die daraus resultierenden Task Forces, Teams und<br />
Arbeitsgruppen wiesen in ihrer Zusammensetzung eine ähnliche Struktur auf, wie sie<br />
bereits von LIKERT beschrieben wurde. Kennzeichnend für diese überlappenden<br />
Gruppen war, dass die jeweils tiefere Ebene in die Arbeit der höheren Ebene integriert<br />
wurde und damit die hierarchieübergreifende Kommunikation gefördert wurde. 738<br />
Diese Form der Einbeziehung wirkt der von BROWN und DUGUID beschriebenen<br />
Schwierigkeit beim systemübergreifenden Austausch von Wissen entgegen und fördert<br />
die Akzeptanz bei zentral initiierten Veränderungen. Die erhöhte Akzeptanz ist dabei<br />
vor allem auf die Möglichkeit zurückzuführen, an dem Entwurf der zukünftigen Orga-<br />
nisation mitwirken zu können.<br />
Abbildung 90: System sich überlappender Gruppen nach Likert<br />
(in Anlehnung an (Likert, 1975, S. 59ff)<br />
Wichtig scheint im diesem Zusammenhang zu sein, dass durch die gleichberechtigte<br />
Einbeziehung, die Würdigung und die Anerkennung der Expertise dezentraler Einhei-<br />
ten eine deutlich stärkere symmetrische Kommunikation ermöglicht wird, <strong>als</strong> durch<br />
ein top-down geführtes Management von <strong>Wandel</strong>prozessen. 739<br />
738 Vgl. Likert, 1975.<br />
739 Vgl. zur symmetrischen Kommunikation Watzlawick, et al., 1990 und für die Anwendung im Kontext von<br />
Post-Merger-<strong>Prozess</strong>en von Krogh, 1994.
Fazit: Relationale Identitätsbildung<br />
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Organisationen haben eine einmalige Historie und eine damit verbundene Identität; die<br />
sie von anderen Firmen in vielen Aspekten unterscheidet (Werte, Einstellungen,<br />
Glaubenssätze, Normen und soziale Praktiken). 740 Organisationale Identität kann<br />
verstanden werden <strong>als</strong> organisational konstruierte Wirklichkeit. 741 Um strategisch<br />
handeln zu können ist es wichtig, die Geschichte der Organisation und die damit ver-<br />
bundenen sozialen Wirklichkeitskonstruktionen zu rekonstruieren und zu verstehen. 742<br />
Für die Implementierung einer Strategie im Anschluss an eine Fusion zweier<br />
Organisationen ohne gemeinsame Geschichte fordert VON KROGH eine „complex<br />
strategy implementation“ die darauf ausgerichtet sein sollte eine gemeinsame<br />
Geschichte zu schaffen. 743<br />
Diese Forderung kann nach der Analyse der strategischen Initiativen bestätigt werden:<br />
Identitätswandel entzieht sich nach diesen Beobachtung dem direkten Zugriff des<br />
Managementhandelns und ist nur indirekt steuerbar. Die Beispiele zeigen, dass von<br />
dem inhalts- und aufgabenbezogenen Handeln im Rahmen strategischer Initiativen<br />
stets auch zentrale Sinn- und Identitätsstrukturen betroffen sind.<br />
Damit deutet sich ein <strong>Prozess</strong> an, der in seiner Dualität den Kern einer rekursiven<br />
Strukturierungsleistung wiedergibt: Neue Identitätsstrukturen ermöglichen neue strate-<br />
gische Handlungen und identitätswirksame Handlungen wirken zurück auf die organi-<br />
sationalen Identitätsstrukturen. 744<br />
Eine direkte Fokussierung unterschiedlicher Identitätsmerkmale etwa von zwei fusio-<br />
nierenden Organisationen birgt dagegen die Gefahr einer Verschärfung im Sinne einer<br />
schismogenetischen Eskalation. 745 Die Empfehlung für strategische Initiativen lautet<br />
damit, strukturellen <strong>Wandel</strong> im Rahmen der Arbeit an konkreten Geschäftsthemen zu<br />
inszenieren. Nur in einem arbeitsbezogenen Kontext und anhand konkreter<br />
740 Vgl. von Krogh, 1994, Pettigrew, 1979. Vgl. zur Unterschiedlichkeit <strong>als</strong> einem wichtigen Kriterium der<br />
organisationalen Identität auch Albert und Whetten, 1985.<br />
741 Vgl. Berger und Luckmann, 1969;Gergen, 1999.<br />
742 Vgl. von Krogh, 1994.<br />
743 Vgl. ebenda<br />
744 Vgl. Giddens, 1979;Giddens, 1997.<br />
745 Vgl. Vgl. zum Begriff der Schismogenese Bateson, 1981 sowie Kapitel 4.2.4.<br />
345
346<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Geschäftsthemen werden die für die Organisation relevanten, zentralen und bestän-<br />
digen (Identitäts-)Unterschiede bearbeitbar. Strategische Initiativen bieten damit den<br />
Anlass und den Rahmen für Identitätswandel.<br />
Strategische Projekte<br />
<strong>als</strong> Formen<br />
organisationalen<br />
Handelns<br />
Gemeinsame<br />
Aufgabe<br />
Abbildung 91: Identität im <strong>Prozess</strong> der Strukturierung<br />
Identität <strong>als</strong><br />
Handlungsleitende<br />
handlungsleitende<br />
Handlungsleitende<br />
handlungsleitende<br />
Handlungsleitende<br />
handlungsleitende<br />
Handlungsleitende<br />
handlungsleitende<br />
implizite Struktur<br />
Die im arbeitsbezogenen Kontext eines neuen Projekts erfahrenen sozialen Praktiken<br />
stellen die Grundbausteine einer neuen Identitätsstruktur dar. Sie sind vergleichbar<br />
einer Metaqualität, die im konkreten Hier und Jetzt anhand der Projektinhalte erfahren<br />
werden und ausstrahlen auf Praktiken des Alltags. „Inhaltslose“ Veränderungsmaß-<br />
nahmen, wie z.B. losgelöste Teamentwicklungen oder auch die Einführung einer BSC<br />
ohne den Bezug zu den strategischen und operativen Inhalten, laufen augrund des<br />
mangelnden Praxisbezugs deshalb Gefahr zu scheitern.<br />
Die Übernahme neuer sozialer Praktiken und der Aufbau der zukünftigen Identität der<br />
Organisation wird allerdings auch maßgeblich geprägt durch die bestehenden sozialen<br />
Praktiken und Muster im Umgang mit Zukunftsfragen der Organisation. 746 Diese<br />
Muster des Umgangs mit dem Neuen, die gleichzeitig die „Assimilationsfähigkeit“ in<br />
Bezug auf veränderte Zukunftsaspekte ausmachen, sind gleichbedeutend mit der<br />
Fähigkeit, mit relevanten Unterschieden umzugehen und diese in den weiteren<br />
rekursiven <strong>Prozess</strong> des Organisierens zu integrieren.<br />
Das nachfolgende Kapitel widmet sich nun der Frage, was gerade anschlussfähige<br />
strategische Projekte auszeichnet. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie die zukünf-<br />
tige Struktur der Organisation mit der gewachsenen Identität der Organisation verein-<br />
746 Vgl. Wimmer und Nagel, 2000.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
bar ist bzw. wie das Neue in den bestehenden Handlungsstrom und in die bestehenden<br />
Sinngefüge integriert werden kann.<br />
7.2.4 Unterschiede erkennen und Anschlussfähigkeit schaffen<br />
Die bestehenden Sinn- und Identitätsgefüge der Organisation stellen für den <strong>Prozess</strong><br />
des <strong>Wandel</strong>s wichtige Ausgangsgrößen dar. Sie sind rekursive Muster, die einerseits<br />
die Beobachtung und den Umgang mit neuen Ereignissen ermöglichen und beein-<br />
flussen, andererseits durch die Ereignisse selbst immer wieder rekursiv verfertigt<br />
werden.<br />
Reflexion / Beobachtung<br />
2. Ordnung<br />
Der Ausgangspunkt<br />
<strong>Wandel</strong>projekte<br />
<strong>als</strong> Identitätsbildende<br />
<strong>Prozess</strong>e Der erwarteteZustand<br />
des <strong>Wandel</strong>s<br />
- Wer sind wir?<br />
- Wer werden wir sein?<br />
relevante Unterschiede erkennen<br />
und Anschlussfähigkeit schaffen<br />
Abbildung 92: Unterschiede und Anschlussfähigkeit <strong>als</strong> Element des <strong>Wandel</strong>prozesses<br />
Da sie niem<strong>als</strong> direkt beobachtet werden können und häufig nicht hinterfragt werden,<br />
sind sie „blinde Flecken“, die allenfalls im <strong>Prozess</strong> der Reflexion zum Thema gemacht<br />
werden können.<br />
347
348<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Die nachfolgenden Vignetten zeigen nun Beispiele dafür, worin bestätigende und neue<br />
Informationen <strong>als</strong> relevante Unterschiede für das System in diesen <strong>Prozess</strong>en bestehen<br />
können, wie sie erkannt werden können und wie ein Anschluss an die bestehenden<br />
Muster hergestellt werden kann.<br />
7.2.4.1 Bestätigung bestehender Identitätsmerkmale<br />
Vignette: Konsistenz durch Anschluss an bestehende Managementinstrumente<br />
Wie bereits in Kapitel 6.4.1.7 beschrieben enthielt die Einführung der BSC<br />
in den USA viele Elemente, die der Organisation bereits aus vorher-<br />
gehenden Instrumenten bekannt waren. Man hatte dort gezielt darauf hinge-<br />
arbeitet, dass auf Bestehendes aufgebaut wurde. So wurde vor der Ein-<br />
führung erhoben, welche Messgrößen im Unternehmen bereits existierten<br />
und verwendet wurden. Diese Messgrößen gingen zum großen Teil in die<br />
BSC ein, so dass die BSC für die Mitarbeiter eine konsistente Weiter-<br />
entwicklung der bestehenden Instrumente darstellte. 747<br />
Ein lokaler Manager erklärte im Interview, dass er die Konsistenz dieser<br />
Entwicklung seinen Mitarbeitern versucht habe gezielt zu vermitteln. So<br />
habe er die drei strategischen Dimensionen, die bisher im Fokus des OCV<br />
standen (Outstanding Customer Value, Outstanding Investor Value und<br />
Outstanding People / Teams) und die stets <strong>als</strong> Dreieck dargestellt worden<br />
waren, zu einem Viereck erweitert. Die BSC brachte damit lediglich die<br />
weitere Dimension Processes zu den bestehenden drei Dimensionen<br />
hinzu. 748<br />
Vignette: Projektkultur<br />
Im Tagesgeschäft der L&S spielte die Arbeit in Projekten eine bedeutende<br />
Rolle. Im laufenden Geschäft wurden von allen europäischen Ländergesell-<br />
schaften i.d.R. bis zu 7.000 Projekte allein im Segment Contracting bear-<br />
beitet. Dort wurde in unterschiedlich großen Projekten die gesamte Ab-<br />
wicklung vom Engineering, über das Systemdesign bis zur Inbetriebnahme<br />
und der Übergabe der Anlage an den Kunden in Projektform bearbeitet. Die<br />
747 Vgl. Interview I57, I41.<br />
748 Vgl. Interview I20.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Organisation strategischen <strong>Wandel</strong>s in Form von Projekten hatte daher<br />
einen hohen Wiedererkennungswert für die Organisation. 749<br />
Die beiden Vignetten machen deutlich, dass bereits im Alltag der Organisation vor-<br />
handene Erfahrungen und Fähigkeiten Anschlusspunkte für die Veränderung der<br />
Organisation sein können. Die gezielte Einbeziehung kann dabei auch <strong>als</strong> eine<br />
Wertschätzung der bestehenden Instrumente oder Vorgehensweisen interpretiert<br />
werden. Nachfolgend werden zwei weitere Möglichkeiten der Bezugnahme dargestellt.<br />
Dabei spielen für die Teilnehmer bekannte Sprach- und Denkfiguren eine besondere<br />
Rolle.<br />
Vignette: Metaphern zur Steigerung der Anschlussfähigkeit – Befähigung zum<br />
Verstehen und sinnhaftem, kompetentem Handeln<br />
Auf einem europäischen Managementmeeting der SBT wurde den<br />
Führungskräften von L&S im Frühjahr 2000 erstm<strong>als</strong> das ERP-Programm<br />
offiziell vorgestellt.<br />
Kern des ERP und gleichzeitig eine besondere Herausforderung gegenüber<br />
den Ländern war, dass die beabsichtigte Harmonisierung der Geschäftspro-<br />
zesse für die Länder die Aufgabe eines Teils ihrer Autonomie bedeutete.<br />
Die <strong>Prozess</strong>e sollten in Zukunft im wesentlichen vom HQ vorgegeben<br />
werden. Die Länder hatten damit nur noch marginale Möglichkeiten, die<br />
Geschäftsprozesse an ihre Verhältnisse anzupassen.<br />
Um den Ländervertretern diese Situation zu beschreiben, nutzte ein verant-<br />
wortlicher Manager aus der Zentrale eine kulinarische Metapher und<br />
verglich die Einführung des ERP mit einem Spaghetti-Essen: Die harmoni-<br />
sierten Geschäftsprozesse und die ERP-Software wären wie die Nudeln, die<br />
für alle Länder gleich seien. Die lokalen Gegebenheiten und Anforderungen<br />
der Länder an die Betriebssoftware müssten dagegen durch das Ab-<br />
schmecken der Sauce Bolognese je nach Geschmack angepasst werden.<br />
Darüber hinaus sei der Einbezug der Länder beim Kochen des Gerichts von<br />
besonderer Bedeutung. 750<br />
749 Vgl. Interview I34, I23, I24, I09.<br />
750 Vgl. Beobachtung B087.<br />
349
350<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Die Metapher verdeutlichte dem Management aus den Ländern auf eine anschauliche<br />
Art und Weise, wie die zentralen und die dezentralen Interessen im ERP-Projekt in<br />
Zukunft zusammenwirken sollten. Der Umgang mit dem für die Identität der lokalen<br />
Organisationen so wichtigen Subsidiaritätsprinzip, das durch das Projekt bedroht war,<br />
konnte durch den Vergleich gut symbolisiert werden. Gleichzeitig sollte durch die<br />
Metapher den Beteiligten, unter Bezug auf bereits bekannte Genüsse, das Projekt im<br />
wahrsten Sinne des Wortes schmackhaft gemacht werden.<br />
Metaphern helfen damit, das Sensemaking, insbesondere in komplexen und unbe-<br />
kannten Situationen, zu unterstützen. Hilfreich sind dabei bekannte und vertraute Situ-<br />
ationen, welche die Ausgangssituation zutreffend beschreiben bzw. ausreichend ver-<br />
gleichbar sind. 751<br />
Neben der Verwendung von Metaphern stellen auch Rituale und der Rückgriff auf be-<br />
kannte und vertraute Denkfiguren ein bestätigendes Element bei der Gestaltung und<br />
Realisierung strategischen <strong>Wandel</strong>s dar. Damit können ebenfalls unbekannte Themen<br />
und bislang nur implizite Bilder analog externalisiert werden. 752<br />
Vignette: Bezug auf bereits vertraute Denkfiguren<br />
Zu den weithin bekannten Denkfiguren in der L&S gehörten Regelkreise,<br />
mit denen HLK-Anlagen geplant wurden. Regelkreise visualisieren u.a. das<br />
Zusammenspiel von Sensoren und Aktoren von Heizungsanlagen.<br />
Im Rahmen des strategischen Projekts GKB, das aus der BSC der Landes-<br />
gesellschaft heraus initiiert wurde, übertrug man diese vertraute Methode in<br />
einen für die Akteure neuen Kontext.<br />
Gegenstand des Projekts war u.a. die Einbettung der L&S Schweiz in den<br />
Markt für HLK-Technik. Bevor man dazu die differenzierten Vertriebs-<br />
strukturen analysierte, wurden von dem Projektteam mittels der Darstellung<br />
eines Regelkreises die Beziehungen zwischen der eigenen Organisation und<br />
751 Vgl. Akin und Palmer, 2000. Auch Kieser weist auf die kontexterweiternde Wirkung von Metaphern im<br />
Kontext von <strong>Wandel</strong> hin: „Mit Hilfe von Metaphern wird ein Aspekt oder ein Bereich, der noch wenig<br />
bekannt ist, in der Sprache eines bekannteren und daher unproblematischeren sekundären Bereichs<br />
beschrieben und auf diese Weise mit einer neuen Perspektive verbunden.“ Kieser, 1998. Vgl. darüber hinaus<br />
zur Wirkung von Metaphern die umfangreiche Arbeit von Lakoff und Johnson, 2000.<br />
752 Vgl. zur Bedeutung von Ritualen Rüegg-Stürm und Lukas, 2001.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
dem Markt für HLK-Technik dargestellt. Wie nicht anders zu erwarten war,<br />
konnten die Teilnehmer dieser Präsentation und Versinnbildlichung sehr<br />
gut folgen und bezogen das Modell aktiv in die Diskussion ein. 753<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Die Berücksichtigung bekannter Elemente der organisationalen Wirklichkeit, wie z.B.<br />
das BSC-Vorläuferprojekt OCV oder die Projektorganisation <strong>als</strong> Form der Zusam-<br />
menarbeit, wie auch bekannte und leicht zugängliche Sprach- und Denkfiguren,<br />
können einen Beitrag leisten zur Anschlussfähigkeit strategischen <strong>Wandel</strong>s. Gerade<br />
neue Initiativen und Inhalte, welche die bestehende Wirklichkeitsordnung der Mitar-<br />
beiter in Frage stellen, können so bearbeitbar werden.<br />
Irritationen und Verunsicherungen, wie z.B. durch den Start einer BSC, können dann<br />
erfolgreich aufgenommen werden, wenn die Organisation die neuen Informationen<br />
assimilieren kann. Die Verdeutlichung von Konsistenz in den Sinn- und Handlungs-<br />
mustern ist dabei ein wesentlicher Faktor für die Akzeptanz strategischen <strong>Wandel</strong>s.<br />
Vertrauen in den strategischen <strong>Wandel</strong> wird so durch seine Anschlussfähigkeit an die<br />
bestehende Organisation gefördert.<br />
Nachdem nun Beispiele bestätigender Sinnelemente dargestellt wurden, sollen im<br />
Anschluss Beispiele neuer Ereignisse und Handlungen und abschließend die Ver-<br />
bindung bestätigender und neuer Informationen dargestellt werden.<br />
7.2.4.2 Erstmaligkeitsmerkmale strategischer Projekte<br />
Vignette: „Work Cells“ im PFC in den USA <strong>als</strong> neues Identitätsmerkmal<br />
Während für das traditionelle HLK-Geschäft in den USA wie in Europa<br />
i.d.R. der technisch orientierte Einkauf Geschäftspartner war, war es für das<br />
auf Energieeinsparungen und langfristige Investitionen angelegte PFC der<br />
Finanzbereich. Es handelte sich i.d.R. um wenige große und langfristige<br />
Projekte, die vor allem ein Finanzpaket darstellten und eine Vielfalt an<br />
technischen und nichttechnischen Qualifikationen erforderten.<br />
Während im traditionellen Geschäft der Bedarf des Kunden von Anfang an<br />
durch Architekten und Bauingenieure genau spezifiziert war, mussten im<br />
753 Vgl. Beobachtung B088, B089; Dokument D52.<br />
351
352<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
neuen Geschäft die Mitarbeiter im PFC selbst <strong>als</strong> „Architekten“ Vorschläge<br />
entwickeln und „das Momentum im Verkaufsprozess halten“, weil die<br />
Kunden nicht von sich aus ein PFC-Projekt verlangten. 754<br />
Neben diesen externen Unterschieden, wurde das PFC auch in einer<br />
anderen Organisationsform geführt. In der frühen Phase des PFC, <strong>als</strong> es nur<br />
wenige Projekte gab, wurde für jedes Projekt ein interdisziplinäres Team<br />
gegründet, dass dem District Manager direkt unterstellt war. Der Leiter des<br />
Segments kommentierte diese frühe Struktur: „This little team, this little<br />
cell works very very good, when you do one or two jobs by the time.“ 755<br />
Als das PFC wuchs, installierte man einen PFC-Manager in der Linie, der<br />
den Vertrieb, das Energy Engineering, das Projekt Assurance und das Pro-<br />
jektmanagement wiederum in Form einer Linienorganisation führte. Diese<br />
Struktur war deckungsgleich mit den übrigen Geschäftssegementen, die in<br />
dieser Struktur erfolgreich agierten. Für das PFC stellten sich mit dieser<br />
Struktur allerdings schnell Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit ein, weil<br />
die notwendige Kommunikation zwischen den PFC Funktionen (Sales, EE,<br />
PM) in Projekten behindert wurde:<br />
„All of a sudden, this litte cell, this little team stopped working. And so the<br />
sales engineer didn't communicate to the energy engineer as well and not<br />
with the project manager. The energy engineer didn´t know what the<br />
customer was trying to achieve, because he never went in the meetings<br />
anymore (es gab keine Teammeetings mehr), and the only person who was<br />
