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Strategischer Wandel als identitätsbildender Prozess

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<strong>Strategischer</strong> <strong>Wandel</strong> <strong>als</strong> <strong>identitätsbildender</strong> <strong>Prozess</strong><br />

– eine systemische Perspektive<br />

DISSERTATION<br />

der Universität St. Gallen<br />

Hochschule für Wirtschafts-,<br />

Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG)<br />

zur Erlangung der Würde eines<br />

Doktors der Wirtschaftswissenschaften<br />

von<br />

Thomas Schumacher<br />

aus<br />

aus Deutschland<br />

Genehmigt auf Antrag der Herren<br />

Prof. Dr. Johannes Rüegg-Stürm<br />

Prof. Dr. Matthias Varga von Kibéd<br />

Dissertation Nr. 2764<br />

i


Die Universtät St. Gallen Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften<br />

(HSG), gestattet hiermit die Drucklegung der vorliegenden<br />

Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen Anschauungen Stellung zu<br />

nehmen.<br />

St. Gallen, den 23.Januar 2003<br />

ii<br />

Der Rektor<br />

Prof. Dr. Peter Gomez


Eine kleine Übung zur Einstimmung 1 :<br />

Ein Gedankenexperiment<br />

Stellen Sie sich einen Raum vor. In diesem Raum befindet sich eine Linie, die den<br />

Raum teilt. Wählen Sie eine Seite. Welche Seite haben Sie gewählt?<br />

(Bitte lesen Sie erst auf der nächsten Seite weiter, wenn Sie die Übung gemacht<br />

haben.):<br />

1 Diese Übung geht auf Matthias Varga von Kibéd zurück.<br />

iii


iv<br />

Ein Gedankenexperiment<br />

Falls Sie beispielsweise die „rechte“ oder die „linke“ Seite gewählt haben, so ist die<br />

Übung nicht korrekt gelöst. Von „rechts“ oder „links“ können Sie nur sprechen, wenn<br />

Sie sich selbst mit in dem Raum denken.<br />

Rechts<br />

ist da!<br />

(diese Übung stammt von Matthias Varga von Kibéd)<br />

Rechts ist<br />

hier!<br />

Ohne den Beobachter ist eine Unterscheidung dagegen nicht möglich.<br />

?<br />

?


Inhaltsübersicht<br />

Inhaltsübersicht<br />

INHALTSÜBERSICHT ......................................................................................................... V<br />

INHALTSVERZEICHNIS.................................................................................................. VII<br />

ABBILDUNGSVERZEICHNIS ...........................................................................................XI<br />

TABELLENVERZEICHNIS .............................................................................................. XV<br />

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS.......................................................................................XVI<br />

1 QUO VADIS STRATEGIC CHANGE?– ZUM DILEMMA STRATEGISCHEN<br />

WANDELS IN ORGANISATIONEN ........................................................................ 17<br />

1.1 POST-MERGER-INTEGRATION ALS SPEZIAL- ODER GENERALFALL DES STRATEGISCHEN<br />

WANDELS?.................................................................................................................. 19<br />

1.2 EINE EINLADUNG ZU EINEM EXPERIMENT: VOM DILEMMA ZUM TETRALEMMA DER<br />

POST-MERGER-INTEGRATION ..................................................................................... 21<br />

1.3 VOM FORSCHUNGSPROJEKT LEARNING DYNAMICS ZUM FORSCHUNGSINTERESSE POST-<br />

MERGER-INTEGRATION............................................................................................... 26<br />

1.4 ÜBERBLICK ÜBER DEN AUFBAU DER ARBEIT ............................................................... 29<br />

2 HINTERGRUND UND FOKUS DER FORSCHUNGSFRAGE – WAS ES ZU<br />

WISSEN GILT UND WAS GILT ES ZU WISSEN? ................................................ 32<br />

2.1 POST-MERGER-INTEGRATION UND ORGANISATIONALER WANDEL .............................. 34<br />

2.2 IDENTITÄTSBILDENDE PROZESSE ORGANISATIONALEN WANDELS ............................... 51<br />

2.3 FORSCHUNGSFRAGE ..................................................................................................... 62<br />

3 AN IHREN ANNAHMEN WERDET IHR SIE ERKENNEN –<br />

WISSENSCHAFTSTHEORETISCHE UND METHODISCHE<br />

GRUNDÜBERLEGUNGEN........................................................................................ 67<br />

3.1 HORCH WAS KOMMT VON DRAUßEN REIN? – WIRKLICHKEIT UND SPRACHE IN DER<br />

WANDELFORSCHUNG .................................................................................................. 68<br />

3.2 WIE WIRKLICH IST DIE (ORGANISATIONALE) WIRKLICHKEIT? - EPISTEMOLOGISCHE<br />

GRUNDLAGEN ............................................................................................................. 72<br />

3.3 METHODOLOGISCHE GRUNDLAGEN ............................................................................. 81<br />

4 GRUNDSTEINE ORGANISATIONALER THEORIEGEBÄUDE....................... 101<br />

4.1 DIE STRUKTURATIONSTHEORIE VON ANTHONY GIDDENS.......................................... 102<br />

4.2 SYSTEMTHEORIE ........................................................................................................ 117<br />

4.3 FAZIT UND IMPLIKATIONEN EINES SYSTEMISCHEN UND<br />

STRUKTURATIONSTHEORETISCHEN ORGANISATIONSVERSTÄNDNISSES ..................... 142<br />

v


vi<br />

Ein Gedankenexperiment<br />

5 ORGANISATIONS- UND WANDELVERSTÄNDNIS .......................................... 147<br />

5.1 BAUSTEINE ORGANISATIONALER ANWENDUNGSTHEORIEN........................................ 147<br />

5.2 WANDEL UND WANDELFÄHIGKEIT ............................................................................ 164<br />

5.3 IDEALTYPISCHE HERAUSFORDERUNGEN EINER ORGANISATION IM WANDEL............. 178<br />

6 DIE FORSCHUNGSPARTNER, IHR UMFELD, IHRE PROJEKTE ................. 182<br />

6.1 ERSCHLIEßUNG DES FORSCHUNGSFELDES.................................................................. 183<br />

6.2 DIE ORGANISATION DES FORSCHUNGSPARTNERS SBT .............................................. 187<br />

6.3 EXTERNER KONTEXT DER PROJEKTE BEI SBT ........................................................... 198<br />

6.4 WANDELPROJEKTE BEI SBT....................................................................................... 214<br />

6.5 DIE ORGANISATION DES FORSCHUNGSPARTNERS MIGROS AARE .............................. 260<br />

6.6 EXTERNER KONTEXT DER PROJEKTE DER MIGROS AARE .......................................... 267<br />

6.7 STRATEGISCHE WANDELPROJEKTE DER MIGROS AARE............................................. 274<br />

6.8 ZUSAMMENFASSUNG DER VERSCHIEDENEN PROJEKTE............................................... 286<br />

6.9 GEMEINSAMKEITEN UND UNTERSCHIEDE DER BEIDEN UNTERNEHMEN ..................... 287<br />

7 EMPIRISCHE ANALYSE DER IDENTITÄTSBILDENDEN WIRKUNG<br />

STRATEGISCHER INITIATIVEN......................................................................... 289<br />

7.1 DER INTERNE KONTEXT – EINE STRUKTURELLE ANALYSE......................................... 289<br />

7.2 DIE WANDELPROZESSE – EINE ANALYSE DER HANDLUNGEN .................................... 312<br />

8 UND WAS VOM TAGE ÜBRIG BLEIBT............................................................... 376<br />

8.1 VOM WANDEL DER ORGANISATION ZUR ORGANISATION DES WANDELS................... 377<br />

8.2 BRUCHSTELLEN ORGANISATIONALER IDENTITÄTSSTRUKTUREN ................................ 383<br />

8.3 ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT ODER RETROSPEKTIVE IDENTITÄTSBILDUNG – PRAKTISCHE<br />

IMPLIKATIONEN IDENTITÄTSBILDENDER PROZESSE .................................................. 390<br />

8.4 HANDLUNG, STRUKTUR UND IDENTITÄT – THEORETISCHE IMPLIKATIONEN<br />

IDENTITÄTSBILDENDER PROZESSE ............................................................................ 395<br />

8.5 FAZIT: IDENTITÄTSBILDENDE PROZESSE IN POST-MERGER-PHASEN ......................... 399<br />

VERZEICHNIS DER FORSCHUNGSAKTIVITÄTEN................................................. 404<br />

LITERATURVERZEICHNIS............................................................................................ 416


Inhaltsverzeichnis<br />

Inhaltsübersicht<br />

INHALTSÜBERSICHT ......................................................................................................... V<br />

INHALTSVERZEICHNIS.................................................................................................. VII<br />

ABBILDUNGSVERZEICHNIS ...........................................................................................XI<br />

TABELLENVERZEICHNIS .............................................................................................. XV<br />

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS.......................................................................................XVI<br />

1 QUO VADIS STRATEGIC CHANGE?– ZUM DILEMMA STRATEGISCHEN<br />

WANDELS IN ORGANISATIONEN ........................................................................ 17<br />

1.1 POST-MERGER-INTEGRATION ALS SPEZIAL- ODER GENERALFALL DES STRATEGISCHEN<br />

WANDELS?.................................................................................................................. 19<br />

1.2 EINE EINLADUNG ZU EINEM EXPERIMENT: VOM DILEMMA ZUM TETRALEMMA DER<br />

POST-MERGER-INTEGRATION ..................................................................................... 21<br />

1.3 VOM FORSCHUNGSPROJEKT LEARNING DYNAMICS ZUM FORSCHUNGSINTERESSE POST-<br />

MERGER-INTEGRATION............................................................................................... 26<br />

1.4 ÜBERBLICK ÜBER DEN AUFBAU DER ARBEIT ............................................................... 29<br />

2 HINTERGRUND UND FOKUS DER FORSCHUNGSFRAGE – WAS ES ZU<br />

WISSEN GILT UND WAS GILT ES ZU WISSEN? ................................................ 32<br />

2.1 POST-MERGER-INTEGRATION UND ORGANISATIONALER WANDEL .............................. 34<br />

2.1.1 Post-Merger-Integration aus Sicht des strategischen Managements...........................................36<br />

2.1.2 Entwicklungstendenzen bei Unternehmenszusammenschlüssen ..................................................38<br />

2.1.3 Gründe fürs Scheitern und die Fit-Hypothese..............................................................................39<br />

2.1.4 Kritische Anmerkungen zur Fit-Hypothese..................................................................................42<br />

2.1.5 Organisationale <strong>Prozess</strong>e statt struktureller Fit..........................................................................45<br />

2.1.6 7 Thesen zur Post-Merger-Integration.........................................................................................49<br />

2.1.7 Fazit Post-Merger-Integration.....................................................................................................50<br />

2.2 IDENTITÄTSBILDENDE PROZESSE ORGANISATIONALEN WANDELS ............................... 51<br />

2.2.1 Von der individuellen zur kollektiven Identität ............................................................................51<br />

2.2.2 Was ist organisationale Identität? ...............................................................................................53<br />

2.2.3 Organisationale Identität in der Strategieforschung ...................................................................55<br />

2.2.4 Organisationale Identität und organisationaler <strong>Wandel</strong> .............................................................58<br />

2.2.5 Identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e in Organisationen............................................................................59<br />

2.2.6 Zusammenfassung........................................................................................................................61<br />

2.3 FORSCHUNGSFRAGE ..................................................................................................... 62<br />

2.3.1 Theoretische Relevanz..................................................................................................................64<br />

2.3.2 Praktische Relevanz .....................................................................................................................65<br />

vii


3 AN IHREN ANNAHMEN WERDET IHR SIE ERKENNEN –<br />

viii<br />

WISSENSCHAFTSTHEORETISCHE UND METHODISCHE<br />

Ein Gedankenexperiment<br />

GRUNDÜBERLEGUNGEN........................................................................................ 67<br />

3.1 HORCH WAS KOMMT VON DRAUßEN REIN? – WIRKLICHKEIT UND SPRACHE IN DER<br />

WANDELFORSCHUNG.................................................................................................. 68<br />

3.2 WIE WIRKLICH IST DIE (ORGANISATIONALE) WIRKLICHKEIT? - EPISTEMOLOGISCHE<br />

GRUNDLAGEN............................................................................................................. 72<br />

3.2.1 Positivistisches und konstruktivistisches Paradigma...................................................................73<br />

3.2.2 „Ich denke, <strong>als</strong>o bin ich“ oder „Wir kommunizieren, <strong>als</strong>o sind wir“ - kognitiver und relationaler<br />

Konstruktivismus.........................................................................................................................................76<br />

3.2.3 Zwischenfazit und Ausblick..........................................................................................................80<br />

3.3 METHODOLOGISCHE GRUNDLAGEN............................................................................. 81<br />

3.3.1 Ethnographische Datenerhebung ................................................................................................ 82<br />

3.3.2 Comparative Case Studies <strong>als</strong> Forschungsstrategie....................................................................88<br />

3.3.3 Kontextualistische und historische Forschung <strong>als</strong> Leitbild .........................................................91<br />

3.3.4 Gütekriterien der Forschung .......................................................................................................96<br />

4 GRUNDSTEINE ORGANISATIONALER THEORIEGEBÄUDE ...................... 101<br />

4.1 DIE STRUKTURATIONSTHEORIE VON ANTHONY GIDDENS.......................................... 102<br />

4.1.1 Soziale Systeme..........................................................................................................................104<br />

4.1.2 Rekursivität und die Dualität von Struktur und Handlung ........................................................106<br />

4.1.3 Wissen und Können – Regeln und Ressourcen ..........................................................................108<br />

4.1.4 Strukturelle und strategische Analysen......................................................................................113<br />

4.1.5 Zusammenfassung: Organisationaler <strong>Wandel</strong> und die Strukturationstheorie von Giddens......116<br />

4.2 SYSTEMTHEORIE ........................................................................................................ 117<br />

4.2.1 Konstruktivistische Systemtheorie – ein Gedankenexperiment..................................................119<br />

4.2.2 You can’t kiss a system - aber - Draw a Distinction..................................................................122<br />

4.2.3 Regeln, Muster und Strukturen in Systemen ..............................................................................125<br />

4.2.4 Von der Kausalität zur Interdependenz .....................................................................................128<br />

Exkurs Schismogenese .............................................................................................................................. 130<br />

4.2.5 „Und was fast vergessen worden wäre“ - der Kontext des Systems..........................................131<br />

4.2.6 Die Operation der Unterscheidung <strong>als</strong> Ausgangspunkt der Systembildung .............................. 132<br />

4.2.7 Systemprinzipien der Systemischen Strukturaufstellungen und <strong>Prozess</strong>e der<br />

Musterunterbrechung................................................................................................................................ 135<br />

4.3 FAZIT UND IMPLIKATIONEN EINES SYSTEMISCHEN UND<br />

STRUKTURATIONSTHEORETISCHEN ORGANISATIONSVERSTÄNDNISSES..................... 142<br />

4.3.1 Zur Entstehung von Organisationen aus strukturationstheoretischer Sicht .............................. 143<br />

4.3.2 Zur Entstehung von Organisationen aus systemischer Sicht .....................................................143<br />

4.3.3 Implikationen aus Sicht der Theorie von Spencer Brown..........................................................145<br />

5 ORGANISATIONS- UND WANDELVERSTÄNDNIS .......................................... 147<br />

5.1 BAUSTEINE ORGANISATIONALER ANWENDUNGSTHEORIEN........................................ 147<br />

5.1.1 Organisation <strong>als</strong> <strong>Prozess</strong> – Der <strong>Prozess</strong> des Organisierens .....................................................148<br />

5.1.2 Organisation <strong>als</strong> lose gekoppelte Systeme.................................................................................151


Inhaltsverzeichnis<br />

5.1.3 Organisation <strong>als</strong> Kommunikation - Von der Verfertigung der Organisation im Dialog............152<br />

5.1.4 Organisation <strong>als</strong> Praxisgemeinschaft - Communities of practice..............................................153<br />

5.1.5 Organisation <strong>als</strong> Lernendes System – Das Konzept von Argyris und Schön .............................155<br />

5.1.6 Organisation <strong>als</strong> Beziehungsnetzwerk – Die Sozialpsychologie des Organisierens..................158<br />

5.1.7 Organisationen <strong>als</strong> Wissensstrukturen.......................................................................................159<br />

5.1.8 Fazit: Umrisse eines systemisch-konstruktivistischen Organisationsverständnis......................161<br />

5.2 WANDEL UND WANDELFÄHIGKEIT............................................................................. 164<br />

5.2.1 <strong>Wandel</strong> durch die konstruktivistische Brille...............................................................................168<br />

5.2.2 <strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Metafähigkeit?...........................................................................................174<br />

5.3 IDEALTYPISCHE HERAUSFORDERUNGEN EINER ORGANISATION IM WANDEL............. 178<br />

6 DIE FORSCHUNGSPARTNER, IHR UMFELD, IHRE PROJEKTE ................. 182<br />

6.1 ERSCHLIEßUNG DES FORSCHUNGSFELDES .................................................................. 183<br />

6.1.1 Auswahl der Interviewteilnehmer, teilnehmenden Beobachtungen und externen Dokumente...184<br />

6.1.2 Darstellung der empirischen Ergebnisse ...................................................................................185<br />

6.2 DIE ORGANISATION DES FORSCHUNGSPARTNERS SBT .............................................. 187<br />

6.2.1 Entstehungsgeschichte und Hintergrund der SBT......................................................................187<br />

6.2.2 SBT <strong>als</strong> Teil der SIEMENS AG ..................................................................................................189<br />

6.2.3 Organisation der SBT bei ihrer Gründung 1998 .......................................................................189<br />

6.2.4 Organisation der SBT nach der Restrukturierung 2000 ............................................................193<br />

6.2.5 Identitätsmerkmale Landis&Staefa............................................................................................195<br />

6.2.6 <strong>Wandel</strong>arenen bei SBT...............................................................................................................197<br />

6.3 EXTERNER KONTEXT DER PROJEKTE BEI SBT............................................................ 198<br />

6.3.1 Der Markt von Landis&Staefa...................................................................................................199<br />

6.3.2 Der Merger von STAEFA CONTROL und LANDIS&GYR.................................................................202<br />

6.3.3 Die Strategie der SBT: Vom Multi- zum Transnationalen Unternehmen...................................210<br />

6.3.4 Subsidiarität...............................................................................................................................212<br />

6.4 WANDELPROJEKTE BEI SBT....................................................................................... 214<br />

6.4.1 Balanced Scorecard (BSC) ........................................................................................................215<br />

6.4.2 Enterprise Ressource Planning (ERP).......................................................................................236<br />

6.4.3 Performance Contracting (PFC) ...............................................................................................251<br />

6.5 DIE ORGANISATION DES FORSCHUNGSPARTNERS MIGROS AARE............................... 260<br />

6.5.1 Die Entstehungsgeschichte der MIGROS AARE............................................................................261<br />

6.5.2 Struktur der MIGROS AARE..........................................................................................................261<br />

6.5.3 Identitätsmerkmale der MIGROS.................................................................................................263<br />

6.5.4 Treiber des <strong>Wandel</strong>s in der MIGROS...........................................................................................265<br />

6.6 EXTERNER KONTEXT DER PROJEKTE DER MIGROS AARE........................................... 267<br />

6.6.1 Der Markt der MIGROS AARE......................................................................................................268<br />

6.6.2 Fusion ........................................................................................................................................269<br />

6.6.3 Die Strategie der MIGROS AARE .................................................................................................270<br />

6.6.4 Der genossenschaftliche Hintergrund........................................................................................271<br />

6.6.5 Der externe Kontext der SBT und der MIGROS AARE im Vergleich ............................................273<br />

6.7 STRATEGISCHE WANDELPROJEKTE DER MIGROS AARE ............................................. 274<br />

6.7.1 Zentralisierung der Logistik.......................................................................................................275<br />

6.7.2 Zentrales Warenwirtschaftssystem (WWS).................................................................................278<br />

ix


x<br />

Ein Gedankenexperiment<br />

6.7.3 TEZetera ....................................................................................................................................282<br />

6.8 ZUSAMMENFASSUNG DER VERSCHIEDENEN PROJEKTE............................................... 286<br />

6.9 GEMEINSAMKEITEN UND UNTERSCHIEDE DER BEIDEN UNTERNEHMEN ..................... 287<br />

7 EMPIRISCHE ANALYSE DER IDENTITÄTSBILDENDEN WIRKUNG<br />

STRATEGISCHER INITIATIVEN......................................................................... 289<br />

7.1 DER INTERNE KONTEXT – EINE STRUKTURELLE ANALYSE......................................... 289<br />

7.1.1 Die zwei Seiten des <strong>Wandel</strong>s: Wertschätzung des Bestehenden und Erläuterung des<br />

Veränderungsbedarfs ................................................................................................................................ 290<br />

7.1.2 Zugehörigkeit <strong>als</strong> oberstes Prinzip ............................................................................................294<br />

7.1.3 Wachstum und Fortpflanzung – eine Frage der Reihenfolge ....................................................299<br />

7.1.4 Einsatz für das Ganze ................................................................................................................305<br />

7.1.5 Leistungen und Fähigkeiten.......................................................................................................309<br />

7.1.6 Zusammenfassung: Systemische Strukturprinzipien ..................................................................310<br />

7.2 DIE WANDELPROZESSE – EINE ANALYSE DER HANDLUNGEN .................................... 312<br />

7.2.1 Der Ausgangspunkt des <strong>Wandel</strong>s - Wo sind wir? ......................................................................313<br />

7.2.2 Der zukünftige/erwartete Zustand – wo wir hin wollen.............................................................322<br />

7.2.3 <strong>Wandel</strong>projekte <strong>als</strong> <strong>Prozess</strong>e relationaler Identitätsbildung .....................................................331<br />

7.2.4 Unterschiede erkennen und Anschlussfähigkeit schaffen ..........................................................347<br />

7.2.5 Reflexion und Beobachtung 2. Ordnungen – wer sind wir von außen gesehen? .......................363<br />

8 UND WAS VOM TAGE ÜBRIG BLEIBT............................................................... 376<br />

8.1 VOM WANDEL DER ORGANISATION ZUR ORGANISATION DES WANDELS................... 377<br />

8.2 BRUCHSTELLEN ORGANISATIONALER IDENTITÄTSSTRUKTUREN ................................ 383<br />

8.3 ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT ODER RETROSPEKTIVE IDENTITÄTSBILDUNG – PRAKTISCHE<br />

IMPLIKATIONEN IDENTITÄTSBILDENDER PROZESSE .................................................. 390<br />

8.4 HANDLUNG, STRUKTUR UND IDENTITÄT – THEORETISCHE IMPLIKATIONEN<br />

IDENTITÄTSBILDENDER PROZESSE ............................................................................ 395<br />

8.5 FAZIT: IDENTITÄTSBILDENDE PROZESSE IN POST-MERGER-PHASEN ......................... 399<br />

VERZEICHNIS DER FORSCHUNGSAKTIVITÄTEN................................................. 404<br />

LITERATURVERZEICHNIS............................................................................................ 416


Abbildungsverzeichnis<br />

Abbildungsverzeichnis<br />

Abbildung 1: Tetralemma des <strong>Wandel</strong>s in Post-Merger-Phasen ............................................. 23<br />

Abbildung 2: Tetralemma des <strong>Wandel</strong>s II ............................................................................... 24<br />

Abbildung 3: Tetralemma des <strong>Wandel</strong>s III.............................................................................. 25<br />

Abbildung 4: Die drei Phasen der Feldforschung .................................................................... 27<br />

Abbildung 5: Überblick über den Aufbau der Arbeit .............................................................. 30<br />

Abbildung 6: Gedankenfluss Kapitel 2 .................................................................................... 32<br />

Abbildung 7: Gedankenfluss Kapitel 2 .................................................................................... 34<br />

Abbildung 8: Dualität von <strong>Wandel</strong> und <strong>Wandel</strong>fähigkeit........................................................ 36<br />

Abbildung 9: Phasen eines Zusammenschlussprozesses ......................................................... 42<br />

Abbildung 10: Gedankenfluss Kapitel 2 .................................................................................. 51<br />

Abbildung 11: Dualität strategischer Handlungen und organisationaler Identität................... 57<br />

Abbildung 12: Gedankenfluss Kapitel 2 .................................................................................. 62<br />

Abbildung 13: Gedankenfluss Kapitel 3 .................................................................................. 68<br />

Abbildung 14: Gedankenfluss Kapitel 3 .................................................................................. 72<br />

Abbildung 15: Gedankenfluss Kapitel 3 .................................................................................. 81<br />

Abbildung 16: Drei Dimensionen kontextualistischer <strong>Wandel</strong>forschung................................ 93<br />

Abbildung 17: Gedankenfluss Kapitel 4 ................................................................................ 101<br />

Abbildung 18: Gedankenfluss Kapitel 4 ................................................................................ 102<br />

Abbildung 19: Zusammenhang von Struktur und Handlung ................................................. 107<br />

Abbildung 20: Reproduktion von Strukturen in unterschiedlichen Systemen....................... 108<br />

Abbildung 21: Grundstruktur der Strukturationstheorie ........................................................ 109<br />

Abbildung 22: Bewusstseinsebenen und Handlungskontrolle............................................... 111<br />

Abbildung 23: Strukturelle und strategische Analyse............................................................ 113<br />

Abbildung 24: Stratifikationsmodell des Handelnden in Anlehnung an Giddens ................. 115<br />

Abbildung 25: Gedankenfluss Kapitel 4 ................................................................................ 118<br />

Abbildung 26: Pragmatischer Wert der Information auf dem Kontinuum von<br />

Erstmaligkeit und Bestätigung................................................................................. 127<br />

Abbildung 27: Schismogenetische Eskalation ....................................................................... 130<br />

xi


xii<br />

Ein Gedankenexperiment<br />

Abbildung 28: Einschränkung schismogenetischer Reaktionen.............................................131<br />

Abbildung 29: Systemprinzipien in Anlehnung an.................................................................136<br />

Abbildung 30: Überblick über die Grundprinzipien für den Systemerhalt.............................141<br />

Abbildung 31: Gedankenfluss Kapitel 4.................................................................................142<br />

Abbildung 32: Gedankenfluss Kapitel 5.................................................................................147<br />

Abbildung 33: Gedankenfluss Kapitel 5.................................................................................148<br />

Abbildung 34: Anpassungslernen (Single-loop-learning) ......................................................156<br />

Abbildung 35: Reflexives Lernen (Double-loop-learning).....................................................157<br />

Abbildung 36: <strong>Prozess</strong>lernen (Deutero-learning) ...................................................................157<br />

Abbildung 37: Übersicht über die dargestellten Konzepte .....................................................163<br />

Abbildung 38: Gedankenfluss Kapitel 5.................................................................................164<br />

Abbildung 39: <strong>Wandel</strong> <strong>als</strong> Veränderung vom IST- zum SOLL-Zustand ...............................165<br />

Abbildung 40: <strong>Wandel</strong> durch die konstruktivistische Brille...................................................167<br />

Abbildung 41: Höchster pragmatischer Wert der Information ...............................................171<br />

Abbildung 42: Kontinuierlicher und diskontinuierlicher <strong>Wandel</strong> ..........................................172<br />

Abbildung 43: Interpunktion und Verstetigung des <strong>Wandel</strong>s.................................................173<br />

Abbildung 44: <strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Fähigkeit zur Veränderung des <strong>Wandel</strong>musters ............175<br />

Abbildung 45: <strong>Wandel</strong>fähigkeit und <strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Metafähigkeit ..............................176<br />

Abbildung 46: Modell systemorientierter organisationaler Herausforderungen ....................181<br />

Abbildung 47: Übersicht über die Darstellung der empirischen Ergebnisse..........................186<br />

Abbildung 48: Gedankenfluss Empirie...................................................................................187<br />

Abbildung 49: Entstehungsgeschichte der SBT......................................................................188<br />

Abbildung 50: Struktur der SBT bei ihrer Gründung .............................................................190<br />

Abbildung 51: Beispiel eines organisationalen Double Binds................................................193<br />

Abbildung 52: Inhalte des <strong>Wandel</strong>s in der SBT .....................................................................197<br />

Abbildung 53: Gedankenfluss Empirie...................................................................................199<br />

Abbildung 54: Vertriebskanäle im Building Control Markt...................................................200<br />

Abbildung 55: Strategische Positionierung nach dem Value Proposition Ansatz..................202<br />

Abbildung 56: Symbolische Darstellung der beiden Firmen..................................................205


Abbildungsverzeichnis<br />

Abbildung 57: Darstellung der strategischen Ausrichtung .................................................... 210<br />

Abbildung 58: Globale Integration und Lokale Rezeptivität ................................................. 211<br />

Abbildung 59: Gedankenfluss Empirie.................................................................................. 215<br />

Abbildung 60: Darstellung einer Balanced Scorecard aus einem BSC-Einführungsguide.... 216<br />

Abbildung 61: Abbildung des BSC Gesamtprozesses ........................................................... 217<br />

Abbildung 62: Beispiel BSC.................................................................................................. 231<br />

Abbildung 63: Ausschnitt aus dem Business-Modell ............................................................ 232<br />

Abbildung 64: Gedankenfluss Kapitel 6 ................................................................................ 236<br />

Abbildung 65: Übersicht über die Organisation des Projekts auf der EU Ebene .................. 242<br />

Abbildung 66: Aufbauorganisation des Projekts in der DU CH............................................ 243<br />

Abbildung 67: Übersicht über die geplanten Phasen des Projekts......................................... 244<br />

Abbildung 68: Vorlage für die Länderspezifische Change Impact Analysis......................... 247<br />

Abbildung 69: Vorlage für den Aktionsplan einer Länderspezifischen Change Impact<br />

Analysis.................................................................................................................... 248<br />

Abbildung 70: Gedankenfluss Empirie.................................................................................. 251<br />

Abbildung 71: Darstellung des PFC....................................................................................... 252<br />

Abbildung 72: Geschäftsprozess des PFC ............................................................................. 253<br />

Abbildung 73: Historische Entwicklung des PFC.................................................................. 254<br />

Abbildung 74: Gedankenfluss Empirie.................................................................................. 260<br />

Abbildung 75: Organigramm der Genossenschaft MIGROS AARE......................................... 262<br />

Abbildung 76: Eigenmarken der MIGROS .............................................................................. 264<br />

Abbildung 77: Ausgewählte Treiber des <strong>Wandel</strong>s in der MIGROS ........................................ 266<br />

Abbildung 78: Gedankenfluss Empirie.................................................................................. 268<br />

Abbildung 79: Gedankenfluss Empirie.................................................................................. 275<br />

Abbildung 80: Zusammenlegung der Frischplattform und des Verteilzentrums Non-<br />

Food ......................................................................................................................... 277<br />

Abbildung 81: Geplante Integration der Informatik in drei WWS ........................................ 279<br />

Abbildung 82: Gedankenfluss Empirie.................................................................................. 290<br />

Abbildung 83: Auswirkung der Abwertung des Bestehenden ............................................... 292<br />

Abbildung 84: Konflikt zwischen Zugehörigkeit und Leistung............................................. 296<br />

xiii


xiv<br />

Ein Gedankenexperiment<br />

Abbildung 85: Phasen der Entwicklung eines neuen Geschäftssegments ..............................304<br />

Abbildung 86: Gedankenfluss Empirie...................................................................................312<br />

Abbildung 87: Ausgangspunkt <strong>als</strong> Element des <strong>Wandel</strong>prozesses.........................................313<br />

Abbildung 88: Der erwartete Zustand <strong>als</strong> Element des <strong>Wandel</strong>prozesses..............................322<br />

Abbildung 89: <strong>Wandel</strong>projekte <strong>als</strong> Element des <strong>Wandel</strong>prozesses ........................................331<br />

Abbildung 90: System sich überlappender Gruppen nach Likert ...........................................344<br />

Abbildung 91: Identität im <strong>Prozess</strong> der Strukturierung ..........................................................346<br />

Abbildung 92: Unterschiede und Anschlussfähigkeit <strong>als</strong> Element des <strong>Wandel</strong>prozesses......347<br />

Abbildung 93: Beschreibung der eigenen Position und des Geschäftsverständnisses............354<br />

Abbildung 94: Alte und neue Divisionsbezeichnungen auf den Visitenkarten ......................356<br />

Abbildung 95: Bestätigende und erstmalige Informationen des PFC.....................................362<br />

Abbildung 96: Reflexion <strong>als</strong> Element des <strong>Wandel</strong>prozesses..................................................364<br />

Abbildung 97: Übersicht über Kapitel 8.................................................................................377<br />

Abbildung 98: Rekursivität <strong>Strategischer</strong> <strong>Wandel</strong>projekte und Organisationaler Identität ...378<br />

Abbildung 99: Übersicht über Kapitel 8.................................................................................383<br />

Abbildung 100: Modell zum <strong>Wandel</strong> der organisationalen Identität......................................385<br />

Abbildung 101: Bruchstellen der Identitätsbildung strategischer <strong>Prozess</strong>e............................386<br />

Abbildung 102: Übersicht über Kapitel 8...............................................................................391<br />

Abbildung 103: Möglichkeiten der retrospektiven <strong>Wandel</strong>arbeit..........................................394<br />

Abbildung 104: Überblick über Kapitel 8...............................................................................396<br />

Abbildung 105: Handlung, Struktur und Identität aus system- und<br />

strukturationstheoretischer Sicht ..............................................................................398<br />

Abbildung 106: Übersicht über Kapitel 8...............................................................................399


Tabellenverzeichnis<br />

Tabellenverzeichnis<br />

Tabelle 1: Entwicklung des Marktes für Fusionen................................................................... 37<br />

Tabelle 2: Anzahl weltweiter Fusionen.................................................................................... 38<br />

Tabelle 3: Vergleich des positivistischen und des konstruktivistischen Paradigmas der<br />

Wissenschaft .............................................................................................................. 75<br />

Tabelle 4: Vergleich des kognitionstheoretischen und relationaler Konstruktivismus............ 79<br />

Tabelle 5: Methodologische Anforderungen und das Vorgehen ............................................. 82<br />

Tabelle 6: Typen von Designs für Case Studies ...................................................................... 89<br />

Tabelle 7: Gegenüberstellung von Gütekriterien des positivistischen und des<br />

konstruktivistischen Forschungsverständnisses......................................................... 97<br />

Tabelle 8: Formen des Wissens.............................................................................................. 159<br />

Tabelle 9: Vergleich eines technischen und eines systemisch-konstruktivistischen<br />

<strong>Wandel</strong>- und Systemverständnisses ......................................................................... 168<br />

Tabelle 10: Gegenüberstellung der BSC bei der SBT US und der SBT EU.......................... 235<br />

Tabelle 11: Identität und Image ............................................................................................. 330<br />

xv


Abkürzungsverzeichnis<br />

Abkürzungsverzeichnis<br />

BSC Balanced Scorecard<br />

BY Business Year (Geschäftsjahr)<br />

Bzgl. bezüglich<br />

bspw. beispielsweise<br />

bzw. beziehungsweise<br />

CIA Change Impact Analysis<br />

d.h. das heißt<br />

DU Divisional Unit bzw. Landesgesellschaft<br />

EBIT Earnings before Interest and Tax<br />

ERP Enterprise Ressource Planning<br />

etc. et cetera<br />

evtl. eventuell<br />

F&C Finance & Controlling<br />

F&E Forschung & Entwicklung<br />

GMN General Management Navigator<br />

HQ Hauptquartier bzw. Sitz der Firmenzentrale<br />

HO Homeoffice bzw. Sitz der Firmenzentrale SBT in den USA<br />

HRM Human Resource Management<br />

i.d.R. in der Regel<br />

i.S. im Sinne<br />

i.S.v. im Sinne von<br />

L&S LANDIS&STAEFA<br />

LSC Learning Support Center<br />

M&A Mergers und Acquisitions<br />

MGB MIGROS Genossenschaftsbund<br />

OCV Outstanding Customer Value<br />

PFC Performance Contracting<br />

P&L Profit und Loss (Gewinn- und Verlust)<br />

PMI Post-Merger-Integration<br />

ROI Return on Investment<br />

SBT SIEMENS BUILDING TECHNOLOGIES<br />

s.g. sogenannte<br />

u.a. unter anderem<br />

u.U. unter Umständen<br />

z.B. zum Beispiel<br />

TS Thomas Schumacher<br />

VPA Value Proposition Ansatz<br />

WWS Warenwirtschaftssystem<br />

xvi


Quo vadis strategic change? – Zum Dilemma strategischen <strong>Wandel</strong>s in Organisationen<br />

1 Quo vadis strategic change?–<br />

Zum Dilemma strategischen <strong>Wandel</strong>s in Organisationen<br />

Über der Veränderung liegt stets ein Hauch von Unbegreiflichkeit.<br />

Carl Friedrich von Weizsäcker<br />

Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr. Diese Binsenweisheit aus dem<br />

Bereich familiärer „<strong>Wandel</strong>prozesse“ bietet eine treffende Analogie zu den strate-<br />

gischen <strong>Wandel</strong>prozessen heiratswilliger Organisationen. Nicht nur, dass enthusias-<br />

tischen Ankündigungen häufig Phasen der Ernüchterung folgen, sondern dass diese<br />

Phasen meist auch nachhaltige Identitätsveränderungen markieren.<br />

Die Konsequenzen, die sich im organisationalen Kontext ergeben, sind - wie bei der<br />

Umsetzung des familiären Pendants – in der Regel über Jahrzehnte zu beobachten. In<br />

Organisationen entscheiden dabei häufig die lang andauernden <strong>Prozess</strong>e über den<br />

Erfolg des strategischen <strong>Wandel</strong>s. Zudem werden diese <strong>Prozess</strong>e meist von anderen<br />

getragen, <strong>als</strong> denjenigen, die die Entscheidung ursprünglich trafen. 2<br />

Wann führt aber eine Strategie (wie z.B. eine Fusionsstrategie) tatsächlich zum organi-<br />

sationalen <strong>Wandel</strong>? Was zeichnet allgemein wirksame strategische Initiativen 3 aus?<br />

Nach MINTZBERG werden Strategien wirksam, wenn, wie bei einem Kunsthandwerker,<br />

in der Tätigkeit des Managers Denken und Tun ineinander fließen. Er spricht in diesem<br />

Zusammenhang von „emergenten Strategien“. 4 Das aus dem Militärischen bekannte<br />

Bild praxisfern denkender Strategen, die von einem sicheren Hügel aus das kämpfende<br />

Fuß- und Reitervolk leiten, eignet sich demnach nicht für den organisationalen<br />

<strong>Wandel</strong>. 5<br />

2 Dieser Umstand wurde in einem der in dieser Studie untersuchten Fusionsfälle mit Hinweis auf ein Zitat von<br />

Norman Schwarzkopf kolportiert: „No matter how much HQ messes things up it’s always the guys in the field<br />

who win or loose the battle“:<br />

3 Anstelle des Begriffs „Projekt“ oder „strategisches Projekt“ wird im Folgenden vornehmlich der Begriff der<br />

Initiative und der „strategischen Initiative“ verwendet. Damit soll vor allem einer stark technischen<br />

Verwendung vorgebeugt werden und darauf aufmerksam gemacht werden, dass es sich bei solchen<br />

Initiativen um eine Struktur handelt, auf die sich die Akteuere im <strong>Wandel</strong>prozess immer wieder beziehen und<br />

die im Rahmen des <strong>Wandel</strong>prozesses stets neu ausgehandelt wird. Vgl. insbes. Rüegg-Stürm, 2001. Der<br />

Begriff „Projekt“ wird aber überall dort verwendet, wo es zur angemessenen Beschreibung und<br />

Wiedererkennung der beobachteten Phänome angemessen erscheint.<br />

4 Vgl. Mintzberg, 1991.<br />

5 Vgl. Schulz, 1999.<br />

17


18<br />

Ein Gedankenexperiment<br />

Die vorliegende Studie untersucht anhand einer Fülle von empirischem Material aus<br />

verschiedenen <strong>Wandel</strong>initiativen die Herausforderung, die sich aus dem Gegensatz<br />

von Identität und strategischem <strong>Wandel</strong> ergibt. Die Initiativen finden jeweils im<br />

Kontext von Fusionen <strong>als</strong> einem Spezialfall strategischen <strong>Wandel</strong>s statt. Sie zielen<br />

mehr oder weniger explizit auf die Integration organisationaler <strong>Prozess</strong>e und<br />

Strukturen und damit implizit auf eine Veränderung der Identität der Organisation ab.<br />

Nach der mehrheitlich in der Strategieliteratur vertretenen Meinung bestimmt vor<br />

allem der „Fit“ der beiden Organisationen den Erfolg solcher Integrationsprozesse. 6<br />

Integration kann demnach funktionieren, wenn Strategie, Organisation und Identität<br />

zueinander passen. Diese Auffassung ist aus konstruktivistischer Sicht äußerst frag-<br />

lich. In Anlehnung an SIMON („Meine Psychose, mein Fahrrad und ich“) 7 klingt die<br />

simplifizierende Verdinglichung vom notwendigen „Fit“ kategorial eher nach dem<br />

Zusammenbau von Legosteinen <strong>als</strong> der Zusammenführung komplexer<br />

Organisationsstrukturen und -prozesse.<br />

Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Satz von ALFRED KORZYBSKI,<br />

wonach „eine Landkarte nicht das Gebiet ist, das sie repräsentiert, aber wenn sie<br />

korrekt ist, ist sie in ihrer Struktur der Struktur des Gebietes gleich (oder ähnlich),<br />

worin ihre Brauchbarkeit begründet ist“. 8<br />

Auch bei der Beschreibung strategischer <strong>Wandel</strong>prozesse scheint es wichtig,<br />

brauchbare Landkarten zu entwickeln, diese aber nicht mit dem Gebiet zu verwech-<br />

seln. So gibt es in der <strong>Wandel</strong>literatur einige Stimmen, die das Bild vom Fit der Orga-<br />

nisationen kritisch beleuchten und plausibel argumentieren, dass insbesondere die<br />

kulturelle Ähnlichkeit dazu führen kann, Unterschiede zu unterschätzen und<br />

Immunreaktionen zu bilden. 9 Damit wird zur entscheidenden Frage für den Erfolg von<br />

Fusionen und Unternehmenszusammenschlüssen, ob kulturell und strategisch ähnliche<br />

oder unterschiedliche Partner gesucht werden müssen.<br />

Wie kommt es aber, dass diese Frage so unterschiedlich beantwortet wird? Warum<br />

verwenden Vertreter aus dem Lager der Strategieformulierung eine völlig andere<br />

6 Vgl. u.a. Jemison und Sitkin, 1986; Buono und Bowditch, 1989; Haspeslagh und Farquhar, 1987.<br />

7 Vgl. Simon, 1997.<br />

8 Vgl. Korzybski, 1980. Bei Korzybski´s Landkartenmetapher handelt es sich um eine der frühesten Theorien mit<br />

einem selbstreferentiellen Modell.<br />

9 Vgl. Deiser, 1994; Jansen, 2000a.


Quo vadis strategic change? – Zum Dilemma strategischen <strong>Wandel</strong>s in Organisationen<br />

Landkarte <strong>als</strong> ihre Kollegen aus der strategischen <strong>Wandel</strong>forschung? Wenngleich es<br />

sich bei den beiden Richtungen nach traditioneller Vorstellung um zeitlich aufein-<br />

anderfolgende Phasen handelt, scheint nicht nur der thematische Fokus sondern<br />

womöglich auch das zugrunde liegende Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis unter-<br />

schiedlich zu sein. Um die divergierenden Ergebnisse zu verstehen, müssen die<br />

zugrundeliegenden Annahmen, wie die der Planbarkeit und der linearen Umsetzung<br />

von Strategien, wie sie traditionell in der Strategieprozessforschung existieren,<br />

offengelegt werden. 10<br />

Die nachfolgende Studie zur Bedeutung strategischer Initiative für die<br />

Identitätsbildung in Post-Merger-Integrationsprozessen wird in diesem Sinne<br />

versuchen, brauchbare Landkarten zu entwickeln. Dazu sollen die impliziten<br />

Annahmen wissenschaftstheoretischer, methodischer und organisationstheoretischer<br />

Art, die in diese Arbeit einfließen, transparent gemacht werden.<br />

Um den Leser durch diese Arbeit zu führen und ihm eine Orientierung zu geben,<br />

werden Landkarten in Form von Kapitelübersichten anzeigen, wo er sich gerade<br />

befindet.<br />

1.1 Post-Merger-Integration <strong>als</strong> Spezial- oder Generalfall des<br />

strategischen <strong>Wandel</strong>s?<br />

Die vorliegende Studie zum Thema Post-Merger-Integration findet im Rahmen eines<br />

Forschungsprojekts statt, das theoretisch und empirisch organisationalen <strong>Wandel</strong> und<br />

Erneuerung in Organisationen untersucht. Eine, wenn nicht die größte, Management-<br />

herausforderung im Bereich des organisationalen <strong>Wandel</strong>s ist nach Auffassung von<br />

DONNERSMARCK und SCHULZ die Bewältigung von Fusionen. 11 Diese Arbeit stellt in<br />

diesem Sinne einen wichtigen theoretischen Teilausschnitt zur Frage des Umgangs mit<br />

organisationalem <strong>Wandel</strong> dar.<br />

Aus der empirischen Arbeit im Rahmen des Forschungsprojekts wurde in den letzten<br />

zwei Jahren deutlich, dass zeitlich nachgelagerte strategische Integrationsinitiativen<br />

zurückliegender Fusionen von enormer Bedeutung für das Selbstverständnis der<br />

Organisation sind. Die tiefgreifenden strukturellen und kulturellen Veränderungen<br />

eines organisationalen Zusammenschlusses gehen häufig mit großen Integrations-<br />

10 Vgl. Huff und Reger, 1987; Rüegg-Stürm, 2000.<br />

11 Vgl. Donnersmarck und Schulz, 1999.<br />

19


20<br />

Ein Gedankenexperiment<br />

projekten einher, welche nachhaltigen Einfluss auf die organisationale Identität haben.<br />

Wenngleich dies im Tagesgeschäft im ersten Moment nicht offensichtlich ist, wird den<br />

Beteiligten häufig allmählich bewusst, wie sich das Gesicht der eigenen Organisation<br />

mit der Zeit verändert.<br />

Fusionen können in diesem Sinne <strong>als</strong> Spezialfall des generellen Themas „organisatio-<br />

naler <strong>Wandel</strong>“ angesehen werden, da sie die Grenzen, Strukturen, Regeln und<br />

Identitäten der betreffenden Organisationen sehr konkret verändern. Sie stellen darüber<br />

hinaus aber auch einen wichtigen Kontextfaktor organisationalen <strong>Wandel</strong>s dar. Denn<br />

im Zuge von Fusionen finden häufig grössere Veränderungen in Organisationen statt.<br />

Dies ist insbesondere bei solchen Fusionen der Fall, die durch die Nutzung von<br />

Synergie- oder Einsparungspotentialen motiviert sind.<br />

WIMMER räumt hierzu ein, dass es schwierig sei, im Nachhinein bestimmte Entwick-<br />

lungen eines Unternehmens eindeutig auf Fusionsprozesse zurückzuführen. 12 So<br />

wurde auch in den vorliegenden Fällen der Zusammenhang zwischen den<br />

„strategischen Projekten“ oder „Kernprozessen“ und den Fusionen, von verschiedenen<br />

Unternehmensangehörigen unterschiedlich stark wahrgenommen. Dieser Umstand ist<br />

aufgrund der vielen parallel laufenden <strong>Prozess</strong>e in einer Fusionsphase, der<br />

verschiedenen Sub-Systeme, der lokalen Logiken und der keineswegs linear-kausalen<br />

Zusammenhänge solcher <strong>Prozess</strong>e durchaus nachvollziehbar 13 . Die große Zahl<br />

paralleler Initiative und <strong>Prozess</strong>e erschwert nicht zuletzt auch den Nachweis, ob die<br />

mit der Fusion verbundenen Ziele und Synergien erreicht worden sind.<br />

Ein Blick auf die hohe Zahl gescheiterter Fusionen macht deutlich, dass die<br />

Auseinandersetzung mit dem komplexen Thema trotzdem Not tut. 14 JANSEN führt<br />

diese hohe Misserfolgsrate vor allem auf das Scheitern der kulturellen Integration<br />

aufgrund der mangelhaften Integrationsmöglichkeit und -fähigkeit der beteiligten<br />

Organisationen zurück. Nach seiner Auffassung ist vor allem der Aufbau einer<br />

12 Vgl. Wimmer, 1999.<br />

13 Bei den, in dieser Arbeit verwendeten Begriffen der Logik handelt es sich nicht um den mathematisch-<br />

philosophischen Begriff, sondern um Regularitäten und Gesetzmäßigkeiten in <strong>Prozess</strong>en und Systemen, die<br />

auch Beobachtungsfehlern unterliegen können.<br />

14 Vgl. hierzu den Überblick über die Evaluationsstudien in Kapitel 2.


Quo vadis strategic change? – Zum Dilemma strategischen <strong>Wandel</strong>s in Organisationen<br />

gemeinsamen Identität und eine Neugründung der Unternehmensgeschichte von<br />

zentraler Bedeutung für die Integration zweier Organisationen. 15<br />

Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht deshalb die Rolle und die Bedeutung, die<br />

strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen im Rahmen von „Post-Merger-Integrationsphasen“<br />

zukommt. Wie müssen strategische Integrationsprojekte im Kontext einer Fusion<br />

gestaltet sein, damit sie einen Möglichkeitsraum für den Aufbau einer gemeinsamen<br />

Identität darstellen? Welche organisationalen Fähigkeiten müssen dazu vorhanden<br />

sein?<br />

Diese Frage impliziert bereits ein zentrales Dilemma strategischen <strong>Wandel</strong>s: Während<br />

die Identität einer Organisation i.d.R. <strong>als</strong> etwas Stabiles, Konstantes und Kontinu-<br />

ierliches angesehen wird, wird organisationaler <strong>Wandel</strong> mit Flexibilität, Dynamik und<br />

Veränderung in Verbindung gebracht. Das nachfolgende Kapitel zeigt ein Modell, das<br />

zum kreativen Umgang mit solchen Dilemma-Situationen inspiriert.<br />

1.2 Eine Einladung zu einem Experiment: Vom Dilemma zum Tetralemma<br />

der Post-Merger-Integration<br />

<strong>Wandel</strong>- und Integrationsprozesse im Rahmen einer Fusion gleichen häufig einer Art<br />

Dilemma: Beispiele dafür sind die Entscheidungen, welcher der beiden Namen,<br />

welcher Firmensitz oder welches der IT-Systeme weitergeführt werden soll.<br />

Anhand der Erweiterung eines Dilemmas in ein Tetralemma 16 sollen im Folgenden<br />

Inspirationen für <strong>Wandel</strong>prozesse aufgezeigt und die scheinbar unüberwindlichen<br />

Gegensätze in einen umfassenderen Kontext gestellt werden.<br />

Das Tetralemma (Sanskrit: catuškoti; „vier Ecken“ im Sinne von vier Positionen oder<br />

Standpunkten) stellt eine Struktur aus der traditionellen buddhistische Logik zur<br />

Kategorisierung von Haltungen und Standpunkten dar. Es wurde im Rechtswesen<br />

verwendet, um mögliche Standpunkte eines Richters in einem Streitfall zwischen zwei<br />

Parteien zu kategorisieren. Die Erweiterung des Tetralemmas um eine fünfte Nicht-<br />

Position geht vermutlich auf Buddhistische Logiker zurück. VARGA VON KIBÉD und<br />

15 Vgl. Jansen, 2000b.<br />

16 Vgl. zum Begriff und der Verwendung des Tetralemmas Sparrer, 2001;Varga von Kibéd und Sparrer, 2000a<br />

Varga von Kibéd und Sparrer, 2000b. In Streng, 1975; Sturm, 1996 finden sich die logischen Grundlagen des<br />

Tetralemmas beschrieben.<br />

21


22<br />

Ein Gedankenexperiment<br />

SPARRER entwickelten schliesslich eine umfassende Theorie des Tetralemma-<br />

<strong>Prozess</strong>es. 17<br />

Das Dilemma beim Zusammenschluss zweier Organisationen äußert sich in einer Viel-<br />

zahl vordergründig sachlicher Fragen, wie etwa der Entscheidung für einen Firmensitz,<br />

der Wahl der Vorstands- oder Geschäftsleitungsmitglieder und der IT- oder Anreiz-<br />

systeme. Die technischen, rechtlichen oder betriebswirtschaftlichen Entscheidungen<br />

weisen allerdings häufig „softe“ und bisweilen übersehene Implikationen für Kultur,<br />

Regeln, Werte und Identität der betroffenen Organisationen auf. Ein Beispiel hierfür<br />

ist die Entscheidung über die Integrationsgeschwindigkeit. Ein langsames Vorgehen<br />

bedeutet viel Zeit, um zu nachhaltigen Entscheidungen zu kommen, bedeutet aber<br />

auch häufig eine Phase längerer Unsicherheit für die Organisation. Ein schnelle<br />

Vorgehensweise – „in einem Handstreich“ – übergeht häufig das vorhandene Wissen<br />

und führt so häufig zu Unverständnis bei den Beteiligten.<br />

So besteht beim Thema dieser Arbeit „Identität und <strong>Wandel</strong>“ bereits von Vorneherein<br />

ein Dilemma: Auf der einen Seite die bestehende Identität. Sie wurzelt in etablierten<br />

Strukturen und Regeln und bedeutet für die Organisationsmitglieder Stabilität,<br />

Beständigkeit, Planbarkeit und Sicherheit. 18<br />

Auf der anderen Seite des Dilemmas der <strong>Wandel</strong>, der i.d.R. Veränderung und Unge-<br />

wissheit für die Beteiligten bedeutet. Die Organisationsmitglieder wissen häufig nicht,<br />

ob und wo sie sich in einer zukünftigen Organisation wiederfinden. Unterschiede<br />

zwischen der jetzigen und der zukünftigen Identität werden – wenn überhaupt bewusst<br />

wahrgenommen – sowohl über- <strong>als</strong> auch häufig unterschätzt.<br />

17 Vgl. [Varga von Kibéd, 2000 #25] [Varga von Kibéd, 2000 #320]. Hierzu gehört neben einer prozessualen<br />

Verbindung der verschiedenen Pole u.a. auch die Entwicklung einer Typologie verschiedener Positionen der<br />

Position „Beides“.<br />

18 Baecker macht darauf aufmerksam, dass die Veränderung der Strukturen abzielt auf „die Wiedereinführung<br />

genau jener Ungewissheit in die Organisation, auf deren Absorption die Funktionsfähigkeit der Organisation<br />

bisher angewiesen war“. Vgl. Baecker, 1993.


Quo vadis strategic change? – Zum Dilemma strategischen <strong>Wandel</strong>s in Organisationen<br />

1. 1. 1. 1. 1. 1. 1. 1. Das Das Eine<br />

Eine Eine Eine Eine Eine Eine Eine<br />

die<br />

z.B. die die eigene<br />

Organisation<br />

Organisation<br />

Identität<br />

die die eigene<br />

Organisation<br />

Organisation<br />

Identität<br />

die die eigene<br />

Organisation<br />

Organisation<br />

Identität<br />

die die eigene<br />

Organisation<br />

Organisation<br />

Identität<br />

2. Das Andere<br />

der <strong>Wandel</strong><br />

<strong>Wandel</strong><br />

partner<br />

Entweder<br />

– oder<br />

Abbildung 1: Tetralemma des <strong>Wandel</strong>s in Post-Merger-Phasen<br />

Das Festhalten an den identitätsstiftenden, bewährten Routinen und Strukturen in<br />

<strong>Wandel</strong>prozessen ist angesichts des oft ungewissen <strong>Wandel</strong>inhalts (WAS?) und<br />

ungewissen <strong>Wandel</strong>prozesses (WIE?) nachvollziehbar 19 . Häufig führt nämlich das<br />

Verlassen des bisherigen Standpunkts zu einem ENTWEDER-ODER, ein Hin- und<br />

Herpendeln zwischen dem bisherigen Standort und einer zweiten Alternative. Sollten<br />

wir X oder nicht doch besser Y beibehalten? Diese Phase kann nur <strong>als</strong> <strong>Prozess</strong> aber<br />

nicht <strong>als</strong> Zustand beschrieben werden. Häufig wird sich dann für eine Alternative<br />

entschieden, während die andere zur Unterdrückung kognitiver Dissonanzen und zur<br />

Reduzierung der Komplexität ausgeblendet oder schnell vergessen wird. Dabei gehen<br />

leider viele gute Aspekte der nicht gewählten Alternative verloren, wie es beispiels-<br />

weise bei der deutschen Wiedervereinigung mit vielen positiven Errungenschaften der<br />

ehemaligen DDR geschah. Auch die Vorteile einer dezentralen Organisationsstruktur<br />

werden im Falle einer stärkeren Zentralisierung häufig schnell ausgeblendet.<br />

Dass die beiden Pole nicht <strong>als</strong> sich ausschließende Gegensätze angesehen werden<br />

müssen, zeigt sich häufig dann, wenn ein SOWOHL ALS AUCH gefunden wird. Die<br />

Gegensätzlichkeiten werden dabei in ihrer Tendenz <strong>als</strong> abnehmend wahrgenommen,<br />

aber nicht überwunden und auch keine gemeinsame Identität erreicht. Beispielsweise<br />

kann die Beibehaltung beider Firmensitze oder das Weiterbetreiben sowohl der<br />

eigenen <strong>als</strong> auch der fremden Software <strong>als</strong> Versuch gesehen werden, SOWOHL die eine<br />

19 Das Wie-Wissen lässt sich dabei noch mal unterscheiden in ein Wissen „wie etwas gemacht wird“ (z.B. wie<br />

ein Projekt man Fahrrad fährt) und „wie es ist etwas zu sein“ (z.B. wie es ist Vater zu sein). Insbesondere die<br />

zweite Art des Wie-Wissens spielt für die hier untersuchten <strong>Prozess</strong>e der Identitätsbildung eine wichtige<br />

Rolle.<br />

23


24<br />

Ein Gedankenexperiment<br />

ALS AUCH die andere Identität aufrecht zu erhalten. Ein solches Vorgehen führt aber<br />

nicht zu einer Verbindung i.S. eines BEIDES. 20<br />

1. 1. Das Das Eine<br />

Eine Eine Eine Eine Eine Eine Eine<br />

die<br />

z.B. die eigene eigene<br />

Organisation<br />

Identität<br />

die eigene eigene<br />

Organisation<br />

Identität<br />

die eigene eigene<br />

Organisation<br />

Identität<br />

die eigene eigene<br />

Organisation<br />

Identität<br />

2. Das Andere<br />

der <strong>Wandel</strong><br />

<strong>Wandel</strong><br />

partner<br />

Sowohl –<br />

<strong>als</strong> auch<br />

3. Beides z.B.<br />

2.1 Post-Merger-Integration<br />

eine und übersummative<br />

organisationaler übersummative <strong>Wandel</strong><br />

Verbindung<br />

Abbildung 2: Tetralemma des <strong>Wandel</strong>s II<br />

BEIDES kann sich u.a. in Form einer übersummativen Verbindung der Pole des<br />

Dilemmas ergeben. So wird beispielsweise der Gegensatz zwischen der Stabilität und<br />

dem <strong>Wandel</strong> der existierenden Identität im Rahmen einer übersummativen Verbindung<br />

nicht mehr länger <strong>als</strong> Gegensatz gesehen (z.B.: Um die Stabilität in einem geänderten<br />

Umfeld zu erhalten, braucht es Veränderung; um die Marktposition zu halten braucht<br />

es einen Produktwechsel). Eine weitere Verbindung kann in der Iteration, dem zeit-<br />

lichen Wechsel der beiden Pole (zeitweise <strong>Wandel</strong>, zeitweise Stabilität) bestehen. Ein<br />

Anschauungsbeispiel liefert das Fahrradfahren: Um das Gleichgewicht beim Fahrrad-<br />

fahren zu halten, bedarf es der beständigen Veränderung. Um die Stabilität zu erhalten,<br />

<strong>als</strong>o ständiger Flexibilität – eben Beides!<br />

Im Kontext von Organisationen können auch Kompromisse <strong>als</strong> Ausdruck von BEIDES<br />

darin bestehen, dass Loyalitäten zur Tradition einer Firma in Zukunft auch anders –<br />

nicht durch blindes Festhalten an einer Gewohnheit – ausgedrückt werden. 21<br />

20 Zum Vergleich der Begriffe „sowohl-<strong>als</strong> auch“ und „Beides“ sei der neugierige Leser an dieser Stelle<br />

eingeladen, die unterschiedlichen körperlichen Reaktionen der beiden Begriffe „entweder-oder“ und<br />

„Beides“ selbst zu testen. Dazu prüfen Sie, wie die Begriffe mit unterschiedlichen körperlichen<br />

Empfindungen einhergehen. Vgl. hierzu auch den Begriff der „semantischen Reaktion“ von KORZYBSKI<br />

(Korzybski, 1980). Hinweis zu dieser Übung von MATTHIAS VARGA VON KIBÉD im Rahmen einer<br />

Fortbildungsveranstaltung.<br />

21 So sind technischen Gründe z.B. beim Wechsel eines Systems, einer Vorgehensweise oder eines<br />

Geschäftsprozesses im Rahmen einer Integration häufig nur ein offizieller Grund. Vielfach sind mit dem<br />

sogenannten Widerstand ausgeblendete Themen der Loyalität oder Identität mit einer Firma verbunden.


Quo vadis strategic change? – Zum Dilemma strategischen <strong>Wandel</strong>s in Organisationen<br />

Auf dem Weg von Beides zur vierten Position (Keines von Beiden) wird die Phase des<br />

WEDER-NOCH durchlaufen. Weder-noch bedeutet dabei das Verlassen des alten<br />

Themenkontexts vor dem Erreichen des neuen Kontexts: Bei aktuellen Kooperations-<br />

oder Integrationsschwierigkeiten zwischen zwei Organisationen, kann der historische<br />

Kontext u.U. Hinweise auf die Gründe für die aktuellen Schwierigkeiten geben. Z.B.<br />

kann die Art und Weise wie ein Unternehmenszusammenschluss zustande gekommen<br />

ist Hinweise geben auf spätere Kooperationsschwierigkeiten in gemeinsamen<br />

Initiativen.<br />

4. Keines von Beiden<br />

2.1 Post-Merger-Integration<br />

z.B. und organisationaler Ereignisse in <strong>Wandel</strong> der<br />

Vergangenheit<br />

1. 1. Das Das Eine<br />

Eine<br />

die<br />

z.B. die eigene<br />

Organisation<br />

Identität<br />

die eigene<br />

Organisation<br />

Identität<br />

die eigene<br />

Organisation<br />

Identität<br />

die eigene<br />

Organisation<br />

Identität<br />

2. Das Andere<br />

der <strong>Wandel</strong> <strong>Wandel</strong>- <strong>Wandel</strong>- -<br />

partner<br />

Abbildung 3: Tetralemma des <strong>Wandel</strong>s III<br />

Weder - noch<br />

3. Beides z.B.<br />

2.1 Post-Merger-Integration<br />

eine und übersummative<br />

organisationaler übersummative <strong>Wandel</strong><br />

Verbindung<br />

In der vierten Position (KEINES VON BEIDEN) wird schließlich der Kontext des Gegen-<br />

satzes berücksichtigt. Fragen nach dem blinden Fleck i.S.v. „Wozu ist es gut in der<br />

Gegenwart, dass Identität und <strong>Wandel</strong> <strong>als</strong> Gegensätze empfunden werden?“ oder „Was<br />

erhält durch das Dilemma Sinn?“ stellen Möglichkeiten dar, um Aspekte des Kontexts<br />

zur Klärung des Gegensatzes zu berücksichtigen. Häufig tauchen hierbei Erfahrungen<br />

aus der Vergangenheit auf, welche die Deutlichkeit des Gegensatzes sinnvoll<br />

erscheinen lassen. So kann beispielsweise die Art und Weise, wie Organisations-<br />

mitglieder organisationalen <strong>Wandel</strong> in der Vergangenheit erlebt haben, Hinweise<br />

darauf geben, warum die Beibehaltung der eigenen Identität ihnen besonders wichtig<br />

erscheint. Bevor allerdings diese Stufe des KEINES VON BEIDEN erreicht wird,<br />

besteht häufig noch eine prozesshafte Vorstufe in dem „Weder-noch“, das in einem<br />

Hin und Her zwischen das Eine, das Andere und Beides besteht.<br />

Das hier dargestellte Tetralemma beschreibt verschiedene Positionen im <strong>Prozess</strong> der<br />

Auseinandersetzung mit einem <strong>als</strong> Dilemma wahrgenommenen Gegensatz. Es handelt<br />

sich in der 4. Position allerdings nicht um einen Schlusspunkt der Betrachtung.<br />

25


26<br />

Ein Gedankenexperiment<br />

Vielmehr liegt dem <strong>Prozess</strong>schema die Vorstellung zugrunde, dass man sich nach dem<br />

Durchlaufen der Positionen auf einer nächsthöheren Ebene wiederfindet.<br />

Die einzelnen Stationen des hier vorgestellten Schemas werden im Rahmen der empi-<br />

rischen Arbeit anhand praktischer Beispiele aus dem Unternehmenskontext noch ein-<br />

mal aufgegriffen. Dem Leser soll dadurch ein Orientierungs- und Handlungswissen für<br />

kreative Auswege zum Umgang mit Dilemmasituationen an die Hand geben werden.<br />

1.3 Vom Forschungsprojekt Learning Dynamics zum<br />

Forschungsinteresse Post-Merger-Integration<br />

Die vorliegende Studie ist Teil des Forschungsprojekts LEARNING DYNAMICS, in dem<br />

fünf DoktorandInnen über zwei Jahre Partnerorganisationen in Veränderungsprojekten<br />

begleitet haben. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, was Organisationen befähigt,<br />

strategischen <strong>Wandel</strong> zu bewältigen: „Im Rahmen unseres Forschungsprojekts wollen<br />

wir deshalb untersuchen, welche Qualitäten lernfördernde Strukturen und Kulturen in<br />

ihrem Zusammenwirken aufweisen, und wie, mit welchen Interventionen und Hilfs-<br />

mitteln, sich solche lernfreundlichen Strukturen und Kulturen ...,wirkungsvoll entwi-<br />

ckeln und nachhaltig gefördert werden können.“. 22<br />

„Die Forschungsmethodik des Projekts entspricht dem interpretativen Paradigma und<br />

zielt darauf ab, die Bedeutungen, die Menschen bestimmten „Dingen“ geben, und die<br />

Wirkungen, die sich daraus für das soziale Zusammenleben ergeben, zu erfassen.“ 23<br />

Die sich daraus ergebende Kontextabhängigkeit und Interpretationsbedürftigkeit der<br />

Beobachtungen setzt der Verallgemeinerung und Dekontextualisierung der Erkenntnisse<br />

einen engen Rahmen und vermittelt dem Leser in erster Linie ein Orientierungswissen<br />

zur Erweiterung des eigenen Kommunikations- und Handlungsvermögens.<br />

Hieraus ergeben sich wichtige Hinweise für Forschungs- und Messmethoden, da sie<br />

die kontextabhängigen Bedeutungszusammenhänge sozialen Handelns erfassen<br />

müssen. „Unsere Forschungsmethoden sind „qualitativer“ Natur, d.h. auf das Medium<br />

Sprache ausgerichtet, und haben den Vorteil, dass sie eine enge Verknüpfung unserer<br />

Forschungstätigkeit mit dem Forschungskontext erlauben, d.h. mit dem organisationalen<br />

Alltag, den wir erforschen wollen“. 24 Es werden vor allem teilnehmende<br />

22 Vgl. Learning Dynamics, 1999 Auslassung durch TS.<br />

23 Vgl. ebenda.<br />

24 Vgl. ebenda.


Quo vadis strategic change? – Zum Dilemma strategischen <strong>Wandel</strong>s in Organisationen<br />

Beobachtungen, Einzelinterviews und Dokumentenanalysen sowie Feedback-<br />

Workshops und Erfahrungsaustausch-Treffen der Partnerorganisationen eingesetzt.<br />

Phasen<br />

Phase 0<br />

Phase 1<br />

Phase 2<br />

ca. 3 Monate ca. 6 Monate<br />

ca. 18 Monate<br />

Aufbau der<br />

Kooperation und<br />

erste Exploration<br />

Erarbeiten einer Fallstudie<br />

pro Partnerorganisation:<br />

Erforschen der Stärken,<br />

Schwächen und unausgeschöpften<br />

Potentiale in<br />

bezug auf organisationale<br />

Lern- und <strong>Wandel</strong>fähigkeit<br />

Detailuntersuchung von spezifischen Teilaspekten<br />

Aktionsforschung mit dem Ziel der nachhaltigen<br />

Verbesserung der Lern- und <strong>Wandel</strong>fähigkeit der<br />

Partnerorganisation (Workshops)<br />

Erfahrungsaustausch unter den Partnerorganisationen<br />

Erarbeiten von Dissertationen und Fachartikeln<br />

Abbildung 4: Die drei Phasen der Feldforschung<br />

Quelle (Learning Dynamics, 1999)<br />

Die Feldforschung fand vor Ort im organisationalen Alltag der Partnerorganisationen<br />

über einen Zeitraum von zwei Jahren in drei Phasen statt:<br />

In der Phase 0 fanden die ersten Kontakte zu den Partnerorganisationen statt, wurden<br />

die Forschungsthemen bzw. strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen („units of analysis“)<br />

sowie Forschungsfragen, Methoden und Termine gemeinsam mit den Organisationen<br />

konkretisiert und die gegenseitigen Erwartungen und Rahmenbedingungen geklärt.<br />

Darüber hinaus wurden Vereinbarungen bzgl. der Dauer, Kosten, Infrastruktur,<br />

Geheimhaltungsvereinbarung, etc. des Forschungsprojekts geregelt. Die Partnerorganisationen<br />

unterstützten die Forschenden finanziell, sodass es möglich war, sich vollzeitlich<br />

über zwei Jahre auf die Forschung zu konzentrieren.<br />

In der Phase 1 wurden aus den teilnehmenden Beobachtungen, Einzel-Interviews und<br />

Dokumentenanalysen über die Partnerorganisationen und die laufenden <strong>Wandel</strong>initiativen<br />

umfassende Case Studies erstellt. Sie geben die Eigenheiten und<br />

Einzigartigkeit der Organisationen in Bezug auf ihre <strong>Wandel</strong>- und<br />

Erneuerungsfähigkeit wieder.<br />

Zeit<br />

27


28<br />

Ein Gedankenexperiment<br />

In der anschließenden Phase 2 wurden in Absprache mit den Partnerorganisationen für<br />

die ausgesuchten <strong>Wandel</strong>initiativen vertiefende Detailuntersuchungen durchgeführt.<br />

Hierzu wurden die Forschungsmethoden vertieft und im Rahmen von Feedbackveranstaltungen<br />

die Beobachtungen der Organisationen zur Diskussion gestellt. Ziel war es<br />

hierbei, die eigenen Beobachtungen bei den Partnerorganisationen in einem reflektiven<br />

<strong>Prozess</strong> zu prüfen und die <strong>Wandel</strong>fähigkeit der Partnerorganisationen zu verbessern.<br />

Teilweise konnten durch einen von unserem Forschungsteam moderierten<br />

Erfahrungsaustausch VertreterInnen der verschiedenen Partnerorganisationen sich<br />

wechselseitig direkt über ihre Projekte informieren.<br />

Das praktische Vorgehen war durch die Zusammenarbeit von jeweils zwei<br />

ForscherInnen in einem Team geprägt, die zusammen jeweils die Forschungsaktivitäten<br />

bei der oder den Partnerorganisationen gemeinsam durchführten. Die<br />

Partnerorganisationen, die dem Team für die Feldforschung Zugang zu ihrem<br />

organisationalen Alltag gewährten, stammten aus der Industrie, dem Dienstleistungsgewerbe<br />

und aus der öffentlichen Verwaltung. Die Zusammenarbeit zwischen dem<br />

Forschungsteam und den Partnerorganisationen war getragen von Vertrauen und von<br />

gemeinsamem Interesse am Forschungsziel. Informationen aus den Partnerorganisationen<br />

wurden sorgfältig und vertraulich behandelt.<br />

Der Beitrag der Partnerorganisationen bestand vor allem in der Gewährung des Zutritts<br />

zum Alltagsgeschehen sowie der Offenheit und Bereitschaft zum Dialog mit dem<br />

Forschungsteam. Die Partnerorganisationen stellten den ForscherInnen darüber hinaus<br />

einen Arbeitsplatz und notwendige Infrastruktur zur Verfügung. Außerdem leisteten<br />

die Partnerorganisationen einen finanziellen Beitrag zum Forschungsprojekt.<br />

Im Rahmen der Begleitung der verschiedenen <strong>Wandel</strong>initiativen entwickelte sich beim<br />

Autor zunehmend das Interesse am Einfluss der beiden Fusionen, die das Partnerun-<br />

ternehmen SIEMENS BUILDING TECHNOLOGIES (SBT) vor vier bzw. zwei Jahren hinter<br />

sich gebracht hatte. Die Auswirkungen und die Bedeutung dieser Veränderungen auf<br />

die laufenden Initiative waren noch deutlich spürbar und veranlassten den Autor ein<br />

weiteres Unternehmen zu einem Vergleich der <strong>Wandel</strong>initiativen im Kontext von Post-<br />

Merger-Phasen hinzuzunehmen.<br />

Die Anfrage der MIGROS AARE, die 1997 aus einer Fusion entstanden war,<br />

ermöglichte eine Comparative Case Study verschiedener strategischer Initiative und<br />

Kernprozesse der beiden Organisationen. 25 Dieser Forschungsprozess wurde aus dem<br />

25 Vgl. die Beschreibung der beiden Unternehmen und der verschiedenen Initivativen erfolgt in Kapitel 6.


Quo vadis strategic change? – Zum Dilemma strategischen <strong>Wandel</strong>s in Organisationen<br />

gleichen Forschungsverständnis wieder mit zwei Forschern, allerdings in einer<br />

wesentlich kürzeren Zeit (ca. 3 Monate), abgeschlossen. Vorteilhaft zeigte sich hier,<br />

dass die Fokussierung des Forschungsinteresses eine schnellere Vorgehensweise bei<br />

den Interviews und Dokumentenanalyse erlaubte. Auf teilnehmende Beobachtungen<br />

musste aufgrund der weitgehend bereits abgeschlossenen Kernprozesse und<br />

strategischen Initiative verzichtet werden. 26<br />

1.4 Überblick über den Aufbau der Arbeit<br />

Der Aufbau der Arbeit gliedert sich in 8 Kapitel. Im Anschluss an die Einführung, ein<br />

Gedankenexperiment sowie die Vorstellung des Forschungsprojekts, innerhalb dessen<br />

diese Arbeit entstand, wird in Kapitel 2 die Forschungsfrage entwickelt.<br />

Hierzu wird in Kapitel 2.1 der Stand der Literatur zur Post-Merger-Integration sowie<br />

insbesondere die Fit-Hypothese vorgestellt, kritisch beleuchtet und eine prozess-<br />

orientierte Sichtweise entwickelt. Als spezieller Fokus und erfolgskritische Grösse der<br />

empirischen Analyse von Post-Merger-Integration-<strong>Prozess</strong>en wird in Kapitel 2.2 die<br />

organisationale Identität vorgestellt. Hierbei wird ebenfalls eine prozessorientierte<br />

Perspektive eingenommen. Vor dem Hintergrund dieser beiden Kapitel wird dann die<br />

Forschungsfrage entwickelt und deren theoretische und empirische Relevanz<br />

begründet.<br />

In Kapitel 3 wird das in dieser Arbeit vertretene sprachtheoretische, wissenschafts-<br />

theoretische und methodologische Verständnis und die damit verbundenen Vorent-<br />

scheidungen dieser Arbeit dargestellt. Zu diesen Themen gehören erstens die Fragen<br />

• nach den (Vor)Annahmen über die (organisationale) Wirklichkeit – „was ist<br />

Wirklichkeit?“<br />

• wie und was der Forscher über diese Wirklichkeit wissen kann bzw. wie dieses<br />

Wissen „über“ den Gegenstand der Forschung zustande kommt<br />

• welche Methodologie der Forscher bei seiner Forschung nutzt.<br />

26 Vgl. zur weiteren Informationen bzgl. der untersuchten <strong>Wandel</strong>projekte Kapitel 6.3 und 6.5.<br />

29


Theorie<br />

30<br />

3. Wissenschafts-, 3. Wissenschafts sprachtheoretisches<br />

und Methodologisches<br />

Vorverständnis<br />

4. Grundlagen: Strukturationsund<br />

Systemtheorie<br />

5. Organisations- und<br />

<strong>Wandel</strong>verständnis<br />

1. Einleitung<br />

2. 2. Post-Merger-Integration, Forschungs organisationale -<br />

-<br />

2. Identität und frage die Forschungsfrage -<br />

6. Forschungspartner,<br />

Umfeld, Projekte<br />

8. Theoretische und praktische<br />

Implikationen<br />

Ein Gedankenexperiment<br />

7. Analyse der Identitätsbildenden<br />

Wirkung strategischer Projekte<br />

Abbildung 5: Überblick über den Aufbau der Arbeit<br />

Hierbei wird es vor allem um Unterschiede des positivistischen und eines konstrukti-<br />

vistischen Paradigmas sowie deren Implikationen für die angewandte Organisations-<br />

forschung gehen.<br />

In Kapitel 4 werden die Bausteine des für diese Arbeit relevanten metatheoretischen<br />

Rahmens entwickelt. Von Bedeutung werden in dieser Arbeit vor allem zwei sozial-<br />

wissenschaftliche Großtheorien sein. Während die neuere Systemtheorie das Verhalten<br />

von Systemen anhand der Leitunterscheidung in Umwelt und System untersucht, 27<br />

versucht die Strukturationstheorie, konkretes Handeln in Systemen mit deren Struktur-<br />

dimension zu verbinden 28 . Beide Theorien kommen trotz der unterschiedlichen<br />

Zugänge und Beschreibungen bei dem hier untersuchten Thema des organisationalen<br />

<strong>Wandel</strong>s zu ähnlichen Implikationen, wenn auch in recht unterschiedlichen<br />

Beschreibungen.<br />

27 Vgl. Luhmann, 1984.<br />

28 Vgl. Reckwitz, 1997a; Giddens, 1984; Giddens, 1979.<br />

Empirie


Quo vadis strategic change? – Zum Dilemma strategischen <strong>Wandel</strong>s in Organisationen<br />

Aufbauend auf diesen Großtheorien wird in Kapitel 5 das in dieser Arbeit zugrunde<br />

gelegte Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis dargelegt. Hierbei wird aus den<br />

anwendungsbezogenen Konzepten heraus ein konstruktivistisch-systemisch-<br />

prozessuales Organisationsverständnis destilliert. Dieses Verständnis hat weit-<br />

reichende Konsequenzen für die Vorstellung, wie sich <strong>Wandel</strong> in Organisationen<br />

vollzieht. So können vor dem Hintergrund der hier vertretenen wissenschaftstheo-<br />

retischen Grundannahmen viele teils implizite Vorstellungen über den <strong>Wandel</strong> in<br />

Organisationen nicht mehr geteilt werden.<br />

Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht die empirische Untersuchung von Post-<br />

Merger-<strong>Prozess</strong>en <strong>als</strong> einem besonderen Phänomen des organisationalen <strong>Wandel</strong>s.<br />

Dazu werden in Kapitel 6 die Rahmenbedingungen der beiden beforschten<br />

Organisationen sowie insbesondere ihrer strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen vorgestellt.<br />

Anschliessend erfolgt in Kapitel 7 eine vergleichende Analyse der identitätsbildenden<br />

Wirkung dieser strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen. Hierbei werden im Wechsel von<br />

Praxis und Theorie jeweils <strong>Wandel</strong>episoden beschrieben und im Gesamtkontext<br />

interpretiert, die im Sinne von SCHÖN den Leser <strong>als</strong> reflective practicioner 29 dazu<br />

inspirieren, sich der eigenen Alltagstheorien bewusster zu werden und evtl. neue zu<br />

erfinden.<br />

Den Abschluss bildet Kapitel 8, in dem theoretische und praktische Implikationen<br />

abgeleitet werden. Sie sollen den Leser unterstützen, die beschriebenen <strong>Wandel</strong>-<br />

episoden zu bündeln und kontextbezogen eine Rekontextualisierung in das jeweils<br />

eigene Organisationsumfeld zu unterstützen.<br />

Zur Orientierung werden dem Leser Übersichten bzw. Darstellungen des Gedanken-<br />

flusses präsentiert, welche die Verknüpfung der einzelnen Kapitel verdeutlichen.<br />

Hervorhebungen sowie eine Cartoonfigur weisen jeweils auf den aktuellen Standort<br />

hin.<br />

29 Dieser Begriff stammt von Schön, 1983.<br />

31


32<br />

Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

2 Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu<br />

wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

Die Theorie entscheidet darüber, was wir beobachten können.<br />

Albert Einstein<br />

Das folgende Kapitel stellt die beiden zentralen Themen Post-Merger-Integration und<br />

identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e <strong>als</strong> Ausgangspunkte der Forschungsfrage vor (Kap. 2.1,<br />

2.2) und entwickelt darauf aufbauend die Forschungsfrage dieser Studie (Kap. 2.3).<br />

2.1 Post-Merger-Integration<br />

und organisationaler <strong>Wandel</strong><br />

2. Hintergrund und Fokus der<br />

Forschungsfrage<br />

2.3 Forschungsfrage<br />

Abbildung 6: Gedankenfluss Kapitel 2<br />

2.2 Identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e<br />

organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />

Ausgehend von der Verbindung des Themas der Post-Merger-Integration zu Themen<br />

des organisationalen <strong>Wandel</strong>s (Kap. 2.1.1) werden dazu der Stand der Literatur zur<br />

Post-Merger-Integration (Kap. 2.1.2) und die Entwicklungstendenzen bei Unter-<br />

nehmenszusammenschlüssen dargestellt. Eine zentrale Bedeutung nimmt dabei die<br />

sogenannte „Fit-Hypothese“ (Kap. 2.1.3) ein. Nach dieser Hypothese hängt der Erfolg<br />

von Unternehmenszusammenschlüssen von der Übereinstimmung strategischer,<br />

organisationaler und kultureller Merkmale der Unternehmen ab. Aufbauend auf der<br />

Kritik an dieser Hypothese (Kap. 2.1.4) werden abschließend ein prozessorientierter<br />

Ansatz zur Post-Merger-Integration vorgestellt (2.1.5) sowie 7 zusammenfassende<br />

Thesen formuliert.<br />

Um die Auswirkungen der Post-Merger-Integration zu untersuchen, werden im<br />

Folgenden die identitätsbildenden <strong>Prozess</strong>e im Kontext von Unternehmenszusammen-<br />

schlüssen untersucht. Dazu wird in diesem Kapitel aufbauend auf die Unterscheidung<br />

individueller und kollektiver Identität (Kap. 2.2.1) ein grundlegendes Verständnis<br />

organisationaler Identität entwickelt (Kap. 2.2.2). Die Bedeutung dieses noch jungen


Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

Konstrukts wird bereits in der Strategieforschung diskutiert (Kap. 2.2.3). Aber auch<br />

für die Analyse von Phänomenen im Zusammenhang mit organisationalem <strong>Wandel</strong><br />

zeichnet sich ein zunehmendes Interesse an der organisationalen Identität ab (Kap.<br />

2.2.4). Um einer allzu entitativen Vorstellung organisationaler Identität vorzubeugen<br />

wird in dieser Arbeit vor allem die identitätsbildende Wirkung organisationaler<br />

<strong>Prozess</strong>e untersucht (Kap. 2.2.5).<br />

Die beiden Ausgangspunkte – die Post-Merger-Integration und die identitätsbildenden<br />

<strong>Prozess</strong>e – münden in die Formulierung der Forschungsfrage, die den Einfluss stra-<br />

tegischer <strong>Prozess</strong>e auf die Identitätsbildung thematisiert (Kap. 2.3.1). Die Erläuterung<br />

der theoretischen (2.2.1) und der praktischen (2.2.2) Relevanz der Forschungsfrage<br />

bildet den Abschluss des Kapitels. Die praktische Relevanz ergibt sich dabei bereits<br />

aus der wenig schmeichelhaften Bilanz der Integrationsbemühungen im Anschluss an<br />

Fusionen. Die theoretische Bedeutung leitet sich vor allem aus dem Umstand ab, dass<br />

die bislang erfolgten Ansätze zur Untersuchung der Fusionsprozesse häufig durch<br />

• eine Trennung der strategischen Entscheidungsphase und der organisationalen<br />

<strong>Wandel</strong>phase 30 sowie<br />

• ein stark entitatives 31 Organisations- und Kulturverständnis geprägt sind 32 .<br />

Systemische Überlegungen und die Bedeutung sozialer Praktiken und <strong>Prozess</strong>e werden<br />

dagegen weitgehend vernachlässigt.<br />

30 Vgl. z.B. Mintzberg und McHugh, 1985.<br />

31 „Entitativ“ bedeutet hier in Anlehnung an Dachler, 1997; Dachler und Hosking, 1995 ein systemisches<br />

Organisationsverständnis, welches Eigenschaften nicht <strong>als</strong> Merkmale von Elementen betrachtet, sondern in<br />

den Relationen der Elemente bedingt sieht. Vgl. dazu auch die Metapher vom Fussballspiel in Kapitel 4.2.1.<br />

32 Vgl. u.a. Forstmann, 1994; Hapeslagh und Jemison, 1991; Muggli und Zimmermann, 1999; Trautwein, 1990<br />

33


34<br />

Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

2.1 Post-Merger-Integration und organisationaler <strong>Wandel</strong><br />

2.1 Post-Merger-Integration<br />

und organisationaler <strong>Wandel</strong><br />

2. Hintergrund und Fokus der<br />

Forschungsfrage<br />

2.3 Forschungsfrage<br />

Abbildung 7: Gedankenfluss Kapitel 2<br />

2.2 Identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e<br />

organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />

Unternehmenszusammenschlüsse bewirken nach ROOST häufig eine „Implosion der<br />

Unternehmenskulturen“. 33 Der Schluss, dass es im wesentlichen kulturelle oder<br />

menschliche Faktoren sind, die zum Scheitern so vieler Fusionsprojekte führen, ist<br />

dabei mittlerweile vielfach erörtert worden. 34<br />

Die These, die auch in die Forschungsfrage dieser Studie mündet, lautet daher: Im<br />

Rahmen von Unternehmenszusammenschlüssen geht es vor allem darum, eine neue,<br />

gemeinsame Wirklichkeitsordnung 35 zu schaffen. 36<br />

Von besonderer Bedeutung für die Integration von Unternehmen und dem damit<br />

verbundenen Umbau der organisationalen Wirklichkeitsordnung scheint dabei die<br />

<strong>Prozess</strong>gestaltung zu sein. Es käme damit weniger auf die „Kompatibilität“ der<br />

beteiligten Strategien, Organisationsstrukturen und -kulturen an, wie es auch ent-<br />

sprechende Evaluationsstudien zeigen. 37 Anders ausgedrückt: Erfolgsentscheidend<br />

scheint das WIE, nicht das WAS der Veränderung. Im Mittelpunkt der wissenschaft-<br />

lichen Aufmerksamkeit und der „Management-Attention“ stehen allerdings meistens<br />

die Inhalte wie Marktanteile, Produkte und Organigramme oder fertige Kulturen.<br />

33 Vgl. Roost, 1998.<br />

34 Vgl. u.a. Jansen, 2000b; Jemison und Sitkin, 1986; Nahavandi und Malekzadeh, 1994.<br />

35 Vgl. zum Begriff der Wirklichkeitsordnung [Buschor, 1996 #428].<br />

36 Vgl. Jansen, 2000a; Roost, 1998.<br />

37 Vgl. dazu eingehender Kapitel 2.1.3 und 2.1.4.


Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

Ein eindrückliches Beispiel für die Bedeutung der <strong>Prozess</strong>e nach dem Merger liefert<br />

DEISER anhand zweier Firmen aus der Fotoindustrie. Er beschreibt, wie direkt im An-<br />

schluss an eine Akquisition eines durchaus „kompatiblen“ Unternehmens auf die Ver-<br />

einbarung eines gemeinsamen Integrationsprozesses verzichtet wurde. In der Folge<br />

entstanden unternehmensweit sehr unterschiedliche organisationale Lösungen.<br />

Schließlich entschloss man sich dennoch, eine einheitliche Lösung, und zwar die des<br />

Käufers, (der übernehmenden photochemischen Firma) durchzusetzen. Dabei wurde<br />

die Expertise der Mitarbeiter der photoelektronischen Firma nicht einbezogen, worauf<br />

viele Mitarbeiter die Firma verließen und sogar im angestammten photochemischen<br />

Marktbereich der Käuferfirma bedeutende Marktanteile verloren gingen. 38<br />

Um die strategischen Veränderungen so zu gestalten, dass sie zur Erfahrung und<br />

Schaffung einer gemeinsamen Wirklichkeitsordnung führen, bedarf es eines spezifi-<br />

schen WIE-Wissens über Veränderungsprozesse. Anders ausgedrückt: „Making the<br />

deal real“ 39 bedarf der Verbindung von Wissen, Regeln, praktischen Handlungen und<br />

<strong>Prozess</strong>en zur Schaffung neuer Wirklichkeiten.<br />

Im Folgenden soll diese Verbindung von Potentialität und Aktualität <strong>als</strong> ein spezifi-<br />

sches Vermögen einer Organisation angesehen werden, die Wissens- und Handlungs-<br />

seite miteinander zu verbinden. 40 <strong>Wandel</strong>fähigkeit zeigt sich in der Durchführung tat-<br />

sächlichen <strong>Wandel</strong>s. Die Bewältigung strategischen <strong>Wandel</strong>s wirkt wiederum auf die<br />

<strong>Wandel</strong>fähigkeit zurück. <strong>Wandel</strong>fähigkeit ist eingelagert in den Regeln und Routinen<br />

der Organisation, zeigt sich aber erst im konkreten <strong>Wandel</strong>. Es ist deshalb potentiell<br />

missverständlich, davon zu sprechen, dass eine Organisation eine solche Fähigkeit<br />

„hat“, bzw. dass darüber verfügt werden kann. Die Fähigkeit zeigt sich in konkreten<br />

<strong>Wandel</strong>initiativen und ermöglicht den <strong>Wandel</strong>, ist aber nicht „machbar“ oder gar<br />

imitierbar. 41 Andererseits wirkt der <strong>Wandel</strong> in Organisationen wieder auf das WIE-<br />

Wissen und die Regeln in einer Organisation zurück. Wandlungsfähige Strukturen und<br />

soziale Praktiken in einer Unternehmung reproduzieren sich folglich rekursiv in stra-<br />

tegischen Veränderungsprozessen. 42<br />

38 Vgl. Deiser, 1994.<br />

39 Vgl. gleichnamigen Artikel Ashkenas, et al., 1998.<br />

40 Die Gegenüberstellung von Potentialität und Aktualität ist vergleichbar mit der Form/Strukturunterscheidung<br />

bei Wittgenstein. Vgl. Wittgenstein, 1989a.<br />

41 Vgl. Rüegg-Stürm, 2000.<br />

42 Vgl. zu diesen Strukturationsprozessen insbesondere Kapitel 4.1.2.<br />

35


36<br />

Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

Wirkt zurück<br />

auf<br />

<strong>Strategischer</strong> <strong>Wandel</strong><br />

<strong>Wandel</strong>fähigkeit<br />

Abbildung 8: Dualität von <strong>Wandel</strong> und <strong>Wandel</strong>fähigkeit<br />

ermöglicht<br />

Eine interessante Analogie bietet hier wieder der Bereich der Sprache: Sprachfähigkeit<br />

besteht nicht allein in dem Wissen über grammatikalische Regeln, sondern das Beherr-<br />

schen der grammatikalischen Regeln zeigt sich erst im tatsächlichen Sprechen. Die<br />

grammatikalischen Regeln ermöglichen das sinnvolle Sprechen. Das Sprechen der<br />

Sprache wirkt aber auch wiederum auf das Wissen über die grammatikalischen Regeln<br />

zurück. 43<br />

2.1.1 Post-Merger-Integration aus Sicht des strategischen Managements<br />

Folgt man der Differenzierung von GINSBERG 44 in Strategieinhalt und Strategie-<br />

prozess, so wird deutlich, dass nach wie vor der größte Teil wissenschaftlicher und<br />

unternehmerischer Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit Fusionen dem Strategie-<br />

inhalt, insbesondere dem „strategischen Fit“ gilt 45 . Eine Übersicht über die<br />

strategischen Zielrichtungen in verschiedenen Phasen der Merger-Aktivitäten lässt dies<br />

offenkundig werden. Es stehen vor allem übergeordnete, wettbewerbliche Ziel-<br />

setzungen, wie die horizontale oder vertikale Marktstellung im Vordergrund:<br />

43 Eine interessante Analogie zur Schwierigkeit, Strukturen zu verändern bietet die Veränderung der Regeln der<br />

Rechtschreibung in der kürzlich „vollzogenen“ Rechtschreibreform.<br />

44 Vgl. Ginsberg, 1988.<br />

45 Vgl. von Krogh, et al., 1994. Diese Entwicklung geht wohl noch zurück auf die Behandlung von <strong>Wandel</strong> im<br />

Rahmen der Strategie / Struktur Diskussion vgl. Ansoff, 1965;Chandler, 1962 („structure follows strategy“).<br />

Die damit verbundene Vorstellung einer Unterteilung in Strategieformulierung und -implementierung führt<br />

dazu, dass, nachdem eine Strategie ausgewählt ist, die Umsetzung <strong>als</strong> eine Frage des „Fit“ bzw. der richtigen<br />

Mittel gesehen wird vgl. Zan und Zambon, 1993.


Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

Zeitraum Strategische Zielrichtung<br />

• 1880-<br />

1904<br />

• 1925-<br />

1904<br />

• 1930-<br />

1935<br />

• Um<br />

1955<br />

• 1965-<br />

1973<br />

• 1965-<br />

1974<br />

• 1. Welle: Erreichung einer Monopolstellung durch horizontale<br />

Übernahmen; Aufbau von Trusts (1904: Sherman Act: Verbot der Trustbildung)<br />

• 2. Welle: Vertikale Integration<br />

Kontrolle des gesamten Produktionszyklus<br />

• Defensiver Merger<br />

Eliminierung von Bewerbern durch Aufkauf und Schließung<br />

(Rationalisierung)<br />

• Konglomeratsbildung und vertikale Integration<br />

Erste feindliche Übernahmeangebote<br />

• Ebenfalls Konglomeratsbildung<br />

Vorrangiges Ziel: „economies of scale“<br />

• 3. Welle: vorrangig in den USA „anti-zyklisches Portfolio“ Ballons<br />

zwischen Unternehmen mit verschiedenen Produktlebenszyklen<br />

• ab 1981 • 4. Welle: Strategische M&A-Transaktionen: Synergien,<br />

Verbesserung des ROI; Strategien: Dekonglomerisierung „back to corebusiness“<br />

• ab 1985 • 5. Welle: M&A <strong>als</strong> Finanztransaktionen<br />

Leveraged Buy out<br />

• 90er<br />

Jahre<br />

• Shareholder Value und Globalisierung<br />

Konzentration durch Fokussierung der einzelnen Geschäftsfelder, Rückgang<br />

der Finanztransaktionen und Konzentration durch horizontale Akquisitionen<br />

Tabelle 1: Entwicklung des Marktes für Fusionen 46<br />

DATTA meint, dass “an interesting area for future research relates to the process of<br />

implementation (of acquisitions), and how the process can best be managed“. 47 Dieser<br />

Ansicht schließen sich andere Autoren an 48 und weisen darauf hin, dass Fusionen <strong>als</strong><br />

ein „long-term process of learning and adaptation that starts with the contact between<br />

two cultures” gesehen werden sollten. 49<br />

Nach DEISER sowie HAPESLAGH und JEMISON ist das Management von Akquisitionen<br />

darüber hinaus einer der bedeutendsten Auslöser für strategische Erneuerung und<br />

organisationale Lernprozesse. 50 Nach BUONO und BOWDITCH sollte das Augenmerk<br />

46 Vgl.Jansen, 1999.<br />

47 Vgl. Datta, 1991.<br />

48 Vgl. z.B. Sinatra und Dubini, 1994.<br />

49 Vgl. Nahavandi und Malekzadeh, 1994.<br />

50 Vgl. Deiser, 1994; Hapeslagh und Jemison, 1991.<br />

37


38<br />

Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

dabei insbesondere auf den längerfristigen <strong>Prozess</strong>en einer „corporate marriage“<br />

liegen. 51 Allerdings wird aus strategischer Sicht der Zusammenschluss häufig <strong>als</strong><br />

erledigt angesehen, wenn der Vertrag unterschrieben ist. 52 Damit ist dann auch ein<br />

Verlust an Aufmerksamkeit des Top-Managements verbunden. Dies widerspricht der<br />

Ansicht einer „doing strategy“ oder „strategizing“, <strong>als</strong>o einer prozessorientierten<br />

Betrachtung der Strategiebildung in Unternehmen, die Strategien prozessorientiert <strong>als</strong><br />

organisationales Handeln auffasst. 53<br />

2.1.2 Entwicklungstendenzen bei Unternehmenszusammenschlüssen<br />

Vergegenwärtigt man sich die Entwicklung der Anzahl und des Transaktionsvolumens<br />

von Fusionen in den letzten Jahren so wird die Bedeutung des Themas zunehmend<br />

klarer:<br />

Jahr Zahl der Übernahmen Transaktionsvolumen<br />

1992 7.599 249 Milliarden $<br />

1996 12.320 1.017 Milliarden $<br />

1998 24.000 2.300 Milliarden $<br />

Tabelle 2: Anzahl weltweiter Fusionen 54<br />

Die Gründe für die gestiegene Zahl von M&A liegen vor allem in der Gewinnung von<br />

Synergien (Effizienz-Modell), dem Machtgewinn gegenüber den Kunden (Monopol-<br />

Modell), bzw. den handelnden Manager („Empire-Modell“), Vorteilen in der<br />

Bewertung durch Analysten (Bewertungs-Modell), volkswirtschaftlichen Zyklen<br />

(Wellen-Modell) sowie unüberschaubaren Entscheidungsprozessen. 55<br />

Diese Entwicklungen unterliegen allerdings einer Art Pendelbewegung: Fokussierte<br />

Unternehmen mit einem hohen Cash-flow verlangen häufig nach Re-Investitionen und<br />

Risikosteuerung und sehen dementsprechend M&A <strong>als</strong> eine Möglichkeit zur<br />

Diversifikation. Diversifizierte Unternehmen mit Performance-Unterschieden verlan-<br />

gen dagegen häufig nach Portfolio-Bereinigung und Konzentration auf das Kernge-<br />

51 Vgl. Buono und Bowditch, 1989.<br />

52 Vgl. Deiser, 1994.<br />

53 Vgl. zu den Begriffen strategizing und doing strategy auch Hendry, 2000; Whittington, 2001.<br />

54 Quelle: Jansen, 1999.<br />

55 Vgl. Müller-Stewens, et al., 1999.


Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

schäft, was im Ergebnis zu einem Arrondierungs-M&A und einer Fokussierung<br />

führt. 56<br />

Der Erfolg von M&A wird erst seit den 70er Jahren systematisch untersucht. Die<br />

vorliegenden Studien weisen allerdings keine einheitlichen Erfolgskriterien und<br />

Verfahren zur Erfolgsmessung auf. Überwiegend werden ökonomische Größen<br />

(Jahresabschluss, Börsennotierung, Insider-Befragung) herangezogen und nicht-<br />

finanzielle Aspekte (Arbeitszufriedenheit, Personalfluktuationen, Innovationstätigkeit,<br />

etc.) vernachlässigt.<br />

JANSEN konstatiert in einem Überblick über die Studien der Akquisitionserfolge ein<br />

„alarmierendes Ergebnis“ 57 : Anhand von Jahresabschlussanalysen, kapitalorientierten<br />

Analysen, Insiderbefragungen und Wiederverkaufsanalysen wurden Misserfolgsraten<br />

von Unternehmenszusammenschlüssen von bis zu 85% festgestellt (insbesondere<br />

Bankenfusionen). Branchenübergreifend kann die Erfolgswahrscheinlichkeit mit einer<br />

40:60-Formel zusammengefasst werden. Bei einer Analyse von NYSE/AMEX-<br />

Transaktionen wurde für den Zeitraum von 1955 bis 1987 ein statistisch signifikanter<br />

Wertverlust von 10,26% in den ersten fünf Jahren nach der Transaktion festgestellt. 58<br />

Schätzungen zufolge soll der Vermögensverlust bei Akquisitionen in den 80er Jahren<br />

zwischen 300 und 500 Milliarden DM gelegen haben. 59<br />

2.1.3 Gründe fürs Scheitern und die Fit-Hypothese<br />

DONNERSMARCK und SCHULZ bezeichnen angesichts dieser Ergebnisse und ihrer<br />

organisationalen Herausforderungen Fusionen <strong>als</strong> die größte Managementheraus-<br />

forderung, die es gibt. 60 Die Integration von zwei Organisationswelten erfordert des-<br />

halb das ganze Commitment und ausgeprägte Fähigkeiten des Managements. 61<br />

Als Problemfelder in den Studien werden häufig überoptimistische Einschätzungen der<br />

Situation, ein unzureichender Planungsprozess und vor allem personelle, kulturelle<br />

und organisatorische Integrationsprobleme lokalisiert. NAHAVANDI erklärt die hohe<br />

56 Vgl. ebenda.<br />

57 Vgl. Jansen, 2000b.<br />

58 Vgl. Agrawal, et al., 1992.<br />

59 Vgl. Jansen, 1999.<br />

60 Vgl. Donnersmarck und Schulz, 1999.<br />

61 Vgl. Lindgren, 1982; Shrivastava, 1986.<br />

39


40<br />

Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

Misserfolgsrate mit “sociocultural aspects, and processes in the merging of two<br />

companies that treat them as human and cultural entities” und bezeichnet sie <strong>als</strong> “key<br />

to the success of the merger”. 62 WALSH weist im Zusammenhang mit den vielen<br />

Fehlschlägen auf den hohen turn-over im Top-Management der gekauften Firma hin. 63<br />

In der Literatur findet sich eine Reihe von Einflussgrössen, die den Erfolg oder Miss-<br />

erfolg von Fusionen beeinflussen. Im wesentlichen hat sich dabei die Unterscheidung<br />

nach JEMISON/SITKIN durchgesetzt, die unter den Begriffen „Strategic Fit“, „Organi-<br />

sational Fit“ und „Acquisition Process“ die wichtigsten Einflussfaktoren identifizieren.<br />

Der Begriff „Fit“ bezeichnet dabei ein „Zusammenpassen“ bzw. die Entsprechung der<br />

Strategie bzw. Organisation der Fusionspartner. 64<br />

Der strategische Fit wird definiert <strong>als</strong> „the degree to which the target firm augments or<br />

complements the parent´s strategy and thus makes identifiable contributions to the<br />

financial and nonfinancial go<strong>als</strong> of the parent”. 65 Es handelt sich <strong>als</strong>o um das Ausmaß,<br />

in dem das gekaufte Unternehmen zu der strategischen Ausrichtung des kaufenden<br />

Unternehmens passt. Einflussgrössen sind hierbei die Zusammenschlussintensität, das<br />

Größenverhältnisse der Unternehmen, die Art der Diversifikation, die Auslands-<br />

orientierung, die Ausgestaltung des Zusammenschlusses, die Qualität des erwerbenden<br />

Managements, der Cash-flow des erwerbenden Unternehmens und das<br />

organisatorische Alter des erwerbenden Unternehmens. 66<br />

Der organisatorische Fit ist definiert <strong>als</strong> “the match between administrative practices,<br />

cultural practices, and personnel characteristics of the target and parent firms and may<br />

affect how the firms can be integrated with the respect to day-to-day operations once<br />

an aquisition has been made“ 67 . Der organisatorische Fit stellt somit angeblich die<br />

Übereinstimmung der Organisationsstrukturen und -kulturen sicher.<br />

62 Vgl. Nahavandi und Malekzadeh, 1988.<br />

63 Vgl. W<strong>als</strong>h, 1988.<br />

64 Vgl. Jemison und Sitkin, 1986. Diese These wurde auch früh von Haspelagh und Farquhar vertreten<br />

(Haspeslagh und Farquhar, 1987).<br />

65 Vgl. Jemison und Sitkin, 1986.<br />

66 Vgl. ebenda.<br />

67 Vgl. ebenda.


Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

Als Erfolgskriterium des „organizational fit“ werden vor allem die<br />

Organisationsstruktur des kaufenden Unternehmens 68 sowie die Kompatibilität der<br />

Unternehmenskulturen angesehen. 69 Obwohl der organisatorische Fit immer wieder<br />

<strong>als</strong> zentraler Faktor für den Erfolg von Fusionen genannt wird, ist er empirisch wenig<br />

untersucht und nicht belegt worden. 70<br />

Der Zusammenschlussprozess stellt neben dem strategischen und dem organisatori-<br />

schen Fit den dritten, in der Literatur genannten Erfolgsfaktor dar. Damit ist gemeint,<br />

dass die Art und Weise, wie die einzelnen Phasen des Zusammenschlusses gestaltet<br />

sind, Auswirkungen auf den Erfolg der Fusion hat. Die einzelnen Phasen bestehen aus<br />

der Analysephase (Marktanalyse, Strategie, Screening, etc.), der vorvertraglichen<br />

Verhandlungsphase (Due Dilligence, Finanzierung), Vertrags- und Closingphase (Be-<br />

wertung, Verträge, Closing) sowie der Integrationsphase (Realisierung der Planung,<br />

Audit). 71<br />

Wenige Autoren, wie etwa DEISER und SINATRA/DUBINI, meinen dass die<br />

Realisierung des eigentlichen Wertpotenti<strong>als</strong> in erster Linie durch ein bewusstes und<br />

professionelles Management der neu entstehenden Organisationseinheit nach dem<br />

Kaufprozess realisiert werden kann. 72 Ihre Argumentation eines <strong>Prozess</strong>ansatzes<br />

begründet sich vor allem in der vorsichtigen Ausbalancierung von „Hardfacts“<br />

(strategische und organisationale Analyse, Planung und Restrukturierung) und<br />

„Softfacts“ (kulturelle Integration, Lernen, Perspektivenwechsel). Die rein<br />

ökonomischen oder mechanistischen Modelle offenbaren in der Auseinandersetzung<br />

mit dem komplexen Phänomen der Post-Merger-Integration ihre engen Grenzen.<br />

68 Vgl. Bühner, 1992; Bühner, 1993a; Bühner, 1993b; Bühner, 1993c.<br />

69 Dabei geht es insbesondere um die Frage der Struktur des Konzerns. Hierbei lassen sich verschiedene Formen,<br />

angefangen von einer Holdingstruktur bis hin zu einem sehr zentralisierten Konzern denken. Das Ausmaß der<br />

Integration bzw. Autonomie des gekauften Unternehmens spielt dabei offensichtlich eine entscheidende<br />

Rolle.<br />

70 Vgl. Datta, 1991.<br />

71 Vgl. Jansen, 2000b.<br />

72 Vgl. Deiser, 1994;Sinatra und Dubini, 1994.<br />

41


42<br />

Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

Analysephase<br />

Marktanalyse,<br />

Strategie,<br />

Screening<br />

Durchführbarkeits-<br />

analyse<br />

analyse<br />

Vorauswahl Vorauswahl der<br />

der<br />

potentiellen potenziellen potentiellen potenziellen potentiellen potenziellen Kandidaten<br />

Kandidaten<br />

Kandidaten<br />

hinsichtlich hinsichtlich der<br />

Synergiepotentiale<br />

Synergiepotentiale<br />

(z. (z. B. B. Markt, Markt, Wissen,<br />

Kapital, Kapital, Technologie,<br />

Technologie,<br />

HR HR ....)<br />

....)<br />

Geheime<br />

Geheime<br />

Kontaktaufnahme<br />

Kontaktaufnahme<br />

Vorvertragliche<br />

Verhandlungsphase<br />

Due Dilligence ,<br />

Finanzierung<br />

Erwartungsmanagement<br />

Analyse der Immun-<br />

systeme<br />

systeme<br />

Experteninterviews<br />

Experteninterviews<br />

Cultural Cultural Due Due Dilligence<br />

Dilligence<br />

History History Analysis Analysis (M&A<br />

(M&A<br />

und und Kooperation Kooperation im<br />

im<br />

Vorfeld)<br />

Vorfeld)<br />

Erste Erste Planung Planung der<br />

der<br />

Integration<br />

Integration<br />

Aufbau Aufbau von<br />

von<br />

abteilungsüber abteilungsüber -<br />

-<br />

greifenden greifenden Integrations- Integratios -<br />

Teams Teams<br />

Vertrags Vertrags- Vertrags Vertrags- - und<br />

Closingphase<br />

Bewertung, Ver- -<br />

träge, Closing<br />

Integrationsebene<br />

(operativ, strategisch,<br />

organisatorisch- -<br />

administrativ, personell,<br />

kulturell, extern)<br />

Organisationale<br />

Verankerung (Team,<br />

Vorstand, Abteilung,<br />

Berater)<br />

Integrationsintensität<br />

(Absorption, Symbiose,<br />

Holding, Stand Alone)<br />

Integrations Integrationstempo<br />

Integrations Integrationstempo -Tempo ( go<br />

slow/speed) (go slow/speed) (go slow/speed)<br />

Best Best Practice Practice -Übernahme<br />

-Übernahme<br />

Schätzung Schätzung der<br />

der<br />

Integrationskosten<br />

Integrationskosten<br />

Abbildung 9: Phasen eines Zusammenschlussprozesses<br />

(Quelle: Müller-Stewens et al., 1999)<br />

Integrations- -<br />

phase<br />

Realisierung der<br />

Planung, Audit<br />

Roll-Out Architektur<br />

Iterativer Prozeß der<br />

Interventionen<br />

(Kommunikation,<br />

Kultur, HR, etc.)<br />

Gemeinsame<br />

Entwicklung von<br />

zukünftigen<br />

Wachstums Wachstumsstrategien<br />

Wachstums Wachstumsstrategien<br />

Begleitendes Audit,<br />

Dokumentation<br />

Begleitforschung<br />

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die bislang in der Literatur aufge-<br />

führten Erfolgsfaktoren auf den Fit oder die Entsprechung (strategischer und organi-<br />

satorischer Fit) und auf die Gestaltung des Zusammenschlussprozesses abheben.<br />

2.1.4 Kritische Anmerkungen zur Fit-Hypothese<br />

Die prominente und auf den ersten Blick einleuchtende Fit-Hypothese organisationaler<br />

Zusammenschlüsse ist aus mehreren Gründen zu kritisieren.<br />

1. Empirisch ist bislang kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Corporate<br />

Culture Fit und der Post-Merger-Performance festgestellt worden (Jansen 1999, Weber<br />

1996). 73 MOROSINI weist sogar auf einen möglichen positiven Zusammenhang<br />

zwischen Kulturdifferenz und dem finanziellen Erfolg einer Fusion hin. 74 Diese<br />

empirischen Ergebnisse lassen die Fit-Hypothese zumindest sehr fraglich erscheinen.<br />

73 Vgl. Jansen, 2000b Weber, et al., 1996.<br />

74 Vgl. Morosini, et al., 1998.


Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

2. Offen bei der Fit-Hypothese bleibt, ob Gegensätze in Unternehmen grundsätzlich<br />

eine Gefahr für den Zusammenschluss bedeuten. 75 DEISER macht darauf aufmerksam,<br />

dass das Nichtbeachten der unterschiedlichen Geschichte und Kultur der beiden<br />

Firmen folgenreich sein kann. Ohne die Berücksichtigung der unterschiedlichen Logik<br />

und „Mind-sets“ der gekauften Einheit und ohne die strategischen Eckpfeiler, die zur<br />

Akquisition führten, offen zu legen, stülpt die übernehmende Organisation oft blind<br />

ihre Prinzipien, Ideen, Werte und Identitäten der gekauften Organisation über.<br />

Bestehende Unterschiede werden oft ignoriert oder <strong>als</strong> bedrohlich wahrgenommen. 76<br />

3. Die Ähnlichkeiten in der Kultur von zwei Organisationen können entgegen der<br />

üblichen Annahme eines Fits auch zu Gegenreaktionen zwischen zwei Organisationen<br />

führen. Eine solche Gegenreaktion zweier (Organisations-)Kulturen aufeinander kann<br />

u.a. durch BATESON´s Modell der Schismogenese erklärt werden. Die Schismogenese<br />

bezeichnet einen <strong>Prozess</strong> der fortschreitenden Verstärkung des vorhandenen<br />

Interaktionsmusters. So können symmetrische oder komplementäre Beziehungen noch<br />

verstärkt werden, möglicherweise zu Konflikten und zur Ausbildung von Immun-<br />

reaktionen führen.. 77<br />

4. Vor dem Hintergrund des in dieser Arbeit vertretenen systemisch-konstruktivistisch-<br />

prozessualen Organisationsverständnisses scheint die angenommene kontextunab-<br />

hängige, generalisierende Analyse und die linear-kausale Prognose bzgl. der Pass-<br />

genauigkeit unterschiedlicher Kulturen äußerst fragwürdig.<br />

Wenn man die zugrundeliegenden Annahmen der Fit-Hypothese betrachtet, offenbart<br />

sich ein stark entitatives Organisationsverständnis. Vergleichbar einer Assessment-<br />

75 In der Regel werden vor allem Unterschiede in der Unternehmenskultur <strong>als</strong> Gefahr für den Erfolg eines Unter-<br />

nehmenszusammenschlusses betrachtet (Forstmann, 1994; Frank, 1993). Für den Fall grenzüberschreitender<br />

Akquisitionen äußert SEWING die Vermutung, dass bereits der Vergleich landeskultureller Profile Rück-<br />

schlüsse auf den späteren Integrations- und damit Akquisitionserfolg ermöglicht (Sewing, 1996). Auch das<br />

Synergiepotential ließe sich ihrer Meinung nach so bestimmen. Allerdings wird in der Literatur auch die<br />

gegenteilige These vertreten, dass sich Unterschiede der Unternehmen positiv auswirken können (Kuiper,<br />

1983).<br />

76 Vgl. Deiser, 1994.<br />

77 Vgl. ausführlicher im Exkurs in Kapitel 4.2.4 sowie ähnlich Krusche, 2000.<br />

43


44<br />

Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

Center-Logik wird versucht, über eine Analyse der Eigenschaften der Kandidaten eine<br />

Passung mit a priori konstatierten Anforderungen zu erreichen. 78<br />

DEISER macht darüber hinaus im Sinne eines konstruktivistischeren Organisations-<br />

verständnisses auf die Bedeutung der Einstellungen und Erwartungen – insbesondere<br />

der kaufenden Firma aufmerksam. Die Einstellung ist dabei häufig mehr die einer<br />

kolonialen Eroberung denn einer Partnerschaft. 79<br />

Die mit einer solchen feudalistischen Haltung verbundene Tendenz, die Organisations-<br />

kultur sowie Unterschiede, die für die beiden Organisationen einen Unterschied<br />

machen 80 zu ignorieren, nimmt nach NAHAVANDI und MALEKZADEH mit der Ähnlich-<br />

keit des Geschäfts der beiden Organisationen zu. 81 Je mehr der Käufer davon über-<br />

zeugt ist, dass er die Regeln des Geschäfts versteht, um so weniger wird er offen sein<br />

für andere Perspektiven. „Ironically, a good strategic fit can contribute to a one-sided<br />

colonialistic approach”. 82<br />

In Übereinstimmung mit dem in der Regel analytischen Vorgehen wird dement-<br />

sprechend die Integrationsphase häufig getrennt und unabhängig von der vorher-<br />

gehenden Akquisitionsphase betrachtet. Sie ist nicht mehr Teil des Zusammenschluss-<br />

prozesses. 83 Es findet somit eine erneute sequentielle Trennung von Strategieformulie-<br />

rung (hier der Akquisition) und der Strategieumsetzung (hier der Integration) statt.<br />

78 Dieser Schluss entspricht einer reduktionistischen Logik, die Phänomene und neue Eigenschaften des Ganzen<br />

auf Altes und die Teile eines Systems zurückgeführt. Dies widerspricht allerdings der, in der Formel 1 + 1 =<br />

mehr <strong>als</strong> 2 zum Ausdruck gebrachten Hoffnung auf die Emergenzwirkung von Unternehmenszusammen-<br />

schlüssen – dem „mehr <strong>als</strong> 2“. Der Emergentismus hingegen begreift Altes und Systemteile <strong>als</strong> notwendig,<br />

aber nicht hinreichend, für das Auftauchen von Neuem. Er ermöglicht, dass das Neue <strong>als</strong> mehr <strong>als</strong> das Alte<br />

und das Ganze <strong>als</strong> mehr <strong>als</strong> die Summe seiner Teile betrachtet wird. Als Beispiel für einen Reduktionismus<br />

sei erwähnt, dass die Eigenschaften von neuen Atomanordnungen im voraus bei Kenntnis der<br />

Atomeigenschaften vorhersagbar sind. Neue Eigenschaften werden dabei <strong>als</strong>o in reduktionistischer Manier<br />

durch alte erklärt. Von einer solchen deterministischen Auffassung der physikalischen Welt ist man in der<br />

Physik aber inzwischen bedingt u.a. durch die Quantenmechanik und die Heisenbergesche Unschärferelation<br />

abgegangen.<br />

79 Hierzu passt die Bemerkung eines Interviewpartners, der maßgeblich an einem Merger of Equ<strong>als</strong> in dieser<br />

Studie beteiligt war: „Wir haben sie eigentlich übernommen“.<br />

80 Vgl. Bateson, 1981.<br />

81 Vgl. Nahavandi und Malekzadeh, 1994.<br />

82 Vgl. Deiser, 1994.<br />

83 Vgl. Albrecht, 1994.


Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

Aus Sicht des in dieser Arbeit vertretenen prozessualen Organisationsverständnisses 84<br />

muss allerdings davon ausgegangen werden, dass von den Entscheidungen und dem<br />

Vorgehen aus der Akquisitionsphase weitgehende Wirkungen auf den weiteren<br />

Integrationsverlauf ausgehen. Eine längerfristige und umfassende Zeitperspektive des<br />

Zusammenschlussprozesses scheint nicht zuletzt deshalb auch schon berechtigt, weil<br />

die meisten Fusionen nach einer Zeit von 5-7 Jahren scheitern. Eine zeitliche Engfüh-<br />

rung des Betrachtungshorizonts auf i.d.R. ca. 2 Jahre ist daher verwunderlich.<br />

Für die Umsetzung strategischen <strong>Wandel</strong>s weisen BEER ET AL. darauf hin, dass<br />

konkrete Handlungen von wesentlicher Bedeutung sind. Es bedarf geschäftsbezogener<br />

konkreter strategischer <strong>Wandel</strong>initiativen, um den organisationalen <strong>Wandel</strong> und insbe-<br />

sondere die Änderung von Strukturen und Verhalten zu erreichen. 85 Dies widerspricht<br />

den Annahmen, dass organisationaler <strong>Wandel</strong> und eine Änderung im Verhalten der<br />

Organisationsmitglieder durch abstrakte <strong>Wandel</strong>programme und die formale Änderung<br />

der Organisationsstruktur erreicht werden kann. 86 BEER ET AL. resümieren in ihrer<br />

Studie deshalb: “Successful change efforts focus on the work itself, not on abstractions<br />

like participation or culture”. 87<br />

Die folgende Studie untersucht deshalb am Beispiel des strategischen <strong>Wandel</strong>s in Post-<br />

Merger-Phasen die längerfristige Bedeutung von <strong>Wandel</strong>initiativen für die<br />

Entwicklung von Organisationsprozessen (Handlungs- bzw. Projektverläufe) und<br />

Organisationsstrukturen (Regeln, Interpretationsschemata).<br />

2.1.5 Organisationale <strong>Prozess</strong>e statt struktureller Fit<br />

Warum die Fokussierung auf konkrete <strong>Wandel</strong>initiativen? BEER ET AL. weisen in ihrer<br />

Studie darauf hin, dass erfolgreiche strategische <strong>Wandel</strong>initiativen dadurch gekenn-<br />

zeichnet waren, dass Manager „ad hoc organizational arrangements to solve concrete<br />

business problems“ initiieren. 88 Die „organizational arrangements“ stellen in der Regel<br />

84 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 5.<br />

85 Vgl. Beer, et al., 1990.<br />

86 Vgl. Fischer, 2002; Beer, et al., 1990.<br />

87 Vgl. Beer, et al., 1990. Dies entspricht auch der strukturationstheoretischen Grundüberlegung, dass sich<br />

Änderungen in den Strukturen sozialer Systeme nur in konkreten Handlungen zeigen. Vgl hierzu Kapitel ???<br />

in dieser Arbeit.<br />

88 Vgl. ebenda.<br />

45


46<br />

Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

strategische <strong>Wandel</strong>initiativen dar und lassen sich <strong>als</strong> Lernarenen und Werkstätten be-<br />

greifen, innerhalb derer neue organisationale Strukturen und Handlungen entstehen. 89<br />

Dieses empirische Ergebnis wird durch eine Reihe von theoretischen Ansätzen ge-<br />

stützt, die in diesem einleitenden Kapitel nur kurz angedeutet werden können. 90 So<br />

weisen VAN MAANEN und BARLEY auf die anthropologische Auffassung hin, dass,<br />

wenn sich beteiligte Akteure begegnen, die gemeinsame Auseinandersetzung und das<br />

Lösen von Problemen zur Entstehung gemeinsamer Werte, Normen, Praktiken und<br />

Einstellungen führt 91 . Der <strong>Prozess</strong> des Anerkennens, des Übereinstimmens und des<br />

gemeinsamen Lösens von Problemen wirkt dabei verstärkend auf die Kombination<br />

verschiedener Kulturen oder Systeme. VON KROGH beschreibt hierzu beispielhaft den<br />

Fall zweier ehem<strong>als</strong> im Wettbewerb stehender Organisationen, die nach der Fusion<br />

weiterhin um gemeinsame Kunden konkurrierten. Erst die intensive gemeinsame<br />

Erörterung der negativen Konsequenzen dieser kompetitiven Haltung führte zu einem<br />

neuen kooperativen Verhalten der Beteiligten. 92<br />

Nach interaktionistischen Ansätzen kann die Identität eines sozialen Systems nicht <strong>als</strong><br />

statische Rollenbeschreibung, sondern nur <strong>als</strong> das Ergebnis eines dynamischen Inter-<br />

aktionsprozesses verstanden werden. 93 Durch die Aktion und Reflexion korrespon-<br />

dierender Erfahrungen durchläuft die Identität eines Systems einen ständigen <strong>Prozess</strong><br />

der Entwicklung. Die „frames of references“ werden somit ständig neu generiert. 94<br />

Dieser <strong>Prozess</strong> ist vergleichbar damit, was WEICK ALS „<strong>Prozess</strong> des Organisierens“<br />

beschreibt. Er ist geprägt von einem rekursiven <strong>Prozess</strong>verständnis, wie es auch<br />

LUHMANN in Anlehnung an das Konzept der Autopoiesis von MATURANA und<br />

VARELA verwendet 95 .<br />

89 Vgl. zum Begriff der Lernarchitektur insbesondere den Projektbericht des Forschungsteams Learning<br />

Dynamics, 1999.<br />

90 Vgl. ausführlicher insbesondere das Kapitel 4.3 zu Implikationen eines strukturationstheoretischen und<br />

systemischen Organisationsverständnisses.<br />

91 Vgl. van Maanen und Barley, 1986. Im Sinne von Giddens Theorie der Strukturierung stellen die bei der<br />

Arbeit entstehenden gemeinsamen Werte, Normen, Praktiken und Einstellungen nicht intendierte Handlungs-<br />

konsequenzen dar. Vgl. Giddens, 1997.<br />

92 Vgl. von Krogh, et al., 1994.<br />

93 Vgl. Parson, 1959.<br />

94 Vgl. Nadler und Tushman, 1989.<br />

95 Vgl. Luhmann, 1984, [Maturana, 1987 #429].


Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

Nach dieser systemischen Auffassung führt die sprachliche Koordinierung in sozialen<br />