touching the customer was the sales engineer. Instead of designing an<br />
organisation that, let's say, gives me three little teams [..], we tended to<br />
build a classic organisation like this (SBT Linienorganisation). They didn't<br />
see the whole picture.” 756<br />
Nachdem man die Schwierigkeiten erkannt hatte, kam es zu einer Reorgani-<br />
sation des PFC, in deren Verlauf eine Matrix gebildet wurde, die Raum für<br />
die „Work Cells“ bot. Der PFC-Manager führte nach wie vor die PFC-<br />
754 Vgl. Interview I17.<br />
755 Vgl. Interview I17, I57.<br />
756 Vgl. Interview I17.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Funktionen (Sales, EE, PM), diese wurden nun aber je nach Auftrag und<br />
Projekt zu flexiblen Teams zusammengefasst.<br />
„What we did is we tried to fundamentally break the hierarchy up and just<br />
manage teams.” 757<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Mit der Einführung des PFC war in den USA und Europa ein Identitätswechsel ver-<br />
bunden. Zwei Aspekte waren dafür vor allem verantwortlich:<br />
Einerseits wurde durch die Aufnahme des PFC-Geschäfts mit seinen technischen und<br />
ökonomischen Kundenanforderungen eine neue inhaltliche Geschäftslogik erforder-<br />
lich. Es ging vor allem darum, die Kundenbedürfnisse pro-aktiv und interdisziplinär zu<br />
erfüllen, um in einem Markt, in dem die Kunden das Produkt und die Ansprechpartner<br />
nicht kannten, neue Kunden zu gewinnen.<br />
Zweitens war auch die bisherige Organisationsstruktur aufgrund der Notwendigkeit,<br />
interdisziplinär zusammenzuarbeiten, nicht mehr ausreichend. Besonders der Rück-<br />
schritt in die alte Organisationsstruktur machte deutlich, dass der unternehmerische<br />
Erfolg direkt mit der internen Organisation verbunden war.<br />
Somit erforderten die externen und internen Anforderungen des PFC die Entwicklung<br />
eines neuen Selbstverständnisses und einer neuen Identität für die PFC-Mitarbeiter.<br />
Dass sich diese Veränderung auch auf das Verständnis der gesamten Organisation<br />
auswirkte, zeigt die folgende Vignette:<br />
Vignette: Änderung der expliziten Vision<br />
In der Post-Merger-Phase von L&S wurde durch die Geschäftsleitung der<br />
L&S eine Roof Strategy entwickelt, die auch das Selbstverständnis der<br />
gesamten Organisation beschrieb. Die Eckpunkte dieses Selbstverständ-<br />
nises, wie es 1999 bestand, zeigt die folgende Abbildung:<br />
Die Organisation sah sich demnach vor allem <strong>als</strong> Produkt- und System-<br />
lieferant im HLK-Markt.<br />
757 Vgl. Interview I35.<br />
353
354<br />
1. Our Business / Our Position<br />
Siemens Building Technologies Ltd.<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Landis & Staefa Division<br />
�� we are a HVAC Controls and Building Automation Company, active<br />
in businesses ranging from control components to control systems<br />
and associated services<br />
�� our business is based on our own proprietary products and<br />
systems ranges<br />
we are a products and systems/service company<br />
�� we are market leader in Europe - in all channels of sale and<br />
business segments<br />
�� our business is extremely broad-based with typical operational<br />
figures in large countries being<br />
200 - 300 orders / day (with offers)<br />
out of 20 - 40 branch offices<br />
with 10 - 20’000 customers<br />
2 - Roof Strategy.ppt<br />
26.05.99/4/BN<br />
Abbildung 93: Beschreibung der eigenen Position und des Geschäftsverständnisses 758<br />
Knapp zwei Jahre später wurde im Rahmen des Treffens des so genannten<br />
Growth Teams, das aufgrund der Roof strategy gegründet worden war und<br />
die Aufgabe hatte, Möglichkeiten des Wachstums zu untersuchen, die Frage<br />
der Identität neu behandelt. Das Team von Managern formulierte das<br />
Selbstverständnis der Organisation wie folgt:<br />
„We provide technically and/or commercially integrated solutions and<br />
services for the technical infrastructure of buildings. We aim to support our<br />
customers in achieving energy efficiency and building performance.“ 759<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Bemerkenswert an dieser Gegenüberstellung ist, dass sich in der Formulierung von<br />
1999 keine Ansätze einer Erweiterung des traditionellen Geschäfts im Bereich HLK<br />
auf betriebswirtschaftliche Bereiche, wie sie in der zweiten Formulierung zum Aus-<br />
druck kommen, zu finden waren.<br />
758 Vgl. Dokument D58, D09.<br />
759 Vgl. Dokument D82, Beobachtung B099.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Dieses neue Geschäftsfeld PFC fand sich erst in der neuen Formulierung des Growth<br />
Teams wieder. In dieser Formulierung wurde auch deutlich, dass die Arbeit des PFC<br />
zu einer Veränderung des Selbstverständnisses der Organisation geführt hatte und<br />
damit die weiteren strategischen Projekte und Handlungen z.B. in Richtung Wachstum<br />
der Organisation beeinflusste.<br />
Damit wird deutlich, dass das PFC <strong>als</strong> strategische Initiative zu einer Veränderung der<br />
organisationalen Identität führte. Diese veränderte organisationale Identität führte aber<br />
ihrerseits auch wiederum zu veränderten Handlungen wie etwa der Auswahl anderer<br />
strategischer Ziele oder Initiativen.<br />
Dass eine veränderte Identität auch einen <strong>Wandel</strong> der Außendarstellung bzw. des<br />
Images bewirkte, zeigte sich u.a. an veränderten symbolischen Aspekten, wie in der<br />
nächsten Vignette deutlich wird.<br />
Vignette: Symbolischer Ausdruck des <strong>Wandel</strong>s<br />
Im Rahmen der Integration der ehemalig selbständigen Unternehmen L&S<br />
und CERBERUS in SIEMENS, bzw. den Bereich SBT, wurden die Divisionen<br />
im Zuge einer Umstrukturierung umbenannt. Zwar hätte man sich seitens<br />
der Bereichsleitung aufgrund der Tradition und des hohen Bekannt-<br />
heitsgrades auch eine Fortführung der Firmennamen vorstellen können,<br />
musste sich aber den Vorstellungen der Muttergesellschaft fügen. Gründe<br />
für den Wunsch, den Namen SIEMENS prominenter zu benutzen, bestanden<br />
vor allem darin, dass von Seiten der SIEMENS jährlich hohe Beträge für die<br />
Positionierung der Marke SIEMENS ausgegeben wurden und zudem der<br />
Name SIEMENS vor allem in Asien und Amerika ein gutes Verkaufs-<br />
argument war. Die neuen Divisionsnamen sollten lediglich die Aktivitäten<br />
und nicht die Organisationen beschreiben und wurden deshalb auch nicht<br />
zum Bestandteil des Firmennamens. 760<br />
In der Folgezeit ersetzten in der internen und externen Kommunikation die<br />
neuen Divisionsnamen sukzessive die alten Bezeichnungen. So ver-<br />
schwanden mit der Zeit die alten Firmenbezeichnungen von Geschäfts-<br />
berichten, Visitenkarten, Briefköpfen, Fahrzeugen, Pylonen etc.<br />
355
356<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Abbildung 94: Alte und neue Divisionsbezeichnungen auf den Visitenkarten<br />
7.2.4.3 Zum Umgang mit Unterschieden und mit Neuem und Altem<br />
Nachdem in den beiden vorhergehenden Abschnitten die Bedeutung bestätigender und<br />
erstmaliger Information exemplarisch dargestellt worden ist, sollen im abschließenden<br />
Abschnitt drei Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie mit relevanten Unterschieden im<br />
Kontext strategischer Projekte umgegangen werden kann.<br />
Es handelt sich zum einen um das Instrument der Change Impact Analysis, mit dem<br />
Unterschiede festgestellt werden, die durch ein Projekt zustande kommen.<br />
Anschließend wird ein Beispiel zur Auswahl der besseren Informatiksysteme im<br />
Anschluss an eine Fusion dargestellt. Abschließend werden dann am Beispiel des PFC,<br />
Möglichkeiten des Umgangs mit Unterschieden dargestellt.<br />
Vignette: ERP-Change Impact Analysis<br />
In der L&S Landesgesellschaft Schweiz bestand, nicht zuletzt aufgrund des<br />
Umstands, dass sie <strong>als</strong> Pilotland auf keine Erfahrungen aus anderen<br />
Ländern zurückgreifen konnte, Unklarheit über die anstehenden<br />
Veränderungen. Man war sich unsicher darüber, welche Änderungen das<br />
ERP mit sich bringen und welche Bedeutung dies für die Organisation<br />
haben würde.<br />
Von vielen Interviewteilnehmern wurde in diesem Zusammenhang die<br />
durchgeführte Change Impact Analysis (CIA) <strong>als</strong> hilfreiche Unterstützung<br />
beschrieben. Durch die systematische Analyse der Veränderungen konnte<br />
760 Vgl. Interview I52, Dokument D41, D55.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
ein Verständnis bzgl. der, durch das ERP Programm zu erwartenden Ver-<br />
änderungen entwickelt werden. 761<br />
Beispielsweise wurde der <strong>Prozess</strong> des „Invoicings“ 762 systematisch mit<br />
Hilfe der CIA bearbeitet. In der Vergangenheit wurde jede Projektrechnung<br />
vom Projektleiter in einem Excelsheet (Interne Aufschlüsselung der<br />
Kosten) und nach Vorlage des Werkvertrages mit dem Kunden (Auf-<br />
schlüsselung der gleichen Kosten nach dem Schlüssel des<br />
Kunden/Angebots) erstellt. Im F+C wurden die Rechnungsdaten geprüft<br />
und an die Logistik zur Rechnungserstellung weitergeleitet. Anschließend<br />
kam die Rechnung zurück zum F+C und wurde dort nochm<strong>als</strong> überprüft. 763<br />
Augrund der CIA konnte nun festgestellt werden, dass zukünftig der<br />
Projektleiter die Rechnung direkt in das System eingeben würde. Damit ent-<br />
fielen zwei manuelle Kontrollen und die Verantwortung für die Projektleiter<br />
stieg.<br />
Der Wegfall der Eingabe der Rechnung in der Logistik und der Kontrolle<br />
im F+C sowie die damit verbundene Zunahme des Aufgabenprofils für die<br />
Projektleiter wurde teilweise mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Man<br />
befürchtete aufgrund der unterschiedlichen Qualifizierung der Projektleiter<br />
stärkere Probleme und eine geringere Qualität. 764<br />
Ein Mitarbeiter kommentierte im Hinblick auf diese und ähnliche Er-<br />
gebnisse zur Change Impact Analysis: „Es wird langsam konkret. Wir<br />
wissen jetzt, von was wir reden.“ 765<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Das Ziel der länderspezifischen Change Impact Analysis war es, Themen des organi-<br />
sationalen <strong>Wandel</strong>s zu sammeln, zu interpretieren sowie ihren Einfluss auf eine<br />
systematische Art und Weise zu erfassen. Die Ergebnisse gingen in einen Action Plan<br />
für die erfolgreiche Implementierung des ERP in den Ländergesellschaften ein.<br />
761 Vgl. Interview I38. Vgl. zur Change Impact Analysis Kap. 7.2.4.3.<br />
762 Mit Invoicing ist der <strong>Prozess</strong> der Rechnungserstellung gemeint.<br />
763 Vgl. B024. B027, B085, B074.<br />
764 Vgl. Beobachtung B076, B 098<br />
765 Vgl. Beobachtung B085. B073, B049, B076.<br />
357
358<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Durch die CIA wurde das Bewusstsein für die anstehenden Veränderungen geschärft<br />
und Erwartungen bzgl. der zukünftigen Organisation konkretisiert. Anhand der Unter-<br />
schiede zwischen der derzeitigen und der zukünftigen Organisation war es damit für<br />
die Organisationsmitglieder möglich, sich ein Bild von ihren zukünftigen Abläufen in<br />
der Organisation zu machen und eine kollektive aber auch eine persönliche Positions-<br />
bestimmung vorzunehmen.<br />
Dieses frühzeitige Sensemaking sowie die mit dem Action Plan verbundenen Arbeits-<br />
prozesse stellten eine aktive Verfertigung einer neuen Organisation dar und erhöhten<br />
durch den frühzeitigen Einbezug die Wahrscheinlichkeit einer aktiven Auseinander-<br />
setzung und damit eines <strong>Prozess</strong>es der Identitätsbildung.<br />
Von zentraler Bedeutung waren dabei vor allem die für die Organisation relevanten<br />
Unterschiede. Die Identifikation dieser zentralen Bedeutungselemente waren dabei<br />
stets auch durch die Perspektive der jeweiligen Beobachter bestimmt. Die Frage nach<br />
dem Unterschied, etwa im Sinne eines besser oder schlechter, konnte daher nicht von<br />
der Position des Beobachters getrennt werden. 766<br />
Die nachfolgende Vignette zeigt die Schwierigkeiten auf, die aus dem Versuch einer<br />
„objektiven“ und den Beobachter ausklammernden Beurteilung der Unterschiede er-<br />
wachsen können.<br />
Vignette: Analyse der Unterschiede – oder: Wie verstärke ich die Schismogenese?<br />
Im Verlauf der Fusion der beiden Genossenschaften zur MIGROS AARE<br />
musste von den über 40 verschiedenen Informatiksystemen in den beiden<br />
Ursprungsgenossenschaften jeweils eins der beiden übernommen und eins<br />
abgeschafft werden. Da die Fusion ein Zusammenschluss unter gleichbe-<br />
rechtigten Partnern sein sollte, entschloss man sich, eine sorgfältige Evalu-<br />
ation durchzuführen und das jeweils bessere System zu übernehmen. Damit<br />
sollte die jeweils ausgereiftere der beiden Lösungen Eingang in die<br />
Systemkonzeption der fusionierten MIGROS AARE erhalten.<br />
Die allgemeine Aufmerksamkeit wurde auf diese Weise auf die Frage<br />
gelenkt: „Welches ist das bessere System?<br />
766 Vgl. Kap. 4.2.3 sowie den Informationsbegriff bei Bateson Bateson, 1981 und dessen theoretische<br />
Grundlegung bei Spencer Brown, 1967.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Das – leider oft unvermeidliche – Resultat dieser Vorgehensweise war, dass<br />
die Unterschiede zwischen den zu integrierenden Organisationen nochm<strong>als</strong><br />
verschärft wurden. Man sprach <strong>als</strong>o trotz der Integrationsanstrengungen der<br />
Geschäftsleitung noch mehr <strong>als</strong> bisher entweder von „unserer“ oder „eurer<br />
Lösung“. 767<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Die Entscheidungssituation im Bereich Informatik bei der MIGROS AARE war ver-<br />
gleichbar mit vielen anderen Entscheidungssituationen im Anschluss an Fusionen. Im<br />
Bestreben um einen „fairen“ <strong>Prozess</strong> und eine allgemeingültige Regel wird dabei das<br />
Kinde mit dem Bade ausgeschüttet. Die mikropolitische Fairness führt zu einer<br />
makropolitischen Verschärfung der Situation.<br />
Beispiele im Rahmen der empirischen Arbeit fanden sich z.B. auch bei der Besetzung<br />
der Position der Länderchefs im Anschluss an die Fusion zwischen L&G und STAEFA<br />
CONTROL: Hier lautete das Motto „Alle haben die gleichen Chancen und der bessere<br />
Bewerber wird übernommen“. 768<br />
Damit wird die individuelle und kollektive Aufmerksamkeit auf angeblich „objektive“<br />
Unterschiede gelenkt. Neben der inhaltlichen Aussage beinhaltet eine Entscheidung<br />
allerdings auch stets ein Aussage auf der Beziehungsebene. Die Entscheidung, ob<br />
„unser“ System oder „unser“ Kandidat Berücksichtigung findet, wird auf der implizi-<br />
ten Ebene <strong>als</strong> eine Bestätigung oder eine Absage an die Identität des Empfängers oder<br />
der Organisation empfunden. Die implizite Wertigkeitsaussage bzgl. eigener Produkte,<br />
gelebter Routinen und Abläufe, fachlichen Know-hows, o.ä. impliziert damit i.d.R.<br />
schwer zu trennende Aussagen über wesentliche Identitätsmerkmale.<br />
Die gut gemeinte und dem Gebot der Fairness und Gerechtigkeit verpflichtete Vor-<br />
gehensweise birgt damit in einer Phase der Integrationsbemühungen kontraproduktives<br />
767 Vgl. Interview I74.<br />
768 Im Falle der Fusion zwischen LANDIS&GYR und STAEFA lauteten diesbezüglichen „Basic rules and principles<br />
for appointments:<br />
• “The best come first”<br />
• “equal opportunities”<br />
“This means, that for every single position candidates of both organizations will be taken into consideration.<br />
For a fair evaluation we have created some standardized assessment criterias.” Vgl. Dokument D84.<br />
359
360<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Potential. Die Bewertung und Betonung der Gegensätze führt zu schismogenetischen<br />
<strong>Prozess</strong>en, d.h. zur Eskalation der symmetrischen Positionen. 769 Wie kann aber die<br />
Entwicklung einer solchen Situation, die den <strong>Wandel</strong>prozess akut gefährdet, ver-<br />
hindert werden?<br />
Das Dilemma, in dem sich Entscheidungsträger und Führungskräfte in solchen Situati-<br />
onen wiederfinden, ist grundsätzlich nicht zu beseitigen. Eine idealtypische Lösung<br />
kann es daher auch nicht geben. Zwei Aspekte scheinen von Bedeutung: Zum einen ist<br />
nicht die Frage, für welche der beiden Alternativen letztendlich entschieden wird, von<br />
zentraler Bedeutung für die Integration zu sein. Vielmehr geht es vor allem um die Art<br />
und Weise und die Haltung, wie mit dieser Situation umgegangen wird,<br />
ausschlaggebend zu sein. Eine solche integrative Haltung kann sich z.B. in einer ge-<br />
eigneten Semantik zeigen („Die Alternative X scheint im Moment ...etwas geeigneter<br />
zu sein“). Zweitens erweist es sich <strong>als</strong> hilfreich, wenn Aspekte der nicht gewählten<br />
Alternative von der gewählten Alternative übernommen werden. Damit können vor<br />
allem positive und möglicherweise verdienstvolle Aspekte davor bewahrt werden,<br />
völlig ausgeblendet und vergessen zu werden. Vielmehr finden sie Eingang in die neue<br />
Lösung und ermöglichen damit den Anschluss des Neuen oder Anderen an das<br />
Bestehende oder Alte.<br />
Von zentraler Bedeutung scheint <strong>als</strong>o, dass neue Ereignisse oder Projekte im <strong>Wandel</strong>-<br />
prozess an die bestehende Wirklichkeitsordnung anschlussfähig sind. Die Anschluss-<br />
fähigkeit bemisst sich dabei am Neuigkeits- und Bekanntheitsgrad des <strong>Wandel</strong>s.<br />
Entscheidend ist die Mischung von bekannten und neuen Informationen. 770<br />
Die nachfolgende Vignette zeigt am Beispiel des PFC, wie eine solche Mischung von<br />
neuen und bekannten Aspekten oder Elemente der eigenen und der fremden Organisa-<br />
tion beschaffen sein kann, um den Erfolg organisationalen <strong>Wandel</strong>s zu ermöglichen.<br />
Vignette: Anschlussfähigkeit durch bekannte und neue Elemente – Beispiel PFC<br />
Ähnlich wie die übrigen Geschäfte bei L&S wurde das PFC sowohl am HQ<br />
<strong>als</strong> auch in den Ländern in Form eines Segments geführt. Das Verhältnis<br />
zwischen dem HQ und den Ländern war dabei auch im PFC subsidiär ge-<br />
769 Vgl. Kap. 4.2.4 sowie Bateson, 1981.<br />
770 Vgl. hierzu die Anmerkungen zum Thema Anschlussfähigkeit in Kap. 5.2 und das Modell der pragmatischen<br />
Imformation von Weizsäcker, 1986.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
prägt. So lag die Eröffnung eines PFC-Segments stets in der Verantwortung<br />
des jeweiligen Landeschefs. So kam es, dass in einigen Ländern auch kein<br />
PFC betrieben.<br />
Wenngleich diese organisationale Einbindung des Segments für die Organi-<br />
sation vertraut war, stellte das Geschäftsmodell des PFC für die Organisa-<br />
tion eine Neuerung dar. Vor allem die Tätigkeiten über das reine HLK-<br />
Geschäft hinaus, insbesondere der nichttechnische Service, wie z.B. die<br />
Finanzierungsdienstleistungen und die Leistungsgarantien waren neu. Diese<br />
Merkmale bedingten ein höheres Anforderungs- und Qualifikationsprofil<br />
der Mitarbeiter. Hinzu kamen im PFC auch neue Organisationsformen, wie<br />
eine deutlich stärkere, zentrale Unterstützung der lokalen PFC-Organisa-<br />
tionen für die Länder, Teamstrukturen von einer Mindestgröße (critical<br />
mass) und die interdisziplinäre Zusammensetzung der Teams. 771<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Entscheidend für die Übernahme von Veränderungen und die Entwicklung neuer<br />
Erwartungen in einem System sind nach WEIZSÄCKER der pragmatische Wert der<br />
Information, <strong>als</strong>o die angemessene Kombination von bestätigenden und neuen Infor-<br />
mationen. 772 Erneuerung oder <strong>Wandel</strong> in einem System wird demnach gefördert von<br />
Ereignissen oder Handlungen, die eine sinnvolle Verbindung mit zurückliegenden<br />
Handlungen und Ereignissen aufweisen und gleichzeitig Elemente beinhalten, die<br />
einen Unterschied zur Vergangenheit ausmachen.<br />
Strategische Projekte müssen daher Informationen kombinieren, die neue Elemente<br />
mit dem laufenden Handlungsstrom verbinden. Das oben genannte Beispiel des PFC<br />
stellt eine solche Kombination von bestätigenden und neuen Informationen dar. Im<br />
Falle des PFC konnte damit das “not-invented-here-Syndrom” verhindert werden, wo-<br />
nach Elemente mit einem zu hohen Neuigkeitsgrad <strong>als</strong> systemfremd eingeschätzt<br />
werden. Auf der anderen Seite konnte aber auch eine Reaktion nach dem Motto “das<br />
hatten wir schon x-mal, das kennen wir doch schon”, vermieden werden, welches <strong>als</strong><br />
Ausdruck zu wenig neuer Informationen interpretiert werden kann. Beide Reaktionen<br />
771 Vgl. Beobachtung B033, B105, B106, B084.<br />
772 Vgl. Kapitel 4.2.3.<br />
361
362<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
sind Ausdruck eines Mangels an Anschlussfähigkeit an das bestehende Wirklichkeits-<br />
gefüge der Organisation.<br />
Pragmatischer<br />
Pragmatischer<br />
Wert Wert der<br />
der<br />
Information<br />
Information<br />
Maximaler pragmatischer<br />
Wert der Information =<br />
Höchste Wahrscheinlichkeit<br />
der Umsetzung<br />
0% 0% 0% 0% Erstmaligkeit Erstmaligkeit Erstmaligkeit Erstmaligkeit 100%<br />
100%<br />
100% 100% 100% 100% Bestätigung Bestätigung Bestätigung Bestätigung 0%<br />
0%<br />
0%<br />
Bestätigende Elemente im PFC<br />
• PFC wird <strong>als</strong> Segment geführt<br />
• Greift auf System System-- System System-- System System-- - und Service Service-- Service Service-- Service Service-- -<br />
geschäft zurück<br />
• Beachtung der Subsidiarität<br />
• Abwicklung in Form von<br />
Projekten<br />
Erstmalige Elemente im PFC<br />
• Dienstleistungsaspekt im Vordergrund<br />
• Neues Geschäftsmodell (kein reines HLK)<br />
• Starke zentrale PFC Unterstützung<br />
• Anderes Qualifikations<br />
Qualifikations- Qualifikations<br />
Qualifikations- Qualifikations<br />
Qualifikations- Qualifikations<br />
Qualifikations- Qualifikations<br />
Qualifikations- und Anforderungsprofil<br />
• Stärkere Teamstrukturen ( (critical ( (critical ( (critical ( (critical ( (critical mass)<br />
• • Aufbau Aufbau interdisziplinärer interdisziplinärer Teams<br />
Teams<br />
Abbildung 95: Bestätigende und erstmalige Informationen des PFC 773<br />
Erfolgreicher strategischer <strong>Wandel</strong> ist damit, wie im Falle des PFC zu sehen ist, durch<br />
Handlungen und Ereignisse gekennzeichnet, die eine Balance von Erstmaligkeit und<br />
Bestätigung aufweisen. Anschlussfähigkeit kann in diesem Sinne verstanden werden,<br />
<strong>als</strong> die Fähigkeit einer Organisation, Erwartungen und Ereignisse so zu konstruieren,<br />
dass sie mit der bestehenden Identität der Organisation verbunden werden können.<br />
Fazit: Unterschiede und Anschlussfähigkeit<br />
<strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s so zu konstruieren, dass sie im oben beschriebenen Sinne einen<br />
Unterschied machen aber gleichzeitig anschlussfähig werden, stellt die eigentliche<br />
Herausforderung im <strong>Wandel</strong>prozess dar. Die Vignetten in diesem Kapitel haben<br />
gezeigt, dass Unterschiede und Gemeinsamkeiten der <strong>Wandel</strong>projekte mit der<br />
bestehenden Identität nicht einfach objektiv gegeben sind.<br />
773 Abbildung in Anlehnung an Weizsäcker Weizsäcker, 1986.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Vielmehr ist mit dem <strong>Prozess</strong> des <strong>Wandel</strong>s unmittelbar ein <strong>Prozess</strong> der Bildung von -<br />
möglicherweise neuen - Unterscheidungen und der (Re)Konstruktion der organisatio-<br />
nalen Identität verbunden.<br />
Die Fähigkeit neue Unterscheidungen zu treffen hängt vor allem von der Veränderung<br />
impliziter Differenzschemata ab. Den Führungskräften <strong>als</strong> den Agenten des <strong>Wandel</strong>s<br />
fällt hier die Aufgabe zu, <strong>Wandel</strong>prozesse so zu gestalten, dass Veränderung dieser<br />
impliziten Vorannahmen bzw. blinder Flecken ermöglicht wird.<br />
Diese Herausforderung scheint insbesondere deshalb so groß, weil die Führungskräfte<br />
<strong>als</strong> Architekten des <strong>Wandel</strong>s auch gleichzeitig Mitglied des Systems sind. Es bedarf<br />
deshalb vor allem der Reflexion der eigenen Rolle, um dem Aufmerksamkeitssog der<br />
rekursiven Tagesroutinen vorübergehend zu entkommen und sich mit den sich stets<br />
neu verfertigenden Identitätsstrukturen auseinanderzusetzen.<br />
Der folgende Abschnitt behandelt Formen solcher reflexiven Beobachtungen<br />
organisationaler Handlungen im Sinne einer Beobachtung zweiter Ordnung.<br />
7.2.5 Reflexion und Beobachtung 2. Ordnungen – wer sind wir von außen<br />
gesehen?<br />
Die größte Revolution unserer Zeit dürfte die Entdeckung gewesen sein,<br />
dass die Menschen durch die Änderung ihrer Geisteshaltung<br />
die äußeren Umstände ihres Lebens ändern können.<br />
William James<br />
Jedes Verstehen entspringt Reflexion und Rückwärtsschauen.<br />
Karl Weick<br />
Als letztes Element eines konstruktivistisch-systemisch orientierten <strong>Wandel</strong>modells<br />
wird im Folgenden die Reflexion von Handlungen und Strukturen beschrieben. Der<br />
Schwerpunkt der Betrachtung wird dabei die Reflexion <strong>identitätsbildender</strong> Strukturen<br />
und <strong>Prozess</strong>e sein, weil sie den strategischen <strong>Wandel</strong> einer Organisation nachhaltig<br />
prägen.<br />
Geht man von der Dualität von Struktur und Handlung sowie ihrer rekursiven Ver-<br />
fertigung aus, so kann aufgrund der Reflexionsmächtigkeit der beteiligten Akteure<br />
grundsätzlich von der Veränderbarkeit solcher <strong>Prozess</strong>e ausgegangen werden. Neue<br />
Muster können sowohl durch neue Handlungen <strong>als</strong> auch durch neue Strukturen ent-<br />
stehen. Unumgänglich ist allerdings die Wahrnehmung zusätzlicher Handlungs-<br />
möglichkeiten außerhalb der bestehenden rekursiven Handlungsmuster. Die beste-<br />
henden Muster müssen <strong>als</strong>o <strong>als</strong> optional bzw. kontingent erkannt werden. Wie kann<br />
363
364<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
aber die Kontingenz der Handlungsmöglichkeiten von den Akteuren selbst erkannt<br />
werden?<br />
Reflexion / Beobachtung<br />
2. Ordnung<br />
Der Ausgangspunkt<br />
<strong>Wandel</strong>projekte<br />
<strong>als</strong> Identitätsbildende<br />
<strong>Prozess</strong>e Der erwarteteZustand<br />
des <strong>Wandel</strong>s<br />
- Wer sind wir?<br />
- Wer werden wir sein?<br />
relevante Unterschiede erkennen<br />
und Anschlussfähigkeit schaffen<br />
Abbildung 96: Reflexion <strong>als</strong> Element des <strong>Wandel</strong>prozesses<br />
Die nachfolgenden Vignetten beschreiben Situationen, die zum einen die Reflexions-<br />
fähigkeit der Akteure deutlich machen, aber auch die Möglichkeit und Bedeutung<br />
retrospektiver Sinngebung erkennen lassen. Wichtig ist dabei, dass die Akteure Wissen<br />
über sich, ihr Handeln und die Bedingungen ihres Handelns erhalten.<br />
Eine Möglichkeit, eine solche Reflexion auszulösen, ist die Konfrontation mit<br />
Impulsen von „außen“. Solche Impulsgeber für Strukturwandel können <strong>als</strong> Irritation<br />
der vorhandenen Erwartungs- und Identitätsstrukturen interpretiert werden. Allerdings<br />
können reflexive <strong>Prozess</strong>e auch aus dem System selbst heraus initiiert werden, wie die<br />
nachfolgende Auseinandersetzung mit dem Value-Proposition-Ansatz zeigt.<br />
Vignette: Reflexive Methodiken zur Identitätsbestimmung<br />
Bei der Einführung der BSC <strong>als</strong> einem Instrument zur Klärung der strategi-<br />
schen Positionierung und der Kommunikation strategischer Ziele wurde in<br />
vielen Arbeitsgruppen der L&S die Methodik des Value Proposition-An-
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
satzes 774 (VPA) verwendet. Im Rahmen dieser Methodik wurde die<br />
Organisation anhand von drei Dimensionen – Product Leadership, Opera-<br />
tional Excellence und Customer Intimacy – bzgl. ihrer strategischen Aus-<br />
richtung von den jeweiligen Managern und Mitarbeitern beurteilt.<br />
Beispielsweise wurde im Rahmen der Einführung der BSC in der Landes-<br />
gesellschaft Schweiz in einem Workshop ein Assessment der eigenenen<br />
Organisation mit Hilfe des VPA durch ein Managementteam durchgeführt.<br />
Die Manager vermuteten zu Beginn ein hohes Maß an Kundenähe in ihrer<br />
Organisation. Die Produktführerschaft und die <strong>Prozess</strong>qualität waren ihrer<br />
Meinung nach weniger stark ausgeprägt.<br />
In dem Workshop wurden im Rahmen der Erstellung der ersten BSC durch<br />
die erweiterte Geschäftsleitung die bestehenden strategische Ziele der BSC<br />
den drei Dimensionen des VPA zugeordnet. Dabei unterstützten von neun<br />
strategischen Zielen sieben die Dimension Kundennähe und zwei den<br />
Bereich <strong>Prozess</strong>qualität. 775<br />
Das Assessment und die Diskussion der bestehenden Struktur <strong>als</strong> auch die<br />
Diskussion der zukünftigen Ziele bestätigten die starke Kundenorientierung<br />
und die nachrangige Behandlung der beiden Dimensionen <strong>Prozess</strong>qualität<br />
und Produktführerschaft.<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Der VPA ermöglichte den Managern entlang eines gemeinsamen Bezugsrahmens in<br />
eine Metaposition gegenüber der eigenen Organisation zu treten. Sie wurden damit<br />
befähigt, „über“ ihre eigene Organisation zu reflektieren. Der VPA stellte daher einer-<br />
seits eine gemeinsame sprachliche und kognitive Struktur zur Verfügung, andererseits<br />
war er aber auch ein Mittel, um Distanz zwischen sich selbst und der Organisation zu<br />
schaffen. Dadurch konnten die Beteiligten aus dem „operativen Modus“ heraustreten<br />
und die strategische Ausrichtung der betrachteten Einheit – in diesem Falle ihrer<br />
eigenen Organisation – überprüfen. Der Ansatz unterstützte, indem er andere Unter-<br />
scheidungen einführte die Verfertigung neuer, interpretativer Schemata.<br />
774 Zum Value Proposition Ansatz vgl. Treacy und Wiersema, 1995. Siehe auch die Ausführungen in Kapitel<br />
6.3.1.<br />
775 Vgl. Beobachtung B082; Dokument D42. Beobachtung B096.<br />
365
366<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Der VPA verhalf in diesem Sinne zu einer neuen Perspektive und zur Entwicklung<br />
neuer Sinnklammern, indem er eine interpretierte Beobachtung der bisherigen Wahr-<br />
nehmungen lieferte. Diese bisherige Wahrnehmung wurde durch die Kategorisierung<br />
in einen weiteren Kontext gestellt und somit zum Gegenstand einer weiteren Beo-<br />
bachtung. Diese kann <strong>als</strong> eine Beobachtung 2. Ordnung interpretiert werden, durch die<br />
Handlungsvoraussetzungen, wie im Beispiel der Landesgesellschaft Schweiz, die<br />
starke Kundenorientierung und die eher schwache Produkt- und <strong>Prozess</strong>orientierung<br />
offengelegt wurden. Damit wurden den beteiligten Akteuren eine neue Sinndimension<br />
für die bisherigen Handlungen an die Hand gegeben, die Kontingenz der gewählten<br />
Handlung verdeutlicht, sowie alternative Handlungsmöglichkeiten eröffnet.<br />
Eine weitere Reflexionsmöglichkeit und Konfrontation mit alternativen Handlungs-<br />
möglichkeiten stellt das gezielte Aussetzen mit systemfremden Impulsen dar. Die<br />
nachfolgende Vignette beschreibt eine solche Reflexionsform.<br />
Vignette: Erfahrungsaustausch mit anderen Organisationen<br />
Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde ein Erfahrungsaustausch einiger<br />
Manager aus dem L&S ERP-Projekt mit einer zweiten, sehr subsidiär<br />
strukturierten Partnerorganisation organisiert. Auch die zweite Organisation<br />
war mit einem Projekt beschäftigt, das darauf abzielte, die Administration<br />
der dezentralen Einzelorganisationen zu vereinheitlichen und sogar<br />
zusammen zu legen. Die Ausgangssituation war damit vergleichbar mit der<br />
des ERP-Projekts.<br />
Im Falle der anderen Partnerorganisation war eine Zentralisierung der Ge-<br />
schäftsprozesse zwingend notwendig geworden, um die Dienstleistungen<br />
weiter zu marktgerechten Preisen anbieten zu können und die Autonomie<br />
der dezentralen Einheiten aufrechtzuerhalten.<br />
Aus der Reflexion der beiden Projekte wurden insbesondere zwei Punkte<br />
für die Beteiligten aus dem ERP deutlich:<br />
Von Seiten der Partnerorganisation war man begeistert vom Commitment<br />
der Geschäftsleitung von L&S. Insbesondere die explizite Mission, die für<br />
das ERP formuliert worden war, stellte aus Sicht der Partnerorganisation<br />
ein deutliches Commitment dar, das im Kontext der Partnerorganisation<br />
nicht denkbar war. Die Beteiligten befürchteten vielmehr, dass ein solches<br />
Statement ihr Projekt derzeitig blockieren würde.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Zweitens war auch die Institutionalisierung des Change Managements für<br />
die Partnerorganisation neu. Eine solche pro-aktive Vorbereitung der<br />
Organisation auf die Veränderung war im Falle der Partnerorganisation<br />
nicht vorhanden. Das Change Management wurde unter dem Termin- und<br />
Erwartungsdruck zurückgestellt und vom Projektleiter noch „nebenher“ er-<br />
ledigt. 776<br />
Neben diesen expliziten Unterschieden schien der Erfahrungsaustausch für<br />
alle Beteiligten aber auch deshalb sinnvoll, weil sie, nach eigener Aussage,<br />
gemerkt hätten, dass sie mit ihren Schwierigkeiten nicht alleine seien. 777<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Die gemeinsame Reflexion, wie sie in dem beschriebenen Erfahrungsaustausch statt-<br />
fand, stellt in dieser institutionalisierten Form eher die Ausnahme im betrieblichen All-<br />
tag dar. Wenngleich der laufende Erfahrungsaustausch zwischen Mitarbeitern auf der<br />
Ebene des diskursiven Bewusstseins ein alltägliches Phänomen in Organisationen dar-<br />
stellt, ist die Reflexion von handlungsleitenden Mustern, die sozusagen im Rücken der<br />
Handelnden wirksam werden, auf der Ebene des praktischen Bewusstseins eher die<br />
Ausnahme. So wird zwar das diskursiv gesteuerte Handeln thematisiert, aber die<br />
stärker routinisierten Handlungen und die ihnen zugrundeliegenden Strukturen werden<br />
dabei nicht hinterfragt. 778<br />
Auch der Vergleich mit anderen Organisationen (benchmarking) wird zwar immer<br />
wieder von den Firmen gewünscht, trotzdem bleibt der Einfluss solcher reflektierender<br />
Auseinandersetzung gering. Angeblich ist hierfür vor allem der Vorrangs des<br />
operativen Geschäfts verantwortlich. Darüber hinaus scheint aber auch die Fähigkeit<br />
zum konstruktiven Vergleich z.Zt. nicht gut ausgebildeten zu sein. So kam es trotz des<br />
Wunsches nach Wiederholung des beschriebenen Erfahrungsaustauschs auch im<br />
Rahmen des Forschungspojekts nicht zu einer Fortführung des Dialogs zwischen den<br />
beiden Organisationen.<br />
776 Vgl. Vgl. Dokument D33, D19.<br />
777 Vgl. Beobachtung B 112; Dokument D 81.<br />
778 Vgl. zur Unterscheidung des diskursiven und praktischen Bewusstseins Kap. 4.1.3 sowie u.a. Giddens, 1976;<br />
Giddens, 1997.<br />
367
368<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Dabei bietet die gut inszenierte und u.U. moderierte Begegnung mit vergleichbaren<br />
Erfahrungen und Mustern anderer Organisationen die Möglichkeit, die eigene Beo-<br />
bachtung zu beobachten. DEISER formuliert hierzu:„Die didaktisch organisierte<br />
Begegnung mit »Fremden«, mit anderen kulturellen und strukturellen Mustern, erlaubt<br />
das Erkennen der Begrenztheit der eigenen Perspektive, und das Erkennen der Brille<br />
ist der erste Schritt zu ihrer Relativierung.“ 779<br />
Es geht somit darum, Reflexionsgelegenheiten zu schaffen und so zu inszenieren, dass<br />
sie ein ausreichendes Maß an Wiedererkennen ermöglichen, gleichzeitig aber die<br />
Unterschiede in der Struktur der Organisationen sichtbar machen. Die Bedeutung<br />
dieser BEGEGNUNG MIT DEM ANDEREN für die Definition der eigenen Identität be-<br />
schreibt HAHN im Sinne des dialogischen Prinzips:„Immerhin ist deutlich, dass jede<br />
Selbstbeschreibung Alterität in Anspruch nehmen muss. Wenn man sagt, was man ist,<br />
muss man dies in Abgrenzung von dem tun, was man nicht ist. Die paradoxe Funktion<br />
von »Fremdem« besteht eben darin, dass sie Selbstidentifikation gestattet.“ 780<br />
Häufiger findet die Reflexion allerdings über den internen Erfahrungsaustausch statt.<br />
Die besondere Herausforderung besteht dabei weniger in dem Auffinden vertrauter<br />
Informationen <strong>als</strong> vielmehr darin, die Unterschiede, die einen Unterschied machen, zu<br />
erkennen, <strong>als</strong>o die eigenen blinden Flecken wahrzunehmen. Die folgende Vignette<br />
zeigt diesbezügliche Schwierigkeiten.<br />
Vignette: Musterrepräsentation<br />
Im Rahmen des ERP-Projekts bei L&S wurde u.a. ein Workshop zum Aus-<br />
tausch von best practices durchgeführt. Ziel dieses Workshops war es, die<br />
weiteren Schritte der Integration und des Austauschs zwischen den ver-<br />
schiedenen Projektbereichen zu verstärken. Der Austausch wurde moderiert<br />
vom Leiter des ERP-Programms. Er startete den Workshop indem er Punkte<br />
sammelte, die in der Vergangenheit gut gemacht worden waren und ander-<br />
seits solche, bei denen man sich noch verbessern wollte. Es ergaben sich<br />
folgende Nennungen: 781<br />
779 Vgl. Deiser, 1995.<br />
780 Vgl. Hahn, 1994. Der Zusammenhang klingt auch an in der Aussage von Martin Buber „Ich werdend spreche<br />
ich Du“. Buber, 1994.