Systemen dazu, dass sich die Beteiligten auf bestimmte gemeinsame Themen einigen<br />

und einen gemeinsamen Sinn konstituieren. Der Sinn kann eine Ehe oder ein Projekt-<br />

ziel sein, wie z.B. ein gemeinsames Forschungsinteresse oder ein Buch zu verfassen.<br />

Ein System bildet sich <strong>als</strong>o um ein Drittes herum, welches damit zum organisierenden<br />

Prinzip wird, um das die Beteiligten ein Kommunikationssystem aufbauen.<br />

Wenn Systeme sich <strong>als</strong>o um Probleme oder Aufgaben herum bilden, dann erzeugt ein<br />

System nicht ein Problem, sondern ein Problem erzeugt ein System. Dies widerspricht<br />

der häufig anzutreffenden Annahme, dass eine Organisation ein Problem „hat“. Es ist<br />

aus systemischer Sicht genau umgekehrt: Durch ein Verhalten oder Thema und durch<br />

die Kommunikation über dieses Thema oder Problem entsteht ein dadurch geprägtes<br />

Sozi<strong>als</strong>ystem. 96<br />

Es liegt nahe, dass deshalb nicht Fragen nach der Ursache des Problems i.S.v. „wie<br />

kam es zu dem Problem?“, sondern Fragen nach der Aufrechterhaltung i.S.v. „wozu ist<br />

es gut, dass das Problem besteht“, „was braucht dadurch nicht geändert zu werden“<br />

oder „wozu dient es dem System“, gestellt werden sollten. So muss sich häufig nicht<br />

das System verändern, sondern die Kommunikation über das, was <strong>als</strong> Problem von den<br />

verschiedenen Beteiligten definiert wird. 97<br />

Ein attraktiver systemischer Erklärungsansatz zur Thematik der Kulturberührung von<br />

zwei sozialen Systemen stellt die Theorie der Schismogenese dar. BATESON beschreibt<br />

darin, wie die fortschreitende Veränderung komplementärer oder symmetrischer<br />

Beziehungen zu einer Verstärkung des bestehenden Interaktionsmusters führt. Dies<br />

beruht auf der ungedämpften oder unkorrigierten positiven Rückkopplungen im<br />

System.<br />

Zur Auflösung solcher <strong>Prozess</strong>e kommt es nach BATESON, wenn sich die beiden<br />

Gruppen in Relation zu einem dritten Element vereinigen (Problem/Aufgabe). Dieses<br />

kann ein gemeinsames Projekt oder gemeinsame Abhängigkeiten sein, von denen die<br />

Existenz aller abhängt. „Löwe und Lamm legen sich zusammen hin, wenn es nur stark<br />

genug regnet“.<br />

96 Vgl. Schlippe und Schweitzer, 1997.<br />

47


48<br />

Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

Aus strukturationstheoretischer Sicht können <strong>Prozess</strong>e, wie sie etwa in strategischen<br />

Integrationsprojekten ablaufen <strong>als</strong> ein gemeinsamer Handlungsstrom verstanden<br />

werden, die eine gemeinsame Struktur schafft. Die gemeinsame Struktur ermöglicht<br />

wiederum gemeinsame Handlungen 98 . Die zufällige Übereinstimmung von Aspekten<br />

der Unternehmenskultur, wie z.B. eine starke Wettbewerbskultur, Hierarchie-<br />

orientierung oder eine Konsenskultur, reicht nicht aus, um eine gemeinsame Struktur<br />

zu bilden und neue gemeinsame Handlungen zu ermöglichen. Außerdem stellt sich bei<br />

einer solchen Betrachtung stets die Frage, wer eine solche Übereinstimmung<br />

beobachtet bzw. bewertet.<br />

Eine solche prozessuale Betrachtungsweise entspricht nicht einer auf Kompatibilität<br />

ausgerichteten statischen „Fit“-Analyse, sondern eher einem <strong>Prozess</strong> der Verfertigung<br />

oder Strukturierung. Die nachfolgenden Ereignisse bzw. Ereignisströme müssen dabei<br />

anschlussfähig an den zurückliegenden Ereignisstrom sein.<br />

In diesem Sinne kann nach VON KROGH das Management von Post-Merger-Integration<br />

<strong>als</strong> ein Strategieimplementierungsprozess verstanden werden. 99 Dabei ist eines der<br />

wesentlichen Probleme, dass die beteiligten Organisationen nicht die gleiche<br />

Geschichte teilen, unterschiedliche Handlungsströme aufweisen, unterschiedliche<br />

Regeln befolgen und nicht die gleiche Sprache sprechen. Die gemeinsame<br />

Auseinandersetzung über ein solches Initiative, wie z.B. die Einführung einer<br />

Balanced Scorecard (BSC) oder eines neuen Geschäftsprozesses bietet die<br />

Möglichkeit, gemeinsam neue Geschichte zu schaffen.<br />

Fasst man die anthropologische, systemische, organisationstheoretische und struktura-<br />

tionstheoretische Argumentation zusammen, so kann man für die Integration und<br />

Fusion eines gemeinsamen Systems schließen, dass durch die gemeinsame Arbeit an<br />

einem Problem oder einer Aufgabe (Projekt) eine gemeinsame Kultur bzw. Struktur im<br />

Sinne neuer gemeinsamer und verbindlicher Regeln errungen bzw. geschaffen wird.<br />

Ein neues System entsteht <strong>als</strong>o gerade in der Auseinandersetzung mit einem Problem.<br />

Neue (fusionierte) Organisationen bilden sich nur an neuen Problemen oder Aufgaben,<br />

97 Diese Auffassung entspricht auch dem systemtheoretischen Verständnis von [Luhmann, 1984 #217]. Eine<br />

ähnliche Perspektive auf die Entstehung von Organisationen liegt dem Garbage Can model zugrunde.<br />

Demnach suchen häufig Lösungen nach Problemen, anstatt dass für Probleme Lösungen gefunden werden.<br />

98 Vgl. Giddens, 1997.<br />

99 Vgl. von Krogh, et al., 1994.


Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

sie werden in Handlungen und <strong>Prozess</strong>en, in der Kommunikation und Problembe-<br />

arbeitung erschaffen.<br />

Wie ein solcher <strong>Prozess</strong> aussehen kann, ähnelt der folgenden Beschreibung von VON<br />

KROGH 100 :<br />

Die Manager der kaufenden Firma und der gekauften Firma kommen zusammen, sie versuchen,<br />

bestimmte Entscheidungen zu treffen, eine bestimmte Sprache zu sprechen, sie<br />

tauschen Daten aus und lesen die Reaktionen ihrer Gegenüber. Es gibt eine bestimmte<br />

"evolution of fitting together“ 101 , wenn eine Verbesserung der Kommunikation durch eine<br />

Sequenz von Interaktionen erreicht wird. Einige Pläne und Ideen werden vorgeschlagen aber<br />

niem<strong>als</strong> ausgeführt, einige Definitionen benutzt, aber letztendlich wieder ersetzt, einige Daten<br />

und Informationen präsentiert, aber nach einer Weile verworfen.<br />

2.1.6 7 Thesen zur Post-Merger-Integration<br />

Im Folgenden werden einige Leitthesen, die im Verlaufe der weiteren Arbeit themati-<br />

siert werden, zusammenfassend dargestellt. Sie wollen in kurzer und provokativer Art<br />

insbesondere die gängige Weise herausfordern, wie das Phänomen der Post-Merger-<br />

Integration üblicherweise verstanden wird.<br />

• Die diskursive Konstruktion eines kulturellen Fits erhöht tendenziell die<br />

Wahrscheinlichkeit, dass relevante Unterschiede nicht wahrgenommen werden<br />

oder diesen keine Bedeutung zugemessen wird. 102<br />

• Die diskursive Konstruktion eines kulturellen Fits führt u.U. zur Bildung von<br />

Immunreaktionen im Sinne der Schismogenese. 103<br />

• Zur Durchführung einer Integration bedarf es einer „Metakultur“, d. h. einer<br />

Kultur des Umgangs mit den kulturellen Unterschieden. 104<br />

• Der Versuch, die Integration nach dem Prinzip „Auswahl der jeweils besten<br />

100 Vgl. ebenda.<br />

Systeme oder Mitarbeiter“ zu gestalten, führt zu einer desintegrierenden und<br />

101 Vgl. Bateson, 1979.<br />

102 Vgl. Deiser, 1994.<br />

103 Vgl. Bateson, 1981.<br />

104 Vgl. Jansen, 2000a.<br />

49


50<br />

Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

u.U. eskalierenden Verstärkung der Differenzierung im Sinne eines „entweder-<br />

oder“ anstatt der integrierenden Erfahrung im Sinne eines „Beides“ 105 .<br />

• Um „Beides“ zu erreichen, bedarf es konkreter organisationaler Handlungen<br />

(z.B. konkreter Initiative), in denen neue Strukturen 106 erkennbar geschaffen<br />

werden und die über das Entweder-Oder hinaus gehen.<br />

• Einen Beitrag zur Integration leisten nur solche Initiativen, die anschlussfähig<br />

an den bestehenden Handlungsstrom sind. 107<br />

• Eine von konkreten inhaltlichen Herausforderungen losgelöste Thematisierung<br />

der Kultur bei Fusionen führt dazu, dass Kultur von vornherein <strong>als</strong> Problem<br />

diskutiert wird. 108<br />

2.1.7 Fazit Post-Merger-Integration<br />

Post-Merger-Integrationen stellen eine große Herausforderung für Organisationen und<br />

ihr Management dar. Als eine besonders einschneidende Form des organisationalen<br />

<strong>Wandel</strong>s zeigen sie Konsequenzen auf der Inhalts- wie auch auf der Beziehungsebene.<br />

Das bestehende Orientierungswissen, das Manager und Forscher zur Gestaltung von<br />

Integrationsprozessen und zur Erklärung von <strong>Wandel</strong>phänomenen zugrunde legen, ist<br />

allerdings vor allem geprägt durch die statische Logik eines strategischen,<br />

organisationalen und kulturellen Fits. Als Schlüssel zur Integration gilt somit eine<br />

Sachlogik, die sich vor allem an der Kompatibilität von Abläufen, Strukturen und (IT-)<br />

Schnittstellen orientiert.<br />

Sowohl epistemologisch <strong>als</strong> auch empirisch erscheinen dagegen die Gestaltung von<br />

Beziehungsprozessen und die damit verbundenen Sinnbildungs- und Konstruktions-<br />

leistungen wesentlich erfolgskritischer zu sein. Es ist somit nur konsequent, wenn sich<br />

die Forschungsfrage auf die Untersuchung von identitätsbildenden <strong>Prozess</strong>en im Sinne<br />

der Verfertigung einer neuen Wirklichkeitsordnung im Rahmen von Unternehmens-<br />

zusammenschlüssen konzentriert. Im folgenden Kapitel wird daher das Thema der<br />

organisationalen Identität, insbesondere der identitätsbildenden <strong>Prozess</strong>e vorgestellt.<br />

105 Vgl. die Eingangsdarstellung zum Tetralemma des <strong>Wandel</strong>s.<br />

106 Vgl. zum Begriff der Strukturen insbesondere Kapitel 4.1.<br />

107 Vgl. zum Begriff der Anschlussfähigkeit insbesondere Kap. 4.2.3.


Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

2.2 Identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />

Die identitätsbildenden <strong>Prozess</strong>e in Post-Merger-Phasen stellen einen Kristallisations-<br />

punkt dar, an dem sich die Implikationen organisationalen <strong>Wandel</strong>s für (immaterielle)<br />

Organisationsstrukturen angemessen beobachten lassen. Das Konstrukt der<br />

organisationalen Identität scheint ein besonders fruchtbares Forschungsfeld zu sein, da<br />

es bislang wenig erforscht wurde. Zudem ermöglicht es eine Verbindung zwischen<br />

einer „Theory of action“ und einer „Theory of strategy“ und ist <strong>als</strong>o von<br />

herausragender Bedeutung für den organisationalen <strong>Wandel</strong>. 109<br />

2.1 Post-Merger-Integration<br />

und organisationaler <strong>Wandel</strong><br />

2. Hintergrund und Fokus der<br />

Forschungsfrage<br />

2.3 Forschungsfrage<br />

2.2 Identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e<br />

organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />

Abbildung 10: Gedankenfluss Kapitel 2<br />

Das nachfolgende Kapitel 2.2 entwickelt daher ausgehend von einer kollektiven<br />

Identitätsvorstellung eine Definition organisationaler Identität und untersucht deren<br />

Bedeutung in der Strategie- und <strong>Wandel</strong>forschung. Darauf aufbauend wird in<br />

Abgrenzung von einer eher entitativen Identitätsvorstellung eine Vorstellung<br />

<strong>identitätsbildender</strong> <strong>Prozess</strong>e dargestellt. Diese Betrachtung dient insbesondere zur<br />

Vorbereitung der Forschungsfrage in Kapitel 2.3.<br />

2.2.1 Von der individuellen zur kollektiven Identität<br />

Nach GIOIA beeinflusst kaum ein anderes Konzept menschliche Handlungen und<br />

Interpretationen so sehr wie das der Identität. Daher scheint es auch nicht erstaunlich,<br />

dass die Identität von zentraler Bedeutung für das Verständnis von Organisationen<br />

ist. 110<br />

108 Vgl. Jansen (2002), S. 6ff.<br />

109 Vgl. Bouchikhi, et al., 1999.<br />

110 Vgl. Gioia, 1999.<br />

51


52<br />

Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

Während PLATO Identität <strong>als</strong> eine Form ansah, die metaphysisch existierte und sich<br />

jeweils individuell unterschiedlich zeigte, findet man bei ARISTOTELES bereits<br />

Hinweise, dass das Selbst auch aus mehreren Identitäten bestehen kann. 111<br />

Identität stellt so gesehen den Kern des Seins dar, den nachvollziehbaren roten Faden<br />

des „Ichs“ über die Zeit und das, was die Person (auch die Organisation) unterscheidet<br />

von anderen Menschen oder sozialen Einheiten. Nach WEICK stellt diese Zurechnung<br />

individueller Identität in einem sozialen Umfeld einen sehr mehrdeutigen <strong>Prozess</strong> dar.<br />

Erst die Mehrdeutigkeit erlaubt es, die Komplexität verschiedener paradoxer „beliefs“<br />

zu bewältigen. 112 Ganz im Sinne JAMES („a man has as many social selves as there are<br />

individu<strong>als</strong> who recognize him”) 113 widerspricht dies sowohl der Auffassung von einer<br />

einheitlichen <strong>als</strong> auch einer sozial- und kontextunabhängigen Identitätsvorstellung.<br />

Aus sozialwissenschaftlicher Sicht haben insbesondere GOFFMAN, ERICKSON und<br />

GERGEN dazu beigetragen, Identität <strong>als</strong> einen Rahmen des Selbstverständnisses zu<br />

betrachten, der geformt und erhalten wird durch die soziale Interaktion. Demnach<br />

lernen Individuen über die persönliche und symbolische Interaktion mit anderen, sich<br />

selbst sozial konstruierte Labels zuzuschreiben. Identität wird damit zu einem<br />

relationalen <strong>Prozess</strong>. Es handelt sich stets um eine simultane Konstruktion von Ich<br />

und Kollektiv. 114<br />

Die organisationale Identität <strong>als</strong> eine Form einer kollektiven Identität ist kein<br />

kategorialer Unterschied, sondern nur ein Sprung auf die nächste Analyseebene im<br />

Sinne eines Übergangs vom Individuum über die Gruppe zur Organisation. Damit<br />

ermöglicht das Konzept oder die Frage nach der organisationalen Identität eine von<br />

PETTIGREW geforderte Mehrebenenbetrachtung strategischer <strong>Prozess</strong>e. 115<br />

Organisationale Identität stellt eine Brücke zwischen der Ebene des Individuums, der<br />

Gruppe und der Organisation her. Sie verbindet die Makro- und Mikroebene der<br />

simultanen Identitätskonstruktion von Individuum und Organisation miteinander ohne<br />

111 Vgl. Aristoteles, 1978 und 1980; Platon, 1967.<br />

112 Vgl. Weick, 1985b.<br />

113 Vgl. James, 1918.<br />

114 Vgl. Goffman, 1959; Erickson, 1964; Gergen, 1985.<br />

115 Vgl. Kapitel 3.3.3 und Pettigrew, 1990.


Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

die wechselseitige Enstehung der jeweiligen Identität in der Relation zwischen dem<br />

Individuum und der Organisation zu trennen. 116<br />

2.2.2 Was ist organisationale Identität?<br />

Organisationale Identität ist ähnlich wie der Begriff der Organisationskultur ein<br />

Konstrukt, das die soziale Dimension einer Organisation, insbesondere das Selbstver-<br />

ständnis der Organisation abbildet.<br />

Mit der Frage nach der organisationalen Identität, nach den essentiellen Elementen der<br />

Organisation wird selbstreflektiv gefragt, wie die Organisation bzw. die Mitglieder<br />

einer Organisation sich selbst wahrnehmen. Diese Frage ist aus systemisch-<br />

konstruktivistischer Perspektive von außerordentlicher Bedeutung, da jeglicher Wahr-<br />

nehmungs- und Interpretationsprozess – gerade im Rahmen organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />

– stark vom Selbstverständnis und der Einbindung der Organisationsmitglieder in den<br />

organisationalen Diskurs abhängen.<br />

Aber was ist organisationale Identität und warum ist sie aus Sicht der Organisations-<br />

forschung von Interesse? Die Diskussion um organisationale Identität wurde 1985<br />

durch den Artikel von ALBERT und WETTEN angestoßen. Sie stellten fest, dass bereits<br />

anscheinend kleinste Veränderungen im Aufbau oder in den <strong>Prozess</strong>en einer<br />

Organisation eine unkontrollierbare Erosion des organisationalen und teilweise<br />

persönlichen Selbstverständnisses auslösen konnte. Sie definierten die organisationale<br />

Identität daraufhin allgemein <strong>als</strong> das, was die Mitglieder einer Organisation glauben,<br />

das „central, enduring and distinctive“ bezüglich ihrer Organisation sei. 117<br />

Wenngleich diese Definition nicht im strengen Sinne einer aristotelischen Logik den<br />

Definitionsbereich abgrenzt, sondern eher ein Bedeutungsfeld eröffnet, das im Sinne<br />

der Wittgensteinschen Vorstellung eine Familienähnlichkeit impliziert, schafft diese<br />

Defintion einen Verständnisrahmen, der insbesondere zur Austausch mit anderen<br />

Konstrukten einlädt. In diesem Sinne eröffnet die von ALBERT und WHETTEN<br />

vorgesschlagene allgemeine Definition gerade für die qualitative Forschung eine breite<br />

Vielzahl von Anknüpfungspunkte.<br />

116 Vgl. Kramer, 1993.<br />

117 Vgl. Albert und Whetten, 1985.<br />

53


54<br />

Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

Nachfolgende Autoren beschrieben dagegen die organisationale Identität wesentlich<br />

eingeschränkter u.a. <strong>als</strong> „strategically planned and operationally applied internal and<br />

external self-representation“. Damit wird wesentlich stärker die Möglichkeit eines<br />

Identitätsmanagements impliziert. 118<br />

Andere theoretische Ansätze verwenden keine Identitäsinhalte zur Definition,<br />

schränken aber durch die genaues Vorstellung, wie eine Identität entsteht ihre<br />

Anschlussfähigkeit an benachbarte Disziplinen stark ein. So definiert etwa die die<br />

soziale Identitätstheorie Identität <strong>als</strong> eine Selbstdefinition, die aus den Definitionen<br />

anderer entwickelt wird. 119<br />

In der folgenden Untersuchung strategischer <strong>Wandel</strong>prozesse soll daher der allge-<br />

meinen Definition von ALBERT und WHETTEN mit den drei Defintionskriterien der<br />

Zentralität, Beständigkeit und Unterschiedlichkeit organisationaler Identität im<br />

wesentlichen gefolgt werden: Auf die Bedeutung der Zentralität weisen bereits GIOIA<br />

und THOMAS hin, da sich strategischer <strong>Wandel</strong> nach ihrer Ansicht stets auf zentrale<br />

Aspekte der Identität bezieht. Umstrittener scheint dagegen, inwieweit sich die, durch<br />

die Organisationen selbst wahrgenommenen Unterschiede zwischen den<br />

Organisationen, durch die vielen Anstrengungen zur Imitation wie z.B. eines<br />

Benchmarkings verändern (lassen). 120 Nicht nur aus systemischer Sicht scheint dieses<br />

Argument allerdings zu kurz zu greifen, da sich die impliziten Wissensstrukturen und<br />

die damit verbundenen latenten Unterscheidungen, welche der organisationalen<br />

Identität zugrunde liegen, einer direkten Imitation bzw. Reproduktion weitgehend<br />

entziehen.<br />

Kritisch muss angesichts der zunehmenden Dynamik organisationaler Entwicklung das<br />

Kriterium der Beständigkeit der organisationalen Identität gesehen werden, soweit es<br />

sich auf blosse Identitätsinhalte bezieht 121 . Im Folgenden wird deshalb nicht von einer<br />

statischen Vorstellung inhaltlicher Konstanz, sondern von der Beständigkeit im Sinne<br />

einer Anschlussfähigkeit neuer zentraler Identitätselemente an die bestehende Struktur<br />

ausgegangen. 122<br />

118 Vgl. Van Riel, 1995, S. 17.<br />

119 Vgl. Schlenker, 1980.<br />

120 Vgl. Gioia und Thomas, 1996.<br />

121 Vgl. Kapitel Organisationale Identität und <strong>Wandel</strong>.<br />

122 Vgl. dazu insbesondere Kapitel 5.


Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

Es ist allerdings wichtig, bei allen drei Kriterien zu betonen, dass sie ermöglichen, das<br />

was zentral, beständig und unterschiedlich ist, jeweils aus der Perspektive der<br />

Organisation bzw. der Organisationsmitglieder zu beurteilen.<br />

Über die Charakteristiken der Zentralität, Unterschiedlichkeit und Beständigkeit<br />

hinaus können Identitäten weiter variieren. Nach REGER stellen folgende Aspekte<br />

wichtige Dimensionen organisationaler Identität dar:<br />

1. Homogenität: Grad, in dem die Mitglieder einer Organisation einen gemein-<br />

samen Set an „beliefs“ über eine Organisation teilen<br />

2. Intensity (Conviction): Die Stärke der „beliefs“ und der Grad positiver Affekte<br />

gegenüber dieser Identität<br />

3. Komplexität: Anzahl an „beliefs“, aus denen die Identität besteht, sowie die<br />

Anzahl an Identitäten<br />

4. Abstraktheit: Ausmaß, in dem die Identität in abstrakter Sprache formuliert ist<br />

5. Inhalt: was Gegenstand der Identität ist<br />

6. Kontext: der interne und externe Kontext; Identität ist abhängig von der<br />

Geschichte des Entstehens (path-depency) 123<br />

Die Dimensionen sollen im Folgenden dazu dienen, mögliche Veränderungen der<br />

Identität auf der Beziehungsebene nachzuvollziehen. Sie werden im Rahmen der<br />

Untersuchung der identitätsbildenden Wirkung strategischer Initiativen deshalb immer<br />

wieder zur Beschreibung der Veränderung der organisationalen Identität heran-<br />

gezogen.<br />

2.2.3 Organisationale Identität in der Strategieforschung<br />

Warum ist das Konzept der organisationalen Identität für die Strategieforschung von<br />

Bedeutung? Die Strategieforschung untersucht die Ursache und das Zustandekommen<br />

nachhaltiger Wettbewerbsvorteile und Performance-Unterschiede von Organisationen.<br />

PORTER führte vor allem strukturelle Charakteristika der betroffenen Industriezweige<br />

123 In Anlehnung an Reger, et al., 1998.<br />

55


56<br />

Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

und Vorteile einer Organisation in einem Wettbewerbsumfeld <strong>als</strong> Gründe für<br />

nachhaltige Wettbewerbsvorteile an. 124<br />

Schnell wurde indes klar, dass dies die Annahme der Homogenität der Firmen<br />

implizierte keinen hinreichende Erklärung für Unterschiede zwischen den Firmen<br />

darstellte. Die strukturellen Charakteristika von Industriezweigen konnten die<br />

unterschiedlichen Fähigkeiten und Performance-Unterschiede innerhalb eines gleichen<br />

Wettbewerbsumfelds nicht erklären. Insbesondere blieb offen, warum einige Firmen<br />

auch in schlechten Wettbewerbsumfeld bessere Performance erreichten <strong>als</strong> andere.<br />

Diese Unterschiede wurden Ausgangspunkt für die „resource-based view“, die in den<br />

organisationalen Fähigkeiten und Ressourcen den wesentlichen Wettbewerbsvorteil<br />

sieht. 125 Wettbewerbsvorteile werden nach der „resource-based view“ nicht mehr nur<br />

in der Teilnahme an einem lukrativen Wettbewerb, sondern vor allem in Fähigkeiten<br />

und Ressourcen der Organisation gesehen. Der Vorteil hängt allerdings von der Asym-<br />

metrie bzw. der Einzigartigkeit der Ressourcen ab: Nur wenn es sich um nicht oder nur<br />

schwer imitierbare Wettbewerbsvorteile handelt, kann die schnelle Diffusion verhin-<br />

dert werden. Dieser „Asymmetrietest“ wird allerdings nur von wenigen Strategie-<br />

inhalten bestanden. 126<br />

Bei der Suche nach nicht imitierbaren Wettbewerbsvorteilen fiel das Augenmerk auf<br />

das Potential organisationaler <strong>Prozess</strong>e, Routinen und Kulturen, da diese „invisible<br />

assets“ 127 schwer nachzuahmen sind. 128 Das wissenschaftliche Interesse konzentrierte<br />

sich in der Folge vor allem auf interne <strong>Prozess</strong>e und soziale Phänomene. Man begann,<br />

nachhaltige Wettbewerbsvorteile nicht mehr so sehr in spezifischen expliziten<br />

Wettbewerbsinhalten zu sehen, sondern im Management sozial komplexer Verhaltens-<br />

phänomene und -prozesse.<br />

Gerade die Suche nach schwer zu imitierenden und sozial komplexen internen<br />

Ressourcen hat das Interesse an der organisationalen Identität geweckt. Als minimaler<br />

Konsens wird die organisationale Identität dabei <strong>als</strong> die Theorie oder das Verständnis<br />

der Organisation oder der Organisationsmitglieder von sich selbst angenommen.<br />

124 Vgl. Porter, 1980.<br />

125 Vgl. Wernerfeld, 1984; Barney, 1986; Barney, 1991.<br />

126 Vgl. Lippman und Rumelt, 1982.<br />

127 Vgl. Itami, 1987.<br />

128 Vgl. Barney, 1991; Schoemaker, 1990.


Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

Organisationale Identität stellt damit, ähnlich z.B. der „dominant logic“ 129 oder der<br />

„theory of the business“ 130 , das Konzept einer Wissensstruktur oder eines Schemas<br />

dar. WALSH identifiziert in einer Untersuchung mehr <strong>als</strong> 75 solcher Konzepte. 131 .<br />

Die strategische Bedeutung der organisationalen Identität besteht vor allem darin, dass<br />

sie die Annahmen beeinflusst, die den strategischen, organisationalen und operatio-<br />

nalen Entscheidungen der Organisationsmitglieder zugrunde liegen. 132 Dies gilt insbe-<br />

sondere für die im Nachfolgenden untersuchten, dezentral strukturierten Organi-<br />

sationen. Der Identität kommt in ihnen nach BICKMANN 133 eine Klammerfunktion zu.<br />

Sie beinhaltet gerade für dezentrale Unternehmen mit Hilfe eines integrativen<br />

Identitätsmanagements die Möglichkeit, „den Laden zusammenzuhalten“. Die Identität<br />

liefert gewissermassen die „Sinnklammer“ oder den „Kitt“, der die Zentrifugalkräfte<br />

der Sub-Einheiten in einem Konzerngefüge zusammenhalten kann. 134<br />

Solange die Organisationsmitglieder dabei mit der Entwicklung zufrieden sind oder<br />

mit der Unzufriedenheit leben können, d.h. kein (handlungs-)relevanter Unterschied<br />

auftritt, entsprechen die Handlungsmuster der bisherigen Identität. Die Handlungen<br />

verstärken damit unbewusst das zugrundeliegende organisationale Identitätsmuster.<br />

Die folgende Abbildung veranschaulicht diesen dualen Zusammenhang:<br />

Strategische<br />

Handlungen<br />

Organisationale<br />

Identität<br />

Abbildung 11: Dualität strategischer Handlungen und organisationaler Identität<br />

129 Vgl. Prahalad und Bettis, 1986.<br />

130 Vgl. Drucker, 1994.<br />

131 Vgl. W<strong>als</strong>h, 1995.<br />

132 Vgl. Dutton und Dukerich, 1991, Gustafson und Reger, 1995.<br />

133 Vgl. Bickmann, 1999.<br />

134 Vgl. ebenda.<br />

57


58<br />

Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

Zur Erforschung von Fragen der Identität oder der Identitätsbildung empfiehlt sich<br />

nach ALBERT die qualitative Vorgehensweise, da man zur Beantwortung der Frage<br />

„wer bin ich?“ ein Subjekt, Objekt und ein Verb benötigt und nicht eine Zahl oder eine<br />

Phrase braucht. 135<br />

Aus konstruktivistischer Sicht verlagert sich der Fokus auf die Frage, wie die Mit-<br />

glieder einer Organisation kollektiv ein Verständnis dafür entwickeln, wer sie sind. Es<br />

geht <strong>als</strong>o aus dieser Perspektive nicht um eine objektive und statische Identität,<br />

sondern um die Entwicklung von Bedeutungsstrukturen, die zwischen den Akteuren<br />

ständig aufs Neue ausgehandelt werden. Die Akteure streben dabei nach einer Konver-<br />

genz und Stabilität der Bedeutung. 136<br />

Mit dieser Beschreibung wird bereits deutlich, dass sich bei der Analyse der Identität<br />

ein interpretativer Zugang empfiehlt. Denn so kann untersucht werden, wie die<br />

Organisation über <strong>Prozess</strong>e des Sensemaking ihre Bedeutungssysteme etabliert. Der<br />

Fokus einer solchen Vorgehensweise muss sich vor allem auf <strong>Prozess</strong>e und Praktiken<br />

stützen, die das Selbstverständnis der Organisation ermöglichen und stützen, aber auch<br />

beschränken. Im Mittelpunkt der Untersuchung der organisationalen Identitätsbildung<br />

stehen damit die Bildungsprozesse und nicht die Inhalte des Konstrukts Identität.<br />

2.2.4 Organisationale Identität und organisationaler <strong>Wandel</strong><br />

“The key problem of identity, then, is as the term connotes, the capacity of the ego to<br />

sustain sameness and continuity in the face of changing fate.” 137<br />

Die übliche Vorstellung von Identität impliziert i.d.R. eine gewisse Kohärenz und<br />

Kontinuität. Trotzdem enthält die Identität einer Organisation sowohl Elemente, die<br />

über die Zeit stabil bleiben, <strong>als</strong> auch Werte und Wahrnehmungen, die sich im Verlaufe<br />

der Zeit ändern. Das „Ego“ der Organisation (wie auch das eines Individuums) ist<br />

damit paradoxerweise zugleich unveränderlich und veränderlich:<br />

“But fate always combines changes in inner conditions, which are the result of<br />

ongoing life stages, and changes in the milieu, in historical situation. Identity connotes<br />

the resiliency of maintaining essential patterns in the process of change. Thus, strange<br />

135 Vgl. Albert, 1999.<br />

136 Vgl. Bouchikhi, et al., 1999.<br />

137 Vgl. Erickson, 1964.


Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

as it may seem, it takes a well-established identity to tolerate radical change, for the<br />

well-established identity has arranged itself around basic values which cultures have<br />

in common”. 138<br />

Wie ERICKSON anmerkt besteht die Identität vor allem in der Flexibilität bestimmte<br />

identitätsrelevante Muster auch über Bruchstellen der Entwicklung und Phasen des<br />

radikalen <strong>Wandel</strong>s hinaus beizubehalten. Es bedarf daher gut verankerter Strukturen<br />

die Aspekte der grundlegenden Werte wie das Systemvertrauen und prozessuale<br />

Gerechtigkeit umfassen. Sie sind nicht nur der Kern des organisationalen<br />

Selbstverständnisses, sondern stellen auch die Basis für die Bewältigung von <strong>Wandel</strong><br />

und die kontinuierliche Erneuerung der Organisationen dar. 139<br />

Es ist daher nicht überraschend, dass das Konstrukt der organisationalen Identität<br />

zunehmendes Interesse im Bereich des organisationalen <strong>Wandel</strong>s und der Erneuerung<br />

findet. Studien zeigen, dass Manager Schwierigkeiten haben, Veränderungen im<br />

Umfeld einer Organisation festzustellen, zu interpretieren und angemessen darauf zu<br />

reagieren, wenn diese Veränderungen die eigene Identität der Organisation zu stark in<br />

Frage stellen. 140<br />

REGER ET AL. gehen davon aus, dass Firmen eine Vorstellung sowohl von ihrer aktuel-<br />

len <strong>als</strong> auch der erwünschten Identität haben. Die entstehende „identity gap“ beein-<br />

flusst maßgeblich den <strong>Wandel</strong> der Organisation. Erfolgreiche <strong>Wandel</strong>prozesse sind<br />

dabei durch mittlere „identity gaps“ gekennzeichnet, weil sie weder Trägheit noch<br />

Widerstand hervorrufen und es der Organisation erlauben, neue Elemente zur<br />

bestehenden Identität zu ergänzen. Es scheint daher schwierig, <strong>Wandel</strong> zu bewältigen,<br />

der nicht zu der bestehenden Identität der Organisation passt. 141<br />

2.2.5 Identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e in Organisationen<br />

Identität ist kein entitatives internes Konzept, das ausschließlich aus den Werten des<br />

Gründers und einigen isolierten Vorstellungen gestaltet werden kann. Es handelt sich<br />

vielmehr um eine sich wandelnde Sinnstruktur, die sich aus der Interaktion mit<br />

138 Vgl. Erickson, 1964.<br />

139 Vgl. ähnlich auch Sydow und Loose, 1994.<br />

140 Vgl. Rumelt, et al., 1994.<br />

141 Vgl. Reger, et al., 1994.<br />

59


60<br />

Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

internen und externen Beteiligten entwickelt. 142 Diese Vorstellung über den <strong>Prozess</strong><br />

der Identitätsbildung ist grundsätzlich vergleichbar einem <strong>Prozess</strong> der Strukturierung,<br />

wie ihn GIDDENS beschreibt. 143<br />

Die Möglichkeit einer Organisation, ihre organisationale Identität zu verändern, kann<br />

somit im Sinne einer Fähigkeit eines Sozi<strong>als</strong>ystems verstanden werden, eine neue<br />

Identität aufzubauen und sie zugleich mit der überwundenen zu verbinden. Es geht<br />

<strong>als</strong>o nicht um die Suche nach der Einheit und Form von Weltbildern im Sinne eines<br />

inhaltlichen Kompromisses. HABERMAS beschreibt dieses prozessorientierte<br />

Verständnis <strong>identitätsbildender</strong> <strong>Prozess</strong>e, wonach man eine kollektive Identität<br />

„allenfalls in den formalen Bedingungen verankert sehen (kann), unter denen Identi-<br />

tätsprojektionen erzeugt und verändert werden. Ihre kollektive Identität steht den<br />

Einzelnen nicht mehr <strong>als</strong> ein Traditionsinhalt gegenüber, an dem die eigene Identität<br />

wie an einem feststehenden Objektiven gebildet werden kann; vielmehr beteiligen sich<br />

die Individuen selbst an dem Bildungs- und Willensbildungsprozess einer gemeinsam<br />

erst zu entwerfenden Identität. Die Vernünftigkeit der Identitätsinhalte bemisst sich<br />

dann allein an der Struktur dieses Erzeugungsprozesses, d.h. an den formalen Bedin-<br />

gungen des Zustandekommens und der Überprüfung einer flexiblen Identität, in der<br />

sich alle Gesellschaftsmitglieder wiedererkennen und reziprok anerkennen, d.h. achten<br />

können.“ 144<br />

Somit wird deutlich, dass es bei der Untersuchung organisationaler Identität nicht um<br />

die Identifikation von Inhalten bzw. ihre Veränderung gehen kann, sondern vielmehr<br />

um die Bildungsprozesse der Identität bzw. deren Strukturmerkmale. Zu diesen<br />

Strukturmerkmalen zählen nach HABERMAS vor allem Reflexion und kontinuierliches<br />

Lernen. Sie bilden die Voraussetzung, um über die Teilnahme am Organisations-<br />

prozess eine kollektive Identität und damit die Sozialintegration zu erreichen. Die<br />

kollektive Identität stellt dabei die Bedingung der Möglichkeit von Sozialintegration<br />

dar. 145<br />

142 Vgl. Bouchikhi, et al., 1999.<br />

143 Vgl. zum <strong>Prozess</strong> der Strukturierung Kapitel 4.1.<br />

144 Vgl. Habermas, 1974.<br />

145 Vgl. ebenda.


Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

GIOIA fordert deshalb dazu auf, bei der wissenschaftlichen Erforschung der Identität<br />

nicht nur einen einzelnen „snapshot“ in der Zeit zugrunde zu legen und nicht nur in<br />

das Innere der Person oder Organisation zu schauen. Um zu verstehen, wer die<br />

Organisation ist, sollten vielmehr die Orte des <strong>Wandel</strong>s der Identität fokussiert<br />

werden, wo die Identität geformt und verändert wird. 146<br />

Im Folgenden sollen daher die Merkmale solcher identitätsbildenden <strong>Prozess</strong>e<br />

analysiert werden. Die Analyse wird sich nicht auf die Inhalte, sondern auf die<br />

Struktur der <strong>Prozess</strong>e konzentrieren. Gegenstand sollen die strategischen Initiative in<br />

Organisationen sein, da hier die zukünftige Form der Organisation entworfen wird.<br />

Die <strong>Prozess</strong>e werden dabei <strong>als</strong> relational aufgefasst, d.h. <strong>als</strong> <strong>Prozess</strong>e, in denen die<br />

Beteiligten soziale Realität und damit simultan das persönliche und organisationale<br />

Selbst verfertigen. Daraus folgt, dass das „Wer-jemand-ist“ – seine Identität − eher<br />

multipel <strong>als</strong> singular und eher variabel <strong>als</strong> fixiert erscheint. 147<br />

2.2.6 Zusammenfassung<br />

Organisationale Identität kann viel dazu beitragen, die Effektivität und<br />

Leistungsfähigkeit einer Organisation im Sinne eines nachhaltigen und kaum zu<br />

imitierenden Wettbewerbsfaktors zu steigern. Die Diskrepanz oder die „identity gap“<br />

zwischen der aktuellen und der zukünftigen oder erwünschten Identitätsvorstellung<br />

kann dabei die Verbesserung oder den <strong>Wandel</strong> einer Organisation motivieren. 148<br />

Zwei Aspekte sollten in diesem Zusammenhang allerdings bedacht werden: Zum einen<br />

steht die organisationale Identität in einem engen Verhältnis zur Zugehörigkeit und zu<br />

den Grenzen einer Organisation. Zum anderen muss über Elemente sowohl der<br />

Neuheit und der Bestätigung die Anschlussfähigkeit der neuen an die bestehende<br />

Identität gewährleistet werden. 149<br />

Ein Identitätsmanagement kann damit <strong>als</strong> ein Signifikations- und Sensemakingprozess<br />

verstanden werden und ist auf das Engste verwoben mit dem Management der<br />

impliziten systemischen Wissensstrukturen. Für die Untersuchung der meist impliziten<br />

146 Vgl. Bouchikhi, et al., 1999.<br />

147 Vgl. Bass und Hosking, 1998.<br />

148 Vgl. Dutton und Dukerich, 1991; Dutton, et al., 1994.<br />

149 Vgl. hierzu insbesondere [von Weizsäcker, 1986 #7].<br />

61


62<br />

Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

und für selbstverständlich angenommenen identitätsbildenden <strong>Prozess</strong>e scheinen daher<br />

Bruchstellen der organisationalen Entwicklung, wie etwa Merger- oder Outsourcing-<br />

prozesse besonders geeignet. Sie stellen die bisherige Identitätsstruktur in Frage und<br />

fordern ein potenziell neues Selbstverständnis der Organisation.<br />

2.3 Forschungsfrage<br />

2.1 Post-Merger-Integration<br />

und organisationaler <strong>Wandel</strong><br />

2. Hintergrund und Fokus der<br />

Forschungsfrage<br />

2.3 Forschungsfrage<br />

Abbildung 12: Gedankenfluss Kapitel 2<br />

2.2 Identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e<br />

organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />

Vor dem Hintergrund des in Kapitel 2.1 dargelegten Stands der Literatur zum Thema<br />

Post-Merger-Integration und der in Kapitel 2.2 formulierten Überlegungen zur<br />

organisationalen Identität kann nun die Forschungsfrage spezifiziert werden:<br />

Forschungsfrage: Wie beeinflussen strategische <strong>Wandel</strong>initiativen in Post-Merger-<br />

Phasen den <strong>Prozess</strong> der organisationalen Identitätsbildung? Welchen Einfluss hat der<br />

Umgang mit <strong>Prozess</strong>en der Identitätsbildung auf die <strong>Wandel</strong>fähigkeit einer<br />

Organisation?<br />

Zur Bearbeitung der Forschungsfrage sollen kurz die Bestandteile der Forschungsfrage<br />

dargestellt und erläutert werden:<br />

Strategische <strong>Wandel</strong>initiativen:<br />

Unter strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen werden im Folgenden Verännderungsprojekte<br />

verstanden, die von umfassender Bedeutung für die gesamte Organisation sind und das<br />

Potenzial haben, die Handlung und Struktur der Organisation nachhaltig zu verändern<br />

bzw. neu auszurichten.


Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

Post-Merger-Phasen:<br />

Als Post-Merger-Phase soll im Gegensatz zur üblichen kurzfristigen Zeitbetrachtung<br />

(häufig maximal zwei Jahre) in der vorliegenden Studie ein größerer Zeitraum be-<br />

trachtet werden, um vor allem langfristige Auswirkungen auf organisationale <strong>Prozess</strong>e<br />

und Strukturen erfassen zu können. 150<br />

<strong>Prozess</strong>e der organisationalen Identitätsbildung:<br />

Die Untersuchung strategischer <strong>Wandel</strong>initiativen zielt darauf ab zu ermitteln,<br />

inwiefern die in den <strong>Wandel</strong>projekten enthaltenen Veränderungsinterventionen an den<br />

zeitlichen Handlungsstrom der Organisation anschließen, bzw. inwiefern sie dazu<br />

beitragen, die unterschiedlichen Handlungsströme der fusionierten Organisationen<br />

zusammenzuführen. Es geht <strong>als</strong>o vor allem darum zu erforschen, wie sich die<br />

Veränderungen, z.B. ein neues Managementsystem an den bestehenden Strom von<br />

Aktivitäten (flow of conduct) anschließen oder ob es zu „Handlungsbrüchen“ kommt.<br />

Dabei liegt das Augenmerk vor allem auf der Entwicklung neuer, gemeinsamer,<br />

organisationaler Wirklichkeitsordnungen und Interpretationsschemata, die eine neue<br />

gemeinsame Identität darstellen.<br />

<strong>Wandel</strong>fähigkeit einer Organisation<br />

Die <strong>Wandel</strong>fähigkeit einer Organisation unterscheidet sich von der Fähigkeit eine<br />

einzelnes <strong>Wandel</strong>ereignis wie z.B. ein ERP Projekt durchzuführen dadurch, dass es<br />

sich um eine kontextübergreifende (Meta-)Fähigkeit handelt. Sie zeigt sich darin, dass<br />

eine Organisation in der Lage ist, eigene Handlungsmuster zu erkennen, zu<br />

reflektieren und gegebenefalls zu verändern. In der <strong>Wandel</strong>fähigkeit kommt damit das<br />

Vermögen zum Ausdruck, Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine Veränderung der<br />

grundlegenden Muster einer Organisation und eine Kontigenz des Handelns<br />

beinhalten.<br />

Worin liegt nun die theoretische und praktische Relevanz der Forschungsfrage? Was<br />

bringt die Beantwortung dem Theoretiker und dem Praktiker an neuen Erkenntnissen<br />

und Möglichkeiten?<br />

150 Die Daten aus den Interviews und den Dokumentenanalysen umfassen jeweils einen Zeitraum von<br />

mindestens 5 Jahren, während die teilnehmenden Beobachtungen sich auf einen Ausschnitt von zwei Jahren<br />

beschränken.<br />

63


64<br />

Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

2.3.1 Theoretische Relevanz<br />

Nimmt man die derzeitige Literatur und die bisherigen empirischen Untersuchungen<br />

zum Thema Post-Merger-Integration zur Hand, offenbart sich ein vorwiegend<br />

entitatives Organisations- und Identitätsverständnis – Organisation und Identität <strong>als</strong><br />

abgrenzbare dingliche Einheiten – zur Erklärung des Erfolgs und Misserfolgs. 151<br />

Damit ist gemeint, dass man von einer – wenn auch schwierig zu beschreibenden -<br />

eindeutigen und objektiven Identität „der“ Organisation sprechen kann.<br />

In dieser Studie wird eine deutlich andere, nämlich prozesshafte Sicht von dem, was in<br />

der Regel unter der Identität einer Organisation verstanden wird, eingenommen<br />

werden. Man würde deshalb dem Verständnis von GIDDENS folgend besser von einem<br />

anhaltenden <strong>Prozess</strong> der Identitätsbildung anstatt einem fixierten und isolierbaren<br />

Identitätskonstrukt ausgehen. Damit würde auch deutlich, dass die Identität stets <strong>als</strong><br />

Ergebnis eines <strong>Prozess</strong>es zu verstehen ist, und ihrerseits wiederum die Organisation in<br />

ihrer Handlung stark beeinflusst.<br />

Der theoretische Unterschied gegenüber bisherigen Studien dürfte deshalb in der ex-<br />

plizit systemischen und strukturationstheoretischen Herangehensweise an das Thema<br />

Post-Merger-Integration liegen. Dies entspricht der Forderung eines „putting Giddens<br />

into action“, d.h. einer Fokussierung auf soziale Praktiken, <strong>Prozess</strong>e, Regeln und Inter-<br />

pretationsschemata. 152 Diese Sichtweise ist bei den bisherigen Studien weitgehend<br />

vernachlässigt worden, wird aber mittlerweile von vielen Autoren angesichts des<br />

bisherigen Erkenntnisstands gefordert. So weisen HUNT und TRAUTWEIN angesichts<br />

magerer finanzbezogener Beiträge zur Erklärung der Ergebnisse von Fusionsprozessen<br />

auf die möglichen Vorteile einer kontextuellen und entscheidungsbezogenen<br />

Betrachtungsweise hin. 153<br />

Dieser Empfehlung soll in dieser Arbeit gefolgt werden. Durch das Forschungsdesign<br />

einer „embedded comparative case study“ 154 mit zwei Unternehmen mit mehreren<br />

Initiativen wird eine stark kontextbezogene Untersuchung möglich. Damit können die<br />

bei einem komplexen sozialen Phänomen der Unternehmenszusammenschlüsse offen-<br />

151 Vgl. z.B. Bickmann, 1999; Witzer, 1992.<br />

152 Vgl. Ortmann, et al., 1997, Osterloh und Grand, 1997.<br />

153 Vgl. Hunt, 1990; Trautwein, 1990.<br />

154 Vgl. Yin, 1994.


Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

sichtlich bedeutenden historischen Zusammenhänge, ihre path-dependency sowie die<br />

den Entscheidungen zugrunde liegenden Handlungsprozesse berücksichtigt werden. 155<br />

Schließlich unterscheidet sich die Studie durch ihr systemisches Verständnis von Phä-<br />

nomenen des <strong>Wandel</strong>s im Kontext von Fusionen gegenüber vielen wissenschaftlichen<br />

Arbeiten, die stark dem methodologischen Individualismus verpflichtet sind. Dies wird<br />

vor allem anhand häufig diskutierter Themen wie Widerstand, Commitment und<br />

Motivation deutlich. Diese werden im Folgenden <strong>als</strong> organisationale Phänomene und<br />

<strong>als</strong> Ausdruck von <strong>Prozess</strong>en und Dynamiken eines Systems verstanden und nicht <strong>als</strong><br />

individuelle Merkmale einzelner Personen oder organisatorischer Einheiten. Dement-<br />

sprechend fokussiert vor allem die Strukturanalyse im empirischen Teil anhand von<br />

systemischen Prinzipien auf die Interaktionen der Systembeteiligten.<br />

2.3.2 Praktische Relevanz<br />

Die praktische Relevanz der folgenden Untersuchung ergibt sich bereits aus der wenig<br />

schmeichelhaften Bilanz der Integrationsbemühungen im Anschluss an Fusionen. 156 In<br />

Studien zum Ergebnis von Unternehmenszusammenschlüssen werden bis zu 80% der<br />

Transaktionen <strong>als</strong> Misserfolg bezeichnet.<br />

Im Prinzip weiß man noch immer sehr wenig über das, was im Rahmen von Unter-<br />

nehmenszusammenschlüssen stattfindet. Die Frage, wie man mit bestehenden<br />

Strukturen und Kulturen im <strong>Wandel</strong>prozess umgeht und wie sich diese förderlich bzw.<br />

hinderlich auf den <strong>Prozess</strong> der Bildung einer neuen Organisation auswirken, scheint<br />

allerdings entscheidend für den praktischen Erfolg zu sein.<br />

Ein Grund für den geringen Erkenntnisfortschritt scheint darin zu liegen, dass mit<br />

Hilfe der bisherigen methodischen Vorgehensweise und den teilweise sehr speziellen<br />

Fragestellungen der Komplexität des Phänomens nur unzureichend genüge getan<br />

155 Angesichts der Schwierigkeit Entscheidungen zu beobachten, wird üblicherweise von einer mehr oder<br />

weniger klar formulierten Entscheidung rückwirkend auf den <strong>Prozess</strong>, der zu eben dieser Wahl geführt hat,<br />

geschlossen. Allerdings wird diese Vorgehensweise vielfach <strong>als</strong> eine andere Form der ex-post<br />

Rationalisierung gesehen, die einen willkürlichen Realitätsausschnitt bedingt. MINTZBERG/WATERS<br />

argumentieren deshalb dafür, dass organisationale Handlungsströme und nicht Entscheidungen beobachtet<br />

werden sollten (Mintzberg und Waters, 1990). Dieser Forderung soll hinsichtlich der hier untersuchten Post-<br />

Merger-Integrationen explizit Folge geleistet werden, da im Vordergrund die Handlungsanalyse der <strong>Prozess</strong>e<br />

steht.<br />

156 Vgl. u.a. Agrawal, et al., 1992; Jansen, 2000a; Jansen, 2000b.<br />

65


66<br />

Hintergrund und Fokus der Forschungsfrage – Was es zu wissen gilt und was gilt es zu wissen?<br />

worden ist. So ist dringend benötigtes Orientierungs- und Handlungswissen bislang<br />

nicht im analytischen Sieb der Erforschung des Phänomens Post-Merger-Integration<br />

hängen geblieben. Zwar wird der kulturelle Aspekt von Praktikern und Theoretikern<br />

gleichermaßen <strong>als</strong> äußerst relevant eingeschätzt. Nichtsdestoweniger wird mit einer<br />

Art „f<strong>als</strong>cher Richtigkeit“ die Untersuchung kultureller Aspekte ähnlich technisch,<br />

analytisch und ausgehend von einem entitativen Organisationsverständnis aus<br />

betrieben wie finanztheoretisch und ökonomisch orientierte Erklärungsversuche.<br />

Dementsprechend findet man wenige <strong>Prozess</strong>untersuchungen zur Post-Merger-<br />

Integration. Die Autoren beschränken sich im wesentlichen darauf, mit Hilfe analyti-<br />

scher Vorgehensweisen statische Aspekte zu isolieren.<br />

Die praktische Relevanz diese Studie besteht darin, dass anhand der<br />

herauszuarbeitenden Herausforderungen und idealtypische Fragestellungen Praktiker<br />

Orientierungs- und Handlungswissen für vergleichbare <strong>Wandel</strong>prozesse ableiten<br />

können. Anhand der vergleichenden Analyse der <strong>Wandel</strong>prozesse in den beiden hier<br />

untersuchten Unternehmen sollten sie ausreichend Impulse für den Umgang mit<br />

identitätsbildenden Veränderungsinitiativen in der eigenen Organisation erhalten und<br />

solche <strong>Prozess</strong>e <strong>als</strong> ein „window of opportunity“ begreifen.<br />

Es entspricht allerdings nicht der Intention dieser Studie, fertige Rezepte zu präsen-<br />

tieren. Stattdessen soll der Leser in Anlehnung an WITTGENSTEIN aufgefordert sein,<br />

die stets kontextbezogenen <strong>Prozess</strong>e verstehend nachzuvollziehen und beim Lesen zum<br />

(Ko)Autor seiner eigenen Erfahrungen mit Zusammenschlussprozessen zu werden. 157<br />

Der Leser sei damit eingeladen, die Beschreibungen der strategischen <strong>Prozess</strong>e zu<br />

dekontextualisieren (d.h. aus dem hier beschriebenen Unternehmensumfeld sinnvoll<br />

herauszulösen) und in den eigenen Bezugsrahmen zu rekontextualisieren (d.h. kritisch<br />

und unter Berücksichtigung des spezifischen Kontexts in das eigene<br />

Organisationsumfelds zu übertragen).<br />

157 Wittgenstein macht im Vorwort des Tractatus darauf aufmerksam, dass „Dieses Buch wird vielleicht nur der<br />

verstehen, der die Gedanken, die darin ausgedrückt sind – oder doch ähnliche Gedanken – schon selbst<br />

einmal gedacht hat. – Es ist <strong>als</strong>o kein Lehrbuch. – Sein Zweck wäre erreicht, wenn es Einem, der es mit<br />

Verständnis liest, Vergnügen bereitet.“ Vgl. Wittgenstein, 1989.


An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

3 An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen –<br />

wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegungen<br />

Grundüberlegung<br />

Wirklich ist das was wirkt.<br />

Kurt Lewin<br />

Bevor man sich über W i r k -lichkeit in Organisationen <strong>als</strong> das, was in Organisationen<br />

wirksam ist bzw. das, was Organisationen bewegt 158 , den Kopf zerbricht, scheint es<br />

sinnvoll zu sein, sich ein Verständnis zu erarbeiten von dem, was Wirklichkeit ist.<br />

Hierzu seien drei „root distinctions“ – grundsätzliche Weichenstellungen erörtert, und<br />

zwar darüber, was Sprache mit Wirklichkeit zu tun hat, in welchem Verhältnis Wissen<br />

und Wirklichkeit in dieser Arbeit gesehen werden, sowie die methodologischen und<br />

methodischen Aspekte des Wirklichkeitsverständnisses. Die damit jeweils verbun-<br />

denen Annahmen stellen eine Ermöglichung und eine Einschränkung für die weitere<br />

Forschung dar.<br />

Diese Klärung des Vor-Verständnisses und der impliziten Annahmen und Geltungsan-<br />

sprüche wird gleich zu Beginn versucht offenzulegen. Die ausführliche Darstellung<br />

erklärt sich zum einen aus der immer noch wenig verbreiteten konstruktivistischen<br />

wissenschaftstheoretischen Position, die dieser Arbeit zugrunde liegt. Zum anderen<br />

erklärt sie sich aus der Annahme, dass organisationaler <strong>Wandel</strong> stets einhergeht mit<br />

dem Umbau der organisationalen Wirklichkeitsordnung, und untrennbar mit Fragen<br />

des Status der Wirklichkeit und des Wissens verbunden ist.<br />

Im folgenden Kapitel wird deshalb im Anschluss an die Abgrenzung gegenüber einem<br />

sprachtheoretischen „Abbildmodell“ das konstruktivistische Wirklichkeitsverständnis<br />

dargelegt. Dabei werden Unterschiede zum traditionell positivistischen Verständnis<br />

offengelegt und schließlich die methodologischen Implikationen für die hier<br />

verwendete Organisationsforschung gezeigt.<br />

158 Vgl. zum entsprechenden Titel die Arbeit von Baitsch, 1993.<br />

67


68<br />

An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

3.1 Wirklichkeit und Sprache<br />

in der <strong>Wandel</strong>forschung<br />

3. Wissenschaftstheoretische und<br />

methodologische Grundüberlegungen<br />

3.2 Wie wirklich ist die<br />

organisationale Wirklichkeit?<br />

Abbildung 13: Gedankenfluss Kapitel 3<br />

3.1 Horch was kommt von draußen rein? –<br />

Wirklichkeit und Sprache in der <strong>Wandel</strong>forschung<br />

Grundüberlegung<br />

3.3 Methodologische<br />

Grundlagen<br />

Das Thema „organisationaler <strong>Wandel</strong>“ hat aus wissenschaftstheoretischer Sicht eine<br />

besondere Tücke: Es ist dem Forscher nicht direkt zugänglich, sondern nur indirekt<br />

über Beschreibungen. Da „das Ding an sich“ 159 sich dem Zugriff des Forschers<br />

entzieht, beschränkt sich diese Arbeit auf das logisch Primäre: die Sprache über das<br />

Phänomen. 160<br />

Wie ist <strong>als</strong>o das Verhältnis zwischen der Sprache und dem was in der Sprache angeb-<br />

lich „abgebildet“ wird – der Welt? Das Alltagsverständnis von Sprache – die realisti-<br />

sche Semantik – ist geprägt durch ein Abbildverhältnis von Sprache und Wirklichkeit -<br />

einer Korrespondenztheorie der Wahrheit 161 : Das sprachliche Zeichen bezieht sich auf<br />

„etwas da draußen“ und bildet es ab wie auf einem Foto: Ein Mitarbeiter, der sich auf<br />

eine bestimmte Weise verhält, bekommt das Etikett „motivierter Mitarbeiter“. 162<br />

Während das bei einem positiven Beispiel i.d.R. nicht weiter schlimm erscheint, liegt<br />

die Sache z.B. bei „der Lehmschicht der mittleren Führungsebene“ im Zusammenhang<br />

mit <strong>Wandel</strong>initiativen schon etwas anders.<br />

159 Nach Kant ist das Wesen der Dinge nicht erkennbar. Er unterscheidet „das Ding an sich“ und „das Ding für<br />

mich“.<br />

160 Kieser spricht in diesem Zusammenhang von der Verfertigung der Organisation beim Reden. Damit ist<br />

gemeint, dass die Organisation im Dialog der Stakeholder eigentlich erst Wirklichkeit wird Kieser, 1998.<br />

Vgl. dazu auch die Anmerkungen zum Relationalen Konstruktivismus im Kapitel 3.2.2.<br />

161 Vgl. Rüegg-Stürm, 2001 Winograd und Flores, 1989.<br />

162 Marshall Rosenberg macht in seinen Arbeiten auf den Umstand aufmerksam, dass bereits jeder<br />

Deklarativsatz eine potentielle Gewaltanwendung darstellt und Konflikte oft auf diese realistische Semantik<br />

zurückzuführen sind. Rosenberg, 2001.


An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

Eine solche realistische Semantik setzt zeitlose, stabile und kontextunabhängige Ding-<br />

lichkeiten <strong>als</strong> Bezugsobjekte voraus. Mehr noch, sie setzt voraus, dass es sich bei dem<br />

Bereich der Sprache und dem der Wirklichkeit um getrennte Seinsbereiche handelt.<br />

Die Substantive, die unabhängige Dinge in der Wirklichkeit mit ihren statisch<br />

gegebenen Eigenschaften darstellen, sind dabei nach WEICK das wesentliche Hindernis<br />

auf dem Weg, neue Wirklichkeiten zu erfinden, organisatorisches Geschehen<br />

angemessen zu verstehen und sinnvolle Alternativen zu entdecken. Substantive sollten<br />

deshalb seiner Meinung nach eingestampft werden. 163<br />

Eine vom späten WITTGENSTEIN und seinem Begriff des „Sprachspiels“ inspirierte<br />

Semantik bietet eine Ausgangsbasis für eine alternative konstruktivistische<br />

Semantik. 164 In dieser Arbeit wird daher das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit<br />

gemäß einer solchen „konstruktivistischen Semantik“ verstanden 165 .<br />

Diese Grundüberlegungen sind nicht nur wichtig, um den Forschungsprozess und die<br />

damit verbundenen Annahmen transparent zu machen. Vielmehr finden sie sich auch<br />

in der Theorie der Strukturierung und den systemtheoretischen Überlegungen im<br />

folgenden Kapitel wieder, die in dieser Arbeit Ausgangspunkte für das<br />

<strong>Wandel</strong>verständnis von Organisationen bilden.<br />

Was bedeutet <strong>als</strong>o die WITTGENSTEIN´sche Analogie von Sprache und Spiel? 166<br />

Sprechen ist nach WITTGENSTEIN ein regelgeleitetes Handeln. Die Regeln oder die<br />

Logik des jeweiligen Spiels sind ihre Grammatik, welche die Möglichkeiten, aber auch<br />

die Grenzen des Spiels bestimmen. Das Spiel ist jedoch nicht in alle Richtungen be-<br />

grenzt. Es gibt Fälle – wie die in dieser Arbeit untersuchten <strong>Wandel</strong>prozesse in<br />

Organisationen – in denen Regeln neu ausgehandelt werden müssen.<br />

Die Grammatik besteht aus den Regeln des Sprachgebrauchs. Sie stellt die Logik des<br />

jeweiligen Spiels dar und entscheidet darüber, was sinnvoll und nicht sinnvoll ist. In<br />

ihr äußert sich eine Form von Wirklichkeit.<br />

163 Vgl. Weick, 1985a.<br />

164 Vgl. Wittgenstein, 1989a.<br />

165 Die folgenden Anmerkungen zum Begriff des Sprachspiels basieren vor allem auf einen Beitrag von Hans<br />

Rudi Fischer anlässlich des Kongress „Die Wirklichkeit des Konstruktivismus“ Fischer, 1995.<br />

166 Vgl. zu den folgenden Ausführungen Fischer, 1991;Fischer, 1995.<br />

69


70<br />

An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

Der Zusammenhang zwischen Grammatik und Wirklichkeit wird gut nachvollziehbar<br />

in einer Anekdote von FISCHER erläutert.<br />

Als in einer Provinz in Italien das Grundwasser verseucht war und die Bevölkerung<br />

kein Wasser mehr hatte, veränderte ein findiger Bürgermeister einfach den Grenzwert<br />

für die Verseuchung von Wasser. Der Grenzwert stellte sozusagen den grammatischen<br />

Maßstab dar, der an der Wirklichkeit angelegt wurde, um zu testen, ob das Wasser<br />

verseucht war oder nicht. Indem der Bürgermeister den Maßstab veränderte, hatte er<br />

nun sauberes Wasser. Würde man dieser „Manipulation“ begegnen indem man sagt:<br />

“Aber in Wirklichkeit war das Wasser eben doch vergiftet!“, greift man lediglich auf<br />

einen anderen grammatischen Maßstab zurück. Allerdings kann man sich für diesen<br />

grammatischen Maßstab auch nicht auf die davon unabhängige Wirklichkeit beziehen.<br />

Was vergiftet ist und was nicht ist einzig und allein vom Begriff bzw. dessen<br />

Grammatik abhängig. 167<br />

Damit wird der Unterschied zwischen der realistischen und der konstruktivistischen<br />

Semantik deutlich: Es handelt sich nicht um ein unabhängiges Verhältnis, wie es die<br />

übliche Abbildung der Welt in der realistischen Semantik zu suggerieren versucht. In<br />

der Sprache <strong>als</strong> Sprachspiel sind die Regeln <strong>als</strong> Grammatiken untrennbar mit der<br />

Lebensform verknüpft. 168<br />

Wörter funktionieren in diesem Zusammenhang wie die Spielfiguren im Schachspiel.<br />

Ein „Pferd“ ist nicht die Spielfigur auf dem Schachbrett, es ist eine Regel. Es gibt<br />

diese Figur in verschiedenen Variationen, Materialien und Formen. Das Gemeinsame<br />

der Spielfiguren ist die Gebrauchsregel zur Verwendung der Wörter. Sie legen die<br />

Regeln und Regelverstöße fest: So z.B. dass es beim Halma keinen Elfmeter gibt! Ein<br />

Computer kommt sogar ganz ohne Spielfiguren nur mit Regeln aus.<br />

GERGEN verdeutlicht die spiel- bzw. kontextabhängige Funktion der Wörter am<br />

Beispiel „Begrüßungsspiel“:<br />

167 Vgl. Fischer, 1995.<br />

168 Regeln werden im weiteren Verlauf dieser Arbeit <strong>als</strong> Strukturen und Lebensformen <strong>als</strong> <strong>Prozess</strong>e bzw.<br />

Handlungen aufgefasst werden. Die untrennbare Verbindung von Struktur und Handlung, wie sie hier in der<br />

konstruktivistischen Semantik entwickelt wurde, wird für die Argumentation des organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />

später noch wichtig.


An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

There are implicit rules for carrying out greetings: each participant takes a turn, typically<br />

there is an exchange of mutual glances, and there are only a limited number of moves that<br />

one can legitimately make after the other has said „good morning“. You may respond<br />

identically, or ask “how are you”, for example, but you would be considered “out of the<br />

game”, if you respond by screaming or cuffing the other in the head. Further, the words<br />

“good morning” are generally meaningless outside the game of greeting. If we are in the<br />

midst of a heated argument on unemployment, and I suddenly say “good morning”, you<br />

would be puzzled. Have I lost my mind? 169<br />

Ähnliche Beispiele finden sich auch bei GARFINKEL. In seiner Ethnomethodologie<br />

untersucht er das Alltagshandeln nach dem Motto „what really happens“. Er sieht<br />

Alltagshandeln <strong>als</strong> soziale Praktiken. Das Handeln des Einzelnen erfolgt nach be-<br />

stimmten sozialen Regeln, die Handlungsmuster und praktische Rechtfertigungen<br />

liefern. Insbesondere Konversationen, in denen sich die Akteure auf einen Bestand an<br />

kulturell gebundenem, implizitem Hintergrundwissen stützen können, sind Hauptge-<br />

genstand der Analyse. In einer Anzahl von sogenannten „Bruchexperimenten“ konnte<br />

GARFINKEL die Existenz entsprechender „Tiefenregeln“ eindrucksvoll nachweisen.<br />

Dabei wurden durch instruierte Akteure unhinterfragte, soziale Normen absichtlich<br />

gebrochen. Beispiele dafür waren, dass die Akteure<br />

• auf die Frage „Wie geht es Dir?“ nachgefragt wurde, wie dies gemeint sei,<br />

gesundheitlich, sexuell etc.;<br />

• an einer Schlange sich nicht hinten, sondern vorn anstellten (vordrängelten);<br />

• in einem Gespräch den Gesprächspartner immer wörtlich nahmen, d.h. übliche<br />

Verwendungen von Begriffen ignorierten, sich „dumm stellten“. 170<br />

Die Bedeutung von Wörtern entsteht <strong>als</strong>o durch den Gebrauch in der Sprache, hängt<br />

<strong>als</strong>o von der Anwendung von Regeln, von der sozialen Praxis ab. Das bedeutet aber<br />

auch, dass die Bedeutung nicht ein für allemal festzulegen ist, weil der Gebrauch nicht<br />

festgelegt werden kann. Der Gebrauch und damit auch die Bedeutung hängen stets<br />

vom Kontext, der Rolle und dem Zweck im jeweiligen Spiel ab. Damit ist der Sinn<br />

nicht letztgültig eindeutig. Es gibt keinen transkontextuellen Sinn. 171<br />

169 Vgl. Gergen, 1999.<br />

170 Vgl. Garfinkel, 1967.<br />

171 Hieraus ergibt sich eine Paradoxie vergleichbar der Lügnerparadoxie: Wenn die Bedeutung stets vom<br />

Kontext abhängt ist die Aussage „es gibt keinen transkontextuellen Sinn“ f<strong>als</strong>ch. Dies spiegelt gleichzeitig<br />

71


72<br />

An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

Die vorgestellten sprachtheoretischen Überlegungen geben Anlass, die übliche positi-<br />

vistische, generalisierende und kontextunabhängige Organisationsforschung zu hinter-<br />

fragen. Wenn das Aushandeln sozialer Wirklichkeit immer schon Bezug nimmt auf<br />

eine implizite sprachliche Grammatik und ein Vorverständnis der Wirklichkeit, so ist<br />

der Einbezug dieses vorsprachlichen organisationalen Wissens sowohl in der wissen-<br />

schaftlichen Erforschung von Organisationspraxis <strong>als</strong> auch im praktischen<br />

Managementhandeln unabdingbar.<br />

3.2 Wie wirklich ist die (organisationale) Wirklichkeit? -<br />

Epistemologische Grundlagen<br />

Erkenntnistheorie ist immer und unausweichlich persönlich.<br />

G. Bateson<br />

Objektivität ist die Illusion, dass Beobachtungen<br />

ohne einen Beobachter gemacht werden könnten.<br />

Heinz von Förster<br />

Im diesem Kapitel werden die wissenschaftstheoretischen Grundlagen, die in dieser<br />

Arbeit gewählt wurden dargestellt. Die zentrale Unterscheidung an der sich die Wahl<br />

orientiert ist dabei die unterschiedliche Auffassung von Wirklichkeit im<br />

positivistischen und im konstruktivistischen Verständnis (vgl. Kap. 3.2.1). Eine<br />

weitere Differenzierung erfolgt dann noch innerhalb der konstruktivistischen<br />

Strömungen in Kap. 3.2.2.<br />

3.1 Wirklichkeit und Sprache<br />

in der <strong>Wandel</strong>forschung<br />

3. Wissenschaftstheoretische und<br />

methodologische Grundüberlegungen<br />

3.2 Wie wirklich ist die<br />

organisationale Wirklichkeit?<br />

Abbildung 14: Gedankenfluss Kapitel 3<br />

3.3 Methodologische<br />

Grundlagen<br />

Was ist Organisation? Was ist Strategie? Was kann über strategischen <strong>Wandel</strong> in<br />

Organisationen überhaupt sicher gesagt werden? Wissenschaftliche Antworten auf<br />

die Schwierigkeit generalisierende Aussagen in einer konstruktivistisch orientierten Forschung zu machen<br />

wider.


An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

diese Fragen beinhalten Vorannahmen über die Wirklichkeit der beobachteten Phäno-<br />

mene, das Verhältnis des Wissenschaftlers zum beobachteten Phänomen sowie über<br />

die angewandten Methoden. Diese Vorannahmen stellen nach KUHN die Elemente<br />

eines Paradigmas dar - einer für wahr gehaltenen, weltanschaulichen Grundlage einer<br />

wissenschaftlichen Gemeinschaft. Die Glaubenselemente, die den Wissenschaftlern oft<br />

nicht bewusst oder gegenwärtig sind, werden i.d.R. internalisiert und nicht hinterfragt.<br />

Ein historisches Beispiel für die Probleme bei der Ablösung eines Paradigmas stellt die<br />

Auseinadersetzung zwischen dem ptolemäischen und dem kopernikanischen Weltbild<br />

in der Astronomie dar. 172,173<br />

Die häufig implizit getroffenen, wissenschaftstheoretischen Vorannahmen in Bezug<br />

auf das hier behandelte Thema des organisationalen <strong>Wandel</strong>s sollen nunmehr<br />

transparent gemacht werden.<br />

3.2.1 Positivistisches und konstruktivistisches Paradigma<br />

Die Diskussion um Grundlagen, Methoden und Grenzen der wissenschaftlichen Er-<br />

kenntnisse weist vor allem zwei, für diese Arbeit relevante Paradigmen auf: zum einen<br />

den in der Tradition des kritischen Rationalismus stehenden Positivismus und zum<br />

anderen den Konstruktivismus. Zur Veranschaulichung des Unterschieds der beiden<br />

Richtungen soll die Parabel von BRECHT aus „Turandot oder der Kongress der<br />

Weißwäscher“ das Problem der Erkenntnisgewinnung veranschaulichen. Er zitiert mit<br />

deutlich kritischer Haltung gegenüber dem Konstruktivismus: 174<br />

Der Lehrer: Si Fu, nenne uns die Hauptfragen der Philosophie!<br />

Si Fu: Sind die Dinge außer uns, für sich, auch ohne uns, oder sind die Dinge in uns, für<br />

uns, nicht ohne uns?<br />

Der Lehrer: Welche Meinung ist die richtige?<br />

Si Fu: Es ist keine Entscheidung gefallen.<br />

172 Offen bleibt allerdings die Frage der Interpretation, was bzw. ab wann etwas ein Paradigma ist oder nicht: „In<br />

fact, Kuhn himself used the term paradigms in at least 21 ways. As a result of this multiplicity of usages,<br />

there are disputes as to whether cognitive psychology has a paradigm, whether it is a paradigm, whether it<br />

will eventually develop a paradigm, or whether it already has many (and probably too many) paradigms.”<br />

Vgl. Greene, 1992, S 27.<br />

173 Die Ptolemäische Astronomie, welche die Welt im Mittelpunkt des Kosmos sah, ist ein langlebiges Beispiel<br />

eines Paradigmas. Das heliozentrische Weltbild des Kopernikus war erst mit der Zeit in der Lage, bessere<br />

Aussagen zu generieren, und löste allmählich das Ptolemäische Paradigma ab.<br />

174 Vgl. Brecht,<br />

73


An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Der Lehrer: Zu welcher Meinung neigte zuletzt die Mehrheit unserer Philosophen?<br />

Si Fu: Die Dinge sind außer uns, für sich, auch ohne uns.<br />

Der Lehrer: Warum blieb die Frage ungelöst?<br />

74<br />

Grundüberlegung<br />

Si Fu: Der Kongress, der die Entscheidung bringen sollte, fand, wie seit 200 Jahren, im<br />

Kloster Mi Sang statt, welches am Ufer des Gelben Flusses liegt. Die Frage hieß:<br />

Ist der Gelbe Fluss wirklich, oder existiert er nur in den Köpfen? Während des<br />

Kongresses aber gab es eine Schneeschmelze im Gebirge, und der Gelbe Fluss<br />

stieg über seine Ufer und schwemmte das Kloster Mi Sang mit allen Kongressteilnehmern<br />

weg. So ist der Beweis, dass die Dinge außer uns, für sich, auch ohne uns<br />

sind, nicht erbracht worden.<br />

Offensichtlich scheint durch die Überschwemmung des Klosters durch den gelben<br />

Fluss völlig klar zu sein, dass es ihn gibt und somit der gelbe Fluss außerhalb der<br />

Teilnehmer, für sich, auch ohne die Teilnehmer existiert. Dennoch wäre eine solche<br />

Interpretation voreilig, da der Beweis, dass der gelbe Fluss außerhalb der Teilnehmer,<br />

für sich, auch ohne die Teilnehmer ist, von den Teilnehmern nicht erbracht wurde. Der<br />

Erkennende ist stets Teil der Erkenntnis! Die Erbringung eines Beweises hängt on der<br />

erkennenden Person ab!


Status der<br />

Wirklichkeit<br />

An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

Positivistisches Paradigma Konstruktivistisches Paradigma<br />

• Wirklichkeit ist objektiv gegeben<br />

und besteht unabhängig<br />

vom Subjekt.<br />

Erkenntnis • Erkenntnis besteht in der objektiven<br />

Abbildung der Wirklichkeit.<br />

Beziehung<br />

zwischen Wissenschaftler<br />

und Erkenntnisobjekt<br />

Rolle der<br />

Sprache<br />

Qualitätskriterien<br />

Ort der Bedeutung<br />

bzw.<br />

seiner<br />

Entstehung<br />

Ziel der<br />

Forschung<br />

• Der Wissenschaftler ist ein unabhängiger<br />

Beobachter. Es<br />

besteht eine Kluft zwischen<br />

Erkenntnissubjekt und -objekt<br />

• Die Sprache repräsentiert die<br />

Welt in einer<br />

Abbildbeziehung.<br />

(Korrespondenztheorie der<br />

Wahrheit)<br />

• Objektivität, Reliabilität,<br />

Validität (Güte der<br />

Abbildung)<br />

• „Meaning in the data“. Die<br />

Bedeutung wird aus den Daten<br />

abgeleitet.<br />

• „Erklärung in Form von Beziehungen<br />

zwischen Ursachen<br />

und Wirkungen. (Stimmen im<br />

Sinne des Wahr oder F<strong>als</strong>ch)<br />

• Wirklichkeit ist stets abhängig<br />

vom beobachtenden Subjekt.<br />

• Erkenntnis <strong>als</strong> subjektive und<br />

kontext- wie zeitbezogene Erfahrung<br />

von Sinnzusammenhängen.<br />

Sie bezieht sich auf<br />

die Art und Weise, wie wir<br />

unsere Erfahrungswelt<br />

organisieren.<br />

• Der Wissenschaftler ist Teil<br />

des Erkenntnisprozesses und<br />

nimmt daher Einfluss auf den<br />

Forschungsprozess.<br />

• Die Sprache <strong>als</strong> Spiel.<br />

Sprechen ist<br />

kontextabhängiges<br />

regelgeleitetes Handeln.<br />

• Plausibilität, Kohärenz, Nachvollziehbarkeit<br />

• Bedeutung entsteht im Auge<br />

des Betrachters oder im<br />

Diskurs.<br />

• Verstehen im Sinne eines<br />

Sensemaking. (Passen im<br />

Sinne der Brauchbarkeit,<br />

Lebensfähigkeit)<br />

Tabelle 3: Vergleich des positivistischen und des konstruktivistischen Paradigmas der Wissenschaft 175<br />

Was kann ich wissen? Dieser Frage ist aus wissenschaftstheoretischer Sicht unmittel-<br />

bar mit der Frage verbunden ob das, was wir aufgrund unserer Sinneseindrücke <strong>als</strong><br />

„Wirklichkeit“ bezeichnen, in Wahrheit etwas Gefundenes oder von uns Erfundenes<br />

ist. Im ersten Fall ist es möglich, allgemeingültige Aussagen über eine Welt an sich zu<br />

machen, im zweiten Fall ist es eine eigene Konstruktion, woraus sich Konsequenzen<br />

175 Vgl. Zu den Ausführungen in der Tabelle und dem nachfolgenden Text, Kieser, 1999,Rüegg-Stürm, 2001,<br />

Gergen, 1999.<br />

75


76<br />

An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

u.a. für den Geltungsbereich der wissenschaftlichen Aussagen und die Qualitäts-<br />

kriterien wissenschaftlichen Arbeitens ergeben.<br />

Die beiden wissenschaftstheoretischen Richtungen, die in Tabelle 3 kurz dargestellt<br />

sind, geben hierauf unterschiedliche Antworten.<br />

Auch wenn es verschiedene Spielarten des Konstruktivismus gibt, 176 gibt es doch<br />

bedeutende Gemeinsamkeiten. Aus Sicht des Konstruktivismus ist es nicht möglich,<br />

die Wirklichkeit <strong>als</strong> das zu erkennen, was sie ist. WATZLAWICK/BEAVIN/JACKSON<br />

vergleichen das Gewinnen von Erkenntnissen aus Sinneseindrücken mit einem<br />

Kapitän, der bei dunkler und stürmischer Nacht eine Meerenge durchfahren muss, von<br />

der es keine Seekarten und keine Navigationshilfen gibt und von der er noch nicht<br />

einmal weiß, ob es für sein Schiff überhaupt eine befahrbare Route gibt. Wenn ihm<br />

nun die Passage gelingt, kann man dann sagen, der Kapitän kenne nun die wahre<br />

Beschaffenheit dieses Seegebiets? Oder muss er nicht davon ausgehen, dass es auch<br />

andere - vielleicht bessere Durchfahrtsmöglichkeiten gibt? 177<br />

3.2.2 „Ich denke, <strong>als</strong>o bin ich“ oder „Wir kommunizieren, <strong>als</strong>o sind wir“ -<br />

kognitiver 178 und relationaler Konstruktivismus<br />

Aus den wissenschaftstheoretischen Grundüberlegungen ergeben sich für das<br />

Forschungsprojekt verschiedene mögliche Ansätze. Damit verbunden ist die Notwen-<br />

digkeit einer Entscheidung für einen wissenschaftstheoretischen Zugang, nach Mass-<br />

gabe des konkreten Forschungskontexts. 179<br />

Insbesondere zwei root distinctions 180 müssen beachtet werden: Einerseits stellt sich<br />

die Frage bzgl. des Status der Wirklichkeit und zum Frage nach der Möglichkeit des<br />

Wissens über die Wirklichkeit. Hier bieten das positivistische oder das<br />

konstruktivistische Paradigma unterschiedliche Antworten an.<br />

176 Vgl. Zu den verschiedenen Formen des Konstruktivismus Prawat, 1996, Gergen, 1985b; Knorr-Cetina, 1989<br />

177 Vgl. Watzlawick, 1981<br />

178 Der hier verwendete Begriff des kognitiven Konstruktivismus geht auf Korr-Cetina zurück. Vgl. Knorr-<br />

Cetina, 1989.<br />

179 Damit ist keine Entscheidung im Sinne einer Wahr- oder F<strong>als</strong>ch Unterscheidung getroffen. Vgl. Weick,<br />

1985a.<br />

180 Vgl. von Krogh, et al., 1994.


An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

Im Falle einer Entscheidung für ein konstruktivistisches Weltverständnis sollte darüber<br />

hinaus eine Positionierung innerhalb der verschiedenen Spielarten des<br />

Konstruktivismus erfolgen.<br />

Warum <strong>als</strong>o ein positivistischer oder ein konstruktivistischer Ansatz zur Untersuchung<br />

des <strong>Wandel</strong>s in Organisationen? Und welche genaueren Differenzierungen sind im<br />

Rahmen eines konstruktivistischen Weltverständnisses für die folgende Untersuchung<br />

eventuell relevant?<br />

Bei der Analyse des sozialen <strong>Wandel</strong>s wird in dieser Studie in Anlehnung an SASSURE<br />

eine synchrone und eine diachrone Perspektive unterschieden. 181 Für die vorliegende<br />

Untersuchung wird dazu die Strukturdimension (synchrone Perspektive) <strong>als</strong> auch die<br />

<strong>Prozess</strong>- und Handlungsdimension (diachrone Perspektive) erfasst. 182 Die Struktur-<br />

dimension stellt dabei eine handlungsleitende und –ermöglichende Komponente dar,<br />

die <strong>Prozess</strong>dimension transportiert gewissermaßen die Strukturen über die Zeit 183 . Die<br />

wissenschaftstheoretische Brille sollte es deshalb ermöglichen, sowohl handlungs-<br />

leitende Interpretationsschemata und Strukturen <strong>als</strong> auch Handlungen und <strong>Prozess</strong>e zu<br />

erfassen.<br />

Deshalb werden insbesondere zwei Spielarten des Konstruktivismus – der kognitive<br />

und der relationale – weitere Beachtung finden. Beide Ansätze beschäftigen sich mit<br />

der Frage, wie sich personale oder soziale Systeme die ihnen passende Wirklichkeit<br />

schaffen, und bieten damit eine erkenntnistheoretische Basis für die hier interessie-<br />

renden Fragen. 184<br />

181 Vgl. Saussure, 1967.<br />

182 Die Arbeit folgt damit auch dem Grundansatz des Forschungsprojekts „Learning Dynamics“, welches die<br />

Bedeutung von Strukturen auf die <strong>Wandel</strong>- und Erneuerungsfähigkeit von Organisationen untersucht. In<br />

dieser Arbeit gliedern sich die Analyseebenen neben der inhaltlichen Dimension in die Untersuchung der<br />

Strukturen des inneren und äußeren Kontexts sowie die Untersuchung der Handlungen der <strong>Wandel</strong>prozesse.<br />

183 Vgl. hierzu auch [Giddens, 1979 #20].<br />

184 Vgl. Frindte, 1995.<br />

77


78<br />

An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Kognitionstheoretischer<br />

Konstruktivismus<br />

Ursprünge • Neurobiologische und –<br />

physiologische Erkenntnisse,<br />

Theorie der Autopoiese<br />

lebender Systeme, genetische<br />

Epistemologie<br />

Prominente<br />

Vertreter<br />

Fokus der<br />

Betrachtung<br />

„Ort der Konstruktionsleistung“<br />

Möglichkeit unabhängiger<br />

Aussagen eines<br />

Beobachters?<br />

Was ist das<br />

„Psychische“ 185<br />

Interpersonale<br />

Verbindung der<br />

• Humberto R. Maturana,<br />

Francisco J. Varela, Jean<br />

Piaget, Heinz von Förster,<br />

Ernst von Glasersfeld, Peter<br />

M. Heijl, Gerhard Roth,<br />

Siegfried J. Schmidt, Paul<br />

Watzlawick, Gebhard Rusch<br />

Grundüberlegung<br />

Relationaler Konstruktivismus<br />

• Kognitionstheoretischer<br />

Konstruktivismus, Sozialpsychologie,Sozialkonstruktivismus<br />

(Berger/Luckmann)<br />

• Kenneth J. Gergen, Hans P.<br />

Dachler, Dian-Marie Hosking,<br />

Ian E. Morley<br />

• Individuum • Relationen zwischen<br />

Individuen<br />

• Ort der Konstruktion ist das<br />

individuelle Gehirn <strong>als</strong> selbstreferentielles<br />

System, das<br />

keinen Zugang zur Außenwelt<br />

hat.<br />

• Es ist nicht möglich, <strong>als</strong><br />

externer Beobachter „wahre“<br />

Aussagen über stabile Eigenschaften<br />

des Beobachteten<br />

abzuleiten. Alles Wissen ist<br />

Ergebnis individueller und<br />

beobachterbezogener<br />

Konstruktionen.<br />

• Das Psychische ist ein<br />

affektiv-kognitiver Raum, der<br />

von der Außenwelt abgeschlossen<br />

ist, mit sich selbst<br />

interagiert und Bedeutung<br />

generiert.<br />

• Ort der Konstruktion ist der<br />

Diskurs zwischen den<br />

Menschen. Die Welt wird verstanden<br />

durch die Begriffe, die<br />

im sozialen Austausch mit<br />

anderen konstruiert werden.<br />

• Die Welt, die wir uns<br />

erschließen können, ist die<br />

Welt, die wir im sozialen<br />

<strong>Prozess</strong> selbst schaffen und<br />

bezeichnen. Sie kann auch nur<br />

durch die von uns<br />

geschaffenen Begriffe und<br />

Konstruktionen wahrgenommen<br />

werden.<br />

• Das Psychische ist ein Zeichen<br />

für jene <strong>Prozess</strong>e, die zwar<br />

beim Einzelnen beobachtet<br />

werden können, aber letztlich<br />

Attribute sozial-historischer<br />

Verständigungs- und<br />

Kommunikationsprozesse<br />

sind.<br />

• Das „Soziale“ wird <strong>als</strong> ein • Das „Soziale“ entsteht durch<br />

185 Diese Definitionen des Psychischen folgen den radikalen Versionen wie sie von Frindte zur Kontrastierung<br />

der beiden Ansätze genutzt werden und dienen an dieser Stelle in der überzeichnenden Form zur<br />

Verdeutlichung der Unterschiede ebenda.


Verbindung der<br />

Wirklichkeiten<br />

– Was ist das<br />

„Soziale“?<br />

Gütekriterien<br />

der erzeugten<br />

Wirklichkeit<br />

Erklärung von<br />

Handeln,<br />

Fühlen und<br />

Denken<br />

Kritik an den<br />

Aussagen<br />

An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

konsensueller Bereich oder<br />

Bereich der Übereinstimmung<br />

individueller Konstruktionen<br />

gesehen.<br />

• Soziale Beziehungen<br />

entstehen durch wechselseitige<br />

Interaktionen und<br />

Kommunikationen und führen<br />

zu übersteinstimmenden<br />

kognitiven Zuständen der<br />

Interaktionspartner<br />

(Strukturelle Kopplung).<br />

• Passfähigkeit, Nützlichkeit der<br />

individuellen Konstruktionen.<br />

• Was <strong>als</strong> individuelle Charakteristiken<br />

wie Motivation,<br />

Widerstand oder Commitment<br />

gelabelt wird, ist das Ergebnis<br />

individueller Konstruktionsprozesse.<br />

• Frage nach dem Status des<br />

Wissens wird auf die Ebene<br />

des individuellen Bewusstseins<br />

verfrachtet, <strong>Prozess</strong>e<br />

außerhalb der individualkognitiven<br />

Ebene bleiben<br />

unberücksichtigt<br />

Grundüberlegung<br />

und ist Austausch mittels<br />

Sprache im Diskurs. Insbesondere<br />

in Erzählungen<br />

werden soziale Beziehungen<br />

aufgebaut, fortgeführt und<br />

eine eigene Identität<br />

hergestellt. 186<br />

• Die Diskurse sind miteinander<br />

und mit dem Kontext der Beteiligten<br />

verbunden.<br />

• Passfähigkeit, Nützlichkeit der<br />

Diskurse für weitere Diskurse.<br />

• Was <strong>als</strong> individuelle Charakteristiken<br />

wie Motivation, Widerstand<br />

oder Commitment<br />

gelabelt wird ist, das Ergebnis<br />

sozialer (Austausch)-<strong>Prozess</strong>e<br />

• Negierung autonomer individueller<br />

Erkenntnismöglichkeit,<br />

„linguistischer Hausarrest“. 187<br />

Tabelle 4: Vergleich des kognitionstheoretischen und relationaler Konstruktivismus<br />

Während der kognitive Konstruktivismus vor allem die Bedeutung handlungsleitender,<br />

kognitiver interner Strukturen betont, spielen im relatioanalen Konstruktivismus vor<br />

allem Sprache, Diskurse und die laufenden Beziehungs- und Kommunikationsprozesse<br />

eine bedeutende Rolle. Darüber hinaus bieten beide Ansätze auch eine Fülle von<br />

Bezugspunkten zu den in Kapitel 4 vorgestellten systemtheoretischen und<br />

strukturationstheoretischen Basistheorien.<br />

Die Herausarbeitung der beiden Formen des Konstruktivismus geschieht in Form einer<br />

Gegenüberstellung und steht unter dem Vorbehalt, dass es „den“ kognitiven<br />

186 Vgl. Gergen und Gergen, 1988.<br />

187 Vgl. Caputo, 1983.<br />

79


80<br />

An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

Konstruktivismus und „den“ relationalen Konstruktivismus nicht gibt. 188 Im Rahmen<br />

dieser Arbeit dient der Vergleich dazu, die gemeinsamen Grundannahmen, aber auch<br />

relevante Unterschiede und den jeweiligen Beitrag zur Klärung des Phänomens der<br />

organisationalen <strong>Wandel</strong>fähigkeit zu erläutern. Gemeinsamkeiten bestehen <strong>als</strong>o darin,<br />

dass Menschen keinen direkten Zugang zur externen Wirklichkeit haben und die Welt<br />

deshalb selbständig konstruieren. Wie die Konstruktionsprozesse erfolgen, wird<br />

kognitiv-konstruktivistisch durch den Beobachter, den Akt der Unterscheidung bzw.<br />

durch seine individuelle Hirnleistung erklärt. Aus der Perspektive des relationalen<br />

Konstruktivismus werden die Konstruktionen über die Welt im sozialen Diskurs<br />

geschaffen. Menschen finden <strong>als</strong>o in den individuellen Konstruktionen (kognitiver<br />

Konstruktivismus) oder in der Kommunikation mit anderen (relationaler<br />

Konstruktivismus) die Gründe für ihr Handeln.<br />

3.2.3 Zwischenfazit und Ausblick<br />

Die verschiedenen konstruktivistischen Wirklichkeits- und Wissensvorstellungen<br />

betonen einerseits die Bedeutung kontingenter Strukturmomente, andererseits aber<br />

auch den Einfluss rekursiver Beziehungs- und Kommunikationsprozesse. Die kon-<br />

struktivistische „Verfertigung von Wissen und Wirklichkeit“ 189 zielt vor allem auf die<br />

Konstitution einer sinnhaften Wirklichkeitsordnung. Dies ist insbesondere der Fall in<br />

den im Folgenden untersuchten Situationen von <strong>Wandel</strong> in Systemen. Bereits bei der<br />

Frage nach dem Status der Wirklichkeit und des Wissens ist dabei das Verhältnis von<br />

Struktur und Handlung von zentraler Bedeutung. Die bisherigen wissenschafts-<br />

theoretischen Antworten der verschiedenen Schulen weisen dabei durch die Betonung<br />

einer der beiden Seiten im Sinne eines “Entweder–Oder“ einen (Schein?)-Gegensatz<br />

auf. Spätestens auf der Ebene der Grundlagen- und Anwendungstheorien in Kapitel 4<br />

und 5 wird dieser Struktur-Handlungs-Gegensatz erneut thematisiert und durch die<br />

Theorie der Strukturierung neu verbunden werden.<br />

Im nächsten Kapitel werden die methodologischen und die methodischen Folgen des<br />

in diesem Kapitel vorgestellten wissenschaftstheoretischen Paradigmas bzw. der ge-<br />

wählten konstruktivistischen Weltsicht vorgestellt.<br />

188 Und das gilt nicht nur für Konstruktivisten.<br />

189 Vgl. Kieser, 1998.


An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

Unter einer Methode wird hier ein Instrument oder eine Technik verstanden, die im<br />

Rahmen einer Untersuchung verwendet wird. Eine Methodologie stellt dazu ein<br />

„intricate set of ontological and epistemological assumptions that a researcher brings<br />

to his or her work” dar. 190<br />

3.3 Methodologische Grundlagen<br />

Ein Bild hielt uns gefangen. Und heraus konnten wir nicht, denn es lag<br />

in unserer Sprache und sie schien es uns nur unerbittlich zu wiederholen.<br />

Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 115<br />

Was folgt aus den wissenschafts- und sprachtheoretischen Grundlagen? Ein<br />

forschungsmethodisches Vorgehen, dass sich auf ein konstruktivistisches<br />

Wirklichkeits- und Wissensverständnis beruft und Organisationen <strong>als</strong> sozial<br />

konstruierte Phänomene versteht, sollte diese Prämissen innerhalb der Methodologie<br />

berücksichtigen. Die gewählten „root distinctions“ sollten sich im Forschungsansatz<br />

wiederfinden.<br />

Nachfolgend werden deshalb die Datenerhebung, die Forschungsstrategie, das<br />

kontextualistische Forschungsleitbild sowie die Gütekriterien des hier zugrunde-<br />

gelegten qualitativen Forschungsverständnisses offengelegt. Das Kapitel bietet damit<br />

den forschungstheoretischen Rahmen für die empirische Analyse in Kapitel 6 und 7.<br />

3.1 Wirklichkeit und Sprache<br />

in der <strong>Wandel</strong>forschung<br />

3. Wissenschaftstheoretische und<br />

methodologische Grundüberlegungen<br />

3.2 Wie wirklich ist die<br />

organisationale Wirklichkeit?<br />

Abbildung 15: Gedankenfluss Kapitel 3<br />

3.3 Methodologische<br />

Grundlagen<br />

Für diese Studie heißt das, dass die jeweiligen Konstruktionen der Wirklichkeit, die<br />

Beobachtungen und sozialen Diskurse der Betroffenen beschrieben, verstanden und<br />

interpretiert werden müssen. Wie durch die gewählte Methodologie diese<br />

Anforderungen berücksichtigt werden, wird auf den nächsten Seiten dargestellt.<br />

Tabelle 5 gibt dazu einen Überblick.<br />

190 Vgl. Prasad, 1997.<br />

81


82<br />

Verhältnis<br />

Forscher –<br />

Beforschter<br />

Erfassen der<br />

organisationalen<br />

Wirklichkeit und<br />

Lebensform<br />

Zustandekommen<br />

von<br />

Phänomenen<br />

Verhältnis<br />

System-Kontext<br />

Methoden der<br />

Datensammlung<br />

Darstellung der<br />

Ergebnisse<br />

An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Anforderungen an eine<br />

konstruktivistische Forschung<br />

• Einflüsse vom Forscher auf die<br />

„Beforschten“ können nicht<br />

verhindert und sollten daher<br />

offen-gelegt, das Verhältnis<br />

transparent und Einflüsse<br />

reflektiert werden<br />

• Die Subjektive Wirklichkeitsordnungen<br />

der beteiligten<br />

Organisationsmitglieder sollten<br />

erfasst werden<br />

• Gegenwärtige und historische<br />

Phänomene sollten in die Untersuchung<br />

einbezogen werden<br />

• Wechselwirkungen zwischen<br />

der Organisation und ihrem<br />

Kontext sollten beachtet<br />

werden<br />

• Kontextbezug der Ergebnisse<br />

sollte berücksichtigt werden<br />

• Schluss von Beobachtungen<br />

auf Interpretation sollte für den<br />

Leser nachvollziehbar sein<br />

Tabelle 5: Methodologische Anforderungen und das Vorgehen<br />

3.3.1 Ethnographische Datenerhebung<br />

Grundüberlegung<br />

Vorgehen im Rahmen dieser<br />

Arbeit<br />

• Zusammenarbeit mit Partnerorganisation<br />

beschreiben;<br />

Arbeit und Reflexion im<br />

Zweierteam<br />

• Ethnographische Vorgehensweise<br />

bei der Datenerhebung<br />

• Darstellung in Form von Case<br />

Studies unter Berücksichtigung<br />

der historischen Dimension<br />

• Kontextualistische Forschung<br />

(Inhalt, <strong>Prozess</strong>e, Kontext) 191<br />

• Teilnehmende Beobachtungen<br />

Qualitative Interviews<br />

Dokumentanalysen<br />

• Darstellung in Form von Firstund<br />

Second-Order Findings, die<br />

den Einzelfall im jeweiligen<br />

Kontext darstellen und das<br />

Zustandekommen der Interpretationen<br />

verdeutlichen 192<br />

The temptation to form premature theories upon<br />

insufficient data is the bane of our profession.<br />

Sherlock Holmes<br />

Nach GIDDENS ist zum Beschreiben und Verstehen individueller und sozialer Hand-<br />

lungen und Wirklichkeitsordnungen eine Vertrautheit mit den Lebensformen nötig, die<br />

sich in diesen Handlungen ausdrücken. 193<br />

191 Vgl. [Pettigrew, 1979 #163][Pettigrew, 1992 #260][Pettigrew, 1997 #400].<br />

192 Vgl. zur Darstellung der Forschungsergebnisse in Form von First und Second-Order Findings Kapitel 3.3.1.<br />

193 Vgl. Giddens, 1997.


An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

Kaum ein anderes methodisches Vorgehen trägt dem Aspekt des Kennenlernens der<br />

Lebensform einer Organisation deshalb so Rechnung wie die ethnographische Heran-<br />

gehensweise. Man taucht gewissermaßen in die Kultur der Organisation ein. VAN<br />

MAANEN bezeichnet es <strong>als</strong> die ethnographische Frage, schlechthin nicht nur zu ver-<br />

stehen wie es ist, ein Mitglied der Organisation zu beobachten, sondern ein Mitglied<br />

der Organisation zu sein. Das Ziel des ethnographischen Ansatzes ist es, das sozial<br />

erworbene und geteilte Wissen oder die Kultur einer Organisation zu nutzen, um die<br />

Muster sozialer Handlungen in Organisationen zu verstehen. 194<br />

CONKLIN definiert das ethnographische Vorgehen <strong>als</strong> „a long period of intimate study<br />

and residence in a well-defined community employing a wide range of observational<br />

techniques including prolonged face-to-face contact with members of local group’s<br />

activities, and a greater emphasis on intensive work with informants than on the use of<br />

documentary or survey data.” 195<br />

Um ethnographische Daten zu bearbeiten schlägt VAN MAANEN die Unterscheidung in<br />

First-Order und Second-Order Findings vor. Dabei versteht er unter First-Order<br />

Findings die Vorstellungen oder Konstruktionen, die die Mitglieder der Organisation<br />

von den Vorgängen in der Organisation haben. 196 Die Second-Order Findings dagegen<br />

geben die Vorstellungen und Muster der Forscher über das, was in der Organisation<br />

vorgeht, wieder. First-Order Findings können, grob gesagt, auch <strong>als</strong> die „Fakten“ und<br />

Second-Order Findings <strong>als</strong> die „Theorien der Forscher“ angesehen werden. VAN<br />

MAANEN weist aber ausdrücklich darauf hin, dass die Fakten nicht allein für sich<br />

sprechen, sondern nur unter Hinzunahme anderer First-Order Informationen wie<br />

situationsbedingten, historischen, biografischen und anderen Interpretationen der<br />

Organisationsmitglieder und dem Kontext insgesamt Bedeutung erlangen.<br />

Die Second-Order Findings stellen „Interpretationen der Interpretationen“ dar. Sie sind<br />

gleichzeitig auch Hintergrunderwartungen oder Strukturen, die in das Verständnis der<br />

Mitglieder eingebettet sind und häufig unausgesprochen von allen Mitgliedern einer<br />

194 Vgl. Van Maanen, 1983.<br />

195 Vgl. Conklin, 1968.<br />

196 Darüber hinaus unterscheidet er auf dieser Ebene „operational data“, welche die laufenden spontanen<br />

Aktivitäten und Kommuikationen beinhalten und „presentational data“, womit Daten gemeint sind, die stark<br />

ideologisch, normativ und abstrakt sind und einem idealisierten Image sowie symbolischen Projektionen<br />

entsprechen. Auf diese Unterscheidung wird im weiteren Verlauf allerdings verzichtet.<br />

83


84<br />

An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

Kultur geteilt werden. Die Second-Order Findings stellen häufig Aussagen über<br />

Beziehungsgeflechte, soziale oder Erwartungsstrukturen, soziale Skripts, Regeln oder<br />

Sprachspiele dar. Sie sind aber <strong>als</strong> solche stets Interpretationen bzw. Rekonstruktionen<br />

der Forscher und dürfen – wenngleich diese versuchen, latente Strukturen zu<br />

beschreiben - nicht <strong>als</strong> ontologische Entitäten verstanden werden. 197<br />

Von besonderer Bedeutung für die Interpretation sind Informationen denen sich die<br />

Mitglieder der Organisation nicht bewusst sind. 198 Diese Vorannahmen oder taken-for-<br />

granted assumptions sind handlungsleitende Überzeugungen, Muster oder Strukturen<br />

der Organisation und werden vielfach erst dann offensichtlich, wenn es zu Brüchen 199<br />

im „normalen“ Handlungsablauf kommt. 200<br />

Was bedeutet der ethnographische Ansatz nun für das konkrete Vorgehen des<br />

Forschers und welche Methoden werden dabei verwendet? Ethnographische Methoden<br />

zeichnen sich nach ATKINSON/HAMMERSLEY durch folgende Merkmale aus:<br />

• Die Absicht, die Natur eines sozialen Phänomens zu erfassen und nicht mehr<br />

oder weniger unbegrenzt generalisierungsfähige Hypothesen dazu zu testen,<br />

• die Tendenz, hauptsächlich mit unstrukturierten Daten zu arbeiten und nicht<br />

von vornherein feste Kategorien zu verwenden,<br />

• die Untersuchung weniger detaillierter Fälle,<br />

• die Analyse der Daten, die explizit die Interpretation der Bedeutung mensch-<br />

licher Handlungen beinhaltet und vor allem verbale Beschreibungen und Erklä-<br />

197 Vgl. Van Maanen, 1983. Giddens erörtert in diesem Zusammenhang die Problematik der doppelten<br />

Hermeneutik. Es genügt demnach nicht, die Lebenswelt von Untersuchten in deren Sinn einfühlend nachzu-<br />

zeichnen und zu interpretieren, sondern deren Sinnkonstruktionen werden im innerwissenschaftlichen<br />

<strong>Prozess</strong> in verschiedene Deutungsrahmen oder Paradigmen übersetzt. llein aufgrund dieser unterschiedlichen<br />

wissenschaftlichen Deutungen verbietet sich eine ontologisch anmutende Objektivierierung Giddens, 1997.<br />

198 Van Maanen verweist ausserdem auf die Bedeutung und den Umgang mit F<strong>als</strong>chaussagen und dem<br />

Ignorieren von Informationen durch die „Beforschten“. Vgl. dazu Van Maanen, 1983.<br />

199 Vgl. zu Bruchstellentheorie Greiner Greiner, 1982 und auch in einem ähnlichen Sinne die Bruchexperimente<br />

von Garfinkel, 1967.<br />

200 Vgl. zum Begriff und der Bedeutung der taken-for-granted assumptions auch Barrett, et al., 1995;Hosking,<br />

2000;Isaacs, 1993. Was von den genannten Autoren und auch hier von Van Maanen mit taken for granted<br />

Annahmen bezeichnet wird, entspricht in der Theorie der Strukturierung den nicht erkannten<br />

Handlungsvoraussetzungen und findet <strong>als</strong> solches Eingang in die spätere empirische Analyse.


An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

rungen verwendet und kaum quantitative oder statistische Analysen ge-<br />

braucht. 201<br />

Diese Merkmale können <strong>als</strong> Anforderungen an die zu verwendenden Forschungs-<br />

methoden dienen. Es empfehlen sich damit bei der ethnographischen Vorgehensweise<br />

in Organisationen 202 vor allem teilnehmende Beobachtungen, halbstrukturierte Einzel-<br />

interviews, Dokumentenanalysen und gegebenenfalls Feedbacks <strong>als</strong> Methoden der<br />

Datenerhebung. 203<br />

Teilnehmende Beobachtungen dienen in diesem Forschungsprojekt vor allem dazu, die<br />

Interaktionen und Handlungen rund um das Thema <strong>Wandel</strong> und Erneuerung in den<br />

Organisationen zu beobachten. Die Forscher im Forschungsprojekt Learning<br />

Dynamics hatten <strong>als</strong> teilnehmende Beobachter Zugang zu Sitzungen und Workshops,<br />

die im Zusammenhang mit den ausgewählten Themen stehen. Die Rolle der Forscher<br />

beschränkte sich hierbei auf die eines passiven Teilnehmers, der versucht, Handlungen<br />

zu beobachten und Strukturen und Wirklichkeitskonstruktionen der beteiligten Organi-<br />

sationsmitglieder zu erfassen. Über die Teilnahme an offiziellen Sitzungen hinaus er-<br />

gaben sich im Rahmen eines solchen Forschungsprojekts auch weitergehende<br />

informelle Forschungskontakte (z.B. in Pausengesprächen oder bei zufälligen Treffen<br />

auf dem Firmengelände), die i.d.R. ebenfalls protokolliert wurden. In beiden Fällen –<br />

den formellen wie den informellen Forschungskontakten – ist eine reine Beobachter-<br />

position im Sinne einer „objektiven Beobachterposition“ natürlich niem<strong>als</strong> möglich.<br />

Bei den teilnehmenden Beobachtungen im Forschungsprojekt Learning Dynamics<br />

waren deshalb i.d.R. zwei Forscher anwesend. Es wurden von jeder Sitzung getrennte<br />

Notizen und anschließend ein gemeinsames Protokoll angefertigt. Grundsätzlich<br />

wurde alles notiert, was interessant und auffällig war. Insbesondere wurden u.a.<br />

Beobachtungen, die mit dem Thema <strong>Wandel</strong> und Erneuerung zusammenhängen, Inter-<br />

aktionen der Teilnehmer von Sitzungen und Kontextinformationen notiert. Die Beo-<br />

bachtungen sind damit <strong>als</strong> nicht-standardisierte, offene, passiv teilnehmende Beo-<br />

bachtungen zu bewerten. 204<br />

201 Vgl. Atkinson und Hammersley, 1994. Kursiv durch TS.<br />

202 Rüegg-Stürm spricht hier von organisationaler Ethnographie Rüegg-Stürm, 2002.<br />

203 Vgl auch Pettigrew, 1990;Van de Ven, 1992.<br />

204 Vgl. Lamnek, 1989.<br />

85


86<br />

An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

Halbstrukturierte Einzelinterviews: Die Interviews wurden jeweils von zwei Forschern<br />

durchgeführt. Die Forscher orientierten sich dabei an einem Interviewleitfaden, der für<br />

jede Interviewperson jeweils vorab individuell angefertigt wurde. Die Interviews<br />

wurden auf Tonband aufgenommen und anschließend inhaltlich zusammengefasst oder<br />

auch teilweise transkribiert. Ganz selten wurde ein Mitschnitt auf Tonband abgelehnt.<br />

Diese wurden dann aber inhaltlich protokolliert. Die Interviewsprache war deutsch<br />

oder englisch.<br />

Im Anschluss an ein Interview fand wie bei den Beobachtungen eine Nachbereitung<br />

der Gespräche statt. Damit konnten u.a. Verbesserungshinweise sowohl methodischer<br />

<strong>als</strong> auch inhaltlicher Art für weitere Interviews gewonnen werden.<br />

Diese Vorgehensweise empfahl sich insbesondere vor dem Hintergrund der sich all-<br />

mählich konkretisierenden Forschungsschwerpunkte der beteiligten Forscher. Themen,<br />

die angesprochen wurden, waren in der Regel: die Biografie des Interviewpartners, die<br />

<strong>Wandel</strong>geschichte der Initiative, zu dem er befragt wurde, Erwartungen und Ergeb-<br />

nisse der Initiative. Hierbei wurden sowohl die Ebene konkreter Handlungen und<br />

Ereignisse <strong>als</strong> auch die Interpretationen bzw. Bewertungen dieser Ereignisse erfragt.<br />

Dies geschah zum einen, um plastische Beispiele zu finden, auf der anderen Seite aber<br />

auch, um die Bedeutung und die Interpretationen der Ereignisse wie beispielsweise<br />

von Fusionen aus Sicht der Beteiligten zu erfassen.<br />

Methodisch ist anzumerken, dass mit der halbstrukturierten Vorgehensweise, den vor-<br />

wiegend offenen Fragen und dem Nachfragen bei Verständnislücken oder –schwierig-<br />

keiten, die Forscher viele relevante Informationen erhielten und die Interviews von den<br />

Interviewpartnern <strong>als</strong> angenehm und konstruktiv empfunden wurden. 205<br />

Die Auswahl der Interviewpartner erfolgte entlang der in Kapitel 3.3.4 skizziereten<br />

Kriterien und im Sinne des von PETTIGREW beschriebenen Prinzips des „planned<br />

opportunism“. 206 Bis auf eine Person konnten alle angefragten Interviewpartner für<br />

ein einstündiges- bis eineinhalbstündiges Interview gewonnen werden. Bei einigen<br />

ausgewählten Schlüsselpersonen wurden auch mehrere Interviews geführt.<br />

Grundsätzlich folgte die Auswahl dem Anliegen, alle Subsysteme und die wichtigsten<br />

205 Vgl. zu den verwendeten Interviewleitfäden und den angefertigten Protokollen auch die Beispiele bzw.<br />

Mustervorlagen im Anhang.<br />

206 Vgl. Pettigrew, 1990.


An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

Personen aus dem Kontext der <strong>Wandel</strong>initiative zu befragen. Dabei wurde versucht,<br />

alle Hierarchieebenen einzubeziehen und verschiedene Phasen der Veränderungs-<br />

initiativen zu berücksichtigen, verschiedene Segmente und Funktionen im Unter-<br />

nehmen, verschiedene Funktionen in der <strong>Wandel</strong>initiative und auch Nicht-Unter-<br />

nehmensmitglieder, die für den <strong>Wandel</strong> von Bedeutung waren, z.B. Berater oder<br />

ehemalige Mitarbeiter, zu befragen.<br />

Dokumentenanalysen: Im Rahmen der Dokumentenanalysen wurden die firmen-<br />

internen Publikationen wie z.B. „Building up“, „Local-Global“ und „Aare Info“ sowie<br />

strategische Dokumente, Projekthandbücher, Programm Chartas, offizielle Protokolle,<br />

Finanzinformationen, Trainingskonzepte oder auch Präsentationen und<br />

Dokumentationen zu unterschiedlichen Themen analysiert. Darüber hinaus wurden<br />

auch verschiedene firmenexterne Publikationen ausgewertet.<br />

Feedbackveranstaltungen: Bei den Feedbackveranstaltungen wurden Ansprech-<br />

partnern aus den Initiativen Beobachtungen und Interpretationen der Forscher vorge-<br />

stellt. Im Mittelpunkt stand dabei die Untersuchung und Diskussion der handlungs-<br />

leitenden und -ermöglichenden Wirkungen der bestehenden Strukturen und Kulturen<br />

sowie ihre Bedeutung für den organisationalen <strong>Wandel</strong>.<br />

Durch die Feedbackveranstaltungen könnte der Anschein erweckt werden, dass mit<br />

dieser Vorgehensweise innerhalb des Forschungsprojekts über das ethnographische<br />

Verstehen hinaus bereits Aspekte der Aktionsforschung Eingang in das Forschungs-<br />

vorgehen gefunden haben. 207 Dieser Argumentation wird in der vorliegenden Arbeit<br />

aus zwei Gründen nicht gefolgt. Erstens ist eine Rückmeldung der Beobachtungen und<br />

Interpretationen mit der ethnographischen Methode durchaus vereinbar. 208 Zweitens<br />

werden die Rückmeldungen im wesentlichen genutzt, um bisherige Beobachtungen<br />

anhand der Reaktionen der Organisationsmitglieder zu überprüfen bzw. zu<br />

plausibilisieren. Im Rahmen eines aktionsforschungsähnlichen Vorgehens dienen<br />

solche Interventionen dagegen viel stärker zur gezielten Veränderung der<br />

Organisation. Dies entspricht allerdings nicht den Vorstellungen über die<br />

207 Vgl. hierzu auch die Argumentation bei Fischer, 2002.<br />

208 Persönliche Mitteilung in einem Gespräch mit John van Maanen im November 2000.<br />

87


88<br />

An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

Zusammenarbeit mit den Organisationen des Forschungsprojekts Learning<br />

Dynamics. 209<br />

3.3.2 Comparative Case Studies <strong>als</strong> Forschungsstrategie<br />

Es bedarf zweier Etwasse,<br />

um einen Unterschied hervorzubringen.<br />

Gregory Bateson<br />

Nach YIN zeichnen sich verschiedene Forschungsstrategien durch bestimmte Vor- und<br />

Nachteile aus. Die Wahl der geeigneten Forschungsstrategie hängt ab von<br />

• der Art der Forschungsfrage,<br />

• dem Ausmaß an Kontrolle über die Ereignisse im Feld sowie<br />

• der Beachtung von gegenwärtigen und gleichzeitig historischen Phänomenen.<br />

Case Studies definiert YIN <strong>als</strong> eine Forschungsstrategie, „that investigates a<br />

contemporary phenomenon within its real-life context, especially when the boundaries<br />

between phenomenon and context are not clearly evident ” . 210<br />

Diese drei Kriterien sind im Falle der vorliegenden Studie über den strategischen<br />

<strong>Wandel</strong> und die <strong>Wandel</strong>fähigkeit von Organisationen sämtlich erfüllt: Erstens wird<br />

untersucht, wie strategische und strukturelle Faktoren den <strong>Wandel</strong> und die Wandlungs-<br />

fähigkeit fusionierter Organisationen beeinflussen. Zweitens ist dabei der Einfluss i.S.<br />

einer Veränderung des Handlungsstroms der Akteure durch die ethnografische<br />

Forschung <strong>als</strong> eher gering zu beurteilen. Schließlich sind die historischen Ereignisse<br />

(insbesondere jene im Zusammenhang mit der Fusion) für die Untersuchung der<br />

<strong>Wandel</strong>fähigkeit expliziter Gegenstand der Untersuchung.<br />

Case Studies werden insbesondere dann verwendet, wenn die Forschungsfrage das<br />

„Wie“ oder „Warum“ behandelt, wenn der Forscher wenig Kontrolle über die Ereig-<br />

nisse im Feld hat und gegenwärtige Phänomene im Kontext historischer Ereignisse<br />

untersucht werden.<br />

Die Case-Study-Methodik zielt <strong>als</strong>o darauf ab, ganzheitlich und sinnvoll die Charakte-<br />

ristiken von komplexen sozialen Phänomenen zu untersuchen und zu verstehen.<br />

209 Vgl. Learning Dynamics, 1999.<br />

210 Vgl. Yin, 1994.


An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

YIN beschreibt vier Typen von Designs für Case Studies. Er unterscheidet single und<br />

multiple-case studies und innerhalb dieser zwei Typen Studien mit einheitlichen und<br />

multiplen units of analysis (Untersuchungseinheiten). Hieraus ergeben sich<br />

entsprechend vier Typen von Designs (vgl. Tabelle 6).<br />

Holistic (single<br />

unit of analysis)<br />

Embedded<br />

(multiple units<br />

of analysis)<br />

Single-case design Multiple-case design<br />

z.B. GROSS: Durch die Studie wurde<br />

anhand eines Falls entgegen der vorherrschenden<br />

Meinung gezeigt, dass<br />

nicht nur Innovationsbarrieren,<br />

sondern auch Implementierungsprozesse<br />

Grund für mangelnde<br />

Innovation sein können. 211<br />

z.B. LIPSET et al: In dieser Studie<br />

wurde mit Hilfe unterschiedlicher<br />

Untersuchungseinheiten – vom<br />

einzelnen Mitarbeiter bis zum<br />

gesamten System – und<br />

unterschiedlichen Methoden soziale<br />

<strong>Prozess</strong>e in einer Gewerkschaft<br />

untersucht. 213<br />

Tabelle 6: Typen von Designs für Case Studies<br />

(in Anlehnung an Yin, 1994)<br />

z.B. HOOK: Die quantitative Studie<br />

zeigte anhand der Flugzeugindustrie<br />

und der Mikroelektonikindustrie in<br />

den USA, dass das amerikanische<br />

Verteidigungsministerium die<br />

Entwicklung dieser Industrien<br />

ähnlich stark beeinflusste und<br />

förderte wie dies in Japan durch das<br />

übermächtige Wirtschaftsministerium<br />

geschah. 212<br />

z.B: Die vorliegende Studie kann <strong>als</strong><br />

eine embedded multiple Case study<br />

bezeichnet werden. Hier werden<br />

zwei Organisationen bzgl. der<br />

Bedeutung <strong>identitätsbildender</strong><br />

<strong>Prozess</strong>e auf mehreren Ebenen und<br />

mehreren Initiativen mit Hilfe<br />

unterschiedlicher Methoden<br />

untersucht.<br />

Ein Single-Case Study Design empfiehlt sich demnach insbesondere, wenn es um<br />

einen kritischen Fall geht, es sich um einen extremen oder einzigartigen Fall handelt<br />

oder wenn der Forscher die Möglichkeit hat, eine Situation zu untersuchen, die bislang<br />

der Forschung noch nicht zugänglich war.<br />

Holistic versus embedded Single Case Study Design: Diese beiden Designs werden<br />

unterschieden je nachdem, ob eine Untersuchung sich beispielsweise auf das gesamte<br />

Unternehmen bezieht (holistic) oder einzelne Initiativen oder <strong>Prozess</strong>e <strong>als</strong> logische<br />

Einheiten einer Unternehmung berücksichtigt (embedded). Die Gefahr für das einge-<br />

211 Vgl. Gross, 1971.<br />

212 Vgl. Hooks, 1990.<br />

213 Vgl. Lipset, et al., 1956.<br />

89


90<br />

An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

bettete Design besteht vor allem darin, dass der Fokus nur auf den Untereinheiten<br />

bleibt, die übergreifende Einheit aber unberücksichtigt lässt.<br />

Multiple Case Study Designs folgen nicht einer statistischen Stichprobenlogik, sondern<br />

einer Logik der Wiederholung. Die Annahme hinter der Wiederholungslogik ist, wie<br />

YIN für den medizinischen Bereich anschaulich beschreibt, dass bei einer beschränkten<br />

Zahl von Fällen durch die gleichen Resultate Evidenz erzeugt wird, dass z.B. das<br />

gleiche Syndrom vorliegt. Bildlich gesprochen ist der Forscher wie ein Detektiv, der<br />

nach der Tat zum Tatort kommt und aufgrund der Indizien schließen muss, ob es sich<br />

evtl. um einen Wiederholungstäter handelt. Um solche Muster festzustellen, müssen<br />

im Falle des Forschers die Cases sorgfältig ausgewählt werden, um entweder ähnliche<br />

Resultate zu erzeugen oder bei gegensätzlichen Resultaten diese auf nachvollziehbare<br />

Gründe zurückführen zu können. 214<br />

Holistische versus embedded Multiple Case Studies: Auch für die Multiple Case<br />

Studies muss unterschieden werden, ob die Cases <strong>als</strong> Ganzes oder aus Teilprojekten<br />

bestehend untersucht werden.<br />

Die vorliegende Forschungsarbeit verwendet ein embedded Multiple Case Study<br />

Design. Es werden zwei Organisationen untersucht. Innerhalb dieser Organisationen<br />

werden jeweils Teilprojekte auf ihren Beitrag zum organisationalen <strong>Wandel</strong> bzw. ihrer<br />

<strong>Wandel</strong>fähigkeit im Anschluss an eine Fusion untersucht. 215<br />

Damit können einerseits mittels dichter Beschreibungen 216 Beobachtungen und<br />

Interpretationen zu nachvollziehbaren Fällen zusammengefasst werden. Andererseits<br />

wird durch die Vorauswahl der Forschungspartner ein kontextsensibler Vergleich er-<br />

möglicht, ohne eine vorschnelle Generalisierung zu riskieren. Gerade durch die nach-<br />

vollziehbare Beschreibung mehrerer Initiativen innerhalb ihres unternehmerischen<br />

214 Vgl. Yin, 1994. Damit soll sich explizit abgrenzt werden von einem blossen Akkumulierung von Fällen um<br />

quasi durch statistisch ausreichende Fallzahlen eine rein statistische Signifikanz zu erreichen. In diesem<br />

Sinne argumentieren etwa Kostecki und Krzysztof Kostecki und Krzysztof, 1983.<br />

215 Die im Rahmen dieser Studie verwendete Art von Case Studies sollte nicht mit der insbesondere von<br />

Eisenhardt vorgeschlagenen Methodik der Case Study verwechselt werden, die davon ausgeht dass die<br />

Bedeutung der Daten in den Daten liegt („the meaning is in the data“) (Eisenhardt, 1989). Sie vertritt damit<br />

aus wissenschaftstheoretischer Perspektive eine positivistische Epistemologie. Bedeutung existiert damit<br />

kontextunabhängig, kann vom Forscher unabhängig erfasst werden. Die Kontextabhängigkeit der<br />

Interpretation wird damit aus dem Forschungsprozess ausgeklammert.<br />

216 Vgl. Geertz, C. (1983).


An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

Kontexts wird ein lernender Umgang mit unterschiedlichen Kontexten und die<br />

vorsichtige Übersetzung in den eigenen Arbeitskontext des Lesers ermöglicht. Dieser<br />

Lernprozess wird im vorliegenden Fall noch dadurch erleichtert, dass der Schritt der<br />

vorsichtigen Re-kontextualisierung von Ergebnissen 217 durch den Vergleich von zwei<br />

Unternehmen bereits vollzogen wird.<br />

Das hier gewählte methodologische Verständnis unterscheidet sich explizit von dem<br />

bei EISENHARDT 218 und YIN 219 vorgestellten positivistisch-generalisierenden und<br />

komplexitätsreduzierenden Case-Study-Verständnis. 220 Bei den genannten Autoren<br />

geht es darum, durch ein methodisch strenges Vorgehen Komplexität zu reduzieren,<br />

um so zu generalisierbaren, wissenschaftlichen Aussagen zu kommen. In der<br />

vorliegenden Studie steht dagegen die Entwicklung einer Theorie mittels verständ-<br />

licher und illustrativer Beschreibungen der relevanten Kontexte im Vordergrund.<br />

Diese sollten vom Leser nachvollzogen werden und ein Sensemaking- und Plausibili-<br />

tätserlebnis stimulieren und ermöglichen.<br />

3.3.3 Kontextualistische und historische Forschung <strong>als</strong> Leitbild<br />

The world is full of obvious things,<br />

which nobody by any chance will ever see.<br />

Sherlock Holmes<br />

In Kapitel 3.3.1 sind aus den wissenschaftstheoretischen Grundlagen die methodologi-<br />

schen und methodischen Implikationen für das ethnographische Forschungsvorgehen<br />

und insbesondere die Datenerhebung entwickelt worden. In Kapitel 3.3.2 ist die<br />

spätere Darstellung der Ergebnisse in Form vergleichender Case Studies erläutert<br />

worden. Nun stellt sich die Frage, was der allgemeine Gegenstand der Betrachtung –<br />

strategischer <strong>Wandel</strong> – an methodologischen Implikationen mit sich bringt bzw.<br />

217 Vgl. Rüegg-Stürm, 2002.<br />

218 Vgl. Eisenhardt, 1989.<br />

219 Vgl. Yin, 1994.<br />

220 Vgl. wenn in dieser Arbeit der Einteilung nach Yin folgend eine embedded multiple Case Study verwendet<br />

wird, so bezieht sich das ausschließlich auf die Darstellung der Forschungsergebnisse aber nicht auf das<br />

methodologische Verständnis von Yin.<br />

91


92<br />

An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

welchen Leitvorstellungen bzgl. des strategischen <strong>Wandel</strong>s aus methodologischer<br />

Sicht relevant sind. 221 Diese Frage wird im folgenden Kapitel beantwortet werden.<br />

Aus der Fülle methodologischer und theoretischer Fragen rund um die sozialwissen-<br />

schaftliche und ökonomische Untersuchung strategischen <strong>Wandel</strong>s lassen sich nach<br />

ZAN, ZAMBON und PETTIGREW insbesondere drei interdisziplinäre Herausforderungen<br />

herausfiltern. 222<br />

• Bislang ist die Zeitdimension bzw. Historizität im Rahmen der Untersuchung<br />

von <strong>Wandel</strong>prozessen zu wenig beachtet worden.<br />

• Die Bedeutung der Subjektivität handelnder Subjekte und ihres Wissens in<br />

individuellen und organisationalen <strong>Wandel</strong>prozessen verdient stärkere Beach-<br />

tung.<br />

• Die Interdependenz zwischen den Elementen und den Phänomenen im <strong>Prozess</strong><br />

des <strong>Wandel</strong>s darf nicht mehr länger verkürzt im Sinne kausaler Beziehungen<br />

wahrgenommen werden.<br />

Schon früh mahnt PETTIGREW deshalb an, den weitgehend ahistorischen, akontex-<br />

tuellen und aprozessualen Charakter der <strong>Wandel</strong>forschung zu beseitigen. Er wendet<br />

sich damit gegen Forschungstendenzen, die sich beispielsweise ausschließlich auf den<br />

Zusammenhang zwischen den Merkmalen einer Führungsperson und einer <strong>Wandel</strong>-<br />

initiative beschränken. 223 In seiner Forschungsmethodologie für die Untersuchung<br />

strategischen <strong>Wandel</strong>s in Organisationen - kontextuelle Forschung - werden deshalb<br />

explizit die drei Dimensionen Inhalt, Kontext und <strong>Prozess</strong> zum Verständnis<br />

strategischer Veränderungsprozesse berücksichtigt.<br />

Grob gesprochen kann man unter dem „Was“ des <strong>Wandel</strong>s dessen Inhalt verstehen,<br />

das „Warum“ leitet sich aus der Analyse des Kontexts ab und das „Wie“ ist<br />

221 Die folgende Betrachtung hebt dabei ausschließlich die methodologischen Konsequenzen ab. Die Einbettung<br />

des Themas strategischer <strong>Wandel</strong> und insbesondere der hier untersuchten Post-Merger-Integration erfolgt in<br />

Kapitel 5.<br />

222 Diese Bereiche sind nach Meinung der Autoren zwar unterscheidbar, aber nicht genau voneinander zu<br />

trennen. Vgl. Zan, et al., 1993.<br />

223 Zu diesem Ergebnis kommt Pettigrew in einer breit angelegten Untersuchung der <strong>Wandel</strong>forschung. Vgl.<br />

Pettigrew, 1985.