Was wir gut gemacht haben:<br />
• Kooperation in den Teams<br />
• die Lösung von Problemen in der<br />
Gruppe<br />
• Erreichen der Meilensteine<br />
• CIA-<strong>Prozess</strong> in der DU Schweiz<br />
Was hätte besser laufen können:<br />
• Kooperation zwischen den Teams<br />
• Mangel an Integration<br />
• „wir innerhalb des Segments“-<br />
Denken<br />
• Organisation unterstützt Integration<br />
nicht<br />
• Kommunikation an das gesamte<br />
Programm-Team<br />
• Lösung von überlappenden Problemen<br />
und Themen<br />
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
• Kooperation mit den Power Usern<br />
• Einbeziehung und Akzeptanz der DU<br />
Schweiz (häufig genannt)<br />
• Koordination innerhalb der Teams<br />
• Roll-Out Arbeitspakete<br />
• Fokus auf Details in Meetings<br />
• Verbindlichkeit von Entscheidungen<br />
gering<br />
• komplexe Entscheidungsprozesse<br />
• Entscheidung- und Problemlösungsprozeduren<br />
• komplexe Kommunikation - viele<br />
Stakeholder<br />
• unklarer Entscheidungsprozess/unklarer<br />
Entscheidungskompetenzen<br />
Die Punkte wurden zu drei Bereichen zusammengefasst. Als übergeordnete<br />
Themen wurden Entscheidungen, Integration sowie Kommunikation<br />
identifiziert. Im nächsten Schritt wurden folgende Vorschläge zur<br />
Verbesserung in den drei Bereichen erarbeitet:<br />
781 Vgl. Beobachtungen B023, B013.<br />
369
370<br />
Entscheidung<br />
• Entscheidungen vorbereiten<br />
• größere Entscheidungen dokumentieren<br />
• Modellprozess für Entscheidungen<br />
• Teamleiter brauchen mehr Kompetenzen<br />
und Vertrauen<br />
• Inventar der offenen Themen<br />
• Teilnehmer entsprechend den Zielen<br />
beschränken<br />
Integration<br />
• Fokus auf Integration<br />
• mehr Anstrengungen zur Integration<br />
durch die Teams<br />
• gemeinsames Verständnis für das<br />
Problem<br />
• Owner für Business cases<br />
• jemanden für Entscheidungen verantwortlich<br />
machen<br />
Kommunikation<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
• klare Kompetenzen<br />
• mehr Verantwortungsübernahme<br />
durch Teamleiter<br />
• mehr Empowerment / Mitarbeiter<br />
sollen Entscheidungen übernehmen<br />
• das Recht Fehler zumachen<br />
• den Evaluationsweg definieren<br />
• zweite Meinung der so genannten<br />
Godfathers einholen<br />
• Gefühl einer Lösung<br />
• klare Verantwortlichkeiten<br />
• schnelle Information<br />
• Aufstellung eines ersten Roll Out,<br />
Teams um Integration zu erfahren<br />
• technische Angelegenheiten sollten<br />
von Technikern vertreten werden<br />
• Satz von Master Business Cases
• Review der Meetingstruktur<br />
• weniger TeilnehmerInnen bei den<br />
Meetings<br />
• weniger Meetings mit festen Teilnehmern<br />
• Disziplin beim Sprechen<br />
• gründliche Analysen<br />
• Zeit nehmen für Soft Skills<br />
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
• Trennung von Informations- und<br />
Problemmeetings<br />
• mehr Visualisierung<br />
• mehr Kontakte<br />
• Meetings entlang Themen und Ownern<br />
• Großgruppenveranstaltungen<br />
• tägliches 30-Minuten-Meeting<br />
Unter einem gewissen Zeitdruck wurden die einzelnen Vorschläge noch mit<br />
Prioritäten versehen. Anhand der Prioritäten wurden dann folgende Maß-<br />
nahmen beschlossen, wobei der Leiter dies fast alleine „beschloss“:<br />
Bezüglich der Entscheidungsprozesse sollte mehr Mut gemacht werden,<br />
auch Fehler zu begehen. Außerdem sollten einzelne Rollen harmonisiert<br />
werden. Bezüglich der Meetingstruktur sollte kurze Zeit später ein Vor-<br />
schlag zur Änderung derselben erfolgen. Zur Förderung der Integration<br />
sollten übergreifende Business cases entwickelt und veröffentlicht<br />
werden. 782<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Im Rahmen des Workshops wurden durch die Herausarbeitung der Problembereiche<br />
Entscheidungen, Integration und Kommunikation für das Projekt Themen identifiziert,<br />
die auch für die gesamte Organisation wesentliche Herausforderungen darstellten.<br />
Hierin zeigte sich deutlich die Rekursivität der Organisationsstruktur. Anhand des<br />
Projekts konnten damit ähnliche Strukturen, Probleme aber auch Lösungen erkannt<br />
bzw. entwickelt werden, wie sie schon auf der Ebene der gesamten Organisation an-<br />
zutreffen waren:<br />
Die Thematisierung des Bereichs Entscheidungen und die Forderung nach einem<br />
höheren Empowerment stellte sich im Projekt wie auch in der Alltagsorganisation<br />
nicht zuletzt deshalb, weil die Vorgesetzten im HQ bei ihren Entscheidungen durch die<br />
stark ausgeprägte subsidiäre Identität auf die Akzeptanz der Landesgesellschaften an-<br />
gewiesen waren. Die Antwort der Organisation in Form der starken Einbeziehung und<br />
782 Vgl. Beobachtung B022, B023.<br />
371
372<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Partizipation führte damit in ein Dilemma zwischen einerseits dem Wunsch nach<br />
Tempo und Fortgang des Projekts sowie andererseits nach umfangreicher Integration<br />
und Partizipation aller Beteiligter.<br />
Die Schwierigkeiten im Bereich Integration waren ebenfalls auch auf der Ebene der<br />
Gesamtorganisation ein bekanntes Phänomen. Die Segmentierung der Geschäfts-<br />
bereiche im Projekt wie auch auf der Ebene der Gesamtorganisation führte zwar zu<br />
einer Optimierung innerhalb der Bereiche (vgl. Nennungen zu: Was gut läuft). Aller-<br />
dings führte sie auch zu Problemen bei der Gestaltung übergreifender <strong>Prozess</strong>e und<br />
Schnittstellen sowie der Optimierung des Gesamtergebnisses. Die schwierige Koope-<br />
ration zwischen den einzelnen Segmenten zeigte sich z.B. bei der gemeinsamen<br />
Nutzung von Kundendaten zwischen mehreren Segmenten. Die Erstellung und Bear-<br />
beitung von Business cases war daher im Sinne der Förderung der Integration eine<br />
positive Maßnahme.<br />
Schließlich war auch die Kommunikation, welche <strong>als</strong> problematisch beschrieben<br />
wurde, vor dem technischen Hintergrund der Organisation und dem damit einher-<br />
gehenden, technisch geprägten Verständnis von Kommunikation, nachvollziehbar. Aus<br />
dem Meeting heraus wurde hinsichtlich der Kommunikation vor allem eine höhere<br />
Effizienz, eine bessere Struktur der Meetings sowie Disziplin gefordert. Die Hinweise<br />
zur Verbesserung zielten damit vor allem auf die Inhaltsebene der Kommunikation. 783<br />
Dabei wurden Aspekte der Integration, des Sensemaking, des Aufbaus von Vertrauen<br />
etc. vernachlässigt. Auch Beispiele, bei denen man aufgrund der guten<br />
Kommunikation offensichtlich eine gute Zusammenarbeit erreicht hatte, wie dies<br />
insbesondere in der Zusammenarbeit mit den Landesgesellscchaften erreicht worden<br />
war, wurden vernachlässigt.<br />
Die Reflexion und die Vorschläge waren insgesamt <strong>als</strong> eher „lokal“ zu bezeichnen und<br />
bezogen sich ausschließlich auf das Projekt. Aus der Diskussion der Ergebnisse wurde<br />
zu keinem Zeitpunkt deutlich, dass sich die Anwesenden der Rekursivität der organi-<br />
sationalen Handlungsmuster bewusst waren. Die unter Zeitdruck entwickelten<br />
Lösungsvorschläge stellten in der Terminologie des organisationalen Lernens eine<br />
Verbesserung im Sinne des single-loop learning und eine Erhöhung der Effizienz dar,<br />
nicht aber ein Hinterfragen der Wirksamkeit der bestehenden Routinen und Strukturen.<br />
783 Vgl. Zur Unterscheidung der verschiedenen Ebenen der Kommunikation insbesondere Watzlawick, et al.,<br />
1990, Schulz von Thun, 1981.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Es wurde <strong>als</strong>o lediglich die Art und Weise, wie Dinge getan wurden, hinterfragt, nicht<br />
aber die existierenden Normen und Strukturen der Organisation reflektiert. 784<br />
Eine besondere Schwierigkeit bei der Reflexion der Routinen und Handlungsmuster<br />
besteht allerdings in der überwiegend impliziten Natur dieser kollektiven Wissens-<br />
strukturen.<br />
Dass die Reflexion der Strukturen auch im Rahmen der Selbstidentifikation, der<br />
Reflexion der eigenen Rolle und der Beziehungen zu anderen Teilen der Organisation<br />
erfolgen kann, zeigt die nächste Vignette.<br />
Vignette: Implizites Wissen zugängig machen<br />
Im Rahmen des Forschungsprojekts erhielt das Forschungsteam eine An-<br />
frage zu einem Workshop mit einer zentralen Abteilung des Forschungs-<br />
partners. Ziel der Abteilung war es bei dem Workshop einerseits ein grund-<br />
sätzliches Feedback bzgl. unserer Forschungsergebnisse zu erhalten, zum<br />
anderen aber auch, bestimmte Fragen der Zusammenarbeit zwischen der<br />
Abteilung und Teilen der übrigen Organisation gemeinsam zu reflektieren.<br />
Als Teil des Workshops wurde vereinbart, dass man mit Hilfe systemischer<br />
Methoden an dem Anliegen bzgl. der Zusammenarbeit mit anderen<br />
Abteilungen arbeiten würde. U.a. wurde mit Hilfe einer Strukturaufstellung<br />
mit den Mitarbeitern der Abteilung sowie zusätzlichen Repräsentanten, die<br />
derzeitige Situation der der Zusammenarbeit zwischen der Abteilung und<br />
Teilen der übrigen Organisation in Form einer räumlichen Anordnung von<br />
Personen nachgestellt (Ausgangsbild). 785<br />
Durch eine Simulation verschiedener Alternativen (Lösungsbilder) wurden<br />
anschließend Lösungen für eine Verbesserung der Zusammenarbeit<br />
reflektiert. Dabei wurden u.a. Muster der Kommunikation offenbart,<br />
zurückliegende Entscheidungen, mit bestimmten Abteilungen stärker<br />
kooperieren, überdacht sowie Möglichkeiten der stärkeren Einbeziehung in<br />
784 Petrie et. al vergleichen das single-loop learning mit einer Verbesserung der Effizienz, während das double<br />
loop learning mit einer Verbesserung der Effektivität verbunden ist Petrie und Alpert, 1983.<br />
785 Vgl. zur Arbeit mit Strukturaufstellungen Varga von Kibéd und Sparrer, 2000a, Sparrer, 2001;Sparrer und<br />
Varga von Kibéd, 1998.<br />
373
374<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
strategische Projekte und positive Beispiele aus der Vergangenheit<br />
diskutiert.<br />
Die Reflexion führte dazu, dass die Abeilung einerseits implizite<br />
Vermutungen bzgl. des Problems explizit diskutieren konnten. Darüber hin-<br />
aus konnten aber auch Ansätze für die Verbesserung der Zusammenarbeit<br />
sowie die für den Workshop gesteckten Ziele (Aha-Erlebnis, Verstehen wie<br />
die Organisation tickt) erreicht werden.<br />
Als besonders wichtig stellte sich während des gesamten <strong>Prozess</strong>es heraus,<br />
eine Vorstellung davon zu entwickeln, wo der „Platz“ und damit die<br />
Identität der Abteilung im Konzernverbund war.<br />
Interpretation im Gesamtkontext<br />
Die Ergebnisse der Strukturaufstellung führten im Rahmen des Workshops zu einer<br />
Auseinandersetzung und Reflexion des Selbstverständnisses der Abteilung. Es war<br />
dabei kein Zufall, dass die Ausgangsfrage nach der Zusammenarbeit mit anderen<br />
Teilen der Organisation zu der Thematisierung der eigenen organisationalen Identität<br />
führte.<br />
Eine Besonderheit in der verwendeten Dramaturgie stellte dabei sicher der Einsatz<br />
einer Strukturaufstellung dar. Über diese, für Teilnehmer z.T. ungewohnte Methode,<br />
gelang der Zugang zu impliziten, kollektiven Wissensbeständen, die wesentlicher Teil<br />
der organisationalen Identität waren. Die Auseinandersetzung mit solchen Struktur-<br />
elementen auf der Ebene des diskursiven Bewusstseins verlangt dabei einen anderen<br />
„Modus“ <strong>als</strong> die üblichen, kognitiv geprägten Strategiediskurse.<br />
WIMMER und NAGEL merken zur Auseinandersetzung mit der organisationalen Identi-<br />
tät an: „Die Beschäftigung mit der eigenen Identität und ihrer künftigen Entwicklung<br />
nimmt erhebliche Zeit in Anspruch, sie verlangt vor allem aber eine andere Form des<br />
emotionalen wie kognitiven Befasstseins mit den Dingen, die üblicherweise unter dem<br />
Druck des operativen Geschehens nicht aufkommen kann“. Es ist nach ihrer Ansicht<br />
eine Entschleunigung von Nachdenk- und Entscheidungsprozessen erforderlich. 786<br />
Ziel dieser „Entschleunigung“ ist dabei nicht die Verlangsamung an sich. Vielmehr<br />
fördert diese Veränderung des Kommunikationsmusters die notwendige Interpretation<br />
786 Vgl. Wimmer und Nagel, 2000.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
der vorhandenen Informationen. Da die Daten grundsätzlich interpretationsbedürftig<br />
sind, ist die Sinn- und Deutungsgebung der „Rohdaten“ essenzieller Bestandteil jegli-<br />
cher Kommunikation über die organisationale Identität und den strategischen<br />
<strong>Wandel</strong>. 787<br />
Fazit: Reflexion und Beobachtung 2. Ordnungen<br />
Sinngebende reflexive Betrachtung ist nur durch ein Heraustreten aus dem Erlebnis-<br />
strom und eine Aufmerksamkeitsfokussierung auf das, was schon passiert ist, möglich.<br />
Jedes Verstehen entspringt nach WEICK aus der Reflexion und dem Rückwärts-<br />
schauen. 788<br />
Vor diesem Hintergrund scheint den hier beschriebenen Reflexionssituationen gemein-<br />
sam zu sein, dass sie eine Dramaturgie aufweisen, die es ermöglicht, eine neue Per-<br />
spektive außerhalb der bestehenden handlungsleitenden Strukturen für bereits erfolgte<br />
Ereignisse zu entwickeln. So können systembedingte blinde Flecken im Zuge einer<br />
Beobachtung 2. Ordnung rekonstruiert und aufgearbeitet werden. 789<br />
Dies soll keinesfalls zu einer abgehobenen, theoretischen Auseinandersetzung von<br />
Spezialisten fernab der Praxis führen. Die Vorstellung entspricht vielmehr dem Bild<br />
eines reflective practioners 790 , der nicht erkannte Handlungsvoraussetzungen und nicht<br />
intendierte Handlungsfolgen versucht wahrzunehmen. Konkrete Ergebnisse solcher<br />
Reflexionsprozesse können in „tangible“ und in „intangible results“, d.h. fassbaren,<br />
Handlungsergebnissen und Entscheidungen, aber auch weniger fassbaren impliziten<br />
Veränderungen, beispielsweise auf der Haltungsebene, bestehen. 791<br />
787 Nach Luhmann muss Kommunikation verstanden werden <strong>als</strong> interpretierte Daten Luhmann, 1986.<br />
788 Vgl. Weick, 1985a. Für die Entwicklung zukünftiger Ereignisse empfiehlt Weick daher auch das „Denken im<br />
zweiten Futur“. Vgl. dazu die Ausführungen im Kapitel 8.3.<br />
789 Vgl. zur Beobachtung 2. Ordnung u.a. Förster, 1974.<br />
790 Vgl. Schön, 1983.<br />
791 Vgl. Deiser, 1994.<br />
375
8 Und was vom Tage übrig bleibt...<br />
376<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Das einzig Stabile, was uns bleibt, ist die Gewissheit des permanenten <strong>Wandel</strong>s.<br />
Rudolf Wimmer<br />
Den Abschluss einer solchen Arbeit bilden in der Regel Empfehlungen an das<br />
Management bzw. ein Modell zum Thema, wie im vorliegenden Fall dem Thema der<br />
Gestaltung <strong>identitätsbildender</strong> <strong>Prozess</strong>e.<br />
Auch in dieser Arbeit soll zum Abschluss ein Orientierungsrahmen für die Bewäl-<br />
tigung des organisationalen <strong>Wandel</strong>s und speziell des <strong>Wandel</strong>s von identitätsbildenden<br />
Strukturen beschrieben werden. Dieser Orientierungsrahmen gliedert sich einmal in<br />
eine Vorschlag für ein Bruchstellenmodell des organisationalen <strong>Wandel</strong>s und zum<br />
anderen in Rückschlüsse aus dem in dieser Arbeit verwendeten <strong>Prozess</strong>modell (8.3.)<br />
zum organisationalen <strong>Wandel</strong>, insbesondere dem <strong>Wandel</strong> von (Identitäts-)Strukturen.<br />
Um einem rezeptbuchhaften Verständnis der folgenden Ausführungen vorzubeugen,<br />
sei explizit die Kontextgebundenheit der folgenden Hinweise hervorgehoben. D.h. die<br />
Erkenntnisse, die hier zum Abschluss in kurzer Form dargestellt werden, sind letztlich<br />
nur verständlich vor ihrem Entstehungshintergrund. Diese Kontextbezogenheit des<br />
Wissens spiegelt sich metaphorisch wider in der Geschichte von zwei Reisenden in<br />
einem Zug:<br />
Zwei Reisende sitzen während einer langen Zugfahrt beisammen und erzählen sich Witze. Da<br />
der Vorrat an Witzen beschränkt ist, erzählen sie sich wieder und wieder die gleichen Witze.<br />
Mit der Zeit gehen sie dazu über, die Witze zu nummerieren und sich nur noch die Nummern<br />
der Witze zu erzählen.<br />
Ein Mitreisender nimmt Platz in ihrem Abteil und beobachtet, wie die beiden sich gegenseitig<br />
Zahlen nennen und der jeweils andere daraufhin in schallendes Gelächter ausbricht. Nach<br />
kurzer Zeit ergreift er das Wort und nennt ebenfalls eine Zahl. Daraufhin schauen die beiden<br />
ihn verständnislos an. Auf seine Frage, warum sie denn nicht über seine Zahl lachen, antwortet<br />
der eine: „Du kennst den Witz doch gar nicht“.<br />
Zu den nachfolgenden Hinweisen ist der aufmerksame Leser deshalb eingeladen, die<br />
Erkenntnisse aus den in Kapitel 6 und 7 beschriebenen empirischen Beobachtungen zu<br />
dekontextualisieren und in seinen eigenen Anwendungskontext zu rekontextualisieren.<br />
Diese Rekontextualisierung kann <strong>als</strong> gelungen angesehen werden, wenn die in dieser<br />
Arbeit entwickelten Überlegungen den Leser zu plausiblen und nachvollziehbaren<br />
Einsichten über die eigenen Erfahrungen inspirieren. Darüber hinaus zielt eine solche
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Rekonstruktion darauf ab, einen Beitrag zur Erweiterung des Orientierungswissens im<br />
Sinne eines „theory construction as diciplined imagination“ zu liefern. 792<br />
Abschließend sollen deshalb die wichtigsten Eckpunkte der empirischen Untersuchung<br />
noch einmal zusammengefasst und daraus Implikationen für Theorie und Praxis abge-<br />
leitet werden. Dazu werden die Ergebnisse der Post-Merger-Integrationsprojekte<br />
resümiert (Kapitel 8.1) , ein Bezugsrahmen möglicher Bruchstellen organisationalen<br />
<strong>Wandel</strong>s vorgestellt (Kapitel 8.2) und Hinweise zu den Herausforderungen identitäts-<br />
bildender <strong>Prozess</strong>e an solchen Bruchstellen entwickelt. Anschließend werden<br />
praktische Implikationen und Hinweise zur Bewältigung aus dem vorgestellten<br />
<strong>Prozess</strong>modell abgeleitet (Kapitel 8.3) sowie <strong>als</strong> theoretische Implikation ein Modell-<br />
vorschlag zum Verhältnis von Handlung, Strategie und Identität vorgeschlagen<br />
(Kapitel 8.4). Ein Fazit bildet den Abschluss dieser Arbeit (Kapitel 8.5).<br />
8.3 Praktische Implikationen<br />
Identitätsbildender <strong>Prozess</strong>e<br />
8.1 Vom <strong>Wandel</strong> der Organisation<br />
zur Organisation des <strong>Wandel</strong>s<br />
8.2 Bruchstellen des<br />
organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />
8.5 Fazit: Identität und<br />
Post-Merger-Integration<br />
Abbildung 97: Übersicht über Kapitel 8<br />
8.4 Praktische Implikationen<br />
Identitätsbildender Proezsse<br />
8.1 Vom <strong>Wandel</strong> der Organisation zur Organisation des <strong>Wandel</strong>s<br />
UEXKÜLL 793 liefert mit seiner Unterscheidung der Menschen in Merklinge, welche die<br />
Welt beobachten wollen, und Wirklinge, welche die Welt verändern wollen, eine alter-<br />
native Perspektive, der in dieser Arbeit immer wieder thematisierten Leitdifferenz<br />
792 Vgl. zum Umgang mit de- und rekontextualisierten wissenschaftlichen Erkenntnissen Rüegg-Stürm, 2002.<br />
Vgl. zu den Gütekriterien solcher Erkenntnisse und der qualitativen Forschung insbesondere Weick, 1989.<br />
793 Vgl. von Uexküll, 1957.<br />
377
378<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
zwischen Struktur und Handlung oder Strategieformulierung und strategischer Um-<br />
setzung.<br />
Die hier untersuchte strategische Sollbruchstelle PMI liefert in diesem Zusammenhang<br />
einen interessanten Anwendungsfall für das Zusammenwirken der organisationalen<br />
Identität (Struktur) und strategischer <strong>Wandel</strong>initiativen (Handlungen).<br />
Die Ausgangsfrage, unter deren Blickwinkel die hier untersuchten Projekte analysiert<br />
wurden, lautete daher „Wie beeinflussen strategische <strong>Wandel</strong>initiativen in Post-<br />
Merger-Phasen den <strong>Prozess</strong> der organisationalen Identitätsbildung?“ 794<br />
Ausgangspunkt der Arbeit war die Fit-Hypothese, welche die strategische, organisati-<br />
onale und kulturelle – und damit auch identitätsbezogene – „Passung“ der Organisati-<br />
onen <strong>als</strong> Erfolgsrezept für die Integration im Anschluss an einen Zusammenschluss<br />
behauptet. Epistemologische, organisationstheoretische und vor allem empirische<br />
Hinweise zeigten im Verlaufe dieser Studie allerdings, dass aus einer systemisch-<br />
konstruktivistischen, prozessorientierten Sichtweise der Erfolg organisationalen<br />
<strong>Wandel</strong>s in erster Linie von der Form der <strong>Wandel</strong>prozesse abhängt. Genauer gesagt:<br />
am Beispiel des <strong>Wandel</strong>s der organisationalen Identität im Anschluss an Fusionen<br />
wurde deutlich, dass Fusionen dann erfolgreich sein können, wenn im Rahmen von<br />
Integrationsprojekten neue, gemeinsame Identitäten <strong>als</strong> Grundlage organisationalen<br />
Handelns geschaffen werden können.<br />
Strategisches<br />
<strong>Wandel</strong>projekt<br />
Organisationale<br />
Identität<br />
Abbildung 98: Rekursivität <strong>Strategischer</strong> <strong>Wandel</strong>projekte und Organisationaler Identität<br />
<strong>Wandel</strong>projekte sind in diesem Zusammenhang von entscheidender Bedeutung, da<br />
ihnen die Funktion temporärer Lern- und Integrationsarenen zukommt: Hier trifft die<br />
alte auf die neue Struktur und es kann im <strong>Prozess</strong> des Organisierens eine neue Identität<br />
verfertigt werden. Strategische Projekte bilden sozusagen den Piloten für die Ent-<br />
wicklung und den Transfer neuer Identitätsstrukturen in den organisationalen Alltag.<br />
794 Vgl. Kap. 2.3.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Diese Strukturen sind dabei <strong>als</strong> Routinen zu verstehen, die expliziter und mehr noch<br />
impliziter Natur sind und die mit organisationalen Handlungen in einem rekursiven<br />
Verhältnis stehen.<br />
Gerade der implizite Charakter der alten und neuen Strukturen entzieht sie allerdings<br />
dem direkten Zugriff und der Machbarkeit. Eine Orientierung im Umgang mit solchen<br />
impliziten Strukturen geben z.B. die systemischen Prinzipien, die bereits im Kapitel<br />
7.1 die strukturelle Analyse der <strong>Wandel</strong>s unterstützten. 795 Im Sinne einer Wirkungs-<br />
analyse, beschreiben sie Aspekte, wie die Zugehörigkeit zu einer Organisation, die<br />
zeitliche Reihenfolge des Eintritts in eine Organisation, der besondere Einsatz oder<br />
Fähigkeiten und Leistungen, die im Rahmen des <strong>Wandel</strong>s beachtet werde müssen. 796<br />
Auf den ersten Blick selbstverständlich, sind es gerade die hierin behandelten implizi-<br />
ten Systembezüge, die den organisationalen <strong>Wandel</strong> häufig unerkannt gefährden. Die<br />
dahinterliegende Logik ist allerdings häufig für die Systembeteiligten aufgrund ihrer<br />
„Systemblindheit“ über die übliche Reflexion kaum zugänglich und bedarf daher<br />
besonderer Dramaturgien oder Verfahren zur Externalisierung. Systemische Verfahren<br />
wie z.B. Strukturaufstellungen bieten hier geeignete Mittel zum Umgang mit den<br />
schwer zugänglichen impliziten Wissensstrukturen.<br />
Wie bereits mehrfach erwähnt, ist der hier zugrunde gelegte soziologische Struktur-<br />
begriff eng verbunden mit der Vorstellung eines Strukturationsprozesses. Aus den<br />
Beobachtungen des Forschungsprojekts folgt, dass die <strong>Wandel</strong>initiativen die<br />
Identitätsstruktur maßgeblich beeinflussen, aber umgekehrt auch die Identitäts-<br />
strukturen Einfluss auf die Initiativen nehmen.<br />
Die analytische Unterscheidung der Elemente eines solchen <strong>Prozess</strong>es wurde anhand<br />
verschiedener Beobachtungen in Kapitel 7.2 gezeigt. Das dargelegte <strong>Prozess</strong>modell<br />
dient vor allem dazu, den <strong>Prozess</strong> zu strukturieren bzw. einen Orientierungsrahmen zu<br />
eröffnen. Schon das konstruktivistische Verständnis verbietet es, von „faktischen“<br />
Elementen eines solchen <strong>Prozess</strong>es zu sprechen.<br />
Trotzdem stellen die genannten Elemente (Ausgangspunkt, Zielzustand, relevanter<br />
Unterschied, <strong>Wandel</strong>projekte <strong>als</strong> identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e sowie Reflexion) zentrale<br />
795 Vgl. auch Kap. 4.2.7.<br />
796 Zur ausführlichen Beschreibung vgl. Kap. 5 sowie insbesondere Sparrer, 1997;Varga von Kibéd und Sparrer,<br />
2000a.<br />
379
380<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Aspekte im Ablauf eines rekursiven Strukturationsprozesses dar. Ihnen lassen sich<br />
einzelne Instrumente wie z.B. das As-Is-Modelling, die Change Impact Analysis oder<br />
Verfahren der Ziel- und Erwartungsklärung zuordnen. Damit bildet das Modell einen<br />
konstruktivistischen Orientierungsrahmen für ein Management des (Identitäts)-<br />
wandels.<br />
Gerade die Rekursivität strategischer <strong>Wandel</strong>prozesse macht die Gestaltung solcher<br />
<strong>Prozess</strong>e allerdings zu einer Managementherausforderung, welche die bestehenden<br />
Orientierungen und Grundannahmen des Managements in Frage stellt. Vier<br />
Spannungsfelder können dabei besonders herausgehoben werden:<br />
Inhalts- und Beziehungsebene:<br />
Im Rahmen des strategischen <strong>Wandel</strong>s steht der Umbau von Routinen, Handlungs-<br />
folgen und Geschäftsprozessen im Mittelpunkt der Veränderungsanstrengungen.<br />
Muster und Abläufe müssen von verschiedenen Beteiligten neu konstruiert werden.<br />
Inhalte stehen dabei häufig im Zentrum der Aufmerksamkeit, bilden aber vielfach nur<br />
das trojanische Pferd oder ein offizielles Thema, an dem neue Formen der Kommuni-<br />
kation und Beziehungsverfertigung erprobt werden müssen. Die Trennung dieser<br />
beiden Ebenen ist im Sinne einer Komplexitätsreduzierung und transparenten<br />
Vorgehensweise von entscheidender Bedeutung für eine Bewältigung der anstehenden<br />
Themen. Die Aufgabe, die Inhalts- von der Beziehungs- oder <strong>Prozess</strong>ebene zu trennen<br />
und damit bearbeitbar zu machen, fällt vor allem der Führung zu. Allerdings darf dies<br />
nicht im Sinne einer trivialen Steuerungsaufgabe missverstanden werden. 797<br />
Subjekt und Objekt:<br />
Das zweite Spannungsfeld setzt an dieser Illusion der Steuerbarkeit an und hinterfragt<br />
die Vorstellung einer Subjekt-Objekt Beziehung zwischen der Führungskraft und dem<br />
restlichen System. Nach dieser Vorstellung sehen sich viele Führungskräfte <strong>als</strong> unab-<br />
hängig vom Rest des Systems. Sie betrachten sich oftm<strong>als</strong> <strong>als</strong> neutrale Beobachter, die<br />
außerhalb des Systems stehen. Die empirischen Beobachtungen zeigen allerdings, dass<br />
die Führung im <strong>Prozess</strong> des strategischen <strong>Wandel</strong>s mitbetroffen und eingebunden ist in<br />
die rekursiven Organisations- und Führungsprozesse. Sie steht damit in einem<br />
797 Vgl. zu Unterschiede in Gesetzmässigkeiten von Geschäftsprozessen (Veränderung von Betriebsanlagen,<br />
Geschäftsprozess) und sozialen Veränderungen (social contract, implizite Regeln, etc.) u.a. Roost, 1998<br />
Rüegg-Stürm, 2001.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
nichttrivialen Subjekt-Subjekt-Verhältnis zum Geschehen in der Organisation und ist<br />
in Entscheidungen, Handlungen und in die ihnen zugrundeliegenden Strukturen<br />
automatisch einbezogen.<br />
Handlung und Struktur:<br />
Eine dritte Herausforderung besteht in der Wahrnehmung und dem reflektierten Um-<br />
gang mit den bestehenden und den neuen Handlungs- und Identitätsmustern. Während<br />
mit den bestehenden Strukturen häufig nicht erkannte Handlungsvoraussetzungen<br />
verbunden sind, bringen neue Handlungen häufig auch nicht intendierte Handlungs-<br />
konsequenzen mit sich. 798 Beide schränken die Fähigkeit einer Organisation ein,<br />
strukturellen <strong>Wandel</strong> zu bewältigen, d.h. neue Strukturen an die bestehenden anzu-<br />
schließen. Der implizite und häufig kollektive Charakter solcher Einschränkungen<br />
macht den Zugang zu ihnen nochm<strong>als</strong> schwieriger. Unter dem Primat des Tagesge-<br />
schäfts bleibt i.d.R. auch wenig Zeit zur Reflexion und Externalisierung des Hand-<br />
lungs- und Strukturenwissens. Dabei wäre die Externalisierung latenter Strukturen zur<br />
Verkürzung von Latenzphasen und zur Beschleunigung organisationaler Erneuerung<br />
eine selbst nach herkömmlichen betriebswirtschaftlichen Maßstäben sinnvolle<br />
Investition.<br />
Individuum und Beziehung:<br />
Schließlich basieren viele Rückschlüsse und Denkweisen immer noch auf einer<br />
Beschreibung der Wirklichkeit, die ein Denken in Formen des methodologischen<br />
Individualismus enthüllt. Konzepte wie organisationales Lernen, Wissensmanagement,<br />
Motivation und Widerstand, sowie die damit verbundenen Erklärungsansätze für orga-<br />
nisationale Phänomene, stellen das Individuum in den Mittelpunkt der Betrachtung.<br />
Damit geraten Beziehungen und Konstellationen zwischen den Variablen, den<br />
Beteiligten und dem Kontext in den Hintergrund.<br />
Die vier beschriebenen Spannungsfelder spiegeln allerdings nicht nur lange gehegte<br />
Grundannahmen wider über das, was organisationale Wirklichkeit ist, sondern legen es<br />
dem Management des <strong>Wandel</strong>s nahe, nicht mit verkürzten Handlungstheorien aus<br />
biologischen, technischen und individualistischen Vergleichen („Ein Unternehmen ist<br />
798 Vgl. zu den nicht erkannten Handlungsvoraussetzungen und den nicht intendierten Handlungskonsequenzen<br />
insbesondere Giddens, 1979; Giddens, 1997.<br />
381
382<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
wie...“) die Dynamik und Komplexität organisationaler <strong>Wandel</strong>prozesse zu unter-<br />
schätzen.<br />
PETTIGREW weist in diesem Zusammenhang auf Bedeutung von Zeit und Kontext bei<br />
der Analyse strategischer <strong>Wandel</strong>prozesse hin. „Actions are embedded in contexts<br />
which limit their information, insight and influence. But the dual quality of agents and<br />
contexts must always be recognized. Contexts are shaping an shaped. Actors are<br />
producers and products.” 799<br />
Systemisch gesprochen ist daher das Wie bzw. die Art und Weise der Verfertigung<br />
sowie die Wechselwirkung zwischen Text und Kontext von entscheidender<br />
Bedeutung, sowohl für die expliziten <strong>als</strong> auch die impliziten Ergebnisse strategischer<br />
Projekte, wie etwa den <strong>Wandel</strong> der Identität.<br />
Damit findet eine Verlagerung der rein inhaltlich orientierten <strong>Wandel</strong>vorstellung hin<br />
zu einem eher ganzheitlichen „Beides“ von Inhalt und <strong>Prozess</strong> statt. Im Mittelpunkt<br />
steht nicht mehr die Frage, wie die Organisation <strong>als</strong> Entität gewandelt werden kann,<br />
sondern wie der <strong>Wandel</strong> anschlussfähig organisiert bzw. gestaltet werden kann, eben<br />
vom <strong>Wandel</strong> der Organisation zur Organisation des <strong>Wandel</strong>s. 800<br />
Die Fähigkeit zur Bewältigung von <strong>Wandel</strong> und zur Erneuerung kommt somit in<br />
Metastrukturen zum Ausdruck, die darüber entscheiden, wie rasch und friktionsfrei<br />
sich Strukturen weiterentwickeln können. Solche Strukturen können, wie beschrieben,<br />
in der Einbeziehung oder der <strong>Prozess</strong>transparenz, im Systemvertrauen 801 oder in<br />
Aspekten der prozessualen Gerechtigkeit 802 bestehen. Das übergeordnete Ziel besteht<br />
in der Erreichung von Anschlussfähigkeit zwischen dem „Alten“ und dem „Neuen“.<br />
Diese Anschlussfähigkeit ist insbesondere gefordert bei Bruchstellen in der organisati-<br />
onalen Entwicklung, wie sie neben den Unternehmenszusammenschlüssen z.B. auch<br />
das Outsourcing von Organisationsteilen, die Bildung von Allianzen oder Umstruk-<br />
turierungen darstellen. Auf diese und weitere organisationale <strong>Wandel</strong>situationen wird<br />
im Folgenden eingegangen.<br />
799 Vgl. Pettigrew, 1997.<br />
800 Vgl. hierzu auch das gleichnamige Symposium des Rheintal-Instituts im April 2002 in Bonn.<br />
801 Vgl. Sydow und Loose, 1994.<br />
802 Vgl. u.a. Kim und Mauborgne, 1991.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
8.2 Bruchstellen organisationaler Identitätsstrukturen<br />
Im nun folgenden Kapitel wird ein Modell entwickelt, dass gezielt Situationen<br />
beleuchtet, die einen möglichen Bruch in der Unternehmensentwicklung darstellen.<br />
Während bislang nur ein Spezialfall unternehmerischen <strong>Wandel</strong>s – der Zusammen-<br />
schluss zweier Unternehmen – untersucht worden ist, soll im Folgenden ein Bezugs-<br />
rahmen für weitere idealtypische Bruchstellen organisationaler Identität angeboten<br />
werden. Mit dem vorgestellten Modell wird eine systembezogene Orientierungshilfe<br />
gegeben, die insbesondere die Lücken bisheriger Modelle ergänzt. Dazu wird vorab<br />
auf die zwei Modelle aus der Literatur kurz eingegangen.<br />
8.1 Vom <strong>Wandel</strong> der Organisation<br />
zur Organisation des <strong>Wandel</strong>s<br />
8.2 Bruchstellen des<br />
organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />
8.3 Praktische Implikationen 8.4 Theoretische Implikationen<br />
Identitätsbildender <strong>Prozess</strong>e Identitätsbildender <strong>Prozess</strong>e<br />
8.5 Fazit: Identität und<br />
Post-Merger-Integration<br />
Abbildung 99: Übersicht über Kapitel 8<br />
Die in dieser Arbeit vertretene Auffassung von organisationaler Identität ist stark ver-<br />
bunden mit der Vorstellung einer path-dependcy. D.h. dass die Identitätsstruktur einer<br />
Organisation von den Handlungen und Erfahrungen abhängt, die etwa im Rahmen der<br />
Gründung oder zur Bewältigung wichtiger Phasen der Geschichte einer Organisation<br />
erfolgt sind.<br />
Diese sozial konstruierte, komplexe und vorwiegend implizite Identitätsstruktur kann<br />
sich in bestimmten Kontexten <strong>als</strong> ein klarer Wettbewerbsvorteil, in Zeiten des<br />
radikalen <strong>Wandel</strong>s aber u.U. auch <strong>als</strong> ein Nachteil darstellen: „Unvorhersehbare<br />
Brüche schaffen unter Umständen von heute auf morgen radikal sich verändernde<br />
383
384<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Rahmenbedingungen, die die bisherigen Erfolgsmuster eines Unternehmens total auf<br />
den Kopf stellen.” 803<br />
Bereits REGER weist darauf hin, dass Situationen des organisationalen <strong>Wandel</strong>s eine<br />
besondere Herausforderung für die organisationale Identität darstellen können. Diese<br />
Situationen üben einen besonderen Druck auf Organisationen aus, lassen die beste-<br />
hende Identität sichtbar werden und teilweise problematisch erscheinen. REGER zählt<br />
zu solchen Situationen Merger, Akquisitionen und Spin-offs, Joint Ventures und<br />
Allianzen, Industrieentwicklungen und -turbulenzen, Krisen sowie zeitlich begrenzte<br />
Organisationsformen. 804<br />
Im Rahmen von Lebenszyklusmodellen werden solche Unternehmensentwicklungen<br />
teilweise chronologisch, teilweise thematisch dargestellt. 805 Allerdings stehen bei<br />
diesen Modellen in der Regel die Entwicklungen im Bereich der Produkte, Techno-<br />
logien, Branchen oder allgemeine Wachstumsmodelle zur Diskussion. Weniger<br />
Beachtung finden darin implizite Aspekte wie etwa die Entwicklung der Kultur oder<br />
der Identität.<br />
Zwei Modelle zur organisationalen Identität und zum organisationalen <strong>Wandel</strong> sind<br />
von VAN DE VEN und POOLE sowie REGER ET AL. vorgestellt worden: VAN DE VEN<br />
und POOLE gehen in einem deduktiven Modell zum Identitätswandel von vier ideal-<br />
typischen Arten des <strong>Wandel</strong>s aus, die dem <strong>Wandel</strong> und der Entwicklung in sozialen<br />
Systemen regelmäßig zugrunde liegen (Life-cycle, Evolutionary, teleological,<br />
dialectical). Jeder dieser Idealtypen des <strong>Wandel</strong>s bietet eine unterschiedliche<br />
Erklärung, warum es zum <strong>Wandel</strong> kommt und was ihn antreibt.<br />
Kritisch ist hierzu anzumerken, dass das Modell von einem stark deterministischen<br />
Organisationsverständnis ausgeht. Organisationen sind demnach im wesentlichen<br />
durch äußere Einflüsse bestimmt. Die Rolle der Organisationsmitglieder und Manager<br />
<strong>als</strong> systemkonstituierendes Element wird dagegen vernachlässigt.<br />
Das Modell von REGER ET AL. erinnert an „psychologische“ Modelle und beschreibt<br />
den Effekt wahrgenommener Stressfaktoren auf die Identität einer Organisation. Die<br />
803 Vgl. Wimmer und Nagel, 2000.<br />
804 Vgl. Reger, 1998.<br />
805 Vgl. zu einer zusammenfassenden Darstellung z.B. Pümpin und Prange, 1991.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
wahrgenommenen Stressfaktoren, wirken dabei über deren Interpretation auf Hand-<br />
lungen, die zu einer Änderung der Identität führen.<br />
Wahrgenommener<br />
Stress<br />
Interpretation<br />
1. Einleitung<br />
Handlung<br />
1. Einleitung<br />
Abbildung 100: Modell zum <strong>Wandel</strong> der organisationalen Identität<br />
in Anlehnung an: (Reger et al., 1998, S. 148).<br />
Effekt auf Identität<br />
Hervorzuheben ist hieran, dass im Rahmen des Modells Stress <strong>als</strong> ein subjektives<br />
Phänomen aufgefasst wird und versucht wird über die Interpretationen, die Bedeutung<br />
der Handlungen auf die organisationale Identität zu erfassen. Allerdings erinnert das<br />
Modell an Stressmodelle, wie sie ähnlich auch im Bereich der Individualpsychologie<br />
vorliegen. 806 Die Besonderheiten organisationaler „Stressphänomene“ sowie deren<br />
Dimension werden damit aber nicht berücksichtigt.<br />
Im Folgenden wird daher ein Modellvorschlag entwickelt, der verschiedene zentrale<br />
Anlässe organisationalen <strong>Wandel</strong>s wie z.B. Allianzenbildung, Outsourcing, Kosten-<br />
reduktionsprogramme u.a. umfasst. Diese werden nach systemischen Gesichtspunkten<br />
unterschieden und daraus Implikationen für das Management von identitätsbildenden<br />
<strong>Prozess</strong>en abgeleitet.<br />
Dazu wird - anders <strong>als</strong> dies im Modell von VAN DE VEN und POOLE geschieht - vor<br />
allem die Bedeutung interner Strukturen und <strong>Prozess</strong>e thematisiert. Organisationen<br />
werden <strong>als</strong> Systeme betrachtet, die nicht nur auf den <strong>Wandel</strong> von aussen reagieren,<br />
sondern <strong>als</strong> kontextbezogene Systeme, in denen ihre Organisationsmitglieder und<br />
Manager <strong>als</strong> systemkonstituierende Elemente den <strong>Wandel</strong> selber „erfinden“.<br />
Das Modell enthält grundsätzlich drei Dimensionen, die im Folgenden kurz anhand<br />
von Beispielen erläutert werden:<br />
• <strong>Wandel</strong>anlässe bzw. <strong>Wandel</strong>themen, die zu Bruchstellen der organisationalen<br />
Identität werden können und eine Herausforderung im Rahmen des organisationalen<br />
<strong>Wandel</strong>s darstellen,<br />
806 Vgl. u.a. Davison und J.M., 1988;Margraf, et al., 1989.<br />
385
386<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
• die Systemorientierung, welche die Ausrichtung des Systems auf bestimmte<br />
Systemaufgaben betrifft, 807<br />
• die daraus hervorgehenden Anforderungen an ein Management der sozialen<br />
Systeme. Diese können z.B. darin bestehen, Formen zu finden, um die Zuge-<br />
hörigkeit zu einer Organisation deutlicher erkennbar zu machen (z.B. Rituale).<br />
Wenngleich den einzelnen Ebenen des Modells eine jeweils eigene Orientierung und<br />
damit eine eigene Logik zugrunde liegt, können die <strong>Wandel</strong>anlässe durchaus mehrere<br />
Herausforderungen an das Manamgent stellen. Beispielsweise kann ein Joint Venture<br />
durch spätere Zutritte mit dem Thema Wachstum konfrontiert werden, es können<br />
aber auch Fragen der Systemzugehörigkeit z.B. durch unklar definierte System-<br />
grenzen aufgeworfen werden. D.h., dass die aufgeführten <strong>Wandel</strong>anlässe durchaus<br />
nicht trennscharf zuzuordnen sind.<br />
Beispielhafte<br />
<strong>Wandel</strong>anlässe<br />
Unternehmenszusammenschlüsse,<br />
Outsourcing, Projekte,<br />
Netzwerke, temporäre<br />
Organisationsformen<br />
Organisationsformen<br />
Kooperationen, Allianzen<br />
Akquisitionen, Joint Ventures,<br />
Gründung Gründung und und Umgang Umgang mit mit<br />
neuen neuen Geschäftsfeldern, Geschäftsfeldern, Spin Spin -Offs<br />
Krisen, Umstrukturierungen,<br />
Phasen besonderen Einsatzes<br />
Kosteneinsparungsprogramme,<br />
Kosteneinsparungsprogramme<br />
Kosteneinsparungsprogramme,<br />
Kosteneinsparungsprogramme<br />
Kosteneinsparungsprogramme,<br />
Kosteneinsparungsprogramme<br />
ERP, ERP, Shared Shared Service,<br />
Service,<br />
Faster Faster Time Time to to Market<br />
Market<br />
...betreffen...<br />
Systemorientierung<br />
Unterscheidung Innen Innen--Außen<br />