An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

Gegenstand der Analyse des <strong>Wandel</strong>prozesses. 224 Zum Inhalt gehören die unter-<br />

suchten <strong>Wandel</strong>orte (z.B. Technologie, Mitarbeiter, Management, Unternehmens-<br />

kultur). Der <strong>Prozess</strong> umfasst die Aktionen, Reaktionen und Interaktionen, auf dem<br />

Weg vom gegenwärtigen zum angestrebten Zustand. Der Kontext beinhaltet den<br />

inneren und den äußeren Kontext im Sinne einer System-Umweltunterscheidung. Der<br />

innere Kontext enthält die organisationalen Strukturen und Kulturen, während der<br />

äußere Kontext die sozialen, wirtschaftlichen und wettbewerblichen Rahmenbe-<br />

dingungen der Organisation einbezieht. 225<br />

<strong>Prozess</strong> / Wie?<br />

(Interventionen [= Unterschiede,<br />

die einen Unterschied machen]<br />

im richtigen Zeitpunkt)<br />

Externer<br />

Kontext<br />

Inhalt / Was?<br />

(Thema, Fokus und<br />

Motiv des <strong>Wandel</strong>s)<br />

Interner<br />

Kontext<br />

Kontext / Warum?<br />

(gewachsene Werte, Fähigkeiten,<br />

Errungenschaften, Erfolge,<br />

Beziehungen, Sprachregelungen,<br />

Situation/Hintergrundereignisse)<br />

Abbildung 16: Drei Dimensionen kontextualistischer <strong>Wandel</strong>forschung<br />

(Quelle: Rüegg-Stürm, 2001, S. 274)<br />

Was bedeutet nun eine kontextualistische Untersuchung organisationalen <strong>Wandel</strong>s?<br />

Welche Implikationen ergeben sich daraus für das Forschungsanliegen? Vier Aspekte<br />

können dabei herausgehoben werden:<br />

1. Die Einbettung strategischer Veränderungen innerhalb eines größeren Kontexts<br />

erfordert die Berücksichtigung sowohl horizontal <strong>als</strong> auch vertikal verbundener<br />

Ebenen und deren Wechselwirkungen. Die Mehrebenenanalyse bezieht sowohl hori-<br />

zontale <strong>als</strong> auch vertikale Ebenen und deren Wechselwirkungen untereinander mit ein.<br />

224 Vgl. Pettigrew, 1987.<br />

225 Vgl. ebenda.<br />

93


94<br />

An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

Die horizontale Dimension berücksichtigt die Sequenz von Ereignissen und Hand-<br />

lungen sowie die zeitlichen Verbindungen zwischen Ereignissen, Entscheidungen und<br />

Handlungen in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie ist ein wesentlicher<br />

Bestandteil des Forschungsvorgehens und insbesondere bei dem hier untersuchten<br />

Thema Post-Merger-Integration ein unverzichtbares Element der Analyse.<br />

Die vertikale Dimension berücksichtigt Wechselwirkungen zwischen höheren und<br />

tieferen Ebenen, beispielsweise Veränderungen der Markt- und Wettbewerbssituation<br />

und ihre Bedeutung für eine einzelne Firma. 226 Es können aber auch Veränderungen in<br />

Konzernstrukturen erfasst werden, um beispielsweise deren Bedeutung für vertikal<br />

untergeordnete <strong>Wandel</strong>projekte zu ermitteln, wie es auch im Falle dieses Forschungs-<br />

projekts bei SIEMENS BUILDING TECHNOLOGIES und auch der MIGROS AARe der Fall<br />

war. Aus diesem Grund werden verschiedene vertikale Ebenen der Organisation in die<br />

Untersuchung einbezogen. 227<br />

2. „History is not just an event in the past but is alive in the present and may shape the<br />

future. However, history is to be understood not just as events and chronology; there<br />

may be deeper pathways if the analyst searches for structures and underlying<br />

logics“. 228 Die Bedeutung der Zeit für organisationalen <strong>Wandel</strong> ist inzwischen zu<br />

einem eigenen Forschungsbereich geworden und die Untersuchung von <strong>Wandel</strong> erfor-<br />

dert die Berücksichtigung von Elementen wie „Erinnerungsspuren“ (GIDDENS), der<br />

„archeology of knowledge“ (FOUCAULT), „path-dependencies“. 229 Gute Theorie muss<br />

nach PETTIGREW die Geschichte und die Zukunft eines Systems in die wissen-<br />

schaftliche Betrachtung einbeziehen und mit der Gegenwart verbinden. 230 .Die Heraus-<br />

226 Vgl. Pettigrew 1990, S. 269.<br />

227 Neben diesen von Pettigrew explizit genannten Vorteilen der vertikalen Analyse bietet dieses Vorgehen auch<br />

die Möglichkeit, wiederkehrende Handlungsmuster, wechselseitige Interdependenzen sowie hierarchisch<br />

widersprüchliche Botschaften zu identifizieren. Vgl. dazu im empirischen Teil den Begriff und die<br />

Ausführungen zum „Double bind“.<br />

228 Vgl. Pettigrew, 1990.<br />

229 Foucault´s Archäologie des Wissens besteht im Zurückverfolgen und Aufdecken der Bedingungen, welche<br />

einen bestimmten Diskurs oder ein Wissen ermöglichten. Es geht ihm dabei vor allem darum, dass wir, wenn<br />

es uns möglich ist, die Ursprünge unseres gegenwärtigen Selbstverständnisses zu verstehen, die Möglichkeit<br />

zur Veränderung haben. Diese Überlegung deckt sich mit dem, was Giddens mit den nicht beachteten<br />

Handlungsvoraussetzungen beschreibt und im Rahmen des Tetralemmas in der vierten Position mit der Frage<br />

behandelt wird „Was in der Vergangenheit lässt das gegenwärtige Phänomen sinnvoll erscheinen/ vor<br />

welchem Hintergrund macht diese Frage Sinn?“.<br />

230 Vgl. Pettigrew, 1979.


An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

arbeitung von zeitlichen Verbindungen muss insbesondere im Rahmen der Unter-<br />

suchung von Post-Merger-Integratiosprojekten Teil der Analyse sein. Grund: Es<br />

handelt sich im sich Wesentlichen um die Auseinandersetzung mit vergangenen<br />

Regeln, Routinen und dem Erlernen von neuen Strukturen und Handlungen.<br />

3. Das Verhältnis zwischen Kontext und Handlungsprozessen beschreibt PETTIGREW<br />

wie folgt: “Context is not just a stimulus environment but a nested arrangement of<br />

structures and processes where the subjective interpretations of actors perceiving,<br />

comprehending, learning and remembering help shape process”. 231 Strukturen bzw.<br />

Kontexte stellen damit nicht nur Grenzen für die Handlung dar, sondern ermöglichen<br />

auch erst Handlungen bzw. <strong>Prozess</strong>e. 232 Das Dualitätsverhältnis von Handlung bzw.<br />

<strong>Prozess</strong> und Struktur und der ermöglichende Charakter, den Integrationsprojekte im<br />

Sinne von <strong>Wandel</strong>arenen in Post-Merger-Phasen dabei spielen können, sind nun der<br />

Fokus der empirischen Betrachtung.<br />

4. Die ganzheitliche Sichtweise organisationalen <strong>Wandel</strong>s macht eine nicht-lineare und<br />

nicht-simplifizierende Vorstellung von Kausalität erforderlich. „The task is to identify<br />

a variety and mixture of causes of change and to explore through time some of the<br />

conditions and contexts under which these mixtures occur“. 233 <strong>Wandel</strong> ist demnach<br />

nur durch multiple Gründe zu erklären und kann eher in Rückkopplungsschleifen <strong>als</strong> in<br />

direkten, kausalen und linearen Ursache-Wirkungs-Beziehungen erklärt werden.<br />

An dieser Stelle deckt sich das <strong>Prozess</strong>verständnis der kontextuellen Forschung mit<br />

dem von VAN DER VEN, 234 der darunter „a sequence of events or activities that desc-<br />

ribes how things change over time“ versteht. 235 Diese verzeitlichte, stark mit dem<br />

Kontext verschränkte, und non-kausale Vorstellung eines <strong>Prozess</strong>es erlaubt es dem<br />

231 Vgl. Pettigrew, 1990.<br />

232 Pettigrew bezieht sich hierbei explizit auf das Dualitätsverständnis von Handlung und Struktur bei Gidddens,<br />

wie es auch in dieser Arbeit im Rahmen der Strukturationstheorie <strong>als</strong> theoretische Grundlage verwendet wird.<br />

233 Vgl. Pettigrew, 1990.<br />

234 Pettigrew folgt ausdrücklich dem <strong>Prozess</strong>verständnis von van de Ven, vgl. und Pettigrew, 1992.<br />

235 Van de Ven unterscheidet drei unterschiedliche <strong>Prozess</strong>verständnisse: „In particular, three meanings of<br />

process are often used: (1) a logic that explains a causal relationship between independent and dependent<br />

variables; (2) a category of concepts or variables that refer to actions of individu<strong>als</strong> or organizations; and (3)<br />

a sequence of events that describe how things change over time.“ Van de Ven, 1993. Insbesondere die dritte<br />

Definition wird von Pettigrew weiter verwendet.<br />

95


96<br />

An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

Forscher die drei in der kontextualistischen Forschung geforderten Dimensionen des<br />

Inhalts, <strong>Prozess</strong>es und Kontexts simultan im strategischen <strong>Wandel</strong> zu berücksichtigten.<br />

Die vorliegende Arbeit wird sich deshalb am Leitbild der kontextualistischen Strate-<br />

gieprozessforschung orientieren und sich in der Untersuchung der Post-Merger-Integ-<br />

ration methodisch an den drei vorgestellten Dimensionen orientieren.<br />

3.3.4 Gütekriterien der Forschung<br />

Ein exaktes Bild von Unschärfe muss unscharf sein.<br />

Matthias Varga von Kibéd<br />

Wie schon bei der Methodologie ergeben sich auch bei der Frage der Gütekriterien der<br />

Forschung Konsequenzen aus dem gewählten konstruktivistischen Wirklichkeits- und<br />

Wissensverständnis. Weicht man ab vom Bild der Wissenschaft <strong>als</strong> Abbild der Wirk-<br />

lichkeit, so genügen auch die üblichen Gütekriterien der Objektivität, Reliabilität und<br />

Validität nicht mehr, da sie ausschließlich die intersubjektiv gleiche, genaue und<br />

wirklichkeitsgetreue Abbildung messen. 236<br />

Damit stellt sich die Frage, was gute Forschung im Rahmen eines konstruktivistischen<br />

Paradigmas ausmacht. Während die klassische Forschung im Rahmen eines positivis-<br />

tischen Paradigmas eindeutige Gütekriterien ihrer Ergebnisse formuliert, bietet sich im<br />

Bereich konstruktivistisch orientierter Forschung ein uneinheitlicheres Bild. MAYRING<br />

und LAMNEK geben beispielsweise jeweils einen unterschiedlichen Merkm<strong>als</strong>kanon<br />

zur Bewertung an. 237 Grundsätzlich scheinen allerdings drei Wesenszüge des<br />

konstruktivistischen Paradigmas für die veränderten Vorstellungen über gute<br />

Forschung verantwortlich zu sein:<br />

• die Perspektivität und Kontextabhängigkeit des (wissenschaftlichen) Wissens<br />

und der Wirklichkeitsvorstellung.<br />

• der Umstand, dass wissenschaftliche Ergebnisse <strong>als</strong> Konstruktionen und<br />

Deutungsangebote nicht <strong>als</strong> Abbildung einer objektiv vorhandenen Wirklich-<br />

keit verstanden werden.<br />

236 Vgl. Weick, 1989.<br />

237 Vgl. Mayring, 1993, Lamnek, 1988.


An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

• das Beschreiben und Verstehen und nicht so sehr das Erklären im Vordergrund<br />

der Forschungsaktivitäten stehen .<br />

Tabelle 7 stellt die unterschiedlichen Forschungsverständnisse anhand von drei Anfor-<br />

derungsdimensionen gegenüber. Diese beziehen sich auf das Verhältnis des Forschers<br />

zu den Beforschten, dem Forschungsprozess und den Forschungsergebnissen. 238<br />

Anforderungsdimensionen<br />

Wie ist das Verhältnis<br />

zwischen<br />

Forscher und Beforschten?<br />

Wie gut werden<br />

die Ergebnisse<br />

ermittelt?<br />

(„Forschungsprozess“<br />

bzw.<br />

„Verfahrensgüte“)<br />

Wie genau wird<br />

das erfasst, was<br />

man erfassen<br />

möchte?<br />

(„Forschungsergebnis“)<br />

Theorie des<br />

Messens 239<br />

Ziel der wissenschaftlichen<br />

Aussage<br />

Gütekriterien in einem<br />

positivistischen Paradigma<br />

• Objektivität – Grad der<br />

Standardisierung<br />

• Unabhängigkeit des<br />

Ergebnisses vom<br />

Forscher<br />

• Reliabilität – Ausmaß der<br />

Messpräzision unter Absehung<br />

vom Inhalt<br />

• Genaues Erfassen des<br />

stabilen, wahren Wertes<br />

bei möglichst geringem<br />

Fehlerwert<br />

• Validität – Ausmaß der<br />

Merkm<strong>als</strong>sättigung bzw. der<br />

Erfassung des Inhalts<br />

• Übereinstimmung zwischen<br />

gemessenem und<br />

empirischem Wert<br />

• Wiederholung <strong>als</strong> Schlüssel<br />

zur Genauigkeit<br />

• Generalisierbarkeit der<br />

Ergebnisse / Erklären<br />

Gütekriterien in einem konstruktivistischen<br />

Paradigma<br />

• Subjektivität – Subjekt-<br />

Subjekt Verhältnis zwischen<br />

Forscher und Beforschten<br />

• Nähe zum Gegenstand<br />

• Transparenz<br />

• Verfahrensdokumentation<br />

• Regelgeleitetheit<br />

• Triangulation<br />

• Plausibilität<br />

• Argumentative Interpretationsabsicherung<br />

• Kommunikative<br />

Validierung<br />

• Kontextbezug <strong>als</strong> Schlüssel<br />

zum Verständnis<br />

• Spiel mit Unterschieden und<br />

Beachtung von Kontextbezogenheit<br />

der Ergebnisse / Beschreiben<br />

und Verstehen<br />

Tabelle 7: Gegenüberstellung von Gütekriterien des positivistischen und des konstruktivistischen<br />

Forschungsverständnisses<br />

238 Wenngleich diese Aufteilung beiden Paradigmen bzw. den entsprechenden Gütekriterien nicht ganz gerecht<br />

wird, ermöglicht diese Gegenüberstellung einen nachvollziehbaren Vergleich und eine deutlichere<br />

Herausarbeitung der Unterschiede.<br />

239 Vgl. Mir und Watson, 2001.<br />

97


98<br />

An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

Da die vorliegende Studie dem konstruktivistischen Paradigma folgt, werden nun die<br />

in Tabelle 5 genannten allgemeinen Gütekriterien in Anlehnung an MAYRING 240 kurz<br />

erläutert. Die Darstellung wird dabei ergänzt durch Hinweise, wie diesen<br />

Anforderungen in dieser Arbeit entsprochen wird.<br />

Während der Forscher im positivistischen Verständnis versucht, die Subjektivität<br />

herauszufiltern, geht es im konstruktivistischen Verständnis um das Kenntlichmachen<br />

seines Einflusses.<br />

• Die Nähe zum Gegenstand wird im Rahmen dieser Arbeit durch die<br />

ethnomethodologische Forschungsmethoden (teilnehmende Beobachtung,<br />

Einzelinterviews, Feedbackworkshops) erzielt. Auf die Datenerhebung wird<br />

dadurch zwangsläufig ein gewisser Einfluss genommen. Auch die<br />

anschliessende Datenauswertung ist nur möglich durch einen engen Bezug zum<br />

Forschungsgegenstand. Die daraus resultierenden Second-Order-Findings,<br />

welche sich zwar <strong>als</strong> Muster organisationaler Handlungen verstehen, stellen<br />

gleichzeitig aber auch Interpretationen der Forscher dar.<br />

Verfahrensdokumentation, Regelgeleitetheit und methodische Triangulation dienen<br />

der Transparenz und Nachvollziehbarkeit des methodischen Verfahrens:<br />

• Die Verfahrensdokumentation wird durch eine differenzierte Beschreibung des<br />

Forschungsvorgehens, 241 die genaue Dokumentation sämtlicher Forschungs-<br />

kontakte in Form schriftlicher Protokolle 242 sowie die Speicherung dieser<br />

Protokolle in einer speziellen Datenbank erreicht.<br />

• Die Regelgeleitetheit des Forschungsprozesses wird durch die Regeln, den Zeit-<br />

und Vorgehensplan sowie die Reflexion des Forschungsprojekts LEARNING<br />

DYNAMICS gesichert.<br />

• Unter der methodischen Triangulation wird die gegenseitige Ergänzung<br />

mehrerer methodischer Zugänge verstanden. Methodische Triangulation kann<br />

durch die Vielfalt der eingesetzten Forschungsmethoden (teilnehmende Beo-<br />

240 Vgl. Mayring, 1993.<br />

241 Vgl. Projektbericht Learning Dynamics, 1999.<br />

242 Vgl. Protokollvorlage im Anhang.


An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

bachtung, Einzelinterviews, informelle Gespräche, Feedbackveranstaltungen,<br />

Dokumentenanalysen) erzielt werden.<br />

Die argumentative Interpretationsabsicherung und die kommunikative Validierung<br />

dienen schließlich dazu, einzuschätzen, ob auch das erfasst wurde, was erfasst werden<br />

sollte. Stimmen die Beschreibungen und Interpretationen der Forscher mit der „Wirk-<br />

lichkeit“ überein? Sind sie <strong>als</strong>o plausibel und anschlussfähig an die Vorstellungen der<br />

Organisationsmitglieder? Nach WEICK ist eine Beschreibung dann plausibel und von<br />

guter Qualität, wenn sie „interesting rather than obvious, irrelevant or absurd, obvious<br />

in novel ways, a source of unexpected connections, high in narrative rationality,<br />

aesthetically pleasing, or corresponding with presumed realities“ ist. 243<br />

• Die argumentative Interpretationsabsicherung erfolgt dadurch, dass das<br />

Vorverständnis der Interpretationen adäquat ist und die Deutungen sinnvoll<br />

theoriegeleitet sind. Die Interpretationen sind schlüssig, bzw. es werden dort,<br />

wo sie Brüche aufweisen, diese Brüche erklärt.<br />

• Die kommunikative Validierung wird durch regelmäßige Feedbacks,<br />

Erfahrungsaustauschtreffen und die Diskussion der Zwischen-(ergebnisse) mit<br />

Mitgliedern der Organisation erreicht.<br />

Was bedeutet das für den Forschungsprozess? Die hier zugrunde liegende<br />

evolutionäre, kreativ-verstehende und interpretative Auffassung des<br />

Forschungsprozesses und der Theoriebildung unterscheidet sich deutlich von dem<br />

methodisch strengen positivistischen Verständnis. So charakterisiert WEICK “theory<br />

construction as disciplined imagination“. 244 VON GLASERFELD meint hierzu:<br />

„Concepts, models, theories and so on are viable, if they prove adequate within the<br />

context they were created.” 245 Viabilität und Plausibilität sind innerhalb eines<br />

bestimmten Kontexts zentrale Merkmale guter Theoriekonstruktion. Die Plausibilität<br />

wird dabei danach bewertet, ob eine Theorie interessant, eine Quelle interessanter<br />

Verbindungen, evident, glaubhaft, real oder schön ist. 246 Der <strong>Prozess</strong> entspricht damit<br />

243 Vgl. Weick, 1989.<br />

244 Vgl. ebenda.<br />

245 Vgl. von Glaserfeld, 1995.<br />

246 Vgl. Weick, 1989.<br />

99


100<br />

An ihren Annahmen werdet ihr sie erkennen – wissenschaftstheoretische und methodische<br />

Grundüberlegung<br />

nicht einem analytischen Problemlösen bzw. Hypothesentesten, sondern eher einem<br />

Sensemaking-<strong>Prozess</strong>, der möglicherweise ein Heureka-Erlebnis beinhaltet.


Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

4 Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

4.1 Die Strukturationstheorie<br />

von Anthony Giddens<br />

Es gibt nichts praktischeres <strong>als</strong> eine gute Theorie.<br />

Kurt Lewin<br />

4. Grundsteine organisationaler<br />

Theoriegebäude<br />

4.2 Systemtheorie<br />

4.3 Fazit und Implikationen eines<br />

strukturations- und systemtheoretischen<br />

Organisationsverständnisses<br />

Abbildung 17: Gedankenfluss Kapitel 4<br />

Im folgenden Kapitel werden ausgehend vom Forschungsinteresse am organi-<br />

sationalen <strong>Wandel</strong> im Allgemeinen und dem <strong>Wandel</strong> im Zusammenhang mit Fusionen<br />

im Speziellen, mit der Theorie der Strukturierung und der Systemtheorie Landkarten<br />

für die empirische Beobachtung von organisationalem <strong>Wandel</strong> vorgestellt. 247<br />

Der Nutzen der Landkarten besteht darin, die empirischen Phänomene – organi-<br />

sationale Handlungen und Strukturen – in ihrer Bedeutung und ihren Implikationen für<br />

den organisationalen <strong>Wandel</strong> und die <strong>Wandel</strong>fähigkeit zu verstehen sowie Erklärungs-<br />

ansätze und logische Implikationen ableiten zu können.<br />

Deshalb werden nachfolgend die beiden wichtigsten Meta-Theorien, die für das<br />

Thema in erster Linie wichtig erscheinen – die Strukturationstheorie von ANTHONY<br />

GIDDENS und die neuere Systemtheorie – vorgestellt. Beide Theorien gehen von der<br />

sinnhaften Konstitution und Konstruktion der sozialen Wirklichkeit aus. Dabei spielt<br />

in der Systemtheorie die Berücksichtigung des Systems innerhalb einer Umwelt eine<br />

herausragende Rolle. In der Strukturationstheorie ist die Berücksichtigung von<br />

247 Vgl. zur Bedeutung von Theorien im <strong>Prozess</strong> des organisationalen <strong>Wandel</strong>s auch insbesondere Rüegg-Stürm,<br />

2000 Rüegg-Stürm, 2001.<br />

101


102<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Wissensstrukturen bei der Betrachtung von (organisationalen) Handlungen von<br />

besonderer Bedeutung. Für die Untersuchung von organisationalem <strong>Wandel</strong> sollen in<br />

dieser Arbeit die Leitunterscheidungen beider Meta-Theorien – die Innen-Aussen-<br />

Unterscheidung der Systemtheorie und die Wissensstruktur-Handlungspraxis-<br />

Unterscheidung der Strukturationstheorie – Berücksichtigung finden. 248 .<br />

4.1 Die Strukturationstheorie von Anthony Giddens<br />

4.1 Die Strukturationstheorie<br />

von Anthony Giddens<br />

Es gibt keine Wege. Nur auf dem Weg sein.<br />

Inschrift in einem spanischen Kloster<br />

4. Grundsteine organisationaler<br />

Theoriegebäude<br />

4.2 Systemtheorie<br />

4.3 Fazit und Implikationen eines<br />

strukturations- und systemtheoretischen<br />

Organisationsverständnisses<br />

Abbildung 18: Gedankenfluss Kapitel 4<br />

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Untersuchung des strategischen<br />

<strong>Wandel</strong>s in Organisationen. Daraus ergeben sich Anforderungen an einen geeigneten<br />

theoretischen Bezugsrahmen, die darin bestehen, dass er<br />

248 Bereits and dieser Stelle kann darauf hingewiesen werden, dass die Unterscheidung in System/Umwelt und<br />

Wissensstrukturen/Handlungspraxis jeweils auch einen Zusammenhalt darstellt. Vergleiche hierzu den<br />

Hinweis von Spencer Brown „Distinction is perfect continence“ was übersetzt werden kann mit<br />

Unterscheidung stellt einen perfekten Zusammenhang dar“ Spencer Brown, 1967, Reckwitz, 1997a.


Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

• die Untersuchung organisationalen <strong>Wandel</strong>s im Zusammenhang von Strategie-<br />

und Organisationsarbeit ermöglicht und damit die <strong>Wandel</strong>arbeit in einen über-<br />

geordneten Sinnzusammenhang stellt, 249<br />

• organisationalen <strong>Wandel</strong> <strong>als</strong> ein organisationales oder systemisches und nicht<br />

bloß ein individuelles Phänomen beschreibt, <strong>Wandel</strong> <strong>als</strong>o nicht ausschließlich<br />

auf Merkmale oder Qualitäten eines Systemelements oder Kontextfaktors<br />

reduziert,<br />

• <strong>Wandel</strong> <strong>als</strong> Phänomen der Veränderung von Strukturen begreift,<br />

• Zeit und Geschichte eines Systems im Sinne einer path-dependency berück-<br />

sichtigt, um den Einfluss von zurückliegenden Ereignissen wie Fusionen, Um-<br />

strukturierungen und strategischen Entscheidungen einbeziehen zu können,<br />

• explizite und insbesondere auch implizite Strukturen berücksichtigt,<br />

• die Akteure in sozialen Systemen <strong>als</strong> reflektiv Handelnde wahrnimmt und ihnen<br />

die Fähigkeit zu kontingentem Handeln zuerkennt, ihnen <strong>als</strong>o die Möglichkeit<br />

einräumt auch anders zu handeln <strong>als</strong> das die strukturellen Voraussetzungen oder<br />

die bestehenden rekursiven <strong>Prozess</strong>e es u.U. vorausgeben würden.<br />

Sowohl die Theorie der Strukturierung von ANTHONY GIDDENS <strong>als</strong> auch die System-<br />

theorie entsprechen diesen Anforderungen. Beide teilen insbesondere die Annahme<br />

einer sinnhaften Konstitution sozialer Wirklichkeit und betonen die sozialen Konstruk-<br />

tions- und Interpretationsleistungen. 250<br />

GIDDENS Theorie der Strukturierung hat darüber hinaus für sich selber den Anspruch<br />

“of providing conceptions of the nature of human activity and of the human agent<br />

which can be placed in the service of the empirical work”. 251 GIDDENS versteht die<br />

249 Vgl. hierzu auch die Konvergenzthese von Strategie- und Organisationswissenschaft z.B. bei Schreyögg,<br />

1999b.<br />

250 Der konstruktivistische Charakter der Theorie der Strukturierung kommt u.a. in folgender Einschätzung<br />

Neubergers zum Ausdruck: "Das Konzept der 'Dualität der Struktur' erfordert, das Objektive <strong>als</strong><br />

Objektiviertes und damit von Subjekten Erzeugtes und im Prinzip durch sie Veränderbares zu sehen; ..."<br />

Neuberger, 1995.<br />

251 Vgl. Giddens, 1984.<br />

103


104<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Theorie der Strukturierung <strong>als</strong>o <strong>als</strong> einen geeigneten konzeptionellen Bezugsrahmen<br />

für empirisches Arbeiten.<br />

Die theoretische Verbindung zwischen Handlung und Struktur bietet darüber hinaus<br />

eine Vermittlung zwischen den beiden einseitig vorherrschenden Perspektiven in der<br />

Organisationstheorie. Diese neigen entweder dazu, den institutionellen Kontext, in<br />

dem Organisationsmitglieder handeln, zu vernachlässigen oder das Verhalten in und<br />

von Organisationen ausschließlich durch strukturelle Zwänge determiniert zu<br />

betrachten. 252<br />

Die Systemtheorie hat der anwendungsorientierten Managementlehre bereits seit<br />

längerer Zeit wichtige Impulse geliefert. Dass ein System durch den Beobachter<br />

konstruiert wird und die Anwendung von Differenzschemata zur Entwicklung von<br />

„blinden Flecken“ und impliziten Strukturen führt, sind Erkenntnisse, die im Rahmen<br />

der hier untersuchten <strong>Wandel</strong>thematik von entscheidender Bedeutung sind.<br />

4.1.1 Soziale Systeme<br />

Ähnlich wie die Theorie der Strukturierung ist auch die Systemtheorie eine<br />

Sozialtheorie, die u.a. das Phänomen von Stabilität und <strong>Wandel</strong> von Strukturen und<br />

Handlungen in sozialen Systemen untersucht. 253<br />

Der Grundgedanke der systemischen Sicht auf Organisationen besteht darin, dass Ver-<br />

halten und Handlungen von Organisationsmitgliedern durch die Interaktionen mit<br />

252 Diese beiden Richtungen spiegeln die vorherrschenden Grundpositionen in der Sozial- und<br />

Organisationstheorie wider. Einerseits objektivistische Positionen (Strukturalismus, Funktionalismus) in<br />

denen verdinglichte Strukturen Zwänge auf ein eher passives Subjekt <strong>als</strong> Ziele strukturell-gesellschaftlicher<br />

Kräfte ausüben. Hieraus lassen sich dann Wirkungsketten ausgehend von der Struktur der Organisation zum<br />

Verhalten der Organisationsmitglieder aufbauen (z.B. der situative Ansatz Kieser und Kubicek, 1992). Auf<br />

der anderen Seite stehen dagegen subjektivistische Ansätze (interpretative und hermeneutische Ansätze), in<br />

denen Sinn und Bedeutung des Handelns zur Erklärung von Verhaltensweisen herangezogen werden. Wo ist<br />

die Theorie der Strukturierung soziologisch zu verorten? Soziologisch ist die Theorie der Strukturierung von<br />

Giddens abzugrenzen vom Strukturalismus und vom Funktionalismus. Giddens vergleicht die Untersuchung<br />

von Struktur und Handlung in der Gesellschaft mit dem Studium der Anatomie eines Organismus und den<br />

Funktionalismus mit dem Studium der Physiologie eines Organismus. Im Gegensatz zu biologischen<br />

Systemen können nach Giddens Meinung sozialer Systeme und ihre Muster nur untersucht werden, soweit<br />

sie <strong>als</strong> Systeme organisiert sind und über die Zeit reproduziert werden (Giddens, 1979). Metaphorisch<br />

gesprochen legt er den Schwerpunkt seiner Betrachtung auf das Zusammenspiel von Anatomie und<br />

Physiologie.<br />

253 Vgl. z.B. Selvini Palazolli, et al., 1995, Simon, 1992.


Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

anderen Systemmitgliedern und den Kontext beeinflusst werden. 254 WILLKE etwa defi-<br />

niert ein System <strong>als</strong> „ganzheitlichen Zusammenhang von Teilen, deren Beziehungen<br />

untereinander quantitativ intensiver und qualitativ produktiver sind <strong>als</strong> ihre Bezie-<br />

hungen zu anderen Elementen. Diese Unterschiedlichkeit der Beziehungen konstituiert<br />

eine Systemgrenze, die System und Umwelt des Systems trennt“. 255<br />

GIDDENS definiert soziale Systeme prozessual <strong>als</strong> „die Ordnung sozialer Beziehungen<br />

über Raum und Zeit hinweg, sofern diese <strong>als</strong> reproduzierte Praktiken aufgefasst<br />

werden“ 256 . Die Beziehungen zwischen Individuen oder Gruppen sozialer Systeme<br />

werden <strong>als</strong> wiederkehrende soziale Praktiken aufgefasst. Dieses Systemverständnis<br />

blickt im Gegensatz zu vielen anderen vorrangig auf die <strong>Prozess</strong>e und sozialen<br />

Praktiken in Systemen und stellt damit eine Abkehr von eher strukturalistischen und<br />

funktionalistischen Systemvorstellungen dar. 257<br />

Durch die Definition sozialer Systeme <strong>als</strong> Organisation geregelter sozialer Praktiken<br />

ist die Theorie der Strukturierung in mehrfacher Hinsicht systemischer <strong>als</strong> viele struk-<br />

turalistische oder funktionalistische Ansätze. Dies drückt sich in der starken Berück-<br />

sichtigung des Kontexts in den Handlungsvoraussetzungen und Handlungsfolgen, dem<br />

expliziten zeitlichen Kontextbezug der sozialen Praktiken und der Rekursivität der<br />

Handlungen aus. Für GIDDENS sind Organisationen Produkt und Medium<br />

organisationalen Handelns. Die Akteure bringen, vergleichbar der WEICK´schen<br />

Vorstellung vom enactment, in ihrem Handeln das soziale System Organisation erst<br />

hervor. Sie werden nicht nur <strong>als</strong> Teil oder Element des Systems Organisation<br />

verstanden, sondern reproduzieren durch ihr Handeln soziale Systeme.<br />

GIDDENS geht soweit, dass soziale Systeme einzig in der und durch die Kontinuität<br />

sozialer Praktiken existieren. Damit rückt der Interaktionsbegriff ins Zentrum der Be-<br />

trachtung. Von Eigenschaften und generalisierten Strukturen <strong>als</strong> Grundlage oder sogar<br />

Ursache des sozialen Verhaltens wird dagegen abgesehen.<br />

254 Vgl. Willke, 1991.<br />

255 Vgl. ebenda.<br />

256 Vgl. Giddens, 1997. Er grenzt soziale Systeme in ihrer Systemhaftigkeit aufgrund ihrer großen<br />

Variationsbreite gegenüber physikalischen und biologischen Systemen und deren hoher interner<br />

Einheitlichkeit ab.<br />

257 Auf die Unterschiede zu anderen systemischen Strömungen, die in der Regel stärker durch kybernetische und<br />

biologische Systemvorstellungen inspiriert sind und diese dann i.d.R. auf soziale Systeme übertragen, kann<br />

im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter eingegangen werden. Vgl. zu diesen Unterschieden z.B. Willke, 1991.<br />

105


106<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Der rekursive <strong>Prozess</strong> der Strukturierung und das Theorem der Dualität (siehe nächstes<br />

Kapitel) beschreiben die Art und Weise, wie die systemgenerierenden und -<br />

erhaltenden Interaktionen die organisationalen Muster formen.<br />

4.1.2 Rekursivität und die Dualität von Struktur und Handlung<br />

Der Begriff „Organisation“ beinhaltet eine fundamentale Zweideutigkeit: Er kann zum<br />

einen den <strong>Prozess</strong> des Organisierens umschreiben. Zum anderen kann er aber auch das<br />

Erzeugnis dieses <strong>Prozess</strong>es im Sinne der Organisation <strong>als</strong> „Organisiertheit“<br />

bezeichnen.<br />

ORTMANN fordert anstelle der Beseitigung dieser begrifflichen Unklarheit, der Sprache<br />

den „Kredit einer Weisheitsvermutung“ einzuräumen und den möglichen Sinn dieser<br />

Doppeldeutigkeit zu hinterfragen. 258 Dabei liegt es für ihn nahe, das Verhältnis dieser<br />

beiden Bedeutungen von „Organisation“ im Sinne einer Rekursivität zu begreifen.<br />

Die organisationalen Strukturen, die dem <strong>Prozess</strong> des Organisierens zugrunde liegen,<br />

werden durch die organisationalen Handlungen und <strong>Prozess</strong>e wiederum hervorge-<br />

bracht. Anders ausgedrückt: Das Ergebnis einer Handlung geht in den weiteren<br />

<strong>Prozess</strong> <strong>als</strong> Voraussetzung ein. So wird etwa durch das Beachten von Abteilungs-<br />

grenzen im Rahmen alltäglicher Geschäftsprozesse diese Grenzziehung kontinuierlich<br />

<strong>als</strong> Struktur reproduziert und bestätigt.<br />

GIDDENS beschreibt diesen Zusammenhang zwischen Struktur und Handlung <strong>als</strong> eine<br />

Dualität:<br />

“According to the notion of the duality of structure, the structural properties of social systems<br />

are both medium and outcome of the practices they recursively organize.” 259<br />

Strukturen <strong>als</strong> Medium und Ergebnis sozialen Handelns ermöglichen soziale Praktiken<br />

und schränken sie gleichzeitig ein. Am Beispiel des Sprechens wird dieser Zusammen-<br />

hang deutlich: Das Sprechen einer Sprache ist nur möglich, weil bestimmte Sprach-<br />

strukturen (grammatische oder semantische Regeln) existieren. Durch das Sprechen<br />

werden aber genau diese Regeln wiederum reproduziert. 260 Die Struktur existiert erst<br />

durch das Handeln und in der Handlung der Akteure. Das Handeln wiederum auch erst<br />

durch die Existenz von Struktur möglich.<br />

258 Vgl. Ortmann, et al., 1997.<br />

259 Vgl. Giddens, 1984.


Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Es ist wichtig zu beachten, dass Systeme zwar Strukturen haben, sie selber aber keine<br />

Strukturen sind. 261 Sozialen Systemen, wie Organisationen, liegen die Strukturen<br />

zugrunde. Systeme können somit <strong>als</strong> <strong>Prozess</strong>e der routinisierten Herausbildung und<br />

Reproduktion von Mustern sozialer Praktiken über Zeit und Raum hinweg verstanden<br />

werden. Um diese Strukturierung sozialer Systeme zu untersuchen, muss man<br />

beobachten, auf welche Art und Weise das System durch Handlungen, <strong>als</strong>o über die<br />

Anwendung von Regeln und Ressourcen, in Interaktionen produziert und reproduziert<br />

wird. 262<br />

Unerkannte<br />

Handlungsbedingungen<br />

Handlung<br />

Struktur<br />

Abbildung 19: Zusammenhang von Struktur und Handlung<br />

(in Anlehnung an Giddens, 1997, S. 52)<br />

Nicht intendierte<br />

Handlungsfolgen<br />

Die Handlung der Akteure in sozialen Systemen kann neben beabsichtigten auch un-<br />

beabsichtigte Folgen haben. ORTMANN nennt hierfür das Beispiel, dass das Bemühen<br />

eines Zulieferers, pünktlich zu liefern, eine beabsichtigte Handlung ist. Dabei findet<br />

<strong>als</strong> unbeabsichtigte Folge eine Reproduktion der Vorstellung statt, dass Zeit einen<br />

ökonomischen Wert darstellt. 263 Die Handlungsbedingung (Zeit ist knappes Gut) wird<br />

<strong>als</strong> Bedingung nicht bewusst und nicht <strong>als</strong> Folge des eigenen Verhaltens (Bemühungen<br />

um pünktliche Lieferung) erkannt. Die unbeabsichtigten Handlungsfolgen werden in<br />

dem beschriebenen Rückkopplungsprozess so zu unerkannten Handlungsbedingungen.<br />

Die beschriebene rekursive Beziehung hat aber noch weiter gehende Konsequenzen:<br />

Die Akteure sind stets Mitglieder mehrerer (Sub)Systeme. Sie wirken <strong>als</strong>o in<br />

260 Vgl. Giddens, 1976.<br />

261 Zum genauen Strukturverständnis bei Giddens siehe das folgende Kapitel.<br />

262 Vgl. Giddens, 1979.<br />

263 Vgl. Walgenbach, 1999.<br />

107


108<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Organisationen aufgrund der Dualität von Struktur und Handlung daran mit,mehrere<br />

soziale Systeme zu produzieren. Sie müssen dabei kompetent mit Mustern<br />

verschiedener sozialer Praktiken der unterschiedlichen Systeme umgehen. Hierbei<br />

führt die beschriebene Rekursivität allerdings auch zu einem Phänomen, das man <strong>als</strong><br />

Musterwiederholung bezeichnen könnte. So finden sich beispielsweise in strategischen<br />

Initiativen häufig Muster der Alltagsorganisation wieder. Abbildung 14 versucht<br />

diesen Zusammenhang zu verdeutlichen.<br />

Struktur System 1 Handeln<br />

Struktur System 2<br />

System 1<br />

System 2<br />

Abbildung 20: Reproduktion von Strukturen in unterschiedlichen Systemen<br />

(Quelle: Becker, 1996, S. 164)<br />

Die Reproduktion von Struktur durch die Handlung schließt allerdings die Möglichkeit<br />

des <strong>Wandel</strong>s und der Erneuerung ein. Wie im sprachlichen Bereich, wo<br />

grammatikalische oder Bedeutungsregeln sich im Laufe der Zeit ändern, treten auch<br />

bei organisationalen Handlungen mehr oder weniger bedeutsame Abweichungen von<br />

der „regelgerechten“ Ausführung auf. Unter Umständen reproduziert eine Anzahl von<br />

Akteuren diese Abweichungen und verändert so die Struktur.<br />

4.1.3 Wissen und Können – Regeln und Ressourcen<br />

Um den <strong>Prozess</strong> der Strukturierung und das Verhältnis von Handlung und Struktur zu<br />

verstehen, werden im Folgenden die Konzeptualisierungen der beiden Begriffe im<br />

Rahmen der Theorie der Strukturierung erläutert.<br />

Systeme sind für GIDDENS raum-zeitlich (re-)produzierte Handlungszusammenhänge –<br />

und bestehen aus den Komponenten Wissen und Können – Strukturen dagegen sind<br />

Zusammenhänge von Regeln und Ressourcen.<br />

Handlung stellt für GIDDENS einen kontinuierlichen Strom von Aktivitäten (flow of<br />

conduct) dar. Die Identifikation und Herauslösung einzelner Akte geschieht erst in der<br />

Reflexion. Die Akteure können das Handeln aufgrund ihres Handlungsvermögens


Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

(capability) grundsätzlich beeinflussen und beständig über die handlungsrelevanten<br />

Wissensbestände (knowledgeability) intentional steuern.<br />

Struktur Wissen System 1<br />

Handlung<br />

Struktur<br />

Struktur Können System 1<br />

Regeln Ressourcen<br />

Abbildung 21: Grundstruktur der Strukturationstheorie<br />

(Quelle: Neuberger, 1995)<br />

Können: Die Handlung hängt von der Fähigkeit ab, „to make a difference“, 264 <strong>als</strong>o<br />

einen Unterschied zu machen. Der Handelnde (agent) muss in der Lage sein, anders zu<br />

handeln, d.h. fähig sein, in die Welt einzugreifen oder einen Eingriff zu unterlassen. Er<br />

verliert die Fähigkeit zu handeln in dem Moment, in dem er seine Fähigkeit, einen<br />

Unterschied zu machen verliert. 265 Die Fähigkeit zu Handeln hängt damit von der<br />

Kontingenz menschlichen Handelns, von der Existenz von Wahlmöglichkeiten sowie<br />

der Möglichkeit anders zu handeln ab. 266 Ähnlich betonen auch BARRETT und<br />

SRIVASTVA vor einem zeitbezogenen Handlungs- und Organisationsverständnis die<br />

264 Vgl. Giddens, 1984.<br />

265 Hier werden bereits Ähnlichkeiten z um Informationsbegriff von Bateson (Bateson, 1981) deutlich.<br />

266 An dieser Stelle wird bereits deutlich, dass eine Handlungsanalyse (analysis of strategic conduct) ausgehend<br />

von einer Rekonstruktion des flow of conduct untersuchen muss, wie sich die Bildung von Unterschieden im<br />

Sinne eines „differences that make a difference“ auf den <strong>Prozess</strong> der Strukturierung und damit auf das<br />

Entstehen von Strukturen auswirkt. Es geht bei der Veränderung von Strukturen <strong>als</strong>o um die Einführung von<br />

Unterschieden.<br />

109


110<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Bedeutung der Kontingenz bzw. der Möglichkeit der Wahrnehmung und Wahl von<br />

Alternativen. 267<br />

Wissen (knowledgeability): Im Mittelpunkt des handlungsrelevanten Wissens steht das<br />

gemeinsame Wissen, das den Akteuren in Form von Erinnerungsspuren („memory<br />

traces“) gegenwärtig ist. Allerdings ist es ihnen meist nicht bewusst, sondern<br />

vorbewusst oder implizit („mutual knowledge“). 268 Dieser Wissensbestand erlaubt es<br />

den Handelnden, das eigene Handeln an das anderer Akteure anzuschließen und ist<br />

damit die Voraussetzung für die Reproduktion sozialer Systeme. Die Akteure<br />

unterstellen dabei, dass ihr Wissen auch von anderen geteilt wird. 269<br />

GIDDENS geht davon aus, dass „every social actor knows a great deal about the<br />

conditions of reproduction of the society of which he or she is a member” 270 . Er geht<br />

<strong>als</strong>o grundsätzlich von einem wissenden und zum Bewusstsein fähigen Handelnden<br />

aus.<br />

GIDDENS unterscheidet drei Ebenen der Bewusstheit, die hinsichtlich der Wissens-<br />

bestände zu unterscheiden sind: Das Unbewusste ist dem Handelnden nur schwer bzw.<br />

gar nicht zugänglich. Allerdings gewährleistet es eine „ontologische Sicherheit“ in<br />

dem Sinne, dass der Handelnde zuversichtlich darauf vertrauen kann, dass die Natur<br />

und die soziale Welt so sind, wie sie erscheinen“. 271 Das Bewusstsein unterscheidet<br />

GIDDENS in zwei Ebenen. Das practical consciousness (handlungspraktische<br />

Bewusstsein) umfasst das Wissen über soziale Umstände und Bedingungen des<br />

Handelns, welches im Handeln implizit angewendet wird, aber über das in der Regel<br />

nicht Auskunft gegeben wird. Das discursive consciousness (diskursive Bewusstsein)<br />

umfasst dagegen Handlungswissen, über das auch diskursiv verfügt werden kann. 272<br />

267 Vgl. Barrett und Srivastva, 1991.<br />

268 Auch Polanyi verwendet den Begriff des impliziten oder tacit knowledge (Polanyi, 1985). Wendet man<br />

allerdings die von Cook und Brown vorgeschlagenen Unterscheidungen in explizites/tacit und<br />

individuelles/kollektives Wissen (Cook und Brown, 1999) an, wird schnell deutlich, dass es sich bei dem von<br />

Polanyi vorgestellten impliziten Wissen nur um einen Ausschnitt, nämlich den des individuellen impliziten<br />

Wissens handelt (vgl. hierzu auch ähnlich (Nonaka und Takeuchi, 1997). Im Rahmen dieser Arbeit und dem<br />

Konzept von Giddens steht dagegen vor allem das kollektiv geteilte, implizite Wissen im Vordergrund.<br />

269 Vgl. Giddens, 1984.<br />

270 Vgl. Giddens, 1979.<br />

271 Vgl. Giddens, 1984.<br />

272 Vgl. ebenda.


Routinisiertes<br />

Handeln<br />

Diskursives Bewusstsein<br />

Praktisches Bewusstsein<br />

Unbewusste Motive/Wahrnehmung<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Abbildung 22: Bewusstseinsebenen und Handlungskontrolle<br />

(in Anlehnung an Giddens, 1997, S.57) 273<br />

Diskursiv<br />

gesteuertes<br />

Handeln<br />

Die Trennung zwischen dem handlungspraktischen und dem diskursiven Bewusstsein<br />

ist nicht eindeutig. So kann jedes routinisierte Handeln zumindest teilweise diskursiv<br />

kontrolliert und erklärt werden. Umgekehrt basiert auch die tatsächliche Hand-<br />

lungssteuerung auf einer Unmenge impliziten Wissens. Routinisiertes Handeln in<br />

sozialen Systemen beruht aber in der Regel auf einem relativ hohen Anteil impliziten<br />

Wissens des handlungspraktischen Bewusstseins.<br />

Struktur: Struktur wird insbesondere in der Organisationstheorie <strong>als</strong> eine Art „innere<br />

Ordnung“ und unabhängig vom Handelnden, <strong>als</strong> ihm gegenüberstehendes, äußeres<br />

Gefüge verstanden. Soziale Strukturen tragen damit eine Art Zwangscharakter, welche<br />

„hinter dem Rücken der Handelnden“ deren Handeln bestimmen.<br />

Für GIDDENS sind Strukturen dagegen keine eigenständige virtuelle Entitäten, sondern<br />

verwirklichen sich in einem „immer währenden <strong>Prozess</strong>“ der „rekursiven Reproduk-<br />

tionen von Praktiken“ im Handeln. Es sind typisierte Handlungen, die auch in anderen<br />

Situationen eine Art Mustervorlagen darstellen und auch von anderen Akteuren er-<br />

kannt und benutzt werden können. Dadurch werden die sozialen Praktiken über Raum<br />

und Zeit hinweg identisch reproduziert und bleiben erhalten. Systeme haben somit nur<br />

273 Quelle: Becker, 1996.<br />

111


112<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

insofern Strukturen, <strong>als</strong> diese Strukturmomente sich in Praktiken realisieren und in<br />

Erinnerungsspuren erhalten bleiben. In Anlehnung an BHASKAR lassen sich Strukturen<br />

nach GIDDENS am besten <strong>als</strong> Beziehungsfelder von Positionen und Praktiken charakte-<br />

risieren. 274<br />

Strukturen bestehen wiederum aus Regeln und Ressourcen, die dem Wissen und dem<br />

Können der Handlung gegenüberstehen (vgl. Abb. 21).<br />

Regeln, bzw. das Wissen, um Regeln sind Gegenstand des geteilten und weitgehend<br />

impliziten Wissens. Wenn GIDDENS sich auf das Regelwissen bei WITTGENSTEIN be-<br />

zieht, wird damit der Bezug dieses Wissens zum sozialen und praktischen Aspekt (wie<br />

sie in den sozialen Praktiken zum Ausdruck kommen) deutlich:<br />

Darum ist "der Regel folgen" eine Praxis. Und der Regel zu folgen ist nicht: der Regel folgen.<br />

Und darum kann man nicht der Regel privatim folgen, weil sonst der Regel zu folgen glauben<br />

dasselbe wäre, wie der Regel folgen. 275<br />

Die Regeln geben den Handelnden somit ein praktisches Wissen an die Hand, wie sie<br />

sich in einem entsprechenden Kontext angemessen und kompetent verhalten können.<br />

Es handelt sich dabei nicht um praxisenthobene Bewusstseinstrukturen, sondern ein<br />

Wissen, auf das praxisbezogenes und regelmäßiges Tun angewiesen ist. Die Regeln<br />

sind auch keine externen, sanktionierenden Normen, sondern vorbewusst bleibendes<br />

implizites Regelwissen des praktischen Bewusstseins, die ein methodisches „how to<br />

go on“ angeben.<br />

Aufgrund des impliziten Charakters dieses Regelwissens kann das praktische Know-<br />

how kaum verbalisiert werden. Die Regeln werden <strong>als</strong> Handlungsmuster beständig<br />

sozial reproduziert, entziehen sich aber andererseits dem direkten bewussten Zugriff<br />

und somit einer allzu simplen intentionalen Veränderung durch die Beteiligten.<br />

Ressourcen ermöglichen den Akteuren Kontrolle über materielle Aspekte sozialer<br />

Situationen (allokative Ressourcen) oder auch über Menschen (autoritative Res-<br />

sourcen), z. B. durch die Verfügung über Güter oder Geld oder auch die Definition<br />

eines Geschäftsprozesses.<br />

274 Vgl. Bhaskar, 1979.<br />

275 Vgl. Wittgenstein, 1989a.


4.1.4 Strukturelle und strategische Analysen<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Die Routinisierung und Reproduktion sozialen Lebens ist von zentraler Bedeutung für<br />

die Untersuchung von Stabilität und <strong>Wandel</strong> in Systemen. GIDDENS beschreibt zwei<br />

Ansätze zur Analyse der Strukturierung: Erstens: die strategische oder Handlungs-<br />

analyse, die von einem einsichtsfähigen und handlungsmächtigen Akteur ausgeht und<br />

aus ethnographischer Sicht die Welt der Akteure rekonstruiert und zweitens die<br />

Strukturanalyse, die versucht Regeln und Ressourcen zu identifizieren, die<br />

strukturiertes Handeln ermöglichen und beschränken.<br />

Es ist wichtig zu beachten, dass die strategische Analyse und die Strukturanalyse mit-<br />

einander in Wechselbeziehung stehen. Die Untersuchung sozialer Systeme ist zwar<br />

getrennt möglich. Allerdings sollte jedes Verfahren stets <strong>als</strong> Einklammerung des<br />

jeweils anderen gesehen werden, um so nicht einen neuen Dualismus anstelle der<br />

Dualität von Handlung und Struktur zu inspirieren. 276<br />

Unerkannte<br />

Handlungsbedingungen<br />

Handlung<br />

Struktur<br />

Strategische Analyse:/ Sprechen<br />

• Wissensinhalte der Akteure, aus der Rekonstruktion<br />

Rekonstruktion<br />

der Wirklichkeit aus der Sicht der handelnden Subjekte<br />

• Akteurssicht/ethnographische Sicht<br />

• Handlungssteuerung Handlungssteuerung gem. Stratifikationsmodell<br />

Stratifikationsmodell<br />

Nicht intendierte<br />

Handlungsfolgen Strukturelle Strukturelle Analyse:/Sprache<br />

Analyse:/Sprache<br />

•Wissen, •Wissen, das das den den Laien Laien aus aus ihrer Alltagspraxis heraus heraus<br />

nicht nicht zur zur Verfügung Verfügung steht steht / nicht-intendierte<br />

nicht-intendierte<br />

Nebenwirkungen<br />

Nebenwirkungen<br />

• Beobachterperspektive<br />

Beobachterperspektive<br />

• ethnomethodologische ethnomethodologische Indifferenz Indifferenz vermeiden vermeiden<br />

• Rückmeldung Rückmeldung und Externalisierung Externalisierung der Struktur Struktur<br />

ändern ändern die die Regeln Regeln und Ressourcen Ressourcen<br />

Abbildung 23: Strukturelle und strategische Analyse 277<br />

Im Mittelpunkt der strategischen Analyse, der Untersuchung des strategisch-intentio-<br />

nalen Handelns steht der kontinuierliche Strom von Aktivitäten (flow of conduct) über<br />

die Zeit. Sie dient dem interpretativen Verstehen der Handlungen durch die Rekon-<br />

struktion von Handlungssteuerung, -gründen und -motiven durch die sozialen Akteure<br />

und ihre „Welt“.<br />

Handeln vollzieht sich nach dem Stratifikationsmodell 278 stets „überwacht“ durch die<br />

reflexive Handlungssteuerung (reflexive monitoring of action). Die Akteure sind in der<br />

276 Vgl. Giddens, 1979.<br />

277 Vgl. zum Stratifikationsmodell Abbildung 24 und den folgenden Text.<br />

113


114<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Lage den kontinuierlichen Fluss ihrer Aktivitäten zu steuern und soziale und physische<br />

Aspekte des Kontexts in dem sie sich bewegen, routinemäßig zu kontrollieren. Ebenso<br />

können sie ohne große Anstrengungen ein „theoretisches Verständnis“ für die Gründe<br />

ihres Handelns entwickeln. Sie sind handlungskompetent, d. h. sie können in aller<br />

Regel für ihr Handeln eine Erklärung abgeben, wenn Sie danach gefragt werden<br />

(rationalization of action). Die Handlungsmotivation, die nicht direkt in die<br />

Kontinuität des Handelns eingelassen ist wie die Handlungssteuerung und -<br />

rationalisierung, ist ein Handlungspotenzial, welches unter relativ ungewöhnlichen,<br />

nicht-routinisierten Umständen, eine direkte Auswirkung auf das Handeln haben kann.<br />

Das Ziel der strategischen Analyse ist es nun, den Sinn, den die Handelnden in ihrer<br />

Lage ihrem Tun innerhalb ihrer geschichtlichen und sozialen Einbettung (Kontext)<br />

geben, sowie ihre bewussten Absichten oder Ziele zu rekonstruieren und zu ver-<br />

stehen. 279<br />

Methodisch umfasst die Handlungsanalyse <strong>als</strong>o die Beschreibung der Handlung und<br />

der Steuerung des Handelns, die Befragung der Akteure bezüglich der Gründe ihres<br />

Handelns, sowie - wenn möglich - die Identifizierung von Handlungsmotiven. 280 Eine<br />

sinnverstehende, interpretierende und ethnographisch orientierte Methodologie<br />

entspricht damit den Anforderungen der GIDDENS´schen Handlungsanalyse.<br />

Von zentraler Bedeutung ist daher die Rekonstruktion der Ereignisse, Entscheidungen<br />

und Handlungen der Organisation bzw. ihrer Mitglieder sowie die Befragung der<br />

Handelnden im zeitlichen Kontext (d.h. insbesondere auch der Vorgeschichte) der<br />

<strong>Wandel</strong>initiativen. 281<br />

278 Vgl. Abbildung 24.<br />

279 Die Analyse unterliegt dabei nach Giddens dem Problem der doppelten Hermeneutik. Es genügt nicht, die<br />

Lebenswelt von Untersuchten in deren Sinn einfühlend nachzuzeichnen und zu interpretieren, sondern deren<br />

Sinnkonstruktionen werden im innerwissenschaftlichen <strong>Prozess</strong> in verschiedene Deutungsrahmen oder<br />

Paradigmen übersetzt (Neuberger, 1995).<br />

280 Die Untersuchung der Handlungsmotivation wird dadurch erschwert, das die Motivation Teil des<br />

Unbewussten ist, während die reflexive Steuerung und Handlungsrationalisierung Teil des diskursiven und<br />

praktischen Bewusstseins ist.<br />

281 Ortmann et. al. rufen dazu auf, organisationalen <strong>Wandel</strong> anders zu beschreiben. Darstellungen<br />

organisationalen <strong>Wandel</strong>s müssen nach ihrer Meinung mit Begriffen wie Episoden, Koinzidenzen und<br />

kritischen Schwellen des <strong>Wandel</strong>s arbeiten, mit Kontingents, Notwendigkeit und Zufall rechnen, die den<br />

<strong>Wandel</strong> in bestimmte Verläufe, Trajektorien, zwingen kann. Das Konstrukt der Pfadabhängigkeit


Unerkannte<br />

Handlungsbedingungen<br />

Reflexive<br />

Steuerung<br />

Handlungsrationalisierung<br />

Handlungsmotivation<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Unbeabsichtigte<br />

Handlungsfolgen<br />

Abbildung 24: Stratifikationsmodell des Handelnden in Anlehnung an Giddens<br />

(Quelle: Giddens, 1979, S. 56)<br />

Die Strukturanalyse zielt darauf ab, die „Grauzonen des handlungspraktischen Be-<br />

wusstseins auszuleuchten und explizit zu machen“. 282 Sie dient somit der Erklärung<br />

und Auflösung der „Undurchsichtigkeit“ der Struktur, die aus dem begrenzten und<br />

impliziten Charakter des Wissens der Akteure resultiert. Wenngleich GIDDENS davon<br />

ausgeht, dass das Subjekt wissend und verantwortlich ist, ist es dennoch nicht all-<br />

wissend. Viele Erfahrungen und Handlungen sind ihm kognitiv nicht mehr zugänglich.<br />

Wie für die einzelne Personen so ist auch für Organisationen die eigene Lebens-<br />

geschichte zum Teil undurchsichtig. Diese Undurchsichtigkeit kritisch zu hinterfragen,<br />

Verstrickungen und Verzerrungen <strong>als</strong> solche zu erkennen, Vermischung zu differen-<br />

zieren und Abgespaltenes zu integrieren ist, nach GIDDENS, Aufgabe der Sozialwissen-<br />

schaften. NEUBERGER beschreibt in diesem Sinne die Strukturanalyse analog der Psy-<br />

choanalyse: Anhand der Rekonstruktion des „Gangs der Dinge“ sollen die zugrunde<br />

liegenden Prinzipien und Regeln identifiziert werden, die den beobachteten Ablauf<br />

produziert und reproduziert haben. 283<br />

(organizational tracks) von Greenwood und Hinings (Greenwood und Hinings, 1988) ist nach Ortmanns<br />

Meinung ein wichtiges Konzept, um den organisationalen <strong>Wandel</strong> zu beschreiben.<br />

282 Vgl. Walgenbach, 1999.<br />

283 Vgl. Neuberger, 1995.<br />

115


116<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Die Strukturanalyse ist bereits Teil des organisationalen „Therapeutikums“, da die<br />

Rückmeldung und Reflexion der Befunde bereits implizite Wissensstrukturen und<br />

Regeln der Handelnden ändern. Bislang unerkannte Handlungsbedingungen werden<br />

durch die Strukturanalyse erkannt und gehen in den <strong>Prozess</strong> der Strukturierung anders<br />

ein. Das Wahrnehmen und Anerkennen bislang unerkannter Handlungsbedingungen<br />

wird damit zur Grundvoraussetzung und zum Ausgangspunkt für den <strong>Wandel</strong>. 284<br />

Im Mittelpunkt der Strukturanalyse steht die Identifizierung der konkreten Struktur-<br />

gefüge: „Less encompassing structural properties can be studied as sets of rules and<br />

ressources, specified in terms of clustering of transformation/mediation relations“. 285<br />

Im Gegensatz zu umfassenden sozialen Systemen wie Stammesgesellschaft oder<br />

Klassengesellschaft sollte die Analyse von Organisationen sich deshalb vor allem auf<br />

die Analysen der konkreten Regeln und Muster in diesen Systemen konzentrieren.<br />

Damit würde auch der Kritik von NEUBERGER entsprochen. Er weist darauf hin, dass<br />

intersubjektiven Konstellationen oder Konfigurationen vermutlich sehr große<br />

Bedeutung zukommt und eine Theorie des sozialen <strong>Wandel</strong>s auf diese Dimensionen<br />

nicht verzichten kann. 286<br />

4.1.5 Zusammenfassung: Organisationaler <strong>Wandel</strong> und die<br />

Strukturationstheorie von Giddens<br />

Im Hinblick auf das Thema <strong>Wandel</strong> bleibt festzuhalten: Handlungen führen nicht nur<br />

zum angestrebten Erfolg, sondern sie sind auch stets selbstbezüglich, weil sie in ihrer<br />

Ausführung die Bedingungen ihrer Möglichkeit erneuern. Diese Rekursivität be-<br />

schreibt gleichzeitig eine zentrale Schwierigkeit oder ein Dilemma sozialen <strong>Wandel</strong>s<br />

oder Transformation, weil durch die Handlung die Bedingungen weiterer Handlungen<br />

verändert werden sollen.<br />

284 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zu den Systemprinzipien in Kapitel 4.2.7.<br />

285 Giddens, 1976.<br />

286 Vgl. Neuberger, 1995. Giddens gibt für die Strukturanalyse <strong>als</strong> Orientierungshilfe ein Klassifikationenschema<br />

von Strukturdimensionen (Signifikation, Herrschaft, Legitimation) an. Die Einteilung eignet sich nach seiner<br />

Meinung vor allem für die Analyse von Strukturprinzipien historisch spezifischer Gesellschaftsformen wie z.<br />

B. Stammesgesellschaften oder Klassengesellschaften (Giddens, 1984). Im Rahmen dieser Arbeit wird nicht<br />

auf diese Strukturdimensionen zurückgegriffen, da sie für die Analyse sozialer Beziehungen im Rahmen der<br />

strategischen und strukturellen Analyse von sozialem <strong>Wandel</strong> in Organisationen weniger gut geeignet<br />

erscheinen. So merkt Cohen an, dass in den Strukturdimensionen die verankerten Sozialbeziehungen<br />

unzureichend berücksichtigt werden (Cohen, 1989).


Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Aus strukturationstheoretischer Sichten kommt es zu <strong>Wandel</strong>, wenn die handlungs-<br />

mächtigen Akteure einen Unterschied machen. Das heißt, dass der Unterschied nicht<br />

nur erkannt oder implizit gewusst wird, sondern Eingang in soziale Praktiken und<br />

damit den <strong>Prozess</strong> der Strukturierung findet und so zu einer Veränderung der Struktur<br />

führt.<br />

Der organisationale <strong>Wandel</strong> bezieht sich dabei stets auf die Strukturen, die nach<br />

GIDDENS expliziter oder impliziter Natur sein können. Strukturen stehen in einem<br />

rekursiven Verhältnis der Dualität zu den sozialen Praktiken in der Organisation. Die<br />

handlungsmächtigen und reflexionsfähigen Akteure sind allerdings keinem Zwang<br />

ausgesetzt. Insbesondere durch die Externalisierung impliziten Wissens bzw.<br />

impliziter Strukturen, aus dem praktischen Bewusstsein in das diskursive Bewusstsein<br />

können Ansätze zum Erkennen und Entwickeln organisationaler Wandlung und<br />

Erneuerung entstehen. Die Auseinandersetzungen mit den Strukturen und sozialen<br />

Praktiken sowie deren <strong>Wandel</strong> unterliegen dabei Metafähigkeiten, die das System in<br />

die Lage versetzen, Unterschiede, welche relevant sind, zu verdeutlichen bzw.<br />

Unterschiede auch zu verlernen.<br />

Im <strong>Prozess</strong> der Strukturierung bilden unerkannte Handlungsvoraussetzungen und nicht<br />

beabsichtigte Handlungsfolgen wesentliche Elemente der Rekursivität und der<br />

Routinisierung. Im Rahmen dieser Arbeit wird es deshalb darum gehen, durch die<br />

Analyse von Handlungsfolgen und -voraussetzungen von strategischen Initiativen zu<br />

klären, wie sie idealtypisch ausgestaltet sein sollten, um den organisationalen <strong>Wandel</strong><br />

von Strukturen und <strong>Prozess</strong>e zu unterstützen.<br />

4.2 Systemtheorie<br />

Im nachfolgenden Kapitel wird die zweite sozialwissenschaftliche Grosstheorie, die<br />

das nachfolgende Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis sowie auch die nach-<br />

folgenden empirische Betrachtung prägen vorgestellt.<br />

117


118<br />

4.1 Die Strukturationstheorie<br />

von Anthony Giddens<br />

4. Grundsteine organisationaler<br />

Theoriegebäude<br />

4.3 Fazit und Implikationen eines<br />

strukturations- und systemtheoretischen<br />

Organisationsverständnisses<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

4.2 Systemtheorie<br />

Abbildung 25: Gedankenfluss Kapitel 4<br />

Ebenso wie die Theorie der Strukturierung befasst sich auch die Systemtheorie mit der<br />

Art und Weise, wie soziale Systeme (Familien, Organisationen, Staaten)<br />

„funktionieren“. Die Anwendung systemtheoretischer Überlegungen im Rahmen des<br />

Managements und der Unternehmensführung ist dabei schon relativ weit verbreitet<br />

und findet u.a. im St. Galler Managementansatz seinen Niederschlag 287 .<br />

Die Ursprünge der Systemtheorie gehen auf die Biologie und Physiologie zurück 288<br />

und werden auch <strong>als</strong> Kybernetik 1. Ordnung bezeichnet. Diese befasste sich vor allem<br />

mit der Steuerung technischer Systeme. Im Mittelpunkt stand die Frage der Erhaltung<br />

des Gleichgewichts (Homöostase) durch die Angleichung eines Ist- an einen Soll-<br />

zustand. Das Verhalten von Systemen wurde dabei nicht auf Eigenschaften und<br />

Verhalten ihrer einzelnen Elemente reduziert, sondern durch das Zusammenwirken der<br />

Elemente (Emergenz) 289 verstanden. Damit rückten Verhaltensmuster von Systemen<br />

stärker in den Fokus des Interesses.<br />

Die Anwendungen, die sich daraus für den Bereich des Managements ergeben, kreisen<br />

vor allem um das Thema der Bewältigung und der Steuerung von komplexen<br />

Systemen, sowie die Vielschichtigkeit, Vernetzung und Folgelastigkeit von<br />

287 z.B. Rüegg-Stürm, 2001, Gomez, 1981; Probst, 1981; Schreyögg, 1999a;Selvini Palazolli, et al., 1995;<br />

Ulrich, 2001; Willke, 1991.<br />

288 Vgl. Bertalanffy und von Rappaport, 1956.<br />

289 Unter Emergenz versteht man das Zustandekommen von Eigenschaften auf höherer Ebene durch neu<br />

auftauchende Qualitäten im Zusammenspiel niederer Elemente. D.h. es sind nicht die bloßen Merkmale oder<br />

Eigenschaften der einzelnen Elemente eines Systems, die zu neuen Eigenschaften führen.


Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Entscheidungen in Organisationen. 290 Der Preis der generalisierenden Übertragung<br />

dieses technischen Modells in den Kontext sozialer Systeme besteht allerdings darin,<br />

dass u.a. die Wechselwirkungen zwischen dem angeblich unabhängigen Beobachter<br />

und dem System <strong>als</strong> dem Objekt seiner Beobachtung vernachlässigt wurden.<br />

4.2.1 Konstruktivistische Systemtheorie – ein Gedankenexperiment<br />

Um den Unterschied der neuen, konstruktivistischen, systemtheoretischen Ansätze<br />

sowie der Kybernetik 2. Ordnung darzustellen, wird der Leser nunmehr zu einem<br />

Gedankenexperiment eingeladen 291 :<br />

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen auf der Tribüne eines Stadions. Sie haben – aus<br />

welchen Gründen auch immer – noch nie etwas von Fußball gehört oder gesehen. Auf<br />

dem Spielfeld vor Ihnen findet gerade ein Fußballspiel statt – mit allem, was zu einem<br />

Fußballspiel gehört: 22 kurzbehoste Spieler, ein Schiedsrichter und ein Ball. Aller-<br />

dings tragen 21 Spieler, der Schiedsrichter und der Ball eine „selektive Tarnkappe“,<br />

d.h. Sie (der Zuschauer) können die Spieler nicht sehen, aber die Spieler können sich<br />

untereinander sehen.<br />

Was Sie jetzt auf dem Rasen beobachten, ist das merkwürdige Verhalten eines<br />

einzelnen Kurzbehosten: Er fällt hin, tritt Luftlöcher, reißt die Arme hoch oder bleibt<br />

wie eine Mauer stehen. Als Arzt oder Psychologe werden Sie sehr schnell zu biologi-<br />

schen oder intrapsychischen Erklärungen (Hirnfunktionsstörung, kompensatorische<br />

Überreaktion, o.ä.) greifen, um das sonderbare Phänomen zu ergründen. Die Erklä-<br />

rungen konzentrieren sich dabei auf das Innere des Kurzbehosten.<br />

Entfernen die Tarnkappenträger die Tarnkappen, dann ist das vorher unverständliche<br />

Verhalten nicht mehr lange erklärungsbedürftig. Vielmehr machen die Interaktionen<br />

zwischen den Beteiligten Sinn, weil Sie sie nun im Kontext (der Ball, die Tore und die<br />

anderen Spieler) beobachten können.<br />

Nach einer Weile, in der Sie auch noch die Regeln, nach denen die Interaktionen von-<br />

statten gehen, kennen gelernt haben, ist der Kurzbehoste für Sie keineswegs mehr ge-<br />

stört oder hirnorganisch defizitär. Er verhält sich im Rahmen des geregelten Spiels<br />

völlig normal.<br />

290 Vgl. Willke, 1991.<br />

291 Vgl. Schumacher, 2000; Witsch-Rothmund, 1997.<br />

119


120<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Plötzlich und völlig unerwartet fallen nun zwischen der 80sten und 85sten Minute<br />

hintereinander drei Eigentore durch den Kurzbehosten. Nun stellt sich allerdings<br />

wieder Erklärungsbedürftigkeit ein. Ist der Kurzbehoste eventuell doch gestört (wo-<br />

möglich liegt eine pathologische „Eigentorschusstendenz“ vor)? Oder gehört es<br />

vielleicht zu den Regeln des Spiels, gegen Ende Eigentore zu schießen?<br />

Mittlerweile haben neben Ihnen auf der Tribüne andere Zuschauer Platz genommen,<br />

die die Interna des Klubs kennen. Noch während des Spiels beginnen sie sich darüber<br />

zu unterhalten, dass der Kurzbehoste vor einiger Zeit ein teures Eigenheim erworben<br />

hat und die Rückzahlung des Kredits fällig sei. Außerdem sei der Sponsor der gegneri-<br />

schen Mannschaft einen Tag vor dem Spiel auf der Hausbank des Kurzbehosten<br />

gesehen worden.<br />

Nun sind Sie wieder ganz entspannt und brauchen weder an sich, am Kurzbehosten,<br />

noch an den Spielregeln zu zweifeln. Offensichtlich spielt der Kurzbehoste hier zwei<br />

Spiele gleichzeitig, und der Verlust in einem Spiel (im Fußballspiel) wird für ihn<br />

durch den Gewinn in dem anderen „Spiel“ (Durch das Bestechungsgeld zahle ich<br />

möglichst günstig den Kredit zurück) übertroffen.<br />

Soweit das Gedankenexperiment. Anhand dieser Metapher lässt sich verdeutlichen,<br />

was im Folgenden unter dem Begriff „System“ bzw. „systemisch“ verstanden wird:<br />

1. „Ein System ist nicht ein Etwas, das dem Beobachter präsentiert wird. Es ist ein<br />

Etwas, das von ihm erkannt wird“. 292 In Anlehnung an diese konstruktivistische<br />

Überzeugung gilt, dass es ein System an sich nicht gibt, sondern Systeme werden<br />

vom Beobachter durch den <strong>Prozess</strong> der Unterscheidung „hergestellt“. Der <strong>Prozess</strong><br />

der Unterscheidung zwischen System und Umwelt bedeutet eine Reduzierung der<br />

Wirklichkeitskomplexität und führt zur Konstruktion einer „Landkarte“ oder eines<br />

subjektiven Bildes, das Handlungsleitlinien bietet. Die Grenzziehungen zwischen<br />

System und Umwelt orientieren sich dabei häufig nur am beobachtbaren Verhalten<br />

und lassen unter Umständen weitere wichtige Informationen außer acht.<br />

Im Rahmen des Experiments, bei dem anfangs nur der Kurzbehoste und sein Ver-<br />

halten zu beobachten sind, und die „systemischen Strukturen" außerhalb des<br />

Beobachtungsbereichs bleiben, wird die Bedeutung der Systemgrenze nachvoll-<br />

ziehbar. Indem die Tarnkappen entfernt werden und die Information über den<br />

292 Vgl. Maturana, 1982.


Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Kredit bekannt wird, werden die Systemgrenzen erweitert und es kommt zu einer<br />

deutlichen Veränderung der „inneren Landkarte“.<br />

2. Wie die Spielmetapher deutlich macht, erklären Regeln zwischen Menschen die<br />

Verhaltensweisen häufig plausibler <strong>als</strong> individuelle Merkmale des einzelnen<br />

Menschen. Allgemein formuliert, besteht ein System aus den Systemelementen und<br />

den Interaktionen zwischen den Systemelementen, wie z.B. hier den Mitgliedern<br />

einer Mannschaft, Familienmitgliedern oder den Mitarbeitern einer Abteilung. Das<br />

System ist dabei mehr <strong>als</strong> die Summe der einzelnen Komponenten.<br />

Im Mittelpunkt der systemischen Betrachtung stehen deshalb Strukturen, Muster<br />

oder (Spiel)-Regeln, die das gezeigte Verhalten nachvollziehbar machen. So ist es<br />

im Rahmen des Systems „Fußballmannschaft“ verpönt, den Ball in die Hand zu<br />

nehmen oder andere Spieler anzuspucken, ganz gleich welche individuellen Merk-<br />

male einzelne Spieler aufweisen.<br />

3. Ein weiteres Merkmal eines Systems kann am Zustandekommen eines Tores<br />

verdeutlicht werden. Was ist die Ursache eines Torerfolgs? Der Abstoß des Tor-<br />

warts, die Flanke des Linksaußen oder doch der Torschuss des Mittelstürmers? Der<br />

Mittelstürmer ist autonom und selbst verantwortlich dafür, was er mit der Flanke<br />

macht (was Mittelstürmer zum Leidwesen der Zuschauer schon oft gezeigt haben),<br />

gleichzeitig aber auf eine gute Flanke angewiesen. Die gute Flanke bedarf aber<br />

eines guten Flankenlaufs usw.... Systemische <strong>Prozess</strong>e können nicht eindi-<br />

mensional-kausal, sondern nur zirkulär und rekursiv verstanden werden.<br />

4. Schließlich wird am Beispiel des Beobachters klar, dass die zusätzlichen Informa-<br />

tionen, die durch die Entfernung der Tarnkappen sichtbar werden, das Verhalten<br />

des Systems sinnvoll werden lassen. Im vorliegenden Fall werden durch das Sicht-<br />

barwerden des Balles und der anderen Spieler, sowie die Insider-Informationen<br />

über den Eigentorschützen, bisher ausgeblendete oder nicht bekannte<br />

Informationen verfügbar. Die Sichtbarmachung des Kontexts eines Verhaltens<br />

macht das Verhalten nachvollziehbar und plausibel.<br />

Eine systemische Betrachtung des Fußballspiels impliziert <strong>als</strong>o für die Untersuchung<br />

sozialer Systeme, dass man<br />

• die Unterscheidung des Systems von seiner Umwelt durch den Beobachter<br />

berücksichtigt und ein System nicht <strong>als</strong> dinglich gegeben, sondern <strong>als</strong> eine<br />

Unterscheidungs- und Interpretationsleistung auffasst,<br />

121


122<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

• Regeln, Muster und Strukturen des Systems erkennt und nicht Merkmale der<br />

Elemente analysiert bzw. Eigenschaften auf sie attribuiert<br />

• die Zirkularität und Rekursivität der <strong>Prozess</strong>e beachtet und Systemverhalten<br />

nicht in ein komplexitätsreduzierendes Ursache-Wirkungs-Schema zwängt<br />

• den Kontext des Systems beachtet bzw. einbezieht .<br />

Die nachfolgenden Kapitel werden versuchen, anhand dieser vier Punkte die<br />

systemische Auffassung, die dieser Arbeit zugrunde liegt, zu erläutern. Dies geschieht<br />

aus dem Verständnis heraus, dass es die Systemtheorie nicht gibt und dass im Rahmen<br />

dieser Arbeit vor allem die Analyse <strong>identitätsbildender</strong> Muster und <strong>Prozess</strong>e im<br />

Mittelpunkt der Betrachtung stehen.<br />

4.2.2 You can’t kiss a system - aber - Draw a Distinction 293<br />

Dem Lesenden, der die Übung zu Beginn dieses Buches gelöst hat, wird aufgefallen<br />

sein, dass es nicht möglich ist, eine Linie im Raum zu ziehen und eine Seite zu benen-<br />

nen, ohne den eigenen Standpunkt im Raum zu berücksichtigen. 294 Eine Beobachtung<br />

kann, wie diese Übung zeigt, nicht unabhängig vom Beobachter gemacht werden. Im<br />

Mittelpunkt der neueren Systemtheorie und der Kybernetik 2. Ordnung stehen deshalb<br />

<strong>Prozess</strong>e der Beobachtung, Wahrnehmung und Interpretation. 295 In Anlehnung an<br />

SPENCER BROWN kann der systemkonstituierende <strong>Prozess</strong> der Beobachtung <strong>als</strong><br />

<strong>Prozess</strong> der Unterscheidung verstanden werden. 296<br />

GEORGE SPENCER BROWN beginnt die Entwicklung seines Unterscheidungskalküls in<br />

den „Laws of Form” mit der Anweisung “Draw a distinction”. 297 Nach SPENCER<br />

BROWN ist der Akt des Unterscheidens die grundlegende „form-gebende“ und<br />

„informierende“ Operation. Das Ergebnis dieser Operation ist ein Unterschied, der<br />

293 Bei diesem Ausspruch handelt es sich nach Aussage von Fritz Simon um eine systemische „Bauernweisheit“.<br />

Quelle: Persönliche Mitteilung anlässlich des Rheintal Symposiums im April 2002.<br />

294 Vgl. Einstiegsübung zur Unterscheidung zweier Seiten in einem Raum.<br />

295 Im Mittelpunkt der Kybernetik 2. Ordnung steht <strong>als</strong>o die Untersuchung des Systems „Untersuchtes System<br />

plus Beobachter“ Simon, 1992.<br />

296 Vgl. Spencer Brown, 1967.<br />

297 Diese Anweisung besteht aus drei Elementen: Dem Ziehen einer Grenze, dem Markieren einer Seite und dem<br />

Benennen einer Seite vgl. Simon, 1992.


Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

einen Unterschied macht für denjenigen, der die Unterscheidung trifft. 298 Nach<br />

BATESON ist dieser Unterschied, der einen Unterschied macht, die Definition einer<br />

Information. 299 Zum Urheber der Informationen wird damit das erkennende System<br />

selbst - und nicht die Umwelt oder das erkannte System <strong>als</strong> Objekt der Beobachtung.<br />

Nur das erkennende System kann Unterscheidungen treffen und damit Informationen<br />

generieren.<br />

BATESON vergleicht den Erkenntnisprozess mit dem Erstellen einer Landkarte. „Was<br />

vom Territorium gelangt in die Karte? Wir wissen, dass das Territorium nicht selbst in<br />

die Karte geklebt wird. Das ist der zentrale Punkt, über den wir uns hier alle einig sind.<br />

Wäre nun das Territorium einförmig, so würden nur seine Grenzen in der Karte auf-<br />

tauchen, da sie die Punkte sind, an denen es gegenüber einer größeren Matrix aufhört,<br />

einförmig zu sein. Was <strong>als</strong>o in die Karte gelangt, ist in der Tat ein Unterschied. Sei es<br />

ein Unterschied der Höhe, der Vegetation, der Bevölkerungsstruktur, der Oberfläche<br />

oder was auch immer. Was in die Karte kommt, sind Unterschiede". 300<br />

Was bedeutet das für die hier betrachteten organisationalen Systeme? An der von<br />

BATESON verwendeten Landkarten-Analogie lassen sich die Implikationen dieser<br />

Sichtweise aufzeigen 301 : Wenn ein Kartograph zwischen Wasser/Nicht-Wasser unter-<br />

scheidet, so wird seine Karte Meere, Flüsse, Seen, Inseln und Festland enthalten. Ein<br />

„ökologischer Kartograph“ wird z.B. zwischen „seltene Arten vorhanden/nicht vor-<br />

handen“ differenzieren, während ein „ökonomischer Kartograph“ die Erde in „be-<br />

stimmte Rohstoffe vorhanden/nicht vorhanden“ einteilen wird. Entscheidend ist dabei<br />

jeweils, dass der Akt der Unterscheidung erst die Information erzeugt. So lange<br />

zwischen giftigem Brunnenwasser und nicht giftigem Brunnenwasser keine Grenze<br />

eingeführt ist, „gibt es“, wie bereits dargelegt wurde, kein vergiftetes Brunnen-<br />

wasser. 302<br />

298 Vgl. Für eine ausführlichere Beschäftigung mit den Grundgedanken von Spencer Brown u.a. Simon, 1992;<br />

Varga von Kibéd und Matzka, 1993.<br />

299 Vgl. Bateson, 1981, S. 580. Die Landkartenmetapher stammt ursprünglich von Alfred Korzybski (Korzybski,<br />

1980). Sie stellt einen der ersten auch formal ausgestalteten Modelltheorien dar.<br />

300 Vgl. Bateson, 1981.<br />

301 Allerdings ist an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass „die Karte nicht das Gelände ist“, dass das Symbol<br />

nicht das Ding ist (Hayakawa, 1961).<br />

302 Vgl. dazu das Beispiel zum vergifteten Wasser in Kapitel 3.1. S. 17.<br />

123


124<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Daraus folgt, dass Systeme nicht <strong>als</strong> dingliche Gegebenheiten angesehen werden<br />

können, sondern sie entstehen und existieren nur in der rekursiven Beziehung zu dem<br />

sie konstituierenden bzw. unterscheidenden Beobachter. Ein System wird etabliert<br />

durch den <strong>Prozess</strong> der Unterscheidung und Grenzziehung zwischen System und Um-<br />

welt und existiert nicht ohne den Beobachter. Dieser Vorgang des „sich-von-der-Um-<br />

welt-differenzierens“ verleiht dem System aber auch erst seine Identität. 303<br />

Betrachtet man eine Beobachtung <strong>als</strong> eine Operation, die eine Unterscheidung einführt<br />

und eine Seite bezeichnet, führt das zu der Frage nach der Unterscheidung selbst.<br />

Wenn Beobachten unterscheiden ist, bleibt die Unterscheidung selbst dabei unbe-<br />

obachtet. Die Unterscheidung ist der blinde Fleck, der in jeder Beobachtung <strong>als</strong> Be-<br />

dingung ihrer Möglichkeit vorausgesetzt ist. Anders ausgedrückt: Der Beobachter ist<br />

der Parasit seines Beobachtens. 304 Auch der Beobachter zweiter Ordnung, der sich auf<br />

das Nichtbeobachtete der Beobachtung erster Ordnung konzentriert, hat seinerseits<br />

keine Möglichkeit, seine eigene Unterscheidungen, die er quasi blind einsetzt, gleich-<br />

zeitig zu beobachten.<br />

Was bedeutet das nun für soziale Systeme und die Beobachtung (latenter) organisatio-<br />

naler Strukturen? Für LUHMANN zeigt die Beschäftigung mit latenten Strukturen einen<br />

erheblichen epistemologischen Nachholbedarf. Wie kann ein Subjekt die Wahrheit<br />

eines anderen auf wahre Weise <strong>als</strong> unwahr bezeichnen? Das Problem der Beobachtung<br />

latenter Strukturen oder impliziten Wissens wird damit zur Frage, wie man Unter-<br />

scheidungen bzw. Differenzschemata beobachten kann. Schließlich verwendet der<br />

Beobachter seine Unterscheidungen, um etwas zu bezeichnen. Sie sind aber im<br />

Moment ihrer operativen Verwendung unbeobachtbar. 305<br />

Um den „blinden Fleck“, die Latenz, das Implizite zu externalisieren, müsste in einem<br />

ersten Schritt die Frage gestellt werden, durch welche Unterscheidungen der Beob-<br />

achter eigentlich beobachtet. Eine solche Beobachtung und der Diskurs darüber kann<br />

nur auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung erfolgen. Die Frage nach den<br />

verwendeten Unterscheidungen zielt demnach auf die Beobachtung des Unter-<br />

303 Vgl. Luhmann, 1984, Reckwitz, 1997a.<br />

304 Vgl. Serres, 1981.<br />

305 Vgl. zur Bildung von Unterscheidungen im strategischen Kontext die Definition eines Geschäftsfelds mittels<br />

einer Portfolioanalyse bei Kasper, et al., 1998.


Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

scheidungskriteriums, welches für den Beobachter in der Beobachtung latent bleibt,<br />

was er – möglicherweise unerkannt – voraussetzt. 306<br />

Die Beobachtung der Latenzen hat die Funktion Irrtümer aufzudecken und<br />

Entlarvungen vorzunehmen, ohne aber im Stile eines Romanlesers den Helden zu<br />

beobachten, wie er blind in sein Schicksal läuft. Eine solche Positionen des<br />

„Besserwissens“ und der damit verbundenen Autorität ist nicht die Position, die für<br />

das vorliegende Forschungsprojekt angestrebt wird. Es geht vielmehr um die Frage,<br />

wie eine Organisation über die eigenen Unterscheidungen hinauskommen kann: Wie<br />

Unterscheidungskriterien, die im Latenzbereich des Impliziten liegen, sichtbar<br />

gemacht werden können, und schließlich: wie neue Unterscheidungen von einem<br />

System assimiliert werden können.<br />

Das folgende Kapitel wird Hinweise geben, wie die Handhabung von Unter-<br />

scheidungen in sozialen Systemen erfolgt. Von zentraler Bedeutung sind dabei Regeln<br />

<strong>als</strong> Beschreibungen eines Beobachters, die Unterscheidungen beinhalten und Hand-<br />

lungshinweise geben. So trifft etwa die Regel „über Emotionen wird in dieser<br />

Organisation nicht gesprochen“ eine Unterscheidung und gibt gleichzeitig einen<br />

Handlungshinweis. Solche Regeln können explizit ausgesprochen sein, oder nur<br />

implizit bestehen. Dann werden Sie häufig erst deutlich, wenn Sie übertreten werden.<br />

4.2.3 Regeln, Muster und Strukturen in Systemen<br />

Bereits im Rahmen der Behandlung der Strukturationstheorie ist die handlungsleitende<br />

und –ermöglichende Bedeutung von Regeln angedeutet worden. WEICK weist darauf<br />

hin, dass es nicht Inhalte sondern Beziehungsregeln und -muster in Systemen sind, die<br />

Ereignissen in Organisationen Ordnung verleihen. Sie sind damit auch der Ort, an dem<br />

der <strong>Wandel</strong> der bestehenden Ordnung herbeigeführt werden kann. 307 Warum müssen<br />

aber gerade Regeln und Muster in Organisationen gewandelt werden, damit sich<br />

individuelle Handlungen ändern?<br />

Wenn „Organisationen handeln“ dann sind es stets Individuen, die bestimmte Tätigkeit<br />

ausführen und jedes Handeln, dass einer Organisation zugeschrieben wird, kann in<br />

306 An dieser Stelle drängt sich eine Parallele zur Strukturationstheorie von Antony Giddens auf: Auch bei<br />

Giddens beeinflussen unerkannte Handlungsvoraussetzungen maßgeblich das Ergebnis der Handlung<br />

(Giddens, 1997).<br />

307 Vgl. Weick, 1985a.<br />

125


126<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

individuelle Handlungen zerlegt werden. Entscheidend ist allerdings, dass die indivi-<br />

duellen Aktivitäten ein Muster und damit einen Sinn ergeben. Dieses Muster kann<br />

einen Wechsel des Person<strong>als</strong> oder auch gewisse Abwandlungen überdauern. Diese Be-<br />

ständigkeit der Muster, auch über den Wechsel der Organisationsmitglieder hinaus,<br />

stellt einen Unterschied zu anderen Systemen wie beispielsweise Familien oder einer<br />

Patient-Therapeut-Beziehung dar.<br />

Spricht man von organisationalem Handeln, dann werden dadurch die Muster der<br />

Interaktionen, die Regeln und die Struktur betont und nicht die persönlichen Eigen-<br />

schaften einzelner Individuen, die zu den Ergebnissen führen. 308<br />

Was sind aber diese Strukturen, Regeln und Muster? Welche Qualitäten weisen sie<br />

auf? Strukturen, Regeln und Muster werden im Rahmen dieser Arbeit <strong>als</strong> kollektive<br />

kommunikations- und handlungsleitende Sinnkonstruktionen aufgefasst. 309 Dieses<br />

sozialisierte Wissen bleibt in der Regel implizit. 310 Da der Fokus dieser Arbeit auf der<br />

Ebene des organisationalen <strong>Wandel</strong>s liegt, sind insbesondere die kollektiven und<br />

impliziten Sinn- und Wissensstrukturen von Interesse. Diese Strukturen ermöglichen<br />

organisationales Handeln und schränken es gleichzeitig ein.<br />

Das organisationale Handeln besteht zwar aus einer Reihe von individuellen<br />

Handlungen, kann aber in seiner Gesamtheit nur <strong>als</strong> ein kollektiver „<strong>Prozess</strong> des<br />

Organisierens“ verstanden werden. 311 Die handlungsleitende und identitätsstiftende<br />

Ebene für diesen kontinuierlichen Handlungsstrom ist die Ebene der organisationalen<br />

Regeln, Muster oder Strukturen. Organisationaler <strong>Wandel</strong> bedarf daher vor allem der<br />

Veränderung von Strukturen 312 und führt i.d.R. auch zur Veränderungen der Identität.<br />

Die Betonung von Strukturen und Mustern impliziert die Frage, wie Veränderungen in<br />

einem System vonstatten gehen können. Wie müssen Ereignisse oder Handlungen be-<br />

schaffen sein, damit sie zur Veränderung von Strukturen und Handlungsmustern<br />

führen?<br />

308 Vgl. ebenda.<br />

309 Vgl. Learning Dynamics, 1999.<br />

310 Vgl. Reckwitz, 1997a.<br />

311 Vgl. Weick, 1985a.<br />

312 Diese kann aus strukturationstheoretischer Sicht natürlich nicht von einer Änderung der Handlung getrennt<br />

werden.


Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

WEIZSÄCKER unterscheidet Handlungen und Ereignisse anhand des pragmatischen<br />

Werts der Information. Unter einer pragmatischen Information versteht er das<br />

Ausmaß, in dem eine Handlung oder ein Ereignis Erstmaligkeit und Bestätigung ent-<br />

hält.<br />

Erstmaligkeit stellt dabei das Ausmaß an Unterschiedlichkeit dar, den das Ereignis für<br />

die bestehenden (Erwartungs-)Strukturen darstellt. „Wo keine Erstmaligkeit ist, ... ist...<br />

auch praktisch keine Information“. 313 In diesem Sinne enthält auch BATESONS<br />

Informationsbegriff - „a difference that makes a difference“ 314 - die von Weizsäcker<br />

geforderte Erstmaligkeit, da er einen relevanten Unterschied gegenüber den beste-<br />

henden Strukturen enthält.<br />

Bestätigung stellt auf der anderen Seite die notwendige Voraussetzung dafür dar, dass<br />

eine Information anschlussfähig an bestehende Strukturen ist und überhaupt<br />

verstanden wird. Auch dieser Aspekt ist im BATESON´schen Informationsbegriff ange-<br />

legt, wenn er betont, dass der Unterschied für den Beobachter einen Unterschied<br />

machen muss.<br />

Pragmatischer<br />

Wert der<br />

Information<br />

Maximaler pragmatischer<br />

Wert der Information =<br />

Höchste Wahrscheinlichkeit<br />

der Umsetzung<br />

0% Erstmaligkeit 100%<br />

100% Bestätigung 0%<br />

Abbildung 26: Pragmatischer Wert der Information auf dem Kontinuum von Erstmaligkeit und<br />

Bestätigung<br />

(in Anlehnung an: E.U. v. (Weizsäcker, 1986, S. 99)<br />

313 Vgl. Weizsäcker, 1986.<br />

314 Vgl. Bateson, 1981.<br />

127


128<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Somit stellt erst ein ausreichendes Ausmaß an Erstmaligkeit und Bestätigung eine<br />

potenziell verändernde Information dar. Dieser Zusammenhang lässt sich nach<br />

WEIZSÄCKER auf einem Kontinuum darstellen.<br />

<strong>Wandel</strong> in einem System wird von solchen Handlungen und Ereignissen unterstützt,<br />

die in Verbindung mit der Vergangenheit stehen und gleichzeitig neue Informationen<br />

enthalten, <strong>als</strong>o einen Unterscheid gegenüber der Vergangenheit machen. Die<br />

Information muss neue Informationen mit dem existierenden Handlungsstrom verbin-<br />

den. Dadurch können sowohl das “not-invented-here-syndrome”(zu neu) <strong>als</strong> auch das<br />

“das kennen wir doch schon seit Jahren” (zu bekannt) <strong>als</strong> Reaktion vermieden werden.<br />

Handlungen oder Ereignisse können <strong>als</strong>o <strong>als</strong> Irritationen der existierenden Erwartungs-<br />

strukturen des Systems interpretiert werden. 315 Die Irritation kann zu einer Verände-<br />

rung der Organisation führen, wenn die Organisation die neue Information assimilie-<br />

ren kann. Entscheidend für die Veränderung von Strukturen oder die Assimilation<br />

neuer Informationen ist nach WEIZSÄCKER die Höhe des pragmatischen Werts der<br />

Information in der Kombination von Bestätigung und Erneuerung. 316<br />

Was löst aber eine solche irritierende Information oder ein anschlussfähiges Ereignis<br />

in einem System aus? Wie „funktioniert“ <strong>Wandel</strong> in einem System? Gibt es<br />

möglicherweise doch einen Auslöser oder eine Ursache der zum <strong>Wandel</strong> in Systemen<br />

führt?<br />

4.2.4 Von der Kausalität zur Interdependenz<br />

Der Glaube an den Kausalnexus ist ein Aberglaube.<br />

Wittgenstein<br />

Auch wenn Aspirin gegen Kopfschmerzen hilft, so ist Kopfschmerz<br />

nicht auf einen Mangel an Aspirin zurückzuführen.<br />

Nach Matthias Varga von Kibéd<br />

Wie in den beiden vorhergehenden Kapiteln beschrieben, kann das System zum einen<br />

nicht losgelöst vom Beobachter betrachtet werden und sind zum anderen die Muster<br />

oder Regeln der wechselseitig verbundenen Elemente entscheidend für das gesamten<br />

Systemverhalten. Veränderungen in einem Teilbereich des Systems bringen aufgrund<br />

der Interdependenz zwischen den Systemelementen auch Veränderungen in einem<br />

anderen Bereich mit sich.<br />

315 Vgl. Luhmann, 1997.


Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Die systemische Perspektive erlaubt es durchaus, logische Verknüpfungen und Gesetz-<br />

mäßigkeiten zu beschreiben. Allerdings können nicht einem Element des Systems<br />

Verantwortung oder Schuld im Sinne einer kausalen Erklärung zugeschrieben werden.<br />

Die Elemente stehen in einem Bedingungsgefüge und in Wechselbeziehung zuein-<br />

ander. Dementsprechend müssen die Relationen und Regeln des Systems untersucht<br />

werden. 317<br />

Betrachtet man in diesem Sinne Systeme <strong>als</strong> interdependente <strong>Prozess</strong>e, dann stellt<br />

Kausalität einen Versuch der Komplexitätsreduzierung durch den Beobachter dar.<br />

VON SCHLIPPE und SCHWEITZER bringen den Aspekt auf den Punkt: „Kausalität gibt<br />

es nur in unserem Kopf, nicht da draußen“. 318<br />

BATESON schlägt zur Unterscheidung dieser Formen der Epistemologie die Begriffe<br />

„lineal“ und „non-lineal“ vor 319 . Während lineale Formen der Epistemologie einer<br />

reduktionistischen, akontextuellen und analytischen Logik folgen, betonen non-lineale<br />

Formen der Epistemologie die Bedeutung von Systemen, Relationen und<br />

Kontexten. 320<br />

Die Frage ob es Kausalität gibt oder nicht, ob Ereignis A oder Person A für etwas<br />

kausal verantwortlich ist, wird damit nicht eine Frage von richtig oder f<strong>als</strong>ch, sondern<br />

eine Frage der Pragmatik, der Beschreibung und der zugrundeliegenden<br />

Epistemologie.<br />

Im Rahmen der konstruktivistischen Systemtheorie tritt an die Stelle der Suche nach<br />

Ursachen die Beschreibung von Mustern, ohne dabei auf eine determinierende Größe<br />

abzustellen.<br />

In eine solche Beschreibung kann sowohl die Position des Beobachters <strong>als</strong> auch die<br />

Ganzheit der Elemente, die im System in einem Bedingungsgefüge in Wechselbe-<br />

ziehungen stehen, mit einbezogen werden. Gerade die Einbeziehung dieser non-<br />

linealen Beziehungen eröffnet die Möglichkeit den Sinn einer Handlung neu zu<br />

begreifen. Der nachfolgende Exkurs zur Schismogenese liefert dazu ein eindrückliches<br />

316 Vgl. Weizsäcker, 1986.<br />

317 Vgl. Ashby, 1956.<br />

318 Vgl. von Schlippe, 1997, S. 91.<br />

319 Vgl. Bateson, 1979.<br />

320 Vgl. Keeney, 1983.<br />

129


130<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Beispiel, welches gerade für den Fall der Berührung zweier Organisationskulturen<br />

relevant erscheint.<br />

Exkurs Schismogenese<br />

Als Beispiel der interdependenten Systemprozesse, die bei der Berührung zweier<br />

Kulturen stattfinden können, beschreibt BATESON die sogenannte Schismogenese. Es<br />

handelt sich hierbei um einen <strong>Prozess</strong> der zunehmenden Gruppendifferenzierung, der<br />

zu einer fortschreitenden Verstärkung des vorhandenen Interaktionsmusters führt. Im<br />

Verlauf dieses <strong>Prozess</strong>es werden die vorhandenen symmetrischen oder komplemen-<br />

tären Beziehungen noch verstärkt. Dies beruht auf der ungedämpften oder un-<br />

korrigierten positiven Rückkopplung in einem System und kann in Beziehungen zu<br />

katastrophalem Ausgang führen. 321<br />

Symmetrische Beziehungen sind gleichwertige Beziehungen mit gleichen kollektiven<br />

Verhaltensweisen zwischen den beteiligten Gruppen, komplementäre Beziehungen<br />

sind ungleichgewichtige Beziehungen und weisen ungleiche kollektive Verhaltens-<br />

weisen zwischen den Gruppen auf.<br />

Muster der Organisation A Muster der Organisation B<br />

Abbildung 27: Schismogenetische Eskalation<br />

Beispiele aus dem Bereich der Berührung zweier Kulturen finden sich im Organisati-<br />

onsbereich natürlich bei der Fusion zweier Organisationen. Unter Umständen werden<br />

Unterschiede dabei zusätzlich betont, wenn die Vorgehensweise nach dem Motto „das<br />

bessere System, die besseren Mitarbeiter werden behalten“ zusätzlich angeheizt wird.<br />

Setzt der <strong>Prozess</strong> der Schismogenese ein, so kommt es in der symmetrischen<br />

Beziehung zur Eskalation, in der komplementären zur Erstarrung.<br />

Die Lösung liegt für BATESON darin, dass sich die beiden Gruppen gegenüber einem<br />

äußeren Element wie einer gemeinsamen Herausforderung, Bedrohung oder allge-<br />

meiner einem Problem oder einer Aufgabe, zusammenschließen: Einschränkende Be-<br />

dingungen können <strong>als</strong>o gemeinsame Initiativen oder gemeinsame Abhängigkeiten<br />

321 Vgl. Bateson, 1981.


Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

sein, von denen die Existenz aller abhängt. 322 Fallen die einschränkenden<br />

Bedingungen weg, beginnt die Schismogenese. BATESON resümiert: Löwe und Lamm<br />

legen sich zusammen hin, wenn es nur stark genug regnet. 323<br />

z.B. gemeinsames<br />

strategisches Projekt<br />

Muster der Organisation A Muster der Organisation B<br />

Abbildung 28: Einschränkung schismogenetischer Reaktionen<br />

Da es sich bei der Schismogenese um einen durch Wechselbeziehungen zwischen<br />

Individuen oder Gruppen verursachten Differenzierungsprozess der Normen und des<br />

Verhaltens handelt, liegt es nahe, solche <strong>Prozess</strong>e bei der Berührung oder gar der<br />

Integration von zwei Organisationen auf ein Drittes verbindendes Element, eine<br />

Aufgabe oder einen Sinn auszurichten. Ein solches Drittes können auch die, in dieser<br />

Arbeit untersuchten, <strong>Wandel</strong>initiativen darstellen.<br />

4.2.5 „Und was fast vergessen worden wäre“ - der Kontext des Systems<br />

Es treffen sich zwei Rechtsanwälte. Fragt der eine: „Wie geht´s?“<br />

sagt der andere: „Schlecht! Ich kann nicht klagen!“<br />

In dem Witz über die beiden Rechtsanwälte wird entgegen unserer alltäglichen Erfah-<br />

rung die Antwort „schlecht“ <strong>als</strong> eine gute Nachricht verstanden. Die voreilige Über-<br />

tragung aus dem für uns gewohnten Kontext erfährt in diesem Fall eine Umdeutung.<br />

Bei der Übertragung einer Aussage oder eines Verhaltens von einem Kontext auf einen<br />

anderen kann es zu völlig neuen Bedeutungen kommen. Auf diesen Zusammenhang<br />

macht auch LEONARD-BARTON aufmerksam, wenn sie aufzeigt, dass organisationale<br />

Fähigkeiten in einem Kontext „Core capabilities“ und in einem veränderten Umfeld<br />

„Core rigidities“ darstellen können. 324 Die Bedeutung der Fähigkeiten hängt für die<br />

322 Für den Bereich der Organisationen haben deshalb strategische Initiativen mit einer großen Bedeutung für<br />

die gesamte Organisation das Potenzial zur Überwindung schismogenetischer Reaktionen.<br />

323 Vgl. Bateson, 1981.<br />

324 Vgl. Leonard-Barton, 1992.<br />

131


132<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Organisation dabei von Markt- und Wettbewerbssituationen, technologischen Ent-<br />

wicklungen u.a. Rahmenbedingungen ab. Auch PETTIGREW weist in seinem kontextu-<br />

alistischen Ansatz auf die ermöglichende aber auch einschränkende Bedeutung des<br />

Kontexts für organisationales Handeln hin. 325<br />

SPARRER und VARGA VON KIBÉD bieten im Rahmen der Erörterung der verschiedenen<br />

Positionen des Tetralemmas 326 eine Differenzierung des Kontexts an. Aspekte des<br />

Kontexts können dabei im vergangenen, zukünftigen und gegenwärtigen Kontext –<br />

dem blinden Fleck – oder dem zeitlosen Kontext (Sinnhaftigkeitskontext) liegen. Das<br />

Zustandekommen bestimmter Dilemmata oder Verhaltensweisen kann allerdings<br />

häufig durch die Berücksichtigung des entsprechenden Kontexts erklärt werden. 327<br />

Beispielsweise kann die Nichtlösung eines bestimmten Problems oder das<br />

Aufschieben bestimmter Entscheidungen in einer Organisation auf schmerzliche<br />

Erfahrungen in der Vergangenheit oder schwierige Konsequenzen in der Zukunft<br />

zurückgeführt werden.<br />

BATESON macht deutlich, dass nur durch die Beachtung des Kontexts die Mitteilungen<br />

verständlich werden. Bedeutung und Sinn entsteht erst dann, wenn man sie in einem<br />

bestimmten Kontext stellt. Ohne Kontext haben Worte und Handlungen keine Bedeu-<br />

tung. Anders ausgedrückt stellt der Kontext stets den (häufig ausgeblendeten)<br />

Handlungshintergrund zum Handlungsvordergrund dar. 328<br />

4.2.6 Die Operation der Unterscheidung <strong>als</strong> Ausgangspunkt der Systembildung<br />

Nachdem in den ersten fünf Abschnitten die vier „Bestandteile“ eines Systems<br />

(Systemgrenze, Interaktionsmuster, Rekursivität und Kontext) erläutert worden sind,<br />

soll nun kurz auf den <strong>Prozess</strong> der Systembildung eingegangen werden. Damit wird<br />

übergeleitet zum abschließenden Kapitel, in dem Systemprinzipien dargestellt werden,<br />

die die Erfordernisse eines Systems nach Existenz, Wachstum, Fortpflanzung,<br />

325 Vgl. Kap. 3.3.3.<br />

326 Vgl. Kap. 1.2. Bei dem Tetralemma handelt es sich um ein <strong>Prozess</strong>schema zur Behandlung von Dilemmata.<br />

327 Fragen zur Klärung der Kontextbedeutung können beispielsweise mit Hilfe von Fragen wie „Wie kam es zu<br />

diesem Dilemma/Verhalten etc.? Was wäre danach dran? Was sehen Sie gerade nicht? Was erhält durch das<br />

Dilemma/Verhalten Sinn?“ geklärt werden. Vgl. Varga von Kibéd und Sparrer, 2000a.<br />

328 Vgl. dazu auch die Analogien der Kontextpositionen in den verschiedenen Aufstellungsgrammatiken von<br />

Sparrer und Varga von Kibéd. So können Ähnlichkeiten zwischen dem ausgeblendeten Thema, dem<br />

verdeckten Gewinn und dem Kontext eines Problems gesehen werden. Vgl. ebenda.


Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Immunsystembildung und Individuation verdeutlichen. 329 Sie spiegeln eine<br />

Orientierung eines Systems wieder und stellen einen Orientierungsrahmen für <strong>Wandel</strong>-<br />

prozesse von Systemen dar.<br />

Von zentraler Bedeutung für das Verständnis des Systembildungsprozesses ist der Be-<br />

obachtungsprozess, welcher hier mit SPENCER BROWN 330 <strong>als</strong> ein <strong>Prozess</strong> der Unter-<br />

schieds- und Hinweisbildung verstanden wird. Der Beobachtungsprozess setzt bei<br />

einem einzelnen Ereignis und dessen Relationen zu anderen Ereignissen an. Ereignisse<br />

können definiert werden <strong>als</strong> Unterschiede in der Zeit, die einen Unterschied<br />

machen. 331 Entscheidend sind dabei aus Sicht des Systembildung nicht irgendwelche<br />

Unterschiede, sondern solche, die für eine Person oder ein System relevant sind. 332 .<br />

Nach Luhmann kann eine Beobachtung <strong>als</strong> der Vollzug einer Unterscheidung definiert<br />

werden. Varga von Kibéd differenziert vier Aspekte, die mit jeder Unterscheidung und<br />

damit auch mit jedem Hinweis verbunden sind: 333<br />

• das Innere (das, auf das hingewiesen werden soll und das bei der System-<br />

bildung <strong>als</strong> das System bezeichnet werden kann)<br />

• das Äußere (das, was von dem Inneren durch die Grenze getrennt ist und im<br />

Rahmen der Systembildung <strong>als</strong> Kontext bezeichnet werden kann)<br />

• die Grenze und der hiervon noch nicht unterschiedene <strong>Prozess</strong> der Grenz-<br />

ziehung<br />

• der implizite Kontext der Unterscheidung (das ist der Raum, der durch die<br />

Grenzziehung bei der Unterscheidung aufgespalten wird)<br />

Wichtig für das Verständnis der Unterscheidung ist die Anwendung eines Beweg-<br />

grunds (motive), eines Unterscheidungskriteriums. 334 Es bildet eine Möglichkeits-<br />

329 Vgl. Varga von Kibéd, 1998.<br />

330 Vgl. Spencer Brown, 1967.<br />

331 Vgl. Rüegg-Stürm, 2001, Simon, 1992.<br />

332 Vgl. Bateson, 1981.<br />

333 Vgl. Varga von Kibéd, 1993.<br />

334 An dieser Stelle ist es wichtig den von Spencer Brown verwendeten Begriff „motive“ im Sinne eines<br />

Unterscheidungskriteriums nicht mit dem individualpsychologischen Begriff des Motivs im Sinne eines<br />

Beweggrunds für ein Verhalten zu verwechseln.<br />

133


134<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

bedingung oder Voraussetzung für jede Unterscheidung. Nach LUHMANN stellt dieses<br />

Kriterium ein implizites Differenzschema dar, 335 welches auf das, was <strong>als</strong> verschieden<br />

gesehen wird, angewendet wird. Es führt dazu, dass unterschiedliche Inhalte oder<br />

wahrgenommene Verschiedenheiten <strong>als</strong> von unterschiedlichem Wert gesehen werden.<br />

VARGA VON KIBÉD und MATZKA bemerken hierzu: „Es ist wichtig, das Sehen von<br />

Verschiedenheit, genauer: das „<strong>als</strong> von verschiedenem Wert sehen“, nicht <strong>als</strong> Wahr-<br />

nehmung eines Unterschieds misszuverstehen“. 336 Erst wenn die Anwendung eines<br />

Beweggrundes die wahrgenommene Verschiedenheit (difference) zu einem relevanten<br />

Unterschied werden lässt, handelt es sich um einen relevanten Unterschied im Sinne<br />

einer distinction. Es kann somit eine Verschiedenheit durchaus auch <strong>als</strong> ein nicht rele-<br />

vanter Unterschied gesehen werden. 337<br />

Die zugrunde liegenden Differenzschemata – LUHMANN bezeichnet diese <strong>als</strong> latente<br />

Struktur 338 - wirken im <strong>Prozess</strong> der Beobachtung allerdings <strong>als</strong> rekursiv blinde<br />

Flecken. Die Anwendung des Differenzschemas führt i.d.R. wiederum zur Bestätigung<br />

der Unterscheidung bzw. der Struktur.<br />

Eine direkte Beobachtungen des angewandten Differenzschemas ist im Vollzug der<br />

Beobachtung nicht möglich. Dieser Umstand machte es erst zum blinden Fleck. Der<br />

blinde Fleck kann nur durch eine Beobachtung 2. Ordnung, das heißt eine<br />

Beobachtung der Beobachtung entdeckt werden. Mit dieser zweiten Beobachtung ist<br />

allerdings unweigerlich ein weiteres Differenzschema und damit ein weiterer blinder<br />

Fleck verbunden.<br />

Das Beobachten der Beobachtungen zielt auf die Externalisierung impliziter<br />

Strukturen ab. Die Externalisierung solcher Strukturen kann von zentraler Bedeutung<br />

für den organisationalen <strong>Wandel</strong> sein. Da die Unterscheidungen und die Anwendung<br />

von Differenzschemata <strong>als</strong> Grundlage für organisationale Regeln dienen, betrifft eine<br />

Veränderung der Unterscheidungen auch stets eine Veränderung der Regeln.<br />

335 Vgl. Luhmann, 1991.<br />

336 Vgl. Varga von Kibéd und Matzka, 1993.<br />

337 Nach Spencer Brown stellt Identifikation den Verzicht dar, in einer Verschiedenheit eine Unterscheidung zu<br />

sehen. Überträgt man diesen Gedanken auf dem Bereich der Integration von Organisationen, dann könnte<br />

man schließen, dass es für eine neue gemeinsame Identität vor allem um die Aufhebung von<br />

Unterscheidungen oder genauer gesagt um die Bereitschaft geht, Verschiedenheiten nicht automatisch <strong>als</strong><br />

von verschiedenen Wert zu sehen.<br />

338 Vgl. Luhmann, 1991.


Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Ein wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit der Veränderung der den Regeln<br />

zugrunde liegenden Unterscheidungen ist deren Kontextabhängigkeit. Beobachtungen<br />

2. Ordnung und Fähigkeiten zur Änderung der Regeln (Metafähigkeiten) müssen<br />

deshalb neben dem eigenen, impliziten Differenzschema auch den Kontext der<br />

jeweiligen Unterscheidung explizit berücksichtigen.<br />

Die Untersuchung der <strong>Wandel</strong>prozesse bedarf <strong>als</strong>o der Analyse der Veränderung der<br />

impliziten Spielregeln unter Berücksichtigung der Kontextveränderung eines Systems.<br />

Angesichts der nicht-linearen Zusammenhänge in Systemen können Instrumente zur<br />

Untersuchung dieser <strong>Wandel</strong>logiken i.d.R. allerdings allenfalls heuristischer Natur<br />

sein.<br />

Die nachfolgend beschriebenen Systemprinzipien stellen in diesem Sinne einen<br />

möglichen Suchfokus dar. Je nach Kontext einer Organisation werden dabei<br />

unterschiedliche Ausrichtungen (z.B. Wachstums-, Effizienzausrichtung) identifiziert,<br />

die auf systemischer Ebene entscheidende Hinweise zum Verständnis des Verhaltens<br />

einer Organisation geben können. Sie können somit <strong>als</strong> <strong>als</strong> Beobachtungsprinzipien<br />

verstanden werden, die bestehende implizite Diffenzschemata oder Motive zugänglich<br />

machen.<br />

4.2.7 Systemprinzipien der Systemischen Strukturaufstellungen und <strong>Prozess</strong>e<br />

der Musterunterbrechung<br />

Nachfolgend werden die Systemprinzipien vorgestellt, die von SPARRER und VARGA<br />

VON KIBÉD aus der Arbeit mit Strukturaufstellungen entwickelt wurden. Sie dienen im<br />

Rahmen dieser Arbeit <strong>als</strong> heuristische Prinzipien, die bei der Analyse der<br />

Systemstrukturen der Partnerorganisationen im anschließenden empirischen Teil An-<br />

wendung finden. Ihr besonderer Beitrag liegt dabei in der Explizierung von Hinter-<br />

grundannahmen und der Plausibilisierung empirischer Beobachtungen. Sie stellen eine<br />

Grammatik zum Verständnis von Organisationsverhalten und -muster dar, mit deren<br />

Hilfe Organisationsverhalten sinnvoll und nachvollziehbar wird.<br />

Die Systemprinzipien sind aufgrund ihrer Formulierung mit einer konstruktivistischen<br />

Auffassung vereinbar. So wird im Rahmen der nachfolgenden Strukturprüfung stets<br />

der Kontext des Systems berücksichtigt und angefragt, ob z.B. ein System wachstums-<br />

orientiert ist. Beispielsweise sind Warteschlangen ausschließlich wachstumsorientierte<br />

Systeme. Bei ihnen ist der zeitliche Eintritt in das System ausschlaggebend für den<br />

Platz eines Mitgliedes. Anders etwa bei der Gruppe der Gründer einer Unternehmung.<br />

135


136<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Hier kann man nicht mehr im Nachhinein Mitglied werden, und sollte die Gründung<br />

von allen gleichzeitig erfolgt sein, spielt auch die zeitliche Reihenfolge keine Rolle.<br />

Die Beachtung dieser heuristischen Prinzipien erfolgt im Rahmen dieser Arbeit im<br />

Sinne einer Prüfung: Wenn für ein System z.B. die Zugehörigkeitsorientierung oder<br />

Wachstumsorientierung relevant ist, dann sollte die Grenze <strong>als</strong> Ausdruck der Zugehö-<br />

rigkeit oder die zeitliche Reihenfolge <strong>als</strong> Ausdruck des Wachstums beachtet werden.<br />

Der Zusammenhang zwischen den Handlungsvoraussetzungen (z.B. Zugehörigkeits-<br />

orientierung oder zeitliche Reihenfolge) und eventuell nachteiligen Handlungsfolgen<br />

darf allerdings nicht linear-kausal gedacht werden. Es handelt sich hierbei um<br />

heuristische Prinzipien. Die Nichtbeachtung solcher Prinzipien kann - muss aber nicht<br />

zu nachteiligen Folgen im System führen. Es liegt <strong>als</strong>o kein Kaus<strong>als</strong>chluss vor.<br />

Das bedeutet: Bei der Nichtbeachtung impliziter Handlungsvoraussetzungen wie etwa<br />

der Zugehörigkeitsorientierung muss es nicht automatisch zu einem Zerfall des<br />

Systems kommen. Allerdings führt eine Veränderung der Regel, wie z. B. die Nichtan-<br />

erkennung der Zugehörigkeit oder einer Leistung (Handlung), u.U. zu problematischen<br />

Handlungen im System. Beispiele dazu finden sich in Kap. 7.1.<br />

Strukturprinzipien Handlungs- und <strong>Prozess</strong>prinzipien<br />

Recht auf Zugehörigkeit<br />

Zeitliche Reihenfolge<br />

Einsatz für das Ganze<br />

Leistung und Fähigkeit<br />

Anerkennen was wirkt<br />

Ausgleich von Geben<br />

und Nehmen<br />

Abbildung 29: Systemprinzipien in Anlehnung an<br />

(Varga von Kibéd und Sparrer, 2000a), (Sparrer und Varga von Kibéd, 1998)


Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

SPARRER und VARGA VON KIBÉD 339 haben mit den „systemischen Strukturauf-<br />

stellungen“ eine Methode entwickelt, die die Darstellung von Organisations- und<br />

anderen Systemkonstellationen analog zur Arbeit mit Familiensystemen ermöglicht 340 .<br />

Als „Grammatik“ für alle Arten von Aufstellungen formulierten sie die heuristischen<br />

Grund- und Metaprinzipien für den Erhalt und das Funktionieren von Systemen.<br />

Grundsätze, wie beispielsweise das Recht auf Zugehörigkeit und die zeitliche<br />

Reihenfolge, beschreiben danach Funktionsweisen in einem System und können im<br />

Rahmen von Strukturaufstellungen (Familien-, Organisations-, Problemaufstellungen,<br />

u.a.) beobachtet werden. 341<br />

Wird die Aufstellung <strong>als</strong> eine Unterbrechung der Muster der Wahrnehmung des Orga-<br />

nisationssystems verstanden, dann stellen die Grundprinzipien eine Beschreibung einer<br />

angemessenen Systemwahrnehmung ohne systemschädigende Dynamiken dar.<br />

SPARRER und VARGA VON KIBÉD gehen in ihrer Arbeit explizit von einem<br />

systematisch-ambigen (im Sinne eines systematisch-mehrdeutigen) Verständnis aus.<br />

Das systematisch-ambige Arbeitsverständnis bedeutet dabei: Wenn in der Aufstellung<br />

die Systemelemente etwa <strong>als</strong> Mitglieder einer Organisation benannt und aufgestellt<br />

sind, kann die Lösungsaufstellung sowohl für den aufgestellten Arbeitskontext des<br />

Mitglieds der Organisation wie auch für ähnlich strukturierte Kontexte (familiäre<br />

Konstellationen, Entscheidungs- oder Problemsituationen, u.a.) wirksam sein. Für<br />

Organisationen bedeutet das, dass man Musterähnlichkeiten auch in unterschiedlichen<br />

Kontexten (Abteilungen, Projekte, kritische Situationen, u.a.) wiederfinden kann. 342<br />

Diese Strukturähnlichkeiten der Beziehungsgefüge erlauben den Wechsel der<br />

Bedeutungsebene. Durch eine allgemeinere Formulierung der „Lösungssätze“ im<br />

Rahmen der <strong>Prozess</strong>arbeit kann die gleichzeitige Betrachtung beispielsweise mehrerer<br />

Subsysteme einer Organisation und die Verallgemeinerung der Lernprozesse im Sinne<br />

einer Übertragung in andere Kontexte erleichtert werden.<br />

339 Vgl. u.a. Varga von Kibéd, 1994, Varga von Kibéd und Sparrer, 2000a, Sparrer, 2001; Sparrer und Varga von<br />

Kibéd, 1998.<br />

340 Vgl. allgemein zur Arbeit mit Strukturaufstellungen sowie Familien- und Organisationsaufstellungen Varga<br />

von Kibéd und Sparrer, 2000a; Weber, 1997; Weber, 2000.<br />

341 Vgl. Varga von Kibéd, 1998. Prinzip 1, 2a und 2b gehen auf die Arbeit von Bert Helllinger (u.a. [Hellinger,<br />

1997 #430] zurück, sind aber von Varga von Kibéd Sparrer in Bezug auf die Systemexistenz, wachstum und<br />

–fortpflanzung konstruktivistisch interpretiert worden.<br />

342 Die Wirkung auf andere <strong>als</strong> die aufgestellten Systeme wurde empirisch untersucht in (Schumacher, 2000).<br />

137


138<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Nachfolgend werden die Grundprinzipien <strong>als</strong> „Theorie der Aufstellungsarbeit“ <strong>als</strong><br />

Gegenstand der Lernprozesse des Lernens II im Sinne von BATESON kurz vorge-<br />

stellt. 343 In Verbindung mit der Vorstellung eines systematisch-ambigen Arbeitens<br />

bedeutet die Anwendung der Prinzipien, dass ihre Anwendung auch in anderen<br />

Kontexten zu Veränderungen führen kann. Die im Folgenden angegebenen Nummern<br />

beziehen sich <strong>als</strong> Hinweise auf die Abfolge der Prinzipien in Abbildung 30.<br />

• Erstes Grundprinzip: Prinzip der Zugehörigkeitsregelung<br />

Jedes Systemmitglied hat gleiches Recht auf Zugehörigkeit. Niemand darf einfach aus-<br />

geschlossen werden. (Dieses Prinzip sichert die Existenz des Systems.)<br />

Wird ein Systemmitglied (beispielsweise ein Organisationsmitglied) ausgeschlossen,<br />

repräsentiert möglicherweise ein anderer Mitarbeiter in einer Organisation später diese<br />

Person.<br />

Dieses Prinzip sichert die Existenz des Systems, da von der Zugehörigkeit auch die<br />

Systemgrenze abhängt. Wird die Zugehörigkeit bei Einzelnen in Frage gestellt, ist die<br />

Systemgrenze und damit das System in seiner Gesamtheit bedroht. Im Gegensatz zur<br />

Familie, bei der die Zugehörigkeit durch Ehe, Partnerschaft oder Geburt besteht, ist in<br />

Organisationen die Zugehörigkeit in der Regel vertraglich festgelegt.<br />

WEBER und GROSS bringen hierfür ein Beispiel, bei dem einer von zwei Gründern und<br />

späteren langjährigen Geschäftsführern einer Firma im weiteren Verlauf der<br />

Firmengeschichte vergessen und im Firmennamen nicht berücksichtigt wurde. Die<br />

Aufstellung und Anerkennung der Zugehörigkeit dieses vergessenen Mitgründers hatte<br />

im Rahmen einer Organisationsaufstellung eine schlagartig verbessernde Wirkung auf<br />

das gesamte System. 344<br />

• Zweites Grundprinzip: Prinzip der Reihenfolge<br />

Innerhalb eines Systems hat das Frühere Vorrang vor dem Späteren. Zwischen<br />

Systemen hat das Spätere Vorrang vor dem Älteren. (Dieses Prinzip sichert Wachstum<br />

und Fortpflanzung des Systems.)<br />

343 Vgl. Bateson, 1981.<br />

344 Vgl. Weber und Gross, 1998.


Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Innerhalb eines Systems sichert die direkte Zeitreihenfolge die Möglichkeit des<br />

Systemwachstums (2 a ), da sonst der Raumverlust früherer Systemelemente durch das<br />

Hinzukommen jüngerer Elemente zu Gegenreaktionen gegen das Systemwachstum<br />

führt. Zwischen Systemen sichert die inverse Zeitfolge die Möglichkeit der System-<br />

fortpflanzung (2 b ), da sonst die schwächere Grenze des jüngeren Systems häufig zu<br />

dessen Reabsorption durch das ältere oder zur Diffusion führt.<br />

Innerhalb von Organisationen zeigt sich die Reihenfolge etwa in der Beachtung der<br />

zeitlichen Reihenfolge der Zugehörigkeit in einem Team. WEBER formuliert für die<br />

Reihenfolge innerhalb einer Organisation „wer länger da ist, hat Vorrang“. 345 So hat<br />

bei Gleichgestellten der, der früher da war, die älteren Rechte und auch für<br />

Führungskräfte lohnt es sich, Mitarbeiter, die früher da waren, in ihrer Erfahrung und<br />

für ihre Verdienste zu schätzen.<br />

Zwischen den Systemen führt der Grundsatz dazu, dass beispielsweise bei strategi-<br />

schen Initiativen das neue System, solange sich dieses noch in einer frühen Phase<br />

befindet, einen Vorrang vor anderen Abteilungen, Segmenten oder Teams genießt. 346<br />

• Drittes Grundprinzip: Prinzip des Vorrangs des höheren Einsatzes<br />

Derjenige, der sich in einem System besonders einsetzt oder Verantwortung<br />

übernimmt, genießt Vorrang. (Dieses Prinzip sichert die Immunkraftbildung des<br />

Systems.)<br />

Die Anerkennung des Einsatzes für das Ganze (3 a ) fördert die Krisenresistenz und<br />

sichert die Immunkraftbildung des Systems, da ohne die Förderung derartiger Funkti-<br />

onen das System potenziell stabilisierende Kräfte nicht in ausreichendem Maße aus-<br />

bilden würde. Zu dieser Ebene zählen neben dem Vorrang des höheren Einsatzes für<br />

das Ganze (z.B. durch besonderen Einsatz von Mitarbeitern in Krisen) auch die Be-<br />

rücksichtigung und Anerkennung der systemischen und offiziellen Hierarchie (3 b und<br />

3 c ), wodurch das „Funktionieren“ des Systems und die Sicherung des Erscheinungs-<br />

bildes nach außen gefördert werden. Wichtig ist darüber hinaus die Beachtung interner<br />

und externer Einflüsse (3 d und 3 e ). So müssen z. B. „graue Eminenzen“ wie ehemalige<br />

Funktionsträger sowie alte Stammkunden in einer Organisation besondere Aufmerk-<br />

345 Vgl. ebenda.<br />

346 Auf diesen Zusammenhang wird im empirischen Teil noch einmal eingegangen werden.<br />

139


140<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

samkeit erhalten. Die Beachtung dieser Grundsätze wirkt störenden Einflüssen von<br />

innen (z.B. Sabotage) entgegen und führt zu einer besseren Anpassung an die Umwelt.<br />

• Viertes Grundprinzip: Prinzip zur Regelung von Leistung und Fähigkeit<br />

Systemelemente, die höhere Leistungen gezeigt haben, oder die über größere Fähig-<br />

keiten verfügen, haben Vorrang. (Dieses Prinzip sichert Entwicklung und Ausprägung<br />

von Leistungen und Fähigkeiten des Systems.)<br />

Dieses auf den ersten Blick elitäre Prinzip des Leistungs-, Fähigkeits- und Kompe-<br />

tenzvorrangs sichert die Reifung und individuelle Ausprägung des Systems (Individu-<br />

ation), da sonst der pure Weiterbestand des Systems <strong>als</strong> einzige Systemausrichtung<br />

alles dominieren kann. Das Prinzip des Leistungsvorrangs erhält die Leistungsbereit-<br />

schaft (4 a ), während die Beachtung des Fähigkeitsvorrangs (4 b ) den Zugang zu den<br />

Ressourcen sichert.<br />

WEBER merkt hierzu an, dass Mitarbeiter, die besondere Kompetenzen und<br />

Fähigkeiten einbringen und die den Erfolg und die Weiterentwicklung der<br />

Organisation garantieren, besondere Anerkennung und Förderung für ihre Beiträge<br />

brauchen, um bleiben zu können. 347<br />

347 Vgl. Weber und Gross, 1998.


Prinzipien der<br />

Prinzipien der<br />

Zugehörigkeitsregelung<br />

Zugehörigkeitsregelung<br />

Prinzipien der Reihenfolge<br />

Prinzipien der Reihenfolge<br />

SystemfortSystemfortpflanzungpflanzung<br />

Prinzipien der Regelung des<br />

Prinzipien der Regelung des<br />

Energieflusses<br />

Energieflusses<br />

Interne Einflüsse<br />

(gerechtfertigte u. angemaßte)<br />

-> fördert Sabotageschutz<br />

Prinzipien zur Regelung von<br />

Prinzipien zur Regelung von<br />

Leistung und Fähigkeit<br />

Leistung und Fähigkeit<br />

systemische Hierarchie<br />

-> sichert Synergien<br />

im<br />

System<br />

2a 2a 2a 2a 2a 2a 2a 2a 2a 2a 3b 3<br />

b<br />

b 3<br />

b<br />

b 3<br />

b<br />

b 3<br />

b<br />

b<br />

b<br />

1<br />

1<br />

2<br />

2<br />

3<br />

3a 3a 3a 3a 3a Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

zwischen<br />

Systemen<br />

2b 2b 2b 2b 2b 2b 2b 2b 2b 2b Vorrang des höheren<br />

Einsatzes für das Ganze<br />

3c 3c 3c 3c 3c 3d 3e 3d 3e 3d 3e 3d 3e 3d 3e 4<br />

4a 4a 4a 4a 4a 4b 4b 4b 4b 4b Vorrang höherer<br />

Leistung und<br />

Fähigkeiten<br />

Systemexistenz<br />

Systemexistenz<br />

SystemfortSystemfortpflanzungpflanzung<br />

Immunkraftbildung<br />

Immunkraftbildung<br />

Krisenbewältigung<br />

Krisenbewältigung<br />

offizielle Hierarchie<br />

-> sichert das<br />

Erscheinungsbild<br />

externe Einflüsse<br />

(gerechtfertigte u. angemaßte)<br />

-> fördert Umweltadaptation<br />

Individuation<br />

Individuation<br />

Leistungsvorrang<br />

-> sichert Leistungsbereitschaft<br />

Fähigkeitsvorrang<br />

-> sichert Zugang zu Ressourcen<br />

Abbildung 30: Überblick über die Grundprinzipien für den Systemerhalt<br />

(Quelle: Sparrer und Varga von Kibéd, 1998)<br />

Die angesprochenen Prinzipien gelten in ihrer Bedeutung in der genannten Reihen-<br />

folge, d.h. die Anwendungsreihenfolge entspricht der Nummerierung. Das Arbeiten<br />

auf einer nachfolgenden Ebene ist nicht wirkungsvoll, wenn bei einer früheren Ebene<br />

Störungen vorliegen. Die Beachtung der Prinzipien fördert innerhalb von Systemen<br />

141


142<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

u.a. das Überleben, das Wir-Gefühl und das Erschließen von Ressourcen. 348<br />

Abbildung 30 stellt die Prinzipien im Überblick dar.<br />

4.3 Fazit und Implikationen eines systemischen und<br />

strukturationstheoretischen Organisationsverständnisses<br />

4.1 Die Strukturationstheorie<br />

von Anthony Giddens<br />

4. Grundsteine organisationaler<br />

Theoriegebäude<br />

4.2 Systemtheorie<br />

4.3 Fazit und Implikationen eines<br />

strukturations- und systemtheoretischen<br />

Organisationsverständnisses<br />

Abbildung 31: Gedankenfluss Kapitel 4<br />

Im Mittelpunkt der strukturations- und systemtheoretischen Ansätze steht die Frage<br />

nach den Sinnstrukturen bzw. dem <strong>Prozess</strong> ihrer Verfertigung in sozialen Systemen. 349<br />

Sinn- oder Wissensstrukturen stellen das organisierende Prinzip in Systemen dar. Es<br />

kann sich dabei um lange bestehende (z. B. ein Unternehmens- oder Vereinszweck,<br />

Familie) oder kurzfristige Sinnstrukturen handeln (z.B. ein SAP-Einführungsprojekt).<br />

Um die Sinnstruktur baut sich jeweils ein Kommunikationssystem auf, welches sich<br />

typischerweise um eine Aufgabe oder ein Problem herum organisiert. 350<br />

Ausdruck der systemisch-relationalen Perspektive ist, dass es in diesem System nicht<br />

um die Personen <strong>als</strong> Elemente des Systems, sondern um die Kommunikation und<br />

Interaktion zwischen den Beteiligten geht. Ändern sich die Interaktionen der Beteilig-<br />

ten, die Kommunikation über das Problem (Problemdefinition) oder die Regeln des<br />

Problemsystems, so ändert sich auch das Problem.<br />

348 Vgl. Sparrer, 1997.<br />

349 Vgl. Reckwitz, 1997a.<br />

350 Ähnlich das garbage can modell. Cohen, et al., 1972b.


Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Diese Erkenntnis, dass die Praktiken und Wissensmuster von entscheidender<br />

Bedeutung für die Struktur des Systems sind, wird in beiden Theorien auf unter-<br />

schiedliche Art und Weise thematisiert. Die nachfolgenden Kapitel erläutern kurz die<br />

Implikationen dieser systemischen und prozessbezogenen Operationslogik aus<br />

strukturationstheoretischer und systemtheoretischer Sicht.<br />

4.3.1 Zur Entstehung von Organisationen aus strukturationstheoretischer Sicht<br />

Die zentrale Idee und Leitdifferenz in der Strukturationstheorie ist die der Dualität von<br />

Handlung und Struktur. Strukturen entstehen nach Auffassung der Strukturati-<br />

onstheorie in Handlungen. Strukturen wiederum ermöglichen und begrenzen Hand-<br />

lungen.<br />

Strategische <strong>Wandel</strong>initiativen in Organisationen können <strong>als</strong> eine Form<br />

organisationalen Handelns betrachtet werden. Die Organisation schafft, indem sie<br />

<strong>Wandel</strong>projekte durchführt, durch dieses organisationale Handeln aber zwangsläufig<br />

auch neue Strukturen. Allerdings ist häufig nicht die Schaffung neuer Strukturen bzw.<br />

die Etablierung neuer Regeln das explizite Ziel solcher <strong>Wandel</strong>initiativen. Vielmehr<br />

wird über die Bewältigung bestimmter Aufgaben oder Probleme (z.B. die Einführung<br />

neuer EDV-Systeme oder eines Managementsystems) <strong>als</strong> mehr oder weniger<br />

beabsichtigter Nebeneffekt, Einfluss auf die Strukturen ausgeübt.<br />

Das offizielle Thema einer solchen Initiative hat dabei die Funktion eines<br />

„trojanischen Pferdes“: Da die direkte Veränderung von organisationalen Regeln und<br />

Strukturen an den Stadtmauern routinisierter sozialer Praktiken scheitert, kann das<br />

Muster oder die Regelstruktur einer Organisation unter dem Decknamen einer<br />

offiziellen (oftm<strong>als</strong> technischen) <strong>Wandel</strong>initiative verändert werden.<br />

Strukturationstheoretisch interpretiert führen auf diese Weise legitimierte neue<br />

Handlungen (strategische Initiativen) zu neuen Strukturen (organisationalen Regeln).<br />

Allerdings vollzieht sich dieser Strukturationsprozess weniger ex ante rational<br />

intendiert <strong>als</strong> vielmehr im Sinne eines ständigen rekursiven sozialen<br />

Konstruktionsprozesses.<br />

4.3.2 Zur Entstehung von Organisationen aus systemischer Sicht<br />

Aufgaben und Probleme können aus systemischer Sicht <strong>als</strong> eine Art Kristallisations-<br />

punkte eines Systems betrachtet werden. Die übliche Auffassung besagt, dass ein<br />

System ein Problem hat (z.B. „Wir haben ein Problem mit der Mitarbeiterfluktuation“;<br />

„Wir haben ein Umsatzproblem“) und dieses Problem quasi ein Strukturmerkmal, eine<br />

143


144<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Eigenschaft bzw. ein Defizit des Systems ist. <strong>Wandel</strong>projekte sind darauf angelegt, ein<br />

solches Problem zu lösen, indem sie es finden, analysieren und beseitigen.<br />

Allein die Befragungen der Beteiligten und deren häufig sehr unterschiedliche<br />

Beschreibungen „des Problems“, machen die konstruktivistische Auffassung, dass<br />

Probleme jeweils von den Beteiligten unterschiedlich konstruiert werden, sehr<br />

plausibel. Die Sprachfigur, die suggeriert, dass es das Problem an sich gibt, wird damit<br />

sehr fragwürdig.<br />

Umgekehrt könnte man allerdings systemisch formulieren, dass ein Problem ein<br />

System hat. Um ein Verhalten oder Thema herum entwickelt sich ein durch die<br />

Kommunikation über das Problem charakterisiertes Sozi<strong>als</strong>ystem, quasi ein „problem-<br />

determiniertes System“. 351 Die Organisation und Verkopplung der unterschiedlichen<br />

Problemkonstruktionen und Beiträge der Beteiligten entscheidet nun darüber, ob und<br />

wie ein Problem aufrecht erhalten wird.<br />

Systemtheoretisch kann das Entstehen von Organisationen auf deren sprachliche Ver-<br />

fertigung um ein Problem herum zurückgeführt werden. Ein Problem erzeugt ein<br />

System - nicht umgekehrt 352 . Für den Zusammenschluss oder die Integration zweier<br />

Organisationen könnte man daraus schließen, dass es eines gemeinsamen Problems<br />

oder einer gemeinsamen Aufgabe bedarf, um ein System zu etablieren. Erst die<br />

Kommunikations- und Verfertigungsprozesse um ein Thema, ein Verhalten oder eine<br />

Aufgabe herum, machen einen Zusammenschluss bislang getrennter Systeme möglich.<br />

Daraus folgt auch, dass die gemeinsame Arbeit an einer Aufgabe oder einem Problem,<br />

die Bildung eines Systems bzw. die Integration verschiedener Systeme ermöglicht.<br />

Ein Problem sollte <strong>als</strong>o nicht <strong>als</strong> Element eines Systems begriffen werden. Es handelt<br />

sich um emergente Phänomene, die in der Beziehung der Elemente untereinander und<br />

zu ihrem Kontext begründet liegen. Deutlich wird das, wenn beispielsweise in einem<br />

Konzernverbund das subsidiäre Verhältnis zwischen der Zentrale und den Länder-<br />

gesellschaften zu Schwierigkeiten bei der Durchführung zentral gesteuerter Ver-<br />

änderungsinitiativen führt. Die Subsidiarität ist hierbei nicht ein Element des Systems,<br />

sondern spiegelt sich in der Beziehungsgestaltung, den Regeln und dem Verhältnis<br />

zwischen den Systemelementen (Zentrale und Ländergesellschaft) wider. Versuche,<br />

351 Vgl. Goolishian und Anderson, 1988.<br />

352 Vgl. Schlippe und Schweitzer, 1997.


Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

das „Problem“ zu beseitigen erwecken dann oft den Anschein von Lösungen, die nach<br />

einem Problem suchen. 353<br />

4.3.3 Implikationen aus Sicht der Theorie von Spencer Brown<br />

Auch die Theorie von SPENCER BROWN bietet für organisationale Integrationsprozesse<br />

interessante Hinweise. SPENCER BROWN definiert Identifikation <strong>als</strong> den Verzicht in<br />

einer Verschiedenheit, ein Unterschiedsmotiv zu sehen. Es geht <strong>als</strong>o um die<br />

Aufhebung einer Unterscheidung oder genauer darum, Verschiedenheiten keine<br />

Bedeutung zuzumessen.<br />

In diesem Sinne können Integrationsprozesse im Kontext einer organisationalen<br />

Fusion <strong>als</strong> der Versuch gesehen werden, aus einer Verschiedenheit (bisherige Zuge-<br />

hörigkeit zu unterschiedlichen Unternehmen, unterschiedliche Regeln und Routinen in<br />

einzelnen Abteilungen), nicht einen relevanten Unterschied zu konstruieren.<br />

Die Herausforderung besteht darin, den Unterschied zwar anzuerkennen, aber eben<br />

nicht <strong>als</strong> einen Unterschied, der einen Unterschied macht – einen relevanten Unter-<br />

schied - zu identifizieren. Strategische <strong>Wandel</strong>initiativen im Kontext von PMI stellen<br />

somit die Möglichkeit einer neuen Grenzziehung dar. Das heißt, es könnten nun andere<br />

Verschiedenheiten <strong>als</strong> relevante Unterschiede erkannt werden. Erfolgreiche strategi-<br />

sche <strong>Wandel</strong>initiativen zeichnen sich aus dieser Sicht dadurch aus, dass sie Ver-<br />

schiedenheiten anbieten, die von den Beteiligten im <strong>Prozess</strong> der Grenzziehung in<br />

einem neuen Kontext zu relevanten Unterschieden gemacht werden. Als Konsequenz<br />

eines solchen neuen Grenzziehungsprozesses sollte eine veränderte Innen/Außen<br />

Unterscheidung und eine neue Grenze entstehen.<br />

<strong>Wandel</strong>initiativen stellen somit Konstruktionsgelegenheiten neuer Unterscheidungen<br />

dar. Wie die Konstruktion von neuen, relevanten Unterscheidungen durch die Organi-<br />

353 Auf diesen Zusammenhang spielt auch das in der Literatur beschriebene garbage can modell an (Cohen, et<br />

al., 1972a). Vgl. zu der Idee, dass das Problem nicht ein Element des Systems ist auch die Anmerkung von<br />

Matthias Varga von Kibéd: Wenn die Form eines Dreiecks ein Problem symbolisiert, dann liegt die Lösung<br />

in der Verschiebung eines Elementes, so dass sich eine Gerade ergibt und nicht in dem Herausnehmen eines<br />

Elements. Hieran wird deutlich, dass die Lösung in der Veränderung der Anordnung bzw. der Beziehungen<br />

der Elemente liegt.<br />

145


146<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

sation vom Management des <strong>Wandel</strong>s unterstützt werden kann, wird im Weiteren<br />

dargestellt.


5 Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />

Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />

Organisationen halten Leute beschäftigt, unterhalten sie bisweilen, vermitteln ihnen eine<br />

Vielfalt von Erfahrungen, halten sie von den Straßen fern, liefern Vorwände für Geschichtenerzählen<br />

und ermöglichen Sozialisation. Sonst haben sie nichts anzubieten.<br />

Karl Weick 354<br />

Die Vor - Stellungen 355 über <strong>Wandel</strong> in Organisationen sind von impliziten Annahmen<br />

über Menschen und Organisationen sowie deren Verhalten geprägt. Die Sprache, die<br />

Organisationsmitglieder verwenden, wenn sie über Veränderungen sprechen ist ge-<br />

prägt von den Vorannahmen und prägt ihrerseits wiederum Aspekte dieser impliziten<br />

Vorannahmen. 356<br />

5.1 Bausteine organisationaler<br />

Anwendungstheorien<br />

5. Organisations- und<br />

<strong>Wandel</strong>verständnis<br />

Abbildung 32: Gedankenfluss Kapitel 5<br />

5.2 <strong>Wandel</strong>- und<br />

<strong>Wandel</strong>fähigkeit<br />

Das folgende Kapitel legt ein systemisches Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis dar<br />

und hinterfragt dabei in <strong>Wandel</strong>situationen besonders häufig anzutreffende<br />

individualistisch geprägte <strong>Wandel</strong>vorstellungen wie Commitment der Führungskräfte,<br />

Widerstand und Motivation der Mitarbeiter.<br />

5.1 Bausteine organisationaler Anwendungstheorien<br />

Im Anschluss an die Darstellung der Systemtheorie und die Strukturationstheorie <strong>als</strong><br />

theoretische Referenzpunkte stellen die nachfolgenden Konzepte organisa-<br />

354 Vgl. Weick, 1985a.<br />

355 Der Begriff Vorstellungen ist hier durchaus auch wortwörtlich gemeint: Es wird etwas vor etwas anderes<br />

gestellt. Dies trifft auch auf die impliziten Annahmen zu.<br />

356 Vgl. hierzu auch Watzlawick, et al., 1990, Schulz von Thun, 1981. Jede kommunikative Nachricht beinhaltet<br />

verschiedene Aspekte und enthüllt Aspekte der inneren Vor-Stellungen oder Landkarten, die der Sender „im<br />

Kopf hat“.<br />

147


148<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

tionstheoretische Ansätze dar, die dem Phänomen „Organisation“ anwendungs-<br />

orientiert begegnen. Das Ziel des Kapitels besteht darin, relevante Verknüpfungs-<br />

punkte für ein anwendungsorientiertes Organisationsverständnis zusammenzustellen.<br />

Die Auswahl der Konzepte erfolgte dabei nach Maßgabe und Vereinbarkeit mit dem<br />

prozessorientierten, systemisch-konstruktivistischen Organisationsverständnis wie es<br />

im vorangegangenen Kapitel dargestellt wurde.<br />

5.1 Bausteine organisationaler<br />

Anwendungstheorien<br />

5. Organisations- und<br />

<strong>Wandel</strong>verständnis<br />

Abbildung 33: Gedankenfluss Kapitel 5<br />

5.1.1 Organisation <strong>als</strong> <strong>Prozess</strong> – Der <strong>Prozess</strong> des Organisierens<br />

5.2 <strong>Wandel</strong>- und<br />

<strong>Wandel</strong>fähigkeit<br />

Der organisationstheoretische Ansatz von KARL WEICK stellt einen deutlichen Bruch<br />

mit der Tradition seines Faches dar. WEICK beschreibt Organisationen <strong>als</strong> prozess-<br />

hafte, interpretative und offene Systeme, die insbesondere durch drei Aspekte gekenn-<br />

zeichnet sind:<br />

• Strukturen, Kulturen und Umwelt von Organisationen sind keine stabilen<br />

Entitäten sondern werden prozesshaft im Sinne eines Organizing beschrieben.<br />

WEICK benutzt das Bild eines „multiplen heterogenen Flusses von unterschied-<br />

licher Viskosität, der sich mit variabler Geschwindigkeit bewegt“. 357 Bestand-<br />

teile eines <strong>Prozess</strong>es sind ineinandergreifende Verhaltensweisen (Interakte) von<br />

zwei oder mehr Personen, die sich gegenseitig bedingen. Die Analyseeinheiten<br />

beim Organisieren sind bedingte Reaktionsmuster: Die Handlungen eines<br />

Akteurs A rufen eine spezifische Reaktion bei Akteur B hervor (Interakt) auf<br />

die A wiederum seinerseits reagiert (doppelter Interakt).<br />

• Organisationales Handeln orientiert sich an <strong>Prozess</strong>en der Sinngebung (sense-<br />

making), der Einordnung diskreter Ereignisse und Handlungen in einen<br />

sinnhaften Gesamtkontext. Die Sinngebung erfolgt in organisationalen<br />

357 Vgl. Weick, 1985a.


Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />

Interpretationsprozessen z.B. über den Austausch von Wahrnehmungen und die<br />

Diskussion von Entwicklungen. Dieser <strong>Prozess</strong> charakterisiert den Akt des<br />

Organisierens und befähigt die Organisation eine Konvergenz ihrer<br />

Interpretationen zu erreichen. Allerdings muss einschränkend angemerkt<br />

werden, dass es nicht die Organisation gibt, sondern dass eine „series of nested<br />

systems“ 358 verschiedene Interpretationen hat. In Fragen des strategischen<br />

<strong>Wandel</strong>s geht es vor allem um die Interpretationen der Ebene der Top-<br />

Manager. 359<br />

• Schließlich liegen den <strong>Prozess</strong>en nicht linear-kausale sondern zirkuläre<br />

Wirkungszusammenhänge und Beziehungen zugrunde. Durch das komplexe<br />

Zusammenwirken verschiedener Systemelemente, Subsysteme und Kontexte<br />

ergeben sich Muster, die das charakterisierende Element einer Organisation<br />

sind. Aus WEICK´s Sicht sind diese Muster wichtiger <strong>als</strong> die Inhalte. Es macht<br />

aus seiner Sicht deshalb keinen Sinn, auf einzelne Variablen einzuwirken,<br />

sondern „der einzige Ort, an dem Sie einen bedeutsamen <strong>Wandel</strong> herbeiführen<br />

können, liegt zwischen den Variablen“. 360<br />

Organisationen befinden sich nach WEICK in einem ständigen Transformationsprozess:<br />

Sie sind geprägt durch die Erlebnisströme der Vergangenheit und stehen vor der Her-<br />

ausforderung, die laufenden Ereignisse so zu organisieren, dass sie anschlussfähig an<br />

die laufenden Muster und den „<strong>Prozess</strong> des Organisierens“ werden. Dieser <strong>Prozess</strong><br />

läuft nach einem Satz von Rezepten ab, einer Grammatik, die zu vernünftigen Interpre-<br />

tationen der Ereignisse und einem tragfähigen Sicherheitsniveau führt.<br />

RÜEGG-STÜRM weist daraufhin, dass den unterschiedlichen <strong>Prozess</strong>en des<br />

Organisierens unterschiedliche Logiken im Sinne einer themenbezogenen, inneren<br />

Ordnung zugrunde liegen. 361 Nach der Logik der <strong>Prozess</strong>e lassen sich analytisch<br />

zugängliche und beschreibbare Wertschöpfungsprozesse und relationale schwer<br />

beschreibbare Beziehungsprozesse unterscheiden. Wertschöpfungsprozesse können<br />

dabei verstanden werden <strong>als</strong> Ergebnis eines relationalen Beziehungsprozesses<br />

358 Vgl. Daft und Weick, 1984. Vgl. auch das nachfolgende Kapitel zu lose gekoppelten Systemen.<br />

359 Vgl. ebenda.<br />

360 Vgl. Weick, 1985a. Hervorhebung im Original.<br />

361 Vgl. Rüegg-Stürm, 2001.<br />

149


150<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

(„enactment process”) 362 zwischen den Individuen und Organisationseinheiten. Die<br />

relationalen Beziehungsprozesse umfassen sowohl die Kommunikation <strong>als</strong> auch das<br />

sich rekursiv ständig neu strukturierende Beziehungsnetzwerk zwischen den<br />

Beteiligten. Sie bilden den Hintergrund für die im Vordergrund der organisationalen<br />

Aufmerksamkeit thematisierten Wertschöpfungsprozesse. 363 Ergebnisse dieser<br />

relationalen <strong>Prozess</strong>e sind ein gemeinsames Wirklichkeitsverständnis, geteilte Werte<br />

und Identitäten. Identitäten werden dabei nicht <strong>als</strong> etwas verstanden, was ein Mitglied<br />

oder eine Einheit einer Organisation besitzt, sondern <strong>als</strong> geteilte Wissensbestände über<br />

Personen, Organisationseinheiten und die organisationale Wirklichkeit, die das<br />

Ergebnis eines kollektiv-rekursiven <strong>Prozess</strong>es der Strukturierung sind.<br />

Die Beachtung dieser unterschiedlichen Identitäten und Logiken im Rahmen von<br />

strategischem <strong>Wandel</strong> ist von entscheidender Bedeutung bei der Neudefinition sowohl<br />

von Wertschöpfungsprozessen (Neudefinition von Aufgaben, Abläufe, Regeln, Verant-<br />

wortlichkeiten, etc.) <strong>als</strong> auch Beziehungsprozessen (Identitäten, Rollen, Erwartungen<br />

und Werten). Die Dringlichkeit und Vordergründigkeit, Lösungen auf der Ebene der<br />

Wertschöpfungskette zu finden, führt allerdings häufig dazu, dass Veränderungen auf<br />

der Beziehungsebene erfolgen. Beispiele dafür sind Veränderungen der Identität nach<br />

der gleichen - technischen - <strong>Prozess</strong>logik oder die Veränderung der Geschäftsprozesse.<br />

Die Verfertigung neuer Identitäten ermöglicht allerdings erst die Veränderungen auf<br />

der Ebene der Wertschöpfungsprozesse. Die Reflexion der bestehenden und der<br />

zukünftigen Identitäten und Rollen bietet die Plattform oder auch den Hintergrund, 364<br />

auf der bzw. dem beziehungs- und identitätsstiftende <strong>Prozess</strong>e erfolgen können bevor<br />

organisationale und technische Aspekte behandelt werden.<br />

Erfolgreiche <strong>Wandel</strong>initiativen sollten <strong>als</strong>o beide Dimensionen des <strong>Wandel</strong>s berück-<br />

sichtigen; sowohl die Dimension der Geschäftslogik, der (Wertschöpfung der<br />

362 Vgl. Weick Weick, 1985a.<br />

363 Mit dieser Beschreibung ist keinerlei Bewertung der beiden <strong>Prozess</strong>e verbunden. Es soll mit der<br />

Unterscheidung Hintergrund und Vordergrund lediglich angedeutet werden, dass die relationalen Aspekte<br />

häufig einen ausgeblendeten Kontext darstellen, von dem losgelöst häufig inhaltliche Fragen, die im<br />

Zusammenhang mit Geschäftsprozessen stehen, verhandelt werden. Die Unterscheidung weist damit gewisse<br />

Parallelen zur Unterscheidung von Watzlawicks Beziehungs- und Inhaltsebene der Kommunikation auf. Vgl.<br />

hierzu Watzlawick, et al., 1990.<br />

364 Man könnte hier auch von dem eigentlichen oder ausgeblendeten Thema sprechen, während Fragen der<br />

<strong>Prozess</strong>gestaltung, technische Fragen o.ä. erst einmal zum offiziellen Thema gemacht werden. Vgl. zu dieser<br />

Unterscheidung Varga von Kibéd und Sparrer, 2000a.


Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />

<strong>Prozess</strong>e), <strong>als</strong> auch die unsichtbare Dimension der Identitäten der in die Organisation<br />

involvierter Subsysteme und Individuen.<br />

Aus Sicht des organisationalen <strong>Wandel</strong>s bietet WEICK´s Organisationsverständnis<br />

interessante Verknüpfungen zum Thema Stabilität und Flexibilität der sozialen<br />

Dimension von Organisationen. Von zentraler Bedeutung ist dabei der Kernbestandteil<br />

eines <strong>Prozess</strong>es, der doppelte Interakt. Er verbindet mehr oder weniger stark die<br />

Elemente, Ereignisse, Kommunikationen und Untereinheiten eines Systems in Form<br />

von wechselseitigen Reaktionsmustern. Die Stärke dieser Verbindungen ist der<br />

zentrale Gegenstand seines Konzepts der losen Kopplung, das im nächsten Kapitel<br />

beschrieben wird.<br />

5.1.2 Organisation <strong>als</strong> lose gekoppelte Systeme<br />

Untereinheiten und lose Kopplung liefern das Potential für Flexibilität ebenso wie für<br />

Stabilität. In WEICK´s Konzept sind Untereinheiten dadurch gekennzeichnet, dass sie<br />

durch doppelte Interakte stabil zusammengesetzt sind. Lose Kopplung besteht dagegen<br />

zwischen doppelten Interakten.<br />

Was bedeutet das Konzept der losen Kopplung? Lose Kopplung beschreibt die Be-<br />

ziehung zwischen zwei Elementen. Diese Elemente können Organisationen oder Sub-<br />

systeme einer Organisationen sein. WEICK bemerkt, dass die Kopplung zwischen<br />

Elementen häufig <strong>als</strong> zu eng angesehen wird, was er auf eine angenommene kausale<br />

Verbindungen zwischen den Elementen zurückführt. I.d.R. sind die Untereinheiten<br />

einer Organisation allerdings nur lose gekoppelt. Lose Kopplung liegt vor, wenn ein<br />

Element oder eine Untereinheit eine andere eher plötzlich, gelegentlich, nicht<br />

unbedingt signifikant und indirekt beeinflusst.<br />

Allerdings stellt die lose Kopplung auch ein wichtiges Verbindungselement der Orga-<br />

nisation dar. „Loose coupling <strong>als</strong>o carries connotations of impermanence, dissolva-<br />

bility, and tacitness all of which are potentially crucial properties of the ‚glue‘ that<br />

holds organizations together“. 365<br />

Die Art, wie die doppelten Interakte lose oder fest zu größeren <strong>Prozess</strong>en verbunden<br />

werden, richtet sich nach Rezepten, Mustern, sogenannten „Montageregeln“. <strong>Wandel</strong><br />

kann vor diesem Hintergrund verstanden werden <strong>als</strong> der Umbau der Montageregeln,<br />

365 Vgl. Weick, 1976b.<br />

151


152<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

<strong>als</strong>o der Veränderung der Muster loser und fester Kopplung der verschiedenen<br />

doppelten Interakte in den organisationalen <strong>Prozess</strong>en.<br />

WEICK leistet mit diesem Konzept einen Beitrag zum Verständnis dazu, woraus<br />

<strong>Prozess</strong>e bestehen, wie <strong>Prozess</strong>e aufgebaut sind und wie sie schließlich auch verändert<br />

werden können. Vor diesem Hintergrund ist <strong>Wandel</strong> zu verstehen <strong>als</strong> die An- oder Ab-<br />

kopplung bestehender Verbindungen doppelter Interakte und damit eine Veränderung<br />

der Muster der Verkopplung.<br />

5.1.3 Organisation <strong>als</strong> Kommunikation - Von der Verfertigung der Organisation<br />

im Dialog<br />

Einen wichtige Rolle bei der Verkopplung der Interakte und Untereinheiten spielt die<br />

Kommunikation zwischen den beteiligten Organisationsmitgliedern und -einheiten.<br />

KIESER beschreibt in seinem Ansatz vom Organisieren <strong>als</strong> Kommunizieren die Rolle<br />

der Kommunikation im Rahmen eines konstruktivistischen Organisationsver-<br />

ständnisses. Ausgehend von der Annahme, dass Organisation in den „Köpfen der<br />

Organisationsmitglieder“ stattfindet, schließt KIESER, dass „die in Organisationen<br />

gültigen Interaktionsmuster sich auf dem Wege der Verständigung zwischen Inter-<br />

aktionspartnern herausbilden und nur über das Wissen der handelnden Organisati-<br />

onsmitglieder erschlossen werden können“. 366 Die geteilten Regeln und Muster der<br />

Interaktion <strong>als</strong> Kernbestandteile der Organisation werden mittels Kommunikation<br />

„verfertigt“. 367<br />

KIESER geht von der grundsätzlichen Interpretationsbedürftigkeit organisationaler<br />

Regeln aus. Um gemeinsam zu handeln, müssen Organisationsmitglieder anhaltend<br />

miteinander kommunizieren. Diese handlungsbezogene Kommunikation trägt implizit<br />

zur Interpretation der Regeln durch die Aktionspartner bei. Die Zahl der gelungenen<br />

regelgeleiteten Interaktionen führt bei den Interaktionspartnern zur Reduzierung der<br />

Unsicherheit. 368<br />

Welche Rolle spielt nun die Kommunikation im organisatorischen <strong>Wandel</strong>?<br />

366 Vgl. Kieser, 1998.<br />

367 Kieser spielt damit auf eine Betrachtung von Kleist “Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim<br />

Reden“ an.<br />

368 Der sich hier andeutende <strong>Prozess</strong> der Routinisierung findet sich u. a. auch in dem Strukturierungsprozessen<br />

von Giddens (Giddens, 1997).


Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />

„Wenn die bestehende Organisationsstruktur durch Kommunikation sozial konstruiert<br />

wurde und aufrechterhalten wird, so müssen Versuche zur Änderung der Aktivitäten<br />

der Organisationsmitglieder (um diese geht es letztlich) vor allem darauf abstellen,<br />

Kognitionen der Organisationsmitglieder durch Kommunikation zu verändern“. 369<br />

Zur Veränderung bestehender Organisationsstrukturen müssen <strong>als</strong>o Kommunikations-<br />

strukturen entstehen, die zur Entwicklung neuer Interpretationsschemata und Hand-<br />

lungen beitragen.<br />

Zur Initiierung des organisatorischen <strong>Wandel</strong>s eignen sich nach KIESER´s Ansicht be-<br />

sonders Leitbilder, Visionen, Metaphern und Geschichten, da darin Deutungsangebote<br />

zentraler Grundannahmen und Ziele der Reorganisation enthalten sein können.<br />

Ähnlich betrachten BARRETT ET AL. Organisationen <strong>als</strong> Bedeutungssysteme und<br />

Diskurse, <strong>als</strong> den Kern organisationalen Handelns. Da Sprache in historischen Mustern<br />

und Annahmen der Organisation wurzelt, ergibt sich allerdings ein Paradoxon: Wie<br />

kann eine neue Form des „Organizings“ von den Organisationsmitgliedern verstanden<br />

werden, wenn der <strong>Wandel</strong> nicht in schon bekannter Art und Weise vermittelt wird? 370<br />

Wie kann <strong>als</strong>o das Neue in das Alte eingeführt werden?<br />

Betrachtet man Organisation <strong>als</strong> Kommunikation, ergibt sich für dieses Dilemma eine<br />

neue Perspektive: So bemerken BARRETT ET AL, „meaning is not something that is<br />

delivered from speaker to listener; it is cocreated.“ 371 Bedeutung wird gemeinsam<br />

kommunikativ verfertigt und nach dem Bild des „Nürnberger Trichters“ eingetrichtert.<br />

Folglich kann das Verständnis vom <strong>Wandel</strong> der Organisation nicht getrennt werden<br />

von der Veränderung der Diskursmuster, die zur Konstituierung neuer Handlungen<br />

führen. „Change occurs, when a new way of talking replaces an old way of talking”. 372<br />

5.1.4 Organisation <strong>als</strong> Praxisgemeinschaft - Communities of practice<br />

Das von WENGER/SNYDER stammende Konstrukt der Communities of Practices, kann<br />

<strong>als</strong> wichtiges Element für den <strong>Wandel</strong> und die Erneuerung in Organisationen ange-<br />

369 Vgl. Kieser, 1998.<br />

370 Vgl. Barrett, et al., 1995. Vgl. zum Grad der Neuigkeit insbesondere das Modell der pragmatischen<br />

Information von Weizsäcker im vorangegangenen Kapitel.<br />

371 Vgl. ebenda.<br />

372 Vgl. ebenda.<br />

153


154<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

sehen werden. 373 Fasst man organisationalen <strong>Wandel</strong> <strong>als</strong> <strong>Wandel</strong> von Strukturen bzw.<br />

von Regeln auf, so bieten Communities of Practice eine potenziell katalysatorische<br />

Wirkung für den organisationalen <strong>Wandel</strong>. Aufgrund ihrer vergleichsweise geringen<br />

„Vor-Strukturierung“ sind sie Orte und Situationen in einer Organisation, die einfache<br />

neue soziale Praktiken und neue Strukturen entwickeln.<br />

Die Protagonisten dieses Ansatzes, LAVE und WENGER, 374 bauen auf den Theorien<br />

von GIDDENS und BOURDIEU auf und betonen die Bedeutung sozialer Praktiken. Eine<br />

Community-of-Practices existiert dort, wo Praktiker sich gemeinsam für ein Anliegen<br />

engagieren und dazu ein geteiltes Repertoire an Diskursen und Verhalten ver-<br />

wenden. 375 Communities-of-practice sind demnach Orte oder Situationen, in denen<br />

neue kollektive Wissensbestände entstehen bzw. bestehende Wissensstrukturen<br />

verändert werden. Vor dem Hintergrund, der an sozialen Praktiken orientierten<br />

Wurzeln des Konzepts, müssen diese Wissensstrukturen allerdings im Sinne eines<br />

Know-How impliziter Deutungsregeln und Wissensbestandteile verstanden werden.<br />

Das Erlernen solcher handlungsermöglichenden und -beschränkenden Strukturen,<br />

Regeln und Werte erfordert, Anteil zu haben an sozialen Praktiken und ein Mitglied in<br />

einer Community zu werden. Es bedeutet aber gleichzeitig eine Veränderung in der<br />

Identität: „The central issue in learning is becoming a practitioner, not learning about<br />

practice“ . 376<br />

Communities of practice zeichnen sich durch die gemeinsame Expertise und den<br />

gemeinsam geteilten Zweck aus. Von Teams und Arbeitsgruppen unterscheiden sie<br />

sich durch den informellen, ungezwungenen Zusammenschluss und die starke<br />

Betonung des gemeinsamen Diskurses. Sie weisen keine festen Strukturen auf,<br />

sondern strukturieren sich emergent: „And significantly, communities are emergent.<br />

That is to say their shape and membership emerges in the process of activity, as<br />

opposed to being created to carry out a task”. 377<br />

Im Rahmen dieser Arbeit soll das Konzept der Communities of practice allerdings<br />

nicht nur auf rein informelle Gruppen bezogen werden. Es erscheint im Zusammen-<br />

373 Vgl. Brown und Duguid, 1991, Wenger und Snyder, 2000. Zur Einführung empfiehlt sich Wenger, 1998.<br />

374 Vgl. Lave und Wenger, 1991, Wenger, 1998; Wenger und Snyder, 2000.<br />

375 Vgl. Wenger, 1998.<br />

376 Vgl. Brown und Duguid, 1991. Heraushebung im Original.<br />

377 Vgl. ebenda.


Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />

hang mit den in dieser Arbeit untersuchten Integrationsprozessen vielmehr interessant,<br />

wie der Aufbau einer gemeinsamen Wirklichkeitsordnung, geteilter Wissensstrukturen<br />

und die Ausführung sozialer Praktiken bei unterschiedlichen Gruppen erreicht werden<br />

kann.<br />

LAVE and WENGER 378 betonen den individuellen und sozialen Charakter des Handelns<br />

in den Communities of Practice. Es geht innerhalb der Gruppen um die informelle An-<br />

eignung von kaum bewussten Fähigkeiten durch praktische Erfahrung. Um mit<br />

POLANYI zu sprechen, geht es weniger um die Vermittlung expliziten Wissens,<br />

sondern um die impliziten Wissensbestandteile sozialer Praktiken. 379<br />

RICHTER merkt allerdings an, dass die Literatur zu dem Phänomen der Communities of<br />

Practice vor allem aus dem Bereich abgegrenzter, einfacher „handwerklicher“<br />

Praktiken stammt. 380 Weniger erforscht ist dagegen die Funktion von Communities of<br />

Practice im Rahmen von diffuseren und komplexeren Managementaufgaben. Es bleibt<br />

bislang offen, welche Rolle Communities of Practice beispielsweise bei Aufgaben des<br />

strategischen Managements 381 oder im Rahmen von Integrationsprozessen – quasi <strong>als</strong><br />

Communities of Integration - spielen.<br />

5.1.5 Organisation <strong>als</strong> Lernendes System – Das Konzept von Argyris und Schön<br />

Den Begriff des Lernens auf Organisationen zu übertragen hat für die Entscheidungs--<br />

und Organisationstheorie zu einer langen Diskussion unter den Schlagworten<br />

„Lernende Organisation“ und „Organisationales Lernen“ geführt. 382<br />

Bereits MARCH und OLSEN interpretieren Lernen im organisationalen Kontext <strong>als</strong><br />

Lernen durch Erfahrung interpretiert: Wenn eine Organisation Differenzen zwischen<br />

bestehendem und erwünschten Umweltzuständen beobachtet, wird daraus ein Problem<br />

formuliert und anschliessend werden Handlungen zur Problemlösung durchgeführt.<br />

378 Vgl. Lave und Wenger, 1991.<br />

379 Vgl. Polanyi, 1985. Vgl. zur weiteren Unterscheidung z.B. auch die Arbeiten von Cook und Brown (Cook<br />

und Brown, 1999), die stärker die Unterscheidung individueller und kollektiver Wissensbestandteile<br />

hinauslaufen.<br />

380 Vgl. Richter, 1998.<br />

381 Vgl. Whittington, 2001.<br />

382 Aufgrund der sehr heterogenen Verwendung der Begriffe „Lernende Organisation“ und „Organisationales<br />

Lernen“ werden im Rahmen des Forschungsprojekt Learning Dynamics statt des Lernbegriff die Begriffe<br />

<strong>Wandel</strong> und Erneuerung verwendet.<br />

155


156<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Die Organisation wirkt damit auf die Umwelt ein, worauf die Umwelt erneut reagiert.<br />

Mit der Interpretation der Umweltreaktionen durch die Organisationsmitglieder wird<br />

dann ein neuer Lernzyklus in Gang gesetzt. 383<br />

ARGYRIS und SCHÖN gehen in ihrem Ansatz über den <strong>Prozess</strong> des Anpassungslernens<br />

hinaus und betonen die Bedeutung von Wahrnehmungs- und selbstorganisatorischen<br />

<strong>Prozess</strong>en. Das Organisationssystem nimmt demnach die Umwelt beständig wahr,<br />

reflektiert und selektiert die eigenen Handlungen. Diese <strong>Prozess</strong>e in Organisationen<br />

sind - wie auch das übliche Handeln von Menschen - geprägt von Alltagstheorien,<br />

sogenannten „theories-in-use“. 384<br />

Lernen findet nach Vorstellung von ARGYRIS und SCHÖN in drei aufbauenden Lern-<br />

ebenen statt: Auf der ersten Ebene findet ein Vergleich der Handlungsergebnisse mit<br />

den Erwartungen statt. Wenn die Abweichungen korrigiert und die herrschende<br />

Managementphilosophie (theories in use) beibehalten wird, spricht man von einem<br />

Single-loop-Lernen (Anpassungslernen). Diese Vorstellung entspricht einer An-<br />

passung der Organisation an Veränderungen der Umwelt. Die Erfahrungen aus ver-<br />

gangenen gleichen Situationen („mehr desselben“) dienen dabei <strong>als</strong> Modell des Um-<br />

gangs.<br />

Ziele (Governing Values)<br />

Handlung (Action)<br />

Ergebnisse<br />

(Missmatch of Errors)<br />

Korrekturen<br />

Abbildung 34: Anpassungslernen (Single-loop-learning)<br />

Quelle: (Probst und Büchel, 1994, S. 35) in Anlehnung an (Argyris, 1990).<br />

Die zweite Lernebene ist erreicht, wenn für die Korrekturen neue<br />

Interpretationsschemata gesucht und verwendet werden. ARGRIS und SCHÖN nennen<br />

diesen <strong>Prozess</strong> auch Double-loop-Lernen (Reflexives Lernen).<br />

383 Vgl. March und Olsen, 1976.<br />

384 Vgl. Argyris und Schön, 1978.


Ziele (Governing Values)<br />

Korrekturen<br />

Handlung (Action)<br />

Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />

Ergebnisse<br />

(Missmatch of Errors)<br />

Korrekturen<br />

Abbildung 35: Reflexives Lernen (Double-loop-learning)<br />

Quelle: (Probst und Büchel, 1994, S. 35) in Anlehnung an (Argyris, 1990).<br />

Double-loop-Lernen basiert ebenfalls auf den bisherigen Erfahrungen der Organisa-<br />

tion, hinterfragt aber die damit verbundenen Ziele und Wertvorstellungen der<br />

Organisation. Im Mittelpunkt eines solchen Lernens steht eine Auseinandersetzung mit<br />

den institutionellen „theories-in-use“. 385 Diese kann natürlich dazu führen, dass die<br />

bestehenden Handlungsmuster durch neue Handlungen ergänzt oder ersetzt werden.<br />

Auf der Ebene dritten Ebene des Lernens oder „Deutero- Lernen“ (Lernen zweiter<br />

Ordnung nach Bateson) erfolgt ein Lernen durch doppelte Reflexion. 386 Es ist ein<br />

"Lernen-zu-Lernen"; ein Lernen auf einer Metaebene, welche die Verbesserung der<br />

<strong>Prozess</strong>e sowohl auf der Single-loop- <strong>als</strong> auch auf der Double-loop-Ebene ermöglicht.<br />

Das heißt, dass die Fähigkeiten und <strong>Prozess</strong>e auf der Ebene des Single- und Double-<br />

loop-Lernens besser genutzt werden können.<br />

Reflexion, Analyse und<br />

Herstellung von Sinnbezügen<br />

385 Vgl. ebenda.<br />

386 Vgl. Bateson, 1981.<br />

Korrekturen<br />

Ziele (Governing Values)<br />

Korrekturen<br />

Handlung (Action)<br />

Abbildung 36: <strong>Prozess</strong>lernen (Deutero-learning)<br />

Quelle: (Probst und Büchel, 1994, S. 35) in Anlehnung an (Argyris, 1990).<br />

Ergebnisse<br />

(Missmatch of Errors)<br />

Korrekturen<br />

157


158<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Die Reflexion des Lernkontextes und das Entdecken von Lernhindernissen und<br />

Lernerleichterungen stellt eine wichtige Aufgabe dar. 387 Deutero-Lernen basiert auf<br />

der kontinuierlichen Reflexion der eigenen „theories-in-use“. Für den Bau einer<br />

lernenden Organisation sollte deshalb die Entwicklung und Anwendung neuer<br />

„theories-in-use“ alltäglich und zur Selbstverständlichkeit werden.<br />

Organisationales Lernen baut nach ARGYRIS, SCHÖN und BATESON auf allen drei<br />

Lernniveaus auf. Dabei geht es auf allen drei Lernebenen darum, entsprechende<br />

Kontexte zu schaffen, damit organisatorische Fähigkeiten (Umgang mit dem Neuen)<br />

und das Reflexionsvermögen zur Entwicklung angemessener "theories-in-use"<br />

verbessert werden.<br />

Somit müssen eingefahrene Lernroutinen, die Lernen verhindern, zunächst einmal<br />

abgebaut werden, um Lernpotenziale freisetzen zu können. 388 Neues Lernen bedingt<br />

demnach zuerst ein Verlernen, damit neue Wissensstrukturen und Handlungsmuster<br />

alte ersetzen können.<br />

5.1.6 Organisation <strong>als</strong> Beziehungsnetzwerk – Die Sozialpsychologie des<br />

Organisierens<br />

Der organisationstheoretische Ansatz von HOSKING und MORLEY 389 basiert auf einem<br />

relationalkonstruktivistischen Wirklichkeitsverständnis und betont die Bedeutung von<br />

Beziehungsprozessen in Organisationen. Die zentrale Idee des Ansatzes besteht darin,<br />

dass Identität und Ordnung ein Ergebnis von Beziehungsprozessen ist und nicht auf<br />

den kontext- und beziehungsunabhängigen Eigenschaften der beteiligten Individuen<br />

besteht.<br />

Organisieren vollzieht sich in Beziehungsprozessen, in denen die Identität der Organi-<br />

sation <strong>als</strong> auch der beteiligten Personen verfertigt wird. Erst aus den Kommunikations-<br />

und Beziehungsprozessen konstituiert sich <strong>als</strong>o die Organisation 390 . Beziehungs-<br />

387 Vgl. Argyris und Schön, 1978. Im Rahmen des Forschungsprojekts Learning Dynamics wird die<br />

Auseinandersetzung mit den Lernhindernissen und Lernerleichterungen beschrieben <strong>als</strong> Reflexion der<br />

wandelförderlichen bzw. wandelhinderlichen Strukturen und Kulturen in der Organisation. Vgl. Learning<br />

Dynamics, 1999.<br />

388 Vgl. Klimecki, et al., 1991.<br />

389 Vgl. Hosking und Morley, 1991.<br />

390 Vgl. auch Burr, 1995.


Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />

prozesse bestehen dabei nicht nur zwischen Personen, sondern auch zu Aufgaben,<br />

Kontextfaktoren, Zielen, Teams, Projekte usw.<br />

Das Organisationsverständnis von HOSKING und MORLEY ist im Wesentlichen geprägt<br />

durch Dialoge, in denen die Beteiligten eine geteilte Wirklichkeit aushandeln. Dabei<br />

werden verschiedene Beschreibungen eingebracht und eine Wirklichkeitsvorstellung<br />

vereinbart, die mit Erwartung und Rechtfertigung verbunden sind, bestimmte Hand-<br />

lungen durchzuführen oder zu unterlassen. 391<br />

HOSKING und MORLEY unterscheiden im Rahmen der organisationalen <strong>Prozess</strong>e eine<br />

politische und eine soziale Dimension. Unter der politischen Dimension werden unter-<br />

schiedliche Interessen, Werte und Anliegen bzgl. inhaltlicher Fragestellungen ver-<br />

standen. Die soziale Dimension umfasst die Beziehungen zwischen Personen sowie<br />

Beziehungsnetzwerke, die die Bearbeitung etwa aufgrund bestehenden Vertrauens<br />

fördern aber auch z.B. aufgrund von „Seilschaften“ verkomplizieren und verlang-<br />

samen können. 392<br />

5.1.7 Organisationen <strong>als</strong> Wissensstrukturen<br />

Organisationen werden in ihren Handlungen befähigt aber auch eingeschränkt durch<br />

Strukturen und Kulturen, 393 welche ihnen implizit bekannt sind und welche ein Wissen<br />

über Interpretationregeln beinhalten. 394 COOK und BROWN beschreiben die kollektive,<br />

implizite Ebene des Wissens <strong>als</strong> sogenannte “genres”. Aus ihrer Sicht stellen diese<br />

kollektiven Wissensbestände Verständnisrahmen zur Interpretation der<br />

organisationalen Wirklichkeit dar. Die Bedeutung wird dabei ständig entwickelt und<br />

unterliegt impliziten Verhandlungen. 395<br />

Explizit<br />

(diskursiv)<br />

Tacit<br />

(implizit)<br />

Individuell Kollektiv<br />

Concepts Stories<br />

Skills Genres<br />

Tabelle 8: Formen des Wissens<br />

391 Vgl. Hosking und Morley, 1991 und zur Interpretation des Ansatzes Rüegg-Stürm, 2001.<br />

392 Vgl. Hosking und Morley, 1991;Rüegg-Stürm, 2001.<br />

393 Vgl. Learning Dynamics, 1999.<br />

394 Vgl. z.B. Giddens, 1997.<br />

395 Vgl. Cook und Brown, 1999.<br />

159


160<br />

(Quelle: Cook und Brown, 1999)<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Ähnlich dem Konzept von COOK and BROWN definieren QUINN and HOLLAND<br />

“culture” <strong>als</strong> eine sinn- und wissensorientierte Dimension, die auf sozialen Praktiken<br />

basiert. Kultur wird verstanden <strong>als</strong> geteiltes Wissen darüber “what people must know<br />

in order to act as they do, making things they make, and interpret their experiences in<br />

the distinctive way they do”. 396 Der Sinn der Handlung kann daher nur verstanden<br />

werden, wenn man die Ebene kollektiv geteilter impliziter Wissensstrukturen berück-<br />

sichtigt, die <strong>als</strong> know how von Interpretationsregeln dient. 397<br />

Handeln wird in diesem Zusammenhang verstanden, nicht <strong>als</strong> eine Reihe diskreter,<br />

intentionalen einzelner Akte, sondern <strong>als</strong> eine kontinuierliche Sequenz sozialer und<br />

aufeinander bezogener Praktiken. Die Akteure sozialer Systeme reproduzieren die<br />

Strukturen durch ihre Handlungen. Die Strukturen ihrerseits ermöglichen und<br />

schränken gleichzeitig die Handlungen ein in denen sie zum Ausdruck kommen. Die<br />

Strukturen haben damit ermöglichende und gleichzeitig auch einschränkende<br />

Wirkung. 398<br />

Hierin liegen weitreichende Implikationen für Fragen organisationalen <strong>Wandel</strong>s.<br />

Wenn die impliziten kollektiven Wissensstrukturen organisationales Handeln ermög-<br />

lichen und einschränken, müssen gerade diese impliziten oder vorsprachlichen<br />

Strukturen im Mittelpunkt der Betrachtung organisationalen <strong>Wandel</strong>s stehen.<br />

Der Ort, an dem die impliziten Wissensstrukturen verankert sind, ist nach GIDDENS<br />

das praktische Bewusstsein. Es beinhaltet die Wissensbestände, die den Handelnden<br />

Orientierung darüber geben, „how to go on“ in verschiedenen sozialen Kontexten.<br />

Wenngleich die Wissensstrukturen nicht direkt diskursiv formuliert werden können,<br />

kann jedoch auf der Ebene des diskursiven Bewusstseins darüber reflektiert werden<br />

bzw. können die Intentionen der daraus hervorgehenden Praktiken ex post<br />

rationalisiert werden 399 .<br />

396 Vgl. Quinn und Holland, 1987.<br />

397 Vgl. Reckwitz, 1997a.<br />

398 Vgl. Giddens, 1997;Walgenbach, 1999.<br />

399 Vgl. Reckwitz, 1997a.


Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />

Ein <strong>Wandel</strong> der impliziten Wissensstrukturen kann demnach erfolgen durch die Re-<br />

flexion auf der Ebene des diskursiven Bewusstseins im und durch zeit- und kontext-<br />

spezifisches Handeln. 400<br />

5.1.8 Fazit: Umrisse eines systemisch-konstruktivistischen<br />

Organisationsverständnis<br />

Aus den vorgestellten Anwendungskonzepten können für die weitere Arbeit folgende<br />

relevanten Bestandteile und Unterscheidungen zur Beschreibung eines konstrukti-<br />

vistischen Organisationsverständnisses herausgeschält werden:<br />

• Organisationsgrenzen entstehen durch einen <strong>Prozess</strong> der Grenzziehung und der<br />

System-Umwelt Unterscheidung. Dieser <strong>Prozess</strong> führt zur Ausbildung einer<br />

gewissen Autonomie und beeinflusst gleichzeitig die Identität eines Systems.<br />

Allerdings handelt es sich nicht um einen abschließbaren <strong>Prozess</strong>, sondern die<br />

Identitätsfindung ist ein sich rekursiv ständig wiederholender und vom System<br />

selbst beobachteter <strong>Prozess</strong>. Die Umwelt ist dabei keine von außen gegebene<br />

Determinante, sondern ist mit dem System verbunden und wird durch das sie<br />

beobachtende System konstruiert.<br />

• Organisationen sind weniger <strong>als</strong> homogene Einheiten, sondern <strong>als</strong> Subsysteme<br />

lose gekoppelter Praxis-Gemeinschaften zu verstehen, die miteinander stärker<br />

oder schwächer verbunden sind. Die lokale Logik und Orientierung dieser<br />

Praxis-Gemeinschaften ist geprägt durch ihre jeweiligen Diskurs- und<br />

Interpretationsprozesse.<br />

• Innerhalb der Organisation werden durch diskursive und interpretative Be-<br />

ziehungs- und Kommunikationsprozesse Muster weitergetragen und verändert.<br />

• Die Muster und Routinen des Alltagsgeschehens fungieren <strong>als</strong> Träger<br />

organisationalen Wissens und prägen nicht nur die Identität der Organisation,<br />

sondern vermitteln auch entgegen der Fluktuation ihrer Mitglieder Konstanz<br />

und Konsistenz.<br />

• Die Routinisierung führt zur Entlastung und sedimentiert sich in dem was<br />

GIDDENS das praktische Bewusstsein nennt. 401 Die Routinen haben vor allem<br />

400 Vgl. Giddens, 1979.<br />

401 Vgl. Giddens, 1997.<br />

161


162<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

impliziten oder vorsprachlichen Charakter und können bisweilen aber ex post<br />

rationalisiert werden. Sie vermitteln eine Form von Gewissheit im Alltag,<br />

können aber im Rahmen von <strong>Wandel</strong>initiativen die Erneuerung der<br />

Organisation gefährden.<br />

• Durch die Reflexion der organisationalen Handlungen kann sich die Organisa-<br />

tion der Muster, <strong>Prozess</strong>e und Routinen des eigenen Alltagshandelns bewusster<br />

werden und die zugrunde liegenden Alltagstheorien, die „theories-in-use“<br />

kennenlernen.<br />

• Aufbauend auf ein prozessuales Organisationsverständnis soll für die weitere<br />

Arbeit eine Unterscheidung in relationale Beziehungsprozesse und technische<br />

Wertschöpfungsprozesse verwendet werden. Beide <strong>Prozess</strong>arten weisen<br />

unterschiedliche Logiken auf.<br />

Ordnet man die organisationstheoretischen Anwendungskonzepte bzgl. ihrer Nähe zu<br />

den beiden im vorigen Kapitel beschriebenen beiden Grundlagentheorien, ergibt sich<br />

eine interessante Landkarte theoretischer Positionierungen: Die Ansätze tendieren<br />

dazu, in unterschiedlich starker Weise entweder durch die Brille der System/Kontext-<br />

Unterscheidung oder durch die Bedeutung sozialer Praktiken und/oder<br />

handlungsleitender Strukturen zu fokussieren. Keiner der Ansätze vermag hingegen<br />

beide Unterscheidungen in einem Konzept zu vereinbaren und damit die<br />

strukturationstheoretische und systemische Dimension sozialer <strong>Prozess</strong>e zu<br />

berücksichtigen.<br />

Ziel der vorliegenden empirischen Untersuchung ist es, sowohl die Bedeutung von<br />

sozialen Strukturationsprozessen <strong>als</strong> auch die aus der System/Umweltunterscheidung<br />

entstehenden Systemeinflüsse bei strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen zu berücksichtigen.


hoch<br />

Ausprägung<br />

systemischen<br />

Organisationsverständnisses<br />

niedrig<br />

III<br />

Loosely<br />

Coupled Systems<br />

(Weick, 1989)<br />

Communitites of practice<br />

(Wenger, 1998)<br />

I<br />

Organisational Learning<br />

(Argyris/Schön 1978)<br />

Organisation <strong>als</strong> Wissensstruktur<br />

(Cook/Brown, 1999)<br />

IV<br />

II<br />

niedrig hoch<br />

Bedeutung <strong>identitätsbildender</strong><br />

Strukturations- und Beziehungsprozesse<br />

Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />

Zielgebiet<br />

der Arbeit<br />

Der <strong>Prozess</strong> des<br />

Organisierens (Weick, 1985)<br />

Abbildung 37: Übersicht über die dargestellten Konzepte<br />

Sozialpsychologie des<br />

Organisierens Organisierens (Hosking/Morley, (Hosking, 1991) 1991)<br />

Organisation und Kommunikation<br />

(Kieser, 1989)<br />

Die Gegenüberstellung der verschiedenen Ansätze auf den beiden Dimensionen ergibt<br />

folgende Einteilung der Ansätze:<br />

Im Quadranten I findet sich mit dem Konzept des Organizational Learning von<br />

Argyris/Schön ein Konzept, das dem systemischen Verständnis einer Mehr- bzw.<br />

Metaebenenbetrachtung nahe steht, aber Organisationen nicht in erster Linie <strong>als</strong><br />

Systeme behandelt.<br />

Im Quadranten II finden sich mit den Konzepten der „Loosely coupled systems“ und<br />

dem Konzept der „Communities of practice“ zwei Ansätze, die die Bedeutung relativ<br />

autonomer und lose mit dem Restsystem verbundener Subsysteme innerhalb von<br />

Organisationen behandeln. In beiden Fällen bieten die Systeme innerhalb des Systems<br />

Organisation das Potenzial zur Veränderung der restlichen Organisation. Allerdings<br />

wird nicht erörtert, welche Rolle dabei Beziehungs- und Kommunikationsprozesse<br />

bezogen auf die gesamte Organisation spielen.<br />

Im Quadranten III werden mit WEICK´s <strong>Prozess</strong> des Organisierens, HOSKING´s UND<br />

MORLEY´S Sozialpsychologie des Organisierens, der Organisation <strong>als</strong> Wissensstruktur<br />

nach COOK/BROWN und dem kommunikationsorientierten Organisationsverständnis<br />

nach KIESER solche Ansätze zusammengefasst, die vor allem die Bedeutung von<br />

163


164<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Kommunikations- und Beziehungsprozessen betonen und Organisationen <strong>als</strong> Produkte<br />

solch relationaler Verfertigungsprozesse ansehen.<br />

Quadrant IV stellt nun das Zielgebiet dieser Arbeit dar, in dem versucht werden soll,<br />

sowohl die relationalen Beziehungsprozesse <strong>als</strong> auch die Organisation <strong>als</strong> System in<br />

ihrer Bedeutung für die Bildung der organisationalen Identität zu berücksichtigen.<br />

Drei Implikationen für organisationalen <strong>Wandel</strong> können darüber hinaus bereits<br />

gefolgert werden: Erstens ist es nicht ausreichend, das individuelle, explizite Wissen<br />

und die Erwartungen zu berücksichtigen. Vielmehr müssen die darunter liegenden<br />

kollektiven und impliziten Wissensstrukturen, die in den sozialen Praktiken eingelagert<br />

sind, aufmerksam einbezogen werden. Zweitens ist die Externalisierung impliziter<br />

Regeln notwendig, um die förderlichen und hinderlichen Dynamiken organisationalen<br />

<strong>Wandel</strong>s zu erkennen. Drittens sollte, um Kontingenz <strong>als</strong> einen „enabling factor“ oder<br />

sogar <strong>als</strong> Voraussetzung für den <strong>Wandel</strong> zu erreichen, der reflektierende Dialog der<br />

taken-for-granted-assumptions gefördert werden, um „a new way of talking“ 402 zu er-<br />

reichen.<br />

5.2 <strong>Wandel</strong> und <strong>Wandel</strong>fähigkeit<br />

5.1 Bausteine organisationaler<br />

Anwendungstheorien<br />

5. Organisations- und<br />

<strong>Wandel</strong>verständnis<br />

5.2 <strong>Wandel</strong>- und<br />

<strong>Wandel</strong>fähigkeit<br />

Abbildung 38: Gedankenfluss Kapitel 5<br />

Nachdem in den vorangegangenen Kapiteln das Organisationsverständnis erarbeitet<br />

wurde, wird im Folgenden ein konstruktivistisches Verständnis von organisationalem<br />

<strong>Wandel</strong> entwickelt (Kap. 5.2.1). Kapitel 5.2.2 geht dabei auf eine systemische<br />

Vorstellung und die strategische Bedeutung von <strong>Wandel</strong>- und Erneuerungsfähigkeit<br />

einer Organisation ein.<br />

402 Vgl. Barrett, et al., 1995: Nach Auffassung der Autoren kommt es zum <strong>Wandel</strong> in Organisationen wenn „a<br />

new way of talking replaces an old way of talking“ vgl. S. 368.


Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />

Ausgangspunkt der Betrachtung von <strong>Wandel</strong> und <strong>Wandel</strong>fähigkeit ist dabei die<br />

Position des Forschungsprojektes: „Was braucht eine Organisation um den rapiden<br />

ökonomischen <strong>Wandel</strong> und die zunehmende Zahl an Veränderungen zu bewältigen? Industrie-<br />

und Dienstleistungsfirmen wie auch öffentliche Verwaltungen finden sich mit einer immer<br />

schneller sich ändernden Umwelt konfrontiert. Innerhalb kurzer Zeit müssen strategische<br />

Fähigkeiten aufgebaut und praktiziert werden. Dazu sind Strukturen und Kulturen notwendig,<br />

die den <strong>Wandel</strong> des Systems selber ermöglichen und fördern. Diese Strukturen sollten die Ent-<br />

wicklung neuer strategisch wichtiger und kollektiv verankerter Kernkompetenzen auf breiter<br />

Basis fördern. Sie können <strong>als</strong> Metafähigkeiten oder Fähigkeiten zweiter Ordnung gesehen<br />

werden, die dabei helfen Kernkompetenzen zu entwickeln, die Organisation selbst zu erneuern<br />

und einzelne Transformationsphasen nicht nur zu bewältigen, sondern langfristig aus ihnen<br />

zu lernen“. 403<br />

Grundlage der Betrachtung von <strong>Wandel</strong> ist in der Regel ein wahrgenommener<br />

Unterschied, eine Differenz zwischen einem IST- und einem SOLL-Zustand. Als IST-<br />

Zustand wird dabei die Situation vor der Veränderung, <strong>als</strong> SOLL-Zustand die Situation<br />

nach Ablauf des <strong>Wandel</strong>s charakterisiert. <strong>Wandel</strong> bedeutet dann, den Weg vom IST-<br />

zum SOLL-Zustand. 404<br />

<strong>Wandel</strong> nach<br />

einem bestimmten<br />

Muster<br />

A (IST-Zustand) B (zukünftiger<br />

oder SOLL-<br />

Zustand)<br />

Abbildung 39: <strong>Wandel</strong> <strong>als</strong> Veränderung vom IST- zum SOLL-Zustand<br />

Um an dieser Stelle einer zu vereinfachenden Vorstellung organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />

vorzubeugen, sollen kurz mögliche Implikationen eines simplen Ist-Soll-vergleichs<br />

angedeutet werden.<br />

403 Vgl. Learning Dynamics, 1999.<br />

404 Vgl. ähnlich Janes, et al., 2001und Beer, et al., 1990.<br />

165


166<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

• Bei der Wahrnehmung des IST- und SOLL-Zustandes handelt es sich jeweils<br />

um eindeutige Zustände einer Organisation (objektiv).<br />

• Der IST- Zustand wird durch die Initiatoren des <strong>Wandel</strong>s i.d.R. <strong>als</strong> negativ be-<br />

wertet, während der SOLL-Zustand häufig positiv „verkauft“ wird (Bewertung<br />

eindeutig).<br />

• IST- und SOLL-Zustand sind jeweils sich im Zeitablauf nicht verändernde<br />

Zustände (statisch).<br />

• Der Weg vom IST- zum SOLL kann durch eine lineare Transformation<br />

beschrieben und vorherbestimmt werden.<br />

Aus systemisch-konstruktivistischer Sicht muss dieses Modell verändert aufgefasst<br />

werden:<br />

• Die Wahrnehmung des IST- und SOLL-Zustandes entspricht jeweils einer<br />

diskursiv verfertigten Perspektive der betroffenen Personen, Gruppe oder<br />

Organisation (subjektiv).<br />

• Die Bewertung des IST- und SOLL-Zustands durch die beteiligten Personen<br />

und Gruppen ist abhängig von der persönlichen Bedeutung (Bewertung je nach<br />

der Relevanz der Unterschiede).<br />

• Der IST- und SOLL-Zustand sind keine zeitstabilen Zustände. Sie stellen je-<br />

weils Momentaufnahmen eines kontinuierlichen Handlungs- und Ereignis-<br />

stromes dar. 405 So ändert sich der IST-Zustand ohnehin ständig nach einem i. d.<br />

R. rekursiven Muster (dynamisch).<br />

Die folgende Abbildung versucht, die Aspekte der diskursiven Verfertigung und<br />

Subjektivität, der Betonung der Unterschiede anstelle der absoluten Werte und der<br />

Dynamik des <strong>Wandel</strong>s aus konstruktivistischer Sicht zu veranschaulichen.<br />

405 Erinnert sei hier an den Ausspruch von Heraklit: Man steigt nie zweimal in den gleichen Fluß.


Das macht für<br />

mich keinen<br />

Unterschied!<br />

Das wäre für<br />

mich schon eine<br />

radikale<br />

Umstellung!<br />

A (Ist-Zustand) B (ein möglicher<br />

zukünftiger)<br />

Abbildung 40: <strong>Wandel</strong> durch die konstruktivistische Brille<br />

Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />

Die oben beschriebenen unterschiedlichen Vorstellungen über ein Management des<br />

<strong>Wandel</strong>s beruhen häufig auf einem unterschiedlichen Organisations- und <strong>Wandel</strong>-<br />

verständnis.<br />

Folgt man der bereits erwähnten Metapher von der Karte und dem Territorium so kann<br />

man bildlich verschiedene Karten über das jeweilige Organisations- und <strong>Wandel</strong>ver-<br />

ständnis unterscheiden. Bei der empirischen Arbeit mit Organisationen wird schnell<br />

deutlich, dass es häufig eine technische Karte ist, die herangezogen wird, um soziale<br />

<strong>Prozess</strong>e zu erklären. 406 Sie entspricht sozusagen der lokalen Managementlogik mit<br />

der über Organisationen und <strong>Wandel</strong> gedacht wird. 407<br />

406 Vgl. zur technischen Vorverständnis in <strong>Wandel</strong>- und Transformationsprozessen insbesondere auch Wimmer<br />

(Wimmer, 1999).<br />

407 Vgl. zum Begriff der lokalen Logik auch Baitsch, 1993;Elden, 1983.<br />

167


Kriterien des <strong>Wandel</strong>- und<br />

Organisationsverständnisses<br />

• Gestaltung und <strong>Wandel</strong> von<br />

Organisationen<br />

• Probleme in Organisationen<br />

werden gesehen <strong>als</strong> ...<br />

168<br />

Technisches <strong>Wandel</strong>- und<br />

Organisationsverständnis<br />

• Organisationsgestaltung <strong>als</strong><br />

ingenieurmäßige Aufgabe<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Systemisch-konstruktivistisches<br />

<strong>Wandel</strong>- und<br />

Organisationsverständnis<br />

• Kommunikative Verfertigung408<br />

<strong>als</strong> massgebliches<br />

Element eines<br />

Veränderungsprozesses<br />

• Funktionsmangel • Entwicklungsschritte<br />

• Ziel der Veränderung • Vorwegdefinierte Sollkonzeption<br />

die Top Down<br />

umgesetzt werden muss<br />

• Verständnis des<br />

Managements<br />

• Umgang mit sog.<br />

Widerstand<br />

• Verhältnis Veränderer – zu<br />

Verändernden409<br />

• Management nicht Teil des<br />

Problems und Systems<br />

• Bewältigung des <strong>Wandel</strong>s,<br />

Entwicklung erneuerungsfähiger<br />

Strukturen, vorhandenes<br />

Potential neu entdecken<br />

• Management <strong>als</strong> Teil des<br />

Problems und Systems<br />

• Muss man brechen • Wird wahrgenommen <strong>als</strong> ein<br />

Kommunikationsangebot<br />

• Hierarchisch (Subjekt –<br />

Objekt)<br />

• Gleichrangig (Subjekt –<br />

Subjekt)<br />

• Binnendifferenzierung • Hierarchien • Teilsysteme<br />

Tabelle 9: Vergleich eines technischen und eines systemisch-konstruktivistischen <strong>Wandel</strong>- und<br />

Systemverständnisses<br />

Im folgenden Abschnitt wird nun stärker auf das, in dieser Arbeit und in der Unter-<br />

suchung der empirischen <strong>Wandel</strong>initiativen Bezug genommene, systemisch-konstrukti-<br />

vistische <strong>Wandel</strong>verständnis eingegangen.<br />

5.2.1 <strong>Wandel</strong> durch die konstruktivistische Brille<br />

Das Verständnis von organisationalem <strong>Wandel</strong> hat sich beträchtlich entwickelt,<br />

seitdem LEWIN in homöostatischer Tradition drei Phasen des <strong>Wandel</strong>s (unfreeze –<br />

change – refreeze) beschrieb. Sein Konzept beschreibt, wie viele andere, <strong>Wandel</strong> vor<br />

allem <strong>als</strong> ein diskretes, intentionales und historisches Ereignis, das sich losgelöst vom<br />

Kontext, vollzieht. 410<br />

408 Vgl. zum Verständnis der kommunikativen Verfertigung von Organisationen Kapitel 5.1.3 sowie<br />

insbesondere Kieser, 1998.<br />

409 Vgl. zum Verhältnis der Führungskräfte im <strong>Wandel</strong> aus der Perspektive einer Subjekt-Objekt- und einer<br />

Subjekt-Subjekt-Beziehung insbesondere Rüegg-Stürm, 2001.<br />

410 Vgl. Lewin, 1958.


Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />

Im Gegensatz dazu wird organisationaler <strong>Wandel</strong> im Folgenden aus systemisch-<br />

konstruktivistischer Sicht <strong>als</strong> ein vergangenheits- und zukunftsbezogenes, interde-<br />

pendentes Ereignis im Handlungsverlauf einer Organisationen in einem dynamischen<br />

Kontext aufgefasst. 411 Organisationaler <strong>Wandel</strong> zeigt sich in der Veränderung<br />

immaterieller und materieller Strukturen und damit der Veränderung der kollektiv<br />

geteilten Wirklichkeitsordnung einer Organisation. 412<br />

Die systemisch-konstruktivistische Herangehensweise trägt insbesondere drei<br />

Aspekten organisationalen <strong>Wandel</strong>s besonders Rechnung:<br />

• Der <strong>Wandel</strong>kontext wird in die Betrachtung des Phänomens <strong>Wandel</strong><br />

einbezogen, was in Zeiten sich schnell ändernder Umwelten von zentraler<br />

Bedeutung ist.<br />

• Organisationale <strong>Wandel</strong>phänomene, wie beispielsweise das oft zitierte<br />

„Commitment der Führungskräfte“ und der „Widerstand der Mitarbeiter“,<br />

werden nicht durch linear-kausale Zuschreibungen erklärt. Strukturelle<br />

Veränderungen einer Gesamtorganisation können kaum glaubwürdig aus-<br />

schließlich auf einzelne Eigenschaften individueller Personen zurückgeführt<br />

werden. 413 <strong>Wandel</strong>phänomene werden vielmehr <strong>als</strong> Ergebnis zirkulärer<br />

Beziehungen zwischen verschiedenen Elementen eines Systems und seinem<br />

Kontext aufgefasst. 414 Organisationale <strong>Prozess</strong>e und Strukturen sollten deshalb<br />

<strong>als</strong> das Ergebnis eines kollektiven Strukturierungsprozesses und Ausdruck einer<br />

organisationalen Fähigkeit aufgefasst werden.<br />

• Schließlich ist aus konstruktivistischer Sicht die wahrgenommene und für den<br />

Beobachter relevante Differenz zwischen zwei Zuständen entscheidend. Es<br />

kommt darauf an, ob und wie ein Unterschied zwischen dem IST- und SOLL-<br />

Zustand konstruiert und bewertet wird. Um mit GUNTHER SCHMIDT zu<br />

sprechen, könnte man statt von einer Wahrnehmung von einer Wahrgebung<br />

eines Zustandes sprechen. 415<br />

411 Vgl. Learning Dynamics, 1999.<br />

412 Vgl. Rüegg-Stürm, 2001.<br />

413 Vgl. Pettigrew, 1985.<br />

414 Vgl. Willke, 1991.<br />

415 Persönliches Gespräch bei einem Seminar am 17.02.02.<br />

169


170<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Was führt nun dazu, dass die Beteiligten in der Organisation einen für sie relevanten<br />

Unterschied zwischen einem IST- und einem SOLL- oder Zielzustand wahrnehmen?<br />

Traditionellerweise zielt das Management von Veränderungen darauf ab, IST, SOLL<br />

und den Weg vom IST zum SOLL auf eine bestimmte Art zu „verkaufen“. Der<br />

gegenwärtige Zustand wird dabei <strong>als</strong> kritisch, bedrohlich oder defizitär dargestellt. Der<br />

zukünftige Zustand <strong>als</strong> möglichst attraktiv verkauft und der Weg vom IST zum SOLL<br />

muss dann schließlich noch <strong>als</strong> realistisch und machbar dargestellt werden. 416<br />

Damit ist aber implizit bereits eine Abwertung der bestehenden Situation durch die<br />

Agenten des <strong>Wandel</strong>s verbunden. Veränderungsdruck wird aus einem solchen<br />

<strong>Wandel</strong>verständnis heraus häufig durch die Dramatisierung des IST-Zustands erreicht.<br />

Als „flankierende Maßnahme“ wird dann versucht, durch Anreize z.B. finanzieller Art,<br />

das Erreichen des zukünftigen oder SOLL-Zustands extrinsisch motiviert zu<br />

unterstützen.<br />

Ein systemisch-konstruktivistisches <strong>Wandel</strong>verständnis zielt dagegen auf die<br />

Konstruktion von relevanten Unterschieden zwischen zwei Zuständen durch die be-<br />

teiligten Personen und Gruppen ab. Das Management des <strong>Wandel</strong>s ist darauf ange-<br />

wiesen, dass ein Unterschied von den am <strong>Wandel</strong> beteiligten Parteien <strong>als</strong> für sie<br />

relevant erachtet wird. 417 Relevante Unterschiede führen mit höherer Wahrscheinlich-<br />

keit zu Veränderungen. 418<br />

Verbindet man nun das Modell des pragmatischen Werts der Information 419 mit dem<br />

vorgestellten <strong>Wandel</strong>modell, können Ableitungen für einen konstruktivistischen<br />

Umgang mit <strong>Wandel</strong> formuliert werden. Demnach ist die Wahrscheinlichkeit eines<br />

<strong>Wandel</strong>s des Systems dann besonders hoch, wenn die Soll-Situation anschlussfähig ist,<br />

d.h. wenn sie einen relevanten Unterschied macht. Anschlussfähiger <strong>Wandel</strong> zeichnet<br />

sich dadurch aus, dass sich die Beteiligten selbst damit identifizieren können bzw. dass<br />

416 Vgl. z.B. Janes, et al., 2001. Aus einer ähnlichen Logik heraus argumentiert auch Wimmer (Wimmer, 1999).<br />

417 An dieser Stelle spiegelt sich auch der erste Schritt in dem eingangs beschriebenen Tetralemma wider: Der<br />

gegenwärtige (IST)-Zustand wird <strong>als</strong> unbefriedigend und der (SOLL)-Zustand <strong>als</strong> u.U. erstrebenswert<br />

angesehen.<br />

418 Vgl. zu den methodischen Implikationen eines solchen Vorgehens insbesondere die Arbeiten von Steve<br />

DeShazer z.B. de Shazer, 1994; de Shazer, 1995.<br />

419 Vgl. Abschnitt 4.2.3.


Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />

er von Ihnen selbst (mit)initiiert ist, positiv und in ihrer eigenen Sprache formuliert ist<br />

und den Beteiligten realistisch erscheint.<br />

Veränderungen, die einen zu geringen Anteil neuer Informationen enthalten, führen<br />

demnach mit geringer Wahrscheinlichkeit zur Zielerreichung, weil sie von den Betei-<br />

ligten nicht <strong>als</strong> unterschiedlich erkannt werden. Dagegen führen Veränderungen, die<br />

einen zu hohen Anteil neuer Informationen enthalten, u. U. nicht zu Veränderungen,<br />

weil sie <strong>als</strong> irrelevant im Sinne der Nicht-Erreichbarkeit eingeschätzt werden.<br />

Die höchste Wahrscheinlichkeit der Umsetzung fällt deshalb zusammen mit dem<br />

höchsten pragmatischen Wert der Information. Dort wo ein ausreichendes Mass an<br />

bestätigenden und neuen Informationen zur Konstruktion von relevanten Unter-<br />

schieden durch die Beteiligten führt, ist die Wahrscheinlichkeit für den <strong>Wandel</strong> am<br />

höchsten.<br />

Pragmatischer<br />

Wert der<br />

Information<br />

Maximaler<br />

pragmatischer<br />

Wert der<br />

Information =<br />

Höchste Wahrscheinlichkeit<br />

der Umsetzung<br />

0% Erstmaligkeit 100%<br />

100% Bestätigung 0%<br />

Abbildung 41: Höchster pragmatischer Wert der Information<br />

(in Anlehnung an: E.U. v. (Weizsäcker, 1986, S. 99)<br />

Diese konstruktivistische Beschreibung von <strong>Wandel</strong> beinhaltet implizit auch bereits<br />

die, in der <strong>Wandel</strong>literatur oftm<strong>als</strong> anzutreffende Unterscheidung zwischen kontinu-<br />

ierlichem und diskontinuierlichem <strong>Wandel</strong>. Kontinuierlicher <strong>Wandel</strong> wird dabei <strong>als</strong><br />

Veränderung in langen Perioden kleiner kontinuierlicher Anpassungen in einer<br />

stabilen Umwelt beschrieben. Diskontinuierlicher <strong>Wandel</strong> findet dagegen in kurzen<br />

Perioden revolutionärer Veränderungen statt. Beide Formen des <strong>Wandel</strong>s finden sich<br />

z.B. im „punctuated equilibrium model“, welches den organisationalen <strong>Wandel</strong> <strong>als</strong><br />

171


172<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

einen Wechsel zwischen langen Perioden kontinuierlichen <strong>Wandel</strong>s und kurzen<br />

Perioden diskontinuierlichen <strong>Wandel</strong>s beschreibt. 420<br />

Aus konstruktivistischer Sicht ist es problematisch zwischen einem „objektiv“<br />

kontinuierlichen und einen „objektiv“ diskontinuierlichen <strong>Wandel</strong> zu unterscheiden,<br />

weil die Unterscheidung subjektiv von einem Beobachter getroffen wird. Es stellt sich<br />

vielmehr die Frage, wie kontinuierlicher und diskontinuierlicher <strong>Wandel</strong> von den<br />

Beteiligten konstruiert wird bzw. worin sich für den Beobachter kontinuierlicher und<br />

diskontinuierlicher <strong>Wandel</strong> unterscheidet?<br />

Überträgt man diese konstruktivistischen <strong>Wandel</strong>vorstellungen in WEIZSÄCKERS<br />

Modell der pragmatischen Information, dann handelt es sich beim diskontinuierlichen<br />

<strong>Wandel</strong> um Veränderungen, die einen zukünftigen Zustand anzielen, der ein hohes<br />

Maß an neuen und ein geringes Maß an bestätigenden Informationen enthält.<br />

Kontinuierlicher <strong>Wandel</strong> beschreibt dagegen Veränderungen, bei denen der zukünftige<br />

Zustand sich u.U. zu wenig vom bestehenden Zustand unterscheidet, zu bestätigend<br />

und zu geringfügig relevant erscheint bzw. konstruiert wird.<br />

Pragmatischer<br />

Wert Wert der der der<br />

Information Information<br />

Unternehmen Unternehmen in in<br />

Optimierung<br />

Optimierung<br />

Routineereignisse<br />

Routineereignisse<br />

Routineereignisse<br />

Routineereignisse<br />

Routineereignisse<br />

Routineereignisse<br />

Routineereignisse<br />

Unternehmen Unternehmen in in<br />

Erneuerung Erneuerung<br />

Irritationsereignisse<br />

Irritationsereignisse<br />

Irritationsereignisse<br />

Irritationsereignisse<br />

Irritationsereignisse<br />

Irritationsereignisse<br />

Irritationsereignisse<br />

TranskontinuierlicherDiskontinuier-<br />

Kontinuierlicher <strong>Wandel</strong> licher <strong>Wandel</strong><br />

<strong>Wandel</strong><br />

100% Bestätigung 0%<br />

0% Erstmaligkeit 100%<br />

Abbildung 42: Kontinuierlicher und diskontinuierlicher <strong>Wandel</strong><br />

(in Anlehnung an Rüegg-Stürm, 2001, S. 257)<br />

Das Management des <strong>Wandel</strong>s zielt dann darauf ab, die Konstruktion relevanter<br />

Unterschiede bei den Beteiligten zu fördern. So kann es bei kontinuierlichem <strong>Wandel</strong><br />

420 Vgl. Gersick, 1991.


Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />

nötig sein, die Unterschiede stärker herausarbeiten. Beispielsweise könnte der lang-<br />

fristig angestrebte, zukünftige Zustand im Sinne der sogenannten „Wunderfrage“ 421<br />

plastisch erarbeitet werden. Dagegen könnte im Falle des diskontinuierlichen <strong>Wandel</strong>s<br />

das Management des <strong>Wandel</strong>s durch die Konstruktion von graduellen Unterschieden<br />

die Anschlussfähigkeit des <strong>Wandel</strong>s an die Wirklichkeitsvorstellungen der Beteiligten<br />

unterstützen. Anders ausgedrückt kann ein Spiel mit den Unterschieden darin be-<br />

stehen, Unterschiede für die Organisation „verdaubar“ zu machen. Die „absorptive<br />

capacity“, 422 <strong>als</strong>o die Fähigkeit <strong>Wandel</strong> zu integrieren, kann aus konstruktivistischer<br />

Perspektive durch die Verstetigung diskontinuierlichen <strong>Wandel</strong>s oder die Inter-<br />

punktion des kontinuierlichen <strong>Wandel</strong>s den <strong>Wandel</strong> für die Organisation wahr-<br />

scheinlicher machen.<br />

Pragmatischer<br />

Wert Wert der<br />

der<br />

Information<br />

Information<br />

Interpunktion<br />

Transkontinuierlicher<br />

<strong>Wandel</strong><br />

Verstetigung<br />

100% Bestätigung 0%<br />

0% Erstmaligkeit 100%<br />

Abbildung 43: Interpunktion und Verstetigung des <strong>Wandel</strong>s<br />

VARGA VON KIBÉD spricht in diesem Sinne von Transkontinuierlichem <strong>Wandel</strong>. 423<br />

Darunter ist eine Veränderung des <strong>Wandel</strong>musters im Sinne einer Interpunktion oder<br />

eine Verstetigung zu verstehen. Dabei können sich Interventionen in Richtung einer<br />

Verstetigung oder Interpunktion des <strong>Wandel</strong>s auswirken. Hierdurch verändert sich das<br />

421 Vgl. de Shazer, 1996.<br />

422 Vgl. Cohen und Levinthal, 1990. Der Begriff wird hier verwendet im Sinne der Fähigkeit einer Organisation<br />

neue technologische Entwicklungen, neues Wissen oder Strukturen und andere Herausforderungen in die<br />

bestehenden Organisationsstrukturen und –prozesse zu integrieren.<br />

423 Dieser Begriff stammt von Louis Cauffman vom Korzybski Institut Brügge und wurde auf dem EWTA<br />

Kongress vorgestellt.<br />

173


174<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

<strong>Wandel</strong>muster. Die Befähigung zu dieser Veränderung des <strong>Wandel</strong>musters findet auf<br />

einer logisch übergeordneten Ebene statt und kann <strong>als</strong> Metafähigkeit verstanden<br />

werden. 424<br />

5.2.2 <strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Metafähigkeit?<br />

Ein wichtiger Beitrag zum systemischen Verständnis von <strong>Wandel</strong> und<br />

<strong>Wandel</strong>fähigkeit von Organisationen die auf WATZLAWICK/WEAKLAND/FISH<br />

eingebrachte Unterscheidung in <strong>Wandel</strong> erster und zweiter Ordnung. 425 Während<br />

<strong>Wandel</strong> erster Ordnung die Veränderungen innerhalb eines Systems beschreibt und in<br />

der Regel Veränderungen des Verhaltens der Systemmitglieder beinhaltet, die das<br />

Gesamtsystem weitgehend unverändert lassen, umfasst der <strong>Wandel</strong> zweiter Ordnung<br />

Veränderungen in der Struktur und den internen Regeln des Systems. Letzterer führt<br />

damit zu Veränderungen des Systems selbst. Ähnlich unterscheidet ASHBY zwischen<br />

<strong>Wandel</strong> von einem internen Zustand zum nächsten und <strong>Wandel</strong> von einer<br />

Transformation zur nächsten Transformation. Dies führt zu einer Veränderung des<br />

gesamten Systemverhaltens. 426<br />

Aufbauend auf diese Unterscheidung verschiedener logischer Ebenen, wie sie bereits<br />

in ähnlichen Modellen von BATESON oder auch dem vorgestellten Modell von<br />

ARGYRIS und SCHÖN verwendet werden, 427 sollen im weiteren Formen der <strong>Wandel</strong>-<br />

fähigkeit unterschieden werden. Um diese Unterscheidung deutlich zu machen, wird<br />

das bereits eingeführte <strong>Wandel</strong>modell noch einmal aufgegriffen.<br />

<strong>Wandel</strong> beinhaltet die Veränderung von einem Zustand A zum Zustand A`. Diese<br />

Veränderung läuft häufig nach einem rekursiven <strong>Prozess</strong> und Muster ab. Die rekursive<br />

Veränderung von Zustand A nach A` stellt bereits einen <strong>Wandel</strong> dar und bedarf einer<br />

<strong>Wandel</strong>fähigkeit im Sinne einer Bewältigung der Veränderung. Die Veränderung von<br />

Zustand A nach B setzt allerdings eine Veränderung des <strong>Wandel</strong>musters voraus und<br />

bedarf einer Reflexion und Veränderung des zugrunde liegenden Veränderungs-<br />

musters. Geht man von handlungsmächtigen Akteuren in sozialen Systemen aus, so<br />

424 Auf die genaue Unterscheidung zwischen <strong>Wandel</strong> und <strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Metafähigkeit wird im folgenden<br />

Kapitel eingegangen.<br />

425 Vgl. Watzlawick, et al., 2001.<br />

426 Vgl. Ashby, 1956.<br />

427 Vgl. Bateson, 1981, Argyris und Schön, 1978.


Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />

sind diese verschiedenen zukünftigen Zustände für die Akteuere <strong>als</strong> kontingent zu<br />

betrachten.<br />

Veränderung des<br />

Muster des <strong>Wandel</strong>s<br />

B (zukünftiger<br />

Zustand)<br />

A (Ist-Zustand) A`(zukünftiger<br />

Zustand)<br />

Veränderung des<br />

Verhaltens<br />

(mehr desselben)<br />

Abbildung 44: <strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Fähigkeit zur Veränderung des <strong>Wandel</strong>musters<br />

Aus Sicht der Theorie der Strukturierung sind die Akteure zur Veränderung der<br />

rekursiven Muster im <strong>Prozess</strong> der Strukturierung befähigt. Allerdings bedarf es hierzu<br />

der Reflexion der im <strong>Prozess</strong> der Strukturierung nicht erkannten Handlungsvoraus-<br />

setzungen und nicht intendierten Handlungskonsequenzen. 428<br />

Allgemein ausgedrückt liegt ein solcher <strong>Wandel</strong> vor, wenn eine Veränderung eines<br />

Verhaltens zu einem späteren Zeitpunkt stattfindet, beispielsweise von C nach D - <strong>als</strong>o<br />

eine Veränderung in einem anderen Kontext stattfindet. Ein Erreichen der Zustände B<br />

oder D macht jeweils eine Veränderung des Musters der Veränderung nötig.<br />

Ist beispielsweise ein Mitarbeiter gewohnt, dass er im Falle eines Problems<br />

(Unterschied zwischen A und B) zur Problemlösung seinen Geschäftsführer<br />

kontaktiert, dann erfolgt die Problemlösung nach einem bestimmten Muster A („den<br />

Geschäftsführer fragen, der sagt mir wie es geht“). Wechselt z.B. der Geschäftsführer<br />

und verfügt dieser neue Geschäftsführer nicht über das gleiche, tiefe, inhaltliche<br />

Wissen, kann er u.U. keine inhaltliche Lösung bestimmen.<br />

428 Vgl. Kap. 4.1.<br />

175


176<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Um nun D zu erreichen, muss u. U. das Problemlösungsmuster geändert werden. Da<br />

die Mitarbeiter in aller Regel das Wissen mitbringen, um von A nach B oder von C<br />

nach D zu gelangen, muss der Problemlösungsprozess mit dem neuen Geschäftsführer<br />

nach einem veränderten Muster erfolgen. Es werden <strong>als</strong>o die Regeln, wie man von A<br />

nach B gelangt, verändert, um von C nach D zu gelangen.<br />

<strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Metafähigkeit<br />

Kontext 1<br />

<strong>Wandel</strong>fähigkeit zur Bewältigung<br />

des <strong>Wandel</strong>s gemäß Muster A<br />

Kontext 2<br />

<strong>Wandel</strong>fähigkeit zur Bewältigung<br />

des <strong>Wandel</strong>s gemäß Muster B<br />

A B C D<br />

Abbildung 45: <strong>Wandel</strong>fähigkeit und <strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Metafähigkeit<br />

Bei der Veränderung der Regeln handelt es sich um mehr <strong>als</strong> die bloße Überwindung<br />

einer <strong>als</strong> problematisch angesehenen und Leidensdruck verursachenden Differenz<br />

zwischen A und B. Solange es darum geht, den Leidensdruck nur zu mildern, und B zu<br />

erreichen, führt das häufig zu einem Rückfall in alte Verhaltensmuster, sobald sich der<br />

Druck abgeschwächt hat. 429<br />

Die <strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Metafähigkeit unterscheidet sich von dem Vermögen, eine<br />

<strong>Wandel</strong>initiative durchzuführen, dadurch dass das Muster des Verhaltens erkannt und<br />

verändert wird. Es werden verschiedene Alternativen A´ und B <strong>als</strong> kontingente Alter-<br />

nativen (z.B. eines Strategieentwicklungsprozesses) erkannt und <strong>als</strong> relevant unter-<br />

schiedlich wahrgenommen.<br />

429 Vgl. Wimmer, 1999.


Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />

<strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Metafähigkeit besteht in dem Vermögen, Muster der Veränderung<br />

kontext- und interaktionsbezogen zu reflektieren und zu verändern. 430 Es geht <strong>als</strong>o<br />

nicht allein um die Bewältigung des Weges von A nach B. Vielmehr geht es darum<br />

Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine Veränderung des Musters der Veränderung<br />

der eigenen Organisation ermöglichen. Damit sind automatisch Grenzen der Machbar-<br />

keit verbunden, weil derlei <strong>Wandel</strong> nicht herkömmlich gemacht, sondern nur<br />

ermöglicht werden kann. 431<br />

RÜEGG-STÜRM weist zur Begründung dieser Grenzen der Machbarkeit darauf hin, dass<br />

die Führung einer Organisation nicht mehr länger <strong>als</strong> unabhängig und außerhalb des<br />

Systems positioniert betrachtet werden kann. Die konstruktivistische Systemtheorie<br />

plaziert die Führung vielmehr <strong>als</strong> Mitbeteiligte und Mitbetroffene innerhalb der<br />

<strong>Prozess</strong>e der Konstitution der sozialen Wirklichkeit. 432<br />

Deutlich wird dieser Zusammenhang am Konzept des Widerstands, welcher nach<br />

WIMMER letztlich genau in der Möglichkeit wurzelte, sich selbst <strong>als</strong> Veränderer aus-<br />

zuklammern und die Probleme am Widerstand der anderen festzumachen. 433 Es geht<br />

vielmehr um eine Selbst-Transformation, <strong>als</strong>o um die Notwendigkeit, den Beobachter,<br />

in den <strong>Prozess</strong> einzubeziehen. Die Regel ist dagegen häufig, dass er glaubt sich<br />

heraushalten zu können und Ausgangs- und Endzustand sowie den Weg von A nach B<br />

vorgeben zu können.<br />

<strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Metafähigkeit kann damit <strong>als</strong> <strong>Wandel</strong>fähigkeit 2. Ordnung ver-<br />

standen werden. Die Fähigkeit,die bestehenden Muster und Routinen der eigenen<br />

Organisation zu wandeln,setzt dabei die Externalisierung, das Erkennen sowie die<br />

Reflexion der eigenen bestehenden Muster und Wissensstrukturen voraus.<br />

Von entscheidender Bedeutung für die <strong>Wandel</strong>fähigkeit ist es, unterschiedliche<br />

Kontexte differenzieren zu können. Der abschließende Abschnitt versucht deshalb,<br />

organisationale <strong>Wandel</strong>situationen zu identifizieren, die eine gesteigerte <strong>Wandel</strong>- und<br />

430 Bei der Bezeichnung der <strong>Wandel</strong>fähigkeit <strong>als</strong> Metafähigkeit soll hier verdeutlichen, dass es sich auf der<br />

Ebene der Veränderung der <strong>Wandel</strong>muster um eine logisch andere Klasse von Fähigkeit handelt, <strong>als</strong> bei der<br />

Fähigkeit den <strong>Wandel</strong> von A nach B zu bewältigen.<br />

431 Vergleiche zum Thema der Machbarkeit des <strong>Wandel</strong>s insbesondere die Ausführungen bei Rüegg-Stürm,<br />

2000 Rüegg-Stürm, 2001.<br />

432 Vgl. Rüegg-Stürm, 2001.<br />

433 Vgl. Wimmer, 1999.<br />

177


178<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Erneuerungsfähigkeit einer Organisation verlangen. Das Modell idealtypischer<br />

Bruchstellen organisationalen <strong>Wandel</strong>s stellt einen ersten Versuch dar, vor einem<br />

explizit systemischen Hintergrund solche Situationen und die mit ihnen verbundenen<br />

Herausforderungen zu systematisieren.<br />

5.3 Idealtypische Herausforderungen einer Organisation im <strong>Wandel</strong><br />

Welchen <strong>Wandel</strong>situationen stehen Unternehmen im Ablauf ihrer Geschichte<br />

gegenüber? Wann und bei welchen idealtypischen Gelegenheiten entsteht die<br />

Notwendigkeit organisationalen <strong>Wandel</strong>s?<br />

Das nachfolgende Kapitel gibt eine erste Orientierung auf diese Frage. Die Ausein-<br />

andersetzung mit dieser Frage geschieht dabei in dem Bewusstsein, dass es sich bei<br />

Organisationen um heterogene Gebilde verschiedener Systeme, <strong>als</strong>o Systeme von Teil-<br />

systemen handelt und dass nur bedingt kontextunabhängig Aussagen über die<br />

spezifischen Organisationen gemacht werden können.<br />

Es wird deshalb versucht, Aufgabenstellungen organisationalen <strong>Wandel</strong>s einer Unter-<br />

nehmung zu identifizieren. Der Entwurf orientiert sich dabei an den Systemprinzipien<br />

von SPARRER und VARGA VON KIBÉD, indem versucht wird, idealtypische organisati-<br />

onale Herausforderungen und damit verbundene Fragestellungen beispielhaft aufzu-<br />

zeigen.<br />

Der daraus resultierende Modellansatz ist dazu angelegt empirische Beispiele in den<br />

Orientierungsrahmen einordnen zu können. Er unterscheidet sich von anderen Unter-<br />

nehmensmodellen vor allem durch die explizit systemische und konstruktivistische<br />

Ausrichtung. 434 Das Modell steht unter dem Vorbehalt, dass die Herausforderungen<br />

stets in Abhängigkeit vom jeweiligen Kontext bzw. der Orientierung des Systems zu<br />

sehen sind. Darüber hinaus ergeben sich aus den Systemprinzipien, auf die das Modell<br />

aufbaut, Hinweise auf mögliche Interventionsmöglichkeiten. 435<br />

434 Vgl. zu anderen Unternehmensmodellen z.B. das Modell des wachsenden UnternehmensGreiner, 1982, das<br />

Modell der Unternehmensentwicklung Bleicher, 1991 oder das Modell des machtpolitischen Unternehmens-<br />

Lebenszyklus Mintzberg, 1984, Mintzberg, 1983. Für einen umfassenden Überblick über verschiedene<br />

Unternehmensmodelle vgl. Pümpin und Prange, 1991.<br />

435 Vgl. zu den Interventionsmöglichkeiten im Sinne eines Management des <strong>Wandel</strong>s vgl. Kap. 8.2.<br />

(Bruchstellen organisationaler Identitätsstrukturen).


Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />

Organisationen sind i.d.R. soziale Systeme, die sich um ein bestimmtes gesellschaft-<br />

liches Problem oder einen Bedarf herum bilden. Sie sind daraufhin orientiert,<br />

Leistungen anzubieten und eine bestimmte Aufgabe zu lösen. 436 Organisationen ent-<br />

stehen gewissermaßen <strong>als</strong> Antwort auf eine Bedarfslage. Allerdings ergeben sich bei<br />

verschiedenen Organisationen unterschiedliche Zielsetzungen oder Orientierungen:<br />

Wie bereits im systemtheoretischen Teil der Arbeit deutlich wurde, 437 benötigen<br />

Organisationen eine Grenze zwischen der Umwelt und sich. Innerhalb dieser Grenze<br />

können Systeme wachsen und ggfs. weitere Systeme gründen. Es werden Strukturen<br />

und <strong>Prozess</strong>e ausgebildet, die die Bewältigung von Krisen und die Produktion von<br />

Leistungen ermöglichen, mit deren Hilfe sich das System zum Interaktionspartner<br />

seines Umfelds macht. Damit organisiert eine Organisation nicht nur sich selbst,<br />

sondern organisiert bzw. konstruiert sich auch die entsprechende Umwelt. 438<br />

Sobald eine Organisation diesen <strong>Prozess</strong> der Ausdifferenzierung abgeschlossen hat,<br />

kann sie auf eine identitätsstiftende Geschichte zurückblicken, in der sich bereits<br />

Muster und Entscheidungsroutinen gebildet haben: Die zukünftigen Ereignisse und<br />

Entscheidungen in Organisationen folgen dann den in der Systemgeschichte aufge-<br />

bauten Struktur- und <strong>Prozess</strong>mustern. Diese lassen sich verstehen <strong>als</strong> die konden-<br />

sierten Traditionen, Lernerfahrungen und Selbstidentifikationen des Systems“. 439<br />

Organisationaler <strong>Wandel</strong> trifft nun auf explizite und implizite Erwartungsstrukturen,<br />

über die bei den Beteiligten im Sinne eines <strong>Prozess</strong>es des Gebens und Nehmens Buch<br />

geführt wird. Strategische <strong>Wandel</strong>prozesse greifen in die daraus entstehenden Tausch-<br />

beziehungen und Loyalitäten von Personen und Organisation ein und verschieben die<br />

bestehenden Systemgefüge. In die Auseinandersetzung über geeignete Strukturen und<br />

<strong>Prozess</strong>e mischen sich dann häufig Fragen dieser Austauschbeziehungen.<br />

Gegenstand der Tauschbeziehungen und Erwartungen sind u.a. Fragen der Zugehörig-<br />

keit und Identität, der Anerkennung des Vorrangs untereinander, der Anerkennung des<br />

436 Vgl. dazu auch im vorhergehende Kapitel die Implikationen des systemischen Organisationsverständnisses.<br />

437 Vgl. Kap. 4.2.<br />

438 Vgl. Wimmer, 1999.<br />

439 Vgl. Willke, 1997.<br />

179


180<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Einsatzes für die Organisationen oder auch der Leistungen oder Fähigkeiten, die der<br />

Organisation zur Verfügung gestellt werden oder erbracht worden sind. 440<br />

Die Bedeutung beispielsweise der Zugehörigkeit hängt allerdings ganz wesentlich von<br />

dem Kontext und der Ausrichtung des Systems ab. D.h. je nachdem auf welchen Sinn<br />

und Zweck die Organisationen ausgerichtet ist, erhalten die Prinzipien einen unter-<br />

schiedlichen Stellenwert.<br />

So wird für Unternehmen, bei denen die Zugehörigkeit i.d.R. vertraglich geregelt ist,<br />

in Phasen von Fusionen die Systemgrenze häufig verändert. Daraus ergeben sich u.a.<br />

Unsicherheiten bzgl. der Zugehörigkeit der Mitglieder zum neuen System und Fragen<br />

bzgl. der Identität des neuen Systems. Zusätzliche Probleme im Kontext von Fusionen<br />

ergeben sich aus dem Umstand, dass einige Positionen nach der Fusion doppelt besetzt<br />

sein können. Es muss <strong>als</strong>o für das neue System erst eine neue gemeinsame<br />

Systemgrenze gezogen werden.. 441<br />

Allerdings sind mit Fusionsprozessen auch häufig Probleme bzgl. des Prinzips der<br />

zeitlichen Reihenfolge verbunden. Hierzu zählen Aspekte der Nichtwürdigung<br />

früherer Kulturen und Strukturen, die durch den <strong>Wandel</strong> in Frage gestellt werden. 442<br />

Problematische Lösungsversuche bestehen dann häufig im Ausschluss von Personen<br />

oder Kulturen oder in der Nichtanerkennung geleisteten Einsatzes. So ist häufig in der<br />

Phase vor, während oder im Anschluss an eine Fusion besonderer Einsatz von einigen<br />

Elementen des Systems erforderlich. Wird dieser Einsatz nicht anerkannt, verliert das<br />

System die Fähigkeit, mit solchen Herausforderungen oder Krisen umzugehen.<br />

Beispiele für einen solchen Einsatz in Organisationen stellen etwa die Phase der Due<br />

Dilligence vor der Fusion oder die Integration der Geschäftsprozesse beispielsweise im<br />

Rahmen von einer SAP Einführung im Anschluss an eine Fusion dar.<br />

440 Vgl. hierzu insbesondere die Ausführungen zum Thema Systemprinzipien in Kapitel 4.2.7.<br />

441 Praktisch bedeutet das, dass häufig aus den zwei getrennten Systemen auch äußerlich erkennbar erst ein<br />

System gebildet werden muss (gemeinsame Geschäftsleitung, ein Firmenname, gemeinsamer Kundenstamm<br />

usw.).<br />

442 In Anlehnung an einen Ausspruch von Gunter Schmidt anlässlich des Symposiums Complex Change, könnte<br />

man nach diesem Prinzip den <strong>Wandel</strong> auch <strong>als</strong> den Zwerg auf der Schulter des Bestehenden verstehen.


Beispielhafte<br />

<strong>Wandel</strong>anlässe<br />

Unternehmenszusammenschlüsse,<br />

Outsourcing, Projekte<br />

Zeitweise Organisationsformen<br />

Organisationsformen<br />

Kooperationen, Allianzen<br />

Akquisitionen, Joint Ventures,<br />

Gründung und Umgang mit<br />

neuen Geschäftsfeldern, Spin-Offs<br />

Krisen, Umstrukturierungen,<br />

Phasen besonderen Einsatzes<br />

Kosteneinsparungsprogramme<br />

ERP, Shared Shared Service,<br />

Faster Time to Market<br />

...betreffen...<br />

Organisations- und <strong>Wandel</strong>verständnis<br />

Systemorientierung<br />

Systemorientierung<br />

Unterscheidung Innen-Aussen<br />

(Zugehörigkeitsorientierung)<br />

Zeitliche Reihenfolge<br />

(Wachstumsorientierung)<br />

Gründung neuer Teil-Systeme<br />

(Fortpflanzungsorientierung)<br />

Einsatz für das Ganze<br />

(Immunkraftbildung)<br />

Systemleistung und -fähigkeiten<br />

(Outputorientierung)<br />

Abbildung 46: Modell systemorientierter organisationaler Herausforderungen<br />

Im anschließenden empirischen Teil der Arbeit werden die beschriebenen<br />

heuristischen Systemprinzipien dazu verwendet, um implizite systemische Strukturen<br />

zu analysieren und zu verdeutlichen, welche Wirkung von den <strong>Wandel</strong>initiativen für<br />

die bestehenden Strukturen ausgehen. Daraus sollen Rückschlüsse auf die Gestaltung<br />

von <strong>Wandel</strong>initiativen gezogen werden, welche die häufig nicht intendieren<br />

Handlungskonsequenzen bzw. die nicht beachteten Handlungsvoraussetzungen solcher<br />

strategischer Initiativen transparenter machen.<br />

181


182<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

6 Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Organisieren ist zuallererst gegründet auf Einigung darüber,<br />

was Wirklichkeit ist und was Illusion ist.<br />

Karl Weick 443<br />

Da das Forschungsprojekt und die methodologischen Leitvorstellungen bereits vorge-<br />

stellt wurden. 444 sollen vor dem Einstieg in den empirischen Teil der Arbeit lediglich<br />

die noch offenen Fragen zum Forschungsprozess geklärt werden. Dabei handelt es sich<br />

vor allem um die Fragen bzgl. der Erschließung des Forschungsfeldes, der Auswahl<br />

der <strong>Wandel</strong>orte und -inhalte sowie der Interviewteilnehmer.<br />

Im Anschluss daran werden die beiden Forschungspartner, SIEMENS BUILDING<br />

TECHNOLOGIES und MIGROS AARE, der externe Kontext in dem sich die Organi-<br />

sationen befinden sowie die dort jeweils untersuchten strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen<br />

vorgestellt. Vielfach hängen die dargestellten <strong>Wandel</strong>projekte auch mehr oder weniger<br />

eng mit den geschilderten externen Kontextfaktoren zusammen. Dies gilt insbesondere<br />

für die Unternehmenszusammenschlüsse, welche jeweils eine wichtige Voraussetzung<br />

zum Verständnis der <strong>Wandel</strong>initiativen bilden.<br />

Die Darstellung der empirischen Ergebnisse erfolgt unter Zuhilfenahme des Konzepts<br />

der first- und second order findings von VAN MAANEN. 445 Dabei werden Episoden<br />

bzw. Vignetten 446 aus den <strong>Wandel</strong>initiativen beschrieben und vor dem Hintergrund<br />

eines systemisch-konstruktivistischen Ansatzes im Gesamtkontext der Unternehmung<br />

interpretiert.<br />

Die Forschungsstrategie folgt dabei einer vergleichenden Studie zwischen den beiden<br />

Partnerorganisationen, d.h. der Einfluss der strategischen Initiativen auf die Strukturen<br />

und <strong>Prozess</strong>e der Unternehmen erfolgt in einer vergleichenden Form.<br />

Dazu werden zuerst die beiden Unternehmen, ihr externer Kontext und die unter-<br />

suchten <strong>Wandel</strong>projekte vorgestellt (Kapitel 6). Im Hauptteil des empirischen Teils<br />

(Kapitel 7) wird dann mit Hilfe der bereits beschriebenen Systemprinzipien eine<br />

443 Vgl. ebenda.<br />

444 Vgl. Kap. 1.3 bzw. 3.<br />

445 Vgl. Kap. 3.1 und Van Maanen, 1983.<br />

446 Mit Vignetten sind im Folgenden kleinere <strong>Wandel</strong>episoden gemeint, die jeweils first-order Beschreibungen<br />

darstellen.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Strukturanalyse durchgeführt. Daran schließt sich eine Handlungs- bzw. <strong>Prozess</strong>-<br />

analyse an, die versucht, die Wirkung der <strong>Wandel</strong>initiativen auf die Identitätsbildung<br />

zu erfassen.<br />

6.1 Erschließung des Forschungsfeldes<br />

Wie bereits bei der Vorstellung des Forschungsprojekts Learning Dynamics 447 deut-<br />

lich wurde, war der inhaltliche Rahmen der Gesamtforschungsfrage sowie die der<br />

einzelnen Dissertationen zu Beginn offen formuliert. Die Fragestellungen wurden erst<br />

während des Forschungsprozesses mit der Konkretisierung der Feldbeziehungen und<br />

der strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen der Partnerorganisationen definiert.<br />

Nachdem bereits umfangreiche Vorarbeiten geleistet worden waren, startete die empi-<br />

rische Arbeit im April 2000 mit der Begleitung der drei strategischen <strong>Wandel</strong>projekte<br />

bei der SBT.<br />

SBT wurde aus mehreren Gründen für das Forschungsprojekts ausgewählt, u.a. weil<br />

die Grundfragestellung des organisationalen <strong>Wandel</strong>s und der Erneuerung ein aktu-<br />

elles Thema im Anschluss an zwei vorhergehende Fusionen war.<br />

Die Gespräche mit Verantwortlichen auf der Bereichs- und der Divisionsebene erga-<br />

ben in der Anfangsphase eine Reihe von größeren strategischen Initiativen, bei denen<br />

auch von Seiten der SBT und der Divisionen ein Interesse bestand, diese wissen-<br />

schaftlich begleiten zu lassen.<br />

Die Auswahl der <strong>Wandel</strong>orte war vor allem von dem Ziel geleitet, <strong>Wandel</strong>prozesse<br />

mit einer hohen strategischen und bereichsübergreifenden Bedeutung in unterschied-<br />

lichen Tätigkeitsbereichen der Organisation zu finden. Es sollten Initiativen gewählt<br />

werden, welche die Organisation tiefgreifend veränderten, mehrere Hierarchiestufen<br />

involvierten und vor allem den Zusammenhang zwischen den Strukturen und organi-<br />

sationalen Handlungen der Organisation deutlich werden ließen.<br />

Für die Wahl der letztlich untersuchten Initiativen sprach, dass das Forschungsteam im<br />

Falle des ERP-Projekts 448 die Möglichkeit hatte, eine Initiative fast vom Start an,<br />

sozusagen „live“, zu begleiten. Beim BSC-Projekt 449 sollte ein Vergleich zwischen der<br />

447 Vgl. Kap. 1.3.<br />

448 ERP steht für Enterprise Ressource Planning. Vgl. näheres in Kap. 6.3.2.<br />

449 BSC steht für Balanced Scorecard. Vgl. näheres in Kap. 6.3.1.<br />

183


184<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

BSC in Europa und den USA vorgenommen werden und beim PFC 450 das Thema der<br />

strategischen Erneuerung innerhalb einer großen Organisation direkt angesprochen<br />

war.<br />

Zu allen drei Projekten wurden uns je Ansprechpartner genannt. Die weitere Aus-<br />

gestaltung der Forschungsaktivitäten sowie der Aufbau tragfähiger Feldbeziehungen<br />

war weitgehend dem Forschungsteam überlassen und erfolgte im wesentlichen nach<br />

dem Prinzip des „planned opportunism“. 451 Allerdings wurden wir bis auf ganz<br />

wenige Ausnahmen sehr offen und interessiert aufgenommen.<br />

Während der folgenden, etwa zweijährigen Begleitung der strategischen Initiativen bei<br />

der SBT, wurde der Einfluss der zurückliegenden Merger und der daraus entstandenen<br />

strategischen Projekte auf die Identität der Organisation zunehmend deutlicher. Um<br />

den Einfluss solcher Initiativen auf die bestehenden Identitätsstrukturen näher zu<br />

untersuchen, wurde mit der kürzlich fusionierten MIGROS AARE ein zweiter<br />

Forschungspartner gewonnen. Hier wurden im Rahmen einer Interviewreihe,<br />

wiederum mit zwei Forschern, wiederum drei strategische Post-Merger-Projekte<br />

hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die bestehenden Strukturen untersucht.<br />

6.1.1 Auswahl der Interviewteilnehmer, teilnehmenden Beobachtungen und<br />

externen Dokumente<br />

Die Auswahl der Interviewteilnehmer erfolgte sowohl bei SBT wie auch bei der<br />

MIGROS frei und ohne Einflussnahme seitens der Organisationen. Während im Falle<br />

der MIGROS und der SBT US 452 aufgrund der kürzeren Forschungsdauer die Auswahl<br />

unterstützt wurde durch den jeweiligen Hauptansprechpartner aus der Geschäfts-<br />

leitung, waren die Forscher bei der SBT EU völlig unabhängig in der Auswahl der<br />

Interviewten. Die Auswahl war vor allem durch theoretische und pragmatische<br />

Gesichtspunkte bestimmt:<br />

Aus theoretischer Sicht war es wichtig, die <strong>Wandel</strong>prozesse möglichst umfassend<br />

kennen zu lernen. Es wurde versucht, sowohl verschiedene Hierarchiestufen <strong>als</strong> auch<br />

verschiedene Aufgabeninhalte im Rahmen der Interviews zu erfassen. Außerdem soll-<br />

450 PFC steht für ein Segment mit der Bezeichnung Performance Contracting. Vgl. näheres in Kap. 6.3.3.<br />

451 Vgl. Pettigrew, 1990.<br />

452 Die Bezeichnungen SBT US und SBT EU beziehen sich jeweils auf die nordamerikanische bzw. europäische<br />

„Area“ des SBT-Bereichs.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

ten sowohl die lokalen Anforderungen der Initiativen <strong>als</strong> auch der Gesamtrahmen<br />

durch die Interviews beleuchtet werden.<br />

Aus pragmatischer Sicht stellten sowohl die Ressourcen der Partnerorganisationen <strong>als</strong><br />

auch die des Forschungsteams knappe Ressourcen dar (Zeit und Finanzen). Aus-<br />

schlaggebend für die Auswahl der Interviewteilnehmer waren daher neben der Abde-<br />

ckung der gesamten Hierarchieebene, auch die Erfassung der Funktionen im Rahmen<br />

der betrieblichen Tätigkeit, der Funktionen in der <strong>Wandel</strong>initiative. 453<br />

Über die Mitarbeiter und Führungskräfte der beteiligten Organisationen hinaus wurden<br />

jeweils auch noch Externe (beispielsweise Trainer, Berater oder auch sonstige<br />

Personen von Interesse) interviewt, die an den jeweiligen Initiativen beteiligt waren.<br />

Die teilnehmenden Beobachtungen von Interaktionen und Handlungen bei Workshops<br />

und Sitzungen erfolgte vor allem mit dem Ziel, (Hintergrund-) Informationen rund um<br />

das Thema <strong>Wandel</strong> und Erneuerung in den Organisationen zu erhalten. Dazu wurden<br />

vor allem ethnographisch orientierte Beobachtungen, in denen die Forscher in einer<br />

passiven Beobachterrolle waren, durchgeführt. Darüber hinaus wurden auch – vor<br />

allem in der letzten Phase des Forschungsprojekts – Feedbackworkshops veranstaltet,<br />

bei denen die Forscher eine aktive (moderierende, informierende und beratende) Rolle<br />

einnahmen.<br />

Die Auswahl der Dokumente, die analysiert wurden, erfolgte flankierend zu den Inter-<br />

views und teilnehmenden Beobachtungen. Hierbei wurden über die projektbe-<br />

gleitenden Präsentationen und Dokumente hinaus vor allem Firmenzeitschriften, sowie<br />

Strategiepapiere sowie externe Berichte einbezogen.<br />

6.1.2 Darstellung der empirischen Ergebnisse<br />

Die Darstellung der empirischen Ergebnisse erfolgt in den Kapiteln 6 und 7: Zum<br />

einen werden in den Kapiteln 6.2 - 6.4 die SBT, ihr externer Kontext sowie die Inhalte<br />

der untersuchten <strong>Wandel</strong>initiativen zusammenhängend vorgestellt. Daran schließt sich<br />

in den Kapiteln 6.5 - 6.7 die Darstellung der MIGROS AARE mit ihrem externen<br />

Kontext und den dort untersuchten Post-Merger-Projekten an.<br />

453 Vgl. ähnlich Rüegg-Stürm, 2002.<br />

185


Partnerorganisationen<br />

186<br />

SBT<br />

Migros<br />

Aare<br />

Externer Kontext<br />

Externer<br />

Kontext SBT<br />

Externer Kontext<br />

Kontext<br />

Externer Kontext<br />

Kontext<br />

Migros Migros Aare<br />

Aare<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

<strong>Wandel</strong>inhalte<br />

<strong>Wandel</strong>inhalte<br />

(Projekte)<br />

(Projekte)<br />

BSC<br />

ERP<br />

PFC<br />

Postmerger- PMI- -<br />

projekte<br />

projekte<br />

Interner<br />

Kontext<br />

Analyse der<br />

Internen<br />

Kontexte<br />

Abbildung 47: Übersicht über die Darstellung der empirischen Ergebnisse<br />

<strong>Wandel</strong>prozesse<br />

Analyse der<br />

<strong>Wandel</strong>- -<br />

prozesse<br />

Im Anschluss werden dann im Kapitel 7.1 im Rahmen einer strukturellen Analyse der<br />

interne Kontext sowie in Kapitel 7.2 im Rahmen einer Handlungsanalyse die identi-<br />

tätsbildende Wirkung der <strong>Wandel</strong>prozesse in vergleichender Form untersucht. Im<br />

Mittelpunkt steht dabei jeweils ein Vergleich zwischen den verschiedenen Projekten<br />

(nicht zwischen den beiden Firmen).<br />

Wie Abb. 48 zeigt, werden Firma, externer Kontext und die <strong>Wandel</strong>initiativen aufein-<br />

anderfolgend dargestellt, um den Einfluss des Firmenhintergrunds sowie dessen<br />

Umfeld auf die <strong>Wandel</strong>initiative für den Leser leichter nachvollziehbar zu machen.<br />

Die Analyse des internen Kontexts und der <strong>Wandel</strong>prozesse in Kapitel 7 erfolgt<br />

dagegen systematisch und stärker vergleichend, um hieraus Hinweise auf<br />

kontextübergreifende Muster und Dynamiken zu erhalten.<br />

Die Vorgehensweise dieser Comparative Case Study orientiert sich somit nicht in<br />

erster Linie an methodischer Strenge, sondern zielt vor allem auf eine verständliche<br />

und illustrative Beschreibung, die die jeweiligen Kontexte und Initiativen für den<br />

Leser nachvollziehbar werden lassen. 454<br />

454 Vgl. zu den unterschiedlichen Verständnissen solcher Fallstudien insbes. Dyer und Wilkins, 1991;Eisenhardt,<br />

1989.