Innen Innen--Außen -Aussen -Außen -Aussen -Außen -Aussen<br />
(Zugehörigkeitsorientierung)<br />
(Zugehörigkeitsorientierung)<br />
Zeitliche Zeitliche Reihenfolge<br />
Reihenfolge<br />
(interorganisationale (Wachstumsorientierung) Strukturbildung)<br />
Gründung neuer Teil -Systeme<br />
(Fortpflanzungsorientierung)<br />
Einsatz für das Ganze<br />
(Immunkraftbildung)<br />
Systemleistung und -fähigkeiten<br />
(Outputorientierung)<br />
Systemherausforderung<br />
...erfordern... bzgl. Identität<br />
Abbildung 101: Bruchstellen der Identitätsbildung strategischer <strong>Prozess</strong>e<br />
Management der<br />
Systemgrenze<br />
Management Management des<br />
Systemwachstums<br />
Management der<br />
Systemfortpflanzung<br />
Management Management der<br />
Krisenbewältigung<br />
Management<br />
des<br />
Systemoutput<br />
Systemoutputs<br />
Systemoutput<br />
Systemoutputs<br />
Systemoutput<br />
Systemoutputs<br />
Systemoutput<br />
Systemoutputs<br />
Im Folgenden werden die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen <strong>Wandel</strong>an-<br />
lässen, Systemorientierungen und Herausforderungen an das Management<br />
beschrieben:<br />
807 Vgl. zur Systemorientierung und den damit einhergehenden Systemprinzipien Varga von Kibéd und Sparrer,<br />
2000a sowie in dieser Arbeit Kap. 4.2.7. Die Differenzierung verschiedener Systemtypen nach ihrer<br />
jeweiligen Systemorientierung geht auf Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer zurück.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Die in dieser Arbeit behandelten Unternehmenszusammenschlüsse, aber auch Out-<br />
sourcing-<strong>Prozess</strong>e bedeuten aus systemischer Sicht die Hinzunahme oder den Aus-<br />
schluss von Systemteilen und damit eine Veränderung der Systemgrenze. Die Unter-<br />
scheidung systemeigen/systemfremd im Rahmen der Systemgrenzziehung birgt aller-<br />
dings unmittelbare Konsequenzen für die Zugehörigkeit und die Identität der Organi-<br />
sation. Die Zugehörigkeit, die mit dieser Innen-Aussen Unterscheidung definiert wird,<br />
wird damit in Frage gestellt. Ein Management der Systemgrenze muss u.a. darin be-<br />
stehen, dass transparente Ein- und Ausstiegsrituale in die Organisation vollzogen<br />
werden, welche die Systemgrenze und damit die Zugehörigkeit deutlich markieren. 808<br />
Kooperationen, Allianzen, Akquisitionen und Joint Ventures stellen Beispiele der<br />
Strukturbildung zwischen Organisationen dar. Hier besteht ein Abstimmungsbedarf<br />
bzgl. der Positionierung der einzelnen Beteiligten im neu gebildeten System. Die<br />
wechselseitigen Beziehungen haben einen wichtigen Einfluss auf die Identität sowohl<br />
der einzelnen Beteiligten <strong>als</strong> auch des gesamten Systems. Studien zeigen, dass der<br />
Erfolg und das Wachstum solcher Zusammenschlüsse vor allem vom Vertrauen und<br />
dem „relational capital“ abhängen. 809 Systemischer betrachtet scheint vor allem die<br />
Frage der zeitlichen Reihenfolge, wann ein Partner in eine Kooperation getreten ist,<br />
sowie die Anerkennung der längeren Zughörigkeit von besonderer Bedeutung für die<br />
weitere Zusammenarbeit und das weitere Wachstum des Systems zu sein.<br />
Auch für neue Geschäftssegmente, wie das in dieser Studie beschriebene PFC, gilt<br />
dieser Zusammenhang. Die älteren Segmente erfahren durch die Gründung und das<br />
Heranwachsen eines neuen Segments einen Platzverlust. Dies kann u.U. bis zum Ver-<br />
lust von Kunden oder der allmählichen Kannibalisierung des traditionellen Geschäfts<br />
gehen.<br />
Die Herausforderung für das Management der Systemfortpflanzung besteht in diesem<br />
Zusammenhang nicht nur im Hinblick auf die Klärung der Verhältnisse der Beteiligten<br />
zueinander; sondern es sollte vor allem die Anerkennung der alten Segmente durch die<br />
jungen Segmente deutlich werden. Die Wertschätzung bedeutet dann einen Ausgleich<br />
für den Platzverlust im System. Das weitere Wachstum des Systems und die<br />
Kooperation zwischen den Segmenten wird somit gefördert durch die Anerkennung<br />
808 Vgl. zur Bedeutung von Ritualen u.a. Rüegg-Stürm und Lukas, 2001.<br />
809 Vgl. zur Zusammenarbeit in strategischen Allianzen sowie die Bedeutung des wechselseitigen Verhältnisses<br />
der Partner Chung, et al., 2000;Kale, et al., 2000.<br />
387
388<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
und nicht die Abwertung der bestehenden Segmente. Erst diese Wertschätzung<br />
ermöglicht es, auch weiterhin neue Segmente auf Kosten der älteren hinzuzunehmen.<br />
Bevor neue Segmente allerdings <strong>als</strong> gleichberechtigte Systemelemente wahrge-<br />
nommen werden, stellen sie i.d.R. erst einmal strategische Wachstumsinitiativen dar,<br />
die u.U. eher experimentellen Charakter haben. Diese Gründung neuer Teilsysteme<br />
oder Geschäftssegmente beinhaltet eine doppelte Herausforderung: Einerseits<br />
brauchen diese Initiativen häufig ein up-front Investment, das sie nicht aus sich heraus<br />
erwirtschaften können, sondern das aus den Ressourcen der Gesamtorganisation<br />
heraus bereitgestellt werden muss. Andererseits ist es für die Identitätsbildung des<br />
neuen Segments häufig wichtig, sich gegenüber dem alten System in gewisser Weise<br />
abzugrenzen.<br />
Die Managementherausforderung in dieser Phase der Fortpflanzung besteht darin, den<br />
teilweise existentiell wichtigen Bezug zur Gesamtorganisation zu ermöglichen ohne<br />
jedoch die frühe Phase eigener Identitätsbildung des neuen Systems zu verhindern. 810<br />
Eine weitere Bruchstelle in der Entwicklung organisationaler Identität stellen Um-<br />
strukturierung, Krisen und sonstige Phasen besonderen Einsatzes für das Ganze in<br />
einer Organisation dar. Ihre Bedeutung liegt zum einen darin, dass in ihnen die<br />
Identität der Organisation besonders zum Ausdruck kommt und explizit wird.<br />
WHETTEN weist sinngemäß darauf hin, dass man die Identität einer Organisation erst<br />
dann kennt, wenn man sie schreien sieht. 811<br />
Wichtiger im Zusammenhang mit dem Management organisationaler Identität ist<br />
allerdings, dass Krisen charakterbildende Erfahrungen in der Geschichte einer Organi-<br />
sation darstellen. Dabei kommt es weniger auf das Verhalten selbst an, <strong>als</strong> vielmehr<br />
auf die Art und Weise wie Krisen nachträglich interpretiert werden und wie mit den<br />
Ressourcen, die zur Überwindung der Krise beigetragen haben, umgegangen wird.<br />
810 Matthias Varga von Kibéd macht mit einem Beispiel aus dem Familiensystem auf die Nahtstelle zwischen<br />
den beiden Prinzipien aufmerksam: Am Beispiel eines jungen Babys, das Vorrang vor seinen Geschwistern<br />
genießt, solange es noch sehr bedürftig ist, wird deutlich, dass junge Systeme in einer ersten Phase <strong>als</strong><br />
eigenes System gesehen werden und erst in einem nächsten Schritt <strong>als</strong> Teil oder Element eines größeren<br />
Systems. In der Familie findet dieser Übergang statt, wenn sich das jüngste Geschwister in die Reihe der<br />
Geschwister einreiht und keinen Vorrang mehr vor den älteren genießt. Analog ist auch der <strong>Prozess</strong> bei der<br />
Entwicklung neuer strategischer Geschäftsfelder zu sehen. Vgl. zur Balance von Unabhängigkeit und<br />
Bezogenheit neuer Geschäftsbereiche Day, et al., 2001.<br />
811 Vgl. Reger, 1998.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Organisationen, die in diesem Sinne achtbar mit dem besonderen Einsatz zur Über-<br />
windung solcher Krisen umgegangen sind, sind in der Regel stärker, wenn sie erneut<br />
Krisen bewältigen müssen. Ein Management der Krisenbewältigung sollte daher vor<br />
allem mit dem besonderen Einsatz wertschätzend umgehen.<br />
Eine letzte Form organisationaler Bruchstellen sind Anstrengungen in Form<br />
besonderer Leistungen sowie das zur Verfügung stellen besonderer Fähigkeiten<br />
beispielsweise im Bereich der internen Wertschöpfung. Allerdings implizieren solche<br />
Anstrengungen, zur Ergebnisverbesserung, wie z.B. Kosteneinsparungsprogramme<br />
sowie Anstrengungen, Synergieeffekte zu nutzen, den Gewinn oder die Rentabilität zu<br />
erhöhen, häufig auch größere Veränderungen der Organisationsstruktur und damit der<br />
organisationalen Identität. Beispiele sind die auch in dieser Arbeit wiederholt genann-<br />
ten ERP, Shared Service Programme aber auch Programme wie „faster time to<br />
market“. 812<br />
Da Unternehmen i.d.R. nicht nur auf den puren Weiterbestand, sondern auf<br />
zunehmend effektivere Leistungserbringung und Fähigkeitsentwicklung angewiesen<br />
sind, ist die Outputorientierung von enormer Bedeutung. Ein Management der System-<br />
leistung und -fähigkeiten muss die Erbringung von Leistungen und die Entwicklung<br />
von Fähigkeiten z.B. durch entsprechende Strukturen und Anreize daher aktiv unter-<br />
stützen.<br />
Betrachtet man nun diese fünf idealtypischen Bruchstellen organisationalen <strong>Wandel</strong>s,<br />
so kann man feststellen, dass in der Praxis häufig eine Verwechslung der verschie-<br />
denen Ebenen stattfindet. So werden z.B. Fragen der Zugehörigkeit vermischt mit<br />
Fragen der Leistungsfähigkeit einer Organisation. Das beschriebene ERP-Projekt stellt<br />
in diesem Sinne ein positives Beispiel dar, indem hier der Etablierung der System-<br />
grenzen im Anschluss an die beiden Merger Vorrang und Zeit gegeben wurde, bevor<br />
man sich Fragen der Steigerung der Leistungsfähigkeit zuwandte. Somit wurden<br />
Konflikte hinsichtlich der Zugehörigkeit nicht auf dem Feld der Geschäftsprozess-<br />
modellierung und -optimierung ausgetragen.<br />
Leider wurde diese intelligente Vorgehensweise nicht mehr bei dem Nachfolgeprojekt<br />
(Shared Service) angewandt. Hier waren die Zutaten bereit für eine ordentliche Ver-<br />
mengung von Fragen sozialer und technischer Logik. D.h. obwohl das Projekt faktisch<br />
812 Vgl. zur Untersuchung eines „faster time to market“ Programms Rüegg-Stürm, 2002.<br />
389
390<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
auf einen teilweisen Zusammenschluss von zwei Firmen hinauslief und sich somit<br />
Fragen der Zugehörigkeit stellten, wurde ausschließlich die Systemleistung<br />
thematisiert. Nötig wären hier evtl. andere – nicht zeitbezogene – Formen der Unter-<br />
scheidung der verschiedenen <strong>Wandel</strong>themen bzw. –ebenen, um verschobene Konflikte<br />
und das Ausagieren von Zugehörigkeitsfragen in Diskussionen, in denen es eigentlich<br />
um Systemspezifikationen geht, zu vermeiden.<br />
Auch das hier vorgestellte Bruchstellenkonzept steht unter dem Primat konstruk-<br />
tivistischer Erkenntnisgewinnung, d.h. die Bruchstellen sind keineswegs objektiv<br />
gegeben, sondern werden von den Beteiligten konstruiert. Allerdings liefert das<br />
Modell mit den ihm zugrundeliegenden Systemprinzipien eine Systematisierung der<br />
Herausforderungen, die bei der Gestaltung solcher <strong>Wandel</strong>prozesse auftreten können.<br />
Managementhandeln <strong>als</strong> systemische Intervention verstanden sollte sich daher an den<br />
Systemprinzipien orientieren, weil sie die Anschlussfähigkeit im Sinne einer zeitlichen<br />
oder historischen Fortsetzung garantieren. Die Beachtung der Systemprinzipien erhöht<br />
gewissermaßen die Wahrscheinlichkeit, daß die Interventionen oder Veränderungs-<br />
initiativen von der Organisation <strong>als</strong> mit den bisherigen Routinen vereinbar wahrge-<br />
nommen wird und nicht wie ein fremdes Organ abgestoßen wird.<br />
Entscheidend wird somit die Frage, inwieweit die Handlungen im Rahmen des organi-<br />
sationalen <strong>Wandel</strong>s <strong>als</strong> anschlussfähige Handlungen eingestuft werden und damit an<br />
den bisherigen Handlungsstrom anknüpfen oder nicht. Damit stellt sich eine zentrale<br />
Frage für das Management des <strong>Wandel</strong>s: Wie kann an den beschriebenen Bruchstellen<br />
der Anschluss neuer strategischer Inhalte an die bestehenden Identitätsstrukturen<br />
gewährleistet werden? Wie kann <strong>als</strong>o die Zukunft mit Vergangenheit verbunden wer-<br />
den?<br />
8.3 Zurück in die Zukunft oder retrospektive Identitätsbildung –<br />
praktische Implikationen <strong>identitätsbildender</strong> <strong>Prozess</strong>e<br />
Im folgenden Kapitel werden Gestaltungsmöglichkeiten für ein Management organi-<br />
sationaler Identitätsbruchstellen aufgezeigt. Diese Gestaltungsmöglichkeiten stellen<br />
praktische Implikationen der bisher untersuchten <strong>Wandel</strong>prozesse dar und lehnen sich<br />
insbesondere an lösungsorientierte Interventionsansätze und Überlegungen an. Sie
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
können <strong>als</strong> Metafähigkeiten verstanden werden, die in sehr konkreten Mikropraktiken<br />
zum Ausdruck kommen. 813<br />
8.3 Praktische Implikationen<br />
Identitätsbildender <strong>Prozess</strong>e<br />
8.1 Vom <strong>Wandel</strong> der Organisation<br />
zur Organisation des <strong>Wandel</strong>s<br />
8.2 Bruchstellen des<br />
organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />
8.5 Fazit: Identität und<br />
Post-Merger-Integration<br />
Abbildung 102: Übersicht über Kapitel 8<br />
8.4 Theoretische Implikationen<br />
Identitätsbildender <strong>Prozess</strong>e<br />
Den nun geschilderten Gestaltungsmöglichkeiten liegt eine prozessuale Auffassung<br />
organisationaler Identität zugrunde, die eng verbunden ist mit der Vorstellung der<br />
path-dependency und des kontinuierlichen Erlebensstroms organisationalen Handelns.<br />
Diese Vorstellung kam bereits im Rahmen des fünfphasigen <strong>Prozess</strong>modells und auch<br />
des Bruchstellenmodells zum Ausdruck. 814 An dieser Stelle sollen nicht die einzelnen<br />
Phasen des <strong>Prozess</strong>modells (Ausgangspunkt, Ziel, <strong>Prozess</strong> der Einbeziehung, Unter-<br />
schiede, Reflexion) wiederholt werden. Vielmehr sollen aus dem Modell heraus<br />
Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie auftauchende Bruchstellen des organisationalen<br />
<strong>Wandel</strong>s so gestaltet werden können, dass die neue Identität anschließen kann an die<br />
bestehenden Wirklichkeitsmodelle der Organisation.<br />
Die Fähigkeit, neue Situationen und Ereignisse in die bestehende Identität zu integrie-<br />
ren, hängt vor allem von der „Erfindung“ sinnvoller Verknüpfungen ab. Sinn- und<br />
Identitätsbildung in Phasen organisationalen <strong>Wandel</strong>s kann verstanden werden <strong>als</strong> die<br />
813 Vgl. u.a. de Shazer, 1994;de Shazer, 1995;Jackson und McKergow, 2002.<br />
814 Vgl. Kap. 7.2. und 8.2.<br />
391
392<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
nachträgliche plausible Re-Konstruktion der Organisationsgenese. Die <strong>Wandel</strong>-<br />
prozesse werden dabei durch Geschichten, die zur gewählten Form der Gestaltung<br />
geführt haben, von ihrer Mehrdeutigkeit befreit. Die Herausforderung für das<br />
Management besteht deshalb darin, Sinn zu stiften, d.h. die Sinngebung und<br />
Identitätsgebung der Organisation zu unterstützen. 815<br />
WEICK vergleicht diese Sinngebung in Organisationen mit einer Karriereplanung, bei<br />
der die gewöhnlichen Handlungsfolgen i.d.R. nicht karrieregeplant sind, sondern erst<br />
im nachhinein karriereinterpretiert werden. 816<br />
GARFINKEL formuliert diesen Zusammenhang wie folgt:<br />
„Anstelle der Ansicht, dass Entscheidungen so getroffen werden, wie es die Umstände<br />
erfordern, muss eine alternative Formulierung in Betracht gezogen werden. Sie<br />
besteht in der Möglichkeit, dass die Person die getroffenen Entscheidungen erst im<br />
nachhinein definiert. Das Ergebnis kommt vor der Entscheidung... . Die Ent-<br />
scheidungsregeln im Alltagsleben... könnten sich in viel stärkerem Maß mit dem<br />
Problem beschäftigen, den Ergebnissen ihre legitime Geschichte zuzuschreiben, <strong>als</strong><br />
mit dem Problem, vor dem tatsächlichen Anlass zur Wahl zu entscheiden, unter<br />
welchen Bedingungen einer von mehreren möglichen Handlungsabläufen gewählt<br />
werden wird.“ 817<br />
Eine Reihe von Experimenten zeigt, dass die Sinngebung je nach der zeitlichen Ver-<br />
ortung eines Ereignisses durch eine prospektive oder retrospektive Vorgehensweise<br />
deutlich variiert. So ergeben sich beispielsweise deutliche Unterschiede bei der Auf-<br />
gabe „Auf der Straße Nr. 89 ist ein Unfall passiert. Beschreiben Sie ihn!“ und „auf der<br />
Straße Nr. 89 wird ein Unfall passieren. Beschreiben Sie ihn!“ 818<br />
Solche und ähnliche Experimente ergaben deutliche Unterschiede in der Bestimmtheit<br />
im Detail, der Ausführlichkeit der Schilderung, der Vielfältigkeit und dem phantas-<br />
tischen Denken. WEICK schließt hieraus, dass die retrospektive Sinngebung offen-<br />
815 Vgl. Weick, 1985a. Gioia und Chittipetti sprechen in einem ähnlichen Sinne von Sensemaking und<br />
Sensegiving. Allerdings liegt ihrem Konzept ein deutlich entitatives Kommunikationsverständnis zugrunde<br />
Gioia und Chittipeddi, 1991.<br />
816 Vgl. Weick, 1976a.<br />
817 Vgl. Garfinkel, 1967 deutsch zitiert nach Weick, 1985a.<br />
818 Vgl. Weick, 1985a.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
sichtlich wesentlich leichter fällt, <strong>als</strong> die prospektive. Die vollzogene Verortung in der<br />
abgeschlossenen Zukunft (zweites Futur) führt demnach zu einer leichteren Sinn-<br />
findung.<br />
Bei der retrospektiven Vorgehensweise ist das Ereignis festgelegt und man arbeitet<br />
sich von dort aus weiter zurück, um die Entstehung eines Ereignisses zu beschreiben.<br />
„Das zukünftige Ereignis ist besser zu verstehen, weil Sie sich wenigstens eine voran-<br />
gehende Reihe von Mitteln zu seiner Hervorbringung vor Augen stellen können. Die<br />
Bedeutung jenes Ziels ist diese Reihe von Mitteln zu seiner Hervorbringung.“ 819<br />
Neben dieser verbesserten Vorstellung und der leichteren Sinngebung erhöht die<br />
Formulierung im zweiten Futur auch die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Um-<br />
setzung: Schritte, die in der Vergangenheit schon einmal erfolgreich ausgeführt<br />
wurden, können in die Gegenwart sozusagen importiert werden.<br />
Fähigkeiten, in der Zukunft zu denken und diese differenziert zu gestalten, sind aller-<br />
dings für Manager allgemein und insbesondere für die Bewältigung von strategischem<br />
<strong>Wandel</strong> von außerordentlicher Bedeutung. 820<br />
Hinweise zur praktischen Form der Umsetzung bieten vor allem lösungsorientierte<br />
Ansätze, wie sie von DE SHAZER und KIM BERG entwickelt und zunehmend mehr im<br />
Kontext der Organisationsberatung eingesetzt werden. 821 Auch die von SPARRER und<br />
VARGA VON KIBÉD entwickelten Strukturaufstellungen ermöglichen die retrospektive<br />
Bearbeitung zukünftiger Ziele und Szenarien. 822 Es handelt bei beiden Vorgehens-<br />
weisen um Interventionen, die gewissermaßen eine Pseudoprojektion in die Zukunft,<br />
ein „Beamen“ in den zukünftigen Zustand, unterstützen. So können die wesentlichen<br />
Stationen des Phasenmodells, wie der Ausgangs- und der zukünftige Zustand, sowie<br />
relevante Unterschiede zwischen dem Ausgangszustand und dem Zielzustand bear-<br />
beitet und der Reflexion zugänglich gemacht werden.<br />
819 Vgl. ebenda.<br />
820 Vgl. Ascher, 1978. Dem Thema ist mit dem „Journal of Forecasting“ mittlerweile auch eine eigene<br />
wissenschaftliche Zeitschrift gewidmet.<br />
821 Vgl. de Shazer, 1994;de Shazer, 1995;Jackson und McKergow, 2002. Vgl. Auch die Literatur zum Thema<br />
Appreciative Inquiry.<br />
822 Vgl. Sparrer, 2001;Varga von Kibéd und Sparrer, 2000a.<br />
393
394<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Wie kann nunmehr die Architektur strategischer <strong>Wandel</strong>prozesse aussehen, die diesem<br />
retrospektiven Denken dem zweiten Futur entsprechen?<br />
Lösungsorientierte Ansätze gehen von einem Ausgangszustand aus, der i.d.R. von<br />
einem Problem geprägt ist. Die Grundlage des <strong>Prozess</strong>es bildet eine kurze Be-<br />
schreibung der Ausgangssituation – keine umfangreiche Analyse der Problemur-<br />
sachen. Aufbauend auf dieser Beschreibung kann durch verschiedene Möglichkeiten<br />
der angestrebte Zustand, das Ziel im Modus des Futur zwei, differenziert dargestellt<br />
werden. Fragen zur Identifizierung des angestrebten Zustands im Futur zwei lauten<br />
z.B. „Angenommen, das Problem ist gelöst, was wäre dann anders?“ oder „Ange-<br />
nommen, das Ziel ist erreicht, was wäre dann anders?“<br />
A B<br />
Der Ausgangspunkt A<br />