6.2 Die Organisation des Forschungspartners SBT<br />

Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Die Vorstellung der Organisationen erfolgt nacheinander, wobei jeweils zuerst allge-<br />

meine Informationen (Geschichte, Firmenumfeld, Organisation, Identitätsmerkmale)<br />

und dann der externe Kontext mit den für den <strong>Wandel</strong> wesentlichen Einflussfaktoren<br />

(Markt, Merger, strategische Aspekte sowie Firmenkultur) präsentiert werden. Zum<br />

Abschluss werden die daraus hervorgehenden <strong>Wandel</strong>initiativen bzw. <strong>Wandel</strong>projekte<br />

dargestellt.<br />

In Kapitel 6.2 wird der Forschungspartner SBT vorgestellt. Hierbei wird Bezug ge-<br />

nommen auf die Entstehungsgeschichte, die Einbettung in den SIEMENS-Konzern, die<br />

Organisationsstruktur bei der Gründung und nach der wichtigen Umstrukturierung im<br />

Jahr 2000 sowie die Identitätsmerkmale und die <strong>Wandel</strong>arenen zum Zeitraum des<br />

Forschungsprojekts.<br />

Partnerorganisationen<br />

SBT<br />

Migros<br />

Aare<br />

Externer Kontext<br />

Externer<br />

Kontext SBT<br />

Externer Kontext<br />

Kontext<br />

Externer Kontext<br />

Kontext<br />

Migros Aare<br />

Aare<br />

<strong>Wandel</strong>inhalte<br />

<strong>Wandel</strong>inhalte<br />

(Projekte)<br />

(Projekte)<br />

BSC<br />

ERP<br />

PFC<br />

Postmerger- PMI- -<br />

projekte<br />

projekte<br />

Abbildung 48: Gedankenfluss Empirie<br />

6.2.1 Entstehungsgeschichte und Hintergrund der SBT<br />

Interner<br />

Kontext<br />

Analyse der<br />

Internen<br />

Kontexte<br />

<strong>Wandel</strong>prozesse<br />

Analyse der<br />

<strong>Wandel</strong>- -<br />

prozesse<br />

Die SIEMENS BUILDING TECHNOLOGIES AG (SBT) entstand im Oktober 1998 aus dem<br />

Industrieteil der ELEKTROWATT AG und den Gebäudetechnik-Aktivitäten der SIEMENS<br />

AG. Aus der 1895 gegründeten „ELEKTROBANK“, die durch die Bereitstellung von<br />

Risikokapital die Elektrifizierung Europas vorantrieb, wurde 1945 die<br />

„ELEKTROWATT“. Schon gegen Ende des Zweiten Weltkriegs kam es durch Firmen-<br />

käufe zu einer Expansion in angrenzende Industriebereiche. Dabei wurden unter<br />

187


188<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

anderem CERBERUS (1944) und STAEFA CONTROL SYSTEM (1974) gekauft, die auch<br />

heute noch zum Portfolio der SBT gehören. 455<br />

Die ELEKTROWATT verstand sich <strong>als</strong> Finanzholding, die weder strategisch noch opera-<br />

tiv in die Geschäfte ihrer Firmenbeteiligungen eingriff. Die Firmen genossen daher<br />

unter dem Dach der Holding ein hohes Maß an Autonomie.<br />

1895<br />

Elektrobank<br />

1896<br />

Landis & Gyr<br />

Cerberus<br />

1941 1945<br />

1962<br />

1944<br />

Staefa<br />

Umbennenung in<br />

Elektrowatt<br />

1974<br />

Siemens Gebäudetechnik<br />

1996<br />

Abbildung 49: Entstehungsgeschichte der SBT<br />

Restrukturierung<br />

(6 Divisionen)<br />

Gründung<br />

(4 Divisionen)<br />

SBT 2000<br />

1998<br />

2001<br />

Namensänderung<br />

der Divisionen<br />

Ende 1995 kündigte die ELEKTROWATT den Kauf der 1896 gegründeten<br />

LANDIS & GYR an. Im Frühjahr 1996 wurde die LANDIS & GYR dann mit der bereits<br />

zur ELEKTROWATT gehörenden STAEFA CONTROL SYSTEM zur neuen Division<br />

LANDIS & STAEFA zusammengeschlossen.<br />

Zu diesem Zeitpunkt gehörte die ELEKTROWATT-Gruppe mehrheitlich der CREDIT<br />

SUISSE AG, die im Juli 1996 eine Umstrukturierung ihrer Beteiligungen ankündigte.<br />

Im Zuge dieser Umstrukturierung erfolgte im Dezember 1996 der Verkauf des Indust-<br />

455 Die präsentierten Case Studies zum Forschungspartner Siemens haben ihren Ursprung in einer ersten<br />

Zusammenstellung allgemeiner Ergebnisse, die der Autor dieser Arbeit mit seinem Forschungskollegen Udo<br />

Fischer anfertigte, der ebenfalls im Team von Learning Dynamics die Partnerorganisation Siemens Building<br />

Technologies AG betreute. Diese ursprüngliche Zusammenstellung wurde für die speziellen Belange dieses<br />

Dissertationsprojekts nochm<strong>als</strong> grundlegend überarbeitet und ergänzt.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

rieteils der ELEKTROWATT an die SIEMENS AG. Aus juristischen Gründen wurde die<br />

Übernahme allerdings erst zum 1. Oktober 1998 rechtlich wirksam.<br />

Aus den Industriebeteiligungen der ELEKTROWATT und der SIEMENS GEBÄUDE-<br />

TECHNIK entstand so die SBT. Die ELEKTROWATT brachte einen Umsatz von<br />

5,4 Mrd. DM und 22.000 Mitarbeiter in das neue Unternehmen ein, SIEMENS einen<br />

Umsatz von 2,6 Mrd. DM und 8.000 Mitarbeiter.<br />

6.2.2 SBT <strong>als</strong> Teil der SIEMENS AG<br />

Im Geschäftsjahr 1999/2000 gab die SIEMENS AG <strong>als</strong> Mutterkonzern der SBT ihr bis-<br />

her bestes Ergebnis bekannt. Bei einem Umsatz von € 78,4 Mrd. konnte ein Gewinn<br />

nach Steuern und vor außerordentlichem Ergebnis von € 3,4 Mrd. erzielt werden.<br />

Themen, die dabei die SIEMENS AG dominierten, waren zum einen der Umbau des<br />

Unternehmens zur E-Company und zum anderen die konsequente Steigerung der<br />

Ertragskraft und des Unternehmenswerts durch die Weiterführung des erfolgreichen<br />

top+ Programms. 456<br />

Das operative Geschäft der SIEMENS AG war in sieben Arbeitsgebiete eingeteilt:<br />

Energie, Industrie, Information & Kommunikation, Medizin, Verkehr, Licht und Bau-<br />

elemente. SBT war <strong>als</strong> einer von vier Bereichen dem Arbeitsgebiet „Industrie“ zuge-<br />

ordnet.<br />

Die SBT mit Sitz in Zürich war der einzige Bereich der SIEMENS AG mit Stammhaus<br />

außerhalb Deutschlands und eigenen, vom restlichen SIEMENS-Konzern unabhängigen<br />

Landesgesellschaften der einzelnen Firmen. 457 So verfügten <strong>als</strong>o sowohl STAEFA,<br />

CERBERUS <strong>als</strong> auch LANDIS & GYR anfangs über eigene Landesgesellschaften.<br />

6.2.3 Organisation der SBT bei ihrer Gründung 1998<br />

Bei ihrer Gründung am 1. Oktober 1998 bestand die SBT aus vier Divisionen. Neben<br />

den Divisionen LANDIS & STAEFA und CERBERUS, die fast unverändert in die SBT<br />

integriert wurden, kamen das Facility Management und Project Business neu hinzu.<br />

456 Vgl. Dokument D64, D65.<br />

457 Ausser der SBT verfügt allerdings die OSRAM AG auch über eine eigene Vertriebsstruktur ausserhalb der<br />

Siemens Landesgesellschaften.<br />

189


190<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Die einzelnen Divisionen waren in unterschiedlichen Bereichen der Gebäudetechnik<br />

tätig: LANDIS & STAEFA war Spezialist für Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnik<br />

(HLK). Das Leistungsspektrum umfasst einzelne Komponenten wie Regler, Ventile,<br />

Sensoren und Steuergeräte, aber auch komplette Heizungs-, Lüftungs- und Klima-<br />

anlagen (HLK-Systeme). CERBERUS war spezialisiert auf den Bau von Sicherheits-<br />

anlagen zum Schutz vor Brand, Einbruch und unberechtigtem Zutritt. Dazu gehören<br />

komplette Systemlösungen und einzelne Komponenten wie etwa Brandmelder. In der<br />

elektronischen Sicherheitstechnik nahm Cerberus weltweit eine Führungsposition ein.<br />

Das FACILITY MANAGEMENT entlastete Gebäudebetreiber, indem es situationsbe-<br />

zogene Unterhaltskonzepte für Gebäude erarbeitete und Management- und Serviceauf-<br />

gaben selbst oder in Zusammenarbeit mit Partnerfirmen übernahm. Das<br />

PROJEKTGESCHÄFT hatte seinen Schwerpunkt in Deutschland, Österreich und<br />

Norwegen. Die Division war technischer Generalunternehmer für die gebäude-<br />

technische Infrastruktur in Großprojekten.<br />

Landis<br />

&<br />

Staefa<br />

Division<br />

Cerberus<br />

Division<br />

Siemens<br />

Facility<br />

Management<br />

Division<br />

Siemens Building Technologies<br />

Abbildung 50: Struktur der SBT bei ihrer Gründung<br />

(Quelle: Dokument D36)<br />

Project<br />

Business<br />

Division<br />

Im Gegensatz zur ELEKTROWATT AG, sah sich die SBT nicht länger <strong>als</strong> Finanz-<br />

sondern bereits <strong>als</strong> Strategieholding. Sie initiierte divisionsübergreifende Verände-<br />

rungsprojekte, wie die Implementierung einer Balanced Scorecard, 458 koordinierte das<br />

Zukunftsthema e-Business und widmete sich aktiv der strategischen Ausrichtung ihres<br />

Portfolios. Dennoch dominierte in den ersten beiden Jahren nach der Gründung der<br />

SBT das Subsidiaritätsprinzip, die Zusammenarbeit zwischen den Divisionen und der<br />

458 Vgl. nähere Informationen zur Methode der Balanced Scorecard in Kap. 6.4.1.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Zentrale. Somit ergaben sich bei den strategischen Projekten teilweise Irritationen<br />

bzgl. der Spielregeln der Zusammenarbeit und des Führungsverständnisses. Aus dem<br />

Holdingverständnis heraus war man seitens der Divisionen und Landesgesellschaften<br />

ein hohes Maß an Autonomie gewöhnt. Dieses wurde auch von Seiten der SBT bestä-<br />

tigt, indem sie sich weiter <strong>als</strong> Holding verstand. Angesichts der Ressourcen auf der<br />

SBT-Ebene war eine stärkere Führung auch nicht zu leisten.<br />

Auf der anderen Seite ergaben sich aus den hochoperativen Initiativen wie z.B. der<br />

BSC deutliche Eingriffe in das Geschäft der Organisationen. 459 Auch wurden den<br />

Divisionen von Seiten der SBT durch Planzahlen (<strong>als</strong> mathematische Exploration der<br />

gegenwärtigen Zahlen) zwar keine Strategien vorgeben, aber die Divisionen mussten<br />

aufgrund der Planzahlen Strategien entwickeln. Spannungsfelder ergaben sich da-<br />

durch, dass in Wachstum investiert werden musste, um die geforderten EBIT-Ziele zu<br />

erreichen, die das heutige Geschäft nicht mehr bringen konnte. Ein Manager bezeich-<br />

net SBT in diesem Zusammenhang <strong>als</strong> „strategisch unbedarft" und beschrieb ein<br />

„Strategievakuum“ zwischen SBT und den Divisionen. 460<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Auf den ersten Blick schien die Veränderung der SBT von einer Finanz- zu einer<br />

Strategieholding relativ geringfügig. Sieht man allerdings genauer hin, so wird offen-<br />

sichtlich, dass dieser geringe <strong>Wandel</strong> im Selbstverständnis der Holding zu weit-<br />

reichenden Veränderungen im Verhältnis zu den Divisionen führen musste und maß-<br />

geblich in den strategischen Initiativen spürbar wurde.<br />

Das Verhältnis zwischen SBT und den Divisionen kann aufschlussreich mit dem<br />

Begriff des Double Bind von BATESON beschrieben werden. 461 Nach BATESON ent-<br />

steht eine Double Bind Situation, wenn zwischen zwei oder mehr Personen/Parteien<br />

bei einer wiederholten Erfahrung ein primäres negatives Gebot (z. B. „tu dieses oder<br />

jenes nicht, oder ich werde dich bestrafen“ oder „wenn du dies oder jenes nicht tust,<br />

werde ich dich bestrafen“) auf ein sekundäres Gebot trifft. Das sekundäre Gebot muss<br />

dabei mit dem ersten auf einer abstrakteren Ebene in Konflikt stehen und wie das erste<br />

bestrafend wirken oder Signale verstärken, die das Überleben bedrohen („betrachte<br />

459 Vgl. zur BSC Kapitel 6.3.1.<br />

460 Vgl. Interview I55.<br />

461 Vgl. Bateson, 1981.<br />

191


192<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

mich nicht <strong>als</strong> die Strafinstanz“ oder „unterwirf dich nicht meinen Verboten“).<br />

Schließlich darf es dem Opfer nicht möglich sein, den Schauplatz bzw. die Beziehung<br />

zu verlassen. 462<br />

Im Hinblick auf das Verhältnis SBT/Divisionen findet man diese Zutaten zu einem<br />

Double Bind fast idealtypisch wieder: Das primäre Gebot besteht in der Anforderung<br />

bezüglich des Wachstums oder des EBIT: „Bringe nicht weniger <strong>als</strong> X % Wachstum<br />

oder EBIT, sonst werde ich dich bestrafen.“ Trotzdem wird ebenso auf der „höheren“<br />

oder anderen Ebene formuliert: „Wir sind eine Holding und führen die Organisation<br />

daher nicht.“ Schließlich kann die Division auch nicht aus dieser Situation fliehen.<br />

Derlei widerstreitende Gebote führen nach BATESON zur Ausbildung schizophrener<br />

Verhaltensweisen. Die Organisation weiß nun nicht mehr, auf welche Mitteilung sie<br />

reagieren soll. Nach BATESON besteht die normale Reaktion eines Individuums in<br />

einer Double Bind Situation darin, defensiv zu reagieren. So lässt sich auch die<br />

Reaktion der Divisionen, die BSC weder ganz abzulehnen noch ganz einzuführen,<br />

verstehen. Auch das Verhalten, kaum Strategien zu entwickeln und sich auf die<br />

Erreichung der EBIT-Ziele zu beschränken, kann <strong>als</strong> eine defensive Reaktion im Sinne<br />

des Double Bind verstanden werden. 463<br />

Das BSC Projekt erfüllte nun die Voraussetzungen, um das Double Bind zu verschär-<br />

fen. Mit der BSC griff SBT stark operativ in die Divisionen ein und überschritt damit<br />

einen Bereich, der bislang ausschließlich den Divisionen oblag. Verschärfend wirkte<br />

dabei auch sicherlich, dass die SBT für sich selbst keine BSC erstellte.<br />

Dieses Instrument, welches auf ein ganzheitliches Führungsverständnis abzielt, wendet<br />

sich gegen ein ausschließliches „Führen nach Finanzkennzahlen“. Der Umstand, dass<br />

man sich bei SBT gegen die Einführung einer BSC entschieden hatte, aber von den<br />

Divisionen ein solches Instrument forderte, kann auch <strong>als</strong> eine Ursache für den schlep-<br />

penden Fortgang des Projekts gesehen werden. Es stellt sich die Frage, ob durch ein<br />

„Vormachen“ seitens der SBT nicht auch das so oft bemängelte Commitment seitens<br />

der Divisionen stärker gewesen wäre.<br />

462 Vgl. ebenda.<br />

463 Vgl. Interview I55.


Wenn die<br />

Division nicht<br />

X% Ebit<br />

erreicht, dann...<br />

Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

???<br />

Bereichsführung Wir sind eine<br />

Holding, wir<br />

führen die<br />

Divisionen nicht!<br />

Division<br />

Abbildung 51: Beispiel eines organisationalen Double Binds<br />

Im vorliegenden Fall war das Double Bind offensichtlich durch die Veränderung der<br />

Organisationsstruktur und die unterschiedlichen Führungsverständnisse der<br />

ELEKTROWATT und der SIEMENS bedingt. Während in der Holdingstruktur der<br />

ELEKTROWATT den Divisionen viel Autonomie eingeräumt wurde, war die Struktur<br />

der SIEMENS wesentlich hierarchischer angelegt.<br />

Eine Lösung für die Double Bind Situation konnte nur in der Unterscheidung der<br />

logischen Ebenen der Aussagen, d.h. einer eindeutigen Kommunikation liegen. Die<br />

notwendige Metakommunikation zur Markierung und Klärung der verschiedenen<br />

Kommunikationsebenen war aber bislang zwischen den Ebenen noch nicht erfolgt.<br />

Somit verschob sich der Konflikt jeweils in die strategischen Initiativen.<br />

6.2.4 Organisation der SBT nach der Restrukturierung 2000<br />

Am 1.10.2000 erhielt die SBT eine neue Struktur, mit vier statt bisher sechs Divisi-<br />

onen. Drei Gründe wurden dafür angeführt: Erstens entwickelte sich der Markt für<br />

Gebäudesicherheit zu einem großen und attraktiven Markt, an dem SBT mit Systemen<br />

und Dienstleistungen zu Zutrittskontrolle, Überwachung und Einbruchschutz partizi-<br />

pieren wollte. Dazu wurden vorhandene Aktivitäten der CERBERUS fokussiert und in<br />

die neue Division CERBERUS SECURITY ausgelagert. Zweitens war der Markt für<br />

Komponenten der Heizungs-, Lüftungs-, Klima-, Sicherheits- und Brandmeldetechnik<br />

infolge hoher Margen sehr interessant. Zur Forcierung des Komponentengeschäfts<br />

193


194<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

wurden LANDIS & STAEFA und CERBERUS deshalb jeweils in eine Produkte- und eine<br />

Solutions/System-Division geteilt. Dadurch entstanden die Divisionen<br />

LANDIS & STAEFA PRODUCTS, CERBERUS PRODUCTS (Alarmcom), LANDIS & STAEFA<br />

SOLUTIONS und CERBERUS FIRE. Schließlich wurden drittens das FACILITY<br />

MANAGEMENT und das PROJECT BUSINESS in der neuen Division INTEGRATED<br />

BUILDING SOLUTIONS zusammengeführt. Diese Reorganisation wurde den Führungs-<br />

kräften der Divisionen Ende Mai 2000 auf der jährlich stattfindenden Führungskräfte-<br />

tagung (Joint Management Meeting) von der SBT-Führung vorgestellt.<br />

LANDIS & STAEFA SOLUTIONS umfasste somit den Vertrieb von Systemen und Dienst-<br />

leistungen für Gebäude- und Energiemanagement. Das Geschäft bestand im wesent-<br />

lichen aus dem Verkauf von Heizungs-, Lüftungs- und Klimasystemen (HLK), auch<br />

Contracting genannt, dem Service für bestehende Anlagen und dem Performance<br />

Contracting, einem neuen Geschäftssegment, bei dem die garantierte<br />

Energieeinsparung nach dem Austausch einer alten Anlage die Investition in eine neue<br />

Anlage finanziert. LANDIS & STAEFA PRODUCTS war verantwortlich für die<br />

Entwicklung und Fertigung von HLK-Komponenten sowie deren Vertrieb,<br />

beispielsweise an OEM-Kunden. Produktionsorte befanden sich in Schweden,<br />

Finnland, Deutschland, Australien, Korea, den USA und der Schweiz.<br />

CERBERUS SECURITY entwickelte und vertrieb Systeme und Dienstleistungen für Zu-<br />

trittskontrolle, Überwachung und Einbruchsschutz. CERBERUS FIRE entwickelte und<br />

vertrieb Systeme und Dienstleistungen für Brandmeldung, Brandlöschung und Gas-<br />

warnung. CERBERUS PRODUCTS (Alarmcom) war verantwortlich für die Entwicklung<br />

und Fertigung von Sicherheits- und Brandmeldetechnik. Produktionsorte befanden<br />

sich in Deutschland, China, den USA und der Schweiz. INTEGRATED BUILDING<br />

SOLUTIONS war ein technischer Generalunternehmer für Gebäudeinfrastruktur und<br />

Gebäudemanagement mit Schwerpunkt in Deutschland.<br />

Umsatz BY 99/00<br />

(Mill. EUR)<br />

L&S Cerberus Facility<br />

Management.<br />

Project<br />

Business<br />

Total - SBT<br />

Europa 1.110 1.302 328 557 3.297<br />

Amerika 1.152 277 - - 1.429<br />

Asien/Pazifik 146 74 - - 220<br />

Total 2.408 1.653 328 557 4.947<br />

Tab. 1: Umsatzerlöse der SBT im Geschäftsjahr 1999/2000


Mitarbeiter BY<br />

99/00<br />

L&S Cerberus Facility<br />

Management<br />

Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Project<br />

Business<br />

Total - SBT<br />

Europa 8.290 9.704 2.080 2.455 22.529<br />

Amerika 6.200 2.010 - - 8.210<br />

Asien/Pazifik 1.259 1.120 - - 2.379<br />

Total 15.749 12.834 2.080 2.351 33.233 464<br />

Tab. 2: Mitarbeiter der SBT im Geschäftsjahr 1999/2000 465<br />

6.2.5 Identitätsmerkmale Landis&Staefa<br />

Innerhalb der SBT begleitete das zweijährige Forschungsprojekt im wesentlichen<br />

Initiativen bei der L&S. Im Folgenden werden deshalb kurz die Identitätsmerkmale<br />

bzw. das Selbstverständnis der L&S beschrieben.<br />

Die L&S hatte <strong>als</strong> Marktführer in Europa ein breit angelegtes Geschäft. In großen<br />

Ländern wurden dabei 200 - 300 Aufträge pro Tag abgewickelt und in 20 - 40<br />

Vertriebsbüros wurden bis zu 20.000 Kunden bewirtschaftet. Im Mittelpunkt der L&S<br />

stand dabei der Verkauf eigener Produkte, Systeme und Serviceleistungen im Bereich<br />

HVAC 466 Controls and Building Automation.<br />

Ihre Wettbewerbsvorteile sah die L&S im wesentlichen in der starken lokalen Präsenz<br />

und der Qualität der lokalen Organisationen, dem HVAC und Building Management<br />

Know-how, dem umfassendsten Marktangebot (products/systems/services), der<br />

größten installierten Basis, der größten Kundenbasis und ihrer führenden Position in<br />

allen Segmenten. Dabei verfügte die Organisation über eine lange Erfahrung im<br />

Management unterschiedlicher Vertriebskanäle.<br />

Führung und Management waren geprägt von Transparenz, offenem Dialog und<br />

Vertrauen. Das Management strebte nach Einigkeit und einer „commitment culture”.<br />

Entscheidungen sollten dort entwickelt und getroffen werden, wo sie auch Auswir-<br />

kungen hatten (Subsidiaritätsprinzip).<br />

Generell wurde L&S EU <strong>als</strong> eine “stand-alone company” im SBT-Verbund gesehen,<br />

die ihre Führungsposition in Europa, dem mittleren Osten und Afrika eigenständig<br />

464 In dieser Zahl sind zusätzlich 115 Mitarbeiter der SBT Zentralverwaltung addiert.<br />

465 Vgl. Dokumente D38, D08, D54.<br />

466 HVAC steht hier für Heating, Ventilation, Air Conditioning und Cooling.<br />

195


196<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

stärken wollte. Synergien mit anderen SBT-Divisionen und innerhalb der SIEMENS<br />

wurden <strong>als</strong> zusätzliche Möglichkeiten („frost on cake“) 467 gesehen. Man war dabei<br />

insbesondere interessiert an zusätzlichen Wachstumsmöglichkeiten. Innerhalb der SBT<br />

sah man den Marktzugang in unterschiedlichen Divisionen <strong>als</strong> zwingend an, da insbe-<br />

sondere für L&S und CERBERUS aufgrund der fragmentierten Märkte, der hohen<br />

Marktanteile und der extrem großen Kundenbasis eine einheitliche Verkaufsstrategie<br />

der gesamten SBT für die L&S nicht geeignet erschien.<br />

Die Grundregeln für die Kooperation mir anderen SBT-Divisionen und SIEMENS im<br />

Bereich Marketing und Vertrieb sollte daher „always at arms length“ und „never on<br />

exclusivity basis“ sein. Als erste Priorität in der Zusammenarbeit mit SBT und<br />

SIEMENS wurde deshalb „never jeopardise our very high market shares“ formuliert.<br />

Möglichkeiten der strategischen Zusammenarbeit mit SIEMENS wurden vor allem in<br />

der Kombination der Stärken der L&S im Bereich der HVAC-control mit den<br />

SIEMENS Stärken im Bereich der Elektrik gesehen. Man versprach sich vor allem zu-<br />

sätzliche Verkäufe und Möglichkeiten der Kooperation im Technologie- und Einkaufs-<br />

bereich und dem SIEMENS Financial Service. Darüber hinaus sollte SIEMENS auch<br />

Türöffner für große Aufträge sein. 468<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Von besonderer Bedeutung für den Erfolg des Geschäfts und das Selbstverständnis der<br />

Organisation war die lokale Präsenz. Da die Organisation ihren strategischen Wett-<br />

bewerbsvorteil vor allem in der Kundennähe und dementsprechend in ihrer starken<br />

Vertriebsstruktur sah, entsprachen die Erhaltung der lokalen Strukturen und das aus-<br />

geprägte subsidiäre Kooperationsverständnis der eigenen Identität.<br />

Vor diesem Hintergrund waren die Vorstellungen über die Zusammenarbeit mit den<br />

anderen SBT-Divisionen und dem Mutterkonzern vor allem durch ein hohes Maß an<br />

Autonomie geprägt.<br />

Gerade die Betonung dieser Eigenständigkeit im Anschluss an den Merger zwischen<br />

LANDIS&GYR und STAEFA sowie die Übernahme durch die SIEMENS kann <strong>als</strong> eine<br />

verstärkte Sorge um die eigene Rolle innerhalb des Gesamtkonzerns gesehen werden.<br />

467 „Frost on cake“ bedeutet hier soviel wie das i-Tüpfelchen.<br />

468 Vgl. Dokument D58.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Wie die weitere Entwicklung zeigte, war diese Sorge auch nicht unberechtigt, da sich<br />

eine sukzessive Integration in die SIEMENS-LANDESGESELLSCHAFTen im weiteren<br />

Verlauf abzeichnete.<br />

Da aber gerade die starke Vertriebsstruktur und die Autonomie der Landesgesell-<br />

schaften zentrale Elemente in der Identität der Organisation waren, musste eine Ver-<br />

änderung dieser Strukturen zu einem tiefen <strong>Wandel</strong> des Selbstverständnisses führen.<br />

6.2.6 <strong>Wandel</strong>arenen bei SBT<br />

Während der Zeit, in der das Forschungsteam das Unternehmen begleitete, liefen<br />

mehrere parallele <strong>Wandel</strong>initiativen bei SBT und insbesondere bei Landis&Staefa. Sie<br />

hatten teilweise einen technischen Hintergrund wie z.B. die Integration der verschie-<br />

denen Produktfamilien und die Weiterentwicklung der Web-Aktivitäten. Teilweise<br />

stand aber auch der Austausch von best practices zwischen verschiedenen Teilen der<br />

SBT im Vordergrund.<br />

Vor allem zwei Initiativen sind aus den vielen <strong>Wandel</strong>projekten hervorzuheben. Beide<br />

Initiativen hatten im Rahmen der Strategie der L&S in der Folge der Unternehmenszu-<br />

sammenschlüsse und der Post Merger Integration besondere Bedeutung:<br />

Strategische<br />

Bedeutung<br />

der<br />

<strong>Wandel</strong>arenen<br />

Web DESIGO -Projekt<br />

Rolle PFC der SBT?<br />

Nichtangriffspakt<br />

BSC<br />

Veränderung<br />

des des Verhältnisses<br />

Verhältnis<br />

zu Siemens<br />

BSC DESIGO BSC<br />

Namensänderung<br />

ERP<br />

Netzwerkentwicklung<br />

CON<br />

Abbildung 52: Inhalte des <strong>Wandel</strong>s in der SBT 469<br />

Shared SharedServices Services<br />

Restrukturierung<br />

& Neue GL<br />

Verhältnis SBT Verhältnis SBT Verhältnis SBT Verhältnis SBT Verhältnis SBT Verhältnis SBT Verhältnis SBT Regional zu<br />

Siemens Heads Siemens Heads Siemens Heads Siemens Heads Siemens Heads Siemens Heads Siemens Heads<br />

Zum einen zielte man mit dem sogenannten DESIGO auf die Verschlankung der<br />

mergerbedingten Vielfalt an Produkten und Systemen. Zum anderen beabsichtigte man<br />

mit dem ERP durch die Standardisierung und Optimierung der Geschäftsprozesse und<br />

469 Die strategische Bedeutung und die zeitliche Zuordnung ist grob geschätzt. Die Abbildung soll ausschließlich<br />

eine grobe Orientierung über die <strong>Wandel</strong>situation des Forschungspartners vermitteln. „GL“ steht hier für<br />

Geschäftsleitung.<br />

Zeit<br />

Zeit Zeit Zeit Zeit Zeit Zeit Zeit<br />

197


198<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

der Implementierung einer neuen IT Plattform, die Effizienz, Produktivität und<br />

Qualität des Geschäfts zu verbessern.<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Die beiden zentralen strategischen Initiativen (DESIGO und ERP) im Anschluss an die<br />

Firmenzusammenschlüsse zielten in der Post Merger Phase jeweils auf Vereinheit-<br />

lichung und Standardisierung. Die verschiedenen Produktfamilien der ehem<strong>als</strong> selb-<br />

ständigen Firmen führten zu einer hohen Komplexität und, u.a. im Servicebereich, zu<br />

erhöhten Kosten. Eine ähnliche Situation ergab sich für den Bereich der europaweit<br />

ebenfalls mergerbedingten unterschiedlichen Geschäftsprozesse.<br />

Die Vereinheitlichung der Produkte und Geschäftsprozesse war daher eine logische<br />

Konsequenz, die erst die erwarteten Synergieeffekte des Zusammenschlusses<br />

erbringen sollte. Allerdings traf aufgrund der lokalen und subsidiären Orientierung der<br />

Organisation gerade dieser Eingriff den Kern der organisationalen Identität.<br />

6.3 Externer Kontext der Projekte bei SBT<br />

Im folgenden Abschnitt wird der externe Kontext der Initiativen der SBT dargestellt.<br />

Als externe Kontextfaktoren stellten die Marktsituation, die strategische Ausrichtung,<br />

die zurückliegenden Unternehmenszusammenschlüsse zwischen der LANDIS&GYR und<br />

der STAEFA CONTROL sowie die Übernahme durch die SIEMENS wichtige<br />

Einflussfaktoren im Rahmen der <strong>Wandel</strong>initiativen und der Identitätsbildung der<br />

Organisation dar. Darüber hinaus war das stark verankerte Subsidiaritätsprinzip von<br />

besonderer Bedeutung.


Partnerorganisationen<br />

SBT<br />

Migros<br />

Aare<br />

Externer Kontext<br />

Externer<br />

Kontext SBT<br />

Externer Kontext<br />

Kontext<br />

Externer Kontext<br />

Kontext<br />

Migros Migros Aare<br />

Aare<br />

6.3.1 Der Markt von Landis&Staefa<br />

Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

<strong>Wandel</strong>inhalte<br />

<strong>Wandel</strong>inhalte<br />

(Projekte)<br />

(Projekte)<br />

BSC<br />

ERP<br />

PFC<br />

Postmerger- PMI- -<br />

projekte<br />

projekte<br />

Abbildung 53: Gedankenfluss Empirie<br />

Interner<br />

Kontext<br />

Analyse der<br />

Internen<br />

Kontexte<br />

<strong>Wandel</strong>prozesse<br />

Analyse der<br />

<strong>Wandel</strong>- -<br />

prozesse<br />

Die Marktposition der L&S EU wurde durch den Merger der beiden Firmen deutlich<br />

gestärkt. 470 Mit 30% Marktanteil war L&S EU Marktführer im Bereich HVAC in<br />

Europa. Die Nummer zwei, Honeywell hatte rund 15% Marktanteil, Johnson Controls<br />

<strong>als</strong> drittgrößter Anbieter 10% Marktanteil.<br />

Im Gegensatz zur weitgehend großkundenorientierten SIEMENS machte L&S das<br />

Hauptgeschäft mit vielen kleinen Kunden. 471 Die Stärke von L&S lag dabei in der<br />

differenzierten Vertriebsorganisation, der parallelen Bearbeitung verschiedener<br />

Vertriebskanäle sowie dem Management der dabei entstehenden Kanalkonflikte. Die<br />

Vielfalt an Vertriebswegen stellte dabei einen Unterschied zur Muttergesellschaft<br />

SIEMENS dar, welche hauptsächlich <strong>als</strong> Generalunternehmer am Markt auftrat.<br />

470 Vgl. zur Entstehungsgeschichte Kapitel 6.2.1.1.<br />

471 Vgl. Dokument D77.<br />

199


Erstausrüster<br />

Erstausrüster<br />

(OEM)<br />

(OEM)<br />

200<br />

Angebot<br />

Landis & Staefa<br />

L A A N N D D I I S S & & S S T T A A E E F F A<br />

A<br />

HLK-Installateur<br />

HLK HLKInstallateur<br />

HLK HLKInstallateur<br />

HLK Installateur<br />

E N N D D K K U U N N D D E<br />

E<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Grosshändler<br />

Grosshändler E-Commerce SystemSystemhäuserhäuser<br />

Angebot<br />

Kunden<br />

Beratung<br />

Abbildung 54: Vertriebskanäle im Building Control Markt<br />

(in Anlehnung an: Dokument D44).<br />

Die interne Wertschöpfung lag mit 64% für ein Industrieunternehmen vergleichsweise<br />

hoch. Dies war auch Resultat der speziellen Struktur von L&S EU, der Aufteilung auf<br />

die Zentrale L&S EU, die Produktionswerke und die verschiedenen L&S-Länder-<br />

gesellschaften und lokalen Vertriebsbüros. Deutschland war der wichtigste Markt für<br />

L&S EU, mit einem Umsatz in 98/99 von 571 Mio. DM, gefolgt von Frankreich mit<br />

210 Mio. DM. 472<br />

Eine Vergleichsstudie der Auftragsgrößen des gesamten HVAC-Markts von 1994 bis<br />

1997 in Europa zeigte, dass kleine Geschäfte (< 50 TDM) sehr stark und mittlere Ge-<br />

schäfte (50-280 TDM) stark zunahmen, hingegen große Millionenaufträge rückläufig<br />

waren. Vielfach wurden nur noch Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen getätigt, was<br />

sich in der Auftragsgröße niederschlug. Ein Mitglied der Geschäftsleitung brachte<br />

diesen, für die Unternehmung bedeutenden Umstand auf den Punkt: „Europa ist<br />

gebaut“. 473<br />

Die kleinen Geschäfte waren allerdings aus finanzieller Sicht interessanter, weil die<br />

Margen bei kleinen Aufträgen wesentlich höher waren <strong>als</strong> bei großen Aufträgen.<br />

472 Vgl. Dokument D44.<br />

473 Vgl. Interview I44.<br />

Planer<br />

Planer


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Untersuchungen ergaben, dass die Differenz zwischen angestrebten und tatsächlich<br />

realisierten Margen mit zunehmendem Projektumfang immer größer wurde – zu un-<br />

gunsten von L&S. Es stellte sich oft im Nachhinein heraus, dass Großprojekte nicht<br />

kostendeckend durchgeführt wurden. 474<br />

Über die Veränderungen der Auftragsgrößen hinaus waren mittel- und langfristig Ver-<br />

änderungen im Bereich der Markt- und Umweltbedingungen absehbar: Dazu zählten<br />

die Integration der Bereiche HVAC und Elektrik, der <strong>Wandel</strong> zu endkundenorien-<br />

tierten Gesamtlösungen und Dienstleistungen, die Entwicklung von effizienten Multi-<br />

Channel-Absatzstrukturen, mehr E-Commerce beim Produktverkauf und bei Dienst-<br />

leistungen sowie eine ökologisch einwandfreie Produktentwicklung bei gleichzeitig<br />

niedrigen Produktionskosten. 475<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Die zurückliegenden und noch bevorstehenden Marktveränderungen stellten die Orga-<br />

nisation L&S vor große strategische und organisationale Herausforderungen. Sowohl<br />

die technischen, wie auch die produktbezogenen Veränderungen wirkten sich auf die<br />

bestehende Organisationsstruktur, die zugrunde liegende soziale Logik und nicht<br />

zuletzt die Identität der Organisation aus.<br />

Die starke und differenzierte Vertriebsorganisation stellt dabei wohl das prägendste<br />

Element der bisherigen Struktur und des organisationalen Selbstverständnisses dar.<br />

Dies wurde nicht zuletzt in verschiedenen Strategieprozessen mit unterschiedlichen<br />

Managementebenen deutlich.<br />

Das strategische Selbstverständnis und die Stärke der Organisation wurde vom Mana-<br />

gement vor allem im Bereich der Kundennähe hoch eingeschätzt, während die Pro-<br />

duktführerschaft und die <strong>Prozess</strong>qualität nach Meinung des Managements weniger<br />

stark ausgeprägt war. Wie in der Abbildung durch die Pfeile angedeutet, zielten aller-<br />

dings die strategischen Veränderungen auf eine Erhöhung der Produkt- und Geschäfts-<br />

prozessqualität. TREACY und WIERSEMA weisen indes in diesem Zusammenhang<br />

474 Vgl. Interview I04.<br />

475 Vgl. Interview I53, Dokument D77.<br />

201


202<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

darauf hin, dass es für eine Organisation nahezu unmöglich ist, auf allen drei Dimensi-<br />

onen hohe Ergebnisse zu erzielen. 476<br />

Die beabsichtigen Veränderungen insbesondere der Geschäftsprozesse ließen aller-<br />

dings Rückwirkungen auf das organisationale Selbstverständnis erwarten.<br />

Operational<br />

excellence<br />

Product leadership<br />

Customer<br />

intimacy<br />

Abbildung 55: Strategische Positionierung nach dem Value Proposition Ansatz<br />

(Quelle: Dokument D77)<br />

Aus Sicht unseres Forschungsprojekts sollten diese Veränderungen <strong>als</strong> erstes in den<br />

entsprechenden <strong>Wandel</strong>initiativen zur Erhöhung der <strong>Prozess</strong>- und Produktqualität<br />

erwartet werden.<br />

6.3.2 Der Merger von STAEFA CONTROL und LANDIS&GYR<br />

1995 feierte die ELEKTROWATT ihr hundertjähriges Bestehen und damit eine lange<br />

Tradition <strong>als</strong> Stromversorger. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sie über die Strom-<br />

versorgung hinaus eine industrielle Entwicklung in angrenzende Ingenieurbereichen<br />

gemacht. Bis Mitte der neunziger Jahre hatte sie sich zu einer Finanzholding mit weit-<br />

gehend selbständig geführten Unternehmen wie der STAEFA CONTROL und der<br />

CERBERUS gewandelt. Die ELEKTROWATT <strong>als</strong> Dachorganisation hielt dabei die Rolle<br />

einer Holding ein und trat weder strategisch noch operativ in den Unternehmen auf. 477<br />

Bis 1994 bestand die ELEKTROWATT <strong>als</strong> Holding aus vier Personen. In der Folgezeit<br />

wurde sie durch die Berufung der Unternehmensleiter in die Geschäftsleitung der<br />

476 Vgl. Treacy und Wiersema, 1995.<br />

477 Vgl. Interview I04, I05.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

ELEKTROWATT ausgeweitet, was aber den Charakter der „freestanding Companies“<br />

unter dem Dach der ELEKTROWATT erhielt. 478<br />

Der 1995 angekündigte und 1996 vollzogene Merger zwischen der ELEKTROWATT-<br />

Tochter STAEFA CONTROL und der LANDIS & GYR zur LANDIS & STAEFA änderte den<br />

Charakter dieser Philosophie nicht. Erst der Verkauf der Industriebereiche der<br />

ELEKTROWATT 1996 durch ihren damaligen Besitzer, die CREDIT SUISSE, an die<br />

SIEMENS AG und die daraus neu gegründete SBT <strong>als</strong> SIEMENSbereich, konfrontierte<br />

die Firmen unter dem Dach der ehemaligen ELEKTROWATT sukzessive mit einem<br />

anderen Führungsverständnis. Die wettbewerbsrechtlich bedingte Übergangszeit für<br />

den Vollzug der Übernahme durch SIEMENS wurde zwar für den Vollzug des vorange-<br />

gangenen Mergers zwischen LANDIS&GYR und STAEFA CONTROL genutzt. 479 Aller-<br />

dings führte die Eingliederung in den Weltkonzern SIEMENS zu einem stärkeren<br />

Führungsanspruch und einer stärkeren Einflussnahme der SIEMENS AG. Dies bedeu-<br />

tete eine Einschränkung der relativ selbständigen Strategien der vorm<strong>als</strong> weitgehend<br />

autonomen Traditionsunternehmen. Zusätzlich musste die SIEMENS GEBÄUDETECHNIK<br />

in die Divisionen integrierte werden. 480<br />

Während das Selbstverständnis der Divisionen und der SBT noch immer geprägt war<br />

durch die Selbständigkeit aus der ELEKTROWATT-Vergangenheit und die Holding-<br />

Spielregeln, liefen die Erwartungen von Seiten der SIEMENS-Führung auf eine stärkere<br />

Integration der SBT <strong>als</strong> ein Industriebereich in der Konzernorganisation hinaus. 481<br />

Es ergaben sich somit zwei Fusionsprozesse: Die Integration der LANDIS&GYR und<br />

der STAEFA unter dem Dach der ELEKTROWATT sowie die Integration der ehemaligen<br />

ELEKTROWATT-Industrieunternehmen <strong>als</strong> neuer SIEMENS-Bereich SBT in die SIEMENS<br />

AG.<br />

Die Fusion der LANDIS&GYR und der STAEFA CONTROL brachte zwei Unternehmen<br />

zusammen, die vorher <strong>als</strong> erbitterte Wettbewerber auf dem gleichen Markt tätig<br />

gewesen waren. Hintergrund der Fusion war die strategische Überlegung der<br />

ELEKTROWATT ihr Portfolio an Industriebeteiligungen auszubauen. Um die STAEFA<br />

ähnlich gut zu positionieren wie die CERBERUS wurde die L&G zugekauft. Man war<br />

478 Vgl. Interview I04, I05.<br />

479 Vgl. Interview I04, I05.<br />

480 Vgl. Interview I20.<br />

481 Vgl. Interview I05, Beobachtung B111, Dokument D10.<br />

203


204<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

vor allem daran interessiert, die Building Control-Aktivitäten der L&G mit denen der<br />

STAEFA zusammenzubringen. Ein beteiligter Manager beschrieb den Merger zwischen<br />

der L&G und der STAEFA mit den Worten „Der Merger war ein Verschmelzen von<br />

zwei Organisationen.“ 482<br />

Die Verschmelzung der beiden Unternehmen stellte die neue Organisation vor große<br />

Integrationsherausforderungen. Bei L&G und STAEFA CONTROL bestanden<br />

zusammengenommen fünf verschiedene Produktfamilien (wozu dann durch die spätere<br />

Integration der SIEMENS GEBÄUDETECHNIK nochm<strong>als</strong> zwei weitere dazukamen). Die<br />

Verschlankung der Produktlinien durch eine einheitliche Managementstation<br />

(DESIGO) sollte die alte, durch die Merger aufgeblähte Produktpalette ersetzten.<br />

Allerdings bot die Entwicklung in der Folgezeit letztlich kaum einen Zusatznutzen für<br />

die Kunden. Ein Manager kommentierte dies mit den Worten: „We are spending<br />

money on the past, not on growth.” 483<br />

Ein zweites strategisches Projekt aus dem Merger der beiden Firmen stellte das im<br />

Folgenden untersuchte ERP dar. Ziel war, die Geschäftsprozesse in den verschiedenen<br />

europäischen Ländern zu harmonisieren und zu optimieren. Allerdings wurde diese<br />

Initiative nicht direkt im Anschluss an den Merger gestartet. Der Leiter der L&S<br />

Europa verschob diese für die Organisation gewaltige Herausforderung für drei Jahre<br />

nach dem Merger. 484<br />

In der Zeit nach dem Merger wurden kulturelle Unterschiede zwischen den Organisa-<br />

tionen deutlich. Diese Unterschiede wurden von den Interviewpartnern auf Seiten der<br />

STAEFA vor allem in der familiär geprägten Atmosphäre, dem kollegialen Führungs-<br />

stil, der technischen Orientierung und den kurzen Wegen gesehen. Dagegen wurde die<br />

L&G eher <strong>als</strong> marktorientierter, hierarchisch-multinationaler Konzern beschrieben. 485<br />

Gemeinsam war beiden Organisationen jedoch die starke regionale Verankerung. 486<br />

Ein ehemaliger L&G-Mitarbeiter und Mitglied der neuen Geschäftsleitung schildert zu<br />

den Unterschieden der beiden Firmen eine Anekdote: Als er während der Fusions-<br />

482 Vgl. Interview I04, I05.<br />

483 Vgl. Beobachtung B001.<br />

484 Vgl. hierzu auch Kapitel 7.1.2. Vignette „Erst einmal den Laden zusammenhalten“.<br />

485 Ein Interviewpartner bemerkte zu der regionalen Stellung der Landis&Gyr, dass in der Gegend wohl<br />

niemand heiratete ohne Landis&Gyr gefragt zu haben. Vgl. Interview I 14, I 42.<br />

486 Vgl. Interviews I51, I 14, I21.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

phase auf dem Weg zu einem Meeting im Aufzug mit einigen Mitarbeitern der ehe-<br />

maligen STAEFA fuhr, die ihn aber nicht kannten, machten diese sich darüber lustig,<br />

dass die Verteilerliste einer internen Mitteilung in Zukunft doppelt so lang wäre wie<br />

die eigentliche Mitteilung. 487<br />

Viele Interviewpartner – insbesondere aus unteren Hierarchieebenen – beschrieben<br />

noch nach fünf Jahren, dass Unterschiede im Umgang miteinander noch spürbar<br />

seien. 488 In einem Workshop mit einer technischen Abteilung wurden diese Unter-<br />

schiede durch zwei Bilder der beiden Organisation symbolisch dargestellt. Darin<br />

wurde die L&G <strong>als</strong> englischer Gentleman und die STAEFA <strong>als</strong> Cowboy dargestellt.<br />

Abbildung 56: Symbolische Darstellung der beiden Firmen<br />

(Quelle: (Muggli und Zimmermann, 1999, S. 8))<br />

Der <strong>Prozess</strong> des Zusammenschlusses war geprägt von dem beiderseits stark ausgebil-<br />

deten subsidiären Führungsverständnis. 489 Die damit verbundene Verlagerung vieler<br />

Fusionsentscheidungen und -kompetenzen auf die Länderebene führte zu einer<br />

Stärkung der lokalen Autonomie und einer Vielzahl verschiedener organisatorischer<br />

und in der Folge auch technischer Lösungen. Während das HQ damit bewusst die<br />

Komplexität reduzieren konnte, waren die Länder in der Umsetzung des Fusionspro-<br />

487 Vgl. Interviews I60, I61.<br />

488 Vgl. Interviews I14, I48, I65, I28, I29, I01.<br />

489 Vgl. zum Einfluss des Subsidiaritätsprinzips <strong>als</strong> kultur- und identitätsbildendes Strukturelement den<br />

folgenden Abschnitt.<br />

205


206<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

zesses weitgehend auf sich selbst gestellt. Die Subsidiarität ermöglichte ein freies<br />

Spiel der Kräfte, führte in dem mit solchen <strong>Prozess</strong>en meist unerfahrenen<br />

Landesmanagement stellenweise sogar zur „ethnischen Säuberung“. 490<br />

Beispielsweise schilderte ein Manager aus einem Vertriebsbüro, dass man zu Beginn<br />

nicht so recht gewusst habe, wie man nun auf die andere Seite zugehen sollte. Es<br />

bestanden in seinem Bereich zwei Vertriebsbüros – eines von L&G und eines von<br />

STAEFA – und er habe mehrm<strong>als</strong> versucht, den Leiter des Vertriebsbüros in seinem<br />

Gebiet zu erreichen. Schließlich habe er sich gefragt, warum er ihn denn überhaupt<br />

anrufen solle. Als er ihn dann schließlich erreicht habe, hätte man sich abends auf<br />

einer Autobahnparkplatz verabredet. Bei diesem Treffen ging es aus seiner Sicht<br />

darum, sich kennen zu lernen. Sein Gegenüber präsentierte dagegen einen dicken<br />

Ordner mit Folien. Insgesamt, so der Interviewpartner wäre das wohl eine „blöde Situ-<br />

ation“ gewesen, die man durch eine bessere Begleitung hätte verhindern können.<br />

Die zweite Fusion, die Übernahme der ELEKTROWATT-Firmen durch SIEMENS, wurde<br />

von den Beteiligten auf Seiten der ehemaligen ELEKTROWATT auch stets <strong>als</strong> ein<br />

„Merger“ bezeichnet. Alle Interviewpartner waren sich aber einig, dass es ein völlig<br />

anderer <strong>Prozess</strong> war. „Bei SIEMENS wurden wir eigentlich in die Organisation einge-<br />

steckt, wie ein neues Modul in einem Computer“, schilderte ein Manager auf der<br />

Bereichsebene den <strong>Prozess</strong>. Man habe sich bei SIEMENS für die Gebäudetechnik ent-<br />

schieden und sei deshalb auf Einkaufstour gegangen. „Es gab eigentlich keine Integra-<br />

tion.“ 491<br />

Für die Landesgesellschaften waren lange Zeit keine wesentlichen Umgestaltungen<br />

spürbar: „Mit der SIEMENS gab es keine großen Veränderungen, außer, dass nochm<strong>als</strong><br />

zwei technische Systeme hinzukamen, die betreut werden mussten“. 492 Trotzdem be-<br />

stand hinter vorgehaltener Hand stets die Frage, wie die eigenen Landesgesellschaften<br />

der LANDIS&STAEFA und übrigen SBT-Firmen <strong>als</strong> selbständige Unternehmen neben<br />

den zentralen SIEMENS-Landesgesellschaften fortbestehen würden. Außer der SBT<br />

verfügte sonst nur die OSRAM AG <strong>als</strong> einzige Konzerntochter von SIEMENS über<br />

eigene Landesgesellschaften. Man befürchtete, dass beide Firmen ihre Selbständigkeit<br />

nur so lange erhalten könnten, solange sich die Selbständigkeit der Vertriebsbereiche<br />

490 Vgl. Interviews I14.<br />

491 Vgl. Interviews I52.<br />

492 Vgl. Interviews I03.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

<strong>als</strong> ein Erfolgsmodell bewies und die Bereiche besonders profitabel waren 493 Eine<br />

erste Veränderung in dieser Richtung deutete sich im Oktober 2000 an, <strong>als</strong> die SBT<br />

umstrukturiert wurde und die traditionellen Unternehmen in Produkt- und System-<br />

divisionen aufgeteilt wurden.<br />

Ein nächster Schritt hin zu einer stärkeren Integration erfolgte dann mit der Benennung<br />

von REGIONAL HEADS <strong>als</strong> den Gesamtverantwortlichen der verschiedenen Divisionen<br />

in den Ländern. Wie bereits allgemein erwartet worden war, wurde damit die voll-<br />

ständige Integration in die zentralen SIEMENS-Landesgesellschaften zunehmend wahr-<br />

scheinlicher. 494<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Die Mergerprozesse bedeuteten auch das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Organi-<br />

sations- oder Konzernverständnisse. Insbesondere die Übernahme durch SIEMENS<br />

machte zwei sehr unterschiedliche Philosophien deutlich: Die ehemaligen ELEKTRO-<br />

WATT-Firmen verstanden sich <strong>als</strong> Anbieter spezialisierter Technologien im Markt der<br />

Gebäudetechnik. Ein SIEMENS-Manager formulierte dagegen den Anspruch der<br />

SIEMENS an sich selbst mit den Worten „der Kunde kann von SIEMENS alles erwar-<br />

ten“. 495 Dieses unterschiedliche Verständnis hatte bereits historische Wurzeln.<br />

So wurde bei SIEMENS bereits früh die Entscheidung getroffen, sowohl im Bereich mit<br />

der Kommunikationstechnik im Bereich „Schwachstrom“ (Telegraphen-Bauanstalt<br />

von Siemens & H<strong>als</strong>ke) <strong>als</strong> auch im Bereich „Starkstrom“ tätig zu sein. Die<br />

Akquisition von SCHUCKERT& CO. (Kraftwerksanlagenbau) stellte dabei eine<br />

Weichenstellungen zum Angebot eines sehr weiten Produktsortiments dar. 496<br />

Darüber hinaus bestand durch den frühen Aufbau zentraler eigener Landesgesell-<br />

schaften, die SIEMENS vor allem gründete, um öffentliche Aufträge besser zu bedienen,<br />

ein wesentlicher Unterschied zur ehemaligen ELEKTROWATT. SIEMENS verfügte bis<br />

1989 über eine zentrale Vertriebsorganisation, die alle Produkte (vom Kernkraftwerk<br />

bis zur „Weißen Ware“) für die verschiedenen Divisionen vertrieb. Unweigerlich<br />

wurden dabei durch den zentralen Vertrieb vor allem die starken Produkte verkauft.<br />

493 SBT war ausserdem der einzige Bereich mit einem Hauptsitz nicht außerhalb Deutschlands.<br />

494 Vgl. Beobachtung Interviews B067.<br />

495 Vgl. Beobachtung Interviews B111.<br />

496 Vgl. Feldenkirchen, 1997.<br />

207


208<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Die Bereichsstruktur mit 17 Bereichen – einer davon die SBT – waren dagegen in der<br />

SIEMENS erst 1989 gegründet worden. 497 Diesen Bereichen, welche die eigentliche<br />

Führung inne hatten, unterstanden Divisionen, auf deren Ebene die strategische<br />

Planung stattfand. Sie waren darauf angewiesen, intern um die Kooperation und das<br />

Commitment der Landesgesellschaften für den Vertrieb ihrer Produkte zu werben. 498<br />

Die Struktur und die SIEMENS-Landesgesellschaften waren damit Ausdruck einer<br />

zentralen Vertriebsorganisation, die weltweit so in den Ländern organisiert waren.<br />

Landesgesellschaften, wie die von L&S mit ihren Vertriebsbüros, gab es daher bei<br />

SIEMENS nicht.<br />

Das anfängliche Modell bei SBT ging dagegen auf die ELEKTROWATT zurück und ent-<br />

sprach dem Modell einer Holding. Hier gab es in der Vergangenheit nur einen kleinen<br />

zentralen Bereich und darunter die sehr autonom geführten Firmen CERBERUS und<br />

LANDIS&STAEFA. Diese hatten jeweils ihre eigenen Landesgesellschaften in den<br />

Ländern, welche wiederum über Filialen und Vertriebsbüros verfügten. Die Bereichs-<br />

organisation war dementsprechend weniger ausgeprägt <strong>als</strong> bei SIEMENS. 499<br />

Damit war für die L&S mit dem Merger auch die Befürchtung verbunden, dass das<br />

Geschäft, welches sehr von diesen Vertriebsbüros getrieben war und im Gegensatz zu<br />

SIEMENS stärker den direkten Kontakt zu kleinen und kleinsten Kunden (Handwerker)<br />

pflegte, untergehen würde, wenn die eigenen kleinen Landesgesellschaften in die<br />

großen SIEMENS-Landesgesellschaften integriert würden. 500<br />

Es standen sich somit zwei Konzernverständnisse gegenüber: Zum einen ein klassisch-<br />

zentralisierter Konzern, und zum anderen eine Holding, die wenig strategisch und<br />

operativ führte. Diese Hintergrundverständnisse oder „frames of reference“ stellen<br />

wichtige Bezugspunkte der Unternehmensidentität dar, bestimmen sie doch maß-<br />

geblich die Interaktionen zwischen der Konzernspitze und den Divisionen: 501<br />

Eine Holding bezieht i.d.R. ihre „Daseinsberechtigung“ aus dem Management des<br />

Portfolios, der Allokation von Ressourcen und nimmt keinen Einfluss auf das Geschäft<br />

497 Vgl. Interviews I60, I61.<br />

498 Vgl. Interviews I60, I61.<br />

499 Vgl. Interviews I60, I61.<br />

500 Vgl. Beobachtung B111.<br />

501 Vgl. Deiser, 1994.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

der Divisionen. Der Konzern versucht dagegen aus der Herstellung von Synergien<br />

zwischen den Bereichen, z.B. durch Kosteneinsparungen bei der Entwicklung neuer,<br />

übergreifender Technologien oder der Verbreitung von best practices, zusätzlichen<br />

Mehrwert zu generieren und leitet daraus auch sein Selbstverständnis ab.<br />

Gerade die immer wieder thematisierte schwierige (Führungs-)Rolle der SBT wird vor<br />

dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Konzernauffassungen nachvollziehbar. Aus<br />

der traditionellen Perspektive der Divisionen der SBT und ihrem eigenen Selbstver-<br />

ständnis heraus war nur ein kleiner Kopf nötig, der sich um Fragen der Nachfolge, der<br />

Beschaffung von Finanzen, der Kommunikation zu den Finanzmärkten und in seltenen<br />

Fällen auch um die Schaffung von Synergien kümmerte. Das SIEMENS-Verständnis<br />

entsprach dagegen eher dem eines klassischen Konzerns. 502<br />

Betrachtet man diese unterschiedlichen Konzernverständnisse vor dem Hintergrund<br />

der von COASE dargelegten Transaktionskostentheorie, so fällt der unterschiedliche<br />

Umgang mit den Kosten der Komplexität bei den beiden Organisationen auf. 503<br />

Im Rahmen der SIEMENS-Struktur wurden die Transaktionen - und damit die Trans-<br />

aktionskosten - sehr stark in das Unternehmen hereingeholt, da jeder Bereich für seine<br />

Produkte und Anliegen in den Regionalgesellschaften kämpfen musste. Diese Struktur<br />

erschwert es, führende Positionen mit Hilfe von Spezialisten auf dem Markt aufzu-<br />

bauen, weil das gesamte Geschäft von den Regionalgesellschaften vertreten werden<br />

muss. Auch der Verkauf von unprofitablen Teilen des Geschäfts widerspricht dieser<br />

Konzernvorstellung, weil es sich eben nicht um eine Holding, sondern um einen<br />

zentral geführten Konzern handelt. 504<br />

Dem Holdingverständnis entspricht es dagegen eher, die Komplexität so weit wie<br />

möglich nach außen zu verlagern. Die Business Units erhalten damit eine hohe Auto-<br />

nomie und Flexibilität im Aufbau eigener marktgerechter Strukturen.<br />

Die SBT stellte so gesehen noch einen Fremdkörper in der Struktur des SIEMENS-<br />

Gefüges dar. Ein Manager formulierte das mit den Hinweis: „SBT ist innerhalb der<br />

SIEMENS noch eine Insel für sich.“ 505<br />

502 Vgl. Interviews I60, I61.<br />

503 Vgl. Coase, 1937.<br />

504 Vgl. Interviews I60, I61.<br />

505 Vgl. Interview I45.<br />

209


210<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

6.3.3 Die Strategie der SBT: Vom Multi- zum Transnationalen Unternehmen<br />

Die strategische Ausgangssituation der Unternehmen unter dem Dach der SBT, insbe-<br />

sondere der LANDIS&STAEFA war durch die starke Stellung der Landesgesellschaften<br />

in Europa geprägt, die sich aufgrund des Mergerprozesses noch verstärkt hatte. Der<br />

strategische Einfluss sowohl der SBT- <strong>als</strong> auch der Divisionsführungen war durch das<br />

stark ausgeprägte subsidiäre Organisationsverständnis gegenüber den Ländergesell-<br />

schaften lange Zeit relativ gering. Angesichts der Anforderungen zur EBIT-Steigerung<br />

und der Herausforderung in dem neu entstandenen Umfeld innerhalb des SIEMENS-<br />

Konzerns ergaben sich Notwendigkeiten und Möglichkeiten zur Synergienutzung.<br />

Die strategischen Anstrengungen der verschiedenen <strong>Wandel</strong>projekte (z.B. ERP, BSC,<br />

DESIGO) hatten deshalb sowohl eine höhere „Operational Excellence“ <strong>als</strong> auch einen<br />

höheren „Customer Focus“ zum Ziel. Dahinter wurde der Ertragsdruck seitens des<br />

Mutterkonzerns sichtbar, aber auch das Bemühen durch eine höhere Differenzierung<br />

der Produkte und des Service einerseits und die Verbesserung der Kostenstruktur<br />

durch die Nutzung von Synergien andererseits, die gute Marktposition zu erhalten<br />

bzw. auszubauen.<br />

Relative<br />

Product/Service<br />

differentiation<br />

High<br />

Average<br />

Low<br />

Weak<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Customer Focus<br />

Average<br />

Strong<br />

Abbildung 57: Darstellung der strategischen Ausrichtung<br />

(Quelle: Dokument D58)<br />

Operational<br />

Excellence<br />

Relative cost<br />

position of<br />

delivered solution<br />

Multinationale Konzerne wie SBT mit einem stark „lokalen business“ stehen in einem<br />

starken Spannungsfeld: Einerseits führt die globale Integration der Technologien und<br />

<strong>Prozess</strong>e zu einer zunehmenden Standardisierung, andererseits erfordert die lokale Re-<br />

zeptivität bei diesen Konzernen auch die Berücksichtigung der lokalen Anforderungen.


Globale Integration<br />

schwach stark<br />

Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Global Transnational<br />

International<br />

Strategische<br />

Strategische<br />

Strategische<br />

Strategische<br />

<strong>Wandel</strong>projekte<br />

<strong>Wandel</strong>projekte<br />

<strong>Wandel</strong>projekte<br />

<strong>Wandel</strong>projekte<br />

Shared Shared Shared Shared Services Services Services Services<br />

SBT<br />

tief hoch<br />

Lokale Rezeptivität<br />

Multinational<br />

SBT<br />

Abbildung 58: Globale Integration und Lokale Rezeptivität<br />

(Quelle: (Ghoshal und Norhira, 1993)<br />

Neben der hohen lokalen Wertschöpfung stellte die Kundennähe und die lokale Ab-<br />

stützung der Organisation einen langjährigen Wettbewerbsvorteil dar. 506 Firmen wie<br />

SBT stehen in Zeiten des technologischen, ökonomischen und kulturellen <strong>Wandel</strong>s vor<br />

der Herausforderung, von einer multinationalen zu einer transnationalen Struktur zu<br />

finden. Die vorher <strong>als</strong> „core capabilities“ entwickelten Strukturen, Kompetenzen und<br />

Identitäten einer Organisation können in einem solchen <strong>Prozess</strong> in Anlehnung an<br />

LEONHARD-BARTON dann allerdings zu „core rigidities“ werden, wenn sie den <strong>Prozess</strong><br />

des <strong>Wandel</strong>s aus der alten Logik heraus behindern. 507<br />

Neue Technologien und organisatorische Lösungen ermöglichen es mittlerweile, die<br />

beiden Dimensionen der globalen Integration und der lokalen Rezeptivität durch tech-<br />

nische Fortschritte stärker zu differenzieren. Allerdings stellt sich aus sozialer Logik<br />

weiterhin das Problem, dass Initiativen wie z.B. Shared Administrative Services, ERP<br />

u.ä. auch die Identität der oft sehr stark lokal verankerten multinationalen Organisa-<br />

tionen verändern. Angesichts der technologischen Möglichkeiten bestehen die Heraus-<br />

forderungen solcher <strong>Wandel</strong>prozesse primär nicht in der inhaltlichen, sondern in der<br />

sozio- und psychologischen Umsetzung.<br />

Die Veränderung der Marktposition vom Multi- zum Transnationalen Unternehmen<br />

sowie die damit häufig einhergehenden Fusionsprozesse und Einführungen einheit-<br />

506 Vgl. Interview I12.<br />

507 Vgl. Leonard-Barton, 1992.<br />

211


212<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

licher Informationsplattformen führen auf diese Weise oftm<strong>als</strong> zu Veränderungen der<br />

organisationalen Identität.<br />

6.3.4 Subsidiarität<br />

Das bereits an verschiedenen Stellen genannte Subsidiaritätsprinzip kennzeichnete<br />

besonders die Zusammenarbeit zwischen zentralen und dezentralen Unternehmens-<br />

einheiten bei SBT und LANDIS&STAEFA. Als wichtiger Kontextfaktor, der sich sowohl<br />

im Tagesgeschäft <strong>als</strong> auch bei den untersuchten <strong>Wandel</strong>projekten auswirkte, soll an<br />

dieser Stelle kurz seine Bedeutung skizziert werden. 508<br />

Trotz einzelner negativer Erlebnisse wurde die subsidiäre Vorgehensweise <strong>als</strong> wesent-<br />

licher Grund für den Erfolg des Mergers zwischen LANDIS&GYR und der STAEFA<br />

CONTROL gesehen. Das subsidiäre Organisationsverständnis prägte nach dem Merger<br />

sowohl die Zusammenarbeit zwischen der ELEKTROWATT- bzw. SBT-Führung und<br />

den Unternehmens- bzw. Divisionsleitungen <strong>als</strong> auch die Zusammenarbeit zwischen<br />

Unternehmens- bzw. Divisionsleitungen und den Landesgesellschaften. 509 Ein<br />

Manager beschrieb die Bedeutung dieses seit längerem praktizierten Führungsver-<br />

ständnisses und die sich daraus ergebenden Konflikte für die anstehenden <strong>Wandel</strong>-<br />

projekte mit den Worten: „Wenn man an so langer Leine führt, dann hat das grund-<br />

sätzlichen Charakter. Da kannst Du nicht sagen, in dieser Sachfrage lange Leine und<br />

da ganz kurz. Und mit dem ERP gehen wir natürlich in die andere Richtung. Das ist<br />

natürlich sehr stark zentralistisch orientiert.“ 510<br />

Der Begriff der Subsidiarität knüpft an den lateinischen Ausdruck subsidium an und<br />

kann übersetzt werden mit Hilfeleistung oder Unterstützung. Das auf die katholische<br />

Soziallehre zurückgehende Subsidiaritätsprinzip zielt darauf ab, dem Einzelnen oder<br />

untergeordneten Einheiten eines Systems möglichst viel Eigeninitiative und Selb-<br />

ständigkeit zu überlassen. Hilfsbedürftigkeit des Einzelmenschen oder kleinerer<br />

Gemeinschaften besteht nur dann, wenn bestimmte Aufgaben ihre Kräfte übersteigen.<br />

Die Unterstützung durch die übergeordnete Gemeinschaft wird vor allem in der Hilfe<br />

zur Selbsthilfe gesehen. 511<br />

508 Vgl. ausführlicher zu diesem Punkt Fischer, 2002.<br />

509 Vgl. Vgl. Beobachtung B005, B009, B017, B040;B041, B043, Interview I02, I25, I33, I34, I39, I51, I54.<br />

510 Vgl. Interview I21.<br />

511 Vgl. von Nell-Breuning, 1990, Lecheler, 1993, Waschkuhn, 1995.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Der Begriff, der in der politischen Diskussion im Zusammenhang mit der Föderalis-<br />

musdebatte erörtert wird, 512 bezieht sich im betriebswirtschaftlichen Kontext weniger<br />

auf die Hilfsbedürftigkeit einer Organisation <strong>als</strong> vielmehr auf die Entscheidungs-<br />

möglichkeiten untergeordneter Einheiten. Demnach sollten Entscheidungen so<br />

dezentral wie möglich und so zentral wie nötig getroffen werden.<br />

Für das strategische Management in subsidiär geführten Unternehmen ergibt sich<br />

damit ein Dilemma: Auf der einen Seite strebt man - insbesondere im Anschluss an<br />

Fusionsprozesse - eine Standardisierung von <strong>Prozess</strong>en, Tools, Managementpraktiken<br />

und Best Practices an, um Synergien zu nutzen. Auf der anderen Seite braucht man<br />

dezentrale Autonomie und Flexibilität, um über die Berücksichtigung lokaler Bedürf-<br />

nisse Innovation und Kundennähe zu erreichen.<br />

Identitätsbildende Wirkmomente dezentraler und zentraler Strukturen<br />

Merkmal<br />

(auf Sachebene)<br />

Dezentralisation Zentralisation<br />

Identitätsbildende<br />

Faktoren<br />

(auf Beziehungsebene)<br />

• erhöhte Flexibilität • höhere Selbständigkeit<br />

• Komplexitätsreduzierung<br />

höherer Ebenen<br />

• komplexere Entscheidungs-<br />

u. Konfliktprozesse<br />

• ortsnahe Problemlösung<br />

(u.U. suboptimal)<br />

• unterschiedliche<br />

Entwicklungen<br />

• Weniger zentrale<br />

Kontrollmöglichkeiten;<br />

Vertrauen<br />

nötig<br />

• eher symmetrisches<br />

Verhältnis<br />

• Raum für kreatives<br />

Potential und unterschiedliche<br />

Lösungen<br />

Merkmal<br />

(auf Sachebene)<br />

• erhöhte Standardisierung<br />

• Grösseneffekte<br />

• Entlastung tieferer<br />

Ebenen<br />

• top-down Führungsverständnis<br />

• Optimierung des<br />

Gesamtsystems,<br />

Effizienzsteigerung<br />

Tab. 3: Wirkungen dezentraler und zentraler Strukturen 513<br />

Identitätsbildende<br />

Faktoren<br />

(auf Beziehungsebene)<br />

• mehr Konformität<br />

• Mehr Einfluss zentraler<br />

Einheiten<br />

• eher asymmetrisches<br />

Verhältnis<br />

• Weniger Spielraum<br />

für Eigenentwicklungen<br />

Die aus strategischen Gründen initiierte Veränderung der Macht und der Entschei-<br />

dungskompetenzen in Richtung Zentralisation oder Dezentralisation bedeutet aber<br />

oftm<strong>als</strong> eine Veränderung der hierarchisch geprägten Beziehungen zwischen über- und<br />

512 Nur in föderalistischen Systemen ergibt sich die die Möglichkeit, Entscheidungskompetenzen auf<br />

verschiedenen Ebenen anzusiedeln. Vgl. dazu Lecheler, 1993;Waschkuhn, 1995.<br />

513 Vgl. dazu auch Waschkuhn, 1995, S. 84.<br />

213


214<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

untergeordneten Organisationseinheiten. 514 Veränderungen in die eine wie die andere<br />

Richtung haben somit spezifische Rückwirkungen auf die hier untersuchte Identitäts-<br />

bildung in strategischen <strong>Wandel</strong>prozessen.<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Die größte Herausforderung im Umgang mit dem Subsidiaritätsprinzip stellt die Art<br />

und Weise der Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen über- und untergeordneten<br />

Einheiten dar. Ähnlich wie bei der Initiierung von <strong>Wandel</strong> ist auch mit der Einfluss-<br />

nahme zentraler Einheiten in subsidiären Strukturen potentiell eine kritische implizite<br />

Botschaft verbunden: Der bestehende Zustand bzw. die aktuellen Ergebnisse entspre-<br />

chen nicht den Erwartungen bzw. sind so schlecht, dass sich die übergeordnete Einheit<br />

einschalten muss. Die Notwendigkeit eines zentralen Eingriffs bzw. zentraler Ent-<br />

scheidung bei gleichzeitiger Wertschätzung der unteren Einheiten trotz eines eventu-<br />

ellen Unvermögens plausibel zu machen, stellt hohe Anforderungen an die<br />

Beziehungsqualität und die <strong>Prozess</strong>kompetenz der Beteiligten.<br />

Der damit einhergehende <strong>Prozess</strong> der Klärung von Ist- und Sollzustand (Was) sowie<br />

der Vorgehensweise (Wie) beinhaltet stets auch ein - meist implizites - Aushandeln der<br />

Beziehungskonstellation und der damit verbundenen wechselseitigen Identitätszu-<br />

schreibungen.<br />

Es erscheint angesichts der dynamischen und komplexen <strong>Prozess</strong>e in Organisationen<br />

illusorisch, abschließend und allumfassend dezentrale und zentrale Verantwortlich-<br />

keiten und Zuständigkeiten zu definieren. Eine solche Vorstellung entspricht einer<br />

technokratischen Organisationsauffassung, die dem ständigen Aushandeln organisa-<br />

tionaler W i r k -lichkeiten in subsidiären Kontexten nicht entspricht.<br />

6.4 <strong>Wandel</strong>projekte bei SBT<br />

Nachfolgend werden die Projektinhalte, die den <strong>Wandel</strong> bei SBT inhaltlich<br />

beschreiben, kurz vorgestellt. Es handelt sich um die Einführung eines neuen strategi-<br />

schen Zielsystems der Balanced Scorecard, der Einführung eines SAP-gestützten<br />

Systems zum Management der Ressourcenplanung – ERP - sowie um den Aufbau<br />

eines neuen Geschäftssegments bei L&S (PFC).<br />

514 Vgl. ebenda, S. 83ff.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Das Ziel der nachfolgenden Darstellungen der Initiativen ist es, den Leser mit den<br />

Inhalten der Projekte vertraut zu machen und die Bezüge zu den treibenden Faktoren<br />

des externen Kontextes darzustellen.<br />

6.4.1 Balanced Scorecard (BSC)<br />

“In our mission statement, we have defined the businesses we want to be in and we have <strong>als</strong>o<br />

defined our vision in terms of an objective to attain a leading position in each of our<br />

businesses, everywhere. By ‘leading position’ we mean being better than the competition both<br />

from the perspective of our customers and with respect to overall profitability. We have<br />

defined strategies, organizational structures, business processes, cooperation mechanisms<br />

and cultural guidelines to enable us to achieve these objectives.<br />

Partnerorganisationen<br />

SBT<br />

Migros<br />

Aare<br />

Externer Kontext<br />

Externer<br />

Kontext SBT<br />

Externer Kontext<br />

Kontext<br />

Externer Kontext<br />

Kontext<br />

Migros Migros Aare<br />

Aare<br />

<strong>Wandel</strong>inhalte<br />

<strong>Wandel</strong>inhalte<br />

(Projekte)<br />

(Projekte)<br />

BSC<br />

ERP<br />

PFC<br />

Postmerger- PMI- -<br />

projekte<br />

projekte<br />

Abbildung 59: Gedankenfluss Empirie<br />

Interner<br />

Kontext<br />

Analyse der<br />

Internen<br />

Kontexte<br />

<strong>Wandel</strong>prozesse<br />

Analyse der<br />

<strong>Wandel</strong>- -<br />

prozesse<br />

But we will not succeed unless all our employees continually behave in a way that is<br />

consistent with our vision of achieving the leading position. The BSC is an excellent<br />

management tool that supports us in the implementation of this process. It <strong>als</strong>o forces to<br />

check our strategy for consistency and provides the framework for our action plans to achieve<br />

the objectives.” Oskar Ronner, CEO SBT 515<br />

515 Vgl. Dokument D04.<br />

215


Customers<br />

Processes<br />

216<br />

People<br />

Financial<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Actual Target Actual Target Actual Target<br />

Strategic Objectives Indicator 98/99 99/00 00/01 00/01 01/02 01/02<br />

1. Maintain a high brand recognition Recognition Index ...% ...% ...% ...% ...% ...%<br />

2. Achieve high customer loyalty Re-purchase Rate ...% ...% ...% ...% ...% ...%<br />

3. Increase market-share Mkt Share ...% ...% ...% ...% ...% ...%<br />

4. Recruit the Best Management talent Hit Rate ...% ...% ...% ...% ...% ...%<br />

5. Improve empowerment Empowerment Index …% ...% ...% ...% ...% ...%<br />

6. Improve employee loyalty Employee Turnover …% ...% ...% ...% ...% ...%<br />

7. Maintain Product Leadership Innovation Rate<br />

8. Improve efficiency in Project Management Project Margin<br />

9. Increase cross-selling with Siemens, SBT,<br />

...% ...% ...% ...% ...% ...%<br />

Divisions cross-selling ...DEM ...DEM ...DEM ...DEM ...DEM ...DEM<br />

10. Increase EVA EBIT, ROCE, NWC,<br />

EVA<br />

11. Grow maintenance business Sales Growth<br />

12. Grow security business Sales Growth<br />

Abbildung 60: Darstellung einer Balanced Scorecard aus einem BSC-Einführungsguide<br />

(Quelle: Dokument D04)<br />

Die Balanced Scorecard (BSC) wurde von KAPLAN/NORTON an der Harvard Business<br />

School in Boston entwickelt 516 und stellt ein Bindeglied zwischen langfristigen Visio-<br />

nen und Strategien eines Unternehmens und deren Umsetzung in Aktionen und Pro-<br />

jekten dar. Die Kernidee der BSC besteht darin, ein ausbalanciertes Zielsystem zur<br />

Implementierung der Strategie zu entwickeln, das nicht nur die finanziellen Kenn-<br />

ziffern, sondern auch die Zielperspektiven der Kunden, der Mitarbeiter und der inter-<br />

nen Wertschöpfungsprozesse berücksichtigt. Die nötigen strategischen Ziele (strategic<br />

objectives), Messgrößen (Indicators) und Ergebnisgrößen pro Quartal finden sich dann<br />

in einer Übersicht wieder, wie sie in Abbildung 61 dargestellt sind.<br />

Die BSC stellt keine Konkurrenz zu den geläufigen Management-Informations-<br />

systemen dar, sondern ist eine Ergänzung um langfristige strategische Aspekte. Sie ist<br />

folglich weniger ein Kontroll- <strong>als</strong> vielmehr ein Führungsinstrument. Im Mittelpunkt<br />

steht dabei vor allem der gesamte BSC-<strong>Prozess</strong> von der Visionsbildung über die<br />

Formulierung der Strategie, die Identifizierung der strategischen Ziele, die Definition<br />

der Indikatoren der einzelnen strategischen Ziele und die Bestimmung der Einfluss-<br />

größen (drivers) bis hin zur Definition der Messgrößen und Projekte. Dieser <strong>Prozess</strong><br />

516 Vgl. Kaplan und Norton, 1993;Kaplan und Norton, 1996a;Kaplan und Norton, 1996b;Kaplan und Norton,<br />

1996c.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

wird in Abbildung 61 dargestellt und wird im Sinne einer Anpassung an die aktuelle<br />

Strategie regelmäßig wiederholt.<br />

Vision<br />

Strategy<br />

1. Identify<br />

2. Define<br />

Indicators<br />

Strategic with actual<br />

Objectives and target<br />

(Translate for each<br />

Strategy) Strategic<br />

Objective<br />

Clarify Strategic Objectives<br />

Overall Process<br />

Balanced Scorecard<br />

3. Determine<br />

Drivers for<br />

each<br />

Strategic<br />

Objectives<br />

(Key Success<br />

Factors)<br />

Refine Strategy<br />

4. Define<br />

specific<br />

measures and<br />

Projects/Actions<br />

to address<br />

the high-leverage<br />

Drivers<br />

Define Drivers and Projects to Implement Strategy<br />

Abbildung 61: Abbildung des BSC Gesamtprozesses<br />

(Quelle: Dokument D04)<br />

6.4.1.1 Vorläufer der heutigen BSC-Implementierung<br />

Bei LANDIS&GYR wurde Anfang der 90er Jahre die Vision bereits an den Dimensi-<br />

onen „Outstanding Customer Value“, „Outstanding Investor Value“, „Better<br />

Processes“ und „Better Teams“ ausgerichtet. Erstm<strong>als</strong> nahm sich 1995 dann das<br />

Corporate Development der BSC an. In einer ersten Phase war die Einführung der<br />

BSC ab 1995 auf die USA fokussiert und ab 1997 auf Europa. Unterstützt wurde diese<br />

frühe Initiative durch ein Manager-Training für die Leiter der großen Vertriebsbüros,<br />

bei dem weltweit den Leitern die BSC erstm<strong>als</strong> vorgestellt wurde.<br />

Mit der Übernahme von LANDIS&GYR durch die ELEKTROWATT Ende 1995 und dem<br />

Merger mit STAEFA CONTROL Anfang 1996 kam die BSC-Implementierung zum<br />

Erliegen. Die Prioritäten der Führungskräfte lagen in dieser Zeit im operativen Bereich<br />

und zielten vor allem auf die Stabilisierung der neuen Unternehmung<br />

LANDIS&STAEFA. Nach der Devise „Stop all Meetings“ wurden deshalb in dieser<br />

Phase der Fusion rund 20 weitere strategische Initiativen eingestellt.<br />

217


218<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Mitte 1997 wurde das Thema BSC bei der ELEKTROWATT dann wieder aufgegriffen.<br />

Das Manager-Development-Training wurde neu initiiert und sah vor, während eines<br />

Zeitraums von 18 Monaten weltweit alle 580 Filialleiter mit dem Thema BSC vertraut<br />

zu machen. Von Seiten der Verantwortlichen erhoffte man sich, dass in den Landes-<br />

gesellschaften ein <strong>Prozess</strong> einsetzte, der, getrieben durch die Manager aus den<br />

Vertriebsbüros, eine BSC für jede Landesgesellschaft hervorbrächte. Zu dieser Zeit<br />

entstanden in den Filialen erste BSCs; von einer durchgängigen Implementierung<br />

konnte aber nicht gesprochen werden. Eine Führungskraft brachte es auf den Punkt:<br />

„Das Thema war im Dornröschenschlaf bis 1998.“ 517<br />

6.4.1.2 BSC Implementierung bei SBT und L&S EU ab 1998<br />

Ende 1998 ergriff der Bereichsvorstand, der neu gegründeten SBT die Initiative und<br />

legte Rahmenbedingungen für die bereichsweite Einführung der BSC fest. Diese sahen<br />

vor, die BSC in den Business Units aller vier Divisionen und ihren Landesgesell-<br />

schaften einzuführen. Den Functional Units aller Ebenen wurde es freigestellt, selbst<br />

eine BSC zu erstellen. Von Seiten der SBT wurde mit der BSC ein strategischer Denk-<br />

und Gestaltungsprozess angestrebt, der zu einer Harmonisierung lokaler Handlungen<br />

durch den Gebrauch einer gemeinsamen Sprache und Methodik führen sollte. 518<br />

Bei LANDIS&STAEFA EUROPA verband man darüber hinaus die Erwartung, den in<br />

einer Führungskräftebefragung ermittelten Mangel an strategischer Orientierung zu<br />

überwinden, der durch die operative Ausrichtung während der Mergerphase aufge-<br />

treten war.<br />

Im Januar 1999 bestimmte jede Division einen sogenannten Ambassador für die Ein-<br />

führung der BSC. Im Fall von LANDIS&STAEFA EUROPA wurde, wie auch bei den<br />

übrigen Divisionen, diese Position durch den Assistenten der Geschäftsleitung besetzt.<br />

Zusammen mit dem Corporate Development von SBT fand im gleichen Monat ein<br />

Kick-off Meeting zur Entwicklung eines Roll-out-Plans statt. 519<br />

Ab dem Frühjahr 1999 hatten die Ambassadoren die Aufgabe, die BSC-Implementie-<br />

rung in ihren Divisionen anzustoßen. Bei LANDIS&STAEFA EUROPA wurde entschie-<br />

den, die BSC in den laufenden Strategieprozess zu integrieren und die neue Roof<br />

517 Vgl. Interview I55, Beobachtung B004.<br />

518 Vgl. Beobachtung B006, B078, Interview I58, I36, I33.<br />

519 Vgl. Dokument D42, Interviews I55, I58.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Strategy mit Hilfe der BSC umzusetzen. Die Landesgesellschaften von<br />

LANDIS&STAEFA EUROPA hatten dazu den Auftrag, bis September 1999 ihre eigene<br />

Landesstrategie aus der Roof Strategy abzuleiten und daraus eine BSC zu erstellen.<br />

Unterstützt wurden die Länder in diesem Vorhaben von den Country Coaches. Die<br />

Ergebnisse blieben aber hinter den Erwartungen zurück.<br />

Initiiert durch das Corporate Development beschäftigte sich die SBT Bereichsleitung<br />

im September 1999 erneut mit der flächendeckenden Einführung der BSC. Zur Ent-<br />

scheidung stand ein Konzept zur Einführung der BSC durch ein großes Consulting-<br />

unternehmen. Diese Initiative wurde nach dem Motto „Wir lassen es uns was kosten“<br />

den Divisionen vorgestellt. Der Vorschlag stieß bei den bislang stets autonom geführ-<br />

ten Divisionen auf Zurückhaltung. Das Konzept wurde schließlich abgelehnt und statt<br />

dessen eine Lösung gewählt, die den beteiligten Divisionen stärkeren Einfluss und<br />

Eigeninitiative beließ. Dazu wurde die Organisation durch einen externen Berater in<br />

der Methodik der BSC geschult, sowie ein Coaching für die Divisionen und Landesge-<br />

sellschaften durch das Corporate Development von SBT angeboten.<br />

Im Herbst 1999 fand bei LANDIS&STAEFA EUROPA ein Geschäftsleitungsworkshop<br />

statt, bei dem sich die Führungskräfte die BSC auf ihre Fahne schrieben. Es galt, SBT<br />

zu beweisen, dass man die Einführung selbst professionell durchführen konnte. Man<br />

vereinbarte, die Methodik der BSC mit Hilfe des externen Beraters auf Workshops<br />

bekannt zu machen und die Implementierung in den Ländern durch die Country Coa-<br />

ches zu unterstützen. Dabei wurde auf eine Einführung über die Linie gesetzt, <strong>als</strong>o von<br />

LANDIS&STAEFA EUROPA, über die Landesgesellschaften bis zu den Vertriebsbüros.<br />

Man entschied sich damit gegen die Einführung über die Segmente, was zu einer<br />

höheren Kohärenz der strategischen Ziele und Projekte innerhalb der Segmente geführt<br />

hätte.<br />

Im November 1999 wurde den Divisionen von der SBT ein BSC-Einführungs-Guide<br />

zur Verfügung gestellt, der auf rund 20 Seiten Zweck und Methodik der BSC erklärt.<br />

Bei LANDIS&STAEFA EUROPA wurde dieser Einführungs-Guide durch einen Anhang<br />

ergänzt, der die spezifischen Rahmenbedingungen dieser Division berücksichtigte und<br />

festlegte, welche Einheiten eine BSC erstellen müssten und nach welchem Zeitplan<br />

dies ablaufen sollte. 520 Im November 1999 wurde den Leitern der Landesgesell-<br />

520 Vgl. Dokument D04, D02.<br />

219


220<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

schaften von LANDIS&STAEFA der Einführungsplan auf dem jährlich stattfindenden<br />

europäischen Management-Meeting vorgestellt. 521<br />

6.4.1.3 BSC-Einführung bei LANDIS&STAEFA Europa<br />

Der Anhang zum Einführungs-Guide sah vor, bis Dezember 1999 eine BSC für<br />

LANDIS&STAEFA EUROPA aus der Roof Strategy abzuleiten und jeweils eine BSC für<br />

jedes Segment in der Zentrale zu erstellen. Den Functional Units wurde es freigestellt,<br />

ob sie ebenfalls eine BSC erstellen wollten. Die Landesgesellschaften waren aufge-<br />

fordert, bis Mai 2000 eine BSC aus der Landesstrategie abzuleiten. Den Segmenten<br />

und Functional Units in den Landesgesellschaften war es wiederum freigestellt, eine<br />

BSC zu erstellen. Von den Filialen, die i.d.R. keine Unterteilung in Segmente und<br />

Functional Units mehr kennen, wurde eine BSC bis Juni 2001 erwartet.<br />

Auf eine zentrale Projektorganisation zur Koordination der Einführung der BSC wurde<br />

bewusst verzichtet, selbst ein Vorschlag für einen Erfahrungsaustausch zwischen den<br />

Functional Units wurde von der Geschäftsleitung abgelehnt. Die Länder sollten weit-<br />

gehend frei über Fragen der Implementierung innerhalb des gesetzten Rahmens ent-<br />

scheiden können.<br />

Die interne Trainings- und Beratungsabteilung (Learning Support Center) begleitete<br />

die Einführung der BSC teilweise in den Segmenten und Functional Units der Zentrale<br />

von LANDIS&STAEFA Europa. Ein wesentliches Element war dabei die Unterstützung<br />

der Gruppen, die eine BSC erstellten. Häufig wurde der Kick-off Workshop<br />

zusammen mit dem externen Berater durchgeführt, während das Learning Support<br />

Center den weiteren <strong>Prozess</strong> bis zur Fertigstellung der BSC moderierte.<br />

In der zentralen Unternehmensführung kam es im Laufe des Jahres 2000 zu einer<br />

Reihe von BSC-Implementierungen in Segmenten und Functional Units, die zum Teil<br />

mit der Restrukturierung der Divisionen von SBT im Oktober 2000 ins Stocken<br />

gerieten.<br />

6.4.1.4 Beispiele der BSC in Segmenten und Functional Units der Unternehmszentrale<br />

von LANDIS&STAEFA EU<br />

Nachfolgend werden kurz Beispiele zur Einführung der BSC in den Segmenten und<br />

Functional Units auf europäischer Ebene sowie auf der Ebene einer Landesgesellschaft<br />

521 Vgl. Interviews I55, I13.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

dargestellt. An den Beispielen wird die unterschiedliche Vorgehensweise bei der Ein-<br />

führung und Weiterentwicklung der BSC deutlich.<br />

Segment Core Service (CSV)<br />

Eine erste Version der europäischen BSC im Service Segment wurde aus dem strategi-<br />

schen Programm zur Weiterentwicklung des Servicegeschäfts heraus entwickelt. Die<br />

Weiterentwicklung des Servicegeschäfts war Teil der übergeordneten Roof Strategy<br />

der L&S EU. Diese Version der BSC wurde im November 2000 auf einer Service-<br />

leitertagung mit den Landesgesellschaften abgestimmt und weiterentwickelt. Ein<br />

Hauptziel dieses BSC-Workshops war es, eine europäische Dach-BSC für das Service-<br />

geschäft zu entwickeln und damit die bereits erarbeiteten Servicestrategien der Länder<br />

zu synchronisieren. Anfang 2001 diente dann eine Revision der BSCs im Service dazu,<br />

die Länder-BSCs im Service auf die europäische Service-BSC abzustimmen. 522<br />

Functional Unit Human Resources (HR)<br />

Den Functional Units wie dem HR oder dem Marketing war es auf der europäischen<br />

Ebene freigestellt, eine BSC zu entwickeln. Die Functional Unit HR erstellte während<br />

drei moderierter Workshops mit rund zehn Mitarbeitern eine eigene BSC. Begonnen<br />

hatte der <strong>Prozess</strong> schon 1999 mit der Formulierung eines neuen Leitbildes, das die<br />

strategische Relevanz des HR für den Erfolg der gesamten Unternehmung unter-<br />

mauern sollte. Um die Kohärenz zu wahren, diente die übergeordnete BSC von L&S<br />

<strong>als</strong> Grundlage und es wurde geprüft, zu welchen übergeordneten Zielen das HR einen<br />

Beitrag leisten konnte.<br />

Auf einer europäischen HR-Konferenz wurde ein Workshop zu Methodik und zum<br />

Vorgehen bei der Erstellung einer BSC durchgeführt und im Anschluss wurden mit<br />

den HR-Managern aus den Landesgesellschaften gemeinsame strategische Ziele defi-<br />

niert. Eine vollständige BSC für den Bereich HR in den Ländern wurde allerdings<br />

nicht erarbeitet, weil die Länder bei der Umsetzung der gemeinsamen Ziele größtmög-<br />

liche Freiheit haben und den lokalen Bedürfnissen gerecht werden sollten. 523<br />

Functional Unit Finance & Controlling (F&C)<br />

522 Vgl. Interview I34, I64.<br />

523 Vgl. Interview I60, I61.<br />

221


222<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

In der Functional Unit F&C wurde auf der europäischen Ebene die Erstellung der BSC<br />

mit dem Sonderprogramm „Fit for the Future“ gestartet. Das Programm zielte auf den<br />

Austausch von Best Practice aus dem Aufgabenbereich des F&C. Dabei ging es vor<br />

allem um die Frage, wo das F&C zum Geschäftserfolg der gesamten Unternehmung<br />

beitragen konnte. Es wurden zehn Bereiche für Verbesserungen identifiziert, wie z.B.<br />

die Verbesserung der Zahlungsbereitschaft. Die Themen wurden auf die Länder ver-<br />

teilt, die dann Treiber und Maßnahmen zur Verbesserung identifizierten. Die Vor-<br />

schläge dienten <strong>als</strong> Input bei der Erstellung einer BSC im F&C. Sowohl die Unter-<br />

nehmenszentrale wie auch die Länder wählten aus den Vorschlägen jeweils die Treiber<br />

aus, die ihnen für ihr Geschäft am geeignetsten erschienen. 524<br />

Segment Performance Contracting (PFC)<br />

Im Gegensatz zu den anderen Segmenten und Functional Units war die Einführung der<br />

BSC im PFC sehr viel stärker top-down getrieben. Die wichtigsten strategischen Ziele<br />

und Treiber wurden 1999 in der Zentrale definiert, die Länder ergänzten lediglich<br />

landesspezifische Gegebenheiten und versuchten eine Verbindung zur allgemeinen<br />

BSC der Landesgesellschaft herzustellen. Vorgestellt wurde die BSC anlässlich eines<br />

europäischen PFC-Manager-Meetings und anschliessend an die PFC Organisationen<br />

der Länder übergeben. Nachfolgende Meetings auf europäischer Ebene zeigten, dass<br />

fast alle Länder die BSC der Zentrale übernommen hatten und nur die Budgetziele pro<br />

Land angepasst wurden. Der <strong>Prozess</strong> zur Erstellung der BSC stand in diesem Segment<br />

mit dem schwer zu kalkulierenden Projektgeschäft offensichtlich nicht im Vorder-<br />

grund, sondern es ging primär um das Nachvollziehen und die Prognose der<br />

Geschäftsentwicklung. 525<br />

Interpretation im Gesamtkontext: Organisationen verändern die Werkzeuge und<br />

Werkzeuge verändern die Organisationen<br />

Die Beispiele zeigen, dass es in den einzelnen Abteilungen sehr unterschiedliche Ein-<br />

führungen und Umgangsweisen mit der BSC gab. Auch wenn es sich um die gleiche<br />

Methodik handelte, gab es bereits auf der europäischen Ebene ein sehr unterschied-<br />

liches Verständnis davon, wie man mit dem Werkzeug BSC umgehen sollte. Unter-<br />

schiede bestanden dabei vor allem hinsichtlich des Ausmaßes der zentralen Abstim-<br />

524 Vgl. Interview I56.<br />

525 Vgl. Interview I40.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

mung sowie der Art der Einführung. Insbesondere die eher <strong>als</strong> Rahmenvorgaben bzw.<br />

„Dach-BSC“ konzeptionierten Ansätze spiegeln deutlich das subsidiäre Führungs-<br />

verständnis der Organisation wider. Dieser Umgang mit der BSC stellt einerseits eine<br />

besondere Herausforderung dar, da es nicht dem „einfachen“ Bild eines kaskaden-<br />

förmigen top-down angelegten Strategieprozesses entspricht. Andererseits ist diese<br />

Vorgehensweise, die auf die Gestaltung von Rahmenbedingungen und die Einbe-<br />

ziehung der nachgeordneten Ebenen ausgerichtet ist, in einem subsidiären Kontext<br />

dazu geeignet, ein höheres Maß an Nachhaltigkeit zu erreichen.<br />

Nachteilig wirkten sich im Fall der L&S EU die starken Kontextveränderungen durch<br />

die Fusionen und Veränderungen in der Geschäftsleitung sowie das unterschiedlich<br />

kommunizierte Commitment der verschiedenen Führungsebenen aus. Beispielsweise<br />

muss man sich fragen, welche Bedeutung einer solchen Initiative beigemessen wird,<br />

wenn man auf einen Erfahrungsaustausch verzichtet und <strong>als</strong> Projektowner oder<br />

„Ambassadoren“ ausgerechnet die Assistenten der Geschäftsleitung benennt. 526<br />

6.4.1.5 BSC in der Landesgesellschaft Schweiz<br />

Nachfolgend wird der <strong>Prozess</strong> der Erstellung der Balanced Scorecard in der Landes-<br />

gesellschaft Schweiz und in der Region Ostschweiz vorgestellt. Im Anschluss wird ein<br />

strategisches Projekt der Landesgesellschaft Schweiz, die „Gesamtheitliche Kunden-<br />

bewirtschaftung“ näher vorgestellt, welches aus dem BSC-<strong>Prozess</strong> heraus entwickelt<br />

wurde. 527<br />

Die Einführung der BSC wurde in der Landesgesellschaft Schweiz <strong>als</strong> Kulturwechsel<br />

wahrgenommen. Unter der früheren Leitung der Landesgesellschaft hatte keine ausge-<br />

prägte Strategiearbeit stattgefunden. Entscheidungen von strategischer Relevanz<br />

blieben ausschließlich dem Geschäftsführer der Landesgesellschaft vorbehalten. In<br />

diesem Stil wurde auch die erste BSC für die Landesgesellschaft Schweiz „im stillen<br />

Kämmerlein“ entwickelt, um die Zentrale von LANDIS&STAEFA EUROPA zufrieden zu<br />

stellen. Mit einem Wechsel an der Spitze der Landesgesellschaft wurde die BSC ein<br />

wichtiges Element der Strategiearbeit, die damit gleichzeitig für weite Teile der<br />

Mitarbeiter geöffnet und nachvollziehbar wurde.<br />

526 Vgl. Beobachtung B015.<br />

527 Vgl. Beobachtungen B040, B054, Interviews I63, I03, I14, I42.<br />

223


224<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Im Oktober 1999 begann die systematische Einführung der BSC bei der Landesgesell-<br />

schaft Schweiz. Zu Beginn wurden generelle BSC-Ziele für die geplante Entwicklung<br />

der einzelnen Segmente erarbeitet und <strong>als</strong> Input für die Erstellung der BSCs in die<br />

Segmente weitergegeben. Bis Ende März 2000 wurde zunächst von jedem Segment<br />

durch ein BSC-Projektteam eine BSC erstellt, die dann zu einer übergeordneten<br />

Schweizer BSC integriert und koordiniert werden sollte. Die übergeordnete Schweizer<br />

BSC sollte dann die Grundlage für die Erstellung einer BSC in den Filialen sein.<br />

Bei der Erstellung der BSCs für die Segmente gingen die einzelnen Projektteams weit-<br />

gehend nach dem gleichen Muster vor. In drei halbtägigen Workshops wurden die<br />

strategischen Ziele für die Segmente erarbeitet, Treiber identifiziert, Messgrößen fest-<br />

gelegt und strategische Projekte oder Aktionen zur Erreichung der Ziele vorgeschla-<br />

gen. Dabei gab es keine Abstimmung mit den BSCs der Segmente auf europäischer<br />

Ebene.<br />

Ende März 2000 kam es zu einer ersten Koordination im Rahmen einer erweiterten<br />

Geschäftsleitungssitzung. Die Projektteams stellten hierzu jeweils ihre Segment-BSC<br />

vor. Dabei wurde deutlich, dass die Zahl der strategischen Ziele und Aktionen viel zu<br />

groß war. Insgesamt brachten es die vier BSCs aus den Segmenten auf über 50 Vor-<br />

schläge. Aus diesem Grund wurde vereinbart, bis zur abschließenden Konsolidierung,<br />

die wichtigsten zwei bis vier Ziele und Aktionen je Segment festzulegen.<br />

Im Rahmen einer späteren erweiterten Geschäftsleitungssitzung wurden dann die<br />

BSCs aus den Segmenten zu einer BSC für die Landesgesellschaft Schweiz zusam-<br />

mengeführt. In zwei Gruppenarbeiten wurden jeweils aus den BSCs der Segmente die<br />

wichtigsten Ziele und Aktivitäten ausgewählt und auf ihre inhaltliche Konsistenz hin<br />

überprüft. Zusätzlich wurden generelle Ziele und Aktivitäten für die Dimensionen<br />

Kunden und Mitarbeiter definiert sowie die Teilergebnisse der Arbeitsgruppen in einer<br />

Gesamt-BSC konsolidiert und verabschiedet. 528<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Im Rahmen der Einführung der BSC auf der Ebene der Landesgesellschaft ist bemer-<br />

kenswert, dass sich die Organisationsstruktur im Aufbau dieses strategischen Projekts<br />

deutlich wiederfindet. Der <strong>als</strong> Top-Down und Bottom-up <strong>Prozess</strong> zu beschreibende<br />

Verlauf dieses Projekts nutzte die bestehenden Segmentstrukturen und schloss damit<br />

528 Vgl. Interview I63.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

an die bestehenden Kommunikationsgemeinschaften an. Allerdings bringt dieses Vor-<br />

gehen ein hohes Maß an Integrationsanforderung seitens der Geschäftsleitung mit sich.<br />

Die strenge Aufteilung des strategischen <strong>Prozess</strong>es in die einzelnen Segmente führte<br />

darüber hinaus auch nicht zu einem Austausch zwischen den Segmenten.<br />

6.4.1.6 Beispiel eines strategischen Projekts aus der BSC der Landesgesellschaft<br />

Schweiz – „Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung“<br />

Nachfolgend soll anhand eines strategischen Projekts ein Beispiel präsentiert werden,<br />

wie die BSC auf Landesebene strategische Veränderungen initiierte. 529<br />

Das strategische Projekt „Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung“ (GKB) aus der<br />

BSC des Segments Contracting wurde während einer erweiterten Geschäftsleitungs-<br />

sitzung <strong>als</strong> besonders wichtig eingestuft.<br />

Bereits über lange Jahre wurde in der Landesgesellschaft Schweiz eine kontinuierlich<br />

professionelle Kundenbewirtschaftung betrieben. Von zentraler Bedeutung für den<br />

langjährigen Erfolg war dabei die Kundennähe des Vertriebs. Charakteristisch für<br />

diese Kundennähe waren die persönlichen Beziehungen der Verkäufern von LANDIS&-<br />

STAEFA zu den Einkäufern der Kunden sowie die starke regionale Verankerung des<br />

Verkaufs in den Filial- und Vertriebsbüros, die in dieser Form bei der Konkurrenz<br />

nicht zu finden war.<br />

Die vertrauensvollen langjährigen Beziehungen zu den Kunden und deren weitgehend<br />

stabilen Organisationsformen waren allerdings in den letzten Jahren tiefgreifenden<br />

Strukturveränderungen unterzogen. Großkunden, vornehmlich des Segments<br />

Contracting, wie die ehemaligen Schweizer Staatsbetriebe PTT, SBB oder SWISSCOM<br />

wurden privatisiert, Banken und andere Kunden aus Industrie und Dienstleistung<br />

organisierten sich vermehrt dezentral in Profitcenter-Strukturen oder fusionierten.<br />

Diese organisationalen Veränderungen der Kunden blieben nicht ohne Folgen für die<br />

Kundenbewirtschaftung bei L&S, bedeuteten sie doch, dass sich die Ansprechpartner<br />

im Einkauf der Kunden veränderten oder gar ganze Einkaufsabteilungen reorganisiert<br />

wurden. In aller Regel waren bei Großkunden verschiedene Einkäufer Ansprech-<br />

partner für den Vertrieb bei L&S Schweiz. Diese richteten sich häufig nach der Auf-<br />

tragsgröße oder Auftragsregion des Kunden. Erschwerend für die Kundenbewirt-<br />

529 Vgl. Beobachtungen B071, B025, B094, B097, Dokumente D57, D13, D07, D37, D52, D45, D67, D66.<br />

225


226<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

schaftung kam hinzu, dass die regionale Aufteilung der Großkunden häufig nicht mit<br />

der von L&S Schweiz übereinstimmte und so eine interne, schweizweite Koordination<br />

dieser überregionalen Kundenbeziehungen nötig wurde. Diese veränderten Anfor-<br />

derungen führten zu einer erhöhten Komplexität bei der Planung und Durchführung<br />

der Kundenbewirtschaftung.<br />

Das Ziel des Projekts „Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung“ bestand nun darin,<br />

diese zunehmende kundenseitige Komplexität und Dynamik zu bewältigen. Gleich-<br />

zeitig sollte ein Umsatzwachstum bei Kunden mit weiterem Potential erschlossen<br />

werden, ohne allerdings die Beziehungen zu kleineren Kunden zu vernachlässigen.<br />

Mit der Ausarbeitung eines Konzepts für die Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung<br />

wurde ein Projektteam, bestehend aus vier Mitgliedern des ursprünglichen Teams für<br />

die BSC im Segment Contracting und zwei weiteren Mitarbeitern, beauftragt. Aus dem<br />

vorangegangenen Projektteam waren der Marketing- und der Verkaufsleiter sowie<br />

zwei Filialleiter vertreten. Neu hinzu kamen der Leiter des Service und ein weiterer<br />

Mitarbeiter mit besonderen Erfahrungen im Bereich Key Account Management.<br />

Die Projektdauer wurde mit vier Monaten veranschlagt. Geplant waren insgesamt vier<br />

Projektsitzungen, eine Information an einer erweiterten Geschäftsleitungssitzung zum<br />

Stand des Projekts sowie abschließend die Bewilligung des ausgearbeiteten Konzepts<br />

durch die erweiterte Geschäftsleitung. Darüber hinaus kam es zu zwei Reviewsitzun-<br />

gen, in denen der Fortgang der Umsetzung überprüft wurde.<br />

Die erste Projektsitzung begann der Projektleiter mit einem Rückblick auf die noch<br />

kurze Historie des strategischen Projektes GKB. Diese Einführung bezog alle Team-<br />

mitglieder mit ein, weil vorher nicht alle an der Entstehung der BSC im Contracting<br />

oder an der erweiterten Geschäftsleitungssitzung Ende Mai 2000 beteiligt waren.<br />

Zum Projektstart wurde mit Hilfe der Brainwriting-Methode versucht, Ideen für eine<br />

gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung zu generieren. Dazu wurden Antworten zu<br />

sechs Fragen zur Kundenbewirtschaftung von jedem Teilnehmer gesammelt. Auf diese<br />

Weise wurde innerhalb kürzester Zeit rund 100 Ideen produziert und im weiteren<br />

Verlauf allen Beteiligten zur Verfügung gestellt.<br />

An der zweiten Sitzung gab es zur Inspiration der weiteren Arbeit zwei Impulsreferate<br />

externer Referenten über die Möglichkeiten der bestehenden Marketingsoftware zur<br />

gesamtheitlichen Kundenbewirtschaftung und zum Key Account Management.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Aus den Ideen des Brainwriting und dem Input aus den beiden Referaten, wurden fünf<br />

Teilprojekte definiert, und in der darauffolgenden Sitzung näher spezifiziert. Im<br />

einzelnen ging es dabei um die Planung von Vertriebs- und Marketingaktivitäten, ein<br />

Konzept zur Verkaufsinfrastruktur, die Marktsegmentierung im Contracting in<br />

Kundengruppen (Endkunden, Absatzmittler, Beeinflusser), die Erstellung von Listen<br />

für die Planung, Durchführung und Dokumentation der Kundenbewirtschaftung sowie<br />

die operative Umsetzung einer gesamtheitlichen Kundenbewirtschaftung.<br />

Durch einen Lenkungsausschuss sollten auf Vorschlag der Regionen Kunden festge-<br />

legt werden, die vornehmlich nach einer intensiven gesamtheitlichen Kundenbewirt-<br />

schaftung zu betreuen wären. Darüber hinaus wurde die Schaffung eines Aktionsplans<br />

vorgesehen, der geplante Kundenaktivitäten über das Jahr hinweg dokumentieren und<br />

koordinieren sollte.<br />

In der vierten und abschließenden Sitzung wurde die Konzeption für den Lenkungs-<br />

ausschuss wie auch ein Grundgerüst für den Aktionsplan vorgestellt und weiterent-<br />

wickelt. Anschließend definierten die Teilnehmer den <strong>Prozess</strong> zur Einführung. Für den<br />

Aktionsplan wurde dabei lediglich ein Grundgerüst festgelegt und die konkrete Aus-<br />

gestaltung den verantwortlichen Verkäufern überlassen. Ohne ins Detail zu gehen,<br />

wurden Aktionen wie Kundenbesuche, kulturelle Events, Usertagungen, eine Kunden-<br />

zeitschrift etc. beschlossen.<br />

Ein halbes Jahr nach Abschluss des Projekts kam es zu einer ersten Review im GKB<br />

Projekt, bei dem der Status kontrolliert und Erfahrungen ausgetauscht wurden. Die<br />

Betreuung der durch das GKB-Projekt identifizierten Kunden hatte in der Zwischen-<br />

zeit Einzug in die persönlichen Zielvereinbarungen der Verkäufer gefunden. Ebenfalls<br />

initiiert durch das GKB-Projekt war die erste Ausgabe einer Kundenzeitschrift<br />

erschienen, die zukünftig halbjährlich für alle Kunden herausgegeben werden sollte.<br />

Das GKB-Team hatte sich darüber hinaus zu einem Raum weiterentwickelt, über den<br />

neue Ideen und Themen in Bezug auf die Kundenbewirtschaftung in die Organisation<br />

der Landesgesellschaft einfließen konnten. So wurden bei der ersten Review Konzepte<br />

des Customer Relationship Managements (CRM) und deren Potential für die Gesamt-<br />

heitliche Kundenbewirtschaftung diskutiert. 530<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

227


228<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Im vorliegenden Fall des GKB handelt es sich um die Umsetzung eines strategischen<br />

Projekts aus der BSC eines lokalen Geschäftssegments heraus. Das Projektteam setzte<br />

sich aus Mitgliedern unterschiedlicher Bereiche zusammen und erhielt zusätzlich noch<br />

Input von außen durch Gastreferenten, um eine strategische Idee umzusetzen. Die<br />

Gründung und Zusammenarbeit wurde dabei initiiert durch die BSC und führte zur<br />

gemeinsamen Erarbeitung eines Konzepts. Anders <strong>als</strong> bei einer Konzeptentwicklung<br />

im stillen Kämmerlein wurde um Begriffe gefeilscht, Wichtiges von Unwichtigem<br />

unterschieden, um letztlich gemeinsam eine Strategie zu entwickeln. Die BSC gab<br />

damit einen Rahmen, der den gemeinsamen Strategieprozess ermöglichte und die<br />

Umsetzung der Maßnahmen unterstützte.<br />

Die organisatorische Form eines interdisziplinären Teams, welches für eine vorüber-<br />

gehende Zeit an einer konkreten strategischen Aufgabe arbeitet kommt der Vorstellung<br />

einer Community of practice bereits sehr nahe. Wenngleich es sich hierbei nicht um<br />

eine informelle Gruppe handelte, wies das Team durch die Nutzung und Weiterent-<br />

wicklung bestehender Wissensstrukturen und sozialer Praktiken sowie das starke<br />

Engagement für ein gemeinsames Anliegen wesentliche Aspekte einer Community of<br />

practice auf. 531<br />

6.4.1.7 Die Einführung der BSC bei SBT US<br />

Die folgende Beschreibung von der Einführung und vom Umgang mit der BSC in den<br />

USA zeigt deutliche Unterschiede gegenüber dem BSC-Ansatz bei L&S EU. Sie stützt<br />

damit die bereits angeklungene Feststellung, dass Methoden wie z.B. die BSC die<br />

Organisationen verändern, dass aber auch der Einsatz solcher Management-Tools sehr<br />

stark durch den organisatorischen Kontext geformt wird. 532<br />

Die Einführung der BSC in den USA erfolgte im Zuge der Implementierung einer<br />

sogenannten „Total Solution Strategie“. Im Vordergrund stand dabei die Umsetzung<br />

der Strategie und nicht die Einführung der BSC. Aus der Sicht des Managements<br />

stellte sie lediglich eine gute Ergänzung zum Total Solution-Ansatz dar, weil sie die<br />

Aufmerksamkeit auf die Wertschöpfungsprozesse mit den entsprechenden Indikatoren<br />

lenkte.<br />

530 Vgl. Interview I63<br />

531 Vgl. Brown und Duguid, 1991;Wenger, 1998;Wenger und Snyder, 2000 und Kapitel 5.4.1.<br />

532 Vgl. Interview I57, I50, I19.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Aufbauend auf eine bereits früher eingeführte Methodik des „Outstanding Customer<br />

Value“ (OCV), durch die bereits drei Dimensionen der Geschäftstätigkeit erfasst<br />

wurden, erfolgte 1995 bis 1997 erstm<strong>als</strong> eine Umstellung der darin enthaltenen „busi-<br />

ness indicators“. Damit wurde aber noch nicht die BSC eingeführt. Erst 1996 wurde<br />

die neue Total Solution Strategie entwickelt und neun Monate später mit Hilfe der<br />

BSC ausgerollt. Im Mittelpunkt dieser Strategie stand die Überlegung, den Angebots-<br />

prozess abzukürzen und ausgewählten Kunden durch guten Service und hohe Qualität<br />

auch höhere Margen abgewinnen zu können.<br />

Der Roll-out der BSC zu dieser Strategie erfolgte per Email. Es gab keinen Einfüh-<br />

rungsprozess bei dem die Vertriebsbüros auf diese Methode vorbereitet oder, dem<br />

europäischen Beispiel vergleichbar, mit einzelnen Business Units oder Abteilungen<br />

Workshops veranstaltet wurden. Zur Vorbereitung diente lediglich ein Manager<br />

Development Training, bei dem die Leiter der großen Vertriebsbüros einen Tag lang<br />

mit dem Konzept der BSC vertraut gemacht wurden. Zur Vorbereitung auf dieses<br />

Training wurde den Beteiligten eine CD mit einem Computer Based Training zuge-<br />

sandt.<br />

Die BSC war verbunden mit einem webbasierten Software-Programm, bei dem die je-<br />

weiligen Vertriebsbüros über ihre eigenen Zahlen sowie die landesweite Entwicklung<br />

informiert wurden. Die einzelnen Niederlassungen und Distrikte erfuhren aus Gründen<br />

der Vertraulichkeit allerdings nichts über die Zahlen anderer Niederlassungen.<br />

Im Gegensatz zur Situation in Europa war die strategische Situation in Nordamerika<br />

insgesamt durch einen homogenen Markt und eine Kontinuität in der Führung der<br />

Organisation geprägt: Es gab nur zwei Länder (USA und Kanada) mit weitgehend<br />

gleicher Sprache. (Zum Vergleich dazu existieren in Europa 22 Länder). Die ca. 90<br />

Vertriebsbüros wurden im wesentlichen vom HQ zentral geführt.<br />

Inhaltlich war SBT auf dem amerikanischen Markt fast ausschließlich auf das System-<br />

geschäft beschränkt. Anders <strong>als</strong> in Europa war in den USA kein zusätzliches Produkt-<br />

geschäft strategisch zu berücksichtigen. Auch hatte man in den USA wesentlich<br />

weniger, dafür aber grössere Kunden und Auftragslose. Beide Faktoren erleichterten<br />

im Hinblick auf die BSC die Gewinnung von Informationen zum Beispiel über die<br />

Kundenzufriedenheit.<br />

Die Homogenität des Geschäfts und der Organisation in den USA wurde auch durch<br />

die Merger zwischen LANDIS&GYR und STAEFA CONTROL nicht beeinträchtigt, weil<br />

229


230<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

die STAEFA in den USA kaum vertreten war. Von der vergleichsweise kleinen Mann-<br />

schaft von ehem<strong>als</strong> 350 Mitarbeitern der STAEFA CONTROL wurden nur neun Mit-<br />

arbeiter in die neue Organisation übernommen.<br />

Unterschiede zur europäischen Organisation bestanden in unterschiedlich breiten<br />

Produkt-Portfolios, unterschiedlichen Geschäftsstrukturen und der heterogenen Struk-<br />

tur durch die Vielzahl der Länder in Europa. Zusätzlich zu diesen äußeren Geschäfts-<br />

faktoren zeichnet sich die Situation in den USA durch die Stabilität der Organisation<br />

aus.<br />

Das Top Management hatte bis zur Umstrukturierung im Jahr 2001 in nahezu gleicher<br />

Besetzung zehn Jahre zusammengearbeitet. Ein Manager aus einer Filiale beschrieb<br />

die Geschlossenheit des Managements <strong>als</strong> „large amount of consistency of vision and<br />

thought among the senior managers“. Die Gespräche mit den Managern aus der Zent-<br />

rale machten auf ihn den Eindruck, „as if everybody was on the same page“. Diese<br />

Konsistenz und Konstanz des Top Managements half seiner Ansicht nach, Verände-<br />

rungen, wie etwa die Einführung der BSC, anzugehen. Dazu trug die starke<br />

Zusammenarbeit der Vice Presidents mit den Vertriebsbüros bei.<br />

Insgesamt war die Kultur darauf ausgerichtet, Kontinuität zu erhalten und sich darüber<br />

hinaus nur auf wenige Aspekte der Veränderung zu konzentrieren. Dies sei, so<br />

argumentierte ein lokaler Manager, aber kein Anzeichen von Selbstzufriedenheit in der<br />

Organisation.<br />

In der Organisation der USA gab es nur zwei BSCs: Eine BSC für den Hauptsitz, das<br />

so genannte Homeoffice (HO), und eine für die Vertriebsbüros, die hinsichtlich der<br />

inhaltlichen Ziele, nicht aber hinsichtlich der Zielgrößen für alle gleich war.<br />

Der für die Einführung verantwortliche Vice President zeigte sich zu Beginn ent-<br />

täuscht, <strong>als</strong> er feststellte, dass die Manager aus den Vertriebsbüros die BSC nicht<br />

nutzten. Eine nähere Untersuchung ergab allerdings, dass sie zwar nicht mit der<br />

gesamten BSC aber sehr wohl mit den einzelnen Messgrößen arbeiteten. Aus Sicht der<br />

Vertriebsbüros handelte es sich bei der BSC um eine „dash-board view“ 533 bzw. einen<br />

„snap-shot“, der einen groben Überblick über das Geschäft vermittelte. Sie wurde<br />

nicht <strong>als</strong> Enabler für die Arbeit im Feld gesehen, sondern ihre Vorzüge werden im<br />

Reporting und bei der Messung von Zielgrößen betont. Kritisch wurde die Aussage-<br />

533 Dashboard kann heisst soviel wie Armaturenbrett


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

kraft der roten und grünen Bewertungen („flags“) gesehen, die das Maß an Zieler-<br />

reichung anzeigten. Für die guten Vertriebsbüros ergaben sich hieraus keine zusätz-<br />

lichen Informationen, da ihre Ergebnisse ohnehin immer mit „grün“ bewertet wurden,<br />

bei den chronisch „roten“ Indikatoren war die Aussagekraft ebenfalls eher be-<br />

schränkt. 534<br />

Abbildung 62: Beispiel BSC<br />

(Quelle: Dokument D78)<br />

Hintergrund der BSC war ein im HO entwickeltes quantitatives Modell, in dem die<br />

verschiedenen Treiber hinsichtlich ihrer ursächlichen und zeitlichen Wirkung zueinan-<br />

der erfasst wurden. Dazu wurden verschiedene Indizes aus den vier Dimensionen der<br />

BSC in regelmäßigen zeitlichen Abständen erhoben und korreliert.<br />

Die Korrelationen zwischen den Messgrößen aus dem Businessmodell waren aus Sicht<br />

des Managements hilfreich für das Verständnis des Geschäfts. Nach Ansicht eines<br />

Managers aus einem Vertriebsbüro würden noch viele ältere Mitarbeiter ihre Aufgaben<br />

so erledigen wie vor 20 Jahren, obwohl sich das Geschäft fundamental verändert hätte.<br />

So sei es vor 20 Jahren im Vertrieb primär darum gegangen, Umsatz zu machen.<br />

„Here we are trying to teach old dogs new tricks.” 535<br />

In diesem Zusammenhang wurden die Erkenntnisse aus dem Business-Modell ver-<br />

wendet, um die Mitarbeiter mit den neuen Geschäftsbedingungen vertraut zu machen.<br />

Das aus der BSC entwickelte Businessmodell unterstützte die Führung dabei, Mitar-<br />

beitern die strategischen Veränderungen des Geschäfts bewusst zu machen. Allerdings<br />

534 Vgl. Interview I15, I26.<br />

535 Vgl. Interview I15.<br />

231


232<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

waren die Erkenntnisse aus dem Modell, wie beispielsweise die Bedeutung der<br />

Kundenloyalität nicht allgemein bekannt, wenngleich das Interesse an diesen<br />

Zusammenhängen bei den interviewten Mitarbeitern generell sehr hoch war.<br />

Im Rahmen einer Validierungsstudie konnten auf der Basis der über längere Zeit erho-<br />

benen Daten interessante Zusammenhänge zwischen Indikatoren entdeckt werden: So<br />

wurde die Bedeutung des Servicesegments für die Pflege der Kundenbeziehung be-<br />

stätigt. Ergebnisse der Studie zeigten u.a. die Bedeutung solcher Messgrößen wie der<br />

„Kundenloyalität“ (Tendenz von bestehenden Kunden zum Wiederkauf) und des<br />

„Voluntary Employee Turnover“ (Bedürfnis bei den Mitarbeitern, die man gerne<br />

halten will, die Organisation zu wechseln) für den finanziellen Erfolg der Unter-<br />

nehmung. Man hatte z.B. vor der Studie nicht realisiert, dass die Kundenloyalität eine<br />

weitaus wichtigere und aussagekräftigere Grösse war <strong>als</strong> der globale Index der<br />

Kundenzufriedenheit.<br />

Staffing<br />

Capacity<br />

Employee<br />

Success<br />

Index<br />

Time<br />

to<br />

Performance<br />

Time-to-Market<br />

Processes<br />

Customer<br />

Loyalty<br />

Index<br />

Time-to-Market<br />

Solutions<br />

Target<br />

Customer<br />

BTS Share<br />

TSP<br />

Net<br />

Change<br />

Abbildung 63: Ausschnitt aus dem Business-Modell<br />

(Quelle: Dokument D78)<br />

Financial:<br />

Growth,<br />

Profit, ...<br />

Über die Erstellung eines homogenen Sets an Indikatoren hinaus war man von Seiten<br />

des HO auch bemüht festzustellen, inwieweit beim lokalen Management der Ver-<br />

triebsbüros das Bedürfnis nach eigenen lokalen Messgrößen vorhanden war. Auch<br />

wenn es deutliche Anzeichen für ein Interesse an einer solchen „customized version“<br />

der BSC gab, stellten die Kapazität und die Fähigkeiten der lokalen Manager bzw.<br />

Mitarbeiter im Verbund mit der hohen Belastung durch das Tagesgeschäft deutliche<br />

Hindernisse dar.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Ziel des Business-Modells war es, die Manager in die Lage zu versetzen, Hypothesen<br />

zu testen und verschiedene Szenarios durchzuführen, um herauszufinden und zu<br />

prognostizieren wo Wachstumsmöglichkeiten für das Geschäft bestanden. Fragen wie<br />

z.B. „Was passiert, wenn Sie den „mechanical service“ im nächsten Jahr verdoppeln<br />

und nicht in das PFC investieren?“ oder „Was passiert wenn Sie die Investitionen im<br />

Training verstärken?“ sollten aufgrund des Modells beantwortet werden können. Ent-<br />

scheidungen sollten so im Sinne eines „Management by Hypothesentesten“ simuliert<br />

werden, um die Entscheidungsqualität der Manager zu verbessern. 536<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Der Umgang mit der BSC in den USA weist deutliche Unterschiede zu den beschrie-<br />

benen Beispielen aus dem europäischen Kontext auf. Dies erscheint im ersten Moment<br />

erstaunlich, weil es sich doch anscheinend um die gleiche Firma und die gleiche<br />

Methodik handelt. Allerdings werden bei näherem Hinsehen die unterschiedlichen<br />

Voraussetzungen und Intentionen in der Organisation in Europa und den USA deut-<br />

lich.<br />

Während die BSC in Europa stark durch die lokalen Strategieprozesse geprägt war,<br />

handelte es sich in den USA um ein operatives und zentral geführtes Controlling-<br />

instrument. Demzufolge ergab sich in Europa ein höherer Einführungsbedarf, während<br />

sich dies angesichts der Verwendung in den USA erübrigte. Zugespitzt könnte man<br />

formulieren, dass die BSC in Europa um ihrer selbst willen und in den USA „just by<br />

the way“ eingeführt wurde.<br />

Dementsprechend standen bei der amerikanischen BSC Indikatoren und Kennzahlen<br />

sowie Kommunikation und Review einer top-down Strategie in die Organisation<br />

hinein im Mittelpunkt des Interesses. Dagegen fokussiert die BSC in Europa vor allem<br />

auf die strategischen Projekte in den Ländern und unterstützt die lokalen Sensemaking<br />

<strong>Prozess</strong>e.<br />

Während <strong>als</strong>o die amerikanische Zentrale mit der BSC ihre Strategie selbstverständlich<br />

tief in die Organisation kommunizierte, musste in Europa aufgrund der unklaren Posi-<br />

tion der SBT und der Gefahr eines kommunikativen double bind ein tendenziell eher<br />

subsidiär geprägter BSC-Ansatz gewählt werden.<br />

536 Vgl. Interview I57.<br />

233


234<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Ein wichtiger Faktor für den Ansatz in den USA war die Konstanz in der Unter-<br />

nehmensentwicklung. Während die Geschäftsleitung in den USA seit Jahren in unver-<br />

änderter Form in einem gleichbleibenden Markt operierte, beschrieb ein Manager für<br />

Europa die Situation mit „...die BSC war der Versuch, nach den Mergern das Chaos<br />

hinter sich zu lassen und eine messbare Strategie zu entwickeln“. Die BSC kam damit<br />

gerade recht, weil die Roof-Strategy kurz zuvor erarbeitet worden war und jetzt umge-<br />

setzt werden musste. 537<br />

Diese Unterschiede machten sich selbstverständlich bis in die Ausgestaltung der BSC<br />

bemerkbar. Die Möglichkeit, eine Software zur Unterstützung der Filialen bereit zu<br />

stellen, war nur aufgrund der starken Generalisierung der BSC in den USA möglich.<br />

Allerdings machte die eingeschränkte Aussagekraft grüner und roter „Flaggen“ <strong>als</strong><br />

Hinweis auf eine Zielerreichung bzw. –abweichung den mangelnden Kontextbezug<br />

und die eingeschränkte Aussagekraft des Instruments deutlich. Die Reduzierung der<br />

Komplexität und Abstraktion von den lokalen Gegebenheiten wurde so mit deutlichen<br />

Einschränkungen hinsichtlich der Aussagekraft bezahlt.<br />

Gerade das „Management by rote und grüne Flaggen“ und die Vergleiche mit tech-<br />

nischen Instrumenten weisen auf die Gefahr hin, die Steuerung eines solchen<br />

Geschäfts bzw. Systems zu sehr zu vereinfachen. VON FÖRSTER macht in diesem<br />

Zusammenhang auf die Unterschiede zwischen trivialen und nichttrivialen Systemen<br />

aufmerksam. Bei trivialen Systemen besteht ein fixer Zusammenhang zwischen Input<br />

und Output, man hat <strong>als</strong> Führungskraft den Durchblick und ist in der Lage, die Situ-<br />

ation „objektiv“ zu erfassen. Nichttriviale Systeme sind dagegen in ihrer Funktions-<br />

weise nicht restlos durchschaubar, reagieren nicht nur auf den Input, sondern vor allem<br />

auf den eigenen Zustand. Sie sind geschichtsabhängig und zeigen nicht linear-kausale,<br />

sondern zirkuläre Kaus<strong>als</strong>trukturen auf. 538<br />

Die Ausgestaltung des BSC Ansatzes in den USA erinnert in diesem Zusammenhang<br />

an ein stark triviales und technisches Organisations- und Menschenverständnis.<br />

Führung und Steuerung von Systemen zielt demnach vor allem auf die direkte und<br />

effiziente Durchsetzung von Unternehmenszielen. Im Verständnis eines nichttrivialen<br />

Organisationssystems gewinnen dagegen indirekte Steuerungsformen wie z.B. auch<br />

eine sinnstiftende Unternehmensidentität zunehmend an Bedeutung.<br />

537 Vgl. Beobachtungen B083.<br />

538 Vgl. Förster H.v., 1984.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Die folgende Übersicht zeigt zusammenfassend die beiden Ansätze zum Umgang mit<br />

der BSC.<br />

Einführung Einführung über die Linie,<br />

BSC-Ambassadors und<br />

Country Coaches<br />

Vorgänger Wenig Erfahrung im Umgang<br />

mit non-financial figures<br />

Operative vs. strategische<br />

Intention<br />

Europa USA<br />

Anstoß für die Strategiearbeit,<br />

Kommunikation der Strategie<br />

„Multiplikatorenmodell“ über<br />

Manager aus den Vertriebsbüros<br />

OCV, Erfahrung im Umgang<br />

mit non-financial figures<br />

IT-gestütztes Controllingsystem,<br />

Benchmarking<br />

Marktsituation Unterschiede in Kundenanzahl u. –größe, Produkt- und Systemgeschäft,<br />

Homogenität des Marktes<br />

Geschäftsverlauf Änderungen durch Fusionen<br />

und Umstrukturierungen<br />

Umgang mit der<br />

BSC<br />

Grad der Standardisierung<br />

Rolle des Business<br />

Modells<br />

von unten getrieben; Focus auf<br />

den strategischen Projekten<br />

„Customized BSC” jeder<br />

Einheit<br />

Kein explizites Business<br />

Modell; kein “Kaskadeneffekt”<br />

Unterstützung Workshops, BSC-Guide,<br />

Country Coaches, LSC,<br />

Corporate Development,<br />

Sensemaking in den Landesgesellschaften<br />

und Vertriebsbüros<br />

<strong>Wandel</strong> und<br />

<strong>Wandel</strong>fähigkeit<br />

Kontinuierlicher Geschäftsverlauf;<br />

Konsistenz der Führung<br />

TOP-Down Ansatz; operatives<br />

Controllinginstrument<br />

Starke Standardisierung<br />

Systemgrundlage; kontinuierliche<br />

Weiterentwicklung der<br />

Kennzahlen, Benchmarking<br />

Systempflege, Bereitstellung<br />

aktualisierter Zahlen<br />

im Homeoffice<br />

BSC ist eine Neuerung für die Organisation und stellt längerfristig<br />

eine wandelfähige Struktur bzw. Methodik dar<br />

Tabelle 10: Gegenüberstellung der BSC bei der SBT US und der SBT EU<br />

Obwohl mit den beschriebenen Vorgehensweisen sehr unterschiedliche Konzepte<br />

gewählt wurden, unterstützen beide die Kommunikation und die Konsistenz der Stra-<br />

tegie. Wenngleich die Einführung und der Umgang mit dem Tool in Europa und den<br />

USA sehr unterschiedlich waren, so waren sie damit jeweils doch anschlussfähig an<br />

das bestehende Selbstverständnis der Organisation. Bezeichnend dafür war nicht zu-<br />

letzt der Umstand, dass kein Interviewpartner einen Widerspruch sah zwischen der<br />

BSC und der bestehenden subsidiären Kultur der Organisation in Europa.<br />

235


6.4.2 Enterprise Ressource Planning (ERP)<br />

Partnerorganisationen<br />

236<br />

SBT<br />

Migros<br />

Aare<br />

Externer Kontext<br />

Externer<br />

Kontext SBT<br />

Externer Kontext<br />

Kontext<br />

Externer Kontext<br />

Kontext<br />

Migros Migros Aare<br />

Aare<br />

Postmerger- PMI- -<br />

projekte<br />

projekte<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

<strong>Wandel</strong>inhalte<br />

<strong>Wandel</strong>inhalte<br />

(Projekte) (Projekte)<br />

BSC<br />

ERP<br />

PFC<br />

Abbildung 64: Gedankenfluss Kapitel 6<br />

Interner<br />

Kontext<br />

Analyse der<br />

Internen<br />

Kontexte<br />

<strong>Wandel</strong>prozesse<br />

Analyse der<br />

<strong>Wandel</strong>- -<br />

prozesse<br />

ERP (Enterprise Ressource Planning oder Unternehmensressourcenplanung) ist ein<br />

Begriff, der sich auf betriebliche Planung, Buchführung und das Management von<br />

Unternehmensressourcen wie Lagerhaltung, Einkauf, Absatz usw. bezieht. ERP wird<br />

oft auch <strong>als</strong> Kürzel für ERP-Programme verwendet, d.h. für die Einführung von Soft-<br />

waresystemen, die diese betrieblichen Aufgaben unterstützen.<br />

Ein ERP-System besteht normalerweise aus einer oder mehreren relationalen Daten-<br />

banken sowie Anwendungsprogrammen, die für betriebliche Aufgabenbereiche, wie<br />

Lagerverwaltung, Pflege der Kunden- und Personaldateien, Einkaufsplanung, Finanz-<br />

buchhaltung, Rechnungslegung, Produktionsplanung etc. eingesetzt werden. Ein<br />

Beispiel dafür ist SAP R/3. Mittlerweile ist ERP-Software in aller Regel netzwerkfähig<br />

und bietet Schnittstellen zu E-Commerce-Plattformen, etwa bei der Beschaffung oder<br />

dem Vertrieb.<br />

6.4.2.1 Der Umfang des ERP-Programms bei L&S<br />

Im Januar 2000 hatte man sich in der Geschäftsführung der LANDIS&STAEFA für die<br />

Einführung eines ERP <strong>als</strong> einer gemeinsamen Informationsplattform auf der Basis von<br />

SAP/R3 entschieden. Mit der Projektbezeichnung „ERP“ anstelle von „SAP-<br />

Einführung“ verband die Geschäftsleitung die Hoffnung, dass das Projekt <strong>als</strong> ein<br />

strategisches <strong>Wandel</strong>projekt („Business-Projekt“) wahrgenommen werden würde und


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

nicht <strong>als</strong> „IT-Projekt“. Die Wahl fiel auf SAP, weil SAP über strategische Allianzen<br />

mit weiteren Softwarefirmen verfügte, eine gute Finanzsituation (gute Investition in<br />

die Weiterentwicklung der Programme) und eine breite Palette an ausgereiften<br />

Modulen aufwies. Außerdem verfügte die deutsche Landesgesellschaft von L&S<br />

bereits über gute Kontakte zu SAP.<br />

Die Einführung des ERP stellte die Fortsetzung der Idee einer gemeinsamen Informa-<br />

tionsplattform bei L&S EU dar und betraf die gesamte Organisation. Bisher verfügte<br />

die Organisation mit SAP/R3 am Hauptquartier in Zug und in der Landesgesellschaft<br />

Deutschland sowie mit einer anderen Software (BPCS) in allen übrigen Ländern über<br />

zwei verschiedene Informationsplattformen. Die Software in den Ländern war aller-<br />

dings an vielen Stellen von den Mitarbeitern in Eigenleistung teilweise bis aufs<br />

äußerste optimiert worden. Stellenweise bestanden im Unternehmen parallel private<br />

Excelsheets und Datenbanken, welche die ursprünglichen Schwachstellen der Soft-<br />

wareplattform gelöst hatten. Die Einführung von SAP/R3 <strong>als</strong> einheitlicher Informa-<br />

tionsplattform in allen europäischen Ländern führte dazu, dass diese individuellen<br />

Lösungen ersetzt wurden und die Geschäftsprozesse europaweit harmonisiert werden<br />

mussten.<br />

Anlass für die Überlegung, eine gemeinsame Informationsplattformen einzuführen,<br />

war der Umstand, dass das in den Ländern bestehende BPCS-System wegen<br />

mangelnder Investition des Herstellers nicht mehr konkurrenzfähig war und das Ende<br />

seines Lebenszyklus erreicht hatte. Darüber hinaus war im Rahmen der strategischen<br />

Entwicklung eine Verbesserung der <strong>Prozess</strong>qualität für die Zukunft der Organisation<br />

essentiell. 539<br />

6.4.2.2 Die Ausgangssituation bei der L&S EU<br />

Im Unterschied zu anderen Firmen, in denen die Geschäftsprozess schon weitgehend<br />

definiert waren, fehlten bis dato bei L&S EU ausführlichere <strong>Prozess</strong>beschreibungen.<br />

Während in anderen Firmen die Vorstufe des Processmodellings daher i.d.R. entfällt,<br />

weil die bestehenden <strong>Prozess</strong>handbücher ohne große Änderungen in SAP übersetzt<br />

werden können, wurde bei L&S erst seit kurzem durch die neu gegründete Abteilung<br />

CM&BPM (Customer Marketing & Business Process Development) daran gearbeitet,<br />

539 Vgl. die Ausführungen zum externen Kontext der Initiativen Kap. 6.2.2.3.<br />

237


238<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

die teilweise recht heterogenen Geschäftsprozesse zu erfassen. Eine Analyse der<br />

bestehenden <strong>Prozess</strong>e wurde damit unumgänglich.<br />

Der Grund für die europaweit recht unterschiedliche <strong>Prozess</strong>landschaft und damit auch<br />

ein Grund für das ERP-Programm waren die zurückliegenden Merger. Diese hatten die<br />

<strong>Prozess</strong>landschaften von L&G und STAEFA sowie später der SIEMENS<br />

GEBÄUDETECHNIK zwar zusammengebracht, aber bislang nicht harmonisiert. Insofern<br />

war das ERP eine logische Fortsetzung des Mergers, mit dem Ziel, die beabsichtigen<br />

Synergien und Economies of Scale zu realisieren. 540<br />

Das ERP-Projekt stellte damit das prozessseitige Äquivalent zum „DESIGO“-Projekt<br />

dar. Im DESIGO-Projekt wurde durch die Entwicklung einer einheitlichen und mit den<br />

bestehenden Produktfamilien kompatiblen Produktplattform die technische Integration<br />

der verschiedenen Produkte geleistet.<br />

Die Motive der Geschäftsleitung, ERP einzuführen, bestanden vor allem<br />

1. in den rasanten technologischen Veränderungen (z.B. e-business), die eine<br />

starke und kontinuierliche Integration in operative Systeme verlangten,<br />

2. in der angestrebten Effizienzsteigerung durch die Harmonisierung der<br />

Geschäftsprozesse. So wurde bspw. für die Landesgesellschaft Schweiz fast<br />

eine Verdreifachung der EBIT-Ziele über die nächsten 5 Jahren festgelegt.<br />

3. in der Ablösung von BPCS, das nicht mehr konkurrenzfähig war.<br />

Die Vision und die Mission des Programms wurde dementsprechend von der<br />

Geschäftsleitung wie folgt formuliert:<br />

“The Divisional Units of L&S EU are operating their Business in optimised processes<br />

based on a standard European model. They use a common IT platform and standar-<br />

dised tools. In this way the business processes across the DU´s L&EU become harmo-<br />

nised. Platform and tools are maintained and provided by highly professional compe-<br />

tence centers. Expertise and feedback from the DU´s enable a continuous improvement<br />

of the processes and adequate reflection in the ERP system.” 541<br />

“The mission of the ERP Program is to implement the single platform solution SAP<br />

540 Vgl. ausführlicher zum Merger Kap. 6.2.2.2.<br />

541 Vgl. Dokument D68.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

R/3 based on a strong European template within all DU of L&S EU completed end of<br />

2003 keeping the total cost frame ... Mio EUR 542 and aiming for the highest possible<br />

degree of harmonisation of Business Processes. The mission is <strong>als</strong>o to support<br />

customer relationship within SBT and SIEMENS.” 543<br />

Die Geschäftsleitung von L&S EU verband mit dem ERP-Projekt folgende Ziele:<br />

1. Eine gemeinsame und einheitliche Informationsplattform in Europa (SAP/R3)<br />

2. Unterstützung der Beziehungen zu den Kunden. Bessere Kundenpflege, weni-<br />

ger Zeit für EDV, mehr Zeit für Kunden<br />

3. Harmonisierte <strong>Prozess</strong>e (Harmonisierungsgrad von mindestens 70%) zur<br />

Effizienzsteigerung und Verbesserung des EBIT.<br />

Darüber hinaus sollte mit dem ERP auch die Grundlage für ein Benchmarking und den<br />

Austausch von Best Practices gelegt werden. Als Rahmenbedingungen waren vor<br />

allem eine dreijährige Projektdauer zur Einführung von SAP/R3 Ende 2003 in allen<br />

DUs, ein fester Kostenrahmen der nicht überschritten werden durfte 544 sowie die<br />

Beibehaltung der Umsatz- und Wachstumsziele trotz des ERP-Projekts vorgesehen.<br />

6.4.2.3 Organisation im HQ<br />

Die anfängliche Projektorganisation des ERP war ein Unternehmen, dass nach vier<br />

Jahren wieder aufgelöst werden sollte.<br />

„The ERP Program Team consists of 100+ members combining a broad range of<br />

skills and experiences from different DUs, organisational units and segments.“ 545<br />

Insgesamt umfasste das ERP Program Team über hundert Mitglieder, die eine breite<br />

Palette an Fähigkeiten und Erfahrungen aus unterschiedlichen Landesgesellschaften,<br />

Segmenten und andere Organisationseinheiten mitbrachten. Es wurde versucht, die<br />

besten Mitarbeiter und Know-how-Träger in den jeweiligen Organisationen und<br />

Abteilungen zu gewinnen, weil nur so die Qualität des Programms gewährleistet<br />

542 Vgl. Beobachtungen B081, B073, B073, Dokumente D48, D12. Aus Gründen der Vertraulichkeit werden an<br />

dieser Stelle die genauen Kosten des Projekts nicht veröffentlicht.<br />

543 Vgl. Dokument D 68.<br />

544 Aus Gründen der Vertraulichkeit werden die konkreten Zahlen hier nicht genannt.<br />

545 Vgl. Dokument D 68.<br />

239


werden konnte. 546<br />

240<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Das oberste Leitungsgremium des ERP war das Steering Commitee, in dem neben<br />

dem Projektleiter vier Mitglieder der Geschäftsleitung (Leiter der Geschäftsführung,<br />

der Projekt-Owner und gleichzeitig Leiter F+C und IT, der Leiter des CM&BPM und<br />

der Leiter der DU Deutschland) angehörten. Darüber hinaus wurden Bereichsmanager<br />

nach Bedarf hinzugezogen: Es handelte sich um den Manager IS/IT (IT-Ressourcen<br />

und deren Koordination), die Business Process Manager: (<strong>Prozess</strong>mapping), die<br />

Change Managerin (Vorbereitung der Organisation und Mitarbeiter auf die Verände-<br />

rungen) sowie die Managerin Controlling & Administration (Projektadministration<br />

und Budgetcontrolling).<br />

Das ERP Program Team mit den Funktionen Leitung, IT, Business Process, Change<br />

Management und Controlling wurde während des gesamten ERP-Projekts in dieser<br />

Form beibehalten. Die anderen Teams wurden im Laufe der 5 Projektphasen jeweils<br />

zu Beginn einer neuen Phase neu zusammengestellt. So kam es immer wieder zu einer<br />

Review der Teilnehmer und der Meetingstruktur, um die Programmstruktur an die<br />

jeweilige Projektphase anzupassen.<br />

Wichtige Rollen und Verantwortungen aus Sicht des HQ waren darüber hinaus:<br />

• Business Process Owner (BPO trugen die Verantwortung für die Definition der<br />

harmonisierten <strong>Prozess</strong>e, versuchten ein Einverständnis auf der Ebene der<br />

Landesgesellschaften zu erreichen und stellten sicher, dass die harmonisierten<br />

<strong>Prozess</strong>e implementiert wurden. Sie waren außerdem für die Pflege des so<br />

genannten Champions Netzwerks der beteiligten Spezialisten zuständig.<br />

• Die Business Process Manager (BPM) waren für die Konsistenz der <strong>Prozess</strong>e<br />

zuständig, implementierten die <strong>Prozess</strong>e, koordinierten das Champions Netz-<br />

werk und bereiteten die Integrationstests vor. Insbesondere die Koordination<br />

der Netzwerke der Landesgesellschaften war eine erfolgskritische Aufgabe.<br />

Mittels dieser Netzwerke konnten die Landesgesellschaften ihre Wünsche und<br />

Beiträge zum ERP beitragen und sich gegenüber dem Programm bzw. dem<br />

Hauptquartier Gehör verschaffen.<br />

546 Vgl. zu den möglichen Konsequenzen die Vignette „Qualifizierung für die Konkurrenz“ in Kapitel 7.1.4.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

• Die Solution Teams bereiteten den so genannten Cut-over vor und führten ihn<br />

durch, waren verantwortlich für die Team deliverables, das Teamreporting und<br />

managten selbständig ihre Ressourcen. Es gab in jedem Segment (Service,<br />

Products/OEM, Contracting/Performance Contracting, Logistik und F&C) ein<br />

Solution Team, welches von dem BPM (in den drei Business Segementen) oder<br />

dem Functional Team Leader (Logistik und F+C) geführt wurde.<br />

• Functional Teams waren für die Konfiguration und Dokumentation des<br />

Systems zuständig, bereiteten die Datenmigration, Tests und Trainingsdaten vor<br />

und spezifizierten die Programmierung.<br />

• Power User Teams waren für den sogenannten Data Clean up zuständig,<br />

führten den unit test durch, bereiteten das Trainingsmaterial vor und führten die<br />

Anwendertrainings durch. Die Power User und Process Champions mussten<br />

einerseits das ERP in der Organisation vorantreiben und ihre Kollegen vorbe-<br />

reiten, andererseits stellten ihre Beschlüsse und Arbeiten (<strong>Prozess</strong>definitionen,<br />

etc.) zugleich die Grundlage für die Veränderung der Organisation dar.<br />

Darüber hinaus bestanden noch das Technical Team sowie Task Forces für die Auf-<br />

gaben Modelling, Process, Support Organizational Change, Cut-over & Migration,<br />

Support & Maintenance, Configuration & Testing, Development & Interfaces und<br />

Training.<br />

Wichtige Gremien waren vor allem das<br />

• ERP Steering Committee: Es diente <strong>als</strong> Schnittstelle zur Geschäftsleitung und<br />

entschied vor allem strategische Fragen wie z. B. den Umfang des Programms,<br />

Budgetfragen und kontrollierte den Status des Programms.<br />

• Das ERP Program Managementteam: Hier fand das eigentliche Management<br />

des Programms (Planung, Budget, Ressourcen, Deliverables) statt. Es garan-<br />

tierte die Einhaltung der Standards und der Qualität.<br />

• ERP Core Team: Es diente vor allem der Koordination der verschiedenen<br />

Teams. Darüber hinaus wurden hier die Aktivitäten in Absprache mit den DUs<br />

synchronisiert und die Aufgabe an die Teams verteilt.<br />

• ERP BPM Team: Durch dieses Team wurde im wesentlichen die Integration<br />

über die verschiedenen <strong>Prozess</strong>e, Segmente und Länder gewährleistet. Im<br />

241


Logistics<br />

F & & C C<br />

242<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Mittelpunkt standen dabei die <strong>Prozess</strong>harmonisierung, die Einhaltung der BPM-<br />

Standards sowie die Koordination mit den Landesgesellschaften im Rahmen<br />

des Milestone Plans.<br />

Change<br />

Change<br />

Mgt Mgt<br />

Products<br />

/ OEM<br />

Business<br />

Business<br />

Process<br />

Process<br />

Program Program Management Management Team<br />

Team<br />

IT/IS<br />

IT/IS<br />

Products / OEM CON / PFC Service<br />

Solution Teams<br />

Steering Steering Committee<br />

Committee<br />

CON / PFC Service<br />

DU Controlling<br />

Administration Program<br />

DU<br />

Controlling<br />

Administration<br />

Office<br />

Program<br />

DU Controlling<br />

Administration Office<br />

Program<br />

DU<br />

Controlling<br />

Administration<br />

Program<br />

Office<br />

Program<br />

Office<br />

Modelling / /<br />

Process<br />

Implementation<br />

Implementation<br />

Support<br />

Organisational<br />

Change<br />

Cut-over Cut-over &<br />

Migration<br />

Migration<br />

Support &<br />

&<br />

Maintenance<br />

Task forces<br />

Abbildung 65: Übersicht über die Organisation des Projekts auf der EU Ebene<br />

(Quelle: Dokument D 21)<br />

Configuration<br />

& Testing<br />

Testing<br />

Development&<br />

Development &<br />

Interfaces<br />

Training<br />

• ERP IT/IS Team: In diesem Team wurde die Integration über die verschiedenen<br />

Module erarbeitet. Es war für das Management der gesamten IT/IS-Ressourcen<br />

verantwortlich sowie die Sicherstellung der IT/IS-Standards, der Methodologie<br />

und der Qualitätsanforderungen.<br />

• ERP Change Management Team: Dieses Team war für die Kommunikation<br />

innerhalb des Programms zuständig. Es entwickelte das Trainingskonzept, war<br />

für den Bereich Konfliktmanagement Ansprechpartner und unterstützt die<br />

Programmbeteiligten bei allen Fragen des Change Managements.<br />

6.4.2.4 Organisation in den Landesgesellschaften<br />

Die Projektorganisation in den Landesgesellschaften wurde sehr ähnlich aufgebaut wie<br />

das Projekt im HQ: Es gab ein lokales Steering Comittee, ein Projekt Management<br />

Team (mit ähnlichen Funktionen wie auf der europäischen Ebene das Program<br />

Management Team) sowie <strong>Prozess</strong> Champions und Power User für die 5 Segmente<br />

bzw. Funktionen.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Die auf Seiten der Landesgesellschaften benannten Power User, waren vor allem<br />

zuständig für<br />

• die Zusammenarbeit mit Business Process Champions, Business Process Mana-<br />

gern sowie den SAP Functional Team Leadern<br />

• die Mithilfe bei der Dokumentation, Überprüfung und Freigabe der Spezifika-<br />

tionen<br />

• die Unterstützung bei der Endbenutzerausbildung.<br />

Project Office<br />

Technical<br />

Team (IT/IS)<br />

IT/IS<br />

Products<br />

Local Local ERP ERP Steering Steering Committee<br />

Committee<br />

ERP ERP Project Project Manager Manager DU DU<br />

Project Project Management Management Team Team DU DU<br />

Business<br />

Processes<br />

Contracting<br />

Functional<br />

Integration<br />

CSV<br />

Services<br />

Change<br />

Management<br />

Logistics<br />

SCM<br />

HR<br />

(Optional)<br />

F & C<br />

Business Business Process Process Champions Champions and and Power Power Users Users DU DU<br />

Abbildung 66: Aufbauorganisation des Projekts in der DU CH<br />

(Quelle: Dokument D 35)<br />

6.4.2.5 Fünf Projektphasen im ERP<br />

QM / ISO<br />

(Optional)<br />

Das ERP Projekt startete mit einer Verifikationsstudie im März 1999 und sollte Ende<br />

2003 abgeschlossen werden. Es bestand aus fünf Phasen (Verification, Initialisation,<br />

Business Process Modelling, Pilot & Template Development, Roll-out in den<br />

DU´s). 547<br />

547 Bereits an dieser Stelle kann angemerkt werden, dass der Gesamtumfang nicht realisiert worden ist, da das<br />

ERP Projekt auf der Divisionsebene nach der Einführung im Pilotland beendet wurde in ein Shared Service<br />

Projekt auf der nächsthöheren Ebene des Bereichs überführt wurde. Vgl. zum vorzeitigen Ende und der<br />

Fortsetzung im Shared Service Programm Kap. 6.3.2.5.<br />

243


244<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Nachfolgend werden kurz die verschiedenen Phasen beschrieben, um dem Leser für<br />

die nachfolgende Analyse des <strong>Wandel</strong>kontexts und der <strong>Wandel</strong>prozesse einen groben<br />

Überblick über die inhaltlichen Themen des Projekts zu vermitteln.<br />

IV/99 I/00 II/00 III/00 IV/00 I/01 II/01 III/01 IV/01 I/02 II/02 III/02 IV/02 I/03 II/03 III/03<br />

III/03 IV/03 I/04<br />

Verif.<br />

Initialisation<br />

BPM<br />

1. Phase: Verification<br />

Template / Pilot: CH<br />

Go-live: Oct 01<br />

PR BE / ES<br />

Go-live: Feb 02<br />

Development/field test IS E&C in DE<br />

SATIN task force<br />

Wave Wave 1<br />

1<br />

Wave Wave 2<br />

2<br />

IT / FI<br />

Go-live: June 02<br />

FR/UK/NO<br />

Go-live: Oct 02<br />

Maintenance & Support<br />

NL/AT/DK<br />

Go-live: Feb 03<br />

Convergence wavetbd: tbd:<br />

- - Merge Euro Template w/ E&C<br />

- - Pilot EU Template + E&C<br />

- - Migration SAP Core + MSTE<br />

- - Alignment SAP DE<br />

Wave Wave 3<br />

3<br />

Wave Wave 4<br />

4<br />

Wave Wave 5<br />

5<br />

SE/HU/CZ<br />

Go-live: June 03<br />

Abbildung 67: Übersicht über die geplanten Phasen des Projekts<br />

(Quelle: Dokument D68)<br />

Wave Wave 6<br />

6<br />

PL/SK/PT<br />

Go-live: Oct 03<br />

DE<br />

Wave Wave 7<br />

7<br />

GR/SA/AE<br />

Go-live: Feb 04<br />

Im Jahr 1999 wurde eine Verifikationsstudie 548 gestartet, die prüfen sollte, ob es<br />

vorteilhafter sei, eine neue Version des bestehenden BPCS-Systems zu übernehmen<br />

und damit zwei Plattformen zu erhalten oder eine einheitliche Plattform wie z.B. SAP<br />

R/3 einzuführen. Dazu wurde von März 1999 bis Dezember 1999 mit einer Beratungs-<br />

gesellschaft, den Business Processs Managern und den Repräsentanten der Länderge-<br />

sellschaften eine umfangreiche Prüfung der beiden Alternativen betrieben. Anfang<br />

Januar 2000 wurde das Ergebnis vor der Geschäftsleitung präsentiert. Die Geschäfts-<br />

leitung beschloss daraufhin die Einführung von SAP R/3.<br />

2. Phase: Program Initialisation<br />

In der Program-Initialisation Phase wurde vom Program Management zeitweise an der<br />

Project Charta gearbeitet, die allerdings erst in der darauffolgenden Phase fertiggestellt<br />

wurde. Sie stellte die Sammlung aller Dokumente dar, welche die Grundlage des ERP<br />

548 Vgl. Dokument D70.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

EU bildeten und die Erwartungen der Programmbeteiligten steuern sollte. In der<br />

Program Charta wurden die Rollen und Verantwortlichkeiten definiert und die Koope-<br />

ration mit dem BPM EU, der IT EU und der IT Organisation Deutschland festgelegt.<br />

Außerdem wurden in dieser Phase die Piloten und Co-Piloten vorbereitet und eine<br />

Kick-Off Veranstaltung durchgeführt. 549<br />

Das Change Management, das mit einer gewissen Verzögerung begann, definierte in<br />

dieser ersten Phase das Kommunikationskonzept 550 sowie ein erstes Trainingskonzept<br />

und unterstützte das Change Management für den Piloten und den Co-Piloten.<br />

Der Bereich Business Process arbeitete in dieser Phase im wesentlichen an der Etablie-<br />

rung der Business Teams für die einzelnen Segmente sowie der Vorbereitung und<br />

Koordination der gesamten Workshops und Quality reviews der nächsten Phase.<br />

Der Bereich IT/IS war in dieser Phase mit dem Aufbau der IT-Infrastruktur, der SAP-<br />

Schulung der ERP-Teammitglieder sowie der Planung und Erstellung der Systemland-<br />

schaft und Client Architektur beschäftigt.<br />

Die Position im Bereich Controlling/Administration wurde erst mit Verspätung besetzt<br />

und arbeitete in dieser Phase an einem Controlling Konzept. Sie war mit der Gesamt-<br />

organisation, dem Bezug der neuen Räumlichkeiten und der Vorbereitung eines<br />

großen Kick-Offs durch das Gesamtteam beschäftigt.<br />

3. Phase: Business Process Modelling (As-Is und To Be)<br />

Die Process Modelling Phase bestand im wesentlichen aus 5 Phasen und hatte die Er-<br />

stellung des so genannten Business Blueprint zum Ziel. Über die „initial graphical<br />

description“ wurde in der Phase des As-Is Modelling der Status Quo der Geschäfts-<br />

prozesse mit Hilfe der Landesgesellschaften ermittelt. Dazu wurden im Rahmen von<br />

23 Workshops nicht nur die bestehenden <strong>Prozess</strong>e aufgenommen, sondern auch schon<br />

die Best Practices aus den vielen verschiedenen As-Is Modells abgeleitet.<br />

Die Ergebnisse wurden dokumentiert und einer Quality Review unterzogen. Anschlie-<br />

ßend wurde im Rahmen von 16 Workshops das To-Be mit den Landesgesellschaften<br />

festgelegt. Den Abschluss dieser Phase bildete dann eine Quality Review der To-Be<br />

549 Vgl. Dokumente D18, D34, D17, Interviews I31, I48.<br />

550 Vgl. Beobachtung B031, B010, B017, Interview I31.<br />

245


246<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

<strong>Prozess</strong>e, die von den Ländern abgesegnet werden musste. Das Ergebnis dieser Phase<br />

– die vereinbarten To-Be Geschäftsprozesse – bildete die Basis für das customizing<br />

des europäischen ERP Templates. Die Implementierung der neuen ERP Plattform be-<br />

deutete damit auch eine Veränderung der existierenden Geschäftsprozesse, die ent-<br />

sprechend den neuen europäischen To-Be Geschäftsprozessen gestaltet werden<br />

mussten.<br />

Während das As-Is Modelling noch unkritisch erschien, weil in erster Linie der Status<br />

Quo aufgenommen wurde und half ein Bewusstsein für die Verbesserung der <strong>Prozess</strong>e<br />

zu entwickeln, war das To-Be Modelling kritisch. Spätestens dort wurde den Landes-<br />

gesellschaften bewusst, welchen Grad an Harmonisierung sie akzeptieren mussten.<br />

Man befürchtete seitens der Projektverantwortlichen die Gefahr einer „Ja-aber-<br />

Reaktion“ von den Landesgesellschaften. Dies wurde allgemein <strong>als</strong> erfolgskritisch<br />

betrachtet, da der Erfolg des Programms im wesentlichen von einem starken und<br />

anhaltenden Commitment der beteiligten Landesgesellschaften abhing.<br />

Die To-Be <strong>Prozess</strong>e wurden allerdings von den europäischen Ländern weitgehend <strong>als</strong><br />

anwendbar betrachtet, sodass aufgrund des Feedback geschlossen werden konnte, dass<br />

sich die DUs der Dimension und des Einflusses des ERP-Programms bewusst<br />

geworden waren. 551<br />

4. Phase: Pilot and Template Development<br />

Gegenstand dieser Phase war einerseits die Entwicklung des europäischen Templates<br />

aus den To-Be <strong>Prozess</strong>en und zum anderen die Vorbereitung des Piloten. In dieser<br />

Phase wurde u.a. mit den Ergebnissen und den Aktivitätslisten der Change Impact<br />

Analysis gearbeitet. Im Rahmen der DU-spezifischen Change Impact-Analyse wurden<br />

die organisationalen Veränderungsthemen gesammelt, interpretiert und kategorisiert,<br />

um ihren Impact abschätzen zu können. Die Ergebnisse wurden dann in einen kon-<br />

sistenten Aktionsplan umgesetzt, um die erfolgreiche Implementierung des ERP-<br />

systems in der Pilot DU zu ermöglichen.<br />

Die DU-spezifische Change Impact Analysis (CIA) versuchte vor allem zu ermitteln,<br />

welche Veränderungen sich für die bisherigen Rollen bezüglich Aufgaben und Verant-<br />

wortung ergaben und welche neuen Fähigkeiten dafür notwendig waren. Dazu wurden<br />

551 Vgl. Dokument D68, D32, D3, D16.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Rollen, <strong>Prozess</strong>e und Entscheidungswege, die Kooperation in der Organisation,<br />

Verantwortlichkeiten und Kommunikationswege untersucht. Entscheidend war dabei<br />

die Beschreibung des <strong>Wandel</strong>s <strong>als</strong> Unterschied zwischen dem As Is und To Be des<br />

Geschäftsprozesses, wie es in Abb. 68. in der entsprechenden Spalte beschrieben wird.<br />

Aus diesem Unterschied ergab sich der notwendige Veränderungsbedarf.<br />

Die CIA-Methode bestand aus zwei Vorlagen. Zum einen der CIA, einer Identifikation<br />

und Aufstellung der Change Impacts, und zum anderen dem Aktionsplan. Nachfolgend<br />

sind die beiden Vorlagen, mit den denen die DUs bei der Umsetzung der Veränderung<br />

unterstützt wurden, abgebildet. 552<br />

Process<br />

Abbildung 68: Vorlage für die Länderspezifische Change Impact Analysis<br />

(Quelle: Dokument D68)<br />

Die CIA war ein wichtiges Tool, um dem Piloten und den nachfolgenden Landes-<br />

gesellschaften einen Rahmen zu geben innerhalb dessen die Organisation die Change<br />

Impacts analysieren und die Organisation auf den <strong>Wandel</strong> vorbereiten konnte. Die CIA<br />

sollte jeweils zur Vorbereitung einer neuen Welle in den einzelnen Ländern durch-<br />

geführt werden. 553<br />

552 Vgl. Dokument D68.<br />

Describtion of Change<br />

(As Is/To Be)<br />

553 Vgl. Dokumente D16, D21, D22, D01, D43, D30.<br />

Link to other<br />

processes/segments/tools<br />

Possible<br />

actions<br />

Priority<br />

247


248<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Abbildung 69: Vorlage für den Aktionsplan einer Länderspezifischen Change Impact Analysis<br />

(Quelle: Dokument D68)<br />

5. Phase: Roll-Out in die Länder in fünf Wellen<br />

Aus der Erfahrung der zurückliegenden Implementierungen von Betriebssoftware und<br />

angesichts der Tatsache, dass L&S Europa in einem dynamischen Umfeld tätig war,<br />

hatte man sich entschlossen, eine schnelle Implementierung in allen Landesgesell-<br />

schaften zu verfolgen. Damit sollte einerseits verhindert werden, dass die verschie-<br />

denen Landesgesellschaften über längere Zeit unterschiedliche Systeme verwendeten.<br />

Andererseits sollte die Organisation sich schnell an technologische und an Marktver-<br />

änderungen anpassen können.<br />

Um die ehrgeizigen zeitlichen Ziele zu erreichen, hatte man sich entschlossen, jeweils<br />

zwei bis drei Roll-Outs parallel durchzuführen und einen „Local big-bang Ansatz“ zu<br />

verfolgen. D.h., dass das ERP-System mit seiner gesamten Funktionalität innerhalb<br />

einer DU von einem zentralen ERP-Programm Team implementiert und unterstützt<br />

wurde.<br />

Process<br />

Possible<br />

actions<br />

Potential Impact<br />

on business<br />

Change action<br />

Owner<br />

Completed<br />

Status<br />

Sobald das System im Pilotland stabil lief, sollte das ERP in den anderen Ländern in<br />

Wellen von durchschnittlich 4-6 Monaten in 2 bis 3 Ländern parallel ausgerollt<br />

werden. Eine Welle sollte dabei jeweils bestehen aus der Initialisierung, der Imple-<br />

mentierung des europäischen <strong>Prozess</strong>modells, den erforderlichen lokalen Konfigura-<br />

by


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

tionen, Entwicklung und Tests, lokalem Cut-over & Migration, Endnutzertraining,<br />

dem Go-live und der anfänglichen Unterstützung. 554<br />

Vorzeitiges Ende und Fortsetzung auf der Ebene SBT<br />

Im Mai 2001 beschloss das Executive Board der SBT eine einheitliche SAP-Lösung<br />

für SBT EU einzuführen. Damit sollte versucht werden, SBT-weit einen hohen Grad<br />

an Standardisierung und Harmonisierung im Bereich der back und front offices zu<br />

erreichen.<br />

Das Programm war auf drei bis vier Jahre geplant und sollte die laufende Geschäfts-<br />

tätigkeit der Regionalgesellschaften bzw. DUs so wenig wie möglich beeinflussen.<br />

Dieser Entschluss wurde begleitet mit einem gleichzeitigen Start der Implementierung<br />

von Shared Administrative Services (SAS) im Bereich der IT/IS und F&C auf der<br />

Ebene der Regionalgesellschaften.<br />

Der Ansatz sah vier Phasen vor: Initialisation, Core SBT, SBT Template und der Roll-<br />

out des SBT Template bis zum Ende des Jahres 2004. 555<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Die Fusion zwischen LANDIS&GYR und STAEFA CONTROL 1996 sowie die Übernahme<br />

der ELEKTOWATT-Firmen durch SIEMENS 1997 waren <strong>als</strong> zeitliche Kontextfaktoren für<br />

das ERP-Projekt wie auch für das anschließende SAS-Projekt auf der Ebene der SBT<br />

bedeutsam. Während der Erfolg des organisationalen Zusammenschlusses nicht zuletzt<br />

auf den subsidiär geprägten <strong>Prozess</strong> zurückgeführt wurde, bei dem die Länder ein<br />

hohes Maß an lokaler Autonomie hatten, wollte man durch das DESIGO und ERP nun<br />

die Harmonisierung, Optimierung und damit die Effizienzsteigerung vorantreiben. Es<br />

sollte letztlich die Fusions-Dividende abgeschöpft werden.<br />

Mit dem ERP ging es <strong>als</strong>o um die Identifikation und Realisierung der erhofften<br />

Synergieeffekte aus dem Merger. Das bedeutete aber auch eine andere kulturelle Ge-<br />

wichtung. Während bislang bei strategischen Entscheidungen den lokalen Anforde-<br />

rungen und damit der Subsidiarität i.d.R. der Vorrang eingeräumt wurde, wurde mit<br />

554 Vgl. Dokumente D21, D22.<br />

555 Vgl. Dokumente D10, D28.<br />

249


250<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

dem ERP nun das Gewicht sehr viel stärker auf eine europaweite Standardisierung<br />

gelegt.<br />

Der Aufbau des ERP zeigte dabei in vielen Bereichen eine ähnliche Struktur wie die<br />

Organisation selbst. Die Einteilung der Teams entsprechend der Struktur der Segmente<br />

spiegelt das Muster der L&S wider und stellte vertraute Organisationsmuster für die<br />

Mitarbeiter bereit. Das hatte den Vorteil, dass die Struktur an eine Logik anschloss, die<br />

den Mitarbeitern schon bekannt war. Auf der anderen Seite wurden damit aber auch<br />

die Schwierigkeiten der Organisation mit der bestehenden Struktur repliziert.<br />

Es traten ähnliche Schnittstellenprobleme in den Bereichen Kommunikation, Ent-<br />

scheidung und Integration auf, wie sie die gesamte Organisation beschäftigten.<br />

Von besonderer Bedeutung für den Erfolg des Programms war dabei die Schnittstelle<br />

zwischen der Programmleitung am HQ und den Landesgesellschaften. Hier galt es, das<br />

für die Identität der Ländergesellschaften kritische Dilemma zwischen der ange-<br />

strebten divisionsweiten Standardisierung und dem Selbstverständnis der mittel-<br />

ständischen „Local Entrepreneurs“ zu vereinbaren.<br />

Für das Pilotland Schweiz erhöhte sich zudem durch die Einbeziehung der Power User<br />

die Belastung für das tägliche Geschäft. Allerdings ergaben sich aus der frühen Einbe-<br />

ziehung auch Möglichkeiten, das Projekt stärker im eigenen Sinne zu prägen.<br />

Der Umgang des Hauptquartiers mit den Landesgesellschaften war wegen dieser<br />

Belastung und der Notwendigkeit, die bisherigen <strong>Prozess</strong>e ändern zu müssen, von<br />

hoher Wertschätzung geprägt. Das daraus resultierende hohe Maß an Einbeziehung<br />

führte zu einer Komplexität, die zu hohen Anforderungen im Bereich Kommunikation,<br />

Entscheidungsfindung und Integration führte. 556<br />

556 Vgl. D17, BeobachtungenB011, B107, B021, B093.


6.4.3 Performance Contracting (PFC)<br />

Partnerorganisationen<br />

SBT<br />

Migros<br />

Aare<br />

Externer Kontext<br />

Externer<br />

Kontext SBT<br />

Externer Kontext<br />

Kontext<br />

Migros Migros Aare<br />

Aare<br />

Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

<strong>Wandel</strong>inhalte<br />

<strong>Wandel</strong>inhalte<br />

(Projekte)<br />

(Projekte)<br />

BSC<br />

ERP<br />

PFC<br />

Postmerger- PMI- -<br />

projekte<br />

projekte<br />

Abbildung 70: Gedankenfluss Empirie<br />

6.4.3.1 Ein neues strategisches Geschäftssegment: PFC<br />

Interner<br />

Kontext<br />

Analyse der<br />

Internen<br />

Kontexte<br />

<strong>Wandel</strong>prozesse<br />

Analyse der<br />

<strong>Wandel</strong>- -<br />

prozesse<br />

Das Performance Contracting (PFC) war ein neues Geschäftssegment der L&S. Neben<br />

dem Verkauf von Produkten, Systemen und Service bot L&S in Europa seit etwa 1996<br />

<strong>als</strong> Generalunternehmer eine Gesamtlösung an, mit deren Hilfe die Kunden garantierte<br />

Energie- und Betriebskosteneinsparungen erreichen konnten. L&S übernahm dabei<br />

Projektierung, Planung, Ausführung und Fertigstellung von Kosten-<br />

optimierungsmaßnahmen unter Einsatz des L&S-eigenen Materi<strong>als</strong> und Arbeit, sowie<br />

Drittleistungen und -lieferungen. 557<br />

Wesentliches Element des neuen Angebots war einerseits die Garantie, die L&S für<br />

die Einsparungen übernahm: Wurden die Einsparungen nicht erreicht, kam L&S für<br />

die Differenz auf. Andererseits amortisierten sich die Investitionen der Kunden aus<br />

den Einsparungen im Bereich des Energieverbrauchs und den übrigen Betriebskosten.<br />

Die PFC-Projekte konnten zusätzlich entweder durch den Kunden selbst oder durch<br />

kooperierende Banken finanziert werden.<br />

557 Vgl. zu den folgenden Ausführungen die Beobachtungen B039, B007, B044, B101, B095, Interviews I40.<br />

I23, I35 sowie Dokumente D 49, D50.<br />

251


252<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Für L&S war das Performance Contracting ein neues Geschäft. Unterschiede waren<br />

vor allem, dass es sich um einen entwicklungsfähigen Markt mit hohem Wachstums-<br />

potential handelte, mit den Kunden Verträge direkt ausgehandelt wurden, ein lang-<br />

jähriges Vertragsverhältnis mit dem Endkunden entstand und sich langjährige Service-<br />

Verträge ergaben. Diese Merkmale stellten einen Unterschied zu den angestammten<br />

Geschäftsbereichen dar.<br />

Einsparungen<br />

- Optimierte GLT<br />

- Erneuerte Mechanik (HLK)<br />

- Energiesparlampen<br />

- Energie- und Gebäudeservices<br />

Energie- Energie- und und<br />

Kostenanalysen<br />

Kostenanalysen<br />

Umfassende<br />

Umfassende<br />

Gesamtlösungen<br />

Gesamtlösungen<br />

Reduzierte<br />

Kosten<br />

Licht, Wasser<br />

Wärme / Kälte Betrieb<br />

Garantierte<br />

Garantierte<br />

Einsparungen<br />

Einsparungen<br />

Abbildung 71: Darstellung des PFC<br />

(Quelle: Dokument D80)<br />

Bezahlung Bezahlung aus aus<br />

Einsparungen<br />

Einsparungen<br />

Der Geschäftsprozess im PFC konnte grob unterteilt werden in drei Phasen: Im<br />

Rahmen der Akquisitionsphasen wurden in einer Grob- und Feinanalyse durch einen<br />

Energie-Ingenieur die Kostenoptimierungsmöglichkeiten analysiert und entsprechende<br />

Maßnahmen in einem Vertrag mit dem Kunden vereinbart.<br />

In der Investitionsphase wurden durch den Projektmanager die Maßnahmen durch<br />

SBT oder Subunternehmer implementiert und die Anlage in Betrieb genommen.<br />

In der abschließenden Garantiephase wurden im Rahmen der so genannten Perfor-<br />

mance-Assurance die Einhaltung der garantierten Einsparungen kontrolliert, dem<br />

Kunden berichtet und eventuellen Abweichungen durch erforderliche Wartungs-<br />

arbeiten oder Anpassungen entgegengewirkt. Abbildung 72 verdeutlicht den<br />

Geschäftsprozess.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Der Geschäftsprozess beinhaltete <strong>als</strong>o eine Vielzahl von Tätigkeiten und notwendigen<br />

Qualifikationen. Neben dem Vertrieb und dem Projektmanagement war Know-how im<br />

Bereich des so genannten Energieengineering und der Performance Assurance<br />

erforderlich. Wichtig war darüber hinaus das Risikomanagement und das Management<br />

von Kostenabweichungen im gesamten Projektverlauf.<br />

Das neue Geschäftsegment stellte somit bereits aufgrund der Breite der Aufgaben-<br />

felder hohe Anforderungen an die Mitarbeiter. Neben dem veränderten Geschäfts-<br />

prozess stellte auch die interne Strukturierung der Mitarbeiter in interdisziplinäre<br />

Teams einen Unterschied gegenüber den bisherigen Organisationsformen und gleich-<br />

zeitig eine Herausforderung für die Organisation dar. 558<br />

Close<br />

L.O.U<br />

Energy<br />

Facility<br />

Data<br />

Preliminary<br />

Audit<br />

Engineering<br />

Study<br />

Close<br />

L.O.I<br />

Building Owner / Operator<br />

Detailed<br />

Audit<br />

Detailed<br />

Engineering-<br />

Study<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Close<br />

Contract<br />

Project<br />

Management<br />

Landis & Staefa<br />

Project<br />

Implementation<br />

Abbildung 72: Geschäftsprozess des PFC<br />

(Quelle: Dokument D80)<br />

Joint effort<br />

for further<br />

improvements<br />

Performance<br />

Assurance<br />

Energy &<br />

Performance<br />

Services<br />

Vergleicht man die Logik der bestehenden Geschäftsbereiche im Produkt-, System-<br />

und Servicegeschäft so stellte das PFC eine Weiterentwicklung dar. An der Logik des<br />

PFC waren für die Organisation wirtschaftliche und finanzielle Aspekte der PFC-<br />

Projekte neu, die es in dieser Form im bestehenden Geschäft nicht gab. Ein <strong>Wandel</strong><br />

von der technischen zur finanziellen Orientierung und die selbst initiierten Verkäufe<br />

(created sales) standen dabei im Vordergrund, während z.B das Systemgeschäft auf<br />

558 Vgl. Dokument D79.<br />

253


254<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

„reacted sales“ beruht (Kunden kommen aktiv auf SBT zu und fragen nach Ange-<br />

boten).<br />

Das neue Geschäftssegment mit einem neuen Produkt und einer neuen Geschäftslogik<br />

stellte eine deutliche strategische Innovation dar. Im PFC standen nicht mehr die<br />

klassischen HLK-Produkte im Vordergrund. Die Kombination der Einsparung von<br />

Energie- und Betriebskosten mit einem Finanzierungsangebot und dem klassischen<br />

Produkt- und Systemgeschäft führte zu einer Veränderung der Geschäftslogik. Inso-<br />

fern war es dem PFC gelungen, die „rules of the game“ 559 erfolgreich zu ändern.<br />

Durch diese Innovation wurde die Stellung des Marktführers gefestigt und es war nicht<br />

auszuschließen, dass es sich um eine schwerpunktmässige Verlagerung der bestehen-<br />

den Märkte handelte. 560<br />

yesterday<br />

today<br />

Products / Systems<br />

Solutions<br />

tomorrow Results<br />

comprehensive<br />

solution for energy<br />

efficiency with<br />

guaranteed results<br />

Abbildung 73: Historische Entwicklung des PFC<br />

(Quelle: Dokument D080)<br />

Neben dieser Veränderung des externen Kontexts der Organisation hat der strategische<br />

<strong>Wandel</strong>prozess auch ein identitätsveränderndes Potential für die Organisation selbst.<br />

Die Erweiterung der Aufgaben in Richtung auf betriebswirtschaftliche Anforderungen<br />

und interdisziplinäre Aspekte ermöglichen und erfordern eine Ergänzung der vor-<br />

nehmlich technischen Orientierung.<br />

559 Vgl. Markides, 1998.<br />

560 Vgl. Beobachtungen B112.


6.4.3.2 Geschichte, Logik und Struktur des PFC<br />

Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

In einer ersten Phase Anfang der 90er Jahre wurde das PFC in Europa <strong>als</strong> Teil des<br />

Service-Segments unter dem Namen „Advantage Modul“ vorangetrieben. In Deutsch-<br />

land gab es zu dieser Zeit schon erste Projekte zu dem Thema. Das PFC hatte seinen<br />

Ursprung am HQ und wurde von dort aus an die Länder „verkauft“. Es gab deshalb<br />

von Anfang an einen stärkeren Einfluss des HQ <strong>als</strong> in den klassischen Segmenten. 561<br />

Das PFC-HQ verstand sich <strong>als</strong> Dienstleister und Support für das PFC in den Landes-<br />

gesellschaften. Zur Qualifizierung der Länder wurden vor allem Handbücher erstellt,<br />

Workshops durchgeführt und der Austausch von best practices gefördert. Dabei<br />

wurden jeweils Themen Projektmanagement, Performance Assurance, Engineering,<br />

Sales und Marketing sowie klassische Betriebswirtschaft bearbeitet. 562<br />

Unterschiede zwischen dem PFC und anderen Segmenten bestanden vor allem in der<br />

stärkeren Führung durch das PFC HQ. Während andere Segmente stärker subsidiär<br />

geführt waren und z.B. Qualifizierungsmaßnahmen selten vom HQ aus initiiert<br />

wurden, war angesichts der sehr jungen und unerfahrenen Teams in den Ländern das<br />

HQ im PFC stärker gefordert. 563<br />

Die Mission des PFC lautete: “We profitably grow PFC business and strengthen our<br />

leading market position by highly skilled, professional teams and a stepwise geo-<br />

graphic expansion.” 564<br />

Die Arbeit in den ersten Jahren stellte allerdings eine Missionarsarbeit gegen Intern<br />

und Extern dar. Intern musste die Geschäftsleitung für das Thema sensibilisiert<br />

werden. Dazu wurden hohe Erwartungen geweckt, da man sonst Geld und Personal für<br />

den Aufbau nicht bekommen hätte. Da diese hoch gesteckten Erwartungen später nicht<br />

erfüllt wurden, stellten sie mit der Zeit eine gewisse Last dar. Allerdings konnte das<br />

Segment nach Auffassung einiger Manager zu diesem Zeitpunkt nicht mehr so einfach<br />

„abgesägt“ werden. Extern befand sich das Segment aufgrund des unbekannten<br />

561 Vgl. Beobachtungen B113.<br />

562 Vgl. Beobachtungen B029.<br />

563 Vgl. Beobachtungen B029.<br />

564 Vgl. Dokument D50, D10.<br />

255


256<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Produkts in einem noch zu entwickelnden Markt ebenfalls einer schwierige Ausgangs-<br />

situation. 565<br />

Die Notwendigkeit, das Segment intern zu verkaufen, zeigte sich selbst im Jahr 2000<br />

noch, <strong>als</strong> anlässlich des ERP-Projekts das PFC lange Zeit <strong>als</strong> Teil des Systemgeschäfts<br />

(CON) betrachtet wurde, obwohl dem Segment grundlegend verschiedene <strong>Prozess</strong>e<br />

zugrunde lagen.<br />

Hieran war deutlich die Unkenntnis der Organisation bezüglich der Stellung und der<br />

Tätigkeit des PFC <strong>als</strong> einem eigenständigen Segment zu erkennen. Hinzu kam, dass im<br />

PFC die Strukturen noch sehr stark in Bewegung waren. Da es ein im Aufbau befind-<br />

licher Bereich war, konnten die <strong>Prozess</strong>e noch nicht endgültig festgelegt werden. 566<br />

Im Verlauf der „Pionierphase“ wurde bis ca. 2000 das europäische Netz weiter ausge-<br />

baut und die Entwicklung in Deutschland forciert. In dieser Phase wurden auch<br />

negative Ergebnisse akzeptiert, nicht zuletzt weil der Leiter des Segments die PFC-<br />

Strategie plausibel verkaufen konnte. 567<br />

Diese Wachstumsstrategie bestand vor allem darin, das Segment schnell in möglichst<br />

vielen Ländern in Europa zu etablieren. Das Wachstum des PFC führt allerdings zu<br />

einem Dilemma. Der steigende Auftragseinhang führte dazu, dass für jede zusätzliche<br />

Umsatzmillion (DM) ein neuer Mitarbeiter eingestellt werden musste. Dies bedeutete<br />

Investitionen in Höhe ca. 200.000 DM für Ausbildung und Arbeitsplatz, die sich erst<br />

mittelfristig amortisierten und sich negativ auf die Profitabilität auswirkten. 568<br />

Das rasche Wachstum und die Ausbreitung in den Ländern führte auch dazu, dass in<br />

manchen Ländern die organisationalen Voraussetzungen nicht erfüllt wurden oder<br />

noch kein genügend großes Kundeninteresse an PFC-Lösungen bestand. Somit ver-<br />

besserten sich die Finanzkennzahlen nicht wesentlich und es blieben die gleichen<br />

Länder <strong>als</strong> „Problemfälle“ auf dem Tisch. Das lag zum einen an der starken Wachs-<br />

tumsorientierung, der zufolge man die Aktivität in keinem Land wieder einstellen<br />

konnte, da es ein f<strong>als</strong>ches politisches Signal gegeben hätte. Auf der anderen Seite<br />

565 Vgl. Interviews I23.<br />

566 Vgl. Beobachtung B036, B029, B030, B042.<br />

567 Vgl. Interviews I07.<br />

568 Vgl. Beobachtung B105.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

wirkte sich auch das stark ausgeprägte Subsidiaritätsprinzip der Organisation aus,<br />

welches die Etablierung neuer, zentral geführter Segmente wie des PFC behinderte. 569<br />

Man entschloss sich deshalb, eine „konservative Wachstumsstrategie“ zu wählen, um<br />

die Profitabilität des Segments zu steigern. 570 Damit bekam das Segment den im GJ<br />

2000/2001 entstandenen EBIT-Druck wesentlich zu spüren.<br />

So äußerte ein Manager aus einer Landesgesellschaft die Vermutung, dass die starke<br />

EBIT-Orientierung die bestehende Struktur zementiere. Die erfolgreichen Regionen in<br />

dieser Landesgesellschaft, die ihre EBIT- und Wachstumsziele erreichten, sahen<br />

danach keine Notwendigkeit in ein neues Geschäft wie das PFC zu investieren. 571 Für<br />

viele Landesgesellschaften war in Zeiten der stärkeren Ebit-Orientierung ein hohes<br />

Investment und dazu ein hohes Risiko zu ergebnisgefährdend.<br />

Die starke Profit-Center-Struktur führte im übrigen dazu, dass in einigen Landesge-<br />

sellschaften auch das PFC strukturell ähnlich aufgebaut war, was für das junge PFC-<br />

Geschäft allerdings eher ungeeignet erschien. So standen viele Vertriebsbüros vor der<br />

Schwierigkeit, Projekte nicht allein bewältigen zu können und waren auf die Koopera-<br />

tion mit anderen Büros oder anderen Segmenten angewiesen. Aufgrund von Profit-<br />

Center-Struktur und der damit verbundenen starken EBIT-Orientierung waren diese<br />

aber wenig interessiert, durch die Kooperation ihr eigenes Ergebnis zu gefährden. Das<br />

PFC befand sich gemessen an den anderen Segmenten in einer anderen Entwicklungs-<br />

phase und zeigte eine andere Geschäftslogik.<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Am Beispiel der Struktur des neuen Segments zeigt sich ein rekursiver <strong>Prozess</strong> der<br />

Strukturierung: Die vorhandene Struktur der Organisation – hier eine Profit-Center-<br />

Struktur prägte auch die Strukturierung des neuen Segments. Allerdings erwies sich<br />

diese Struktur aufgrund der veränderten Geschäftslogik <strong>als</strong> ein eher hinderlicher<br />

Faktor, insbesondere im Hinblick auf die Kooperation zwischen den einzelnen<br />

Vertriebsbüros und Segmenten.<br />

569 Vgl. Beobachtung B059.<br />

570 Vgl. Beobachtung B105.<br />

571 Vgl. Beobachtung B047.<br />

257


258<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Die Auswirkung verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Handlung und Kontext:<br />

Die Profit-Center-Struktur verbunden mit der starken EBIT-Orientierung schränkt das<br />

Handeln und die Kooperation der Regionalbüros ein. Diese sind in erster Linie daran<br />

interessiert, die Synergien in den Regionen zu nutzen. Allerdings werden dadurch<br />

keine Anreize zur Kooperation zwischen den Vertriebsbüros vermittelt und überge-<br />

ordnete strategische <strong>Prozess</strong>e und Veränderungen werden behindert. 572<br />

6.4.3.3 Kooperation zwischen dem PFC und anderen Segmenten<br />

Im November 2001 äußerte ein Manager aus dem Servicesegment auf einer PFC-<br />

Tagung die Meinung, dass sich das PFC etabliert habe und sich nun die Frage nach<br />

den Synergien zwischen den Segmenten stelle. Er betonte deutlich, dass das Service-<br />

segment älter wäre und zeigte nach der Präsentation der Aufgabenschwerpunkte des<br />

Service auf, wo seiner Meinung nach Kooperationsmöglichkeiten zwischen dem PFC<br />

und dem Service bestünden.<br />

Die Schwierigkeiten hinsichtlich der mangelnden Kooperation erklärte er vor allem<br />

durch die „unterschiedliche Denke“. Man gehe wohl allgemein davon aus, dass ein<br />

Kunde einem Segment angehöre. Darüber hinaus stelle das PFC mit seiner Größe noch<br />

nicht einmal fünf Prozent des Umsatzes vom Service dar. Schließlich sei auch der<br />

Zugang zum Kunden durch die hauptsächlich ökonomischen Argumente des PFC an<br />

die Adresse des Managements und die vorwiegend technischen Argumente des Service<br />

an die Adresse der Techniker recht unterschiedlich. 573<br />

Ansätze zur Verbesserung der Kooperation zwischen den Segmenten zielten vor allem<br />

darauf, die Vorteile aus der Kooperation für alle Beteiligten so zu gestalten, dass auch<br />

für die „alten“ Segmente ein ausreichender Anreiz bestand. Aus Sicht des PFC wäre<br />

ein Zugang zu den Kunden über diese Segmente, etwa um vorhandene Anlagen zu<br />

modernisieren, wesentlich einfacher. 574<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Das PFC stellte ein neues Produkt in einem neuen Markt dar. Es handelte sich damit<br />

im Sinne von MARKIDES um ein Beispiel für eine „strategic innovation“. Im PFC<br />

572 Vgl. Beobachtungen B115, B102, B086, B090, B051.<br />

573 Vgl. Beobachtungen B108.<br />

574 Vgl. Interview I08.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

standen nicht mehr die klassischen HLK-Produkte im Vordergrund, sondern die<br />

Finanzierung und die Einsparung von Energie(kosten). Das PFC änderte <strong>als</strong>o die<br />

„rules of the game“. 575 Damit kann von dieser neuen Initiative nicht auf Anhieb die<br />

gleiche Leistungsfähigkeit erwartet werden wie von Bereichen, die ausschließlich eine<br />

technische Innovation umsetzen.<br />

Zwei Punkte hebt MARKIDES im Hinblick auf strategische Innovationen wie das PFC<br />

hervor: Einerseits ist die frühzeitige Identifikation von Warnsignalen für strategische<br />

Veränderungen in Großunternehmen von zentraler Bedeutung. Das frühzeitige<br />

Erkennen sollte es ermöglichen, notwendige Veränderungen einzuleiten, solange die<br />

Unternehmung noch „gesund“ ist. Aus diesem Grund verbieten sich rein finanzielle<br />

Indikatoren, da diese typische „lagging indicators“ darstellen. 576<br />

Andererseits bedarf es, um neue strategische Positionen zu schaffen, einer innovativen<br />

Kultur. Diese wird im wesentlichen durch die Unternehmenskultur, Anreize, Struk-<br />

turen und Menschen bestimmt. Den von MARKIDES untersuchten strategischen Innova-<br />

toren lag jeweils ein spezifisches „mind-set“ zugrunde, daß auch Unzufriedenheit mit<br />

dem Status Quo ausdrückte.<br />

Vor diesem Hintergrund stellte das PFC eine interessante „unit of analysis“ für die<br />

Untersuchung <strong>identitätsbildender</strong> <strong>Prozess</strong>e dar. Schließlich waren das von MARKIDES<br />

geforderte „mind set“ und die Unzufriedenheit mit dem Status Quo bereits wesentliche<br />

Aspekte einer sich verändernden Identität.<br />

Das PFC repräsentierte damit eine doppelte Herausforderung: Einerseits impliziert<br />

eine solche strategische Innovation den Aufbau einer neuen aber anschlussfähigen<br />

Segmentidentität. Andererseits stellte das PFC-Segment eine große Herausforderung<br />

für die Art und Weise der Zusammenarbeit mit anderen Segmente dar. Durch seinen<br />

interdisziplinären Aufbau wurde nicht nur die interne Struktur des PFC, sondern auch<br />

die Struktur der gesamten Organisation hinterfragt.<br />

575 Vgl. Markides, 1998.<br />

576 Damit sind Indikatoren gemeint, die erst spät auf Veränderungen reagieren. Zu diesen Indikatoren zählen<br />

auch die meisten Finanzkennzahlen, da sie i.d.R. erst das abgeschlossene Ergebnis der Geschäftstätigkeit<br />

darstellen.<br />

259


260<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Allerdings zeigt die Beobachtung der Segmente, dass die gegenwärtige Struktur <strong>als</strong><br />

eine Unterscheidung im Sinne von SPENCER BROWN 577 derzeit von der Organisation<br />

nicht hinterfragt wurde. Man ging nach wie vor vom Fortbestand der Segmentierung<br />

aus und blieb damit auf der Ebene des <strong>Wandel</strong>s erster Ordnung, ohne das System in<br />

seiner Struktur zu hinterfragen. 578<br />

Wenngleich dieser Umstand angesichts der umfangreichen laufenden Veränderungen<br />

der Organisation im Sinne einer begrenzten „absorptive capacity“ 579 nachvollziehbar<br />

war, wurde damit ein „window of opportunity“ im Sinne der <strong>Wandel</strong>fähigkeit und im<br />

Sinne eines frühzeitigen <strong>Wandel</strong>s wie sie von MARKIDES gefordert wird u.U. ausge-<br />

lassen.<br />

6.5 Die Organisation des Forschungspartners MIGROS AARE<br />

Partnerorganisationen<br />

SBT<br />

Migros<br />

Aare<br />

Externer Kontext<br />

Externer<br />

Kontext SBT<br />

Externer Kontext<br />

Kontext<br />

Migros Migros Aare<br />

Aare<br />

<strong>Wandel</strong>inhalte<br />

(Projekte)<br />

BSC<br />

ERP<br />

PFC<br />

Postmerger- PMI- -<br />

projekte<br />

projekte<br />

Abbildung 74: Gedankenfluss Empirie<br />

Interner<br />

Kontext<br />

Analyse der<br />

Internen<br />

Kontexte<br />

<strong>Wandel</strong>prozesse<br />

Analyse der<br />

<strong>Wandel</strong>- -<br />

prozesse<br />

Nachfolgend wird der zweite Forschungspartner, die MIGROS AARE vorgestellt. Auch<br />

hier werden, wie bereits im Falle der SBT, zuerst allgemeine Informationen<br />

(Geschichte, Struktur der Organisation, Identitätsmerkmale und Treiber des <strong>Wandel</strong>s)<br />

und der externe Kontext mit den für den <strong>Wandel</strong> wesentlichen Einflussfaktoren<br />

577 Vgl. Spencer Brown, 1967.<br />

578 Vgl. die Ausführungen zur <strong>Wandel</strong>fähigkeit in Kapitel 5.2.2.<br />

579 Vgl. zum Begriff der „absorptive capacity“ Cohen und Levinthal, 1990.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

(Markt, Fusion, strategische Aspekte sowie Firmenkultur) vorgestellt werden. Den<br />

Abschluss bilden die Inhalte der strategischen <strong>Wandel</strong>projekte.<br />

6.5.1 Die Entstehungsgeschichte der MIGROS AARE<br />

Die MIGROS wurde 1925 von Gottlieb Duttweiler mit dem Ziel gegründet, vor allem<br />

die ärmere Bevölkerung vor Ort zu versorgen. Er begann mit 5 Verkaufswagen und<br />

einem Startkapital von SFr. 100.000. 1926 wurde in Zürich bereits der erste Laden<br />

eröffnet. In den folgenden Jahren erfolgte u.a. 1928 die Gründung der ersten Genos-<br />

senschaft im Tessin, 1936 die Gründung des schweizweiten MIGROS BUND und 1948<br />

die Eröffnung des ersten Selbstbedienungsladens in der Schweiz.<br />

Aufgrund politischer Widerstände, die in einem Filialverbot zwischen 1933-1945<br />

mündeten, engagierte sich die MIGROS in der Folge in anderen Märkten. Vor allem in<br />

den 40er und 50er Jahren wurden eine ganze Reihe von Fachunternehmen unter dem<br />

Dach der MIGROS gegründet, wie z.B. 1954 die Benzin- u. Heizölgesellschaft<br />

„MIGROL“ und 1957 die „MIGROSBANK“.<br />

1978 veröffentlichte die MIGROS <strong>als</strong> erstes Schweizer Unternehmen eine Sozialbilanz.<br />

Ein Engagement im Ausland, 1993 in Österreich, wurde zwei Jahre später wieder<br />

beendet. Der Genossenschaftsgedanke wirkte allerdings noch in die Geschäftspolitik<br />

der MIGROS hinein. Ziele wie Preisführerschaft oder die breite Versorgung der Bevöl-<br />

kerung waren Resultate einer genossenschaftlich orientierten Geschäftspolitik.<br />

Im Jahr 2000 realisierte der MIGROS-Konzern mit ca. 52.000 Vollzeitstellen bzw.<br />

knapp 72.000 beschäftigten Mitarbeitern einen Gesamtumsatz von etwa 20,174 Mrd.<br />

Franken und einem EBIT von 488 Mrd. SFr. 580<br />

6.5.2 Struktur der MIGROS AARE<br />

Der MIGROS-GENOSSENSCHAFTSBUND (MGB) war die Dachgesellschaft von zehn<br />

regional selbständigen Genossenschaften. Der MGB gehörte wiederum den Genossen-<br />

schaften, die Anteile am MGB besaßen. Die dezentral-föderale Struktur entwickelte<br />

sich aus dem raschen Wachstum in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahr-<br />

hunderts. Trotz einer gemeinsamen Dachorganisation gab es bei den verschiedenen<br />

Genossenschaften unterschiedliche Ablauf- und Aufbauorganisationen sowie recht<br />

heterogene Unternehmenskulturen.<br />

580 Vgl. Dokument D71.<br />

261


262<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Der MGB hatte im wesentlichen eine Dienstleistungsfunktion gegenüber den regio-<br />

nalen Genossenschaften. Darüber hinaus waren ihm die Industriebetriebe ange-<br />

schlossen, welche die Eigenmarken produzierten. Sowohl die genossenschaftliche<br />

Struktur <strong>als</strong> auch die Eigenmarken waren Elemente, durch die sich die MIGROS von<br />

der Konkurrenz deutlich unterschied. 581<br />

Finanzen / Information<br />

Personelles<br />

Kommunikation/Kulturelles<br />

Logistik<br />

Bau/Liegenschaften/Expansion<br />

Sekretariat<br />

Geschäftsleitung<br />

Supermarkt<br />

Sicherheitsdienst<br />

Projekte Logistik<br />

Fachmarkt<br />

Kunden<br />

Gastronomie<br />

Klubschule<br />

Abbildung 75: Organigramm der Genossenschaft MIGROS AARE<br />

(Quelle: Dokument D73).<br />

Die MIGROS AARE, <strong>als</strong> größte Genossenschaft nach der Fusion gliederte sich in vier<br />

Geschäftsbereiche. Die Detailhandelsaktivitäten umfassten die Super- und Ver-<br />

brauchermärkte, Fachmärkte, sowie Gastronomie. Das vierte Standbein waren die<br />

Klubschulen. Das Kerngeschäft stellt das Supermarktgeschäft der MIGROS AARE dar,<br />

welches aus der Vermarktung von Food, Kolonialwaren und Non-Food bestand. 582<br />

Die nachfolgende empirische Analyse der <strong>Wandel</strong>initiativen bezieht sich vor allem auf<br />

den Supermarktbereich, in dem die Fusion zu Synergien führen sollte. Dieser Bereich<br />

581 Vgl. Dokument D72.<br />

582 Zur Güterkategorie Food gehören Frischprodukte (Molkerei, Früchte/Gemüse, Fleisch/Fisch/Geflügel und<br />

Brot). Unter Kolonialwaren subsumieren sich alle weiteren Lebensmittel, die nicht zu den Frischeprodukten<br />

gehören (z.B.: Teigwaren, Schokolade, Konservennahrungsmittel usw.). Non-Food umfasst nicht essbare<br />

Güter des täglichen Bedarfs, wie beispielsweise Hygieneartikel oder Bekleidung.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

war, wie der gesamte Retailmarkt, im wesentlichen ein „local business“, d.h. dass es<br />

für den Kunden ersichtlich eine starke Differenzierung geben sollte. Damit stellte sich<br />

für die Organisation die Herausforderung, in den zentralen Unternehmensfunktionen,<br />

wie z.B. der Logistik, eine Standardisierung und Vereinheitlichung bei gleichzeitiger<br />

lokaler Rezeptivität zu erreichen.<br />

Insbesondere durch den Druck des Tagesgeschäfts und den Umstand, dass die Filialen<br />

täglich beliefert werden mussten, wurden die IT und die Logistik zu zentralen<br />

Funktionen. Die Filialen hatten dabei relativ wenig unternehmerische Aufgaben. Der<br />

Filialleiter war kein selbständig handelnder Unternehmer, da die Preise und Sortimente<br />

weitgehend zentral bestimmt wurden. „Er sorgt dafür, dass sich der Laden dreht“. 583<br />

6.5.3 Identitätsmerkmale der MIGROS<br />

Ein wesentliches Merkmal der MIGROS waren ihre Eigenmarken. Der Kunde sollte<br />

möglichst Produkte antreffen, die es anderswo nicht zu kaufen gab. So machten im<br />

Super-/Verbrauchermarkt Eigenmarken oder Brands, die in der Schweiz allein die<br />

MIGROS vertrieb, einen Anteil von ca. 95 Prozent aus. Die Sortimente wurden durch<br />

Fremdmarken lediglich ergänzt. In den Fachmärkten war der Anteil der Fremdmarken<br />

entsprechend höher.<br />

Neben den Eigenmarken mit z.T. Markenartikel-Charakter waren weitere Eckpfeiler<br />

des Erfolgs der MIGROS die Selbstbedienung, die in der Schweiz von der MIGROS zu-<br />

erst eingeführt wurde, das kulturelle Profil, welches geprägt war durch die Idee des<br />

Sozialen Kapit<strong>als</strong>, die Mitarbeiterpartizipation am Erfolg (Einstiegsprämie etc.) und<br />

die Vorsorgeleistungen für die Mitarbeiter (2/3 der Beträge für die Vorsorge wurden<br />

von MIGROS bezahlt).<br />

Darüber hinaus zeichnete sich die MIGROS vor allem durch den Verzicht auf den<br />

Verkauf von Alkohol und Tabak, eine starke ökologische Orientierung (die Grobver-<br />

teilung der Güter wird konsequent per Bahn vorgenommen), die Erstellung eines jähr-<br />

lichen Umweltberichts sowie durch ein Kundenbindungsinstrument (M-Cumuluskarte)<br />

aus, das eine große Menge an Daten und Informationen generierte, die aber noch nicht<br />

adäquat für ein Direct Marketing verwertet wurden. 584<br />

583 Vgl. Interview I66, I70.<br />

584 Vgl. Interview I66.<br />

263


264<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Strukturelle Herausforderungen ergaben sich vor allem aus den verschiedenen<br />

Sprachen im Verkaufsgebiet, dem stagnierenden Markt, der Nicht-Mitgliedschaft in<br />

der EU, der hohen Dichte des Verkaufsnetzes und nicht zuletzt der subsidiär-demo-<br />

kratischen Struktur, die gleichzeitig ein wesentliches kulturprägendes Element<br />

darstellte. 585<br />

Damit verbunden war eine Kultur, in der Konsens einen hohen Stellenwert einnahm.<br />

MIGROS-Teams brauchten Konsens und es durfte keiner herausragen. Das Gremium<br />

entschied. „Es ist nicht einer der Chef, sondern das Gremium ist der Chef.“ Die<br />

„Friede-Freude-Eierkuchen-Mentalität“ und der hohe Harmoniebedarf waren aller-<br />

dings mit einer ausgeprägten Schonkultur verbunden. Da auch keine Leistungskultur<br />

vorherrschte und Topleistungen nicht besonders gelobt oder bezahlt wurden, gingen<br />

viele Mitarbeiter und Führungskräfte Konflikten aus dem Weg. 586<br />

Abbildung 76: Eigenmarken der MIGROS<br />

(Quelle: Dokument D86)<br />

Zur Kultur gehörte es auch, wenig Externe hinzuzuziehen, sondern es selbst zu<br />

machen („Macher-Kultur“). Dies wurde beispielsweise in der Personalpolitik sichtbar:<br />

Um innerhalb der MIGROS Karriere zu machen und aufzusteigen, musste man sich im<br />

Geschäft der MIGROS auskennen. Freie Stellen wurden immer zuerst intern ausge-<br />

schrieben. Vielfach stiegen Mitarbeiter von der Filiale über eine Betriebszentrale bis<br />

585 Vgl. Interview I71.<br />

586 Vgl. Interview I71.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

zum MGB auf. Damit kannten die Mitarbeiter und Führungskräfte die Strukturen und<br />

Bedürfnisse der Filialen i.d.R. sehr gut. Auf der anderen Seite kamen dadurch wenig<br />

neue Impulse in die Organisation herein. 587<br />

Im Rahmen der Post-Merger Integration führte die Macher-Kultur dazu, dass die<br />

Organisation wenig Erfahrung im Umgang mit Beratern hatte und die Fusion weitge-<br />

hend selbständig schulterte.<br />

Innerhalb der MIGROS AARE bestanden nach der Fusion neben den vorrangigen Berner<br />

Elementen (u.a. top-down Führungsverständnis, konservativ, zahlen- und kosten-<br />

orientiert, wenig smart) auch viele der Elemente der ehemaligen Genossenschaft<br />

Aargau/Solothurn (u.a. innovativ, open minded, teamorientiert, experimentierfreudig)<br />

und zeigten sich z.B. im selbstverständlichen Umgang mit Großgruppeninter-<br />

ventionen. 588<br />

6.5.4 Treiber des <strong>Wandel</strong>s in der MIGROS<br />

Aktuelle <strong>Wandel</strong>themen ergaben sich für die gesamte MIGROS und damit auch für die<br />

einzelnen Genossenschaften aus Markt- und internen Veränderungen, der Organisation<br />

und der neuen Strategie der gesamten Migros (M-Gruppe).<br />

Die Marktveränderungen ergaben sich vor allem durch die Stagnation im Detail-<br />

handelsmarkt, Konzentrationsprozesse im Retailgeschäft, zunehmende Markteintritte<br />

ausländischer Anbieter sowie Veränderungen der Gewohnheiten der Konsumenten hin<br />

zu mehr Convenience.<br />

Interne Herausforderungen ergaben sich vor allem aus den steigenden Kosten der<br />

Genossenschaften und dem damit verbundenen sinkenden Betriebsergebnis. Vor allem<br />

die sinkenden Quadratmeter-Umsätze führten die Genossenschaften in eine Kosten-<br />

schere.<br />

587 Vgl. Interview I72.<br />

588 Vgl. Interview I71.<br />

265


266<br />

Marktveränderungen<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

• Logistikstrategie<br />

- Zentralisierung Kolonial<br />

• Stagnation im Detailhandelsmarkt<br />

• Konzentrationsprozess imRetailgeschäft<br />

• Zunehmende Markteintritteausl. Retailer<br />

in spezifische Gebiete<br />

• Veränderung der Einkaufsgewohnheiten<br />

der Konsumenten<br />

Interne Herausforderungen<br />

(Verteilzentrum)<br />

- Zentralisierung Non-Food<br />

(Verteilzentrum)<br />

- Konzentration Frische auf 5<br />

strategische Plattformen<br />

• Projektgruppe Non-Food<br />

„UNO“<br />

„UNO“<br />

• • Informatikstrategie:<br />

Informatikstrategie:<br />

Migros<br />

Genossenschaften<br />

• Steigende Kosten in der GM<br />

• Sinkende Betriebsergebnisse<br />

• Sinkende qm-Umsätze<br />

-> Kostenschere<br />

Vereinheitlichung<br />

Vereinheitlichung<br />

• • Neue Neue Struktur Struktur nach nach Sparten<br />

Sparten<br />

•<br />

• Wachstum Wachstum im im Bereich Bereich Fachmarkt<br />

Fachmarkt<br />

• • Konzernarchitektur/Neuorganisation<br />

Konzernarchitektur/Neuorganisation<br />

der der Führungsstruktur<br />

Führungsstruktur<br />

• • Fusionen Fusionen der der Genossenschaften<br />

Genossenschaften<br />

Neue Neue Strategien Strategien der der M-Gruppe<br />

M-Gruppe<br />

Organisation der gesamten MIGROS (M-Gruppe)<br />

Abbildung 77: Ausgewählte Treiber des <strong>Wandel</strong>s in der MIGROS<br />

Neue strategische Veränderungen der M-Gruppe führten vor allem zu einer geplanten<br />

Zentralisierung der verschiedenen Verteilzentren, wodurch eine markante Reduktion<br />

der betriebenen Logistikplattformen erreicht werden sollte. So war ein zentrales<br />

Kolonialwarenlager am Standort Suhr vorgesehen, ein zentrales Verteilzentrum für<br />

den Bereich Non-Food, eine Konzentration der Frischeplattformen auf fünf Standorte,<br />

eine zusätzliche Vereinheitlichung im Bereich Non-Food und eine einheitliche Infor-<br />

matik in Form eines einheitlichen Warenwirtschaftssystems. 589<br />

Veränderungen in der Organisation der M-Gruppe ergaben sich aus einer neuen<br />

Spartenorganisation, dem Wachstum im Bereich der Fachmärkte, einer veränderten<br />

Konzern- und Führungsstruktur sowie bereits vollzogene oder absehbare Fusionen<br />

zwischen einzelnen Genossenschaften.<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Insbesondere die Marktveränderungen stellten die bestehende Organisation der<br />

MIGROS-Genossenschaften vor eine gewaltige Herausforderung. Das Selbstverständnis<br />

589 Vgl. Dokument D74.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

der Organisationen, welches vor allem durch die lokale Bezogenheit und den sozialen<br />

Hintergrund der Gründerfiguren geprägt war, wurde angesichts der aktuellen Ent-<br />

wicklungen und strategischen Überlegungen auf den Prüfstand gestellt.<br />

Auch im Fall der MIGROS ergab sich daraus die Notwendigkeit der Veränderung von<br />

Strukturen, Systemen und Routinen. In den ablauforganisatorischen <strong>Prozess</strong>en waren<br />

aber gleichzeitig Wissen und Werte der Organisation verankert. Gerade die Abläufe,<br />

wie sie beispielsweise in der Logistik bestanden, prägten die Spielregeln der Zusam-<br />

menarbeit zwischen den Filialen und den Betriebszentralen. Eine Veränderung dieser<br />

Spielregeln kam angesichts ihrer langen Konstanz und Vergangenheit einer unge-<br />

ahnten und herausfordernden Veränderung im wechselseitigen Selbstverständnis<br />

gleich.<br />

6.6 Externer Kontext der Projekte der MIGROS AARE<br />

Im folgenden Abschnitt werden für die Initiativen der MIGROS AARE wichtige externe<br />

Einflussfaktoren dargestellt. Es handelt sich zum einen um die Marktsituation, die<br />

durch die zentrale Stellung des Tagesgeschäftes insbesondere im Bereich der Frische-<br />

produkte gekennzeichnet ist. Weitere wichtige Kontextfaktoren stellen die Fusion der<br />

MIGROS BERN und MIGROS AARGAU/SOLOTHURN zur MIGROS AARE, die Strategie der<br />

MIGROS AARE sowie die genossenschaftliche Struktur der Organisation dar.<br />

Die Darstellung des Kontexts dient auch hier vor allem dem Verständnis externer<br />

Einflussfaktoren auf die <strong>Wandel</strong>initiativen. 590 Damit wird gewissermaßen die<br />

Tarnkappe der Spieler, 591 die aus dem vergangenen, gegenwärtigen oder zukünftigen<br />

Kontext herrühren kann, offengelegt.<br />

590 Vgl. Pettigrew, 1987.<br />

591 Vgl. Gedankenexperiment in Kapitel 4.2.1<br />

267


Partnerorganisationen<br />

268<br />

SBT<br />

Migros<br />

Aare<br />

Externer Kontext<br />

Externer<br />

Kontext SBT<br />

Externer Kontext<br />

Migros Aare<br />

6.6.1 Der Markt der MIGROS AARE<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

<strong>Wandel</strong>inhalte<br />

<strong>Wandel</strong>inhalte<br />

(Projekte)<br />

(Projekte)<br />

BSC<br />

ERP<br />

PFC<br />

Postmerger- PMI- -<br />

projekte<br />

projekte<br />

Abbildung 78: Gedankenfluss Empirie<br />

Interner<br />

Kontext<br />

Analyse der<br />

Internen<br />

Kontexte<br />

<strong>Wandel</strong>prozesse<br />

Analyse der<br />

<strong>Wandel</strong>- -<br />

prozesse<br />

Die MIGROS AARE <strong>als</strong> Marktführer im Supermarktbereich stand in ihrem Geschäfts-<br />

gebiet in intensivem Wettbewerb mit der COOP-GENOSSENSCHAFT. Das Geschäfts-<br />

gebiet war aufgrund von abnehmenden Bevölkerungszahlen und dem Markteintritt<br />

ausländischer Großanbieter im Fachmarktbereich durch einen zunehmend intensiveren<br />

Wettbewerb mit Sättigungstendenzen gekennzeichnet. 592<br />

Die MIGROS AARE betrieb ihr Hauptgeschäft, den Verkauf von Frischeprodukten, 593 in<br />

einer hochdezentralen Fili<strong>als</strong>truktur mit über 140 Filialen. Der Umsatz verteilte sich<br />

auf die Bereiche Kolonialwaren (Nahrungsmittel ohne Frischeprodukte) mit ca. 25<br />

Prozent, Frischeprodukte und Brot über 50 Prozent sowie den restlichen ca. 25 Prozent<br />

für den Bereich Non-Food. 594<br />

Die wesentliche Herausforderung des Tagesgeschäfts bestand darin, die Erwartungen<br />

des Kunden bezüglich Qualität, Lieferbereitschaft, Ladendesign und Frische-<br />

kompetenz zu erfüllen. Hinzu kam noch die zunehmende Tendenz zur Convenience<br />

beim shopping sowie das selbstgesteckte Ziel, die Genossenschaft MIGROS AARE <strong>als</strong><br />

592 Vgl. Interview I66.<br />

593 In den Interviews Nr. 66 und 69 wird das Geschäft mit den Frischwaren <strong>als</strong> das „ureigene Kerngeschäft“<br />

bezeichnet in dem <strong>als</strong> einzigem Bereich noch bedeutende Margen erwirtschaftet werden können.<br />

594 Vgl. Interview I74.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

besten Frischeanbieter zu positionieren. 595 Der Grund dafür lag in der höheren Marge<br />

und dem Umstand, dass 66% des Umsatzes aus dem Frischebereich kamen. Die<br />

Bereitstellung frischer Produkte hatte bedeutende Auswirkungen auf die Wert-<br />

schöpfungskette (Rüsten, Kühlkette, saubere LKW, Laden, Qualität) und setzt hohe<br />

Verkaufs- und Lieferbereitschaft voraus.<br />

6.6.2 Fusion<br />

Am 19. Juni 1998 gaben die beiden Genossenschaften MIGROS AARGAU/SOLOTHURN<br />

und MIGROS BERN ihren Zusammenschluss zur MIGROS AARE bekannt. Mit ihren rund<br />

140 Filialen, 50 Restaurants, 10 Klubschulen und etwa 12.000 Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeitern wurde die neu gegründete MIGROS AARE zur größten Regionalge-<br />

nossenschaft innerhalb der MIGROS-GEMEINSCHAFT (MGB) und zum zweitgrößten<br />

Arbeitgeber im Kanton Bern. Das Detailhandelsunternehmen erzielte im Geschäftsjahr<br />

2001 einen Umsatz von 2,871 Mrd. CHF. 596<br />

Der Zusammenschluss zur MIGROS AARE war innerhalb der MIGROS-GEMEINSCHAFT<br />

die zweite Fusion, nachdem rund ein Jahr zuvor bereits eine Fusion in der Ostschweiz<br />

zur MIGROS OSTSCHWEIZ erfolgt war.<br />

Auslöser für die Fusionen war u.a. eine vom MGB in Auftrag gegebene Studie über<br />

die Organisation der Logistik. Die Logistik <strong>als</strong> zentraler <strong>Prozess</strong> für den Detailhandel,<br />

sollte nach dem Ergebnis der Studie in Zukunft im Frischebereich mit fünf und in den<br />

Bereichen Non-Food und Kolonial mit jeweils einer zentralen Plattform schweizweit<br />

betrieben werden. In Suhr, dem bisherigen Hauptsitz der MIGROS<br />

AARGAU/SOLOTHURN, sollte das zentrale Kolonialwarenlager gebaut werden.<br />

Aufgrund der räumlichen Verhältnisse war es für die MIGROS AARGAU/SOLOTHURN<br />

nicht möglich, parallel zur neuen, zentralen Kolonialwarenplattform die bestehende<br />

Frische-Plattform weiter zu unterhalten. Für die MIGROS AARGAU/SOLOTHURN stellten<br />

sich deshalb die Alternativen, entweder Zulieferverträge mit anderen Regionalge-<br />

nossenschaften für Frischeprodukte abzuschließen, eine gemeinsame Logistik-Gesell-<br />

schaft für Frischeprodukte mit anderen Regionalgenossenschaften aufzubauen oder mit<br />

der Genossenschaft MIGROS BERN zu fusionieren, um eine gemeinsame neue Frische-<br />

Plattform in Schönbühl, dem Hauptsitz der MIGROS BERN aufzubauen. Man entschloss<br />

595 Hierzu wurde auch eine Grossgruppenveranstatltung gemacht. Vgl. Dokument D75.<br />

596 Vgl. Dokument D83.<br />

269


270<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

sich schließlich anhand der Kriterien Machbarkeit, wirtschaftlicher Nutzen, Aus-<br />

wirkungen auf die Belegschaft, Positionierung sowie Sicht der MIGROS-<br />

GEMEINSCHAFT und nicht zuletzt aus Gründen der Komplexitätsreduzierung für die<br />

Fusion mit der MIGROS BERN zur gemeinsamen MIGROS AARE. 597<br />

Da es vorher keine Überlappungen der Geschäftsgebiete gegeben hatte, kam es im An-<br />

schluss an die Fusion auch nicht zu Fili<strong>als</strong>chließungen, wenngleich sich für die<br />

Zukunft die Frage nach der Dichte der Verkaufsstellen stellte. Durch die Einführung<br />

des neuen Warenwirtschaftssystems würden dazu in Zukunft die Voraussetzungen im<br />

Sinne eines Benchmarking und möglicher Rentabilitätsvergleiche unter den Filialen<br />

gegeben sein. 598<br />

Die Fusion zur MIGROS AARE wurde aus formalrechtlichen Gründen 599 <strong>als</strong> Übernahme<br />

durch die MIGROS BERN durchgeführt. Beabsichtigt war allerdings ein „merger of<br />

equ<strong>als</strong>“ <strong>als</strong>o ein Zusammenschluss unter gleichberechtigten Partnern mit dem Haupt-<br />

sitz der MG BERN und unter Beibehaltung sämtlicher Verkaufsstellen.<br />

6.6.3 Die Strategie der MIGROS AARE<br />

Die Fusion der MIGROS AARE und die strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen waren eine<br />

Folge der Geschäftsstrategie der MIGROS AARE, die u.a. Thesen zur Entwicklung des<br />

MGB enthielt und das Verhalten gegenüber den anderen Genossenschaften festlegte.<br />

Die strategische Zielsetzung der MIGROS AARE war es, die „Leaderposition“ unter den<br />

Genossenschaften zu erreichen. Zielgröße dafür sollte die langfristige Ergebnisent-<br />

wicklung sein. Aufbauend auf die Zufriedenheit der Kunden und der Mitarbeitenden<br />

sollte das ertragsorientierte Wachstum dem Unternehmen Freiraum und Akzeptanz <strong>als</strong><br />

kompetenter Gesprächspartner in der MIGROS sowie den Mitarbeitern Sicherheit für<br />

ihre Arbeitsplätze bringen. Diese Zielsetzung sollte erreicht werden durch die Ver-<br />

stärkung der Markt- und Kundenorientierung sowie die Profilierung <strong>als</strong> attraktivster<br />

Arbeitgeber im Detailhandel. 600<br />

597 Vgl. Dokument D74.<br />

598 Vgl. Interview I66.<br />

599 Vgl. die Ausführungen in Kapitel 4.3.1 zur rechtlichen Post-Merger-Integration.<br />

600 Vgl. Dokument D73.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Neben der Verbesserung der Ertragsorientierung war auch das „fit machen“ für die<br />

absehbare Einheitsgenossenschaft durch eine Verstärkung der <strong>Prozess</strong>orientierung,<br />

eine Entflechtung der verschiedenen Genossenschaftsaktivitäten, die Schaffung<br />

offener kompatibler Systeme und die Förderung der Veränderungsfähigkeit der<br />

MIGROS AARE mit ihren Mitarbeitenden Teil der Strategie.<br />

Die Thesen zur Entwicklung der MIGROS-GRUPPE von denen die MIGROS AARE in<br />

ihrer Strategie ausging, sah eine Entwicklung der MIGROS-GRUPPE hin zu einem divi-<br />

sionalisierten Konzern vor. Dabei sollte die Leitung die übergeordneten Aufgaben,<br />

Kompetenzen und die Verantwortung wahrnehmen. Die einzelnen Divisionen würden<br />

demnach prozessorientiert aufgebaut sein und über eine Divisionsleitung mit Gewinn-<br />

verantwortung verfügen. Die Gewinn-Optimierung würde primär in den Divisionen<br />

und Geschäftsbereichen stattfinden und nicht in den einzelnen Genossenschaften und<br />

Regionen. Die gesamte Leistungserstellung sollte über die verschiedenen Wert-<br />

schöpfungsstufen hinweg optimiert werden. 601<br />

6.6.4 Der genossenschaftliche Hintergrund<br />

Wenngleich die Anteile an einer Genossenschaft keinen Wertpapiercharakter haben 602<br />

und die vertraglichen Beziehungen zwischen Genossenschaften und ihren Mitgliedern<br />

im wesentlichen dem gesetzlichen Ziel der „gegenseitigen Selbsthilfe“ 603 dienen,<br />

musste die gemeinsame Fusion zur MIGROS AARE von den beiden Ursprungsge-<br />

nossenschaften durch Abstimmung genehmigt werden.<br />

Im Vergleich zu aktienrechtlichen Fusionen, bei denen vor allem die Steigerung des<br />

„Shareholder-Value“ 604 im Vordergrund steht, fehlt bei genossenschaftlichen Fusio-<br />

nen aufgrund des Nicht-Wertpapiercharakters der Einfluss von Seiten des Kapital-<br />

marktes. Dennoch stellte sich im Falle der MIGROS AARE die Frage, inwiefern die<br />

genossenschaftliche Rechtsform und die damit verbundenen Identitätsaspekte für die<br />

strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen von Bedeutung waren.<br />

601 Vgl. Dokument D73.<br />

602 Vgl. Reymond (1998), S. 52.<br />

603 Art. 828 Abs. 1 OR.<br />

604 Auf eine Diskussion der Shareholder-Value-Theorie wird in dieser Arbeit verzichtet und auf die einschlägige<br />

Literatur von Rappaport, Gomez/Weber und Busse von Colbe/Coenenberg verwiesen.<br />

271


272<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Eine offensichtliche Einflussnahme der Genossenschafter erfolgte zu Beginn des<br />

Fusionsprozesses im Rahmen der Genehmigung der Fusion durch die beiden<br />

Genossenschaften in einer Urabstimmung. Dabei war sowohl von der MIGROS<br />

AARGAU/SOLOTHURN <strong>als</strong> auch von der MIGROS BERN ein Mehrheitsquorum an Zu-<br />

stimmung und eine Mindeststimmbeteiligung erforderlich. Dazu wurden im „Brücken-<br />

bauer“, der Mitgliederzeitschrift der Genossenschaft, die Mitglieder kontinuierlich<br />

informiert und an den Entscheid herangeführt. 605 Wenngleich vor der Abstimmung bei<br />

der Geschäftsleitung der MIGROS AARE Unsicherheit darüber herrschte, ob die Mit-<br />

gliederbasis der Fusion zustimmen würde, ergaben die beiden Urabstimmungen eine<br />

große Zustimmung zur Fusion. 606<br />

Diese Abstimmung war der wesentliche Einfluss der Genossenschaftler. Es gab dar-<br />

über hinaus keinen Integrationsdruck oder offizielle Einflussnahme der Anteilseigner.<br />

Die Genossenschaften hatte damit für die Post-Merger-Integration und die unter-<br />

suchten strategischen Initiativen weitgehend freie Hand, auch was das<br />

Zeitmanagement anging. Nach Ansicht der Interviewpartner wirkte sich die<br />

Genossenschaftsform deshalb u.a. verlangsamend auf die Geschwindigkeit der<br />

Integration aus. 607<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Ähnlich der Situation der SBT stellt sich auch für die MIGROS AARE die strategische<br />

Herausforderung, in einem stark umkämpften und gesättigten Markt durch die<br />

Nutzung standardisierter <strong>Prozess</strong>e und moderner IT-Technik, eine Veränderung der<br />

strategischen Positionierung zu erreichen. Während die MIGROS in der Vergangenheit<br />

aus ihrem Sozialverständnis heraus durch die Versorgung der lokalen Bevölkerung<br />

und ihre genossenschaftlich-dezentrale Struktur geprägt war, bestimmten nun<br />

zunehmend die integrierten Strukturen der zentralen Funktionen wie Logistik und<br />

Informatik das Bild und die Identität der Organisation.<br />

605 Vgl. Interview I66, I69.<br />

606 Besonders das Erreichen der Mindeststimmbeteilung war für die Geschäftsleitung ein Unsicherheitsfaktor.<br />

Die Teilnahme an der Abstimmung über die Fusion wurde deshalb – entgegen der bisherigen Tradition - mit<br />

einem Geschenk in Form einer Tafel Schokolade verbunden. Man hatte befürchtet, dass ansonsten die Gefahr<br />

bestünde, die gesetzlich erforderlichen Quoren nicht zu erreichen.<br />

607 Vgl. Interview I68, I72, I73.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Analog dem Sprung einer multinationalen Organisation zu einer transnationalen<br />

Organisation schien es für die MIGROS vor allem darum zu gehen, von einer „multi-<br />

kantonalen“ dezentralen Struktur zu einer „transkantonalen“ zentralisierteren Organi-<br />

sationsstruktur zu gelangen. Dabei wurde die starke Orientierung an den lokalen<br />

Bedürfnissen teilweise etwas zurückgenommen und durch eine stärkere Integration der<br />

nationalen Organisationen bzw. in diesem Fall kantonalen Genossenschaften erweitert.<br />

Diese Zentralisierung führte tendenziell dazu, dass die lokalen Bedürfnisse und<br />

Besonderheiten im täglichen Geschäft weniger stark berücksichtigt werden konnten.<br />

Allerdings waren die faktischen Veränderungen, wie z.B. logistikbedingte Verände-<br />

rung der Sortimente, geringer <strong>als</strong> gedacht. Wesentlich schwerer wog dagegen der<br />

Verlust an unternehmerischer Autonomie. Die Möglichkeiten, selbst zu entscheiden,<br />

waren ein wesentlicher Teil des organisationalen Selbstverständnisses. Mit ihrer zu-<br />

künftigen Strategie strebte die MIGROS AARE nun eine Leaderposition an, um sich<br />

über den wirtschaftlichen Erfolg und ihre Vorreiterrolle einen unternehmerischen<br />

Freiraum und Akzeptanz <strong>als</strong> kompetenter Gesprächspartner in der MIGROS zu bewah-<br />

ren. 608 Sollte dieser Schritt gelingen, könnte man von dem gleichen Identitätsmuster<br />

auf einer höheren Ebene sprechen, da es der Genossenschaft auf diesem Wege<br />

gelungen wäre, ihre Ziele wieder stärker selbst bestimmen zu können.<br />

Der genossenschaftliche Hintergrund wirkte in diesem Zusammenhang ähnlich wie die<br />

Subsidiarität <strong>als</strong> ein anfängliches Hindernis. Er führte aber dazu, dass die getroffenen<br />

Entscheidungen ein hohes Maß an Konsens und Verankerung bei den Beteiligten<br />

fanden.<br />

So wurden Entscheidungsprozesse, wie etwa die zur Erreichung der juristisch erfor-<br />

derlichen Quoren, sehr langsam getroffen. Sie zwangen die Anteilseigner damit aber<br />

gleichzeitig zu einem hohen Maß an Sensemaking und Sensegiving, was wiederum ein<br />

verbindliches Fundament für die konkrete Planung und Ingangsetzung, beispielsweise<br />

der Post-Merger-Integration, schuf. 609<br />

6.6.5 Der externe Kontext der SBT und der MIGROS AARE im Vergleich<br />

Die Analyse des externen Kontexts zeigt für beide Unternehmen einen deutlichen<br />

Schritt vom multi- zum transnationalen Unternehmung (SBT) bzw. von einer lokalen<br />

608 Vgl. Dokument D73.<br />

609 Vgl. Gioia und Chittipeddi, 1991;Weick, 1985b.<br />

273


274<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

zu einer national einheitlichen Genossenschaft (MIGROS AARE). Mit diesem strate-<br />

gischen Schritt waren in beiden Organisationen Unternehmenszusammenschlüsse<br />

verbunden, die das Gesicht der Unternehmen maßgeblich veränderten.<br />

Mehr noch: Für beide Unternehmen – vor allem für die SBT – standen noch weitere<br />

Zentralisierungsschritte und damit auch kulturelle Veränderungen bevor. Für beide<br />

Unternehmen ging es damit aufgrund des sich verändernden Kontexts auch um die<br />

Neudefinition zentraler kultureller Elemente wie des Subsidiaritätsprinzips bzw. der<br />

genossenschaftlichen Struktur.<br />

Bauplätze dieser neuen organisationalen Architektur sind vor allem die strategischen<br />

<strong>Wandel</strong>initiativen. Sie haben explizite Wirkung auf die neuen <strong>Prozess</strong>abläufe und bis-<br />

weilen implizite Auswirkungen auf die organisationale Identität.<br />

Im Folgenden werden daher die strategischen Initiativen, die von zentraler Bedeutung<br />

für die Umsetzung der neuen Strukturen sind, hinsichtlich ihrer identitätsbildenden<br />

Wirkung untersucht.<br />

Entscheidend ist dabei, ob die identitätswandelnde Bedeutung der strategischen<br />

Initiativen erkannt wird, wie relevante Unterschiede wahr- und ernstgenommen<br />

werden, wie mit der „alten“ Identität umgegangen wird und wie neue<br />

Identitätselemente evtl. an bestehende anschließen können.<br />

Im Mittelpunkt steht dabei die Form des <strong>Prozess</strong>es der Erneuerung bzw. des <strong>Wandel</strong>s<br />

der Identität. Das Augenmerk der empirischen Analyse liegt daher weniger auf inhalt-<br />

lichen Aspekten, sondern vielmehr darauf, wichtige Elemente der <strong>Prozess</strong>gestaltung zu<br />

untersuchen, wie beispielsweise die Art und Weise der Einbeziehung, des Sense-<br />

making oder der Reflexion .<br />

Im Anschluss an die Klärung des externen Kontexts der MIGROS AARE werden nun die<br />

strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen kurz skizziert.<br />

6.7 Strategische <strong>Wandel</strong>projekte der MIGROS AARE<br />

Als viertes strategisches <strong>Wandel</strong>projekt werden im Folgenden drei Teilprojekte aus der<br />

Post-Merger-Phase der MIGROS AARE vorgestellt. Gewählt wurde das Logistikprojekt,<br />

das neue Warenwirtschaftssystem (WWS) und der Führungsentwicklungsprozess<br />

TEZetera der MIGROS AARE. Die Wahl fiel auf diese Initiativen, da sie einerseits den<br />

vorgestellten <strong>Wandel</strong>projekten bei der SBT vergleichbar und andererseits für die Post-


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Merger-Phase der MIGROS AARE <strong>als</strong> Post-Merger-Integrations-Projekte (PMI-<br />

Projekte) von zentraler Bedeutung waren.<br />

Partnerorganisationen<br />

SBT<br />

Migros<br />

Aare<br />

Externer Kontext<br />

Externer<br />

Kontext SBT<br />

Externer Kontext<br />

Migros Aare<br />

6.7.1 Zentralisierung der Logistik<br />

<strong>Wandel</strong>inhalte<br />

<strong>Wandel</strong>inhalte<br />

(Projekte)<br />

(Projekte)<br />

BSC<br />

ERP<br />

PFC<br />

Postmerger PMI- PMI- -<br />

-<br />

projekte<br />

projekte<br />

Abbildung 79: Gedankenfluss Empirie<br />

Interner<br />

Kontext<br />

Analyse der<br />

Internen<br />

Kontexte<br />

<strong>Wandel</strong>prozesse<br />

Analyse der<br />

<strong>Wandel</strong>- -<br />

prozesse<br />

Vier Jahre nachdem der Verwaltungsrat des MGB eine neue Logistikstrategie be-<br />

schlossen hatte, wurde in der ehemaligen Betriebszentrale der MIGROS<br />

AARGAU/SOLOTHURN das neue MIGROS-Verteilzentrum Suhr (MVS) für Trocken-<br />

waren und Getränke eröffnet. Die Errichtung des MVS stellte eine der wichtigsten<br />

Initiativen zur Umsetzung der übergeordneten Logistikstrategie des MGB dar, welche<br />

die Zentralisierung der Warenwirtschaft zum Ziel hatte. Die Hochleistungsanlage, mit<br />

moderner Kommissionierung, Bahnhalle mit Gleisanlage und Hochregallager, sollte<br />

bei voller Inbetriebnahme täglich bis zu 5.700 Euro-Paletten im Wareneingang und<br />

rund 7.200 Paletten im Warenausgang umschlagen. 610<br />

Für das MVS wurden rund 115 Mio. Franken in Bauten und Infrastruktur investiert<br />

und weitere 65 Mio. Franken für die Informationstechnologie aufgewendet. Die<br />

610 Vgl. Dokument D76.<br />

275


276<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Gesamtinvestitionen für die Umstellung aller Warenbereiche auf eine zentralisierte<br />

Warenflusslogistik für die nächsten zehn Jahre wurden vom MGB auf etwa eine<br />

Milliarde Franken veranschlagt.<br />

Bereits vor der Inbetriebnahme des Verteilzentrums für Trockenwaren und Getränke in<br />

Suhr war die Zentralisierung der Warenwirtschaft erfolgreich im Non Food-Bereich<br />

Kinder/Bébé, Bekleidung und Schuhe im MIGROS Verteilzentrum Neuendorf einge-<br />

führt worden. Mit der Eröffnung des MVS kam allerdings das gesamte Trockenwaren-<br />

sortiment inklusive der Getränke dazu.<br />

Ziel dieser Zentralisierungsmaßnahmen war es, durch eine hocheffiziente Logistik und<br />

intelligente Warenwirtschaftssysteme, Kosten zu sparen und den Kunden kompe-<br />

tentere Sortimente zu präsentieren. Dank hoher Warenverfügbarkeit und tieferer<br />

Kosten sollten die Kunden von besseren Preisen profitieren. Durch einen kürzeren<br />

Lagerumschlag – 10 statt 32 Tage – tiefere Lagerbestände, verringerte Lagerflächen,<br />

niedrigere Abschreibungen und höhere Umsätze auf besser genutzten Filialflächen<br />

sollten Kosteneinsparungen ab 2006 in Höhe von jährlich 200 Mio. Franken erreicht<br />

werden.<br />

Voraussetzung für eine zentrale Verteilung von Suhr aus war allerdings, dass die bis-<br />

lang noch aus Suhr gelieferten Frischeprodukte zukünftig von Schönbühl aus geliefert<br />

werden konnten. Eine zentrale Frischeplattform erschien schon deshalb notwendig,<br />

weil die Komplexität sonst zusätzlich erhöht und die Synergien nicht optimal genutzt<br />

worden wären. 611<br />

Da die bestehende Frische-Plattform in Schönbühl nicht genügte, um die Frische-<br />

produkte für das gesamte neue Geschäftsgebiet der fusionieren Genossenschaft zu<br />

liefern, musste in Schönbühl bis Herbst 2000 eine neue zentrale Logistik für die<br />

Frischeprodukte aufgebaut werden, um die Umsetzung der Logistikstrategie in Suhr zu<br />

ermöglichen. Es ging <strong>als</strong>o darum, zeitgerecht die alte Plattform in Suhr zu räumen und<br />

eine neue Plattform für Frischprodukte in Schönbühl aufzubauen, die den Anforder-<br />

ungen des Frischevertriebs der fusionierten MIGROS AARE entsprach. Dadurch konnte<br />

dann im zweiten Schritt Platz gemacht werden für die Errichtung des MVS. Die<br />

folgende Abbildung zeigt vereinfacht die Logik des Wechsels.<br />

611 Vgl. Interview I73.


Schönbühl/exMigros<br />

Bern<br />

Frischeprodukte<br />

Non-Food<br />

Suhr/exMigros<br />

Aargau/Solothurn<br />

Frischeprodukte<br />

Non-Food<br />

Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Schönbühl/exMigros<br />

Bern<br />

Frischeprodukte<br />

(für die MG Aare)<br />

Suhr/exMigros<br />

Aargau/Solothurn<br />

Non-Food MVS<br />

(für den gesamten<br />

MGB)<br />

Abbildung 80: Zusammenlegung der Frischplattform und des Verteilzentrums Non-Food<br />

Die Errichtung einer neuen Frischeplattform bedeutete ein hohes Maß an Destabi-<br />

lisierung, da die Logistik von den eingeschliffenen Routinen lebte. Ein Mitglied des<br />

Managementteams beschrieb die Routinen neben einer funktionierenden Teamstruktur<br />

und erfahrenen Mitarbeitern <strong>als</strong> die eigentlichen hintergründigen Stabilisatoren. 612<br />

Von besonderer Herausforderung für die Veränderung dieser Routinen war, dass<br />

neben Planung, Organisation und Umsetzung der Veränderungsmaßnahmen das<br />

Tagesgeschäft aufrechterhalten werden musste.<br />

Die Integration der zwei funktionierenden Logistiksysteme, die trotz des gleichen<br />

Geschäfts unterschiedliche Lösungen wie z.B. unterschiedliche Bestelllieferrhythmen<br />

aufwiesen, stellte eine große Herausforderung dar. Die unterschiedlichen Ansprüche in<br />

einen Belieferungskontext zu stellen und eine einheitliche Lösung zu erarbeiten, stellte<br />

Ansprüche an die Veränderungsbereitschaft aller Beteiligten. 613 So wurden z.B. in der<br />

ehemaligen MG Bern die Milchprodukte im Tagesverlauf ausgeliefert. In der MG<br />

Aargau/Solothurn wurden die Milchprodukte dagegen am Morgen vor Ladeneröffnung<br />

angeliefert. Im neuen System konnten nicht mehr beide Belieferungen aufrechterhalten<br />

werden, sondern es musste eine Lösung gefunden werden.<br />

Bezüglich der Lieferrhythmen beschloss man einen Teil der Ware nach wie vor am<br />

Morgen, einen anderen Teil vor dem Mittag auszuliefern. Für die Filialen in Bern war<br />

612 Vgl. Interview I73.<br />

613 Vgl. Interview I73.<br />

277


278<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

dies kein Problem, für die Filialen in Aargau/Solothurn war die getroffene Lösung eine<br />

Verschlechterung gegenüber dem bisherigen Vorgehen. 614<br />

6.7.2 Zentrales Warenwirtschaftssystem (WWS)<br />

Mit der Zentralisierung der Warenwirtschaft sollte auch eine Vereinheitlichung der IT-<br />

Systeme einhergehen. Eine neue SAP-Retail-Standardsoftware sollte u.a. sicherstellen,<br />

dass die in rund 530 MIGROS-Filialen und Restaurants abverkaufte Ware der Trocken-<br />

sortimente und Getränke automatisiert nachgeliefert wurde. Artikel- und Preis-<br />

mutationen sollten automatisch auf rund 6.000 Kassen der MIGROS-Filialen fehlerfrei<br />

übermittelt werden. Lagerbestände auf der Stufe der Filialen, Verteilzentren und<br />

Außenlager sollten täglich kontrolliert und verifiziert werden. Geplant war, im<br />

Anschluss an die Aufschaltung der MIGROS AARE im nächsten Schritt auch die<br />

MIGROS BASEL bis Mai 2003 und etappenweise die anderen acht Genossenschaften<br />

zuzuschalten.<br />

Die Logistikstudie sah vor, dass die Genossenschaften mittelfristig nur noch die<br />

Frischeplattformen betreiben sollten und die Verteilung der Kolonialwaren und Non-<br />

Food-Artikel durch nationale Verteilzentren erfolgen sollte. Für die Übergangsphase<br />

bedeutete das einen Parallelbetrieb mehrer Warenwirtschaftssysteme. Abbildung 82<br />

veranschaulicht den geplanten Übergang.<br />

Bereits vor der Fusion hatte es Bestrebungen zur Modernisierung des WWS gegeben.<br />

Ausgangspunkt waren Mängel am alten WWS. 1994 hatte man beschlossen, das<br />

Warenwirtschaftssystem der MIGROS zu überarbeiten. Gemeinsam mit den Genossen-<br />

schaften Bern, Aargau/Solothurn, Winterthur/Schaffhausen, Basel und Zürich wurde<br />

das Projekt MIZU (MIGROS Informatikzusammenarbeit) gestartet.<br />

614 Vgl. Interview I73


WWS Bern<br />

Migros Aare<br />

-Non-Food<br />

-Kolonial<br />

Postmergerphase<br />

Zwei alte regionale WWS (Non-Food, Kolonial)<br />

Ein neues regionales WWS (Food)<br />

Filiale Migros Aare Nord<br />

Filiale Migros Aare Süd<br />

SAP-Retail (Food)<br />

Betrieben von<br />

Migros Aare<br />

WWS AG/SO<br />

Migros Aare<br />

-Non-Food<br />

-Kolonial<br />

Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

SAP-Retail (Non-Food)<br />

betrieben vom<br />

MGB<br />

Integrationsziel laut Logistikstudie<br />

Zwei neue zentrale WWS (Non-Food, Kolonial)<br />

Ein neues regionales WWS (Food)<br />

Filiale Migros Aare<br />

SAP-Retail (Food)<br />

Betrieben von<br />

Migros Aare<br />

Abbildung 81: Geplante Integration der Informatik in drei WWS 615<br />

SAP-Retail (Kolonial)<br />

betrieben von<br />

MGB<br />

Zu Beginn versuchte man, eine eigene Lösung zu entwickeln, entschied sich aber rasch<br />

dazu, eine Standard-Software zu verwenden. Man wollte keine „Innovation in alter<br />

Technik“. Gegen eine Eigenentwicklung sprach insbesondere, dass man befürchtete,<br />

hinter dem Stand der Technik hinterherzuhinken und eine Inflation der Anforderungen<br />

von Seiten der Benutzer zu bekommen. Trotz der hohen Kosten für ein integriertes<br />

Fremdsystem entschied man sich schließlich für SAP.<br />

In der Zwischenzeit war die MIGROS WINTERTHUR/SCHAFFHAUSEN mit der MIGROS<br />

ST. GALLEN fusioniert und auch die MIGROS BASEL hatte das Projekt verlassen. 1998<br />

startete man dann mit den verbleibenden vier Genossenschaften mit SAP Retail, ein<br />

noch junges Produkt von SAP. Kurz vor dem Start erfolgte dann die Entscheidung zur<br />

Fusion zwischen den GENOSSENSCHAFTEN BERN und AARGAU/SOLOTHURN.<br />

Der Leiter der IT der neuen MIGROS AARE wurde auch Leiter des Projekts „Ein-<br />

führung Warenwirtschaftssystem Frische“, das die Produkte der Molkerei, Früchte und<br />

Gemüse, Blumen und Fleisch, Fisch und Geflügel umfasste. Im Verlauf des Projekts<br />

kam auch der Bereich „Brot“ noch dazu. Dieser war vorher Teil der Kolonialwaren,<br />

der aber jetzt für die gesamte Schweiz zentral von Suhr aus durchgeführt werden<br />

sollte. Als Termin für die Einführung der neuen Frische-Plattform wurde Ende 2001<br />

bestimmt.<br />

615 Abbildung in Anlehnung an Stofer, 2002.<br />

279


280<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Anders <strong>als</strong> im Bereich der Kolonialwaren, bei dem die Filialen zukünftig in der<br />

gesamten Schweiz durch ein zentrales System beliefert und direkt mit der Zentrale<br />

Zürich kommunizieren sollten, sollte im Bereich der Frischprodukte der Weg über die<br />

Genossenschaften gehen. Für den dritten Bereich Non-Food war dagegen wieder eine<br />

schweizweit zentrale Lösung wie bei den Kolonialwaren geplant. 616<br />

Durch die Neustrukturierung erhielten zahlreiche MIGROS-Mitarbeitende die Chance,<br />

neue interne Funktionen und neue Arbeitsplätze zu übernehmen. Teilweise fielen aber<br />

auch Arbeiten weg. Von den 4.300 Personen in den Verteilzentren arbeiteten nach der<br />

Umstellung etwa 300 weniger in der Logistik. Da der Entscheid bereits seit Frühjahr<br />

1998 bekannt war, kam es aber durch frühzeitige Personalplanung zu keinen Ent-<br />

lassungen. 617<br />

Ähnlich wie bei der Logistik führte das neue SAP-gestützte Warenwirtschaftssystem<br />

in der Informatik zu einer Veränderung der Abläufe und der Logik des Systems.<br />

Herausforderungen waren insbesondere das Umdenken von Wertgrößen auf Mengen-<br />

größen, die artikelgenaue Bewirtschaftung und die Bedeutung der Tagesaktualität. 618<br />

Dadurch ergaben sich Änderungen bei Retouren oder beim Schwund. Außerdem<br />

musste nun tagfertig der Wareneingang berechnet werden und der Lagerbestand sauber<br />

geführt werden, da sonst die Voraussetzung für ein automatisches Bestellwesen der<br />

Filialen nicht gegeben war.<br />

Eine Schwierigkeit ergab sich dadurch, dass die Filialen drei verschiedene Ansprech-<br />

partner für Kolonial, Frische und Non-Food hatten. Ein Interviewpartner wies darauf<br />

hin, dass dadurch Schwierigkeiten zum Beispiel bei Verkaufsaktionen auftreten<br />

konnten. So konnte beispielsweise der Tiefkühlplatz von verschiedenen Bereichen<br />

beansprucht werden, was dann zu Konflikten führen konnte. 619<br />

Geplant war, dass die gesamten Frischeprodukte zum Ende 2001 auf SAP laufen<br />

sollten, während der Bereich Kolonialwaren Ende 2003 abgeschlossen sein sollte.<br />