Der erwarteteZustand B<br />
z.B. Wann war in der<br />
z.B. Angenommen, dass B<br />
Vergangenheit schon<br />
erreicht ist ... (Wunderfrage)<br />
einmal etwas von B<br />
erreicht? (Ausnahme)<br />
relevante Unterschiede<br />
z.B. Wenn A nun 0 wäre und B gleich 10,<br />
was wäre bereits eine deutliche Veränderung?<br />
Was wäre dann anders?<br />
(Skalierung relevanter Unterschiede)<br />
Abbildung 103: Möglichkeiten der retrospektiven <strong>Wandel</strong>arbeit<br />
Um im <strong>Prozess</strong> den zukünftigen Zustand zu erreichen, existieren oftm<strong>als</strong> bereits über-<br />
sehene Ressourcen, Fähigkeiten, Wissen u.a., die bei der Erreichung des erwarteten<br />
Zustands behilflich sein können. Die Identifizierung der Ressourcen kann unterstützt<br />
werden durch Fragen wie „Wann war in der Vergangenheit schon einmal etwas von<br />
dem Ziel erreicht bzw. das Problem gelöst?“
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Häufig sind Probleme in der Vergangenheit zwar noch nicht gänzlich gelöst, aber<br />
Teilerfolge bereits erzielt worden. Diese können dann beispielsweise auf einer Skala<br />
von 0 bis 10 skaliert werden: „Angenommen, 10 steht für den erwünschten Zustand<br />
und 0 für den Zustand <strong>als</strong> das Problem am schlimmsten war. Wo stehen Sie jetzt?“<br />
oder „Auf welchem Punkt in der Skala wäre eine spürbare Verbesserung erreicht? Was<br />
ist da anders?“. Damit werden relevante Unterschiede ermittelt bzw. die Aufmerks-<br />
amkeit auf diese Unterschiede gelenkt. Im strukturationstheoretischen Sinne bieten<br />
sich dadurch Möglichkeiten, nicht erkannte Handlungsvoraussetzungen und nicht<br />
intendierte Handlungskonsequenzen transparent zu machen.<br />
Im Rahmen der hier diskutierten identitätsbildenden <strong>Prozess</strong>e unterstützen diese und<br />
ähnliche Ansätze aus dem Bereich der systemischen Beratung die Verortung im<br />
zukünftigen Bild der Organisation. Es wird ein Schritt in die Zukunft vollzogen und<br />
aus retrospektiver Sicht eine differenziertere und klarere Vorstellung von der zukünf-<br />
tigen Situation entwickelt. Ein Sensemaking seitens der Führung im strategischen<br />
<strong>Wandel</strong> sollte sich daher stärker auf „Futur-zwei-Logiken“ stützen, wie sie lösungs-<br />
orientierte Ansätze und ansatzweise auch die Change Impact Analysis beinhalten.<br />
Ein solcher lösungs- und ressourcenorientierter Dialog mit den Veränderungsstake-<br />
holdern kann zur Dekonstruktion der taken-for-granted assumptions und anschließend<br />
zur Rekonstruktion der Organisation anlässlich strategischer Projekte führen. Ein<br />
<strong>Wandel</strong> der organisationalen Identität muss dann allerdings mit konkreten Handlungen<br />
von strategischer Bedeutung verbunden sein.<br />
Dem theoretischen Zusammenhang zwischen Handlung, Struktur und Identität widmet<br />
sich das folgende Kapitel.<br />
8.4 Handlung, Struktur und Identität – theoretische Implikationen<br />
<strong>identitätsbildender</strong> <strong>Prozess</strong>e<br />
In diesem Kapitel werden die theoretischen Implikationen der Beobachtungen und<br />
Interpretationen zu identitätsbildenden <strong>Prozess</strong>en in Form eines Modells zusammen-<br />
geführt. Die Ergebnisse werden dabei in Bezug gesetzt zu zwei angrenzenden<br />
Modellen mit deutlich ungleichem theoretischen Hintergrund.<br />
Die vorliegende Arbeit zum organisationalen <strong>Wandel</strong> basiert mit der system-<br />
theoretischen und der strukturationstheoretischen Positionierung auf sich teilweise<br />
395
396<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
überschneidenden, teilweise aber auch unterschiedlichen theoretischen Konzepten. 823<br />
Für den Themenbereich der <strong>Wandel</strong>phänomene gilt, dass diese aus system-<br />
theoretischer Sicht vor allem mit Hilfe von Mehrebenenmodellen erklärt werden, wie<br />
sie z.B. BATESON und ARGYRIS/SCHÖN beschreiben. Dagegen wird aus Sicht der<br />
Strukturationstheorie in diesem Zusammenhang besonders die Dualität von Handlung<br />
und Struktur diskutiert. 824<br />
8.3 Praktische Implikationen<br />
Identitätsbildender <strong>Prozess</strong>e<br />
8.1 Vom <strong>Wandel</strong> der Organisation<br />
zur Organisation des <strong>Wandel</strong>s<br />
8.2 Bruchstellen des<br />
organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />
8.4 8.4 Theoretische Praktische Implikationen<br />
Implikationen<br />
Identitätsbildender Identitätsbildender <strong>Prozess</strong>e<br />
<strong>Prozess</strong>e<br />
8.5 Fazit: Identität und<br />
Post-Merger-Integration<br />
Abbildung 104: Überblick über Kapitel 8<br />
Gemeinsam ist beiden Ansätzen, dass die Herausforderungen in der Bewältigung<br />
organisationalen <strong>Wandel</strong>s vor allem im <strong>Wandel</strong> von Strukturen, von Mustern oder<br />
Routinen gesehen werden. HANDY betont die Notwendigkeit des Bestehens der<br />
Strukturen, aber gleichzeitig auch deren <strong>Wandel</strong>. Eine Paradoxie im Umgang mit<br />
solchen Mustern ergibt sich nach seiner Meinung daraus, dass sie häufig Erfolgs-<br />
rezepte der Vergangenheit darstellen und damit bereits den Keim für das Scheitern in<br />
der Zukunft beinhalten. 825<br />
Wie können nun spezifische <strong>Wandel</strong>modelle zur Veränderung solcher Strukturen und<br />
im Speziellen der Identitätsstrukturen aussehen? REGER ET AL. unterscheiden in ihrem<br />
Mehrebenenmodell drei verschiedene <strong>Wandel</strong>ebenen. Auf der ersten Ebene geht es um<br />
den <strong>Wandel</strong> von Handlungen, auf der zweiten Ebene um den <strong>Wandel</strong> der Theorie der<br />
823 Für eine ausführliche Differenzierung der beiden Ansätze siehe vor allem Reckwitz, 1997a; Reckwitz, 1997b.<br />
824 Vgl. Kap. 5.1.5 und Kap. 4.1.<br />
825 Vgl. Handy, 1998.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Handlungen und schließlich auf der dritten Ebene um den <strong>Wandel</strong> der Identität der<br />
Organisation. 826<br />
Dies entspricht dem Modell von BATESON, welches menschliches Lernen nach ver-<br />
schiedenen logischen Typen klassifiziert. Die hierarchische Art, wie die Beziehung der<br />
verschiedenen Ebenen zueinander in der Regel formuliert werden, nämlich dass die<br />
höhere Ebene die Informationen der darunter liegenden Ebenen organisiert, ist von<br />
Bateson selbst skeptisch gesehen worden: „Das in diesem Aufsatz diskutierte Modell<br />
geht stillschweigend davon aus, dass die logischen Typen in Form einer einfachen,<br />
unverzweigten Stufenleiter angeordnet werden können ... Aber die Welt des Handelns,<br />
der Erfahrung, der Organisation und des Lernens lässt sich nicht vollständig auf ein<br />
Modell abbilden, das Aussagen über die Relation zwischen Mengen von verschiedenen<br />
logischen Typen ausschließt.“ 827 Nach BATESON wird die „niedrigere“ Ebene nicht<br />
durch die „höhere“ Ebene determiniert, sondern es besteht eine wechselseitige Be-<br />
ziehung: „Bei der Erklärung des Modells für den Leser musste in einer Richtung vor-<br />
gegangen werden, innerhalb des Modells wird jedoch angenommen, dass die höheren<br />
Ebenen die niedrigeren erklären und vice versa.“ 828<br />
Das Verhältnis zwischen den Ebenen des <strong>Wandel</strong>s der Handlungen und der Theorie<br />
der Handlungen ist damit systemisch wie auch strukturationstheoretisch <strong>als</strong> rekursiv zu<br />
beschreiben. Mit der Einführung der Identität <strong>als</strong> einer wesentlichen Einflussgröße im<br />
<strong>Prozess</strong> des <strong>Wandel</strong>s ergibt sich allerdings eine neue rekursive Beziehung, wie sie im<br />
Prinzip bereits zwischen der Handlung und der Theorie der Handlung besteht, aller-<br />
dings auf einer nächsthöheren Ebene.<br />
Entgegen des bisweilen angenommenen hierarchischen Verhältnisses zwischen jeweils<br />
über- und untergeordneten Ebenen soll bei dem im Folgenden gezeigten Modell die<br />
Gleichrangigkeit und das rekursive Verhältnis zwischen Handlung, Struktur und<br />
Identität im Sinne von Giddens stärker zum Ausdruck kommen. Demnach zeigt sich in<br />
einer neuen Handlung eine neue Struktur und eine neue Identität. Umgekehrt er-<br />
möglicht aber auch eine neue Identität neue Theorien der Handlung und neue<br />
Handlungen.<br />
826 Vgl. Reger, et al., 1998.<br />
827 Vgl. Bateson, 1981.<br />
828 Vgl. ebenda.<br />
397
398<br />
First Order:<br />
Change in<br />
Action<br />
Second Order:<br />
Change in Theory<br />
of Action (Strategy)<br />
Third Order:<br />
Change in Theory<br />
of Being (Identity)<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Change in Theory<br />
of Being (Identity)<br />
Change in<br />
Action Change in Theory<br />
of Action (Strategy)<br />
Abbildung 105: Handlung, Struktur und Identität aus system- und strukturationstheoretischer Sicht 829<br />
Diese Modellierung <strong>identitätsbildender</strong> <strong>Prozess</strong>e bringt die Rekursivität von Handlung,<br />
Struktur und Identität deutlicher zum Ausdruck und verzichtet auf die möglicherweise<br />
missverständliche Mehrebenenbetrachtung. Damit verbieten sich allerdings auch<br />
linear-kausale Beschreibungen oder gar Erklärungen, wie sie zu dem Zusammen-<br />
wirken von Strategie und Struktur etwa von CHANDLER („structure follows strategy“)<br />
gemacht worden sind. 830<br />
Die Enthierarchisierung bedeutet allerdings nicht, dass die drei Aspekte im gleichen<br />
Maße dem Management des organisationalen <strong>Wandel</strong>s zugängig sind. Die hier<br />
beschriebenen empirischen Ergebnisse, wie auch weite Teile der Literatur, weisen<br />
deutlich auf die besonderen Schwierigkeiten der Veränderung organisationaler<br />
Strukturen und Identitäten hin 831 .<br />
Allerdings führen diese Überlegungen wie auch vor allem die abnehmende Planbarkeit<br />
strategischer Veränderungen zu einer stärkeren Verschmelzung von strategischem<br />
Management und Organisationstheorie. Die in der Strategieliteratur zunehmend mehr<br />
diskutierte Konvergenzthese von Strategie- und Organisationsforschung führt dazu,<br />
dass mehr und mehr routinisierte soziale Praktiken im Zentrum des strategischen<br />
Interesses stehen. Nur über solche Strukturen können die Herausforderungen, die laut<br />
SCHREYÖGG heute im Zentrum des strategischen Managements stehen, nämlich die<br />
829 Zum Ebenenmodell der Identitätsbildung vgl. Reger, et al., 1998.<br />
830 Vgl. Chandler, 1962.<br />
831 Vgl. z.B. Beer, et al., 1990; Rüegg-Stürm, 2000.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Auseinandersetzung mit der (Un-)Planbarkeit von Unternehmen und die Suche nach<br />
alternativen strategischen Steuerungsmodellen, gelöst werden. 832<br />
Die Frage lautet <strong>als</strong>o, was steuert die Steuerungsgrößen oder weniger hierarchisch<br />
gefragt: Welche Faktoren stehen im rekursiven Verhältnis und prägen die theories of<br />
action? Die organisationale Identität scheint ein heißer Anwärter auf eine maßgebliche<br />
Rolle zu sein, ist sie doch nach den hier untersuchten <strong>Wandel</strong>prozessen ein hochgradig<br />
selbstreferentieller Strukturfaktor bei der Bewältigung des strategischen <strong>Wandel</strong>s. Eine<br />
wandelfähige Organisation, sollte daher neben ihren Formalprozessen eben solche<br />
impliziten Strukturen bereitstellen, welche die emergenten <strong>Prozess</strong>e in einer<br />
Organisation und ihren strategischen <strong>Wandel</strong> unterstützen. 833<br />
8.5 Fazit: Identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e in Post-Merger-Phasen<br />
8.3 Praktische Implikationen<br />
Identitätsbildender <strong>Prozess</strong>e<br />
8.1 Vom <strong>Wandel</strong> der Organisation<br />
zur Organisation des <strong>Wandel</strong>s<br />
8.2 Bruchstellen des<br />
organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />
8.4 Theoretische Implikationen<br />
Identitätsbildender <strong>Prozess</strong>e<br />
8.5 Fazit: Identität und<br />
Post-Merger-Integration<br />
Abbildung 106: Übersicht über Kapitel 8<br />
REGER resümiert den Stand der Forschung zur organisationalen Identität im Strategie-<br />
diskurs:<br />
832 Vgl. Schreyögg, 1999b.<br />
833 Vgl. Schreyögg, 1998; Schreyögg, 1999b.<br />
399
400<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
“There are opportunities for dissertation research that address the limits of managerial<br />
discretion in shaping identity at founding, during crisis and other change events, and in<br />
“normal“ times. Research that focuses on process of identity management and change is<br />
especially needed. This work is probably best done using intensive case studies and<br />
participant observation methods from anthropology. Work is <strong>als</strong>o needed that develops<br />
underlying theoretical rationales for typologies of situations and the characteristics of<br />
identities, that provide advantages or disadvantages in these situations. Here is area where<br />
large-scale, cross-organizational research might be most useful. 834<br />
Die vorliegende Arbeit versteht sich in diesem Sinne <strong>als</strong> Beitrag zur qualitativen Er-<br />
forschung strategischen <strong>Wandel</strong>s und organisationaler Identität an einer der schwie-<br />
rigsten und herausforderndsten organisationalen Bruchstellen. Das konstruktivistisch<br />
orientierte <strong>Prozess</strong>modell organisationaler Identität bildet dabei einen Orientierungs-<br />
rahmen, der beitragen kann, die Komplexität solcher <strong>Prozess</strong>e zu reduzieren sowie<br />
Ansatzpunkte zum systemischen Umgang mit der Rekursivität organisationaler Pro-<br />
zesse zu identifizieren.<br />
Vier Herausforderungen bleiben <strong>als</strong> Fazit der empirischen und theoretischen Betrach-<br />
tung bzgl. der identitätsbildenden Wirkung von strategischen <strong>Wandel</strong>prozessen in<br />
Post-Merger-Phasen:<br />
Erstens enthalten Post-Merger-Phasen unvermeidlich eine Menge an Paradoxien,<br />
Widersprüche und Dilemmata für die beteiligten Organisationen. Der gute Wille,<br />
bestimmte Herausforderungen einerseits ökonomisch besonders sinnvoll zu gestalten,<br />
stellt die Beteiligten auf der anderen Seite häufig vor unlösbare Widersprüche und<br />
Brüche mit bisherigen Routinen und <strong>Prozess</strong>en. Dies führt häufig zur resignierenden<br />
Feststellungen nach dem Motto: „Das ist nicht mehr meine Firma.“ 835<br />
Die darin zum Ausdruck kommende organisationale Heimatlosigkeit wird arbeits- und<br />
individualpsychologisch bisweilen <strong>als</strong> innere Kündigung interpretiert. Auf der organi-<br />
sationalen Ebene scheint es so, dass es den Organisationsmitgliedern bisweilen schwer<br />
fällt, sich in den neuen Identitätsstrukturen einer gemeinsamen Organisation zu veror-<br />
ten.<br />
Zweitens sind Post-Merger-Phasen stets von einer Reihe von strategischen Projekten,<br />
Integrationsbemühungen etc. geprägt. Diese führen unweigerlich zur Veränderung<br />
organisationaler Strukturen. Hier bestehen, nicht zuletzt aufgrund der vielen Berichte<br />
834 Vgl. Reger, 1998.<br />
835 Vgl. Interview I68, I14.
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
über Fusionen und häufig auch schon fusionserfahrenen Mitarbeitern, mittlerweile eine<br />
Menge kritischer Erwartungen und Unsicherheiten. Der erhöhte Kommunikations-<br />
bedarf seitens der Mitarbeiter trifft dabei häufig auf ein Management, das angesichts<br />
der hohen Komplexität und Dynamik solcher <strong>Prozess</strong>e diesem Bedürfnis zeitlich und<br />
beziehungsmäßig kaum nachkommen kann.<br />
Allerdings stellen die strategischen Projekte Strukturierungsprozesse dar, in denen die<br />
neuen integrierten Strukturen verfertigt werden. Hier existiert nicht nur die Möglich-<br />
keit, sondern besteht geradezu die Notwendigkeit zur aktiven Einbeziehung von<br />
Know-how Trägern. Somit ergibt sich die Chance, für die Beteiligten, aus dem<br />
<strong>Wandel</strong>prozess heraus prozessualle Sicherheit, Vertrauen und eine Vorstellung von der<br />
zukünftigen Identität der Organisation zu entwickeln.<br />
Drittens sind diese <strong>Prozess</strong>e stets durch zwei Dimensionen des Handelns und damit<br />
auch zwei verschiedene Logiken geprägt: Die inhaltlich-analytischen Aspekte wie z.B.<br />
die informationstechnischen, betriebswirtschaftlichen oder planerischen<br />
Anforderungen und die sozial-kommunikativen Anforderungen. Die inhaltlichen<br />
Anforderungen sind dabei i.d.R. aufgrund des umfangreichen Expertenwissens und<br />
Fähigkeiten der Beteiligten selten erfolgskritisch. Dagegen kommt es im Bereich der<br />
<strong>Prozess</strong>- und Beziehungsgestaltung, nicht zuletzt aufgrund der enormen Fokussierung<br />
aller Systembeteiligten auf die inhaltllichen Fragen, häufig zu Formen des kollektiven<br />
Ausblendens. Ausdruck dessen sind häufig Stellvertreterkriege auf den Schauplätzen<br />
angeblich sachlicher Auseinandersetzungen. Der Primat des Handelns und der Vorrang<br />
des Tagesgeschäfts verhindert dann die notwendige Vergesellschaftung von tiefer<br />
liegenden Sinnstrukturen und den Aufbau eines allseits geteilten und verbindenden<br />
neuen Orientierungswissens.<br />
Hier setzt viertens die eigentliche Führungsaufgabe an, nämlich die Gestaltung der<br />
<strong>Wandel</strong>prozesse im Sinne einer angemessenen Kommunikations- und Beziehungs-<br />
architektur, welche die Akzeptanz und Anschlussfähigkeit der neuen organisationalen<br />
Identität ermöglicht. Dass dabei u.U. ein langsameres Tempo und ein vorsichtiger<br />
<strong>Prozess</strong> gewählt werden muss, macht folgendes Zitat eines interviewten Managers<br />
deutlich:<br />
„Eine Organisation verträgt eine gewisse Portion Änderung pro Zeiteinheit. Eine Organisation<br />
ist eine Verdauungsmaschine. Wenn man zuviel hineinstopft dann kommt es unten genau<br />
so wieder heraus. Zur Umsetzung muss es verdaut werden. Das Gefühl dafür wie viel man der<br />
401
402<br />
Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />
Organisation zumuten kann, haben nur wenige Manager. Es kommt in diesem Zusammenhang<br />
auch auf die „Garheit“ des Essens an. Ein eigenes Thema dabei ist Rohkost“. 836<br />
Die Metapher macht deutlich, dass der Fokus des <strong>Wandel</strong>managements nicht auf dem<br />
<strong>Wandel</strong> der Organisation, sondern auf der Organisation des <strong>Wandel</strong>s liegen sollte. Da<br />
die strategischen Projekte <strong>als</strong> identitätsbildende Lernarenen das neue Selbstverständnis<br />
der Organisation maßgeblich beeinflussen und umgekehrt, ist die angemessene, d.h.<br />
anschlussfähige Organisation der <strong>Wandel</strong>prozesse erfolgsentscheidend. Zur Ver-<br />
meidung von strategischem Durchfall und organisationalen Verdauungsstörungen<br />
müssen <strong>Wandel</strong>prozesse die systemische Rekonstruktion der eigenen Identität und den<br />
Aufbau neuer, sozial konstruierter Erwartungen ermöglichen. Diese Selbstbe-<br />
schreibung des Systems kann dann zum der Kern der eigenen organisationalen<br />
Identität werden.<br />
In diesem Sinne macht bereits RÜEGG-STÜRM darauf aufmerksam, „dass der Erfolg<br />
einer Fusion vor allem vom Zugang der neu entstehenden Organisation zu sich selber<br />
abhängt. Je rascher es gelingt, tragfähige Beziehungs- und Kommunikationsprozesse<br />
für eine faire, offene und nachvollziehbare Erschließung unausgeschöpfter Verbesser-<br />
ungspotentiale, aber auch für die Aufarbeitung von Friktionen und Widersprüchen zu<br />
entwickeln, um so eher werden die Menschen dazu motiviert sein, auf der Basis von<br />
Vertrauen und freiwilliger Loyalität nicht nur Erfolgsmeldungen publik zu machen,<br />
sondern auch schwierige Herausforderungen aufzugreifen.“ 837<br />
Um diesen <strong>Prozess</strong> erfolgreich zu gestalten, bedarf es der Etablierung einer neuen<br />
gemeinsamen Systemgrenze und einer damit verbundenen sinnstiftenden Unter-<br />
nehmensidentität, der Anerkennung vergangener Leistungen sowie transparenter<br />
<strong>Prozess</strong>e, welche die Beteiligten einbezieht. Nur so können neue Routinen, Muster und<br />
Identitäten entwickelt werden, welche die Basis für erfolgreiches organisationales<br />
Handeln und einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil bieten.<br />
Ausdruck, aber zugleich auch Voraussetzung dafür ist, dass einer kollektiven Identität<br />
im Rahmen konkreter gemeinsamer Handlungen eine Chance gegeben wird sich zu<br />
entwickeln. Das nachfolgende Gedicht aus einer der in dieser Arbeit untersuchten<br />