Ende 2006 sollte es dann ein System für den Bereich Non-Food geben, d.h. Ende 2006<br />

sollte es zwei Warenwirtschaftssysteme und eine Handvoll Frische-Plattformen geben.<br />

616 Vgl. Interview I74, I73.<br />

617 Vgl. Dokument D76.<br />

618 Vgl. Interview I66, I70.<br />

619 Vgl. Interview I74, I73.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Ein Interviewpartner bezweifelte allerdings, dass man zu den fünf Systemen kommen<br />

werde, die in der Logistikstudie vorgesehen waren. Die dezentrale Struktur der Genos-<br />

senschaften mit den zehn Geschäftsleitern sei schließlich auch dafür verantwortlich,<br />

dass von dem,was in der Studie zur Zentralisierung bis 2001 vorgesehen war, bislang<br />

noch nichts erreicht worden war. Der Umstand, dass der MGB den Genossenschaften<br />

gehöre, erschwere den geplanten Zentralisierungsprozess. 620<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Die beiden Initiativen aus dem Bereich der Logistik und der Warenwirtschaft stellten<br />

die zentralen Eckpfeiler der strategischen Neupositionierung der MIGROS AARE dar.<br />

Insbesondere die neue Organisation der Logistik entsprechend der Logistikstudie mit<br />

dem MVS und der Frische-Plattform war der Grund für die beiden Genossenchaften,<br />

eine engere Zusammenarbeit zu suchen, die letztendlich in einer Fusion mündete. Eine<br />

Umstellung der Logistik war mit dem Fusionsentscheid unvermeidlich.<br />

Damit verbunden war auch die Notwendigkeit, die bestehenden Informatiksysteme der<br />

beiden Genossenschaften zusammenzuführen. Der Umstand, dass parallel dazu das<br />

SAP-Retail (Food) im Rahmen der MIZU zeitgleich entwickelt wurde, stellte eine<br />

Doppelelastung für die Organisation dar. Hätte man allerdings das Projekt aufgegeben,<br />

dann wäre die Zusammenarbeit im Rahmen der MIZU vermutlich beendet gewesen.<br />

Auf der anderen Seite bedeutete die Ablösung der alten Warenwirtschaftssysteme<br />

durch ein neues gemeinsam entwickeltes System auch eine Chance für die Integration.<br />

Durch das neue System konnte eine Unterscheidung, die durch die unterschiedlichen<br />

technischen Systeme <strong>als</strong> Differenzschemata zwischen den Organisationen weiter be-<br />

standen hätte, überwunden werden. Es wurde <strong>als</strong>o nicht mehr von einem Warenwirt-<br />

schaftssystem Bern bzw. Süd und einem Warenwirtschaftssystem Aargau/Solothurn<br />

bzw. Nord gesprochen.<br />

Die eigentliche Integration fand damit nicht in der Auswahl des jeweils besten<br />

Systems beider Organisationen statt, da durch diese Auswahl erneut eine Verschärfung<br />

der Unterscheidung stattgefunden hätte. Durch das neue System wurde dagegen die<br />

formale Unterscheidung aufgehoben.<br />

620 Vgl. Interview I74, I73.<br />

281


6.7.3 TEZetera<br />

282<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Die Geschäftsleitung hatte bereits früh realisiert, dass die Integration nur funktionieren<br />

konnte, wenn die Führungspersonen einig waren und zusammen Probleme lösen<br />

konnten. Die oberste Führung sollte Vorbild sein und einheitlich auftreten. Dieser<br />

<strong>Prozess</strong> brauchte nach Ansicht der Geschäftsführung externe Unterstützung, da man<br />

sonst auf die Wichtigkeit nicht aufmerksam geworden wäre und sich schwer getan<br />

hätte. 621<br />

Der Geschäftsleitung wurde durch zwei Berater, die zuvor ein Projekt zur Divisionali-<br />

sierung in der MG Aargau/Solothurn begleitet hatten, nahegelegt, mit einer Teament-<br />

wicklung die Integration der Geschäftsleitung zu starten. Die Geschäftsleitung willigte<br />

ein, sich durch die beiden Berater (einen Kaufmann und einen Psychologen) begleiten<br />

zu lassen und erteilte ihnen eine „carte blanche“ für die Ausgestaltung des <strong>Prozess</strong>es.<br />

Die Berater organisierten zum Start eine dreitägige Geschäftsleitungs-Klausur, wovon<br />

zwei Tage <strong>als</strong> Outdoor-Event gestaltet wurden. Man flog mit dem Helikopter zum<br />

Aaregletscher und machte mit den Teilnehmern eine Outdoor-Übung bei schlechtem<br />

Wetter. Die Übung wurde – vor allem auf der kommunikationspsychologischen Ebene<br />

- ausgewertet und es wurde drei Tage lang an der Formung des Teams gearbeitet.<br />

Die Idee hinter dieser Intervention bestand darin, dass die Einzelnen bei den Outdoor-<br />

Übungen an ihre Grenzen stoßen und dadurch mit den eigenen Glaubenssätzen,<br />

Ängsten etc. konfrontiert würden. Es wurden auch tatsächlich Grenzen erreicht, über<br />

welche die Teilnehmer noch nie gesprochen hatten. Damit sollte eine Parallele zu der<br />

Fusionsphase geschaffen werden von der angenommen wurde, dass jeder Manager an<br />

einen Grenzbereich gelangen würde. Das Wissen, wie man <strong>als</strong> Manager mit diesen<br />

Grenzen oder Befürchtungen in Bezug auf die Fusion umgehen konnte, sollte die<br />

nötige <strong>Prozess</strong>sicherheit vermitteln. Die paradoxe Logik lautete: Unsicherheit zugeben<br />

und dadurch Sicherheit erreichen. Die Gewissheit sollte über die Vergewisserung der<br />

Ungewissheit erreicht werden. Vor dem Hintergrund einer Mehrebenenbetrachtung<br />

löst sich ein solch scheinbarer Widerspruch wieder auf. Das Ziel bestand <strong>als</strong>o darin,<br />

ein Klima der Offenheit zu gestalten. 622<br />

621 Vgl. Interview I66, I67.<br />

622 Vgl. Interview I71.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

Das Ziel des TEZetera-Integrationsprojekt war, eine möglichst schnell funktions-<br />

fähige, gemischt zusammengesetzte Geschäftsleitung zu bilden. Zuerst wurde die<br />

Teambildung durch den Outdoor-Event gestartet. In einer nächsten Phase ging es um<br />

eine Strategieüberarbeitung und Übungen, die dabei halfen, die kulturellen Unter-<br />

schiede aufzuarbeiten. Der <strong>Prozess</strong> war jeweils zweitägig und wurde durch die beiden<br />

Berater begleitet.<br />

Die Vision für das Geschäftsleitungsteam bestand darin, dass man mittels des<br />

TEZetera-<strong>Prozess</strong>es ein Hochleistungsteam werden könnte. Herausforderungen waren<br />

dabei insbesondere eine Werte-Diskussion (Werte der Geschäftsleitung), kulturelle<br />

Unterschiede, Teamprozesse (wer arbeitet mit wem? Outsideridentifikation? Netz-<br />

werke?), die Bildung einer starken Führungscrew, das bisherige Problemlösungs-<br />

muster bei der Behandlung von Inhaltsthemen („MIGROS-Macher-Kultur“) sowie ver-<br />

schiedne Themen, bei denen die externen Berater den Mitgliedern der Geschäfts-<br />

leitung den Spiegel vorhielten. Darüber hinaus brachten die Berater die Methodik des<br />

Kontraktmanagements ein und es wurden auf jeder Geschäftsleitung-Sitzung<br />

Konktrakte hergestellt und in Übungen immer wieder abgerufen. 623<br />

Die Vision des Hochleistungsteams der Geschäftsleitung führte dazu, dass durch die<br />

gute Entwicklung der Geschäftsleitung die unteren Ebenen nicht mit dem Ent-<br />

wicklungsprozess mithalten konnten. Dies lag zum einen daran, dass bzgl. der zweiten<br />

Hierarchieebene lange nicht erkannt wurde, wo die Stärken des Managements und der<br />

einzelnen Personen der zweiten Führungsebene waren, und worin Überforderungen<br />

der zweiten Ebene im <strong>Prozess</strong> bestanden. 624<br />

Die Geschäftsleitung hatte anfänglich die Wahrnehmung, dass die Organisation diesen<br />

<strong>Prozess</strong> im gleichen Tempo nachvollzog. Aus Sicht der übrigen Organisation bestand<br />

aber eine Lücke zwischen dem Entwicklungsstand der Geschäftsleitung und der Orga-<br />

nisation. Zwar wurden, im Anschluss an die Sitzungen der Geschäftsleitung, der Integ-<br />

rationsleiter und der Kommunikationschef jeweils darüber informiert, was von der<br />

Geschäftsleitung beschlossen worden war bzw. was kommuniziert werden sollte,<br />

trotzdem war das rasante Tempo der Geschäftsleitung auf diesem Wege nicht nach<br />

außen zu vermitteln.<br />

623 Vgl. Interview I71, I66.<br />

624 Vgl. Interview I71, I69.<br />

283


284<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Innerhalb der Geschäftsleitung wurde bei den monatlichen Sitzungen an konkreten<br />

Projekten gearbeitet und es wurde Raum gegeben, um Denkhaltungen, Grundwerte<br />

und Problemlösungsmuster der Geschäftsleitungskollegen kennen zu lernen und<br />

antizipieren zu können. Dabei wurde mit relativ einfachen Formen der Zusammen-<br />

arbeit begonnen. Mit der Zeit wurden dann zunehmend anspruchsvollere Aufgaben<br />

und <strong>Prozess</strong>e bis hin zum Konfliktmanagement anhand der inhaltlichen Probleme im<br />

Team bearbeitet. Es bestand Teilnahmepflicht für alle Geschäftsleitungsmitglieder.<br />

Die Mitglieder trafen sich i.d.R. an einem anderen Ort, abseits vom Tagesgeschäft, zu<br />

dem sie bereits gemeinsam anreisten. Die Sitzungen waren ausgerichtet auf konkrete<br />

Managementthemen, die im Rahmen der Integration anstanden. Auch Unangenehmes<br />

wurde dabei behandelt, sodass anlässlich der Erstellung eines Kostenstellenplans nicht<br />

nur hart diskutiert wurde, sondern auch Personen in Frage gestellt wurden. 625<br />

Aus Sicht der externen Begleiter war zu Beginn des <strong>Prozess</strong>es allerdings eine ausge-<br />

prägte Schonkultur, verbunden mit einem hohen Harmoniebedürfnis, vorhanden. Es<br />

gab nach Meinung vieler Interviewpartner in der ganzen MIGROS eine hohe<br />

Harmonienorm. In Verbindung mit dem Fehlen einer Leistungskultur, die Top-<br />

leistungen anerkannte, lobte und auch bezahlte, gingen die Mitarbeiter den Konflikten<br />

vorwiegend aus dem Weg. Die Konfliktfähigkeit wurde deshalb von Beginn an<br />

thematisiert und bis zum Abschluss immer wieder besprochen. Das Auftauchen dieser<br />

Themen wurde dabei durch die Neubesetzungen in der Geschäftsleitung gefördert, da<br />

dadurch nach Ansicht der Beteiligten ein „diskrepanterer Ton“ in die Geschäftsleitung<br />

einzog und auch unangenehme und persönliche Themen auf den Tisch kamen. 626<br />

Themen, die bei dem <strong>Prozess</strong> offen diskutiert wurden waren u.a.<br />

• der Umstand, dass es Gewinner und Verlierer bei einer solchen Fusion gibt und<br />

nicht mehr jeder die gleiche Funktion wie vor der Fusion haben konnte,<br />

• die Geschäftsleitungsmitglieder aus zwei unterschiedlichen Welten kamen und<br />

sich dies an verschiedenen Punkten zeigte,<br />

625 Vgl. Interview I66, I71.<br />

626 Vgl. Interview I71.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

• Feedback-Runden über die kulturellen Unterschiede und die verschiedenen<br />

Meinungen über die jeweils andere Genossenschaft. 627<br />

Nach Meinung verschiedener Interviewpartner führte das Projekt TEZetera dazu, dass<br />

die Geschäftsleitung ein starkes einheitlichen Auftreten zeigte. 628<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Die Initiative TEZetera kann aus systemtheoretischer Perspektive <strong>als</strong> eine<br />

Beobachtung 2. Ordnung aufgefasst werden: Die Geschäftsleitung begab sich<br />

unterstützt von zwei <strong>Prozess</strong>begleitern in die Metaperspektive und beobachtet das<br />

eigene Verhalten. Damit wurde der <strong>Prozess</strong> der Integration im Anschluss an die Fusion<br />

der beiden Genossenschaften nicht mehr dem Bereich des impliziten und individuellen<br />

Wissens überlassen, sondern es wurden die Selbstverständlichkeiten und im Vorhinein<br />

getroffene Annahmen über die andere Organisation explizit behandelt. Die<br />

unumgängliche Thematisierung der Beziehungsthemen erfolgte damit nicht mehr auf<br />

Stellvertreterschauplätzen sachlicher oder strategischer Fragen nach dem Motto „wer<br />

hat das bessere System?“, sondern es wurden anhand konkreter Integrationsthemen die<br />

dahinter liegenden und oftm<strong>als</strong> ausgeblendeten Beziehungsfragen thematisiert. Es<br />

wurden gewissermaßen die impliziten Wirkmomente expliziert.<br />

Die Differenzierung der Inhalts- und Beziehungsebene ergab dabei zwei erstaunliche<br />

Paradoxien: Erstens führte die bewusste Beachtung und aktive Bearbeitung der<br />

Beziehungsdynamik und der persönlichen Grenzen zu einer Zunahme an Gewissheit<br />

im hochkomplexen und –dynamischen <strong>Prozess</strong> des Unternehmenszusammenschluss.<br />

Das scheinbare Paradoxon, dass man über die Vergewisserung der eigenen Unge-<br />

wissheit Gewissheit gewinnt, fand damit seine Auflösung in der Mehrebenenbe-<br />

trachtung und Differenzierung von sozialer und inhaltlicher Dimension.<br />

Zweitens führte der Umstand, dass die Geschäftsleitung sich Zeit nahm für die eigene<br />

Entwicklung, überraschenderweise nicht dazu, dass der <strong>Prozess</strong> für die Gesamt-<br />

organisation langsamer wurde. Vielmehr erfolgte von Seiten der Organisation die<br />

Rückmeldung, dass die Geschäftsleitung der restlichen Organisation zu sehr voraus-<br />

eilte. Hieran zeigt sich deutlich, dass durch das zeitliche Investment in die<br />

Beziehungsarchitektur der Geschäftsleitung sich später auszahlte.<br />

627 Vgl. Interview I71.<br />

285


286<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Betrachtet man den TEZetera <strong>Prozess</strong> aus kultureller Perspektive, so stellt er sicher<br />

einen Gegensatz zur MIGROS-üblichen „Ärmel-hoch"-Mentalität dar. Der Verzicht auf<br />

einen ähnlichen <strong>Prozess</strong> auf der Ebene der Mitarbeiter und der Bruch zwischen der<br />

Geschäftsleitungsebene und der zweiten Führungsebene zeigt, dass ein dem TEZetera<br />

vergleichbarer <strong>Prozess</strong> für die übrige Organisation notwendig gewesen wäre. 629<br />

6.8 Zusammenfassung der verschiedenen Projekte<br />

Die vier vorgestellten Projekte stellen strategische <strong>Wandel</strong>initiativen mit einem mehr<br />

oder weniger deutlichen Bezug zu den zurückliegenden Fusionen der jeweiligen<br />

Organisation dar. Wenngleich sie teilweise nicht direkt im Anschluss an einen Unter-<br />

nehmenszusammenschluss stattfanden (z.B. ERP), so sind sie doch insofern typisch<br />

für eine Post-Merger-Phase, <strong>als</strong> sie die Schaffung neuer Strukturen, die Nutzung<br />

möglicher Synergien und eine Vereinheitlichung und Harmonisierung von <strong>Prozess</strong>en<br />

und Strukturen zum Ziel haben.<br />

Ausgelöst durch die neuen technischen Möglichkeiten integrierter IT-Systeme werden<br />

häufig die Geschäftsprozesse und die dahinterliegenden Routinen in den betroffenen<br />

Bereichen grundlegend verändert. Stellvertretend zeigen die beiden beschriebenen<br />

SAP-Einführungen, dass sich mit den neuen technischen Systemen eine Veränderung<br />

der Verantwortung, der Transparenz der Abläufe und Handlungsroutinen und damit<br />

auch der Führungs- und Organisationsstrukturen ergibt.<br />

Dies hat weitgehende Auswirkungen auf die soziale Logik und verändert über das<br />

Verständnis der Beziehungen der verschiedenen stakeholder auch das Verständnis der<br />

individuellen und organisationalen Identitäten. Es wäre an dieser Stelle ein gefähr-<br />

licher Irrtum anzunehmen, dass die Einführung einer neuen EDV über die Ablauf-<br />

organisation hinaus ohne weitere Konsequenzen bliebe.<br />

Ganz im Gegenteil: Wie bereits in Kapitel 2 aufgezeigt, erweisen sich bei einem<br />

Großteil der Fusionen die „soft issues“ i.d.R. <strong>als</strong> die härtesten Probleme. Es wird<br />

deshalb interessant sein, im weiteren Verlauf zu analysieren, wie in den verschiedenen<br />

Initiativen mit den Auswirkungen auf die soziale Logik des <strong>Prozess</strong>es und<br />

insbesondere mit der Veränderung der Identität im Rahmen der strategischen Projekte<br />

umgegangen wurde.<br />

628 Vgl. Interview I68.<br />

629 Vgl. zur Bedeutung und zum Umgang mit Paradoxien Littmann und Jansen, 2000.


Die Forschungspartner, ihr Umfeld, ihre Projekte<br />

6.9 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Unternehmen<br />

Wenngleich sich der Vergleich der strategischen <strong>Wandel</strong>prozesse in erster Linie auf<br />

die Gegenüberstellung der Projekte und nicht der Unternehmen bezieht, bietet eine<br />

vergleichende Betrachtung der beiden Unternehmen interessante Aufschlüsse für die<br />

hier interessierenden Fragen des strategischen <strong>Wandel</strong>s:<br />

Beide Unternehmen waren in einem gesättigten Markt tätig und standen aufgrund<br />

strategischer Überlegungen und zurückliegender Mergerprozesse vor einer grund-<br />

legenden Veränderung ihrer unternehmerischen Identität.<br />

Die SBT, bzw. ihre ehem<strong>als</strong> selbständigen Traditionsunternehmen, wurde durch die<br />

beiden Merger Teil eines Weltkonzerns und damit in der Folge mit Themen der<br />

Synergienutzung, der Vereinheitlichung von Produkten und <strong>Prozess</strong>en konfrontiert.<br />

Für die MIGROS AARE ergab sich nach ihrer Fusion ebenfalls die Notwendigkeit zur<br />

Vereinheitlichung verschiedener Systeme und Strukturen. Wenngleich diese vorder-<br />

gründig erst einmal nur Unternehmensfunktionen wie IT oder Logistik betrafen, hatte<br />

das unmittelbare Auswirkungen auf den Kern des organisationalen Selbstver-<br />

ständnisses.<br />

Die MIGROS <strong>als</strong> traditionelles Unternehmen im Detailhandel mit ausgeprägtem<br />

sozialen Selbstverständnis und die ehemaligen SBT Firmen mit einer charakteristisch<br />

technischen Orientierung hatten beide eine stark subsidiäre bzw. dezentrale Struktur.<br />

Hinsichtlich der Tradition ließen sich dabei die Divisionen durchaus mit den<br />

Genossenschaften vergleichen. Für beide stand in der Vergangenheit – und steht u.U.<br />

auch noch weiterhin – eine markt- und strategiebedingte Standardisierung zentraler<br />

Wertschöpfungsprozesse an. Interessanterweise reagierten beide Organisationen<br />

dadurch, dass sie sich quasi zum Vorreiter der Entwicklung machten und sich durch<br />

die Flucht nach vorne im Vergleich zu anderen Divisionen oder Genossenschaften eine<br />

gewisse Autonomie und Stärke in ihrem neuen Umfeld zu erarbeiten versuchten.<br />

Dass sich daraus für alle Beteiligten Herausforderungen hinsichtlich der neuen Spiel-<br />

regeln und der Selbst- und Fremdverständnisse ergaben, formulierte ein Manager <strong>als</strong><br />

die eigentliche Managementaufgabe für die bevorstehenden Jahre: „Give SBT a<br />

meaning.“ 630<br />

630 Vgl. Interview I68.<br />

287


288<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Die Implikationen, die sich daraus für die soziale Logik und die Beziehungsprozesse<br />

ergaben, werden wesentlicher Teil der folgenden empirischen Analyse sein.<br />

Da es dabei im weiteren nicht um einen Vergleich der Unternehmen geht, sondern um<br />

einen Vergleich der <strong>Wandel</strong>prozesse und ihrer identitätsbildenden Wirkung, erfolgt die<br />

weitere Analyse anhand des Vergleichs der strategischen Projekte und nicht des Ver-<br />

gleichs der Unternehmen. Es werden damit <strong>als</strong>o jeweils <strong>Prozess</strong>e aus verschiedenen<br />

<strong>Wandel</strong>initiativen gegenübergestellt und deren Implikationen für die Identitätsbildung<br />

untersucht.


Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />

7 Empirische Analyse der identitätsbildenden Wirkung<br />

strategischer Initiativen<br />

Die Erforschung von Mensch und Organisation bleibt eine unendliche Geschichte.<br />

Christoph Baitsch<br />

Die Beschreibung und Interpretation der <strong>Wandel</strong>phänomene wird nachfolgend entlang<br />

der von PETTIGREW vorgeschlagenen Dimensionen mit der Untersuchung der internen<br />

Kontexte und der <strong>Wandel</strong>prozesse fortgesetzt. 631 Dazu werden jeweils zuerst die<br />

Ergebnisse (first order findings) und dann die Interpretation der beschriebenen Pro-<br />

zesse aus der Perspektive des Forschers (second order findings) dargestellt. 632<br />

Während die <strong>Wandel</strong>inhalte der Projekte und der externe Kontext im vorangehenden<br />

Kapitel jeweils der Darstellung des jeweiligen Unternehmens zugeordnet waren,<br />

werden in diesem Kapitel der interne Kontext und die <strong>Wandel</strong>prozesse der vier Pro-<br />

jekte direkt und unabhängig vom jeweiligen Unternehmen miteinander verglichen.<br />

Das Augenmerk der Analyse liegt dabei auf der identitätsbildenden Wirkung der inter-<br />

nen Kontextfaktoren und <strong>Prozess</strong>aspekte der vier strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen.<br />

Dabei wird allerdings nicht eine systematische Analyse aller Aspekte, sondern ledig-<br />

lich eine durch die Forschungsfrage motivierte Strategie des „planned opportunism“<br />

befolgt, die besonders relevante Aspekte in komparativer Form darstellt. 633<br />

7.1 Der interne Kontext – eine strukturelle Analyse<br />

Die nachfolgende Analyse des internen Kontexts des organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />

geschieht in Anlehnung an PETTIGREW. Unter dem internen Kontext versteht er vor<br />

allem organisationale Strukturen und Kulturen. 634<br />

Um die Untersuchung dieser internen Strukturen zu systematisieren, wird die Analyse<br />

anhand der in Kapitel 4.2.7 vorgestellten Strukturprinzipien nach SPARRER/VARGA<br />

VON KIBÉD durchgeführt. 635 Es wird damit ein heuristischer Rahmen gesteckt, der die<br />

<strong>Wandel</strong>prozesse durch eine systemorientierte Brille wahrnimmt und ein Raster für die<br />

631 Vgl. zu den Dimensionen <strong>Wandel</strong>inhalt und externer Kontext das vorhergehende Kapitel Pettigrew, 1987.<br />

632 Vgl. Zum Umgang mit first- und second-order findings bei der ethnographischen Arbeit Van Maanen, 1983<br />

und Kapitel 3.3.1.<br />

633 Vgl. Pettigrew, 1990.<br />

634 Vgl. Pettigrew, 1987.<br />

635 Vgl. Kapitel 4.2.7 und Sparrer, 1997, Varga von Kibéd und Sparrer, 2000a.<br />

289


290<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Implikationen der Veränderungsprozesse bereitstellt. Im wesentlichen werden dabei<br />

die fünf Strukturprinzipien verwendet, um die Dynamik der internen<br />

Kontextveränderungen aufzuzeigen.<br />

Partnerorganisationen<br />

SBT<br />

Migros<br />

Aare<br />

Externer Kontext<br />

Externer<br />

Kontext SBT<br />

Externer Kontext<br />

Migros Aare<br />

<strong>Wandel</strong>inhalte<br />

<strong>Wandel</strong>inhalte<br />

(Projekte) (Projekte)<br />

BSC<br />

ERP<br />

PFC<br />

Postmerger PMI- PMI- -<br />

-<br />

projekte<br />

projekte<br />

Abbildung 82: Gedankenfluss Empirie<br />

Interner<br />

Kontext<br />

Analyse der<br />

Internen<br />

Kontexte<br />

7.1.1 Die zwei Seiten des <strong>Wandel</strong>s: Wertschätzung des Bestehenden und<br />

Erläuterung des Veränderungsbedarfs<br />

<strong>Wandel</strong>prozesse<br />

Analyse der<br />

<strong>Wandel</strong>- -<br />

prozesse<br />

Im Rahmen der <strong>Wandel</strong>- und Erneuerungsinitiativen ergab sich für die Protagonisten<br />

immer wieder die paradoxe Situation, dass die Einführung des Neuen <strong>als</strong> implizite Ab-<br />

wertung des bestehenden Alten gesehen werden konnte. Schlimmer noch: Um die Not-<br />

wendigkeit des <strong>Wandel</strong>s zu verdeutlichen, musste bisweilen erst eine Einsicht in die<br />

Unzulänglichkeit der bisherigen Vorgehensweisen erreicht werden. Dabei war stets der<br />

Umstand zu berücksichtigen, dass die Beteiligten sich oft stark mit dem Bestehenden<br />

identifizierten.<br />

Vignette: Abzulösende Systeme<br />

Durch die Einführung der SAP Software im Rahmen des ERP-Projekts<br />

wurden bisherige Softwareentwicklungen weitgehend überflüssig. Diese<br />

Lösungen waren in der Vergangenheit von den Mitarbeitern teilweise bis<br />

aufs äußerste in Eigenarbeit optimiert worden. Die Leitung des ERP-Pro-


Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />

jekts vermutete zu Beginn, dass an vielen Stellen im Unternehmen auch<br />

private Excelsheets und Datenbanken bestünden, welche die ursprünglichen<br />

Schwachstellen der Softwareplattform überbrückt hatten. Die Einführung<br />

einer neuen Plattform bedeutete für viele der betroffenen Mitarbeiter einen<br />

doppelten Rückschritt: Einerseits verlor man die individuell angepassten<br />

eigenen Lösungen und zum anderen auch die Möglichkeit, selbst flexibel<br />

und bedarfsgerecht Änderungen in den Programmen vorzunehmen. 636<br />

Ein ERP-Manager bekundete in diesem Zusammenhang seine Auffassung,<br />

dass nicht die technischen Probleme, sondern das Commitment und die Ko-<br />

operation im Projekt die erfolgskritischen Punkte seien. Er sprach sich ins-<br />

besondere dafür aus, dass es wichtig sei, die Tradition und das bestehende<br />

Wissen anzuerkennen. 637<br />

Die Aussagen der Leitung des ERP-Programms und der Geschäftsleitung<br />

insbesondere gegenüber den Landesgesellschaften waren von Beginn an<br />

geprägt durch die Anerkennung des Werts der bestehenden Software-<br />

systeme und die Entwicklungsarbeit, die dafür aufgebracht worden war.<br />

Angesichts der neuen Situation und des verschärften Wettbewerbs war es<br />

aus Sicht der Geschäftsleitung aber notwendig, ein neues System mit<br />

harmonisierten <strong>Prozess</strong>en einzuführen, um den Erfolg der Organisation in<br />

Zukunft zu sichern. 638<br />

So erklärte ein ERP-Manager bei der Kick-off-Veranstaltung für die<br />

Landesgesellschaft Schweiz, dass Anfang der 90er Jahre, <strong>als</strong> die bestehende<br />

Software eingeführt wurde, auf dem Markt noch keine ERP-Software er-<br />

hältlich war, die alle <strong>Prozess</strong>e in einem Unternehmen hätte abbilden<br />

können. Nachdem aber solche Lösungen mittlerweile entwickelt wären, sei<br />

es folgerichtig, die verschiedenen Detaillösungen durch eine integrierte<br />

ERP-Software zu ersetzen. Mit SAP bestünde eben jetzt seit wenigen<br />

Jahren die Möglichkeit, ein umfassende ERP-Lösung zu bekommen. 639<br />

636 Vgl. Beobachtung B114.<br />

637 Vgl. Beobachtung B058, B077.<br />

638 Vgl. Beobachtung B061.<br />

639 Vgl. Beobachtung B045, B046.<br />

291


Vignette: Wertschätzung für eine gesamte Organisation<br />

292<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Auch auf der Ebene der Gesamtorganisation bestand die Notwendigkeit<br />

einer solchen Anerkennung: Die Landesgesellschaft Deutschland verfügte<br />

bereits über ein eigenes funktionierendes SAP-System. Sie sollte aber in das<br />

neu zu entwickelnde, gesamteuropäische System integriert werden, wo-<br />

durch sie voraussichtlich auf bestimmte Vorteile wie z.B. die deutsch-<br />

sprachige Menüführung verzichten musste. Auf der anderen Seite konnten<br />

durch die Größenvorteile einer gesamteuropäischen Lösung auch zusätz-<br />

liche Module, wie etwa eine Industrielösung, entwickelt werden, in deren<br />

Genuss dann auch die deutsche Landesgesellschaft kam.<br />

Um die besondere Rolle der deutschen Landesgesellschaft zu würdigen,<br />

wurde im Verlauf des Projekts der Geschäftsführer der Landesgesellschaft<br />

Deutschland auch in das Steering Comittee des Projekts einberufen. Damit<br />

sollte die Bedeutung der Landesgesellschaft auch nach außen hin doku-<br />

mentiert werden und die erfolgskritische Zusammenarbeit garantiert<br />

werden. 640<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Veränderungen wie auch die, in der deutschen Landesgesellschaft können eine<br />

Abwertung des Bestehenden enthalten: Wenn das Bestehende noch gut genug wäre,<br />

gäbe es keine Veranlassung es zu ersetzen. Diese Abwertung der bestehenden Lösung<br />

führt dann in einen Teufelskreis, der sich negativ auf die Wertschätzung, Kooperation<br />

und die Einsicht der Notwendigkeit der Veränderung auswirkt.<br />

Abwertung der bestehenden<br />

Lösung<br />

-<br />

-<br />

640 Vgl. Beobachtung B069, Interview I59.<br />

Persönliche Akzeptanz<br />

& Wertschätzung<br />

Einsicht in die Notwendigkeit<br />

des <strong>Wandel</strong>s<br />

Bereitschaft zur<br />

Kooperation<br />

Abbildung 83: Auswirkung der Abwertung des Bestehenden<br />

-<br />

-


Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />

Die paradox anmutende Anfangsaufgabe der Agenten des <strong>Wandel</strong>s besteht somit<br />

darin, das Alte <strong>als</strong> gut anzuerkennen und zu würdigen, gleichzeitig aber klar zu<br />

kommunizieren, dass damit die Zukunft nicht zu meistern ist. 641<br />

Im Fall der ERP-Einführung war der wertschätzende Umgang der Projektleitung mit<br />

den Ländergesellschaften die Voraussetzung für den Erfolg des Projekts. Akzeptanz<br />

und Einverständnis der Länder für den <strong>Wandel</strong>prozess wurden über einen intensiven<br />

Dialog erreicht, der das Bestehende ausreichend würdigte, gleichzeitig aber deutlich<br />

machte, dass es nicht ausreichen würde, um in Zukunft weiterhin erfolgreich zu<br />

sein. 642<br />

Aus diesem Grund musste zu Beginn kommuniziert werden, warum eine neue Soft-<br />

wareplattform überhaupt notwendig war. Es ging dabei insbesondere darum, das stra-<br />

tegische Potential und die zu erwartenden Nutzenaspekte zu verdeutlichen. Im<br />

vorliegenden Fall wurde die Situation noch zusätzlich dadurch verschärft, dass die<br />

neue Plattform für einige Mitarbeiter einen Rückschritt bedeutete. Zwar gewann die<br />

Organisation, etwa durch das Vermeiden von Mehrfacheingaben, an Effizienz auf der<br />

Gesamtebene. Aber es konnte für einzelne Mitarbeiter eine deutliche Verschlechterung<br />

in ihren Arbeitsroutinen bedeuten. Diese häufig nicht zu vermeidenden Konsequenzen<br />

auf der Ebene der Geschäftsprozesse (Inhaltsebene) machen eine umso stärkere<br />

Gestaltung einer tragfähigen Sozialarchitektur (Beziehungsebene) notwendig. Als<br />

erster Schritt zu einer solchen tragfähigen Sozialarchitektur kann in der Anerkennung<br />

des Bestehenden gesehen werden. Darin wird gleichzeitig auch die Nichtleugnung der<br />

bestehenden Identität der Mitarbeiter, Muster und Organisationsroutinen deutlich.<br />

Diese Identität ist häufig stark mit den bisherigen Ergebnissen in Form von Strukturen,<br />

Produkten u.a. verbunden.<br />

Eine interessante Vorgehensweise wurde in diesem Zusammenhang bei der Fusion der<br />

beiden MIGROS Genossenschaften gewählt. Hier ließ man die Mitarbeiter in der<br />

Fusionsphase ein „Buch“ schreiben, damit diese von den alten Organisationen Ab-<br />

schied nehmen konnten. Sie konnten dabei in freier Form ihre Eindrücke zur Integra-<br />

641 Eine Möglichkeit diese Paradoxie aufzulösen besteht etwa darin, dass für alle Beteilitgten deutlich wird, dass<br />

vergangene Lösungen zwar in einem zurückliegenden Kontext geeignet waren, mittlerweile aber keine gute<br />

Lösung mehr darstellen.<br />

642 Dazu bemerkt Wimmer 1999, S. 176 allgemein: „Es ist eine Voraussetzung, dass das Bedrohungspotenzial,<br />

das in einer Fortführung der bisherigen Erfolgsmuster steckt, plausibel gemacht werden kann.“<br />

293


294<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

tion schildern. Das Ziel dabei war, durch die Anerkennung der alten Organisation das<br />

Loslassen zu fördern. 643<br />

7.1.2 Zugehörigkeit <strong>als</strong> oberstes Prinzip<br />

Das Prinzip der Zugehörigkeit spielt für die System-Umwelt-Unterscheidung einer<br />

Organisation eine zentrale Bedeutung. Eng verbunden damit ist die Frage nach der<br />

Existenz des Systems, weil die Systemgrenze und die Gleichwertigkeit der Zuge-<br />

hörigkeit auch das Überleben des Systems sichert.<br />

Vignette: Merger oder „erst mal den Laden zusammen halten, dann Synergien<br />

nutzen“<br />

Das Management des Mergers bei L&S war - wie bereits angedeutet - durch<br />

ein stark subsidiäres Vorgehen geprägt. Der Leiter, der dieses Prinzip gera-<br />

dezu verkörperte, entschied sich sehr früh gegen ein Business Reen-<br />

gineering, die Einführung eines ERP oder ein dem ERP vergleichbares<br />

Programm zur Kostensenkung in der ersten Phase. Vielmehr wurde die<br />

Integration in zwei Phasen gestaltet:<br />

In der ersten Phase bestanden die Ziele vor allem darin, ein Team zu bilden,<br />

eine gemeinsame Identität aufzubauen, den gemeinsamen Kundenstamm zu<br />

erhalten und eine gemeinsame Planung und Budgetierung vorzunehmen.<br />

Dazu wurden früh die Mitglieder der neuen Geschäftsleitung am HQ be-<br />

stimmt. In den Ländern übernahm jeweils einer der beiden Geschäftsführer<br />

(L&G oder STAEFA CONTROL) <strong>als</strong> neuer Leiter der LANDIS&STAEFA die<br />

Verantwortung. Man betrieb auch schnell die Zusammenführung der Stand-<br />

orte. Anschließend wurden die wichtigsten Mitarbeiter aus den Ländern in<br />

einem Workshop zusammengerufen und die Strategie und Struktur der<br />

Organisation erarbeitet. Damit hatte man sehr schnell für eine Stabilisierung<br />

der DUs und des Geschäfts gesorgt.<br />

Ein Manager beschrieb das zentrale Anliegen in dieser Phase damit, dass<br />

man in der ersten Phase „um Himmels willen Geschäftsvolumen behalten“<br />

wollte, <strong>als</strong>o den Fokus auf die Bewahrung der Marktanteile und weniger auf<br />

Effizienz oder Optimierung legte. Man handelte nach dem Motto: „Kunden,<br />

die wir jetzt verlieren, sind viel schwieriger wiederzuholen <strong>als</strong> ein schlech-<br />

643 Vgl. Interview I71, I66.


Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />

tes Geschäftsjahr. Das Jahr hängt sowieso durch. Aber wenn man die<br />

Kundenbasis noch hat, hat man eine wesentlich besserer Ausgangslage für<br />

die Verbesserung der Effizienz.“ 644<br />

In der zweiten Phase arbeitete man dann stärker an der Erhöhung der Pro-<br />

fitabilität und der Harmonisierung der IT. Dies sollte durch die beiden stra-<br />

tegischen Projekte ERP und DESIGO geschehen. Man erwartete davon eine<br />

deutliche Effizienzsteigerung. 645<br />

Nachdem damit der Bestand und die Existenz gesichert waren, ging man<br />

die Frage der Effizienzsteigerung an. Das kam vor allem in einer erhöhten<br />

EBIT-Orientierung sowie der Einführung des ERP zum Ausdruck. Insbe-<br />

sondere vom ERP erhoffte man sich mit zunehmender Zeit eine Kostenein-<br />

sparung aufgrund der harmonisierten Geschäftsprozesse. 646<br />

Vignette: Geht es auch umgekehrt? Über Shared Service zum Merger?<br />

Mit dem Shared Administrative Service Projekt (SAS) versuchte die SBT,<br />

administrative Funktionen, die bislang von jeder Division noch selber aus-<br />

führt wurden, in einem „internen outsourcing“ für alle Divisionen zu<br />

bündeln. Hierzu waren vor allem die Funktionen Finance & Accounting, IT<br />

Infrastructure Services, IT Back Office Applications und Personnel<br />

Administration vorgesehen.<br />

Durch Service Level Agreements mit den Divisionen und durch standardi-<br />

sierte <strong>Prozess</strong>e sollte die neue Shared Administrative Service Organisation<br />

ehrgeizige Kosteneinsparung realisieren und das Management von<br />

administrativen <strong>Prozess</strong>en entlasten. Allerdings sollte sie keine eigene<br />

P&L-Verantwortung tragen.<br />

Die Konsequenz für die Organisationen war vergleichbar mit der des<br />

Mergers und des ERP: Es wurde damit eine organisationale Zusammen-<br />

legung von Teilen bisher unabhängiger Organisationen und eine Standardi-<br />

sierung ihrer <strong>Prozess</strong>e erforderlich. Aufgrund der Schnittstellenproblematik<br />

äußerten sich verschiedene Interviewpartner skeptisch, inwieweit eine<br />

644 Vgl. Interview I21.<br />

645 Vgl. Interview I64, I02.<br />

646 Vgl. Interview I04, I06.<br />

295


296<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

solche Standardisierung den Bereich der eigentlichen Business Units aus-<br />

sparen könnte. Nach Meinung eines Interviewpartners kam deshalb das<br />

Shared Service Projekt teilweise einem Merger zwischen den Divisionen<br />

gleich.<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Der Erfolg des ERP-Projekts kann u.a. darauf zurückgeführt werden, dass die Zuge-<br />

hörigkeitsaspekte eines Systems beachtet wurden. Der Organisation wurde Zeit ge-<br />

geben, die Systemgrenzen neu zu definieren, zu bilden und zu festigen, bevor man<br />

daran ging, die Leistungsfähigkeit zu verbessern.<br />

Das SAS-Projekt wurde demgegenüber von einigen Beteiligten von Beginn an <strong>als</strong><br />

„sehr politisch“ beschrieben. Es stellt sich die Frage, wie angesichts der Implikationen<br />

für die organisationale Zugehörigkeit eine Vermischung der Optimierung der<br />

Geschäftsprozesse mit Fragen der Zugehörigkeit hätte vermieden werden können.<br />

Ohne eine Klärung und Etablierung der Systemgrenzen ist das Scheitern eines<br />

betriebswirtschaftlich möglicherweise sinnvollen Outsourcings der administrativen<br />

Funktionen an den Tretminen ungeklärter organisationaler Zugehörigkeitsfragen sehr<br />

wahrscheinlich. 647 Abbildung 84 macht das Spannungsfeld zwischen der Unsicherheit<br />

bzgl. der Zugehörigkeit und dem wirtschaftlichen Erfolg deutlich.<br />

-<br />

Unsicherheit bzgl.<br />

der Zugehörigkeit<br />

Bereitschaft zur Optimierung<br />

der Geschäftsprozesse<br />

EBIT<br />

-<br />

+<br />

Abbildung 84: Konflikt zwischen Zugehörigkeit und Leistung<br />

In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf, wie viel man einer Organisation<br />

im Rahmen von Veränderungsinitiativen zumuten darf. Kann z.B. ein Systemwechsel<br />

<strong>als</strong> ein „window of opportunity“ zur Verbesserung, zur Innovation oder auch für ein<br />

Reengineering genutzt werden? Muss eine Verbesserung oder ein Reengineering vor-<br />

her oder im Anschluss an eine Systemeinführung wie die eines SAP durchgeführt<br />

werden, um die „Verdauungskapazität“ der Organisation nicht zu sehr zu strapazieren?<br />

647 Vgl. Interview I37.<br />

:


Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />

Ein Blick auf die Systemprinzipien macht deutlich, dass die Reihenfolge ihrer Beach-<br />

tung von Bedeutung ist. Es geht aus dieser Perspektive nicht um die Frage des „wie<br />

viel“, sondern um die Beachtung der Reihenfolge der Prinzipien. So bedarf, wie im<br />

Falle des ERP-Programms im Anschluss an einen Merger, die Zugehörigkeit und<br />

damit die Existenz des Systems primär der Managementattention, bevor man sich<br />

Fragen der Leistungsfähigkeit (EBIT) zuwendet.<br />

Das muss nicht, wie im vorliegenden Fall, durch eine mehrjährige Karenzzeit gelöst<br />

werden, sondern bedarf eines gezielten Managements der Fragen der Zugehörigkeit,<br />

der zeitlichen Reihenfolgen usw. Nur so werden die impliziten systemischen Ebenen<br />

des <strong>Wandel</strong>s externalisiert.<br />

Die aktive Auseinandersetzung mit ausgeblendeten Aspekten z.B. bei der Fusion von<br />

Organisationen, dem Outsourcing oder dem Reengineering kann ein Management<br />

impliziter <strong>Wandel</strong>prozesse ermöglichen. Damit wird es möglich, nicht nur auf den<br />

Faktor Zeit zu setzen und darauf zu warten, dass sich die Dinge beruhigen.<br />

Hinweise zu Möglichkeiten eines solchen Managements idealtypischer organisatio-<br />

naler Bruchstellen werden im abschließenden Kapitel skizziert. 648<br />

Vignette: Der Wert der Zugehörigkeit oder das olympische Motto – dabei sein ist<br />

alles<br />

Anlässlich eines europäischen HR-Manager Meetings wurde von einer Pro-<br />

jektgruppe ein neues Projekt zum Coaching von Mitarbeitern vorgestellt.<br />

Ziel des Projekts war es, durch ein Coaching Mitarbeiter und Organisatio-<br />

nen in Veränderungen und Entwicklungen zu unterstützen. Eine Projekt-<br />

gruppe hatte dazu im Rahmen eines zweitägigen Workshops ein gemein-<br />

sames Verständnis erarbeitet und stellte auf einem internationalen HR<br />

Meeting das Konzept den Personalleitern aus den Ländern vor. Es sollte im<br />

Anschluss Feedback eingeholt werden und man wollte sich gemeinsam<br />

Gedanken über einen möglichen Einführungsprozess machen.<br />

Bereits früh wurde deutlich, dass die Vorstellung von dem, was unter<br />

Coaching zu verstehen sei, sehr unterschiedlich war. So wurden vor allem<br />

die Rolle, die Verantwortung und die Kompetenzen eines Coachs und des<br />

Coachee diskutiert.<br />

648 Vgl. Kapitel 8.2.<br />

297


298<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Bereits die Diskussion in der Gruppe zeigte, dass es unterschiedliche Kon-<br />

zepte über das Coaching gab, bislang aber kaum Erfahrungen dazu<br />

vorlagen. Es breitet sich in der Folge Unmut aus, weil die Projektgruppe<br />

selbst offensichtlich ein weitgehend einheitliches Verständnis von Coaching<br />

hatte, während bei allen anderen unterschiedliche Vorstellungen darüber<br />

vorlagen.<br />

Einige Teilnehmer aus den Ländern fragten schließlich an, ob das Manage-<br />

ment im HQ auch hinter diesem Konzept stünde und wie eine Zusammen-<br />

arbeit mit dem <strong>als</strong> sehr business- und zahlenorientierten Management in den<br />

Ländern aussehen könne. Es wurden Vermutungen geäußert, dass dem<br />

lokalen Management der Nutzen des Coaching nur schwer dargestellt<br />

werden könne, die Annahme des Konzepts aber wesentlich von dem lokalen<br />

Management abhängen würde. 649<br />

In einem späteren Gespräch mit einem beteiligten HR-Manager äußerte sich<br />

dieser kritisch darüber, dass sowohl die Bedürfnisse und Wünsche der<br />

Länder <strong>als</strong> auch die Anforderungen des lokalen Managements nicht richtig<br />

integriert gewesen seien.<br />

In einem späteren Workshop mit einigen Verantwortlichen für das Coa-<br />

ching-Konzept zeigte sich zudem die exklusive und kaum integrierte<br />

Position der Teams innerhalb der Organisation. In der Besprechung wurde<br />

deutlich, dass man bei den strategischen Projekten kaum dabei war, kaum<br />

mit dem leitenden Management zusammenarbeitete und der Zugang zur<br />

Organisation hauptsächlich über das lokale HR-Management lief, nicht<br />

aber über die direkt Betroffenen.<br />

Diese Beobachtungen deckten sich auffallend mit der Erfahrung, dass in<br />

den strategischen <strong>Wandel</strong>projekten, wie beispielsweise dem ERP, trotz<br />

großen Coaching-Bedarfs, das HR kaum vertreten war. 650<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Das Beispiel zeigt, wie sich die Zugehörigkeit und die Beteiligung an <strong>Wandel</strong>-<br />

initiativen nachhaltig auf die Identität der beteiligten Akteure oder Abteilungen<br />

649 Vgl. Beobachtungen B100, B109, Dokument D61.<br />

650 Vgl. Interview I31, B016, B60, B092, B056.


Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />

auswirken kann. Das HR stand und steht dabei vor der Herausforderung, häufig bzgl.<br />

der fachlichen Seite wie etwa dem Reengineering oder einer SAP-Einführung, wenig<br />

inhaltliches Wissen zu besitzen aber für die <strong>Prozess</strong>aspekte ein möglicher<br />

Ansprechpartner sein zu wollen.<br />

Eine strategische Richtungsentscheidung in der Vergangenheit hatte im vorliegenden<br />

Fall zudem auch zu einer stärkeren Kooperation mit den HR-Abteilungen zu<br />

ungunsten des direkten Zugangs zum operativen Managements geführt. Der Rückzug<br />

aus den strategischen <strong>Wandel</strong>initiativen machte die Abteilung damit nicht mehr zum<br />

Ansprechpartner für das „kritische Management“ und resultierte in entsprechenden<br />

Kooperationsschwierigkeiten.<br />

7.1.3 Wachstum und Fortpflanzung – eine Frage der Reihenfolge<br />

Neben der Zugehörigkeit stellen Wachstum und Fortpflanzung eines Systems nach<br />

SPARRER und VARGA VON KIBÉD wichtige Systemorientierungen dar. Für die folgende<br />

Betrachtung des Wachstums und der Fortpflanzung ist entscheidend, ob ein Subsystem<br />

einer Organisation primär <strong>als</strong> System für sich oder <strong>als</strong> Element eines Gesamtsystems<br />

wahrgenommen wird. 651<br />

Vignette: PFC<br />

Wachstumsinitiativen in investitionsintensiven Business Units wie dem<br />

PFC stehen häufig vor dem Dilemma der Vereinbarkeit von Wachstum und<br />

Profitabilität: Im PFC musste durchschnittlich für jede zusätzliche<br />

Umsatzmillion ein neuer Mitarbeiter eingestellt werden. Dies bedeutete<br />

Investitionen in Höhe von 200.000 DM für die Ausbildung und den<br />

Arbeitsplatz und hatte damit kurzfristig negative Auswirkungen vor allem<br />

auf die Profitabilität. 652<br />

In den ersten Jahren nach seiner Gründung wurde das aus dem Service-<br />

bereich stammende PFC eher <strong>als</strong> eine „Experimentalgruppe“ gesehen. Die<br />

Leitung des PFC kämpfte in dieser Zeit um die Existenz und die Aner-<br />

kennung des PFC und schraubte dazu die Ergebniserwartungen hoch. Es<br />

wurden insbesondere in der Anfangsphase in möglichst vielen inner- und<br />

651 Die Anwendung dieser Differenzierung geht auf Matthias Varga von Kibéd zurück. Vgl. näheres zur<br />

Unterscheidung in der abschließenden „Interpretation im Gesamtkontext“.<br />

652 Vgl. Dokument B105.<br />

299


300<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

außereuropäischen Ländern PFC-Teams in den Landesgesellschaften von<br />

L&S gegründet. Damit war die Hoffnung vieler PFC Manager verbunden,<br />

dass eine breite Präsenz in den Ländern und ein gewisses Volumen zur<br />

Anerkennung <strong>als</strong> Segment führen würde. Allerdings entstanden durch das<br />

Engagement in Ländern wie in Dubai oder Saudi-Arabien auch gewisse<br />

Schwierigkeiten. So stellte man nach einer großen Expansionsphase fest,<br />

dass in manchen Ländern die organisationalen Voraussetzungen nicht<br />

erfüllt waren oder noch kein genügend großes Kundeninteresse am PFC<br />

bestand. So verbesserten sich die Finanzkennzahlen in dieser Zeit nicht<br />

substantiell. Man hatte die Wachstumsanstrengungen aus „Überlebens-<br />

gründen“ offensichtlich übertrieben. 653<br />

Bezeichnend für die hohe Bedeutung lokalen Wachstums war in dieser<br />

Phase der Umgang mit einer lange unprofitablen Landesgesellschaft. Dort<br />

wurde über mehrere Jahre viel Geld investiert, aber die Landesgesellschaft<br />

erwirtschaftete regelmäßig negative Ergebnisse. Die verantwortlichen<br />

Manager scheuten sich davor, das PFC in diesem Land zu schließen. Sie be-<br />

fürchteten eine negative Signalwirkung und wollten dem jungen Segment<br />

einen gewissen Vorrang einräumen. 654<br />

Zusätzlich erschwerend kam für das PFC der hohe Marktanteil von L&S<br />

von bis zu 50% in einem weitgehend stagnierenden Markt hinzu. Der hohe<br />

Marktanteil relativierte die Bedeutung des Wachstums für die Unter-<br />

nehmung. Nach Ansicht eines Interviewpartners fehlte eine „Wachstums-<br />

kultur“ und somit stand die Wachstumsinitiative im Widerspruch zu<br />

aktuellen, gewinnorientierten Wert- und Zielvorstellungen im Unter-<br />

nehmen. 655<br />

Aber auch das Wachstum durch Zukäufe war für das PFC nicht unproble-<br />

matisch: In der Phase des Mergers zwischen L&G und STAEFA CONTROL<br />

war das PFC bedroht, weil die Unternehmung „größere Probleme hatte“.<br />

Man entschloss sich deshalb, einen vorübergehenden Stillstand einzulegen<br />

und das PFC in dieser Phase nicht weiter zu forcieren. Es sollte nicht weiter<br />

653 Vgl. Interview I43.<br />

654 Vgl. Interview I07.<br />

655 Vgl. Interview I40.


Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />

aufgebaut werden und durfte keine Verluste einfahren. Für die Unter-<br />

nehmensleitung stand die Integration der beiden Unternehmen zuvorderst.<br />

Das neue kleine Segment war demgegenüber nachrangig. Nach voll-<br />

zogenem Merger wollte man das Wachstum des PFC weiter betreiben. 656<br />

Die notwendigen Investitionen für einen Ausbau des PFC wurden zu dieser<br />

Zeit ohnehin vor allem für die strategischen Herausforderungen, die sich<br />

aus dem Merger ergeben hatten, insbesondere für das DESIGO und das<br />

ERP benötigt. Dadurch wurden der Freiraum und die Ressourcen für inno-<br />

vative Initiativen zusätzlich eingeschränkt. 657<br />

Das Verhältnis des PFC zu anderen Segmenten war in dieser Zeit durch die<br />

Integrationsbemühungen und die EBIT-Anstrengungen nicht auf Wachstum<br />

ausgerichtet. Die starke Subsidiarität hemmte zusätzlich das Wachstum<br />

zentral initiierter Segmente. Die Bonusstruktur der Führungskräfte in den<br />

Landesgesellschaften war auf kurzfristige Erfolge ausgerichtet. Das PFC<br />

wurde von ihnen nicht <strong>als</strong> ein zusätzliches Geschäft, sondern eher <strong>als</strong> eine<br />

unsichere Kannibalisierung des bestehenden Geschäfts wahrgenommen.<br />

Nach dem Abschluss des Mergers setzte die Geschäftsleitung strategisch<br />

wieder auf Wachstum und die Entwicklung neuer Business Initiativen. Als<br />

Ausdruck dessen wurde ein so genanntes Growth Team gegründet. Dessen<br />

gedankliche Grundlage wurde u.a. das Buch von McKinsey „The Alchemy<br />

of Growth“. 658 in dem die Methode der „Three Horizons“ vorgestellt<br />

wurde. Daneben wurde ein <strong>Prozess</strong> zur Formulierung und Begleitung stra-<br />

tegischer Initiativen entwickelt. 659 Beide Methodologien fanden in der<br />

Folge Eingang in das strategische Denken des Managements. 660<br />

In dieser Zeit änderte sich allmählich auch das Image des PFC. Es wurde<br />

nun langsam <strong>als</strong> ein strategisches Wachstumssegment wahrgenommen und<br />

656 Vgl. Interview I53.<br />

657 Vgl. Interview I28, I29.<br />

658 Vgl. Baghai, et al., 1999.<br />

659 Vgl. Beobachtungen B103, B086, B099, Dokumente D59, D60.<br />

660 Vgl. Beobachtung B105.<br />

301


302<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

begann gleichberechtigt neben den bereits etablierten Segmenten zu<br />

stehen. 661<br />

Allerdings zeigte sich der Umstand, dass die Organisation das PFC lange<br />

nicht <strong>als</strong> eigenständiges Segment und somit <strong>als</strong> Systemelement wahrge-<br />

nommen hatte, noch einmal deutlich im Verlauf des ERP-Projekts. Dort<br />

wurde das PFC lange <strong>als</strong> Teil des Segments Contracting betrachtet, obwohl<br />

die Segmente auf grundlegend verschiedene <strong>Prozess</strong>e aufbauten lagen. So<br />

wurde erst sehr spät im PFC mit dem Modelling der <strong>Prozess</strong>e begonnen. 662<br />

Auf dem Weg zum selbständigen Segment unterstützten zwei Umstände<br />

den Weg des PFC zu einer stärkeren Eigenständigkeit: Erstens wurden in<br />

den osteuropäischen Ländern aufgrund finanztechnischer Voraussetzungen<br />

rechtlich unabhängige PFC-Organisationen gegründet, die nicht in der<br />

L&S-Struktur integriert waren und sich damit nicht mit den anderen Seg-<br />

menten auseinandersetzen mussten. 663 Der Umstand, dass die Entwicklung<br />

in diesen Ländern stabil und erfolgreich war, förderte die Selbständigkeit<br />

des PFC sehr. Hier wurden auch jeweils ausreichend große Teams gegrün-<br />

det (Critical Mass) bei denen mit ca. 6-8 Personen ein kontinuierliches<br />

Geschäft aufgebaut werden konnte. Dadurch war es möglich, ausreichend<br />

Aufträge bei gleichzeitiger guter Abwicklung der laufenden Projekte zu<br />

garantieren.<br />

Zweitens wurde im September 2000 in jeder Region ein Regionalleiter PFC<br />

benannt. Damit wurde das PFC <strong>als</strong> normales Segment neben den beste-<br />

henden Segmenten geführt und hatte den Sprung von einer Wachstums-<br />

initiative in die normale Organisationsform der übrigen Segmente voll-<br />

zogen. 664<br />

In der Folgezeit trat das PFC – unterstützt durch personelle Wechsel in der<br />

Führung des PFC-EU – in eine Konsolidierungsphase. Während in der Ver-<br />

gangenheit der strategische Aufbau in Sinne eines klassischen Business<br />

Development im Vordergrund stand, kam es nun zu einem Paradigmen-<br />

661 Vgl. Interview I30.<br />

662 Vgl. Beobachtungen B136.<br />

663 Vgl. Beobachtungen B106.<br />

664 Vgl. Beobachtung B057, B80.


Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />

wechsel und zu mehr Profitabilität. Ausdruck war ein zunehmendes<br />

Business Improvement, bei dem es nicht mehr um die Entwicklung von<br />

Tools ging, sondern vor allem um den Erfahrungsaustausch unter den<br />

Ländern (best practice). 665<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Das beschriebene Wachstum des PFC stellte einen <strong>Prozess</strong> dar, der für die Organisati-<br />

on eigentlich kein neues Phänomen war. Auch die bestehenden Segmente hatten sich<br />

in der Reihenfolge Produktsegment-Systemsegment-Servicesegment auseinander ent-<br />

wickelt. Ähnlich wie der <strong>Wandel</strong> vom Produkt- zum Systemgeschäft stellte das PFC<br />

den <strong>Wandel</strong> vom Systemgeschäft zum Geschäft mit Energieeinsparungen und Dienst-<br />

leistungen dar. Allerdings bedeutete diese Unterscheidung für weite Teile der<br />

Organisation (noch) keinen relevanten Unterschied.<br />

Für diese Systembildung stellen sich zwei Möglichkeiten der organisationalen Genese:<br />

erstens die Entwicklung innerhalb eines bestehenden Systems. Dabei wird wie im vor-<br />

liegenden Fall auf der Ebene des HQ innerhalb der bestehenden Organisation ein<br />

weiteres Segment gegründet.<br />

Zweitens: der „grüne Wiese Approach“. Bei ihm wird ausserhalb der Firma eine neue<br />

Organisation gegründet. Dieser <strong>Prozess</strong> fand im Falle des PFC aus rechtlichen<br />

Gründen bei den osteuropäischen Ländern statt.<br />

Da ein entscheidender Wettbewerbsvorteil die starke lokale Präsenz und Kundennähe<br />

war, büßten diese neuen Organisationen potenziell einen gewissen Startvorteil bei den<br />

Kunden und gewisse Synergien mit den etablierten Landesgesellschaften ein. Diese<br />

Synergien mussten erst aufgebaut werden. Auf der anderen Seite ergaben sich aus<br />

diesem Neuanfang unternehmerische Freiheiten, die für den schnellen Aufbau eines<br />

Business Segments mit einer veränderten Logik einen Wettbewerbsvorteil darstellen<br />

konnten.<br />

Aus systemischer Perspektive stellt sich das Wachstum einer Organisation und dessen<br />

Fortpflanzung <strong>als</strong> ein zweiphasiger <strong>Prozess</strong> dar. Während in der ersten Phase das neue<br />

Segment i.d.R. einen deutlichen Vorrang vor anderen Systemelementen genießt, muss<br />

es sich <strong>als</strong> jüngstes Segment in der zweiten Phase nach der Etablierung „hinten“ ein-<br />

665 Vgl. Interview I07 und I30.<br />

303


304<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

reihen. Gefahren liegen dabei einerseits in der mangelnden Wertschätzung der alten<br />

Segmente, bzw. einem Ausgleich für den Platz, den sie für das neue Segment frei-<br />

machen mussten; zum anderen in einer möglichen Reabsorption des jüngeren und<br />

noch schwachen Segments durch das ältere System. 666<br />

Schwierigkeiten in der Kooperation zwischen den Segmenten deuteten teilweise auf<br />

eine mangelnde Anerkennung der älteren Segmente durch ein neues Segment wie das<br />

PFC hin. Nach SPARRER und VARGA VON KIBÉD kann die Beachtung und<br />

Anerkennung der zeitlichen Reihenfolge der Systemelemente, Gegenreaktionen gegen<br />

das Wachstums des Systems vermeiden.<br />

Aus dieser systemischen Perspektive liegt der Schlüssel zum Wachstum und zur Fort-<br />

pflanzung sowie mögliche Konflikte von Unternehmen nicht in der Struktur, sondern<br />

im Umgang mit der Struktur (hier den Segmenten). Darunter ist insbesondere der Vor-<br />

rang des Neuen vor dem Alten und die Beachtung der zeitlichen Reihenfolge zwischen<br />

Elementen eines Systems zu verstehen.<br />

Phase 1 Phase 2<br />

PFC CON CSV<br />

CON CSV PFC<br />

• Neues „Baby“ PFC<br />

• Neues System hat Vorrang (z.B.<br />

Investitionen, geringere Gewinnerwartungen<br />

• Verhältnis zu etablierten Segmenten<br />

u.U. problematisch (Kommunikation,<br />

Zusammenarbeit, etc.)<br />

• PFC <strong>als</strong> „normales“ Segment neben anderen<br />

• PFC <strong>als</strong> Teil des Systems; etablierte ältere<br />

Systeme haben Vorrang (Systemwachstum)<br />

• Verhältnis zu anderen Segmenten entspannter,<br />

aber: PFC nun „nichts besonderes mehr“!<br />

Abbildung 85: Phasen der Entwicklung eines neuen Geschäftssegments<br />

Beides trifft im vorliegenden Fall zu: Das Segment wurde zu Beginn <strong>als</strong> neues System<br />

wahrgenommen und später erst <strong>als</strong> „normales“ Element des Systems behandelt. Diesen<br />

Zusammenhang veranschaulicht Abbildung 85. 667<br />

666 Vgl. hierzu ausführlich Varga von Kibéd und Sparrer, 2000a.<br />

667 Vgl. Interview I43.


Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />

Unmittelbar verbunden mit den unterschiedlichen Subsystemen sind unterschiedliche<br />

lokalen Theorien, 668 unterschiedliche Wertvorstellungen und Selbstverständnisse in<br />

den Segmenten. Im Falle des PFC stellte u.a. die neue interdisziplinäre Organisations-<br />

form in Teams und die <strong>als</strong> „kritische Masse“ bezeichnete Mindestgrösse eine deutliche<br />

Veränderung der Organisationsstruktur dar.<br />

7.1.4 Einsatz für das Ganze<br />

Organisationale <strong>Wandel</strong>prozesse stellen außerordentliche Herausforderungen an die<br />

Krisenbewältigung von Organisationen. Systemelemente, die sich in solchen Phasen<br />

besonders für das System einsetzen, sind von besonderer Bedeutung für das System.<br />

Sie sollten nach SPARRER und VARGA VON KIBÉD einen Vorrang eingeräumt bekom-<br />

men. 669 Nachfolgend werden Beispiele aus den <strong>Wandel</strong>initiativen geschildert.<br />

Vignette: Die Zusammenführung von 45 unterschiedlichen Informatiksystemen<br />

Im Rahmen der Post-Merger-Integration der MIGROS AARE bestand eine<br />

zentrale Herausforderung darin, 45 verschiedene Softwarelösungen voll-<br />

ständig zu integrieren. Die Integration der Systeme lief dabei weitgehend<br />

parallel zur Entwicklung und dem Aufbau der neuen zentralen Warenwirt-<br />

schaft. Die Post-Merger-Integration für die Informatikabteilungen war<br />

damit geprägt durch extreme Belastungen:<br />

• Gleichzeitige Bewältigung des Pilotprojekts SAP-Retail (Food) und Post-<br />

Merger-Integration mit der Zusammenlegung von 45 Informations-<br />

systemen.<br />

• Auswahl des jeweils besten Informatiksystems aus beiden Genossen-<br />

schaften und Aufrechterhaltung aller Systeme, die für den reibungslosen<br />

Tagesbetrieb nötig waren.<br />

• Physische Integration der Informatikabteilungen in der Betriebszentrale<br />

Schönbühl, was zur Kündigungen wichtiger Know-how-Träger führte.<br />

668 Vgl. zum Begriff lokale Theorien Elden, 1983.<br />

669 Vgl. hierzu ausführlich Varga von Kibéd und Sparrer, 2000a.<br />

305


306<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Vignette: Das Subsidiaritätsprinzip <strong>als</strong> etwas, dem man viel verdankt<br />

Der Erfolg des Mergers zwischen LANDIS&GYR und STAEFA CONTROL war<br />

nach Aussage vieler Interviewpartner vor allem auf das Subsidiaritäts-<br />

prinzip zurückzuführen. Das dezentrale Vorgehen bei der Umsetzung des<br />

Mergers und die Verlagerung der Entscheidungen auf die Länder- und<br />

Filialebene ermöglichte es, die Komplexität und Dynamik des <strong>Wandel</strong>s zu<br />

bewältigen. Dem Subsidiaritätsprinzip kam damit ein wesentlicher Anteil<br />

an der Bewältigung dieser für die Organisation existenziellen Heraus-<br />

forderung zu.<br />

Über die rasche wirtschaftliche Erholung hinaus hatte das Subsidiaritäts-<br />

prinzip auch den Weiterbestand eines großen Teils der Strukturen ermög-<br />

licht. So war die in Anlehnung an BARTLETT und GHOSHAL <strong>als</strong> multi-<br />

nationales Unternehmen zu bezeichnende Struktur 670 durch den Merger<br />

auch kaum verändert worden und die Ausrichtung dieser unter-<br />

nehmerischen Einheiten auf die meist unterschiedlichen Märkte in den je-<br />

weiligen Ländern und Regionen unverändert geblieben. 671<br />

Auch die Aufteilung der Rollen zwischen den zentralen und dezentralen<br />

Einheiten, die „balance of power“, war dank des subsidiär geprägten<br />

Integrationsprozesses erhalten geblieben. Das HQ war <strong>als</strong> Impulsgeber in<br />

strategischen Fragen akzeptiert, solange die lokale Autonomie der Länder<br />

im operativen Geschäft nicht untergraben wurde.<br />

In der Folge nahm das Subsidiaritätsprinzip bei allen Veränderungs-<br />

projekten die Rolle eines „verdienten Systemelements“ ein und nach-<br />

folgende Projekte hatten dessen Einfluss zu berücksichtigen.<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Außerordentliche <strong>Prozess</strong>e, wie z.B. die beschriebene IT-Intgration oder auch der<br />

Mergerprozess der L&S, sind nur durch den besonderen Einsatz von Personen,<br />

Gruppen oder auch durch Prinzipien zu bewältigen. Der Umgang mit diesen Garanten<br />

des Erfolgs ist für die Organisation von entscheidender Bedeutung und bestimmt lang-<br />

fristig deren Wandlungsfähigkeit und Fähigkeit zur Krisenresistenz. Wird der Ver-<br />

670 Vgl. Kapitel 6.2.1.<br />

671 Vgl. Bartlett/Ghoshal 1998, S. 75.


Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />

dienst dieser Elemente besonders anerkannt, so geht davon Signalwirkung für zukünf-<br />

tige besondere Herausforderungen aus. Eine Organisation ist nur dann in der Lage, die<br />

zukünftigen Herausforderungen zu bewältigen, wenn sie mit den Systemelementen,<br />

die sie durch Krisenzeiten hindurchgeführt haben, angemessen umzugehen lernt und<br />

die Gründe für deren Einsatz würdigt.<br />

Die Gründe für den außerordentlichen Einsatz sind vielfach immaterieller Art und<br />

nicht mit den üblichen Mitteln der Leistungskompensation auszugleichen. Motive<br />

bestehen häufig in einem hohen Verantwortungsgefühl, einer wahrgenommenen<br />

Herausforderung oder der Verbundenheit mit der Organisation. Im Falle der hohen<br />

Belastung der IT-Mitarbeiter der MIGROS AARE war auch der starke Gemeinschafts-<br />

gedanke, verbunden mit dem Wunsch, die geleistete Arbeit nicht abrupt stoppen zu<br />

müssen, Basis für den besonderen Einsatz.<br />

Wenngleich es teilweise schwierig ist, angemessene Ausdruckformen der Aner-<br />

kennung für diesen Einsatz zu finden, so können solche Formen in finanziellen,<br />

karrierebezogenen, kommunikativen oder auch symbolischen Formen bestehen. Die<br />

nachfolgende Vignette beschreibt eine Qualifikationsproblematik, die sich im Zusam-<br />

menhang mit strategischen Veränderungsinitiativen häufig ergibt.<br />

Vignette: Qualifizierung für die Konkurrenz<br />

Im Verlauf des ERP-Projekts bei L&S wurden bereits früh die besten Mit-<br />

arbeiter aus der Organisation für das Projekt ausgewählt. Dies bezog sich<br />

insbesondere auf die Mitarbeiter aus den Landesgesellschaften. Hier<br />

wurden vorzugsweise die Mitarbeiter ausgewählt, die über das umfang-<br />

reichste Know-how bezüglich der Geschäftsprozesse verfügten. Man war<br />

der Überzeugung, dass von der Gewinnung dieser Mitarbeiter für das Pro-<br />

jekt wesentlich die Qualität der späteren ERP-Lösung abhängen würde. 672<br />

Die ausgewählten Mitarbeiter erfuhren durch das Projekt selber eine<br />

wesentliche Weiterqualifizierung. Ihr Marktwert stieg immens durch die Er-<br />

fahrungen, die sie im Rahmen des Projekts gemacht hatten. Viele der Mit-<br />

arbeiter wollten deshalb nicht auf ihre alte Stelle zurück, sondern erwarteten<br />

von der Organisation, dass ihnen eine höhere Position angeboten würde.<br />

Diese Situation führte dazu, dass aufgrund eines mangelnden strategischen<br />

672 Vgl. Beobachtung B111.<br />

307


308<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

HR und eines geringen Coaching 673 sowie der Schwierigkeit, angemessene<br />

Position für hervorragende Mitarbeiter anzubieten, die Organisation Gefahr<br />

lief, viele gute Mitarbeiter zu verlieren. So berichtete ein Mitarbeiter schon<br />

früh während des Projekts, dass sich für ihn die Frage stellt, wie es nach der<br />

Einführung von SAP für ihn weitergehen würde. Obwohl er sehr qualifiziert<br />

war, war er unsicher bzgl. seines weiteren Verbleibs bei der Organisation.<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

In Anlehnung an das „Peter Prinzip“ („In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte<br />

dazu, bis zur Stufe seiner Unfähigkeit aufzusteigen.“) 674 könnte das beschriebene<br />

Phänomen formuliert werden <strong>als</strong> „In einer Organisation neigt der gute Beschäftigte<br />

dazu, bis zu einer Stufe qualifiziert zu werden, in der es keinen Arbeitsplatz mehr für<br />

ihn gibt.“ Diese zugegeben etwas zugespitzte Formulierung macht die Schwierigkeiten<br />

deutlich, vor die eine Organisation mit einem Qualifizierungsprogramm wie einem<br />

ERP gestellt wird:<br />

Eine Organisation ist i.d.R. daran interessiert, ihre besten Mitarbeiter, die man durch<br />

eine Qualifizierungsmaßnahme, wie sie ein ERP-Projekt darstellt, zusätzlich<br />

qualifiziert, für die Organisation zu erhalten. Zwar ist „Nachbetreuung“ der Mitar-<br />

beiter nicht unbedingt Teil des Projekts, weil die Einführung von SAP in der Regel mit<br />

den bestehenden Mitarbeitern abgewickelt werden kann. Zur Entwicklung organisatio-<br />

naler <strong>Wandel</strong>fähigkeit und eines längerfristigen Wissensmanagements und im<br />

Interesse der Organisation, sollten aber gerade die besonders wichtigen Know-how-<br />

Träger nicht nur für den Markt „wegqualifiziert“ werden. Schließlich kann durch eine<br />

Weiterbeschäftigung auch der besondere Einsatz dieser Mitarbeiter gewürdigt und<br />

dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit entsprochen werden. In den untersuchten Projekten<br />

wurde der Einsatz i.d.R. durch kleinere monetäre Beträge und einen Dankesbrief ab-<br />

gegolten. Statt dessen hätte man sich über den weiteren beruflichen Weg der Mitar-<br />

beiter und über eine Anerkennung der Leistung, auch in Form von weiterführenden<br />

Managementaufgaben, mit den Betroffenen ganz im Sinne eines strategischen HR und<br />

Coachings unterhalten können.<br />

673 Vgl. Vignette in Kapitel 7.1.2: Der Wert der Zugehörigkeit oder Das olympische Motto – dabei sein ist alles.<br />

674 Vgl. Laurence J. Peter und Hull, 1973.


Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />

Ein Mangel in diesen Bereichen kann allerdings auch laufende Projekte gefährden:<br />

Selbst wenn die aktuellen Ziele des Projekts und jedes einzelnen Mitarbeiters häufig<br />

klar und deutlich formuliert sind, stellt sich für viele Mitarbeiter im Verlaufe des Pro-<br />

jekts die Frage nach der zukünftigen Aufgabe. Dieser Aspekt sollte, wie sich am Bei-<br />

spiel in der Vignette zeigt, möglichst früh geklärt bzw. einbezogen werden. Ansonsten<br />

kann sich zwischen den aktuellen Zielen des Projekts und der zukünftigen Aufgabe der<br />

Mitarbeiter ein Zielkonflikt ergeben: Einerseits will man das Projekt vorantreiben, auf<br />

der anderen Seite besteht Unsicherheit bezüglich der persönlichen weiteren Aufgaben<br />

im Anschluss an das Projekt. Unter Umständen kann diese Situation dazu führen, dass<br />

die Unklarheit über die zukünftige Aufgabe die aktuelle Zielerreichung bzw. den<br />

Abschluss des Projekts blockiert. 675<br />

7.1.5 Leistungen und Fähigkeiten<br />

Der Umgang mit Leistungen und Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter spielt für eine Organi-<br />

sation eine besondere Rolle, da sie ansonsten ausschließlich auf den Weiterbestand<br />

ausgerichtet ist. 676 Nachfolgend werden zwei Beispiele für den Umgang mit der<br />

Leistung der Mitarbeiter im Rahmen der beschriebenen <strong>Wandel</strong>initiativen dargestellt.<br />

Vignette: Ein billiger Millionen-Auftrag<br />

Im Jahr 2000 konnte vor allem durch den Einsatz eines Mitarbeiters des<br />

PFC für L&S ein 25-Millionen-Auftrag gewonnen werden. Ein Vertrag in<br />

dieser Größenordnung war bis dahin im PFC EU noch nicht abgeschlossen<br />

worden.<br />

Dieser Vertrag bedeutete eine deutliche Ergebnisverbesserung für das PFC<br />

und führte dazu, dass ein lokaler PFC-Manager seine beabsichtigte<br />

Kündigung zurückzog.<br />

Der Mitarbeiter, der den Vertrag gewonnen hatte, wurde anschließend mit<br />

1.000 SFr belohnt und zeigte sich in einem persönlichen Gespräch ange-<br />

sichts des hohen Arbeitsaufwands für den Abschluss des Vertrags sehr<br />

enttäuscht.<br />

675 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zur Problemaufstellung und zum Umgang mit der „Aufgabe die danach<br />

kommt“ in Varga von Kibéd und Sparrer, 2000a.<br />

676 Vgl. ebenda.<br />

309


Vignette: Erfolgsprämien für die Softwareentwicklung<br />

310<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Im Rahmen der Entwicklung des neuen WWS für die MIGROS AARE wurde<br />

den Mitarbeitern für die Fertigstellung einzelner Abschnitte des Systems<br />

eine Erfolgsprämie ausgezahlt. Man hatte sich in Absprache mit der<br />

Geschäftsleitung dazu entschlossen, angesichts der Arbeitsmarktlage, der<br />

hohen Arbeitsbelastung und der teilweise langen Anfahrtswege, die Leis-<br />

tung der Mitarbeiter mit Erfolgsprämien anzuerkennen. Dadurch gelang es<br />

auch, die meisten Mitarbeiter im Projekt zu halten. Von fünfundzwanzig<br />

Mitarbeitern verließen im Verlaufe des Projekts nur zwei das Projekt. 677<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Aus systemischer Sicht stellt die Forderung des „Vorrangs der höheren Leistung und<br />

der höheren Fähigkeit“ eine Notwendigkeit zur Erzielung von besonderen Leistungen<br />

und zur Ausbildung von Fähigkeiten in Organisationen dar. In den vorliegenden<br />

Vignetten wird deutlich, dass von der Anerkennung der Leistung eine deutlich<br />

motivierende bzw. demotivierende Wirkung ausgehen kann. Auf das gesamte System<br />

bezogen werden damit Botschaften vermittelt, welche die Erbringung besonderer<br />

Leistung oder die Ausbildung besonderer Fähigkeiten fördern oder auch hemmen. Die<br />

Gestaltung von Anreizsystemen haben dabei nachhaltige Wirkung auf das Verhalten in<br />

Organisationen. Allerdings gilt es zu berücksichtigen, dass die vorher genannten<br />

Systemprinzipien aus systemischer Sicht vorrangig beachtet werden sollten.<br />

7.1.6 Zusammenfassung: Systemische Strukturprinzipien<br />

Den Systemprinzipien, wie sie in Kapitel 4.2.7 vorgestellt wurden und in diesem<br />

Kapitel zur Untersuchung von <strong>Wandel</strong>phänomenen genutzt wurden, liegt eine explizit<br />

systemische Sichtweise organisationalen Handelns zugrunde. Durch die Berück-<br />

sichtigung der Interdependenzen zwischen dem Kontext und den verschiedenen<br />

Systemelementen bieten sich Erklärungs- und Interventionsansätze, die über<br />

reduktionistisch-kausalanalytische Schlussfolgerungen hinausgehen.<br />

Ähnlich beschreiben auch VICARI und TROILO vor einem systemisch-kognitiven<br />

Hintergrund Systemprinzipien, die den <strong>Wandel</strong> und insbesondere die Kreativität von<br />

Systemen erhöhen. Sie gehen von der Annahme aus, dass eine Veränderung der<br />

kognitiven Schemata einer Organisation zu einer Erhöhung der Kreativität der<br />

677 Vgl. Interview I74.


Der <strong>Wandel</strong>kontext – wichtige Einflussfaktoren des <strong>Wandel</strong>s<br />

Organisation führt. Mögliche Variationen sind dabei z.B. die Einstellung eines neuen<br />

Managers, eine Veränderung der Beziehungen von Abteilungen durch ein<br />

Reengineering-Projekt, die Veränderung der Bedeutung der Beziehungen z.B. zum<br />

Kunden durch die Einrichtung eines Call-Centers oder auch die Veränderung des<br />

Schemas durch verändertes individuelles Verhalten. 678<br />

Trotz inhaltlicher Unterschiede und der teilweise differierenden Grundannahmen bzgl.<br />

der systemischen und epistemologischen Grundlagen wird anhand der beiden Samm-<br />

lungen von Systemprinzipien deutlich, dass die systemische Perspektive und die Be-<br />

rücksichtigung darauf beruhender heuristischer Prinzipien Phänomene, wie die in<br />

diesem Kapitel beschriebenen <strong>Wandel</strong>phänomene, plausibel und nachvollziehbar<br />

machen können. Die Abkehr von individualistisch orientierten Erklärungsversuchen<br />

und die Erweiterung der Perspektive über individualistisch orientierte Konstrukte wie<br />

Motivation, Commitment und Widerstand hinaus, eröffnen den Weg, <strong>Wandel</strong>prozesse<br />

im Rahmen des Kontextes und der Muster der Organisation zu reflektieren. Hierzu<br />

bieten die Systemprinzipien ein nützliches Orientierungwissen das zu einem<br />

systemangemessenen Handeln in Organisationen befähigt.<br />

Die Veränderungen der organisationsinternen Strukturen sind von besonderer<br />

Bedeutung für den Verlauf organisationaler Veränderungsprozesse. Sowohl die hier<br />

beschriebenen systemischen Muster <strong>als</strong> auch die strukturationstheoretischen Über-<br />

legungen legen es daher nahe, die folgende Analyse der <strong>Wandel</strong>prozesse stets unter<br />

Berücksichtigung der Regeln und Routinen der Organisation zu vollziehen.<br />

678 Vgl. Vicari und Troilo, 2000.<br />

311


312<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

7.2 Die <strong>Wandel</strong>prozesse – eine Analyse der Handlungen<br />

Aufbauend auf das in Kap. 5 dargestellte <strong>Wandel</strong>modell 679 wird im folgenden Kapitel<br />

die empirische Analyse der <strong>Wandel</strong>prozesse dazu genutzt, ein <strong>Wandel</strong>modell zu ent-<br />

wickeln, welches die epistemologischen Schwächen positivistisch orientierter Modelle<br />

vermeidet:<br />

Im Mittelpunkt der folgenden empirischen Analyse der <strong>Wandel</strong>prozesse steht dabei die<br />

Frage wie organisationale <strong>Wandel</strong>prozesse interpretiert werden können, wenn man sie<br />

durch die Brille eines systemischen Organisationsverständnisses betrachtet. Aus der<br />

Beschreibung und Interpretation der <strong>Wandel</strong>prozesse werden dann Implikationen einer<br />

konstruktivistischen Perspektive für die Gestaltung organisationalen <strong>Wandel</strong>s gezogen.<br />

Den inhaltlichen Schwerpunkt und Fokus der Betrachtung bildet der <strong>Wandel</strong> der<br />

organisationalen Identität.<br />

Partnerorganisationen<br />

SBT<br />

Migros<br />

Aare<br />

679 Vgl. Kap. 5.2.1.<br />

Externer Kontext<br />

Externer<br />

Kontext SBT<br />

Externer Kontext<br />

Migros Aare<br />

<strong>Wandel</strong>inhalte<br />

<strong>Wandel</strong>inhalte<br />

(Projekte)<br />

(Projekte)<br />

BSC<br />

ERP<br />

PFC<br />

Postmerger PMI- PMI- -<br />

-<br />

projekte<br />

projekte<br />

Abbildung 86: Gedankenfluss Empirie<br />

Interner<br />

Kontext<br />

Analyse der<br />

Internen<br />

Kontexte<br />

<strong>Wandel</strong>prozesse<br />

Analyse der<br />

<strong>Wandel</strong>-<br />

prozesse


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Zur besseren Nachvollziehbarkeit für den Leser werden die Elemente der Betrachtung<br />

grafisch dargestellt und <strong>als</strong> Modell im Verlaufe des nachfolgenden Kapitels sukzessive<br />

aufgebaut.<br />

Es enthält neben den bereits erörterten <strong>Wandel</strong>projekten <strong>als</strong> pragmatischen Heraus-<br />

forderungen 680 und Kern der identitätsbildenden <strong>Prozess</strong>e die Elemente Ausgangs-<br />

punkt der Veränderung, zukünftiger oder erwarteter Zustand, relevanter Unterschied<br />

sowie eine Reflexion bzw. Beobachtung 2. Ordnung. Diese Aspekte werden in den<br />

folgenden Kapiteln einzeln behandelt.<br />

7.2.1 Der Ausgangspunkt des <strong>Wandel</strong>s - Wo sind wir?<br />

Reflexion / Beobachtung<br />

2. Ordnung<br />

Diejenigen, die die Geschichte nicht kennen, sind dazu verurteilt,<br />

sie, vielleicht sogar <strong>als</strong> Farce, zu wiederholen.<br />

Der Ausgangspunkt<br />

<strong>Wandel</strong>projekte<br />

<strong>als</strong> Identitätsbildende<br />

Identitätsbildende<br />

<strong>Prozess</strong>e<br />

<strong>Prozess</strong>e Der erwarteteZustand<br />

des <strong>Wandel</strong>s<br />

- Wer sind wir?<br />

- Wer werden wir sein?<br />

relevante Unterschiede erkennen<br />

und Anschlussfähigkeit schaffen<br />

Abbildung 87: Ausgangspunkt <strong>als</strong> Element des <strong>Wandel</strong>prozesses<br />

Karl Marx<br />

Nachfolgend wird die Ausgangslage verschiedener <strong>Wandel</strong>projekte beleuchtet. Warum<br />

die Analyse des Ausgangspunkts? Der Ausgangspunkt beschreibt die Startvoraus-<br />

setzungen des organisationalen <strong>Wandel</strong>s und beinhaltet die Bedingungen unter denen<br />

680 Vgl. Kap. 6.3 und 6.5.<br />

313


314<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

ein <strong>Wandel</strong>projekt erfolgreich aufgegleist werden kann. Im Mittelpunkt der Analyse<br />

stehen deshalb Fragen nach der Geschichte, den bestehenden Strukturen und<br />

Kontexten sowie möglichen einzigartigen Identitätsmerkmalen des <strong>Wandel</strong>orts.<br />

Im Gegensatz zum statischen Verständnis einer zeitpunktbezogenen Betrachtung er-<br />

scheint es vor dem Hintergrund der empirischen Beobachtungen plausibler, von einer<br />

dynamischen, prozessbezogenen Betrachtungsweise organisationalen <strong>Wandel</strong>s auszu-<br />

gehen. Der Ausgangspunkt des <strong>Wandel</strong>s, vor dessen Hintergrund Handlungen sozial<br />

konstruiert werden und zeit- und kontextbezogen zu verstehen sind, spielt dabei eine<br />

entscheidende Rolle.<br />

Die folgenden Vignetten beleuchten deshalb u.a. die Bedeutung der (Vor-)geschichte<br />

von <strong>Wandel</strong>prozessen, der bestehenden Identität sowie die Wirkung der eingesetzten<br />

Analyse- und Interventionsmethoden auf die Identität der Organisationen. Im Mittel-<br />

punkt steht dabei die Frage: Wie wirken sich System- und Kontextelemente am Aus-<br />

gangspunkt des <strong>Wandel</strong>s auf die Identitätsbildung der Organisation aus?<br />

Vignette: History Matters<br />

Wie bereits bei der Beschreibung der Inhaltsebene zur BSC-Einführung in<br />

den USA angedeutet wurde, 681 folgte diese Einführung aufbauend auf die<br />

bereits etablierte Methodik des „Outstanding Customer Value“ (OCV).<br />

Durch das OCV waren wichtige Voraussetzungen für die Einführung der<br />

BSC <strong>als</strong> ganzheitlichem Zielsystem gelegt worden. Das Management war<br />

bereits gewohnt, dass auch nicht-finanzielle Indikatoren wie z.B. für die<br />

Dimensionen der Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit regelmäßig er-<br />

hoben wurden und bezog diese Indikatoren aktiv in seine Entscheidungen<br />

ein. Die Umstellung der bestehenden OCV-Systematik auf die BSC-<br />

Dimensionen im Verbund mit der Einführung der neuen Total Solution<br />

Strategie stellte damit eine Weiterentwicklung der bereits in der Ver-<br />

gangenheit angelegten <strong>Prozess</strong>e dar. Das Management wurde deshalb auch<br />

nicht müde, bei der Einführung die Nähe zum bereits bekannten OCV<br />

Ansatz zu betonen. 682<br />

681 Vgl. Kap. 6.3.1.7.<br />

682 Vgl. Interview I57.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Aus der Sicht der Interviewteilnehmer aus den Vertriebsbüros stellte die<br />

BSC auch wirklich eine Weiterführung des OCV-Ansatzes dar. Die BSC<br />

war für die meisten Mitarbeiter nur eine neue Art und Weise, die „key<br />

measures“ auf einem einzigen Blatt übersichtlich darzustellen. 683<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Ein Schlüsselelement bei der erfolgreichen Einführung der BSC in den USA war die<br />

Akzeptanz, welche die Vertriebsbüros dem neuen Instrument entgegenbrachten. Als<br />

besonders hilfreich erwies sich dabei, dass die BSC eine Weiterführung des beste-<br />

henden OCV-Ansatzes war und die Führung damit Kontinuität und Konsistenz der<br />

Geschäftsentwicklung kommunizierte. Die BSC war nicht etwas revolutionär Neues<br />

oder eine bloße Managementmode, sondern bildete eine Ergänzung und Weiter-<br />

entwicklung einer bestehenden Logik. Die Berücksichtigung und Betonung dieser<br />

path-dependency durch das Management implizierte gleichzeitig Akzeptanz und Wert-<br />

schätzung für bisherige Ansätze. 684<br />

Die deutliche Bezugnahme auf die bereits bestehenden Instrumente (den vergangenen<br />

Kontext) erlaubte es den Beteiligten, an die vergangenen Erfolge anzuschließen. Aller-<br />

dings führte diese Tradition auch dazu, dass sich das Aussehen und der Umgang mit<br />

der BSC deutlich von dem in Europa unterschied. 685 Die Vergangenheit der Organisa-<br />

tion führte <strong>als</strong>o dazu, dass nicht nur das <strong>Wandel</strong>instrument BSC die Organisation ver-<br />

änderte, sondern auch die Organisation mit ihrer Geschichte und Lernerfahrung maß-<br />

geblichen Einfluss auf die Gestaltung der BSC nahm. Das <strong>Wandel</strong>instrument wurde<br />

damit kontextspezifisch abgeändert. Hieraus ergaben sich deutliche Unterschiede zu<br />

der Einführung und Ausprägung der BSC in Europa.<br />

Die nächste Vignette erläutert die wechselseitige Beeinflussung von <strong>Wandel</strong>instrument<br />

und Organisation.<br />

Vignette: Tools change Organizations and Organizations change Tools<br />

Obwohl es sich bei der amerikanischen und der europäischen SBT um so<br />

genannte „Areas“ der gleichen Firma handelte, war der Ansatz der BSC in<br />

Europa und Nordamerika in vielerlei Hinsicht fundamental unterschiedlich.<br />

683 Vgl. Interview I62, I16.<br />

684 Vgl. auch Barrett und Srivastva, 1991 Foucault, 1983.<br />

315


316<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Die BSC in den USA war in erster Linie auf die Bereitstellung standardi-<br />

sierter Indikatoren und Maßzahlen für die Vertriebsbüros und das Home-<br />

office ausgerichtet. Der Fokus in Europa lag dagegen vor allem auf der<br />

Unterstützung der strategischen Kommunikation und der Generierung stra-<br />

tegischer Projekte in den Ländern.<br />

Darüber hinaus saß das US Home Office bei der Einführung der BSC „in<br />

the driverseat“ und nutzte die BSC-Methodik, um eine neue Geschäfts-<br />

strategie zu implementieren. In Europa delegierte die SBT-Zentrale dage-<br />

gen die Verantwortung an die Divisionen und diese wiederum an die<br />

Länder.<br />

Schließlich zeigten sich angesichts der unterschiedlichen Erfahrung mit<br />

dem Einsatz nicht-finanzieller und ganzheitlicher Zielsysteme – die ameri-<br />

kanische Organisation hatte bereits durch das OCV Erfahrungen sammeln<br />

können - deutliche Unterschiede bei dem Versuch, die BSC-Methodik in<br />

die Lebenswelt der Organisation umzusetzen.<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Was eine Organisation aus einem strategischen Projekt wie der BSC macht oder auch<br />

nicht, ist weitgehend eine Frage des Anschlusses an bestehende Muster in der<br />

Organisation. Dem liegt die autopoietische und strukturationstheoretische Überlegung<br />

zugrunde, dass Organisation ihre Wirklichkeit rekursiv verfertigen und aus der Viel-<br />

zahl von Entscheidungsmöglichkeiten vor allem die anschlussfähigen Alternativen<br />

auswählen.<br />

Wichtig ist, die organisationale Realität zu erfassen und ihr gerecht zu werden. Es geht<br />

um ein Ankoppeln an die bestehenden Wirklichkeitsvorstellungen und Handlungs-<br />

prozesse.<br />

Eine gemeinsame organisationale Wirklichkeitsvorstellung <strong>als</strong> Ausgangspunkt von<br />

Veränderungsprozessen ist daher von zentraler Bedeutung. Insbesondere die Ver-<br />

änderung von Handlungsroutinen und Strukturen setzt voraus, dass die „Agenten“ die<br />

derzeitigen Handlungsroutinen und -prozesse nachvollziehen und verstehen. Für die<br />

Adressaten des <strong>Wandel</strong>s besteht mit diesem wechselseitigen Sensemakingprozess die<br />

685 Vgl. hierzu insbesondere die Gegenüberstellung in Kap. 6.3.1.7.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Möglichkeit, subjektive Bilder miteinander abzugleichen und implizite Aspekte zu<br />

versprachlichen.<br />

Die nachfolgende Vignette zeigt ein Beispiel eines solchen Klärungs- und Sense-<br />

makingprozesses im Rahmen der As-Is Analyse des ERP-Programms.<br />

Vignette: As-Is Analyse <strong>als</strong> Mittel zur Rekonstruktion der Wirklichkeit<br />

Während bei anderen Firmen die Geschäftsprozesse vor dem Start eines<br />

ERP i.d.R. schon in <strong>Prozess</strong>handbüchern festgehalten sind und ohne große<br />

Änderungen in das SAP-System übersetzt werden können, war das bei L&S<br />

nicht der Fall. Hier hatte man erst vor einem Jahr damit begonnen, durch<br />

die Abteilung CM&BPM die Geschäftsprozesse der Segmente zu<br />

definieren. 686<br />

Im Rahmen des ERP-Projekts wurde deshalb eine As-Is-Phase vorge-<br />

schaltet, in der mit Hilfe der Ländergesellschaften der Status Quo der<br />

Geschäftsprozesse in den Ländern erfasst wurde. Im Rahmen von 23 Work-<br />

shops wurden die bestehenden <strong>Prozess</strong>e aufgenommen und Best Practices<br />

aus den verschiedenen Varianten abgeleitet, um anschließend mit den DUs<br />

die To-Be <strong>Prozess</strong>e festzulegen. 687<br />

Sowohl von der Programmleitung <strong>als</strong> auch von Seiten der Länder wurde die<br />

Phase des As-Is Modelling <strong>als</strong> unkritisch angesehen, weil es in erster Linie<br />

darum ging, den Status Quo aufzunehmen und ein Bewusstsein für die Ver-<br />

besserung der <strong>Prozess</strong>e zu entwickeln. Kritischer wurde dagegen das an-<br />

schließende To-Be Modelling eingeschätzt, weil dabei die Ländergesell-<br />

schaften mit der Notwendigkeit der Harmonisierung konfrontiert wurden.<br />

Man befürchtete von Seiten der Projektverantwortlichen eine „ja-aber-<br />

Reaktion“ der Ländergesellschaften. Dies wurde <strong>als</strong> projektentscheidend<br />

betrachtet, da der Erfolg des Programms im wesentlichen von einem starken<br />

und anhaltenden Commitment der beteiligten Landesgesellschaften ab-<br />

hing. 688<br />

686 Vgl. Beobachtung B091, B018, B104, B070, Interviews I32, I39.<br />

687 Vgl. auch Kap. 7.1.2.<br />

688 Vgl. Beobachtung B104.<br />

317


318<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Der Leiter des Programms erklärte deshalb regelmäßig zur Eröffnung der<br />

As-Is Workshops mit den Ländern: „We want to understand what you<br />

need.“ 689<br />

Die Workshops führten tatsächlich dazu, dass eine gemeinsame Vorstellung<br />

von den Geschäftsprozessen der Organisation entwickelt wurde. Ein<br />

Manager erklärte nach Abschluss der As-Is Phase, man habe erst durch<br />

diesen <strong>Prozess</strong> ein gemeinsames Verständnis entwickeln können und damit<br />

auch die Voraussetzung geschaffen, das Know-how von der Business-Pro-<br />

cess Seite und der IT-Seite zusammenzuführen. 690<br />

Allerdings gestaltete sich das bloße Abstimmen der gemeinsamen Vorstel-<br />

lungen <strong>als</strong> ein recht komplexer und damit auch kostenintensiver <strong>Prozess</strong>.<br />

Ein Manager aus einer davon besonders betroffenen Landesgesellschaft<br />

antwortete deshalb auch auf die Frage, was er im Wiederholungsfall anders<br />

machen würde, dass er das Projekt aus Kostengründen „leaner“ durchführen<br />

würde und z.B. auf die As-Is Phase verzichten würde. Nachteilig an seinem<br />

eigenen Vorschlag fand er allerdings, dass dadurch die Ländergesell-<br />

schaften weniger berücksichtigt würden und es dann schwerer wäre, ein<br />

gemeinsames Verständnis aufzubauen. 691<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Der Mangel an <strong>Prozess</strong>dokumentation und <strong>Prozess</strong>bewusstsein vor Beginn des ERP<br />

überraschte angesichts der vielen Veränderungen in der Organisation nicht. Nachdem<br />

über die letzten Jahre Merger und Umstrukturierungen die Organisation in Anspruch<br />

genommen hatten, war in dieser Zeit die Harmonisierung der Geschäftsprozesse nicht<br />

das drängendste Problem der Organisation gewesen. Dazu trug auch die stark<br />

subsidiäre Struktur der Organisation bei.<br />

Die Subsidiarität führte zu einer Fülle verschiedener organisationaler Lösungen, die im<br />

Rahmen der As-Is Phase den Ausgangspunkt für das ERP beschrieben. Gerade die<br />

vielen As-Is-Workshops ermöglichten es, angesichts der Vielfalt der Geschäfts-<br />

prozesse in den verschiedenen Ländern die Organisation neu zu verfertigen. Das hohe<br />

689 Vgl. Beobachtung B104.<br />

690 Vgl. Interview I27.<br />

691 Vgl. Interview I63.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Maß an Kommunikation und Austausch über die verschiedenen vorhandenen<br />

Lösungen in den Ländern ermöglichte es den Beteiligten auch gleichzeitig, die Organi-<br />

sation neu zu „erfinden“.<br />

Die Phänomene zeigen anschaulich die Bedeutung von Kommunikationsprozessen<br />

auf, die bereits KIESER sowie BARRETT et al. in ihrem Organisationsverständnis hin-<br />

weisen. 692 Demnach wird die Organisation beim Reden verfertigt und eine neue<br />

Organisation entsteht erst, wenn eine neue Art der Kommunikation etabliert wird.<br />

Die zentrale Bedeutung, die der gemeinsame Verfertigungsprozess im Rahmen der As-<br />

Is-Phase auch für das ERP hatte, wurde von allen Beteiligten wahrgenommen. Die<br />

gemeinsame Verfertigung einer neuen Wirklichkeit erscheint dabei offensichtlich<br />

leichter, wenn es keine alten Muster oder Loyalitäten zu überwinden gilt, sondern<br />

wenn es um einen Neustart geht. Die folgende Vignette liefert dazu ein Beispiel.<br />

Vignette: Additionen zu organisationalen Identität<br />

Im OEM-Segment war vor der Einführung des ERP <strong>als</strong> neue, übergreifende<br />

Informationsplattform noch kein Vorläufersystem vorhanden. Dieser Um-<br />

stand wurde anfangs <strong>als</strong> ein besonderes Handicap eingeschätzt, da man<br />

davon ausging, dass sich deshalb die Mitarbeiter mit einem neuen System<br />

besonders schwer tun würden.<br />

Im Verlaufe der Vorbereitung wurde allerdings bald deutlich, dass bei den<br />

Mitarbeitern im OEM-Segment ein besonders großes Bedürfnis nach Unter-<br />

stützung bei der Abwicklung der täglichen Geschäftsprozesse vorhanden<br />

war. Die Einführung des ERP erwies sich schließlich in diesem Segment <strong>als</strong><br />

einfacher, da man sich in diesem Segment mit weniger „altem Ballast“ und<br />

Loyalitäten zu selbstgestrickten Lösungen beschäftigen musste. 693<br />

Interpretation im Gesamkontext<br />

Der Umstand, dass im OEM-Segment bislang kein System und keine Unterstützung<br />

vorhanden war, führte dazu, dass das neue System ausschließlich <strong>als</strong> eine Berei-<br />

cherung gesehen wurde. Es bestanden keine Beziehungsloyalitäten oder sachlichen<br />

692 Vgl. Kap. 5.1.3 sowie Barrett, et al., 1995;Kieser, 1998.<br />

693 Vgl. Interview I18.<br />

319


320<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Routinen, die durch die Einführung neuer Geschäftsprozesse und –abläufe konfrontiert<br />

wurden.<br />

ALBERT weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es nach der „Algebra des<br />

<strong>Wandel</strong>s“ einfacher ist, bei organisationalem <strong>Wandel</strong> etwas zur organisationalen Iden-<br />

tität zu addieren <strong>als</strong> etwas zu subtrahieren. Der Grund dafür liegt darin, dass es im<br />

Falle des Subtrahierens stets zum Verlust von etwas kommt, was zumindest ein Teil<br />

der Organisation wertschätzt. 694<br />

Dies zeigte sich im negativen Fall auch in der nachfolgenden Vignette, bei der deutlich<br />

wird, dass die Erwartungen der Länder darauf hinaus liefen, dass sie etwas von ihrer<br />

Einzigartigkeit verloren bzw. dass diese Einzigartigkeit nicht berücksichtigt wurde.<br />

Vignette: Die Einzigartigkeit der Länder – Auswirkungen auf die organisationale<br />

Identität<br />

Zu Beginn des ERP-Programms erhielt das Management immer wieder die<br />

Botschaft von den Ländern, dass die Verhältnisse in den Ländern jeweils<br />

sehr speziell und einzigartig wären. Nach Auffassung eines Managers aus<br />

der Zentrale steckte für ihn dahinter die implizite Botschaft: „HQ pass auf,<br />

wir sind nicht 08/15“.<br />

Im Verlaufe des Projekts machten die Länder durch den Austausch unter-<br />

einander allerdings wiederholt die Erfahrung, dass bei der Vorstellung be-<br />

stimmter <strong>Prozess</strong>e, zum Beispiel im Bereich Finanzen durch eines der<br />

Länder, andere Länder erkannten, dass ihre eigenen <strong>Prozess</strong>e vielleicht auch<br />

einfacher gestaltet werden konnten. 695<br />

Interpretation im Gesamtkontext: Sensemaking zu Beginn des <strong>Wandel</strong>s<br />

Die „Distinctiveness“ oder Unterschiedlichkeit stellt nach ALBERT und WHETTEN ein<br />

wesentliches Element der organisationalen Identität dar. Das organisationale Selbst-<br />

verständnis beruht auf einer Reihe relevanter Unterschiede, mit denen sich die eigene<br />

Identität im Gegensatz zu anderen Identitäten definiert bzw. abgrenzt. 696<br />

694 Vgl. Albert, 1992.<br />

695 Vgl. Interview I18, I27.<br />

696 Vgl. Albert und Whetten, 1985.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Die Harmonisierung und Gleichbehandlung der Länder im Rahmen des ERP bedrohte<br />

deshalb zu Beginn des Programms die Identität, insbesondere der Ländergesell-<br />

schaften, da sie einen Teil der Unterschiedlichkeit durch die Angleichung der Ge-<br />

schäftsprozesse zu verlieren glaubten. 697<br />

Die Vignetten zeigen, dass die Beurteilung der Ausgangssituation von einer Reihe von<br />

Faktoren abhängt und keinesfalls <strong>als</strong> objektiv und eindeutig gegeben angesehen wer-<br />

den kann. Aus einer prozessualen Sichtweise kommt es sehr wohl darauf an, wie die<br />

eingesetzten Tools sich zur Vergangenheit verhalten. Das Verhältnis ist dabei, wie in<br />

der zweiten Vignette aufgezeigt wurde, durch ein wechselseitiges Beeinflussen ge-<br />

prägt. Dabei können sich scheinbare Nachteile oder Hindernisse, wie z.B. der Umstand<br />

dass noch keine Tools oder keine <strong>Prozess</strong>definitionen aus der Vergangenheit vor-<br />

handen waren, durchaus <strong>als</strong> Vorteil erweisen.<br />

Das bedeutet allerdings nicht, dass man im Hinblick auf die Identität einer Organisa-<br />

tion von einer Nicht-Identität ausgehen kann. Vielmehr sollte zu Beginn Wert darauf<br />

gelegt werden, die zentralen Merkmale der organisationalen Identität, die häufig auch<br />

den Mitgliedern der Organisation nicht ausreichend bewusst sind zu identifizieren. Im<br />

nächsten Schritt können dann gemeinsam Vorstellungen darüber entwickelt werden,<br />

wie eine zukünftige Identität aussehen kann.<br />

Fazit: Ausgangspunkt des <strong>Wandel</strong>s<br />

Die Analyse des Ausgangspunkt des <strong>Wandel</strong>s hat gezeigt, dass die Geschichte einer<br />

Organisation und bzw. eines <strong>Wandel</strong>orts von besonderer Bedeutung für den Erfolg des<br />

<strong>Wandel</strong>s und den angemessenen Umgang mit den eingesetzten Interventions-<br />

instrumenten ist. Die Klärung der Ist-Situation in einer angemessenen dramaturgischen<br />

Form (z.B. eine As-Is Analyse) ist deshalb von zentraler Bedeutung. Nur so können<br />

gemeinsame Vorstellungen über den Status Quo bewusst gemacht werden und<br />

besondere Identitätsmerkmale wie etwa eine hohe lokale Autonomie markiert werden.<br />

Der Ausgangspunkt des <strong>Wandel</strong>s erhält dabei zusätzliche Bedeutung, wenn im<br />

nächsten Schritt auch eine gemeinsame Zielvorstellung entwickelt werden kann.<br />

Im Anschluss an die Darstellung des Ausgangspunkts wird deshalb im nächsten Ab-<br />

schnitt die Bedeutung des zukünftigen Zustands bzw. die Bedeutung von <strong>Prozess</strong>en<br />

der Ziel- und Erwartungsklärung dargestellt.<br />

697 Vgl. ebenda.<br />

321


7.2.2 Der zukünftige/erwartete Zustand – wo wir hin wollen<br />

322<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Je planmäßiger die Menschen vorgehen,<br />

desto wirksamer trifft sie der Zufall.<br />

Friedrich Dürrenmatt<br />

Als zweites Element des <strong>Wandel</strong>prozesses wird im Folgenden der zukünftige Zustand<br />

bzw. Zielzustand dargestellt. Dabei geht es um die Frage: Welche Bedeutung haben<br />

Ziel- oder Erwartungsstrukturen im <strong>Wandel</strong>prozesse und wie können <strong>Prozess</strong>e der<br />

Ziel- und Erwartungsklärung aussehen?<br />

Reflexion / Beobachtung<br />

2. Ordnung<br />

Der Ausgangspunkt<br />

<strong>Wandel</strong>projekte<br />

<strong>als</strong> <strong>als</strong> Identitätsbildende<br />

Identitätsbildende<br />

<strong>Prozess</strong>e<br />

<strong>Prozess</strong>e Der erwarteteZustand<br />

des <strong>Wandel</strong>s<br />

- Wer sind wir?<br />

-Wer - --Wer<br />

- werden wir sein?<br />

relevante Unterschiede erkennen<br />

und Anschlussfähigkeit schaffen<br />

Abbildung 88: Der erwartete Zustand <strong>als</strong> Element des <strong>Wandel</strong>prozesses<br />

Während traditionelle <strong>Wandel</strong>theorien häufig von einer festen Zielvorstellung ausge-<br />

hen, sind empirische <strong>Wandel</strong>prozesse i.d.R. von unklaren Zielen bzw. Erwartungen<br />

gekennzeichnet. <strong>Prozess</strong>e der Ziel- und Erwartungsklärung sind deshalb zentraler<br />

Bestandteil organisationaler <strong>Wandel</strong>prozesse und von immenser Bedeutung für die<br />

Motivation und das Commitment der Beteiligten. Insbesondere die Möglichkeit der<br />

Beteiligung und Mitgestaltung an <strong>Prozess</strong>en der Ziel- und Erwartungsklärung tragen<br />

dazu bei, divergierende Vorstellung gegebenenfalls anzugleichen. Dabei können die<br />

Zwischenziele auf dem Weg zur Erreichung übergeordneter Ziele durchaus unter-<br />

schiedlich sein, wie die nachfolgende Vignette zeigt.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Vignette: Unterschiedliche Wege können dem gleichen Ziel dienen<br />

Im Rahmen des BSC-Projekts bei L&S wurde für die Landesgesellschaft<br />

Schweiz von der Geschäftsführung das Ziel „Aufbau des Segments Raum-<br />

management (Licht- und Storensteuerung zusätzlich zu HLK)“ festgelegt.<br />

Dieses Ziel galt es, für die fünf Filialen in ihre eigenen strategischen Pro-<br />

jekte zu integrieren und umzusetzen. Die gleiche strategische Zielsetzung<br />

führte in den fünf Gebieten jeweils zu unterschiedlichen Aktionen:<br />

Schweiz West: Zuerst kompetente Vertriebsleute aufbauen<br />

Schweiz Mittelland: Uns wohlgesinnte Elektroplaner via Schwesterfirma<br />

Cerberus ausfindig machen<br />

Schweiz Süd: Millionärsvillen <strong>als</strong> Testobjekte verwenden<br />

Schweiz Zentral: Eigenes Sitzungszimmer einrichten und austesten<br />

Schweiz Ost: Servicetechniker auf ein Umbauprojekt holen, um zu<br />

zeigen, wie Umbaupotential im Raum gewonnen<br />

werden kann 698<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Die fünf Filialen der Landesgesellschaft hatten im Rahmen des BSC-Projekts die<br />

Möglichkeit, eigene strategische Projekte zu definieren. Um die übergeordneten Ziele<br />

zu erreichen, verfügten die Filialen über ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit. Da die<br />

Ausgangssituationen in den Filialen nur bedingt vergleichbar war und die gewählten<br />

Aktionen sich offensichtlich unterschieden, wurde an diesem Beispiel deutlich, wie<br />

unterschiedliche Zielsetzungen bzw. Umsetzungsstrategien alle zur Erreichung des<br />

übergeordneten Ziels „Aufbau des Segmentes Raummanagement“ dienen konnten.<br />

Möglichkeiten, über Ziele und Erwartungen stärker Aufmerksamkeit zu steuern und<br />

Verhalten zu beeinflussen, werden in den folgenden beiden Vignetten beschrieben.<br />

Vignette: „Wysiwyg“ - What you see is what you get<br />

Im Rahmen des ERP bei L&S wurde in einem To-Be Workshop des OEM-<br />

und Produkt-Segments zu einem frühen Zeitpunkt des Projekts über einen<br />

698 Vgl. Dokument D15.<br />

323


324<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

ganzen Nachmittag eine Demonstration der zukünftigen Software gegeben.<br />

Auch wenn es sich dabei nicht um das endgültige Produkt handelte, das<br />

später in der Organisation eingesetzt wurde, konnten doch viele Funktiona-<br />

litäten bereits vorgestellt werden. Die Teilnehmer waren von den Möglich-<br />

keiten sehr begeistert und kommentierten sie und auch die Gestaltung ihres<br />

zukünftigen Programms <strong>als</strong> „sexy“. 699<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Durch die Demonstration der Software wurde den Teilnehmern gezeigt, wie das Ziel<br />

ihrer Bemühungen aussehen würde. Die Veränderung wurde „verkauft“, d.h. die<br />

Betroffenen, die sich noch kein Bild von den anstehenden Veränderungen machen<br />

konnten, sollten so frühzeitig konkrete Informationen, Anwendungen und Vorteile der<br />

neuen Technik erfahren können. Beispiele konkreter Vorführungen von SAP-Modulen<br />

in Workshops halfen nicht nur, ein Bild von der zukünftigen Funktionsweise des<br />

Systems zu erhalten, sondern auch, die Aufmerksamkeit auf den zukünftigen Zustand<br />

zu lenken.<br />

Diesem Ziel der Aufmerksamkeitssteuerung dienten u.a. auch die Bonus- und Anreiz-<br />

systeme, die das Handeln der Mitarbeiter steuern und lenken sollten. Diese Systeme<br />

waren i.d.R. mit Zielvereinbarungs- und Messsystemen verbunden.<br />

Vignette: Formen der Aufmerksamkeitsfokussierung – only what you measure<br />

gets managed<br />

In Gesprächen und Interviews über die Wirkung der BSC <strong>als</strong> Anreiz-<br />

instrument für das Verhalten der Mitarbeiter waren wiederholt Aussagen zu<br />

hören, wie: „Only what is measured gets managed.“ 700 Oder: „People do<br />

not what is expected from them, but where they are measured.“ 701<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Die Aussagen machen deutlich, dass es zwischen den offiziell kommunizierten<br />

Erwartungen der Unternehmensleitung und den über die Bonussysteme kommunizier-<br />

ten Erwartungen Unterschiede geben kann. Diese resultieren häufig daraus, dass die<br />

699 Vgl. Interview I17.<br />

700 Vgl. Interview I17.<br />

701 Vgl. Interview I50, I16.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Bonussysteme nicht mehr aktuell sind und im Widerspruch zu den aktuellen strategi-<br />

schen Zielen der Organisation stehen können.<br />

Diese Situation kann die Beteiligten in ein Dilemma führen: Die Erwartung des Mana-<br />

gements, dass nur Ziele erreicht werden, die gemessen werden, führt dazu, dass in den<br />

nicht messbaren Bereichen auch keine Ziele verfolgt werden.<br />

Diese Folgerung rührt aus der einfachen Überlegung, dass ein Zielvereinbarungs-<br />

system niem<strong>als</strong> das gesamte Verhalten der Mitarbeiter umfassen kann und vor allem<br />

die Funktion der Komplexitätsreduktion übernimmt.<br />

Verhalten, das in diesen „ausgeblendeten“ Bereichen liegt und damit der monetären<br />

Belohnung und der Aufmerksamkeit des Managements und der Mitarbeiter entzogen<br />

ist, verweigert sich damit einer einfachen Stimulus-Response Logik. Hier müssen auf<br />

andere Art die wechselseitigen Erwartungen formuliert und ausgetauscht werden. 702<br />

Beispiele wie ein solches Management von Erwartungsprozessen aussehen kann,<br />

werden im Folgenden geschildert. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Klärung und<br />

Steuerung von Erwartungen und Erwartungserwartungen 703 im <strong>Prozess</strong> des strategi-<br />

schen <strong>Wandel</strong>s.<br />

Vignette: Erwartungssteuerung und <strong>Wandel</strong>bereitschaft<br />

Bei Bekanntgabe der Fusion der MIGROS AARE wurde an die Filialen<br />

kommuniziert, dass sich für die Filialen durch die Fusion nichts ändern<br />

würde. Damit sollte vor allem signalisieren werden, dass es aufgrund der<br />

getrennten Geschäftsgebiete zu keinen Entlassungen oder Schließungen<br />

kommen würde. Den Mitarbeitern sollte die Angst vor Veränderungen<br />

genommen werden.<br />

Allerdings sahen sich die Filialen im Laufe des Integrationsprozesses<br />

zunehmenden Veränderungen gegenüber, die für sie nach der anfänglichen<br />

Ankündigung unerwartet kamen. Beispielsweise ergaben sich aus dem<br />

neuen Warenwirtschaftssystem und der Standardisierung der Informatik-<br />

systeme Veränderungen in der Filialbelieferung, die zu erheblichen Um-<br />

stellungen der filialinternen Abläufe, wie Warenanlieferung, Regalauf-<br />

702 Vgl. hierzu auch Simon, 1998.<br />

703 Erwartungserwartungen sind Erwartungen darüber, weche Erwartungen bei anderen vorliegen.<br />

325


326<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

füllung, Bestellverhalten oder Warenbewirtschaftung, führten. Auf diese<br />

Neuerungen waren die Filialen nicht vorbereitet und so fanden sich die<br />

Filialen, und mit ihnen vor allem die Filialleiter, in der neuen Organisation<br />

lange nicht zurecht. 704<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Die anfängliche Botschaft an die Adresse der Filialen, es würde sich für sie nichts<br />

ändern, führte logischerweise zu einer Reduzierung der Veränderungserwartung und<br />

der <strong>Wandel</strong>bereitschaft der Filialen. Die „persönliche Relevanz“ der Fusion wurde von<br />

den Filialen damit deutlich geringer eingeschätzt und führte dazu, dass sie keine<br />

größeren Konsequenzen aus der Fusion erwarteten. Damit wurde zwar die Vergewis-<br />

serung der Arbeitsplatzsicherheit, Zugehörigkeit und Weiterführung des Tagesge-<br />

schäfts unterstützt. Auf der anderen Seite resultierte aus der Ankündigung aber auch<br />

eine massive Unterschätzung des notwendigen Engagements und der Konsequenzen<br />

für die Filialen. Für die MIGROS AARE bedeutete diese reduzierte <strong>Wandel</strong>bereitschaft,<br />

dass von Seiten der Filialen keine Sonderleistungen erwartet wurden und „business as<br />

usual“ bruchlos fortgesetzt werden konnte. 705<br />

Der Grund für diese fehlgeleitete Erwartungssteuerung war vor allem in einem Mangel<br />

an Erwartungsklärung 706 seitens der Betriebszentrale zu sehen. Durch die Koinzidenz<br />

der Fusion, der Neugestaltung des WWS und der Logistik waren die Konsequenzen<br />

der Fusion sowie der parallelen Aktivitäten nicht voneinander zu unterscheiden. Somit<br />

führte zwar die Fusion unmittelbar nicht zu Veränderungen bei den Filialen. Aller-<br />

dings hatten die mittelbar mit der Fusion zusammenhängenden Projekte einschnei-<br />

dende und nachhaltige Auswirkungen auf die Filialen.<br />

Eine ähnliche Ausgangssituation ergab sich auch für das ERP bei L&S. Nachfolgend<br />

soll deshalb der Start des ERP-Projekts beschrieben werden, bei dem ein erfolgreiches<br />

Management der Erwartungssteuerung erreicht wurde.<br />

704 Vgl. Interview I70, I72.<br />

705<br />

In seinen Ausführungen zur „systemischen Irritationstoleranz“ erläutert Rüegg-Stürm die<br />

Erwartungserwartungen <strong>als</strong> Fähigkeit, menschliche Irrungen zuzulassen und Tabuzonen zu vermeiden. (Vgl.<br />

Rüegg-Stürm (2001), S. 317).<br />

706 Vgl. Rüegg-Stürm, 2000.


Vignette: Erwartungsklärung beim ERP Kick-off<br />

Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Nachdem das ERP-Programm im Januar 2000 von der Geschäftsleitung ge-<br />

nehmigt worden war, wurden sukzessive die wichtigen Einheiten IT und<br />

BPM zusammengestellt und die Länder mit einbezogen. 707 In der Initialisie-<br />

rungsphase wurde dann ein Kick-off für das ERP-Programm veranstaltet,<br />

bei dem neben dem ERP-Management vor allem auch Vertreter der Landes-<br />

gesellschaften Schweiz und Deutschland beteiligt waren. 708<br />

Der Kick-off wurde moderiert von einem externen Berater, der bereits in<br />

der Fusionsphase für L&S tätig gewesen war. Er fordert die Teilnehmer zu<br />

Beginn der zweitägigen Veranstaltung auf, sich den Abend nach der zwei-<br />

tägigen Veranstaltung vorzustellen und stellte die Frage: „Was soll mein<br />

Ziel sein bis Donnerstagabend?“ Jeder Teilnehmer sollte die Antwort für<br />

sich auf ein Kärtchen notieren, an einer Tafel befestigen und kurz erläutern.<br />

Als Ziele der Teilnehmer wurden vor allem genannt: Kennenlernen unter-<br />

einander, Klärung der Rollen im ERP-Team (Wer macht was?), Wir-<br />

Gefühl/Team sowie einzelne fachliche Themen (<strong>Prozess</strong>e und IT). Im Laufe<br />

der Veranstaltung wurde dann der Fokus vor allem auf „das Zwischen-<br />

menschliche“ gelegt. 709<br />

Ein Mitarbeiter der Zentrale erklärte nachträglich zur Kick-off Veran-<br />

staltung: „Ich halte solche Teamentwicklungsmaßnahmen für wichtig, um<br />

vielleicht in einem ersten Schritt wirklich die Zielsetzung, die Strategie, die<br />

Rahmenbedingungen eines Projekts gemeinsam zu verstehen und die Teil-<br />

nehmer abzuholen, ob das wirklich verstanden ist [..].“ 710<br />

Ein weiterer Teilnehmer erklärte später in einem Interview, dass der Work-<br />

shop dazu beigetragen habe, die Erwartungen bei Projektstart zu formulie-<br />

ren und abzustimmen. 711<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

707 Vgl. Dokument D27, D35.<br />

708 Vgl. Beobachtung B110.<br />

709 Vgl. Beobachtung B110, Interview I31, I56.<br />

710 Vgl. Interview I56.<br />

711 Vgl. Interview I25.<br />

327


328<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

<strong>Strategischer</strong> <strong>Wandel</strong> beginnt nicht erst mit der Ankündigung eines Projekts oder<br />

einem Kick-off. 712 Auch die Vorphase des ERP-Programms, in der die Geschäfts-<br />

leitung die Rahmenbedingungen und die Ziele festlegte, war wichtig; denn bereits<br />

Vorankündigungen oder kursierende Gerüchte beinhalteten eine Reihe interpretations-<br />

bedürftiger Ereignisse, die von den Beteiligten in dieser Phase häufig unterschiedlich<br />

gedeutet wurden.<br />

Der Aufbau eines gemeinsamen Verständnisses von der Zielsetzung sowie tragfähigen<br />

Beziehungen ist deshalb zu Beginn des strategischen <strong>Wandel</strong>s von besonderer Bedeu-<br />

tung. Hier können Informationsasymmetrien zwischen den Beteiligten aufgehoben und<br />

Konflikte oder Vorurteile abgebaut werden, um zu verhindern, dass es zu verscho-<br />

benen Konflikten oder Stellvertreterkriegen auf dem Schauplatz des neuen Projekts<br />

kommt.<br />

Der <strong>Prozess</strong> ist deshalb vor allem auf eine frühe wechselseitige Erwartungs- und Ziel-<br />

klärung angewiesen. Das beinhaltet aber nicht nur die Klärung der Sachfragen, Rollen-<br />

und Verantwortungsklärung, sondern insbesondere eine Klärung der zukünftigen<br />

Identität. Erst die Klärung der „identity gap“ 713 – des Unterschiedes zwischen der<br />

bisherigen und der zukünftigen Identität der Organisation - machen es den Mitglie-<br />

dern der Organisation möglich, eine persönliche Standortbestimmung in der zukünf-<br />

tigen Organisation vorzunehmen und sich darin persönlich zu „verorten“.<br />

Vignette: Die zukünftige Identität - was soll 2004 in der Zeitung stehen?<br />

Wie bereits bei der Beschreibung der <strong>Wandel</strong>inhalte gezeigt, ist die BSC ein Instru-<br />

ment, um die Umsetzung zukunftsorientierter Visionen und Strategien zu unterstützen.<br />

Die Ausrichtung auf bestimmte Ziele und Erwartungen ist damit unweigerlich am zu-<br />

künftigen Selbstverständnis ausgerichtet. Die folgende Vignette zeigt den Zusammen-<br />

hang zwischen dem zukünftigen Selbstverständnis und den strategischen Zielen.<br />