Fusionen spiegelt diesen Zusammenhang abschließend wider.<br />
836 Vgl. Interview I10.<br />
837 Vgl. Rüegg-Stürm, 2002. Kursiv im Original.
E. Härdi<br />
Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />
Fusion heisst das magischi Wort<br />
Schauplatz esch Schönbühl en Bärner Ort.<br />
Schnell händ dänn Migröler muesse leere,<br />
dass d´Aargauer ond Bärner ned glich düend gscheere.<br />
Di einte nämed das doch sehr gelasse,<br />
di andere chönet´s no gar ned rächt fasse<br />
De get´s no söttig wo miisi Stemmig mache,<br />
ond nome sueche die negative Sache.<br />
Verschwändemer doch eusi Chraft ned för so unnötigi Gschechte,<br />
schaffe mer zäme ond dönd ned schlächt öber anderi prechte.<br />
Dänn nome metenand chömmer es Ziel erreiche,<br />
chönd stolz si und feud ha e allne Bereiche.<br />
403
Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />
Interviews<br />
404<br />
Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />
Datum Einheit BSC ERP PFC MIGROS TS Zeit Cod<br />
e<br />
02.10.2000 L&S Zentrale � � 1,5 I04<br />
05.10.2000 SBT � � 1,75 I55<br />
13.10.2000 L&S Schweiz � � � � 1,5 I32<br />
25.10.2000 (No.1) L&S Zentrale � � � 1,25 I25<br />
25.10.2000 (No.3) L&S Zentrale � � � 1 I31<br />
25.10.2000 (No.2) L&S Zentrale � � � 1 I58<br />
09.11.2000 SBT � � 1,5 I36<br />
13.11.2000 (No.1) L&S Zentrale � � � 1,5 I18<br />
13.11.2000 (No.2) L&S Schweiz � � 1 I42<br />
16.11.2000 (No.2) L&S Schweiz � � � 2 I21<br />
16.11.2000 (No.1) L&S Zentrale � � � � 0,75 I27<br />
06.12.2000 L&S Zentrale � � � 1,5 I40<br />
14.12.2000 SBT � � � 1,25 I33<br />
26.01.2001 L&S Schweiz � � � � 1,5 I63<br />
29.01.2001 Extern � � 1,5 I39<br />
01.02.2001 (No.2) L&S Zentrale � � � 1 I02<br />
01.02.2001 (No.1) L&S Schweiz � � � 1,5 I49<br />
08.02.2001 L&S Zentrale � 1 I60<br />
28.02.2001 L&S Zentrale � � � � 1 I64<br />
01.03.2001 L&S Schweiz � � � � 1,5 I12<br />
02.03.2001 (No.1) L&S Zentrale � � � 1,25 I24<br />
02.03.2001 (No.2) L&S Zentrale � � � 1 I30<br />
20.04.2001 (No.2) L&S Zentrale � � 1,25 I28<br />
20.04.2001 (No.1) L&S Zentrale � � 1,25 I37<br />
27.04.2001 L&S Schweiz � � � 1 I46<br />
07.05.2001 L&S Zentrale � � � 1,5 I09<br />
10.05.2001 L&S Zentrale � � � � 1,25 I61<br />
11.05.2001 L&S Zentrale � � � 1,25 I54<br />
28.05.2001 L&S Schweiz � � � 1 I38<br />
30.05.2001 L&S Zentrale � � 1 I01
Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />
31.05.2001 (No.1) L&S Zentrale � � � 1,25 I05<br />
31.05.2001 (No.2) L&S Zentrale � � � 1,25 I35<br />
08.06.2001 L&S Zentrale � � � 1,25 I43<br />
13.06.2001 L&S Zentrale � � � � 1,25 I06<br />
18.06.2001 L&S Zentrale � � � 1,75 I23<br />
20.07.2001 L&S Zentrale � � 1,5 I07<br />
03.08.2001 L&S Schweiz � � 1 I11<br />
17.08.2001 L&S Schweiz � � � 1 I51<br />
20.08.2001 L&S Schweiz � � 1 I14<br />
23.08.2001 (No.1) SBT � � 2 I13<br />
23.08.2001 (No.2) L&S Zentrale � � � � 1 I34<br />
27.09.2001 L&S Zentrale � � � � 1,5 I59<br />
01.10.2001 (No.2) L&S Zentrale<br />
USA<br />
� � 1,5 I17<br />
01.10.2001 (No.1) SBT USA � � � 4 I57<br />
02.10.2001 (No.4) L&S Bosten,<br />
USA<br />
02.10.2001 (No.3) L&S Bosten,<br />
USA<br />
02.10.2001 (No.2) L&S Bosten,<br />
USA<br />
02.10.2001 (No.1) L&S Bosten,<br />
USA<br />
03.10.2001 (No.1) L&S Baltimore,<br />
USA<br />
03.10.2001 (No.2) L&S Baltimore,<br />
USA<br />
03.10.2001 (No.3) L&S Baltimore,<br />
USA<br />
� � � 1,25 I15<br />
� � � 0,75 I26<br />
� � � 0,75 I41<br />
� � � 0,75 I50<br />
� � � 0,75 I16<br />
� � � 0,75 I19<br />
� � � 1 I62<br />
23.10.2001 L&S Zentrale � � 1 I56<br />
25.10.2001 Extern � � 1 I48<br />
08.11.2001 L&S Zentrale � � � 2 I44<br />
21.11.2001 L&S Zentrale � � � 1,25 I10<br />
28.11.2001 L&S Zentrale � � � 1,5 I20<br />
29.11.2001 Extern � � 1,5 I65<br />
30.11.2001 (No.2) L&S Zentrale � 1,5 I29<br />
30.11.2001 (No.1) SBT � � � � 1,25 I52<br />
07.12.2001 L&S Zentrale � � 1 I08<br />
405
406<br />
Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />
10.12.2001 L&S Schweiz � � � � 1 I03<br />
11.12.2001 (No.1) L&S Schweiz � � � 1,25 I22<br />
11.12.2001 (No.2) L&S Zentrale � � � 1,5 I47<br />
18.12.2001 SBT � � 1 I45<br />
18.01.2002 L&S Zentrale � � � 2 I53<br />
26.02.2001 MIGROS Aare � 1,5 I66<br />
25.02.2001 MIGROS Aare � 1 I67<br />
25.02.2001 MIGROS Aare � 1,5 I68<br />
26.02.2001 MIGROS Aare � 1,5 I69<br />
26.02.2001 MIGROS Aare � 1 I70<br />
05.03.2001 Extern 1 I71<br />
06.03.2001 MIGROS Aare � 1,5 I72<br />
26.02.2001 MIGROS Aare � 1 I73<br />
14.03.2001 MIGROS Aare � 1 I74<br />
74 Interviews (ca. 94 Stunden)
Dokumente<br />
Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />
01.08.1998 top+ : Das Plus für den Erfolg. Information für Mitarbeiter. D64<br />
01.08.1998 top+ : Foliensatz. D65<br />
03.01.2000 Verifikationsstudie zum ERP Programm D70<br />
11.01.2000 LANDIS&STAEFA Division. Human Resources - Unsere Leitprinzipien.<br />
01.02.2000 Building up. Mitarbeiter-Zeitung von SIEMENS Building Technologies.<br />
Ausgabe 1/2000.<br />
09.02.2000 Geschäftsbericht SIEMENS 1999. D38<br />
16.02.2000 (No.1) Balanced Scorecard Einführungs-Guide. SIEMENS Building<br />
Technologies.<br />
16.02.2000 (No.2) Appendix to the SBT BSC-Guide for LANDIS&STAEFA-EU. D02<br />
16.02.2000 (No.3) Roof Strategy of LANDIS&STAEFA-EU. D58<br />
16.02.2000 (No.4) Business Unit LANDIS&STAEFA-EU. D09<br />
16.02.2000 (No.5) Firmenpräsentation LANDIS&STAEFA-EU. D36<br />
04.04.2000 (No.1) Performance Contracting: So funktioniert's. Werbebroschüre. D50<br />
04.04.2000 (No.2) Performance Contracting: Modernisieren und Einsparen mit<br />
Garantie. Werbebroschüre.<br />
07.04.2000 Protokoll ERP Steering Committee. D48<br />
12.04.2000 Diskussion des ERP Programms auf dem Geschäftsleitungsworkshop<br />
von LANDIS&STAEFA-EU.<br />
15.05.2000 (No.1) BSC der Landesgesellschaft Schweiz. D07<br />
15.05.2000 (No.2) Dokumentation der Best Practices aus der Einführung der BSC in<br />
der Filiale Ost.<br />
29.05.2000 (No.1) Conclusions and Findings. ERP at the Joint Management Meeting<br />
2000.<br />
29.05.2000 (No.2) European ERP DU's, SAP R/3 Pilot Project and Rollout. Joint<br />
Management Meeting 2000.<br />
29.05.2000 (No.3) ERP Program. Co-operation BPM and IT. D33<br />
06.06.2000 Introduction to the Balanced Scorecard: Implementing Business<br />
Strategy.<br />
15.06.2000 Projektplan für das Projekte Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung.<br />
04.07.2000 (No.1) ERP Kick-off Workshop Agenda. D18<br />
04.07.2000 (No.2) ERP Program: Vision and Mission. D34<br />
05.07.2000 Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung. Definition der Aufgabenstellung<br />
und des Projektes.<br />
24.07.2000 ERP Initialisation Phase. Status July 2000. D17<br />
407<br />
D61<br />
D08<br />
D04<br />
D49<br />
D12<br />
D13<br />
D11<br />
D35<br />
D42<br />
D57<br />
D37
408<br />
Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />
07.08.2000 (No.1) Protokoll ERP Steering Committee. D47<br />
07.08.2000 (No.2) ERP Program Europe. Steering Committee. Status Report August<br />
2000.<br />
16.08.2000 ERP Program Europe. Communication Concept. D19<br />
23.08.2000 Presseinformation der SIEMENS Building Technologies zur<br />
geplanten Restrukturierung der Divisionen.<br />
05.09.2000 ERP Program Europe. Status Report. Steering Committee Meeting. D24<br />
11.09.2000 ERP Program Europe. Teambuilding Business Process Modelling<br />
Phase.<br />
18.09.2000 (No.1) Präsentation zur Gesamtheitlichen Kundenbewirtschaftung anlässlich<br />
der Freigabe des Projekts durch die erweiterte Geschäftsleitung.<br />
18.09.2000 (No.2) Lenkungsteam und Selektionsprozess überregional tätiger Kunden<br />
für die Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung.<br />
18.09.2000 (No.3) Zeitplan für die Einführung der Gesamtheitlichen Kundenbewirtschaftung.<br />
18.09.2000 (No.4) Vorschlagsdokument zur Erfassung überregional tätiger Kunden für<br />
die Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung.<br />
01.10.2000 (No.1) LANDIS&STAEFA Solutions Division Europe. Organization Charts. D44<br />
01.10.2000 (No.2) Internationale Bezeichnungen der Unternehmenseinheiten.<br />
SIEMENS.<br />
31.10.2000 ERP Program Europe. Status Report. Steering Committee October<br />
2000.<br />
13.11.2000 ERP Program Europe. Program Charter. Executive Summary. D22<br />
22.11.2000 Offizielle Minutes SBDT D 82<br />
29.11.2000 (No.1) Presseinformation der SIEMENS Building Technologies zum Abschluss<br />
des Geschäftsjahrs 1999/2000.<br />
12.12.2000 ERP Program Europe. Program Charter. D21<br />
14.12.2000 (No.1) Presseinformationen zur Bilanzpressekonferenz 2000 der SIEMENS<br />
AG.<br />
14.12.2000 (No.2) Geschäftsbericht SIEMENS Building Technologies. Daten und<br />
Fakten 2000.<br />
15.12.2000 ERP Program Europe. To-Be Quality Review. High Level Change<br />
Impact Analysis.<br />
22.01.2001 ERP Program Europe. Pilot and Template Development Phase.<br />
Kick-off Workshop.<br />
25.01.2001 Auszug aus dem offiziellen Protokoll der Geschäftsleitungssitzung<br />
von L&S-Solutions.<br />
01.02.2001 ERP Program Europe. Team for Template and Pilot Development. D30<br />
13.02.2001 (No.1) SID Rollout Process. D60<br />
D27<br />
D55<br />
D31<br />
D52<br />
D45<br />
D67<br />
D66<br />
D41<br />
D26<br />
D54<br />
D56<br />
D39<br />
D32<br />
D20<br />
D03
Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />
13.02.2001 (No.2) SID Rollout Document. D59<br />
13.02.2001 (No.3) Allgemeine Informationen zur Change Impact Analysis. D01<br />
13.02.2001 (No.4) Kick-off Workshop Change Impact Analysis Divisional Unit<br />
Switzerland.<br />
28.02.2001 ERP Program Europe. Steering Committee. Status Report February<br />
2001.<br />
18.03.2001 ERP European Quality Review Workshops 2001. D16<br />
21.03.2001 ERP Program Europe. Steering Committee. Status Report March<br />
2001.<br />
14.04.2001 Merger Manual D83<br />
14.04.2001 Präsentation zum Merger LANDIS UND STAEFA D85<br />
02.05.2001 Erfahrungsaustausch SBT-Raifeisenbank D 81<br />
22.05.2001 CD-ROM Dokumentation zum European Management Meeting<br />
2001.<br />
29.08.2001 ERP Program Europe. Steering Committee. Status Report August<br />
2001.<br />
29.08.2001 Program Charter SBT ERP Program D68<br />
17.09.2001 Präsentation BSC USA D 78<br />
06.11.2001 Erfahrungen aus der Einführung der BSC in der Landesgesellschaft<br />
Schweiz.<br />
12.12.2001 (No.1) Geschäftsbericht SIEMENS Building Technologies. Daten und<br />
Fakten 2001.<br />
12.12.2001 (No.2) Pressebericht und Unterlagen zur Bilanzpressekonferenz der SBT<br />
2001.<br />
12.12.2001 PFC Handbuch D 79<br />
12.12.2001 Reference Manual PFC D 80<br />
09.01.2002 NZZ Artikel D84<br />
06.02.2002 Firmenpräsentation MBA St. Gallen D 77<br />
26.02.2002 Internes Dokument MIGROS AARE D 72<br />
26.02.2002 Strategie MIGROS AARE D 73<br />
26.02.2002 Internes Dokument MIGROS AARE D 74<br />
26.02.2002 Video RTSC MIGROS AARE D 75<br />
26.02.2002 Pressemitteilung MIGROS AARE D 76<br />
01.03.2002 MIGROS Geschäftsbericht 2001 D 71<br />
01.03.2002 MIGROS Homepage D 86<br />
86 Dokumente<br />
409<br />
D43<br />
D69<br />
D29<br />
D10<br />
D28<br />
D15<br />
D40<br />
D53
Beobachtungen<br />
410<br />
Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />
Datum Einheit Sitzung BSC ERP PFC TS Zeit Code<br />
21.02.2000 L&S Zentrale BSC Erfahrungskreis � 2 B015<br />
22.02.2000 L&S Zentrale BSC in den Ländern<br />
Osteuropas<br />
25.02.2000 L&S Zentrale Sitzung der<br />
Geschäftsleitung<br />
28.02.2000 L&S Zentrale Growth Team<br />
Meeting<br />
� 1,25 B004<br />
� 1,5 B006<br />
14 B103<br />
13.03.2000 L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � � 3 B039<br />
15.03.2000 (No.1) L&S Schweiz BSC Workshop � 3 B040<br />
15.03.2000 (No.2) L&S Schweiz BSC Workshop � 3,25 B054<br />
20.03.2000 L&S Schweiz Sitzung der erweiterten<br />
Geschäftsleitung<br />
31.03.2000 L&S Zentrale Growth Team Workshop<br />
03.04.2000 L&S Zentrale Informelles Coaching<br />
ERP<br />
04.04.2000 L&S Zentrale PFC European Conference<br />
07.04.2000 L&S Zentrale ERP Steering Committee<br />
12.04.2000 L&S Zentrale Workshop zur Vorbereitung<br />
des Joint<br />
Management Meeting<br />
� 1,25 B005<br />
� 8 B086<br />
� � 2 B114<br />
� � 16 B105<br />
� � 4,5 B077<br />
� � 3,5 B058<br />
17.04.2000 L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � � 2,75 B036<br />
19.04.2000 L&S Zentrale BSC Workshop � � 4,5 B078<br />
25.04.2000 L&S Schweiz BSC Workshop � � 3 B041<br />
27.04.2000 L&S Zentrale Projektmanagement<br />
im PFC<br />
02.05.2000 L&S Zentrale Vorbereitung Growth<br />
Team Meeting<br />
� � 1,5 B007<br />
� 1 B001<br />
08.05.2000 L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � � 2,5 B029<br />
10.05.2000 L&S Zentrale ERP Steering Committee<br />
15.05.2000 L&S Schweiz Sitzung der erweiterten<br />
Geschäftsleitung<br />
� � 4 B068<br />
� � 6,5 B082
Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />
19.05.2000 L&S Zentrale PFC Meeting � 3 B112<br />
29.05.2000 (No.2) L&S Zentrale Side Meeting ERP<br />
Steering Committee<br />
am JMM<br />
29.05.2000 (No.1) L&S Zentrale Joint Management<br />
Meeting (JMM)<br />
� � 2 B016<br />
� � 8 B087<br />
06.06.2000 L&S Zentrale BSC Workshop � � 7,5 B083<br />
13.06.2000 (No.1) L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � � � 3,5 B059<br />
13.06.2000 (No.2) L&S Zentrale ERP Steering Committee<br />
15.06.2000 L&S Schweiz Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung<br />
19.06.2000 L&S Zentrale Growth Team<br />
Meeting<br />
� � 3,5 B060<br />
� � 3,25 B055<br />
� 13 B102<br />
20.06.2000 L&S Zentrale PFC Meeting � � 13 B113<br />
03.07.2000 L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � � 2,5 B030<br />
04.07.2000 L&S Zentrale ERP Kick-off Workshop<br />
17.07.2000 L&S Schweiz ERP Kick-off Workshop<br />
07.08.2000 L&S Zentrale ERP Steering Committee<br />
10.08.2000 L&S Schweiz Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung<br />
16.08.2000 L&S Zentrale ERP Communication<br />
Concept<br />
� � 18 B110<br />
� � 3,5 B061<br />
� � 4 B069<br />
� � 8 B088<br />
� � 2,5 B031<br />
18.08.2000 L&S Schweiz ERP Core Team � � 1,5 B009<br />
21.08.2000 L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � � 3 B042<br />
23.08.2000 L&S Schweiz Gesamtheitliche Kundenbewirt-schaftung<br />
� 8 B089<br />
28.08.2000 L&S Zentrale ERP Core Team � � 2 B017<br />
29.08.2000 L&S Zentrale ERP Management<br />
Information Meeting<br />
30.08.2000 L&S Zentrale ERP As-Is Modelling<br />
Workshop<br />
05.09.2000 L&S Zentrale ERP Steering<br />
Committee<br />
� � 1,5 B010<br />
� � 15 B104<br />
� � 2,75 B037<br />
411
11.09.2000 L&S Zentrale PFC Goal Seeting<br />
Workshop I<br />
20.09.2000 L&S Zentrale Growth Team<br />
Meeting<br />
21.09.2000 L&S Schweiz ERP As-Is Quality<br />
Review<br />
412<br />
Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />
� 10 B101<br />
� 8 B090<br />
� � 8 B091<br />
13.10.2000 L&S Schweiz ERP Core Team � � 3 B043<br />
16.10.2000 L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � � 3 B044<br />
17.10.2000 L&S Zentrale ERP To-Be Modelling<br />
Workshop<br />
18.10.2000 L&S Zentrale PFC Manager<br />
Meeting<br />
� � 8 B092<br />
� � � � 16 B106<br />
27.10.2000 (No.1) L&S Schweiz ERP Core Team � � 2 B018<br />
27.10.2000 (No.2) L&S Schweiz ERP Power User<br />
Treffen<br />
30.10.2000 L&S Zentrale ERP Steering<br />
Committee<br />
06.11.2000 L&S Zentrale ERP Power User<br />
Kick-off<br />
10.11.2000 L&S Zentrale PFC Goal Setting<br />
Workshop II<br />
22.11.2000 L&S Zentrale Strategic Business<br />
Development Team<br />
29.11.2000 L&S Zentrale ERP Steering<br />
Committee<br />
� � 3,25 B056<br />
� � 4 B070<br />
� � 3 B045<br />
� � 8,5 B095<br />
� 9 B099<br />
� � 3 B046<br />
13.12.2000 L&S Zentrale PFC Meeting � � 2 B019<br />
18.12.2000 (No.2) L&S Zentrale ERP Information<br />
Meeting<br />
� � 2 B019<br />
18.12.2000 (No.1) L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � 3 B047<br />
20.12.2000 L&S Zentrale ERP Steering<br />
Committee<br />
� � 2,5 B032<br />
21.12.2000 L&S Schweiz ERP Core Team � � 3 B048<br />
15.01.2001 L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � � 2,5 B033<br />
18.01.2001 L&S Schweiz BSC Workshop � � 8,5 B096<br />
22.01.2001 L&S Zentrale ERP Workshop � � 16 B107<br />
24.01.2001 L&S Zentrale PFC ERP Update � � � 1,5 B011<br />
25.01.2001 L&S Zentrale PFC Manager<br />
Meeting<br />
� � 7,5 B084
Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />
02.02.2001 L&S Schweiz Verkaufstagung � 8,5 B097<br />
05.02.2001 (No.2) L&S Zentrale ERP Teambuilding<br />
Konzept<br />
13.02.2001 L&S Zentrale ERP Kick-off Task<br />
Force Organizational<br />
Change<br />
� � 1,75 B013<br />
� � 2 B021<br />
16.02.2001 L&S Schweiz ERP Core Team � � 3,5 B062<br />
28.02.2001 L&S Zentrale ERP Steering<br />
Committee<br />
� � 8 B093<br />
02.03.2001 L&S Schweiz ERP Core Team � � 3 B049<br />
06.03.2001 L&S Schweiz ERP CIA Workshop � � 4,25 B076<br />
21.03.2001 (No.1) L&S Schweiz Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung<br />
21.03.2001 (No.2) L&S Zentrale ERP Steering<br />
Committee<br />
27.03.2001 L&S Zentrale European Human Resource<br />
Meeting<br />
28.03.2001 SBT European Human Resource<br />
Meeting<br />
� � 4 B071<br />
� � 4 B072<br />
� � 9,5 B100<br />
� 16,75 B109<br />
10.04.2001 L&S Schweiz ERP CIA Workshop � � 8,5 B098<br />
26.04.2001 L&S Zentrale ERP Budget Meeting � � 6 B081<br />
27.04.2001 L&S Zentrale ERP Steering<br />
Committee<br />
� � 4 B073<br />
02.05.2001 Raifeisenbank Erfahrungsaustausch � � 5 B112<br />
07.05.2001 L&S Zentrale ERP Core Team � � 2 B022<br />
07.05.2001 L&S Zentrale ERP Lessons Learned<br />
Workshop<br />
� � 2 B023<br />
11.05.2001 L&S Schweiz ERP Core Team � � 2,25 B027<br />
15.05.2001 L&S Schweiz ERP CIA Workshop � � 7,5 B085<br />
22.05.2001 L&S Zentrale European Management<br />
Meeting (EMM)<br />
28.05.2001 L&S Zentrale ERP Steering<br />
Committee<br />
� � � 18 B111<br />
� � 4 B074<br />
08.06.2001 L&S Schweiz ERP Core Team � � 2 B024<br />
18.06.2001 L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � � 3,25 B057<br />
27.06.2001 (No.1) L&S Schweiz Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung<br />
27.06.2001 (No.2) L&S Zentrale ERP Steering<br />
Committee<br />
� 2 B025<br />
� � 4 B075<br />
413
414<br />
Committee<br />
12.07.2001 L&S Zentrale ERP Steering<br />
Committee<br />
Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />
� � 3,5 B063<br />
20.08.2001 L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � � 5,5 B080<br />
29.08.2001 L&S Zentrale ERP Steering<br />
Committee<br />
� � 3,75 B067<br />
14.09.2001 L&S Schweiz ERP Core Team � � 2 B026<br />
27.09.2001 L&S Zentrale ERP Steering<br />
Committee<br />
� � 4,5 B079<br />
08.10.2001 L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � 3,5 B064<br />
25.10.2001 L&S Zentrale ERP Steering<br />
Committee<br />
� � 3,5 B065<br />
26.10.2001 L&S Schweiz ERP Core Team � � 3,5 B066<br />
30.10.2001 L&S Schweiz Verkaufstagung � � 8 B094<br />
6.11.2001 L&S Zentrale PFC Manager<br />
Meeting<br />
� � 16 B108<br />
12.11.2001 L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � � 3 B051<br />
12.12.2001 (No.1) SBT Bilanzpressekonferenz � 1 B003<br />
18.12.2001 L&S Zentrale ERP Steering<br />
Committee<br />
105 Beobachtung mit insgesamt ca. 552 h<br />
� � 3 B053
Feedbackveranstaltungen<br />
Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />
Datum Einheit Name BSC ERP PFC Zeit<br />
08.05.2000 L&S Zentrale Feedback PFC � 0,5<br />
10.05.2000 L&S Zentrale Feedback � 1<br />
22.06.2000 SBT USA Feedback � � 2<br />
10.07.2000 L&S Zentrale Feedback � 1<br />
29.06.2000 L&S Zentrale Feedbackpaper<br />
zum Growth Team<br />
30.08.2000 L&S Zentrale Feedback � 0,5<br />
14.11.2000 L&S Zentrale Feedbackpaper<br />
zum Strategieprozess<br />
13.12.2000 L&S Zentrale Feedback PFC � 1,25<br />
14.12.2000 L&S Zentrale Feedback � 1,25<br />
18.12.2000 L&S Zentrale Feedback PFC � 0,5<br />
21.01.2001 L&S Zentrale Feedback � 0,5<br />
08.02.2001 L&S Zentrale Feedback � 1<br />
14.02.2001 L&S Zentrale Feedback � 0,5<br />
01.12.2001 SBT USA Feedbackpaper � 0<br />
05.03.2002 L&S Zentrale Feedback � 2<br />
13.03.2002 SBT Feedback � � 1,5<br />
26.03.2002 SBT Feedback 1,5<br />
02.04.2002 L&S Zentrale Feedback 1,5<br />
18 Feedbackveranstaltungen<br />
0<br />
0<br />
415
Literaturverzeichnis<br />
416<br />
Literaturverzeichnis<br />
Agrawal, A., Jaffe, J. F., & Mandelker, G. N. (1992). The Post-Merger Performance of<br />
Acquiring Firms: A Re-examination of an Anomaly. The Journal of Finance,<br />
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Albert, S. (1992). The Algebra of Change. In B. M. Staw & L. Cummings (Eds.),<br />
Research in Organizational Behavior (pp. 179-229). Greenwich (Conn.),<br />
London: JAI Press.<br />
— (1999). The Definition and Metadefinition of Identity. In D. A. Whetten & P. C.<br />
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Untersuchung deutscher Unternehmen. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-<br />
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Lebenslauf<br />
Name Thomas Schumacher<br />
Geboren 24.10.1967<br />
Ausbildung und beruflicher Werdegang<br />
Lebenslauf<br />
1989 – 1994 Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln<br />
und der Dublin City University, Abschluss: Dipl.-Kaufmann<br />
1995 – 1999 Studium der Psychologie an der Universität Bonn<br />
Abschluss: Dipl.-Psychologe<br />
1995 – 1998 BUS - Büro für Unternehmensentwicklung & Schulung Dr. Stober<br />
und Partner, Düsseldorf (Projektleiter, Trainer)<br />
1995 – 1998 Studieninstitut für kommunale Verwaltung, Köln (Nebenamtlicher<br />
Dozent)<br />
1998 – 2000 Studieninstitut für kommunale Verwaltung, Köln, Dozent und<br />
Fachbereichsleiter (Führung, Kommunikation & Arbeits<br />
techniken; BWL & Controlling; Marketing, Medien &<br />
Öffentlichkeitsarbeit)<br />
1998 – 2002 Ausbildung zum systemischen Berater, SySt München<br />
(Institut für Systemische Aus-, Fortbildung und Forschung)<br />
2000 - 2002 Universität St. Gallen, Doktorand und Teilprojektleiter im<br />
Forschungsprojekt „Learning Dynamics“ in Zusammenarbeit mit<br />
Siemens Building Technologies (SBT): Begleitung strategischer<br />
<strong>Wandel</strong>projekte: BSC- und SAP-Einführungen, Aufbau neuer<br />
strategischer Geschäftsfelder<br />
Seit 2002 Berater bei der osbTübingen<br />
Sonstiges Lehrbeauftrager der Universität St. Gallen (Systemische<br />
Methoden zur Bewältigung organisationalen <strong>Wandel</strong>s); Trainer in<br />
der Weiterbildung am Insititut für Betriebswirschaftslehre der<br />
Universität St. Gallen („Fit for Change“, „Unternehmerseminar“,<br />
„Executive Verwaltungsseminar“)<br />
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