Im Rahmen eines BSC-Workshops einer Funktionsabteilung am L&S HQ<br />

EU war ein externer Berater eingeladen worden, um die Abteilung in die<br />

Methodik der BSC einzuführen und gemeinsam mit etwa 30 Mitarbeitenden<br />

Ziele, Treiber, Indikatoren und strategische Projekte zu erarbeiten.<br />

712 Vgl. zum Ausgangspunkt des <strong>Wandel</strong>s auch Kapitel 7.2.1.<br />

713 Vgl. Bouchikhi, et al., 1999.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Um die wichtige Differenzierung von Zielen, Treibern und Indikatoren zu<br />

erläutern, zeigte der Berater die Zusammenhänge an dem persönlichen Ziel<br />

„Gewicht verlieren“ auf. Als Indikator legte er fest, „von 90 auf 80 Kilo“ zu<br />

gelangen. Als Treiber im Sinne von Einflussgrößen auf das Gewicht<br />

wurden Nahrungsaufnahme, Sport, Alkohol etc. identifiziert. Als ein strate-<br />

gisches Projekt wurde „Schwimmen“ bestimmt.<br />

Ziele beschrieben demnach den erwünschten Zustand in der Zukunft.<br />

Treiber stellten stets nur eine Möglichkeit dar, ein Ziel zu erreichen und<br />

umzusetzen. Da der Erfolg der BSC u.a. von der klaren Benennung und der<br />

Unterscheidung der Elemente abhing, war die Entwicklung eines grund-<br />

legenden Verständnisses von entscheidender Bedeutung.<br />

Anhand der vorliegenden BSC-Versionen wurden in der folgenden Diskus-<br />

sion insbesondere die Formulierungen der bisherigen BSC-Ziele unter die<br />

Lupe genommen. Dabei wurde deutlich, dass die Qualitäten der Ziele (nicht<br />

im inhaltlichen Sinne zu verstehen) wie z.B. nur einzelne Ziele, positive<br />

Formulierung eines zukünftigen Zustands (nicht: ich will nicht mehr so dick<br />

sein) u.a. Aspekte eingehend bearbeitet werden mussten.<br />

Anschließend wurde auf Vorschlag des Beraters der gesamte Zyklus einer<br />

BSC-Erstellung einmal durchgearbeitet. Ausgangspunkt dafür war die Be-<br />

schreibung einer gemeinsamen Vision. Dazu startete man mit der Frage:<br />

Was soll die Financial Times im Jahr 2003 über SBT schreiben? 714<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Die Erstellung einer BSC bedeutet ein Arbeiten an der Form des zukünftigen Unter-<br />

nehmens. Dazu zählt u.a. auch das Bild, das man von dem eigenen Unternehmen in der<br />

Zukunft konstruiert bzw. das Bild, das andere stakeholder in der Zukunft voraus-<br />

sichtlich entwickeln werden.<br />

Bereits HAMEL und PRAHALAD machen auf die Bedeutung dieses Bildes aufmerk-<br />

sam:“ ...aber die wirkliche, emotional getragene Motivation entsteht erst dann, wenn<br />

ein Unternehmen artikulieren kann, auf was es hinwächst“ 715 .<br />

714 Vgl. Beobachtung B083.<br />

715 Vgl. Hamel und Prahalad, 1997.<br />

329


330<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

BOUCHIKHI ET AL. 716 unterscheiden hinsichtlich der zukünftigen Vorstellung über die<br />

Organisation das Fremdbild der Organisation, das sogenannte Image, von dem Selbst-<br />

bild der Organisation, der Identität. Während die Identität das Bild der Organisation<br />

bzw. ihrer Mitglieder von sich selbst ist, stellt das Image die Außensicht des Unter-<br />

nehmens bzw. die Wahrnehmung des Unternehmens durch Außenstehende dar. Be-<br />

rücksichtigt man <strong>als</strong> weitere Dimension die zukünftige Sicht auf das Unternehmen und<br />

die gegenwärtige Sicht, so können eine Reihe nützlicher Unterschiede für die Be-<br />

schreibung und Entwicklung der Identität gewonnen werden.<br />

Wahrnehmung von<br />

Organisationsmitgliedern<br />

Wahrnehmung von<br />

externen Stakeholdern<br />

Gegenwart Zukunft<br />

Gegenwärtige<br />

Identität<br />

Zukünftige Identität<br />

Gegenwärtiges Image Zukünftiges Image<br />

Tabelle 11: Identität und Image<br />

Die Frage des Beraters, was in der Financial Times im Jahr 2003 über das Unter-<br />

nehmen stehen soll, stellte damit den Einstieg in ein Spiel mit relevanten Unter-<br />

schieden dar, durch das der zukünftige Zustand aus Sicht der Beteiligten erarbeitet<br />

werden konnte. Hier wird <strong>als</strong>o das Selbstbild bzw. die Identität der Organisation abge-<br />

fragt bzw. (re)konstruiert.<br />

Die Frage nach dem zukünftigen Image zielt dagegen auf die zukünftigen Erwartungs-<br />

erwartungen. In diesem Sinne kann auch die Wunderfrage von DE SHAZER eingesetzt<br />

werden 717 Sie basiert auf einer Pseudoprojektion in die Zukunft und erfragt die interne<br />

und externe Sicht des zukünftigen Zustands.<br />

Wie diese Transformation vom derzeitigen Zustand zum zukünftigen Zustand erfolgt,<br />

d.h. wie die neue Identität und das neue Image <strong>als</strong> Strukturen im <strong>Prozess</strong> der<br />

Strukturation rekursiv entwickelt werden können, zeigt der nächste Abschnitt.<br />

Fazit: Zukünftiger Zustand<br />

Aus den Darstellungen dieses Abschnitts wird deutlich, dass Zielen und Erwartungen<br />

der Beteiligten eine starke handlungsleitende Funktion zukommt. Wenngleich hierbei<br />

716 Vgl. Bouchikhi, et al., 1999.<br />

717 V gl. de Shazer, 1995.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

unterschiedliche Wege der Zielerreichung denkbar sind, kommt den Zielen jeweils die<br />

Funktion einer Aufmerksamkeitsfokussierung zu. Damit werden Formen der Ziel- und<br />

Erwartungsklärung zum unverzichtbaren Bestandteil von <strong>Wandel</strong>prozessen.<br />

7.2.3 <strong>Wandel</strong>projekte <strong>als</strong> <strong>Prozess</strong>e relationaler Identitätsbildung<br />

Alles wirkliche Leben ist Begegnung.<br />

Martin Buber<br />

Bereits in Kapitel 2.2 ist auf die Bedeutung der relationalen Verfertigung der organi-<br />

sationalen Identität hingewiesen worden. Im nachfolgenden Abschnitt werden Bei-<br />

spiele solcher <strong>Prozess</strong>e beschrieben. Die Beschreibung, Analyse und Interpretation<br />

dieser <strong>Prozess</strong>e gilt allerdings nicht den Identitätsinhalten, sondern vor allem der<br />

Struktur des Verfertigungsprozesses, der den Bedingungen des Zustandekommens<br />

neuer Identitätsstrukturen zugrunde liegt.<br />

Reflexion / Beobachtung<br />

Beobachtung<br />

2. 2. Ordnung Ordnung<br />

Der Ausgangspunkt<br />

<strong>Wandel</strong>projekte<br />

<strong>als</strong> <strong>als</strong> Identitätsbildende<br />

<strong>Prozess</strong>e Der erwarteteZustand<br />

des <strong>Wandel</strong>s<br />

- Wer sind wir?<br />

- Wer werden wir sein?<br />

relevante Unterschiede erkennen<br />

und Anschlussfähigkeit schaffen<br />

Abbildung 89: <strong>Wandel</strong>projekte <strong>als</strong> Element des <strong>Wandel</strong>prozesses<br />

331


332<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Somit steht nicht der „Fit“ organisationaler Tiefenstrukturen, 718 sondern der gemein-<br />

same <strong>Prozess</strong> der Strukturierung und Vergemeinschaftung der Identität im Mittel-<br />

punkt.<br />

Die Analyse unterliegt dabei einer Mehrebenenbetrachtung: So sollen insbesondere die<br />

Einbeziehung nicht erkannter Handlungsvorrausetzungen und –konsequenzen sowie<br />

der Differenzierung zwischen Inhalt- und Beziehungsebene behilflich sein, die Heraus-<br />

forderungsdimensionen für das Management des <strong>Wandel</strong>s zu differenzieren.<br />

Die folgende Vignette beschreibt ein Beispiel einer impliziten Identitätsentwicklung in<br />

Form von strategischen Projekten. Dieses, wie auch die folgenden Beispiele zeigen,<br />

dass es vor allem konkrete Handlungen sind, welche die (impliziten) Identitäts-<br />

strukturen einer Organisation aufrecht erhalten aber auch verändern.<br />

Auffallend ist hierbei, dass es in der Regel nicht das Ziel dieser Maßnahmen ist, die<br />

kulturelle Ebene oder die soziale Architektur der Organisation zu verändern. Vielmehr<br />

sind solche Initiativen in der Regel einem sehr konkreten Ziel, wie z.B. der Geschäfts-<br />

prozessgestaltung, gewidmet. Die eigentliche Herausforderung für ein Management<br />

des <strong>Wandel</strong>s besteht allerdings häufig nicht in der Bewältigung der aufgaben- und<br />

inhaltsbezogenen <strong>Prozess</strong>e (offizielles Thema), sondern in den vielfach ausge-<br />

blendeten Aspekten ihrer strukturellen „Nebenwirkungen“.<br />

Vignette: Integration via Workshop<br />

Viele Interviewpartner beschrieben den Integrationsprozess zwischen L&G<br />

und STAEFA CONTROL in der frühen Post-Merger-Phase <strong>als</strong> sehr spannend.<br />

Die beiden langjährigen „Feinde“ sollten über Nacht zu Freunden werden.<br />

Dass die Post-Merger-Phase trotzdem erfolgreich gestaltet werden konnte,<br />

war nach Meinung vieler Manager vor allem auf eine Kick-Off Veran-<br />

staltung in der frühen Projektphase im Frühjahr 1996 zurückzuführen.<br />

Bei diesem dreitägigen „Workshop in Feusisberg“ wurde mit ca. 15<br />

Managern aus den größten Landesgesellschaften und wenigen Managern<br />

aus dem HQ ungeachtet ihrer Position eine Organisationsstruktur ent-<br />

wickelt, die während der nächsten Jahre Bestand hatte.<br />

718 Vgl. Bickmann, 1999.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Dazu wurde am ersten Tag nur über den Markt, die Marktstrukturen,<br />

Kundensegmente und Kundenprozesse diskutiert. Dabei wurde den Betei-<br />

ligten früh deutlich, dass man zwar über ähnliche Inhalte sprach, für viele<br />

Dinge aber unterschiedliche Bezeichnungen verwendete, was wiederum zu<br />

vielen Aha-Erlebnissen führte. Bis zum Abend hatte man erarbeitet, wie die<br />

zukünftige Markt- und Business-Struktur aussehen würde. Es ergab sich für<br />

die Organisation eine Produkt-Markt-Matrix, bei der die verschiedenen<br />

Marktleistungen und Kunden gegenübergestellt wurden.<br />

Am zweiten Tag wurde aufgrund des am Vortag erarbeiteten Markt- und<br />

Kundenverständnisses eine gemeinsame Struktur für die Filialen entworfen.<br />

Im Mittelpunkt stand dabei für alle Beteiligten die Frage, wie ein Vertriebs-<br />

büro aussehen konnte, das in der bereits definierten Produkt-Markt-Matrix<br />

tätig war. Auch hier stellten die Beteiligten fest, dass sie unterschiedliche<br />

Bezeichnungen für das gleiche Thema verwendeten. Allen wurde aber<br />

schnell klar, dass der Markt die Struktur der Vertriebsbüros diktierte und<br />

dass daraus schnell abgeleitet werden konnte, wie ein Vertriebsbüro aus-<br />

sehen musste. Anschließend wurde dann beraten, wie das Hauptquartier in<br />

einem Land strukturiert sein musste, das die Vertriebsbüros unterstützte.<br />

Man ging dabei immer wieder von den Kunden über die Geschäftsprozesse<br />

zur Organisationsstruktur.<br />

Am Abend des zweiten Tages hatten die Beteiligten nicht nur ein gemein-<br />

sames Markt- und Kundenverständnis, sondern waren sich auch gemeinsam<br />

klar über die Vertriebsprozesse und Leistungsdefinitionen. Außerdem war<br />

man sich einig, wie die Vertriebsbüros und das HQ in einem Land organi-<br />

siert sein sollten.<br />

Am dritten Tag wandte man sich der Frage zu, wie angesichts der Länder-<br />

organisation dann das Hauptquartier EU aussehen sollte und erarbeitete<br />

gemeinsam die Grundlagen für ein neues Management-Informationssystem.<br />

Bis zum Abend hatte man auch dafür eine gemeinsame Vorstellung ent-<br />

wickelt.<br />

Insgesamt hatte man sich <strong>als</strong>o aufgrund der Strategie (Markt) eine Struktur<br />

(Vertriebsbüro, HQ in den Landesgesellschaften, HQ EU) gegeben und<br />

schließlich auch noch ein für beide Seiten neues, gemeinsames Manage-<br />

ment-Informationssystem (MIS) beschlossen. Dabei waren neben dem MIS<br />

333


334<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

auch die Definitionen von Markt und Organisationsstruktur für beide Seiten<br />

neu. Im Bereich OEM und Service war STAEFA CONTROL relativ schwach,<br />

dafür aber im Bereich Small Works, Contracting stärker.<br />

Man hatte mit diesem Workshop den ersten Durchbruch im Mergerprozess<br />

erreicht. Von zentraler Bedeutung war dabei nach Aussage der Teilnehmer<br />

die Entwicklung einer gemeinsamen Sprache. 719<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Der „Workshop in Feusisberg“ wurde im Verlaufe unserer empirischen Arbeit immer<br />

wieder genannt und der Leiter der europäischen Division bezeichnete diesen Work-<br />

shop <strong>als</strong> seinen größten Erfolg in seiner Managementkarriere.<br />

Die Ausgangslage dieses Workshops war durch die bislang in direktem Wettbewerb<br />

stehenden Unternehmen und noch anstehende Personalentscheidungen äußerst prekär.<br />

Die beabsichtigte Integration der beiden Unternehmen, zu der dieser Workshop einen<br />

wesentlichen Teil beitragen sollte, hing wesentlich davon ab, eine neue gemeinsame<br />

Struktur des Unternehmens zu entwickeln. Eine solche Struktur bestand mehr oder<br />

weniger bereits bei beiden Firmen. Hier ging es aber vor allem darum, ein gemein-<br />

sames Verständnis und eine gemeinsame Sprache <strong>als</strong> Basis für die neue Unter-<br />

nehmung zu schaffen. Der Entwurf einer neuen gemeinsamen Struktur diente dabei im<br />

Prinzip <strong>als</strong> Anlass oder Vehikel, um der Organisation einen neuen Zugang zu sich<br />

selbst zu eröffnen.<br />

Von zentraler Bedeutung war dabei, wie in der Vignette ersichtlich wird, die<br />

lösungsorientierte Entwicklung einer gemeinsamen Vorstellung der relevanten<br />

Umwelt und der Struktur der eigenen Organisation.<br />

Fragen nach den zu lösenden Kundenproblemen oder dem eigentlichen Geschäft in<br />

dem man arbeitet, gehören nach WIMMER und NAGEL dabei zu den zentralen<br />

Identitätsfragen eines Unternehmens. 720 Die geteilten Vorstellungen über die Regeln<br />

und Muster der geschäftlichen <strong>Prozess</strong>e und Strukturen <strong>als</strong> Kernbestandteile der<br />

Organisation werden dabei mittels Kommunikation „verfertigt“ und stellen das nötige<br />

Orientierungswissen strategischen Handelns bereit. Diese handlungsbezogene Aus-<br />

719 Vgl. Interview I53, I06, I21.<br />

720 Vgl. Wimmer und Nagel, 2000.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

einandersetzung über die relevanten Fragen trägt zur Interpretation der interpretations-<br />

bedürftigen Regeln bei und hilft, die Unsicherheit der Beteiligten zu reduzieren. 721<br />

Von zentraler Bedeutung bei diesem Bewältigungsprozess sind Aspekte des Sense-<br />

making und der Erwartungsklärung über die zukünftige Identität der Organisation.<br />

Fragen, die in diesem Zusammenhang bearbeitet werden müssen, sind z.B.: Was für<br />

ein Geschäft machen wir? Wie sieht unsere zukünftige Struktur aus? etc.<br />

Die nachfolgende Vignette zeigt, dass es Kommunikations- und Interaktionsanlässe<br />

bzw. bestimmte Inszenierungen braucht, um die kommunikativen Veränderungen<br />

zentraler Identitätsmerkmale zu ermöglichen.<br />

Vignette: ERP <strong>als</strong> Trojaner für die Harmonisierung der Geschäftsprozesse<br />

Während im Anschluss an die Fusion zwischen L&G und STAEFA<br />

CONTROL keine Harmonisierung der Geschäftsprozesse angestoßen wurde,<br />

erforderte die Einführung des ERP drei Jahre später genau diese europa-<br />

weite organisatorische Angleichung. Auf die Frage, warum nicht direkt im<br />

Anschluss an die Fusion zwischen L&G und STAEFA CONTROL eine<br />

Harmonisierung der Geschäftsprozesse betrieben worden sei, erklärte ein<br />

Manager: „Es war kein Druck da, <strong>als</strong>o den Druck hättest Du künstlich er-<br />

zeugen müssen. Mit dem ERP hast Du ihn. Wir müssen das Zeugs (die<br />

Geschäftsprozesse) abbilden. Und da kann man nur eine Sicht abbilden –<br />

Ende der Durchsage. Und wenn Du sonst einfach über die <strong>Prozess</strong>e hin-<br />

weggegangen wärst, warum sollte man sich dann einigen, könnte ja<br />

sowieso jeder wieder machen was er will. Vom damaligen (ERP) System<br />

her ist das ja gegangen. [..]. Also du hattest keinen äußeren Druck, und mit<br />

dem ERP hast Du den“. 722<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Eine Harmonisierung der Geschäftsprozesse kann prinzipiell auf unterschiedliche Art<br />

und Weise erreicht werden. Das ERP-Programm ist dabei nur eine Möglichkeit.<br />

Grundsätzlich wäre auch die Fusion zwischen den beiden Organisationen ein „window<br />

721 Vgl. zur Bedeutung der kommunikativen Verfertigung der neuen Strukturen insbes. Barrett, et al.,<br />

1995;Kieser, 1998.<br />

722 Vgl. Interview I22.<br />

335


336<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

of opportunity“ gewesen, um die Ablauforganisationen in den verschiedenen euro-<br />

päischen Ländern anzugleichen. Immerhin stellen Fusionen und andere <strong>Wandel</strong>anlässe<br />

Zeiten dar, in denen die vorhandenen Erwartungen wesentlich irritationsbereiter sind.<br />

Allerdings hätte die Standardisierung im vorliegenden Fall dem ansonsten eher<br />

subsidiär geführten <strong>Prozess</strong> der Post-Merger-Integration stark widersprochen.<br />

Die Einführung einer neuen, standardisierten ERP-Software legitimierte nun die Har-<br />

monisierung der Geschäftsprozesse sehr viel stärker, da es mit der Entscheidung für<br />

eine einheitliche Informationsplattform keine Alternative mehr zu den einheitlichen<br />

<strong>Prozess</strong>en gab.<br />

Die Einführung des ERP <strong>als</strong> neuer gemeinsamer Informationsplattform stellte somit<br />

einen „Trojaner“ dar, der vor allem die Harmonisierung der bestehenden Geschäfts-<br />

prozesse beinhaltete. Durch die technische Notwendigkeit wurde damit die<br />

Angleichung der Ablauforganisation legitimiert und gleichzeitig die Tür geöffnet zu<br />

einer bis dahin kaum leistbaren, europaweiten Zentralisierung und Integration. Dazu<br />

diente, vielleicht nicht zufällig, in einer technisch orientierten Organisation ein<br />

technisches „Pferd“.<br />

Das „eigentliche“ Thema und der Kern der Veränderung war dabei bei L&S die<br />

Veränderung eines zentralen, identitätsstiftenden Elements, nämlich der Balance<br />

zwischen Zentralität und Dezentralität auf der Strukturebene.<br />

Die nächste Vignette zeigt – wenn auch für einen wesentlich abgegrenzteren Bereich –<br />

ebenfalls ein Beispiel für einen solchen identitätsstiftenden Verfertigungsprozess an-<br />

hand der Neugestaltung eines Verkaufsprozesses in einer Landesgesellschaft.<br />

Vignette: Neugestaltung eines Verkaufsprozesses<br />

Die Integration der beiden Unternehmen LANDIS&GYR und STAEFA<br />

CONTROL wurde in der Post-Merger-Phase vor Ort in den Ländern von<br />

diesen weitgehend autonom betrieben. Dadurch kam es in den einzelnen<br />

Ländern zu unterschiedlichen Projekten. Beispielsweise wurde in Öster-<br />

reich die Integration segment- und bereichsbezogen durchgeführt, wodurch<br />

es in den einzelnen Segmenten zu einer Reihe von Projekten kam, wie bei-<br />

spielsweise der im Folgenden beschriebenen Reorganisation des<br />

Marketings.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Die Reorganisation hatte bereits 1994 mit einem Projekt zur Definition der<br />

Geschäftsprozesse anlässlich der ISO-Zertifizierung begonnen. Im Rahmen<br />

der Post-Merger-Integration wurde dieses Projekt nun zur gemeinsamen,<br />

prozessbezogenen Entwicklung eines Qualitätsmanagements genutzt. Ein<br />

leitender Manager kommentierte dazu in einem Interview rückblickend:<br />

„Das war der Synergietreiber.“ 723<br />

Anlass hierzu gab die anstehende Qualitätszertifizierung, die für den Herbst<br />

1996 für L&G geplant war, und nun im Kontext der Fusion durchgeführt<br />

werden sollte.<br />

Für die Neugestaltung des Verkaufsprozesses traf sich ein Team aus 5 Mit-<br />

arbeitern, wobei neben dem leitenden Manager jeweils zwei von L&G und<br />

zwei von STAEFA CONTROL zusammen kamen und sich zu drei Tagesver-<br />

anstaltungen trafen. Der leitende Manager bezog bewusst Mitarbeiter aus<br />

beiden ehemaligen Firmen mit ein, um eine paritätische Besetzung zu er-<br />

reichen, was nach seiner Meinung sehr wichtig für das Gelingen war.<br />

Darüber hinaus war die Gruppe auch bzgl. ihres Alters und der beruflichen<br />

Hintergründe heterogen zusammengesetzt.<br />

Im Mittelpunkt der Projektarbeit stand der Aufbau eines gemeinsamen Ver-<br />

ständnisses für den Verkaufsprozess der fusionierten Firmen. Dazu analy-<br />

sierte man die Vertriebsprozesse bis in die Vertriebsbüros hinein, einigte<br />

sich auf so genannte best practices und übertrug das Ergebnis in eine Soft-<br />

warelösung.<br />

Die Neudefinition des Verkaufsprozesses richtete sich dabei am System-<br />

geschäft aus. Es ging darum, zu erkennen welche Kunden welchen<br />

Segmenten zugeordnet werden konnten, um z.B. bei einem öffentlichen<br />

Auftrag oder einem Auftrag der sogenannten „installed base“ den Ver-<br />

kaufsprozess entsprechend zu strukturieren.<br />

Im Rahmen der Meetings wurde über die Erstellung von Handbüchern für<br />

den Verkauf ,sowie über die Klärung unterschiedlicher konkreter<br />

Geschäftsthemen allmählich ein gemeinsames <strong>Prozess</strong>verständnis und<br />

723 Vgl. Interview I20.<br />

337


338<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

gleichzeitig viel gegenseitiger Respekt zwischen den Mitarbeitern ent-<br />

wickelt.<br />

Als zusätzliche Integrationsmaßnahme wurden die Verkäufer im Anschluss<br />

zum Thema „Strategic Selling“ in Form von „gemischten Seminaren“<br />

trainiert, wobei nicht nur die Verkäufer der beiden ehemaligen Firmen<br />

sondern auch IT-Leute und Controller einbezogen wurden. 724<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Die beschriebenen Maßnahmen stellten neben ihren direkten Aufgabenbezügen<br />

(Gestaltung des Verkaufsprozesses, Verkaufsschulung) auf der darunter liegenden,<br />

strukturellen Ebene gleichzeitig auch Integrationsmaßnahmen dar. Die Projekte<br />

eigneten sich damit auch, die zwei ehemaligen Konkurrenten, die gemeinsam auf<br />

einem Markt tätig waren, zu einer Firma zusammen zu bringen.<br />

Damit zeigt das Beispiel, dass die Zusammenführung von zwei Firmen durch die Be-<br />

arbeitung gemeinsamer Themen und Projekte gefördert werden kann. Allerdings sollte<br />

es sich, wie im Falle der Neudefinition des Verkaufsprozesses, um Themen aus dem<br />

Tagesgeschäft handeln und nicht, wie ein Manager sich ausdrückte, um „etwas<br />

Künstliches [...] wie etwa das Bauen einer Brücke bei Outdoor-Events mit<br />

Coaches.“ 725<br />

Wenngleich in der folgenden Vignette genau ein solcher Outdoor Event den Einstieg<br />

in einen mehrjährigen Entwicklungsprozess einer Gruppe von Managern darstellt,<br />

scheint der Bezug zu konkreten Themen aus dem Tagesgeschäft der Beteiligten förder-<br />

lich für die Integration zu sein.<br />

Auf diesen Praxisbezug hebt insbesondere die Literatur zu den von WENGER/SNYDER<br />

beschriebenen Communities of practice ab. 726 Als Orte mit einer geringen „Vor-<br />

Strukturierung“ bieten sie einen organisationalen Rahmen, um in einer Organisation,<br />

einfache, neue soziale Praktiken und neue Strukturen zu entwickeln.<br />

Die beschriebene Neugestaltung des Verkaufsprozesses enthielt in diesem Sinne<br />

typische Aspekte einer Community of practice. Neben der Bewältigung der inhalt-<br />

724 Vgl. Interview I20.<br />

725 Vgl. Interview I20.<br />

726 Vgl. Brown und Duguid, 1991, Wenger und Snyder, 2000. Zur Einführung empfiehlt sich Wenger, 1998.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

lichen Aufgabe, neue Strukturen und Regeln für den Verkauf zu entwickeln, führte die<br />

Arbeit des Projekts auch zur Entwicklung neuer Strukturen und Praktiken der Zusam-<br />

menarbeit. Es führte damit sowohl auf der inhaltlichen wie auch auf der sozial-prozes-<br />

sualen Ebene zur Ausbildung einer praxisbezogenen Community of Integration.<br />

Für diese Integration scheint neben der Behandlung konkreter Sachthemen das Erleben<br />

eines gemeinsamen <strong>Prozess</strong>es und die Neugestaltung sozialer Praktiken unabdingbar<br />

zu sein. Dass sich die intensive Bearbeitung der sozialen Ebene und ein damit ver-<br />

bundenes zeitliches Investment auch auf der inhaltlichen Ebene auszahlt, zeigt das<br />

nachfolgende Beispiel der Vision eines Hochleistungsteams der Geschäftsleitung der<br />

MIGROS AARE.<br />

Vignette: Entwicklung neuer sozialer Praktiken im Projekt TEZetera<br />

Das Integrationsprojekt TEZetera stellte für die Geschäftsleitung der<br />

MIGROS AARE eine ganzheitliche <strong>Wandel</strong>initiative dar. Mit der prozessbe-<br />

gleitenden Teamentwicklung der Geschäftsleitung wollte man in der Post-<br />

Merger-Phase möglichst schnell die Bildung einer funktionsfähigen<br />

Geschäftsleitung unterstützen.<br />

Im Anschluss an einen anfänglichen Outdoor-Event wurden dazu die<br />

monatlichen Geschäftsleitungssitzungen, bei der die Teilnahme für alle<br />

Mitglieder streng verpflichtend war, von zwei Beratern begleitet. Man<br />

nutzte die Sitzungen einerseits um die Strategieüberarbeitung und die<br />

Bewältigung der vielen Fusionsprojekte zu bearbeiten; andererseits wurden<br />

anhand der Integrationsthemen, die sich in Form von verschiedenen Kern-<br />

prozessen und strategischen Projekten darstellten, auch die innere Struktur<br />

und die Zusammenarbeit in der Geschäftsleitung gemeinsam aktiv bear-<br />

beitet.<br />

Die Methodik des interdisziplinären Beraterteams war dabei nicht nur auf<br />

die Arbeit an Inhalts- oder Sachfragen ausgerichtet. Es sollte vielmehr<br />

anhand der Sachfragen eine neue Form der Zusammenarbeit gelernt<br />

werden, um die Denkhaltungen, Grundwerte und Problemlösungsansätze<br />

der Kollegen kennen zu lernen und antizipieren zu können. Dieser Lern-<br />

prozess wurde im Anschluss an die anfänglich explizite Thematisierung von<br />

Kommunikations- und Beziehungsthemen anhand der sich ergebenden<br />

Geschäftsprozesse thematisiert und bearbeitet.<br />

339


340<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Ein Mitglied der Geschäftsleitung beschrieb diesen <strong>Prozess</strong> <strong>als</strong> ein<br />

„Zusammenkitten“ der Geschäftsleitung anhand der anstehenden Heraus-<br />

forderungen, die sich aus der Integration ergaben. Ein Interviewteilnehmer<br />

betonte, wie wichtig es war, die Ausrichtung des <strong>Prozess</strong>es an konkreten<br />

Managementthemen aufzuhängen, da so auch unangenehme Themen hart<br />

und kontrovers in der Sache behandelt wurden. Beispielsweise stand die<br />

Informatikabteilung zeitweise unter massivem Druck und war aufgrund der<br />

personellen Knappheit kaum in der Lage, ihre Vorgaben zu erfüllen. Trotz-<br />

dem wurden angesichts einer neu auftauchenden Kostenstellenproblematik<br />

auch plötzlich Personen in Frage gestellt. 727<br />

Grundlage der gesamten Arbeit war die Vision eines Hochleistungsteams.<br />

Die Annahme war, dass die GL die Fusion nur bewältigen könne, wenn sie<br />

sich bewusst Zeit nehmen würde, um anlässlich verschiedener Business-<br />

Themen auch persönliche und organisationale Implikationen bis auf die<br />

persönliche Ebene hin zu reflektieren. 728<br />

Heute arbeitet die Geschäftsleitung selbständig ohne die Berater, die nur<br />

noch sporadisch zur Unterstützung bei heiklen Teamthemen hinzugezogen<br />

werden.<br />

Allerdings hatte der <strong>Prozess</strong> innerhalb der Geschäftsleitung auch Auswir-<br />

kungen auf andere Geschäftsbereiche. In der zweiten Ebene brauchte man<br />

lange Zeit, bis das Verhalten der Geschäftsleitung State-of-the-Art wurde.<br />

Während die Geschäftsleitung anfänglich die Wahrnehmung hatte, dass die<br />

Organisation diesen <strong>Prozess</strong> mitmache, identifizierten die Mitarbeiter mit<br />

der Zeit eine Lücke zwischen dem Entwicklungsstand und der Dynamik der<br />

Geschäftsleitung und der übrigen Organisation.<br />

Ein möglicher Grund dafür: Für die die zweite Ebene gab es keinen ver-<br />

gleichbaren <strong>Prozess</strong>. Um die zweite Ebene einzubeziehen, wurden lediglich<br />

im Anschluss an das Meeting der Geschäftsleitung der Kommunikations-<br />

chef und der Integrationsmanager über die Ergebnisse informiert.<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

727 Vgl. Interviews I66, I70.<br />

728 Vgl. Interview I69.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Das Projekt TEZetera stellte im Vergleich zur bisherigen „Ärmel-hoch“-Mentalität für<br />

die Organisation eine deutliche Innovation dar. Zum ersten Mal wurden, mit der mehr<br />

<strong>als</strong> zweijährigen Begleitung durch Externe, Impulse von Außen gezielt in den strategi-<br />

schen <strong>Prozess</strong> einbezogen. Die Impulse bezogen sich dabei nicht nur auf betriebswirt-<br />

schaftliche und strategische Inhalte, sondern aufgrund der interdisziplinären Zusam-<br />

mensetzung des Beraterteams auch auf die Beziehungs- und <strong>Prozess</strong>ebene.<br />

Die gemeinsame Arbeit an einer Aufgabenstellung, und die sprachliche Koordination<br />

des Systems führten dazu, dass die Beteiligten einen gemeinsamen Sinn und eine<br />

gemeinsame Identität konstituierten. Die Aufgabe der Bewältigung der Post-Merger-<br />

Phase wurde damit im Falle der Geschäftsleitung der neuen MIGROS AARE zum<br />

organisierenden Prinzip, um das ein Kommunikationssystem aufgebaut wurde.<br />

Die geteilte Praxis der Entwicklung gemeinsamer sozialer Praktiken und einer damit<br />

entstehenden Identität ist allerdings äußert schwierig über den Kreis der Beteiligten<br />

hinaus zu „transportieren“. BROWN und DUGUID bemerken dazu:<br />

„Aufgrund seiner Wurzeln auf der sozialen Ebene bewegt sich Wissen innerhalb von Gemeinschaften<br />

anders <strong>als</strong> zwischen ihnen. Innerhalb ist das Wissen kontinuierlich in die Praxis eingebettet<br />

und daher leicht zu verbreiten. Die Mitglieder haben ein gemeinsames Verständnis<br />

davon, was die Praxis und die Kriterien für die Beurteilung ausmacht - das hält die Gruppe<br />

zusammen. Zwischen Gemeinschaften dagegen, wo definitionsgemäß keine gemeinsame<br />

Praxis geteilt wird, müssen Know-how, Fachkenntnis und Kriterien zur Verbreitung voneinander<br />

getrennt werden. Das sorgt für Probleme. Verschiedene Gemeinschaften haben unterschiedliche<br />

Standards und unterschiedliche Vorstellungen davon, was wichtig ist“. 729<br />

Damit wird deutlich, dass die Systemgrenze und die Teilhabe an sozialen Praktiken,<br />

die im Zusammenhang mit der Aufgabenbewältigung stehen, unmittelbar miteinander<br />

verwoben sind. Zugehörigkeit zum System und Teilhabe am sozialen - insbesondere<br />

impliziten – Wissen kann daher nur durch die prozessuale Einbeziehung erfolgen.<br />

Die folgende Vignette macht deutlich, wie durch die Einbeziehung selbst ehrgeizige,<br />

zentral initiierte <strong>Wandel</strong>prozesse in einem subsidiär geprägten Umfeld erfolgreich<br />

umgesetzt werden können.<br />

729 Vgl. Brown und Duguid, 1999.<br />

341


342<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Vignette: Einbeziehung <strong>als</strong> Bedingung der Identitätsbildung im ERP-Programm<br />

Im Mittelpunkt der Einführung der neuen ERP-Software bei L&S stand vor<br />

allem die Harmonisierung und Standardisierung der Geschäftsprozesse in<br />

den Ländern.<br />

Die Erreichung dieses Ziels machte neben der Einbeziehung der für die<br />

Geschäftsprozesse verantwortlichen zentralen Einheiten vor allem die der<br />

Ländergesellschaften nötig. 730<br />

Bereits in der ersten Phase der Initialisierung kam es erstm<strong>als</strong> zur direkten<br />

Einbeziehung der Länder, <strong>als</strong> die Landesgesellschaft Schweiz die Funktion<br />

des Piloten übernahm und fortan im ERP-Steering Committee vertreten<br />

war. Kurze Zeit später erhielten die Länder, anlässlich eines jährlich statt-<br />

findenden europäischen Managementmeetings, erste Informationen und die<br />

Möglichkeit, Erwartungen, Anregungen und Kritik an dem Programm zu<br />

formulieren. 731<br />

Im Rahmen des dann folgenden Kick-Offs 732 wurde das Programm durch<br />

das ERP-Management aus der Zentrale und Vertreter der Landesgesell-<br />

schaften Schweiz und Deutschland gemeinsam gestartet. 733<br />

In der zweiten Phase, in der die Modellierung der Geschäftsprozesse und<br />

die Definition eines Blueprint erfolgen mussten, waren die Länder stark<br />

beteiligt. In insgesamt 23 Workshops wurden die As-Is-Geschäftsprozesse<br />

zusammengetragen. Ausgewählte Länder entsandten dazu Business Process<br />

Champions, die <strong>als</strong> Experten für die jeweiligen Geschäftsprozesse zusam-<br />

men mit Mitarbeitern aus dem HQ und externen Beratern die <strong>Prozess</strong>e<br />

definierten. Früh merkten die Länder dabei, dass sie im Gegensatz zu<br />

früheren Projekten wesentlich mehr Einfluss auf die Gestaltung der neuen,<br />

harmonisierten Geschäftsprozesse hatten. 734<br />

730 Vgl. Interview I56, I18, Dokument D27, D35.<br />

731 Vgl. Beobachtung B019, B032, B087; Dokument D11.<br />

732 Vgl. hierzu auch Kap. 7.4.2.<br />

733 Vgl. Beobachtung B110, B061.<br />

734 Vgl. Beobachtung B104, B037.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Die Ergebnisse der As-Is-Phase wurden den Landesgesellschaften im<br />

September 2000 zu einer Qualitätskontrolle vorgelegt. Aus der As-Is<br />

Modellierung und dem Feedback der Länder wurde dann von Oktober bis<br />

November 2000 in 16 Workshops, wiederum unter Beteiligung der Länder,<br />

die zukünftigen To-Be Geschäftsprozesse generiert. Auch diese Phase<br />

wurde wieder durch eine Qualitätskontrolle durch die Länder abge-<br />

schlossen. 735<br />

In der anschließenden Phase der Vorbereitung des Roll-out im Pilotland<br />

Schweiz und der Konfiguration der ERP-Software stellten die Länder neben<br />

ihren Business Process Champions zusätzlich so genannte Power User ein,<br />

die <strong>als</strong> Schlüsselanwender fundierte Kenntnisse über die Details der<br />

bestehenden Geschäftsprozesse hatten. Von den rund 160 Mitarbeitern, die<br />

in dieser Phase für das ERP-Programm tätig waren, kamen etwa 90 aus den<br />

Ländern. 736<br />

Auch in den abschließenden Tests, Schulungen und Trainings der End-User<br />

in den Ländern wurden Business Process Champions und Power User aus<br />

den Ländern eingesetzt.<br />

Die starke Einbeziehung der Länder über den gesamten Ablauf des ERP-<br />

Programms wurde von den Interviewpartnern immer wieder <strong>als</strong> ent-<br />

scheidender Erfolgsfaktor genannt. Im Gegensatz zu vergangenen Einfüh-<br />

rungen neuer Softwarelösungen, die <strong>als</strong> Unterstützung für die Länder<br />

konzipiert waren, bestätigten insbesondere die Vertreter aus den Ländern,<br />

dass man den Eindruck habe, dass die Länderinteressen bei diesem Projekt<br />

wirklich berücksichtigt würden. 737<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Die starke Einbeziehung der Ländergesellschaften war ein wesentliches Merkmal des<br />

ERP-Programms. Gerade der Umstand, dass ein auf stärkere Zentralisierung angelegte<br />

<strong>Wandel</strong>initiative in einem subsidiären Umfeld auf einen starken Einbezug der de-<br />

zentralen Einheiten setzte, hatte zur Folge, dass insbesondere die Qualität der abge-<br />

735 Vgl. Dokument D24, D27, D69.<br />

736 Vgl. Beobachtung B045; Dokument D20, D30.<br />

737 Vgl. Interview I25, I38, I46, I49, I51, I54, I63, I64.<br />

343


344<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

bildeten Geschäftsprozesse enorm verbessert wurde. Insofern wandelte sich die<br />

anfangs <strong>als</strong> Hindernis bewertete, subsidiäre Identität der Organisation im Verlaufe des<br />

<strong>Prozess</strong>es zum Qualitätstreiber.<br />

Allerdings wurde auch im Vergleich zu anderen Initiativen besonders stark und aktiv<br />

der Einbezug der Länder gefördert. Die daraus resultierenden Task Forces, Teams und<br />

Arbeitsgruppen wiesen in ihrer Zusammensetzung eine ähnliche Struktur auf, wie sie<br />

bereits von LIKERT beschrieben wurde. Kennzeichnend für diese überlappenden<br />

Gruppen war, dass die jeweils tiefere Ebene in die Arbeit der höheren Ebene integriert<br />

wurde und damit die hierarchieübergreifende Kommunikation gefördert wurde. 738<br />

Diese Form der Einbeziehung wirkt der von BROWN und DUGUID beschriebenen<br />

Schwierigkeit beim systemübergreifenden Austausch von Wissen entgegen und fördert<br />

die Akzeptanz bei zentral initiierten Veränderungen. Die erhöhte Akzeptanz ist dabei<br />

vor allem auf die Möglichkeit zurückzuführen, an dem Entwurf der zukünftigen Orga-<br />

nisation mitwirken zu können.<br />

Abbildung 90: System sich überlappender Gruppen nach Likert<br />

(in Anlehnung an (Likert, 1975, S. 59ff)<br />

Wichtig scheint im diesem Zusammenhang zu sein, dass durch die gleichberechtigte<br />

Einbeziehung, die Würdigung und die Anerkennung der Expertise dezentraler Einhei-<br />

ten eine deutlich stärkere symmetrische Kommunikation ermöglicht wird, <strong>als</strong> durch<br />

ein top-down geführtes Management von <strong>Wandel</strong>prozessen. 739<br />

738 Vgl. Likert, 1975.<br />

739 Vgl. zur symmetrischen Kommunikation Watzlawick, et al., 1990 und für die Anwendung im Kontext von<br />

Post-Merger-<strong>Prozess</strong>en von Krogh, 1994.


Fazit: Relationale Identitätsbildung<br />

Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Organisationen haben eine einmalige Historie und eine damit verbundene Identität; die<br />

sie von anderen Firmen in vielen Aspekten unterscheidet (Werte, Einstellungen,<br />

Glaubenssätze, Normen und soziale Praktiken). 740 Organisationale Identität kann<br />

verstanden werden <strong>als</strong> organisational konstruierte Wirklichkeit. 741 Um strategisch<br />

handeln zu können ist es wichtig, die Geschichte der Organisation und die damit ver-<br />

bundenen sozialen Wirklichkeitskonstruktionen zu rekonstruieren und zu verstehen. 742<br />

Für die Implementierung einer Strategie im Anschluss an eine Fusion zweier<br />

Organisationen ohne gemeinsame Geschichte fordert VON KROGH eine „complex<br />

strategy implementation“ die darauf ausgerichtet sein sollte eine gemeinsame<br />

Geschichte zu schaffen. 743<br />

Diese Forderung kann nach der Analyse der strategischen Initiativen bestätigt werden:<br />

Identitätswandel entzieht sich nach diesen Beobachtung dem direkten Zugriff des<br />

Managementhandelns und ist nur indirekt steuerbar. Die Beispiele zeigen, dass von<br />

dem inhalts- und aufgabenbezogenen Handeln im Rahmen strategischer Initiativen<br />

stets auch zentrale Sinn- und Identitätsstrukturen betroffen sind.<br />

Damit deutet sich ein <strong>Prozess</strong> an, der in seiner Dualität den Kern einer rekursiven<br />

Strukturierungsleistung wiedergibt: Neue Identitätsstrukturen ermöglichen neue strate-<br />

gische Handlungen und identitätswirksame Handlungen wirken zurück auf die organi-<br />

sationalen Identitätsstrukturen. 744<br />

Eine direkte Fokussierung unterschiedlicher Identitätsmerkmale etwa von zwei fusio-<br />

nierenden Organisationen birgt dagegen die Gefahr einer Verschärfung im Sinne einer<br />

schismogenetischen Eskalation. 745 Die Empfehlung für strategische Initiativen lautet<br />

damit, strukturellen <strong>Wandel</strong> im Rahmen der Arbeit an konkreten Geschäftsthemen zu<br />

inszenieren. Nur in einem arbeitsbezogenen Kontext und anhand konkreter<br />

740 Vgl. von Krogh, 1994, Pettigrew, 1979. Vgl. zur Unterschiedlichkeit <strong>als</strong> einem wichtigen Kriterium der<br />

organisationalen Identität auch Albert und Whetten, 1985.<br />

741 Vgl. Berger und Luckmann, 1969;Gergen, 1999.<br />

742 Vgl. von Krogh, 1994.<br />

743 Vgl. ebenda<br />

744 Vgl. Giddens, 1979;Giddens, 1997.<br />

745 Vgl. Vgl. zum Begriff der Schismogenese Bateson, 1981 sowie Kapitel 4.2.4.<br />

345


346<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Geschäftsthemen werden die für die Organisation relevanten, zentralen und bestän-<br />

digen (Identitäts-)Unterschiede bearbeitbar. Strategische Initiativen bieten damit den<br />

Anlass und den Rahmen für Identitätswandel.<br />

Strategische Projekte<br />

<strong>als</strong> Formen<br />

organisationalen<br />

Handelns<br />

Gemeinsame<br />

Aufgabe<br />

Abbildung 91: Identität im <strong>Prozess</strong> der Strukturierung<br />

Identität <strong>als</strong><br />

Handlungsleitende<br />

handlungsleitende<br />

Handlungsleitende<br />

handlungsleitende<br />

Handlungsleitende<br />

handlungsleitende<br />

Handlungsleitende<br />

handlungsleitende<br />

implizite Struktur<br />

Die im arbeitsbezogenen Kontext eines neuen Projekts erfahrenen sozialen Praktiken<br />

stellen die Grundbausteine einer neuen Identitätsstruktur dar. Sie sind vergleichbar<br />

einer Metaqualität, die im konkreten Hier und Jetzt anhand der Projektinhalte erfahren<br />

werden und ausstrahlen auf Praktiken des Alltags. „Inhaltslose“ Veränderungsmaß-<br />

nahmen, wie z.B. losgelöste Teamentwicklungen oder auch die Einführung einer BSC<br />

ohne den Bezug zu den strategischen und operativen Inhalten, laufen augrund des<br />

mangelnden Praxisbezugs deshalb Gefahr zu scheitern.<br />

Die Übernahme neuer sozialer Praktiken und der Aufbau der zukünftigen Identität der<br />

Organisation wird allerdings auch maßgeblich geprägt durch die bestehenden sozialen<br />

Praktiken und Muster im Umgang mit Zukunftsfragen der Organisation. 746 Diese<br />

Muster des Umgangs mit dem Neuen, die gleichzeitig die „Assimilationsfähigkeit“ in<br />

Bezug auf veränderte Zukunftsaspekte ausmachen, sind gleichbedeutend mit der<br />

Fähigkeit, mit relevanten Unterschieden umzugehen und diese in den weiteren<br />

rekursiven <strong>Prozess</strong> des Organisierens zu integrieren.<br />

Das nachfolgende Kapitel widmet sich nun der Frage, was gerade anschlussfähige<br />

strategische Projekte auszeichnet. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie die zukünf-<br />

tige Struktur der Organisation mit der gewachsenen Identität der Organisation verein-<br />

746 Vgl. Wimmer und Nagel, 2000.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

bar ist bzw. wie das Neue in den bestehenden Handlungsstrom und in die bestehenden<br />

Sinngefüge integriert werden kann.<br />

7.2.4 Unterschiede erkennen und Anschlussfähigkeit schaffen<br />

Die bestehenden Sinn- und Identitätsgefüge der Organisation stellen für den <strong>Prozess</strong><br />

des <strong>Wandel</strong>s wichtige Ausgangsgrößen dar. Sie sind rekursive Muster, die einerseits<br />

die Beobachtung und den Umgang mit neuen Ereignissen ermöglichen und beein-<br />

flussen, andererseits durch die Ereignisse selbst immer wieder rekursiv verfertigt<br />

werden.<br />

Reflexion / Beobachtung<br />

2. Ordnung<br />

Der Ausgangspunkt<br />

<strong>Wandel</strong>projekte<br />

<strong>als</strong> Identitätsbildende<br />

<strong>Prozess</strong>e Der erwarteteZustand<br />

des <strong>Wandel</strong>s<br />

- Wer sind wir?<br />

- Wer werden wir sein?<br />

relevante Unterschiede erkennen<br />

und Anschlussfähigkeit schaffen<br />

Abbildung 92: Unterschiede und Anschlussfähigkeit <strong>als</strong> Element des <strong>Wandel</strong>prozesses<br />

Da sie niem<strong>als</strong> direkt beobachtet werden können und häufig nicht hinterfragt werden,<br />

sind sie „blinde Flecken“, die allenfalls im <strong>Prozess</strong> der Reflexion zum Thema gemacht<br />

werden können.<br />

347


348<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Die nachfolgenden Vignetten zeigen nun Beispiele dafür, worin bestätigende und neue<br />

Informationen <strong>als</strong> relevante Unterschiede für das System in diesen <strong>Prozess</strong>en bestehen<br />

können, wie sie erkannt werden können und wie ein Anschluss an die bestehenden<br />

Muster hergestellt werden kann.<br />

7.2.4.1 Bestätigung bestehender Identitätsmerkmale<br />

Vignette: Konsistenz durch Anschluss an bestehende Managementinstrumente<br />

Wie bereits in Kapitel 6.4.1.7 beschrieben enthielt die Einführung der BSC<br />

in den USA viele Elemente, die der Organisation bereits aus vorher-<br />

gehenden Instrumenten bekannt waren. Man hatte dort gezielt darauf hinge-<br />

arbeitet, dass auf Bestehendes aufgebaut wurde. So wurde vor der Ein-<br />

führung erhoben, welche Messgrößen im Unternehmen bereits existierten<br />

und verwendet wurden. Diese Messgrößen gingen zum großen Teil in die<br />

BSC ein, so dass die BSC für die Mitarbeiter eine konsistente Weiter-<br />

entwicklung der bestehenden Instrumente darstellte. 747<br />

Ein lokaler Manager erklärte im Interview, dass er die Konsistenz dieser<br />

Entwicklung seinen Mitarbeitern versucht habe gezielt zu vermitteln. So<br />

habe er die drei strategischen Dimensionen, die bisher im Fokus des OCV<br />

standen (Outstanding Customer Value, Outstanding Investor Value und<br />

Outstanding People / Teams) und die stets <strong>als</strong> Dreieck dargestellt worden<br />

waren, zu einem Viereck erweitert. Die BSC brachte damit lediglich die<br />

weitere Dimension Processes zu den bestehenden drei Dimensionen<br />

hinzu. 748<br />

Vignette: Projektkultur<br />

Im Tagesgeschäft der L&S spielte die Arbeit in Projekten eine bedeutende<br />

Rolle. Im laufenden Geschäft wurden von allen europäischen Ländergesell-<br />

schaften i.d.R. bis zu 7.000 Projekte allein im Segment Contracting bear-<br />

beitet. Dort wurde in unterschiedlich großen Projekten die gesamte Ab-<br />

wicklung vom Engineering, über das Systemdesign bis zur Inbetriebnahme<br />

und der Übergabe der Anlage an den Kunden in Projektform bearbeitet. Die<br />

747 Vgl. Interview I57, I41.<br />

748 Vgl. Interview I20.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Organisation strategischen <strong>Wandel</strong>s in Form von Projekten hatte daher<br />

einen hohen Wiedererkennungswert für die Organisation. 749<br />

Die beiden Vignetten machen deutlich, dass bereits im Alltag der Organisation vor-<br />

handene Erfahrungen und Fähigkeiten Anschlusspunkte für die Veränderung der<br />

Organisation sein können. Die gezielte Einbeziehung kann dabei auch <strong>als</strong> eine<br />

Wertschätzung der bestehenden Instrumente oder Vorgehensweisen interpretiert<br />

werden. Nachfolgend werden zwei weitere Möglichkeiten der Bezugnahme dargestellt.<br />

Dabei spielen für die Teilnehmer bekannte Sprach- und Denkfiguren eine besondere<br />

Rolle.<br />

Vignette: Metaphern zur Steigerung der Anschlussfähigkeit – Befähigung zum<br />

Verstehen und sinnhaftem, kompetentem Handeln<br />

Auf einem europäischen Managementmeeting der SBT wurde den<br />

Führungskräften von L&S im Frühjahr 2000 erstm<strong>als</strong> das ERP-Programm<br />

offiziell vorgestellt.<br />

Kern des ERP und gleichzeitig eine besondere Herausforderung gegenüber<br />

den Ländern war, dass die beabsichtigte Harmonisierung der Geschäftspro-<br />

zesse für die Länder die Aufgabe eines Teils ihrer Autonomie bedeutete.<br />

Die <strong>Prozess</strong>e sollten in Zukunft im wesentlichen vom HQ vorgegeben<br />

werden. Die Länder hatten damit nur noch marginale Möglichkeiten, die<br />

Geschäftsprozesse an ihre Verhältnisse anzupassen.<br />

Um den Ländervertretern diese Situation zu beschreiben, nutzte ein verant-<br />

wortlicher Manager aus der Zentrale eine kulinarische Metapher und<br />

verglich die Einführung des ERP mit einem Spaghetti-Essen: Die harmoni-<br />

sierten Geschäftsprozesse und die ERP-Software wären wie die Nudeln, die<br />

für alle Länder gleich seien. Die lokalen Gegebenheiten und Anforderungen<br />

der Länder an die Betriebssoftware müssten dagegen durch das Ab-<br />

schmecken der Sauce Bolognese je nach Geschmack angepasst werden.<br />

Darüber hinaus sei der Einbezug der Länder beim Kochen des Gerichts von<br />

besonderer Bedeutung. 750<br />

749 Vgl. Interview I34, I23, I24, I09.<br />

750 Vgl. Beobachtung B087.<br />

349


350<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Die Metapher verdeutlichte dem Management aus den Ländern auf eine anschauliche<br />

Art und Weise, wie die zentralen und die dezentralen Interessen im ERP-Projekt in<br />

Zukunft zusammenwirken sollten. Der Umgang mit dem für die Identität der lokalen<br />

Organisationen so wichtigen Subsidiaritätsprinzip, das durch das Projekt bedroht war,<br />

konnte durch den Vergleich gut symbolisiert werden. Gleichzeitig sollte durch die<br />

Metapher den Beteiligten, unter Bezug auf bereits bekannte Genüsse, das Projekt im<br />

wahrsten Sinne des Wortes schmackhaft gemacht werden.<br />

Metaphern helfen damit, das Sensemaking, insbesondere in komplexen und unbe-<br />

kannten Situationen, zu unterstützen. Hilfreich sind dabei bekannte und vertraute Situ-<br />

ationen, welche die Ausgangssituation zutreffend beschreiben bzw. ausreichend ver-<br />

gleichbar sind. 751<br />

Neben der Verwendung von Metaphern stellen auch Rituale und der Rückgriff auf be-<br />

kannte und vertraute Denkfiguren ein bestätigendes Element bei der Gestaltung und<br />

Realisierung strategischen <strong>Wandel</strong>s dar. Damit können ebenfalls unbekannte Themen<br />

und bislang nur implizite Bilder analog externalisiert werden. 752<br />

Vignette: Bezug auf bereits vertraute Denkfiguren<br />

Zu den weithin bekannten Denkfiguren in der L&S gehörten Regelkreise,<br />

mit denen HLK-Anlagen geplant wurden. Regelkreise visualisieren u.a. das<br />

Zusammenspiel von Sensoren und Aktoren von Heizungsanlagen.<br />

Im Rahmen des strategischen Projekts GKB, das aus der BSC der Landes-<br />

gesellschaft heraus initiiert wurde, übertrug man diese vertraute Methode in<br />

einen für die Akteure neuen Kontext.<br />

Gegenstand des Projekts war u.a. die Einbettung der L&S Schweiz in den<br />

Markt für HLK-Technik. Bevor man dazu die differenzierten Vertriebs-<br />

strukturen analysierte, wurden von dem Projektteam mittels der Darstellung<br />

eines Regelkreises die Beziehungen zwischen der eigenen Organisation und<br />

751 Vgl. Akin und Palmer, 2000. Auch Kieser weist auf die kontexterweiternde Wirkung von Metaphern im<br />

Kontext von <strong>Wandel</strong> hin: „Mit Hilfe von Metaphern wird ein Aspekt oder ein Bereich, der noch wenig<br />

bekannt ist, in der Sprache eines bekannteren und daher unproblematischeren sekundären Bereichs<br />

beschrieben und auf diese Weise mit einer neuen Perspektive verbunden.“ Kieser, 1998. Vgl. darüber hinaus<br />

zur Wirkung von Metaphern die umfangreiche Arbeit von Lakoff und Johnson, 2000.<br />

752 Vgl. zur Bedeutung von Ritualen Rüegg-Stürm und Lukas, 2001.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

dem Markt für HLK-Technik dargestellt. Wie nicht anders zu erwarten war,<br />

konnten die Teilnehmer dieser Präsentation und Versinnbildlichung sehr<br />

gut folgen und bezogen das Modell aktiv in die Diskussion ein. 753<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Die Berücksichtigung bekannter Elemente der organisationalen Wirklichkeit, wie z.B.<br />

das BSC-Vorläuferprojekt OCV oder die Projektorganisation <strong>als</strong> Form der Zusam-<br />

menarbeit, wie auch bekannte und leicht zugängliche Sprach- und Denkfiguren,<br />

können einen Beitrag leisten zur Anschlussfähigkeit strategischen <strong>Wandel</strong>s. Gerade<br />

neue Initiativen und Inhalte, welche die bestehende Wirklichkeitsordnung der Mitar-<br />

beiter in Frage stellen, können so bearbeitbar werden.<br />

Irritationen und Verunsicherungen, wie z.B. durch den Start einer BSC, können dann<br />

erfolgreich aufgenommen werden, wenn die Organisation die neuen Informationen<br />

assimilieren kann. Die Verdeutlichung von Konsistenz in den Sinn- und Handlungs-<br />

mustern ist dabei ein wesentlicher Faktor für die Akzeptanz strategischen <strong>Wandel</strong>s.<br />

Vertrauen in den strategischen <strong>Wandel</strong> wird so durch seine Anschlussfähigkeit an die<br />

bestehende Organisation gefördert.<br />

Nachdem nun Beispiele bestätigender Sinnelemente dargestellt wurden, sollen im<br />

Anschluss Beispiele neuer Ereignisse und Handlungen und abschließend die Ver-<br />

bindung bestätigender und neuer Informationen dargestellt werden.<br />

7.2.4.2 Erstmaligkeitsmerkmale strategischer Projekte<br />

Vignette: „Work Cells“ im PFC in den USA <strong>als</strong> neues Identitätsmerkmal<br />

Während für das traditionelle HLK-Geschäft in den USA wie in Europa<br />

i.d.R. der technisch orientierte Einkauf Geschäftspartner war, war es für das<br />

auf Energieeinsparungen und langfristige Investitionen angelegte PFC der<br />

Finanzbereich. Es handelte sich i.d.R. um wenige große und langfristige<br />

Projekte, die vor allem ein Finanzpaket darstellten und eine Vielfalt an<br />

technischen und nichttechnischen Qualifikationen erforderten.<br />

Während im traditionellen Geschäft der Bedarf des Kunden von Anfang an<br />

durch Architekten und Bauingenieure genau spezifiziert war, mussten im<br />

753 Vgl. Beobachtung B088, B089; Dokument D52.<br />

351


352<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

neuen Geschäft die Mitarbeiter im PFC selbst <strong>als</strong> „Architekten“ Vorschläge<br />

entwickeln und „das Momentum im Verkaufsprozess halten“, weil die<br />

Kunden nicht von sich aus ein PFC-Projekt verlangten. 754<br />

Neben diesen externen Unterschieden, wurde das PFC auch in einer<br />

anderen Organisationsform geführt. In der frühen Phase des PFC, <strong>als</strong> es nur<br />

wenige Projekte gab, wurde für jedes Projekt ein interdisziplinäres Team<br />

gegründet, dass dem District Manager direkt unterstellt war. Der Leiter des<br />

Segments kommentierte diese frühe Struktur: „This little team, this little<br />

cell works very very good, when you do one or two jobs by the time.“ 755<br />

Als das PFC wuchs, installierte man einen PFC-Manager in der Linie, der<br />

den Vertrieb, das Energy Engineering, das Projekt Assurance und das Pro-<br />

jektmanagement wiederum in Form einer Linienorganisation führte. Diese<br />

Struktur war deckungsgleich mit den übrigen Geschäftssegementen, die in<br />

dieser Struktur erfolgreich agierten. Für das PFC stellten sich mit dieser<br />

Struktur allerdings schnell Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit ein, weil<br />

die notwendige Kommunikation zwischen den PFC Funktionen (Sales, EE,<br />

PM) in Projekten behindert wurde:<br />

„All of a sudden, this litte cell, this little team stopped working. And so the<br />

sales engineer didn't communicate to the energy engineer as well and not<br />

with the project manager. The energy engineer didn´t know what the<br />

customer was trying to achieve, because he never went in the meetings<br />

anymore (es gab keine Teammeetings mehr), and the only person who was<br />

touching the customer was the sales engineer. Instead of designing an<br />

organisation that, let's say, gives me three little teams [..], we tended to<br />

build a classic organisation like this (SBT Linienorganisation). They didn't<br />

see the whole picture.” 756<br />

Nachdem man die Schwierigkeiten erkannt hatte, kam es zu einer Reorgani-<br />

sation des PFC, in deren Verlauf eine Matrix gebildet wurde, die Raum für<br />

die „Work Cells“ bot. Der PFC-Manager führte nach wie vor die PFC-<br />

754 Vgl. Interview I17.<br />

755 Vgl. Interview I17, I57.<br />

756 Vgl. Interview I17.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Funktionen (Sales, EE, PM), diese wurden nun aber je nach Auftrag und<br />

Projekt zu flexiblen Teams zusammengefasst.<br />

„What we did is we tried to fundamentally break the hierarchy up and just<br />

manage teams.” 757<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Mit der Einführung des PFC war in den USA und Europa ein Identitätswechsel ver-<br />

bunden. Zwei Aspekte waren dafür vor allem verantwortlich:<br />

Einerseits wurde durch die Aufnahme des PFC-Geschäfts mit seinen technischen und<br />

ökonomischen Kundenanforderungen eine neue inhaltliche Geschäftslogik erforder-<br />

lich. Es ging vor allem darum, die Kundenbedürfnisse pro-aktiv und interdisziplinär zu<br />

erfüllen, um in einem Markt, in dem die Kunden das Produkt und die Ansprechpartner<br />

nicht kannten, neue Kunden zu gewinnen.<br />

Zweitens war auch die bisherige Organisationsstruktur aufgrund der Notwendigkeit,<br />

interdisziplinär zusammenzuarbeiten, nicht mehr ausreichend. Besonders der Rück-<br />

schritt in die alte Organisationsstruktur machte deutlich, dass der unternehmerische<br />

Erfolg direkt mit der internen Organisation verbunden war.<br />

Somit erforderten die externen und internen Anforderungen des PFC die Entwicklung<br />

eines neuen Selbstverständnisses und einer neuen Identität für die PFC-Mitarbeiter.<br />

Dass sich diese Veränderung auch auf das Verständnis der gesamten Organisation<br />

auswirkte, zeigt die folgende Vignette:<br />

Vignette: Änderung der expliziten Vision<br />

In der Post-Merger-Phase von L&S wurde durch die Geschäftsleitung der<br />

L&S eine Roof Strategy entwickelt, die auch das Selbstverständnis der<br />

gesamten Organisation beschrieb. Die Eckpunkte dieses Selbstverständ-<br />

nises, wie es 1999 bestand, zeigt die folgende Abbildung:<br />

Die Organisation sah sich demnach vor allem <strong>als</strong> Produkt- und System-<br />

lieferant im HLK-Markt.<br />

757 Vgl. Interview I35.<br />

353


354<br />

1. Our Business / Our Position<br />

Siemens Building Technologies Ltd.<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Landis & Staefa Division<br />

�� we are a HVAC Controls and Building Automation Company, active<br />

in businesses ranging from control components to control systems<br />

and associated services<br />

�� our business is based on our own proprietary products and<br />

systems ranges<br />

we are a products and systems/service company<br />

�� we are market leader in Europe - in all channels of sale and<br />

business segments<br />

�� our business is extremely broad-based with typical operational<br />

figures in large countries being<br />

200 - 300 orders / day (with offers)<br />

out of 20 - 40 branch offices<br />

with 10 - 20’000 customers<br />

2 - Roof Strategy.ppt<br />

26.05.99/4/BN<br />

Abbildung 93: Beschreibung der eigenen Position und des Geschäftsverständnisses 758<br />

Knapp zwei Jahre später wurde im Rahmen des Treffens des so genannten<br />

Growth Teams, das aufgrund der Roof strategy gegründet worden war und<br />

die Aufgabe hatte, Möglichkeiten des Wachstums zu untersuchen, die Frage<br />

der Identität neu behandelt. Das Team von Managern formulierte das<br />

Selbstverständnis der Organisation wie folgt:<br />

„We provide technically and/or commercially integrated solutions and<br />

services for the technical infrastructure of buildings. We aim to support our<br />

customers in achieving energy efficiency and building performance.“ 759<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Bemerkenswert an dieser Gegenüberstellung ist, dass sich in der Formulierung von<br />

1999 keine Ansätze einer Erweiterung des traditionellen Geschäfts im Bereich HLK<br />

auf betriebswirtschaftliche Bereiche, wie sie in der zweiten Formulierung zum Aus-<br />

druck kommen, zu finden waren.<br />

758 Vgl. Dokument D58, D09.<br />

759 Vgl. Dokument D82, Beobachtung B099.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Dieses neue Geschäftsfeld PFC fand sich erst in der neuen Formulierung des Growth<br />

Teams wieder. In dieser Formulierung wurde auch deutlich, dass die Arbeit des PFC<br />

zu einer Veränderung des Selbstverständnisses der Organisation geführt hatte und<br />

damit die weiteren strategischen Projekte und Handlungen z.B. in Richtung Wachstum<br />

der Organisation beeinflusste.<br />

Damit wird deutlich, dass das PFC <strong>als</strong> strategische Initiative zu einer Veränderung der<br />

organisationalen Identität führte. Diese veränderte organisationale Identität führte aber<br />

ihrerseits auch wiederum zu veränderten Handlungen wie etwa der Auswahl anderer<br />

strategischer Ziele oder Initiativen.<br />

Dass eine veränderte Identität auch einen <strong>Wandel</strong> der Außendarstellung bzw. des<br />

Images bewirkte, zeigte sich u.a. an veränderten symbolischen Aspekten, wie in der<br />

nächsten Vignette deutlich wird.<br />

Vignette: Symbolischer Ausdruck des <strong>Wandel</strong>s<br />

Im Rahmen der Integration der ehemalig selbständigen Unternehmen L&S<br />

und CERBERUS in SIEMENS, bzw. den Bereich SBT, wurden die Divisionen<br />

im Zuge einer Umstrukturierung umbenannt. Zwar hätte man sich seitens<br />

der Bereichsleitung aufgrund der Tradition und des hohen Bekannt-<br />

heitsgrades auch eine Fortführung der Firmennamen vorstellen können,<br />

musste sich aber den Vorstellungen der Muttergesellschaft fügen. Gründe<br />

für den Wunsch, den Namen SIEMENS prominenter zu benutzen, bestanden<br />

vor allem darin, dass von Seiten der SIEMENS jährlich hohe Beträge für die<br />

Positionierung der Marke SIEMENS ausgegeben wurden und zudem der<br />

Name SIEMENS vor allem in Asien und Amerika ein gutes Verkaufs-<br />

argument war. Die neuen Divisionsnamen sollten lediglich die Aktivitäten<br />

und nicht die Organisationen beschreiben und wurden deshalb auch nicht<br />

zum Bestandteil des Firmennamens. 760<br />

In der Folgezeit ersetzten in der internen und externen Kommunikation die<br />

neuen Divisionsnamen sukzessive die alten Bezeichnungen. So ver-<br />

schwanden mit der Zeit die alten Firmenbezeichnungen von Geschäfts-<br />

berichten, Visitenkarten, Briefköpfen, Fahrzeugen, Pylonen etc.<br />

355


356<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Abbildung 94: Alte und neue Divisionsbezeichnungen auf den Visitenkarten<br />

7.2.4.3 Zum Umgang mit Unterschieden und mit Neuem und Altem<br />

Nachdem in den beiden vorhergehenden Abschnitten die Bedeutung bestätigender und<br />

erstmaliger Information exemplarisch dargestellt worden ist, sollen im abschließenden<br />

Abschnitt drei Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie mit relevanten Unterschieden im<br />

Kontext strategischer Projekte umgegangen werden kann.<br />

Es handelt sich zum einen um das Instrument der Change Impact Analysis, mit dem<br />

Unterschiede festgestellt werden, die durch ein Projekt zustande kommen.<br />

Anschließend wird ein Beispiel zur Auswahl der besseren Informatiksysteme im<br />

Anschluss an eine Fusion dargestellt. Abschließend werden dann am Beispiel des PFC,<br />

Möglichkeiten des Umgangs mit Unterschieden dargestellt.<br />

Vignette: ERP-Change Impact Analysis<br />

In der L&S Landesgesellschaft Schweiz bestand, nicht zuletzt aufgrund des<br />

Umstands, dass sie <strong>als</strong> Pilotland auf keine Erfahrungen aus anderen<br />

Ländern zurückgreifen konnte, Unklarheit über die anstehenden<br />

Veränderungen. Man war sich unsicher darüber, welche Änderungen das<br />

ERP mit sich bringen und welche Bedeutung dies für die Organisation<br />

haben würde.<br />

Von vielen Interviewteilnehmern wurde in diesem Zusammenhang die<br />

durchgeführte Change Impact Analysis (CIA) <strong>als</strong> hilfreiche Unterstützung<br />

beschrieben. Durch die systematische Analyse der Veränderungen konnte<br />

760 Vgl. Interview I52, Dokument D41, D55.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

ein Verständnis bzgl. der, durch das ERP Programm zu erwartenden Ver-<br />

änderungen entwickelt werden. 761<br />

Beispielsweise wurde der <strong>Prozess</strong> des „Invoicings“ 762 systematisch mit<br />

Hilfe der CIA bearbeitet. In der Vergangenheit wurde jede Projektrechnung<br />

vom Projektleiter in einem Excelsheet (Interne Aufschlüsselung der<br />

Kosten) und nach Vorlage des Werkvertrages mit dem Kunden (Auf-<br />

schlüsselung der gleichen Kosten nach dem Schlüssel des<br />

Kunden/Angebots) erstellt. Im F+C wurden die Rechnungsdaten geprüft<br />

und an die Logistik zur Rechnungserstellung weitergeleitet. Anschließend<br />

kam die Rechnung zurück zum F+C und wurde dort nochm<strong>als</strong> überprüft. 763<br />

Augrund der CIA konnte nun festgestellt werden, dass zukünftig der<br />

Projektleiter die Rechnung direkt in das System eingeben würde. Damit ent-<br />

fielen zwei manuelle Kontrollen und die Verantwortung für die Projektleiter<br />

stieg.<br />

Der Wegfall der Eingabe der Rechnung in der Logistik und der Kontrolle<br />

im F+C sowie die damit verbundene Zunahme des Aufgabenprofils für die<br />

Projektleiter wurde teilweise mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Man<br />

befürchtete aufgrund der unterschiedlichen Qualifizierung der Projektleiter<br />

stärkere Probleme und eine geringere Qualität. 764<br />

Ein Mitarbeiter kommentierte im Hinblick auf diese und ähnliche Er-<br />

gebnisse zur Change Impact Analysis: „Es wird langsam konkret. Wir<br />

wissen jetzt, von was wir reden.“ 765<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Das Ziel der länderspezifischen Change Impact Analysis war es, Themen des organi-<br />

sationalen <strong>Wandel</strong>s zu sammeln, zu interpretieren sowie ihren Einfluss auf eine<br />

systematische Art und Weise zu erfassen. Die Ergebnisse gingen in einen Action Plan<br />

für die erfolgreiche Implementierung des ERP in den Ländergesellschaften ein.<br />

761 Vgl. Interview I38. Vgl. zur Change Impact Analysis Kap. 7.2.4.3.<br />

762 Mit Invoicing ist der <strong>Prozess</strong> der Rechnungserstellung gemeint.<br />

763 Vgl. B024. B027, B085, B074.<br />

764 Vgl. Beobachtung B076, B 098<br />

765 Vgl. Beobachtung B085. B073, B049, B076.<br />

357


358<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Durch die CIA wurde das Bewusstsein für die anstehenden Veränderungen geschärft<br />

und Erwartungen bzgl. der zukünftigen Organisation konkretisiert. Anhand der Unter-<br />

schiede zwischen der derzeitigen und der zukünftigen Organisation war es damit für<br />

die Organisationsmitglieder möglich, sich ein Bild von ihren zukünftigen Abläufen in<br />

der Organisation zu machen und eine kollektive aber auch eine persönliche Positions-<br />

bestimmung vorzunehmen.<br />

Dieses frühzeitige Sensemaking sowie die mit dem Action Plan verbundenen Arbeits-<br />

prozesse stellten eine aktive Verfertigung einer neuen Organisation dar und erhöhten<br />

durch den frühzeitigen Einbezug die Wahrscheinlichkeit einer aktiven Auseinander-<br />

setzung und damit eines <strong>Prozess</strong>es der Identitätsbildung.<br />

Von zentraler Bedeutung waren dabei vor allem die für die Organisation relevanten<br />

Unterschiede. Die Identifikation dieser zentralen Bedeutungselemente waren dabei<br />

stets auch durch die Perspektive der jeweiligen Beobachter bestimmt. Die Frage nach<br />

dem Unterschied, etwa im Sinne eines besser oder schlechter, konnte daher nicht von<br />

der Position des Beobachters getrennt werden. 766<br />

Die nachfolgende Vignette zeigt die Schwierigkeiten auf, die aus dem Versuch einer<br />

„objektiven“ und den Beobachter ausklammernden Beurteilung der Unterschiede er-<br />

wachsen können.<br />

Vignette: Analyse der Unterschiede – oder: Wie verstärke ich die Schismogenese?<br />

Im Verlauf der Fusion der beiden Genossenschaften zur MIGROS AARE<br />

musste von den über 40 verschiedenen Informatiksystemen in den beiden<br />

Ursprungsgenossenschaften jeweils eins der beiden übernommen und eins<br />

abgeschafft werden. Da die Fusion ein Zusammenschluss unter gleichbe-<br />

rechtigten Partnern sein sollte, entschloss man sich, eine sorgfältige Evalu-<br />

ation durchzuführen und das jeweils bessere System zu übernehmen. Damit<br />

sollte die jeweils ausgereiftere der beiden Lösungen Eingang in die<br />

Systemkonzeption der fusionierten MIGROS AARE erhalten.<br />

Die allgemeine Aufmerksamkeit wurde auf diese Weise auf die Frage<br />

gelenkt: „Welches ist das bessere System?<br />

766 Vgl. Kap. 4.2.3 sowie den Informationsbegriff bei Bateson Bateson, 1981 und dessen theoretische<br />

Grundlegung bei Spencer Brown, 1967.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Das – leider oft unvermeidliche – Resultat dieser Vorgehensweise war, dass<br />

die Unterschiede zwischen den zu integrierenden Organisationen nochm<strong>als</strong><br />

verschärft wurden. Man sprach <strong>als</strong>o trotz der Integrationsanstrengungen der<br />

Geschäftsleitung noch mehr <strong>als</strong> bisher entweder von „unserer“ oder „eurer<br />

Lösung“. 767<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Die Entscheidungssituation im Bereich Informatik bei der MIGROS AARE war ver-<br />

gleichbar mit vielen anderen Entscheidungssituationen im Anschluss an Fusionen. Im<br />

Bestreben um einen „fairen“ <strong>Prozess</strong> und eine allgemeingültige Regel wird dabei das<br />

Kinde mit dem Bade ausgeschüttet. Die mikropolitische Fairness führt zu einer<br />

makropolitischen Verschärfung der Situation.<br />

Beispiele im Rahmen der empirischen Arbeit fanden sich z.B. auch bei der Besetzung<br />

der Position der Länderchefs im Anschluss an die Fusion zwischen L&G und STAEFA<br />

CONTROL: Hier lautete das Motto „Alle haben die gleichen Chancen und der bessere<br />

Bewerber wird übernommen“. 768<br />

Damit wird die individuelle und kollektive Aufmerksamkeit auf angeblich „objektive“<br />

Unterschiede gelenkt. Neben der inhaltlichen Aussage beinhaltet eine Entscheidung<br />

allerdings auch stets ein Aussage auf der Beziehungsebene. Die Entscheidung, ob<br />

„unser“ System oder „unser“ Kandidat Berücksichtigung findet, wird auf der implizi-<br />

ten Ebene <strong>als</strong> eine Bestätigung oder eine Absage an die Identität des Empfängers oder<br />

der Organisation empfunden. Die implizite Wertigkeitsaussage bzgl. eigener Produkte,<br />

gelebter Routinen und Abläufe, fachlichen Know-hows, o.ä. impliziert damit i.d.R.<br />

schwer zu trennende Aussagen über wesentliche Identitätsmerkmale.<br />

Die gut gemeinte und dem Gebot der Fairness und Gerechtigkeit verpflichtete Vor-<br />

gehensweise birgt damit in einer Phase der Integrationsbemühungen kontraproduktives<br />

767 Vgl. Interview I74.<br />

768 Im Falle der Fusion zwischen LANDIS&GYR und STAEFA lauteten diesbezüglichen „Basic rules and principles<br />

for appointments:<br />

• “The best come first”<br />

• “equal opportunities”<br />

“This means, that for every single position candidates of both organizations will be taken into consideration.<br />

For a fair evaluation we have created some standardized assessment criterias.” Vgl. Dokument D84.<br />

359


360<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Potential. Die Bewertung und Betonung der Gegensätze führt zu schismogenetischen<br />

<strong>Prozess</strong>en, d.h. zur Eskalation der symmetrischen Positionen. 769 Wie kann aber die<br />

Entwicklung einer solchen Situation, die den <strong>Wandel</strong>prozess akut gefährdet, ver-<br />

hindert werden?<br />

Das Dilemma, in dem sich Entscheidungsträger und Führungskräfte in solchen Situati-<br />

onen wiederfinden, ist grundsätzlich nicht zu beseitigen. Eine idealtypische Lösung<br />

kann es daher auch nicht geben. Zwei Aspekte scheinen von Bedeutung: Zum einen ist<br />

nicht die Frage, für welche der beiden Alternativen letztendlich entschieden wird, von<br />

zentraler Bedeutung für die Integration zu sein. Vielmehr geht es vor allem um die Art<br />

und Weise und die Haltung, wie mit dieser Situation umgegangen wird,<br />

ausschlaggebend zu sein. Eine solche integrative Haltung kann sich z.B. in einer ge-<br />

eigneten Semantik zeigen („Die Alternative X scheint im Moment ...etwas geeigneter<br />

zu sein“). Zweitens erweist es sich <strong>als</strong> hilfreich, wenn Aspekte der nicht gewählten<br />

Alternative von der gewählten Alternative übernommen werden. Damit können vor<br />

allem positive und möglicherweise verdienstvolle Aspekte davor bewahrt werden,<br />

völlig ausgeblendet und vergessen zu werden. Vielmehr finden sie Eingang in die neue<br />

Lösung und ermöglichen damit den Anschluss des Neuen oder Anderen an das<br />

Bestehende oder Alte.<br />

Von zentraler Bedeutung scheint <strong>als</strong>o, dass neue Ereignisse oder Projekte im <strong>Wandel</strong>-<br />

prozess an die bestehende Wirklichkeitsordnung anschlussfähig sind. Die Anschluss-<br />

fähigkeit bemisst sich dabei am Neuigkeits- und Bekanntheitsgrad des <strong>Wandel</strong>s.<br />

Entscheidend ist die Mischung von bekannten und neuen Informationen. 770<br />

Die nachfolgende Vignette zeigt am Beispiel des PFC, wie eine solche Mischung von<br />

neuen und bekannten Aspekten oder Elemente der eigenen und der fremden Organisa-<br />

tion beschaffen sein kann, um den Erfolg organisationalen <strong>Wandel</strong>s zu ermöglichen.<br />

Vignette: Anschlussfähigkeit durch bekannte und neue Elemente – Beispiel PFC<br />

Ähnlich wie die übrigen Geschäfte bei L&S wurde das PFC sowohl am HQ<br />

<strong>als</strong> auch in den Ländern in Form eines Segments geführt. Das Verhältnis<br />

zwischen dem HQ und den Ländern war dabei auch im PFC subsidiär ge-<br />

769 Vgl. Kap. 4.2.4 sowie Bateson, 1981.<br />

770 Vgl. hierzu die Anmerkungen zum Thema Anschlussfähigkeit in Kap. 5.2 und das Modell der pragmatischen<br />

Imformation von Weizsäcker, 1986.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

prägt. So lag die Eröffnung eines PFC-Segments stets in der Verantwortung<br />

des jeweiligen Landeschefs. So kam es, dass in einigen Ländern auch kein<br />

PFC betrieben.<br />

Wenngleich diese organisationale Einbindung des Segments für die Organi-<br />

sation vertraut war, stellte das Geschäftsmodell des PFC für die Organisa-<br />

tion eine Neuerung dar. Vor allem die Tätigkeiten über das reine HLK-<br />

Geschäft hinaus, insbesondere der nichttechnische Service, wie z.B. die<br />

Finanzierungsdienstleistungen und die Leistungsgarantien waren neu. Diese<br />

Merkmale bedingten ein höheres Anforderungs- und Qualifikationsprofil<br />

der Mitarbeiter. Hinzu kamen im PFC auch neue Organisationsformen, wie<br />

eine deutlich stärkere, zentrale Unterstützung der lokalen PFC-Organisa-<br />

tionen für die Länder, Teamstrukturen von einer Mindestgröße (critical<br />

mass) und die interdisziplinäre Zusammensetzung der Teams. 771<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Entscheidend für die Übernahme von Veränderungen und die Entwicklung neuer<br />

Erwartungen in einem System sind nach WEIZSÄCKER der pragmatische Wert der<br />

Information, <strong>als</strong>o die angemessene Kombination von bestätigenden und neuen Infor-<br />

mationen. 772 Erneuerung oder <strong>Wandel</strong> in einem System wird demnach gefördert von<br />

Ereignissen oder Handlungen, die eine sinnvolle Verbindung mit zurückliegenden<br />

Handlungen und Ereignissen aufweisen und gleichzeitig Elemente beinhalten, die<br />

einen Unterschied zur Vergangenheit ausmachen.<br />

Strategische Projekte müssen daher Informationen kombinieren, die neue Elemente<br />

mit dem laufenden Handlungsstrom verbinden. Das oben genannte Beispiel des PFC<br />

stellt eine solche Kombination von bestätigenden und neuen Informationen dar. Im<br />

Falle des PFC konnte damit das “not-invented-here-Syndrom” verhindert werden, wo-<br />

nach Elemente mit einem zu hohen Neuigkeitsgrad <strong>als</strong> systemfremd eingeschätzt<br />

werden. Auf der anderen Seite konnte aber auch eine Reaktion nach dem Motto “das<br />

hatten wir schon x-mal, das kennen wir doch schon”, vermieden werden, welches <strong>als</strong><br />

Ausdruck zu wenig neuer Informationen interpretiert werden kann. Beide Reaktionen<br />

771 Vgl. Beobachtung B033, B105, B106, B084.<br />

772 Vgl. Kapitel 4.2.3.<br />

361


362<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

sind Ausdruck eines Mangels an Anschlussfähigkeit an das bestehende Wirklichkeits-<br />

gefüge der Organisation.<br />

Pragmatischer<br />

Pragmatischer<br />

Wert Wert der<br />

der<br />

Information<br />

Information<br />

Maximaler pragmatischer<br />

Wert der Information =<br />

Höchste Wahrscheinlichkeit<br />

der Umsetzung<br />

0% 0% 0% 0% Erstmaligkeit Erstmaligkeit Erstmaligkeit Erstmaligkeit 100%<br />

100%<br />

100% 100% 100% 100% Bestätigung Bestätigung Bestätigung Bestätigung 0%<br />

0%<br />

0%<br />

Bestätigende Elemente im PFC<br />

• PFC wird <strong>als</strong> Segment geführt<br />

• Greift auf System System-- System System-- System System-- - und Service Service-- Service Service-- Service Service-- -<br />

geschäft zurück<br />

• Beachtung der Subsidiarität<br />

• Abwicklung in Form von<br />

Projekten<br />

Erstmalige Elemente im PFC<br />

• Dienstleistungsaspekt im Vordergrund<br />

• Neues Geschäftsmodell (kein reines HLK)<br />

• Starke zentrale PFC Unterstützung<br />

• Anderes Qualifikations<br />

Qualifikations- Qualifikations<br />

Qualifikations- Qualifikations<br />

Qualifikations- Qualifikations<br />

Qualifikations- Qualifikations<br />

Qualifikations- und Anforderungsprofil<br />

• Stärkere Teamstrukturen ( (critical ( (critical ( (critical ( (critical ( (critical mass)<br />

• • Aufbau Aufbau interdisziplinärer interdisziplinärer Teams<br />

Teams<br />

Abbildung 95: Bestätigende und erstmalige Informationen des PFC 773<br />

Erfolgreicher strategischer <strong>Wandel</strong> ist damit, wie im Falle des PFC zu sehen ist, durch<br />

Handlungen und Ereignisse gekennzeichnet, die eine Balance von Erstmaligkeit und<br />

Bestätigung aufweisen. Anschlussfähigkeit kann in diesem Sinne verstanden werden,<br />

<strong>als</strong> die Fähigkeit einer Organisation, Erwartungen und Ereignisse so zu konstruieren,<br />

dass sie mit der bestehenden Identität der Organisation verbunden werden können.<br />

Fazit: Unterschiede und Anschlussfähigkeit<br />

<strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s so zu konstruieren, dass sie im oben beschriebenen Sinne einen<br />

Unterschied machen aber gleichzeitig anschlussfähig werden, stellt die eigentliche<br />

Herausforderung im <strong>Wandel</strong>prozess dar. Die Vignetten in diesem Kapitel haben<br />

gezeigt, dass Unterschiede und Gemeinsamkeiten der <strong>Wandel</strong>projekte mit der<br />

bestehenden Identität nicht einfach objektiv gegeben sind.<br />

773 Abbildung in Anlehnung an Weizsäcker Weizsäcker, 1986.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Vielmehr ist mit dem <strong>Prozess</strong> des <strong>Wandel</strong>s unmittelbar ein <strong>Prozess</strong> der Bildung von -<br />

möglicherweise neuen - Unterscheidungen und der (Re)Konstruktion der organisatio-<br />

nalen Identität verbunden.<br />

Die Fähigkeit neue Unterscheidungen zu treffen hängt vor allem von der Veränderung<br />

impliziter Differenzschemata ab. Den Führungskräften <strong>als</strong> den Agenten des <strong>Wandel</strong>s<br />

fällt hier die Aufgabe zu, <strong>Wandel</strong>prozesse so zu gestalten, dass Veränderung dieser<br />

impliziten Vorannahmen bzw. blinder Flecken ermöglicht wird.<br />

Diese Herausforderung scheint insbesondere deshalb so groß, weil die Führungskräfte<br />

<strong>als</strong> Architekten des <strong>Wandel</strong>s auch gleichzeitig Mitglied des Systems sind. Es bedarf<br />

deshalb vor allem der Reflexion der eigenen Rolle, um dem Aufmerksamkeitssog der<br />

rekursiven Tagesroutinen vorübergehend zu entkommen und sich mit den sich stets<br />

neu verfertigenden Identitätsstrukturen auseinanderzusetzen.<br />

Der folgende Abschnitt behandelt Formen solcher reflexiven Beobachtungen<br />

organisationaler Handlungen im Sinne einer Beobachtung zweiter Ordnung.<br />

7.2.5 Reflexion und Beobachtung 2. Ordnungen – wer sind wir von außen<br />

gesehen?<br />

Die größte Revolution unserer Zeit dürfte die Entdeckung gewesen sein,<br />

dass die Menschen durch die Änderung ihrer Geisteshaltung<br />

die äußeren Umstände ihres Lebens ändern können.<br />

William James<br />

Jedes Verstehen entspringt Reflexion und Rückwärtsschauen.<br />

Karl Weick<br />

Als letztes Element eines konstruktivistisch-systemisch orientierten <strong>Wandel</strong>modells<br />

wird im Folgenden die Reflexion von Handlungen und Strukturen beschrieben. Der<br />

Schwerpunkt der Betrachtung wird dabei die Reflexion <strong>identitätsbildender</strong> Strukturen<br />

und <strong>Prozess</strong>e sein, weil sie den strategischen <strong>Wandel</strong> einer Organisation nachhaltig<br />

prägen.<br />

Geht man von der Dualität von Struktur und Handlung sowie ihrer rekursiven Ver-<br />

fertigung aus, so kann aufgrund der Reflexionsmächtigkeit der beteiligten Akteure<br />

grundsätzlich von der Veränderbarkeit solcher <strong>Prozess</strong>e ausgegangen werden. Neue<br />

Muster können sowohl durch neue Handlungen <strong>als</strong> auch durch neue Strukturen ent-<br />

stehen. Unumgänglich ist allerdings die Wahrnehmung zusätzlicher Handlungs-<br />

möglichkeiten außerhalb der bestehenden rekursiven Handlungsmuster. Die beste-<br />

henden Muster müssen <strong>als</strong>o <strong>als</strong> optional bzw. kontingent erkannt werden. Wie kann<br />

363


364<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

aber die Kontingenz der Handlungsmöglichkeiten von den Akteuren selbst erkannt<br />

werden?<br />

Reflexion / Beobachtung<br />

2. Ordnung<br />

Der Ausgangspunkt<br />

<strong>Wandel</strong>projekte<br />

<strong>als</strong> Identitätsbildende<br />

<strong>Prozess</strong>e Der erwarteteZustand<br />

des <strong>Wandel</strong>s<br />

- Wer sind wir?<br />

- Wer werden wir sein?<br />

relevante Unterschiede erkennen<br />

und Anschlussfähigkeit schaffen<br />

Abbildung 96: Reflexion <strong>als</strong> Element des <strong>Wandel</strong>prozesses<br />

Die nachfolgenden Vignetten beschreiben Situationen, die zum einen die Reflexions-<br />

fähigkeit der Akteure deutlich machen, aber auch die Möglichkeit und Bedeutung<br />

retrospektiver Sinngebung erkennen lassen. Wichtig ist dabei, dass die Akteure Wissen<br />

über sich, ihr Handeln und die Bedingungen ihres Handelns erhalten.<br />

Eine Möglichkeit, eine solche Reflexion auszulösen, ist die Konfrontation mit<br />

Impulsen von „außen“. Solche Impulsgeber für Strukturwandel können <strong>als</strong> Irritation<br />

der vorhandenen Erwartungs- und Identitätsstrukturen interpretiert werden. Allerdings<br />

können reflexive <strong>Prozess</strong>e auch aus dem System selbst heraus initiiert werden, wie die<br />

nachfolgende Auseinandersetzung mit dem Value-Proposition-Ansatz zeigt.<br />

Vignette: Reflexive Methodiken zur Identitätsbestimmung<br />

Bei der Einführung der BSC <strong>als</strong> einem Instrument zur Klärung der strategi-<br />

schen Positionierung und der Kommunikation strategischer Ziele wurde in<br />

vielen Arbeitsgruppen der L&S die Methodik des Value Proposition-An-


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

satzes 774 (VPA) verwendet. Im Rahmen dieser Methodik wurde die<br />

Organisation anhand von drei Dimensionen – Product Leadership, Opera-<br />

tional Excellence und Customer Intimacy – bzgl. ihrer strategischen Aus-<br />

richtung von den jeweiligen Managern und Mitarbeitern beurteilt.<br />

Beispielsweise wurde im Rahmen der Einführung der BSC in der Landes-<br />

gesellschaft Schweiz in einem Workshop ein Assessment der eigenenen<br />

Organisation mit Hilfe des VPA durch ein Managementteam durchgeführt.<br />

Die Manager vermuteten zu Beginn ein hohes Maß an Kundenähe in ihrer<br />

Organisation. Die Produktführerschaft und die <strong>Prozess</strong>qualität waren ihrer<br />

Meinung nach weniger stark ausgeprägt.<br />

In dem Workshop wurden im Rahmen der Erstellung der ersten BSC durch<br />

die erweiterte Geschäftsleitung die bestehenden strategische Ziele der BSC<br />

den drei Dimensionen des VPA zugeordnet. Dabei unterstützten von neun<br />

strategischen Zielen sieben die Dimension Kundennähe und zwei den<br />

Bereich <strong>Prozess</strong>qualität. 775<br />

Das Assessment und die Diskussion der bestehenden Struktur <strong>als</strong> auch die<br />

Diskussion der zukünftigen Ziele bestätigten die starke Kundenorientierung<br />

und die nachrangige Behandlung der beiden Dimensionen <strong>Prozess</strong>qualität<br />

und Produktführerschaft.<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Der VPA ermöglichte den Managern entlang eines gemeinsamen Bezugsrahmens in<br />

eine Metaposition gegenüber der eigenen Organisation zu treten. Sie wurden damit<br />

befähigt, „über“ ihre eigene Organisation zu reflektieren. Der VPA stellte daher einer-<br />

seits eine gemeinsame sprachliche und kognitive Struktur zur Verfügung, andererseits<br />

war er aber auch ein Mittel, um Distanz zwischen sich selbst und der Organisation zu<br />

schaffen. Dadurch konnten die Beteiligten aus dem „operativen Modus“ heraustreten<br />

und die strategische Ausrichtung der betrachteten Einheit – in diesem Falle ihrer<br />

eigenen Organisation – überprüfen. Der Ansatz unterstützte, indem er andere Unter-<br />

scheidungen einführte die Verfertigung neuer, interpretativer Schemata.<br />

774 Zum Value Proposition Ansatz vgl. Treacy und Wiersema, 1995. Siehe auch die Ausführungen in Kapitel<br />

6.3.1.<br />

775 Vgl. Beobachtung B082; Dokument D42. Beobachtung B096.<br />

365


366<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Der VPA verhalf in diesem Sinne zu einer neuen Perspektive und zur Entwicklung<br />

neuer Sinnklammern, indem er eine interpretierte Beobachtung der bisherigen Wahr-<br />

nehmungen lieferte. Diese bisherige Wahrnehmung wurde durch die Kategorisierung<br />

in einen weiteren Kontext gestellt und somit zum Gegenstand einer weiteren Beo-<br />

bachtung. Diese kann <strong>als</strong> eine Beobachtung 2. Ordnung interpretiert werden, durch die<br />

Handlungsvoraussetzungen, wie im Beispiel der Landesgesellschaft Schweiz, die<br />

starke Kundenorientierung und die eher schwache Produkt- und <strong>Prozess</strong>orientierung<br />

offengelegt wurden. Damit wurden den beteiligten Akteuren eine neue Sinndimension<br />

für die bisherigen Handlungen an die Hand gegeben, die Kontingenz der gewählten<br />

Handlung verdeutlicht, sowie alternative Handlungsmöglichkeiten eröffnet.<br />

Eine weitere Reflexionsmöglichkeit und Konfrontation mit alternativen Handlungs-<br />

möglichkeiten stellt das gezielte Aussetzen mit systemfremden Impulsen dar. Die<br />

nachfolgende Vignette beschreibt eine solche Reflexionsform.<br />

Vignette: Erfahrungsaustausch mit anderen Organisationen<br />

Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde ein Erfahrungsaustausch einiger<br />

Manager aus dem L&S ERP-Projekt mit einer zweiten, sehr subsidiär<br />

strukturierten Partnerorganisation organisiert. Auch die zweite Organisation<br />

war mit einem Projekt beschäftigt, das darauf abzielte, die Administration<br />

der dezentralen Einzelorganisationen zu vereinheitlichen und sogar<br />

zusammen zu legen. Die Ausgangssituation war damit vergleichbar mit der<br />

des ERP-Projekts.<br />

Im Falle der anderen Partnerorganisation war eine Zentralisierung der Ge-<br />

schäftsprozesse zwingend notwendig geworden, um die Dienstleistungen<br />

weiter zu marktgerechten Preisen anbieten zu können und die Autonomie<br />

der dezentralen Einheiten aufrechtzuerhalten.<br />

Aus der Reflexion der beiden Projekte wurden insbesondere zwei Punkte<br />

für die Beteiligten aus dem ERP deutlich:<br />

Von Seiten der Partnerorganisation war man begeistert vom Commitment<br />

der Geschäftsleitung von L&S. Insbesondere die explizite Mission, die für<br />

das ERP formuliert worden war, stellte aus Sicht der Partnerorganisation<br />

ein deutliches Commitment dar, das im Kontext der Partnerorganisation<br />

nicht denkbar war. Die Beteiligten befürchteten vielmehr, dass ein solches<br />

Statement ihr Projekt derzeitig blockieren würde.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Zweitens war auch die Institutionalisierung des Change Managements für<br />

die Partnerorganisation neu. Eine solche pro-aktive Vorbereitung der<br />

Organisation auf die Veränderung war im Falle der Partnerorganisation<br />

nicht vorhanden. Das Change Management wurde unter dem Termin- und<br />

Erwartungsdruck zurückgestellt und vom Projektleiter noch „nebenher“ er-<br />

ledigt. 776<br />

Neben diesen expliziten Unterschieden schien der Erfahrungsaustausch für<br />

alle Beteiligten aber auch deshalb sinnvoll, weil sie, nach eigener Aussage,<br />

gemerkt hätten, dass sie mit ihren Schwierigkeiten nicht alleine seien. 777<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Die gemeinsame Reflexion, wie sie in dem beschriebenen Erfahrungsaustausch statt-<br />

fand, stellt in dieser institutionalisierten Form eher die Ausnahme im betrieblichen All-<br />

tag dar. Wenngleich der laufende Erfahrungsaustausch zwischen Mitarbeitern auf der<br />

Ebene des diskursiven Bewusstseins ein alltägliches Phänomen in Organisationen dar-<br />

stellt, ist die Reflexion von handlungsleitenden Mustern, die sozusagen im Rücken der<br />

Handelnden wirksam werden, auf der Ebene des praktischen Bewusstseins eher die<br />

Ausnahme. So wird zwar das diskursiv gesteuerte Handeln thematisiert, aber die<br />

stärker routinisierten Handlungen und die ihnen zugrundeliegenden Strukturen werden<br />

dabei nicht hinterfragt. 778<br />

Auch der Vergleich mit anderen Organisationen (benchmarking) wird zwar immer<br />

wieder von den Firmen gewünscht, trotzdem bleibt der Einfluss solcher reflektierender<br />

Auseinandersetzung gering. Angeblich ist hierfür vor allem der Vorrangs des<br />

operativen Geschäfts verantwortlich. Darüber hinaus scheint aber auch die Fähigkeit<br />

zum konstruktiven Vergleich z.Zt. nicht gut ausgebildeten zu sein. So kam es trotz des<br />

Wunsches nach Wiederholung des beschriebenen Erfahrungsaustauschs auch im<br />

Rahmen des Forschungspojekts nicht zu einer Fortführung des Dialogs zwischen den<br />

beiden Organisationen.<br />

776 Vgl. Vgl. Dokument D33, D19.<br />

777 Vgl. Beobachtung B 112; Dokument D 81.<br />

778 Vgl. zur Unterscheidung des diskursiven und praktischen Bewusstseins Kap. 4.1.3 sowie u.a. Giddens, 1976;<br />

Giddens, 1997.<br />

367


368<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Dabei bietet die gut inszenierte und u.U. moderierte Begegnung mit vergleichbaren<br />

Erfahrungen und Mustern anderer Organisationen die Möglichkeit, die eigene Beo-<br />

bachtung zu beobachten. DEISER formuliert hierzu:„Die didaktisch organisierte<br />

Begegnung mit »Fremden«, mit anderen kulturellen und strukturellen Mustern, erlaubt<br />

das Erkennen der Begrenztheit der eigenen Perspektive, und das Erkennen der Brille<br />

ist der erste Schritt zu ihrer Relativierung.“ 779<br />

Es geht somit darum, Reflexionsgelegenheiten zu schaffen und so zu inszenieren, dass<br />

sie ein ausreichendes Maß an Wiedererkennen ermöglichen, gleichzeitig aber die<br />

Unterschiede in der Struktur der Organisationen sichtbar machen. Die Bedeutung<br />

dieser BEGEGNUNG MIT DEM ANDEREN für die Definition der eigenen Identität be-<br />

schreibt HAHN im Sinne des dialogischen Prinzips:„Immerhin ist deutlich, dass jede<br />

Selbstbeschreibung Alterität in Anspruch nehmen muss. Wenn man sagt, was man ist,<br />

muss man dies in Abgrenzung von dem tun, was man nicht ist. Die paradoxe Funktion<br />

von »Fremdem« besteht eben darin, dass sie Selbstidentifikation gestattet.“ 780<br />

Häufiger findet die Reflexion allerdings über den internen Erfahrungsaustausch statt.<br />

Die besondere Herausforderung besteht dabei weniger in dem Auffinden vertrauter<br />

Informationen <strong>als</strong> vielmehr darin, die Unterschiede, die einen Unterschied machen, zu<br />

erkennen, <strong>als</strong>o die eigenen blinden Flecken wahrzunehmen. Die folgende Vignette<br />

zeigt diesbezügliche Schwierigkeiten.<br />

Vignette: Musterrepräsentation<br />

Im Rahmen des ERP-Projekts bei L&S wurde u.a. ein Workshop zum Aus-<br />

tausch von best practices durchgeführt. Ziel dieses Workshops war es, die<br />

weiteren Schritte der Integration und des Austauschs zwischen den ver-<br />

schiedenen Projektbereichen zu verstärken. Der Austausch wurde moderiert<br />

vom Leiter des ERP-Programms. Er startete den Workshop indem er Punkte<br />

sammelte, die in der Vergangenheit gut gemacht worden waren und ander-<br />

seits solche, bei denen man sich noch verbessern wollte. Es ergaben sich<br />

folgende Nennungen: 781<br />

779 Vgl. Deiser, 1995.<br />

780 Vgl. Hahn, 1994. Der Zusammenhang klingt auch an in der Aussage von Martin Buber „Ich werdend spreche<br />

ich Du“. Buber, 1994.


Was wir gut gemacht haben:<br />

• Kooperation in den Teams<br />

• die Lösung von Problemen in der<br />

Gruppe<br />

• Erreichen der Meilensteine<br />

• CIA-<strong>Prozess</strong> in der DU Schweiz<br />

Was hätte besser laufen können:<br />

• Kooperation zwischen den Teams<br />

• Mangel an Integration<br />

• „wir innerhalb des Segments“-<br />

Denken<br />

• Organisation unterstützt Integration<br />

nicht<br />

• Kommunikation an das gesamte<br />

Programm-Team<br />

• Lösung von überlappenden Problemen<br />

und Themen<br />

Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

• Kooperation mit den Power Usern<br />

• Einbeziehung und Akzeptanz der DU<br />

Schweiz (häufig genannt)<br />

• Koordination innerhalb der Teams<br />

• Roll-Out Arbeitspakete<br />

• Fokus auf Details in Meetings<br />

• Verbindlichkeit von Entscheidungen<br />

gering<br />

• komplexe Entscheidungsprozesse<br />

• Entscheidung- und Problemlösungsprozeduren<br />

• komplexe Kommunikation - viele<br />

Stakeholder<br />

• unklarer Entscheidungsprozess/unklarer<br />

Entscheidungskompetenzen<br />

Die Punkte wurden zu drei Bereichen zusammengefasst. Als übergeordnete<br />

Themen wurden Entscheidungen, Integration sowie Kommunikation<br />

identifiziert. Im nächsten Schritt wurden folgende Vorschläge zur<br />

Verbesserung in den drei Bereichen erarbeitet:<br />

781 Vgl. Beobachtungen B023, B013.<br />

369


370<br />

Entscheidung<br />

• Entscheidungen vorbereiten<br />

• größere Entscheidungen dokumentieren<br />

• Modellprozess für Entscheidungen<br />

• Teamleiter brauchen mehr Kompetenzen<br />

und Vertrauen<br />

• Inventar der offenen Themen<br />

• Teilnehmer entsprechend den Zielen<br />

beschränken<br />

Integration<br />

• Fokus auf Integration<br />

• mehr Anstrengungen zur Integration<br />

durch die Teams<br />

• gemeinsames Verständnis für das<br />

Problem<br />

• Owner für Business cases<br />

• jemanden für Entscheidungen verantwortlich<br />

machen<br />

Kommunikation<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

• klare Kompetenzen<br />

• mehr Verantwortungsübernahme<br />

durch Teamleiter<br />

• mehr Empowerment / Mitarbeiter<br />

sollen Entscheidungen übernehmen<br />

• das Recht Fehler zumachen<br />

• den Evaluationsweg definieren<br />

• zweite Meinung der so genannten<br />

Godfathers einholen<br />

• Gefühl einer Lösung<br />

• klare Verantwortlichkeiten<br />

• schnelle Information<br />

• Aufstellung eines ersten Roll Out,<br />

Teams um Integration zu erfahren<br />

• technische Angelegenheiten sollten<br />

von Technikern vertreten werden<br />

• Satz von Master Business Cases


• Review der Meetingstruktur<br />

• weniger TeilnehmerInnen bei den<br />

Meetings<br />

• weniger Meetings mit festen Teilnehmern<br />

• Disziplin beim Sprechen<br />

• gründliche Analysen<br />

• Zeit nehmen für Soft Skills<br />

Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

• Trennung von Informations- und<br />

Problemmeetings<br />

• mehr Visualisierung<br />

• mehr Kontakte<br />

• Meetings entlang Themen und Ownern<br />

• Großgruppenveranstaltungen<br />

• tägliches 30-Minuten-Meeting<br />

Unter einem gewissen Zeitdruck wurden die einzelnen Vorschläge noch mit<br />

Prioritäten versehen. Anhand der Prioritäten wurden dann folgende Maß-<br />

nahmen beschlossen, wobei der Leiter dies fast alleine „beschloss“:<br />

Bezüglich der Entscheidungsprozesse sollte mehr Mut gemacht werden,<br />

auch Fehler zu begehen. Außerdem sollten einzelne Rollen harmonisiert<br />

werden. Bezüglich der Meetingstruktur sollte kurze Zeit später ein Vor-<br />

schlag zur Änderung derselben erfolgen. Zur Förderung der Integration<br />

sollten übergreifende Business cases entwickelt und veröffentlicht<br />

werden. 782<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Im Rahmen des Workshops wurden durch die Herausarbeitung der Problembereiche<br />

Entscheidungen, Integration und Kommunikation für das Projekt Themen identifiziert,<br />

die auch für die gesamte Organisation wesentliche Herausforderungen darstellten.<br />

Hierin zeigte sich deutlich die Rekursivität der Organisationsstruktur. Anhand des<br />

Projekts konnten damit ähnliche Strukturen, Probleme aber auch Lösungen erkannt<br />

bzw. entwickelt werden, wie sie schon auf der Ebene der gesamten Organisation an-<br />

zutreffen waren:<br />

Die Thematisierung des Bereichs Entscheidungen und die Forderung nach einem<br />

höheren Empowerment stellte sich im Projekt wie auch in der Alltagsorganisation<br />

nicht zuletzt deshalb, weil die Vorgesetzten im HQ bei ihren Entscheidungen durch die<br />

stark ausgeprägte subsidiäre Identität auf die Akzeptanz der Landesgesellschaften an-<br />

gewiesen waren. Die Antwort der Organisation in Form der starken Einbeziehung und<br />

782 Vgl. Beobachtung B022, B023.<br />

371


372<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Partizipation führte damit in ein Dilemma zwischen einerseits dem Wunsch nach<br />

Tempo und Fortgang des Projekts sowie andererseits nach umfangreicher Integration<br />

und Partizipation aller Beteiligter.<br />

Die Schwierigkeiten im Bereich Integration waren ebenfalls auch auf der Ebene der<br />

Gesamtorganisation ein bekanntes Phänomen. Die Segmentierung der Geschäfts-<br />

bereiche im Projekt wie auch auf der Ebene der Gesamtorganisation führte zwar zu<br />

einer Optimierung innerhalb der Bereiche (vgl. Nennungen zu: Was gut läuft). Aller-<br />

dings führte sie auch zu Problemen bei der Gestaltung übergreifender <strong>Prozess</strong>e und<br />

Schnittstellen sowie der Optimierung des Gesamtergebnisses. Die schwierige Koope-<br />

ration zwischen den einzelnen Segmenten zeigte sich z.B. bei der gemeinsamen<br />

Nutzung von Kundendaten zwischen mehreren Segmenten. Die Erstellung und Bear-<br />

beitung von Business cases war daher im Sinne der Förderung der Integration eine<br />

positive Maßnahme.<br />

Schließlich war auch die Kommunikation, welche <strong>als</strong> problematisch beschrieben<br />

wurde, vor dem technischen Hintergrund der Organisation und dem damit einher-<br />

gehenden, technisch geprägten Verständnis von Kommunikation, nachvollziehbar. Aus<br />

dem Meeting heraus wurde hinsichtlich der Kommunikation vor allem eine höhere<br />

Effizienz, eine bessere Struktur der Meetings sowie Disziplin gefordert. Die Hinweise<br />

zur Verbesserung zielten damit vor allem auf die Inhaltsebene der Kommunikation. 783<br />

Dabei wurden Aspekte der Integration, des Sensemaking, des Aufbaus von Vertrauen<br />

etc. vernachlässigt. Auch Beispiele, bei denen man aufgrund der guten<br />

Kommunikation offensichtlich eine gute Zusammenarbeit erreicht hatte, wie dies<br />

insbesondere in der Zusammenarbeit mit den Landesgesellscchaften erreicht worden<br />

war, wurden vernachlässigt.<br />

Die Reflexion und die Vorschläge waren insgesamt <strong>als</strong> eher „lokal“ zu bezeichnen und<br />

bezogen sich ausschließlich auf das Projekt. Aus der Diskussion der Ergebnisse wurde<br />

zu keinem Zeitpunkt deutlich, dass sich die Anwesenden der Rekursivität der organi-<br />

sationalen Handlungsmuster bewusst waren. Die unter Zeitdruck entwickelten<br />

Lösungsvorschläge stellten in der Terminologie des organisationalen Lernens eine<br />

Verbesserung im Sinne des single-loop learning und eine Erhöhung der Effizienz dar,<br />

nicht aber ein Hinterfragen der Wirksamkeit der bestehenden Routinen und Strukturen.<br />

783 Vgl. Zur Unterscheidung der verschiedenen Ebenen der Kommunikation insbesondere Watzlawick, et al.,<br />

1990, Schulz von Thun, 1981.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Es wurde <strong>als</strong>o lediglich die Art und Weise, wie Dinge getan wurden, hinterfragt, nicht<br />

aber die existierenden Normen und Strukturen der Organisation reflektiert. 784<br />

Eine besondere Schwierigkeit bei der Reflexion der Routinen und Handlungsmuster<br />

besteht allerdings in der überwiegend impliziten Natur dieser kollektiven Wissens-<br />

strukturen.<br />

Dass die Reflexion der Strukturen auch im Rahmen der Selbstidentifikation, der<br />

Reflexion der eigenen Rolle und der Beziehungen zu anderen Teilen der Organisation<br />

erfolgen kann, zeigt die nächste Vignette.<br />

Vignette: Implizites Wissen zugängig machen<br />

Im Rahmen des Forschungsprojekts erhielt das Forschungsteam eine An-<br />

frage zu einem Workshop mit einer zentralen Abteilung des Forschungs-<br />

partners. Ziel der Abteilung war es bei dem Workshop einerseits ein grund-<br />

sätzliches Feedback bzgl. unserer Forschungsergebnisse zu erhalten, zum<br />

anderen aber auch, bestimmte Fragen der Zusammenarbeit zwischen der<br />

Abteilung und Teilen der übrigen Organisation gemeinsam zu reflektieren.<br />

Als Teil des Workshops wurde vereinbart, dass man mit Hilfe systemischer<br />

Methoden an dem Anliegen bzgl. der Zusammenarbeit mit anderen<br />

Abteilungen arbeiten würde. U.a. wurde mit Hilfe einer Strukturaufstellung<br />

mit den Mitarbeitern der Abteilung sowie zusätzlichen Repräsentanten, die<br />

derzeitige Situation der der Zusammenarbeit zwischen der Abteilung und<br />

Teilen der übrigen Organisation in Form einer räumlichen Anordnung von<br />

Personen nachgestellt (Ausgangsbild). 785<br />

Durch eine Simulation verschiedener Alternativen (Lösungsbilder) wurden<br />

anschließend Lösungen für eine Verbesserung der Zusammenarbeit<br />

reflektiert. Dabei wurden u.a. Muster der Kommunikation offenbart,<br />

zurückliegende Entscheidungen, mit bestimmten Abteilungen stärker<br />

kooperieren, überdacht sowie Möglichkeiten der stärkeren Einbeziehung in<br />

784 Petrie et. al vergleichen das single-loop learning mit einer Verbesserung der Effizienz, während das double<br />

loop learning mit einer Verbesserung der Effektivität verbunden ist Petrie und Alpert, 1983.<br />

785 Vgl. zur Arbeit mit Strukturaufstellungen Varga von Kibéd und Sparrer, 2000a, Sparrer, 2001;Sparrer und<br />

Varga von Kibéd, 1998.<br />

373


374<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

strategische Projekte und positive Beispiele aus der Vergangenheit<br />

diskutiert.<br />

Die Reflexion führte dazu, dass die Abeilung einerseits implizite<br />

Vermutungen bzgl. des Problems explizit diskutieren konnten. Darüber hin-<br />

aus konnten aber auch Ansätze für die Verbesserung der Zusammenarbeit<br />

sowie die für den Workshop gesteckten Ziele (Aha-Erlebnis, Verstehen wie<br />

die Organisation tickt) erreicht werden.<br />

Als besonders wichtig stellte sich während des gesamten <strong>Prozess</strong>es heraus,<br />

eine Vorstellung davon zu entwickeln, wo der „Platz“ und damit die<br />

Identität der Abteilung im Konzernverbund war.<br />

Interpretation im Gesamtkontext<br />

Die Ergebnisse der Strukturaufstellung führten im Rahmen des Workshops zu einer<br />

Auseinandersetzung und Reflexion des Selbstverständnisses der Abteilung. Es war<br />

dabei kein Zufall, dass die Ausgangsfrage nach der Zusammenarbeit mit anderen<br />

Teilen der Organisation zu der Thematisierung der eigenen organisationalen Identität<br />

führte.<br />

Eine Besonderheit in der verwendeten Dramaturgie stellte dabei sicher der Einsatz<br />

einer Strukturaufstellung dar. Über diese, für Teilnehmer z.T. ungewohnte Methode,<br />

gelang der Zugang zu impliziten, kollektiven Wissensbeständen, die wesentlicher Teil<br />

der organisationalen Identität waren. Die Auseinandersetzung mit solchen Struktur-<br />

elementen auf der Ebene des diskursiven Bewusstseins verlangt dabei einen anderen<br />

„Modus“ <strong>als</strong> die üblichen, kognitiv geprägten Strategiediskurse.<br />

WIMMER und NAGEL merken zur Auseinandersetzung mit der organisationalen Identi-<br />

tät an: „Die Beschäftigung mit der eigenen Identität und ihrer künftigen Entwicklung<br />

nimmt erhebliche Zeit in Anspruch, sie verlangt vor allem aber eine andere Form des<br />

emotionalen wie kognitiven Befasstseins mit den Dingen, die üblicherweise unter dem<br />

Druck des operativen Geschehens nicht aufkommen kann“. Es ist nach ihrer Ansicht<br />

eine Entschleunigung von Nachdenk- und Entscheidungsprozessen erforderlich. 786<br />

Ziel dieser „Entschleunigung“ ist dabei nicht die Verlangsamung an sich. Vielmehr<br />

fördert diese Veränderung des Kommunikationsmusters die notwendige Interpretation<br />

786 Vgl. Wimmer und Nagel, 2000.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

der vorhandenen Informationen. Da die Daten grundsätzlich interpretationsbedürftig<br />

sind, ist die Sinn- und Deutungsgebung der „Rohdaten“ essenzieller Bestandteil jegli-<br />

cher Kommunikation über die organisationale Identität und den strategischen<br />

<strong>Wandel</strong>. 787<br />

Fazit: Reflexion und Beobachtung 2. Ordnungen<br />

Sinngebende reflexive Betrachtung ist nur durch ein Heraustreten aus dem Erlebnis-<br />

strom und eine Aufmerksamkeitsfokussierung auf das, was schon passiert ist, möglich.<br />

Jedes Verstehen entspringt nach WEICK aus der Reflexion und dem Rückwärts-<br />

schauen. 788<br />

Vor diesem Hintergrund scheint den hier beschriebenen Reflexionssituationen gemein-<br />

sam zu sein, dass sie eine Dramaturgie aufweisen, die es ermöglicht, eine neue Per-<br />

spektive außerhalb der bestehenden handlungsleitenden Strukturen für bereits erfolgte<br />

Ereignisse zu entwickeln. So können systembedingte blinde Flecken im Zuge einer<br />

Beobachtung 2. Ordnung rekonstruiert und aufgearbeitet werden. 789<br />

Dies soll keinesfalls zu einer abgehobenen, theoretischen Auseinandersetzung von<br />

Spezialisten fernab der Praxis führen. Die Vorstellung entspricht vielmehr dem Bild<br />

eines reflective practioners 790 , der nicht erkannte Handlungsvoraussetzungen und nicht<br />

intendierte Handlungsfolgen versucht wahrzunehmen. Konkrete Ergebnisse solcher<br />

Reflexionsprozesse können in „tangible“ und in „intangible results“, d.h. fassbaren,<br />

Handlungsergebnissen und Entscheidungen, aber auch weniger fassbaren impliziten<br />

Veränderungen, beispielsweise auf der Haltungsebene, bestehen. 791<br />

787 Nach Luhmann muss Kommunikation verstanden werden <strong>als</strong> interpretierte Daten Luhmann, 1986.<br />

788 Vgl. Weick, 1985a. Für die Entwicklung zukünftiger Ereignisse empfiehlt Weick daher auch das „Denken im<br />

zweiten Futur“. Vgl. dazu die Ausführungen im Kapitel 8.3.<br />

789 Vgl. zur Beobachtung 2. Ordnung u.a. Förster, 1974.<br />

790 Vgl. Schön, 1983.<br />

791 Vgl. Deiser, 1994.<br />

375


8 Und was vom Tage übrig bleibt...<br />

376<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Das einzig Stabile, was uns bleibt, ist die Gewissheit des permanenten <strong>Wandel</strong>s.<br />

Rudolf Wimmer<br />

Den Abschluss einer solchen Arbeit bilden in der Regel Empfehlungen an das<br />

Management bzw. ein Modell zum Thema, wie im vorliegenden Fall dem Thema der<br />

Gestaltung <strong>identitätsbildender</strong> <strong>Prozess</strong>e.<br />

Auch in dieser Arbeit soll zum Abschluss ein Orientierungsrahmen für die Bewäl-<br />

tigung des organisationalen <strong>Wandel</strong>s und speziell des <strong>Wandel</strong>s von identitätsbildenden<br />

Strukturen beschrieben werden. Dieser Orientierungsrahmen gliedert sich einmal in<br />

eine Vorschlag für ein Bruchstellenmodell des organisationalen <strong>Wandel</strong>s und zum<br />

anderen in Rückschlüsse aus dem in dieser Arbeit verwendeten <strong>Prozess</strong>modell (8.3.)<br />

zum organisationalen <strong>Wandel</strong>, insbesondere dem <strong>Wandel</strong> von (Identitäts-)Strukturen.<br />

Um einem rezeptbuchhaften Verständnis der folgenden Ausführungen vorzubeugen,<br />

sei explizit die Kontextgebundenheit der folgenden Hinweise hervorgehoben. D.h. die<br />

Erkenntnisse, die hier zum Abschluss in kurzer Form dargestellt werden, sind letztlich<br />

nur verständlich vor ihrem Entstehungshintergrund. Diese Kontextbezogenheit des<br />

Wissens spiegelt sich metaphorisch wider in der Geschichte von zwei Reisenden in<br />

einem Zug:<br />

Zwei Reisende sitzen während einer langen Zugfahrt beisammen und erzählen sich Witze. Da<br />

der Vorrat an Witzen beschränkt ist, erzählen sie sich wieder und wieder die gleichen Witze.<br />

Mit der Zeit gehen sie dazu über, die Witze zu nummerieren und sich nur noch die Nummern<br />

der Witze zu erzählen.<br />

Ein Mitreisender nimmt Platz in ihrem Abteil und beobachtet, wie die beiden sich gegenseitig<br />

Zahlen nennen und der jeweils andere daraufhin in schallendes Gelächter ausbricht. Nach<br />

kurzer Zeit ergreift er das Wort und nennt ebenfalls eine Zahl. Daraufhin schauen die beiden<br />

ihn verständnislos an. Auf seine Frage, warum sie denn nicht über seine Zahl lachen, antwortet<br />

der eine: „Du kennst den Witz doch gar nicht“.<br />

Zu den nachfolgenden Hinweisen ist der aufmerksame Leser deshalb eingeladen, die<br />

Erkenntnisse aus den in Kapitel 6 und 7 beschriebenen empirischen Beobachtungen zu<br />

dekontextualisieren und in seinen eigenen Anwendungskontext zu rekontextualisieren.<br />

Diese Rekontextualisierung kann <strong>als</strong> gelungen angesehen werden, wenn die in dieser<br />

Arbeit entwickelten Überlegungen den Leser zu plausiblen und nachvollziehbaren<br />

Einsichten über die eigenen Erfahrungen inspirieren. Darüber hinaus zielt eine solche


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Rekonstruktion darauf ab, einen Beitrag zur Erweiterung des Orientierungswissens im<br />

Sinne eines „theory construction as diciplined imagination“ zu liefern. 792<br />

Abschließend sollen deshalb die wichtigsten Eckpunkte der empirischen Untersuchung<br />

noch einmal zusammengefasst und daraus Implikationen für Theorie und Praxis abge-<br />

leitet werden. Dazu werden die Ergebnisse der Post-Merger-Integrationsprojekte<br />

resümiert (Kapitel 8.1) , ein Bezugsrahmen möglicher Bruchstellen organisationalen<br />

<strong>Wandel</strong>s vorgestellt (Kapitel 8.2) und Hinweise zu den Herausforderungen identitäts-<br />

bildender <strong>Prozess</strong>e an solchen Bruchstellen entwickelt. Anschließend werden<br />

praktische Implikationen und Hinweise zur Bewältigung aus dem vorgestellten<br />

<strong>Prozess</strong>modell abgeleitet (Kapitel 8.3) sowie <strong>als</strong> theoretische Implikation ein Modell-<br />

vorschlag zum Verhältnis von Handlung, Strategie und Identität vorgeschlagen<br />

(Kapitel 8.4). Ein Fazit bildet den Abschluss dieser Arbeit (Kapitel 8.5).<br />

8.3 Praktische Implikationen<br />

Identitätsbildender <strong>Prozess</strong>e<br />

8.1 Vom <strong>Wandel</strong> der Organisation<br />

zur Organisation des <strong>Wandel</strong>s<br />

8.2 Bruchstellen des<br />

organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />

8.5 Fazit: Identität und<br />

Post-Merger-Integration<br />

Abbildung 97: Übersicht über Kapitel 8<br />

8.4 Praktische Implikationen<br />

Identitätsbildender Proezsse<br />

8.1 Vom <strong>Wandel</strong> der Organisation zur Organisation des <strong>Wandel</strong>s<br />

UEXKÜLL 793 liefert mit seiner Unterscheidung der Menschen in Merklinge, welche die<br />

Welt beobachten wollen, und Wirklinge, welche die Welt verändern wollen, eine alter-<br />

native Perspektive, der in dieser Arbeit immer wieder thematisierten Leitdifferenz<br />

792 Vgl. zum Umgang mit de- und rekontextualisierten wissenschaftlichen Erkenntnissen Rüegg-Stürm, 2002.<br />

Vgl. zu den Gütekriterien solcher Erkenntnisse und der qualitativen Forschung insbesondere Weick, 1989.<br />

793 Vgl. von Uexküll, 1957.<br />

377


378<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

zwischen Struktur und Handlung oder Strategieformulierung und strategischer Um-<br />

setzung.<br />

Die hier untersuchte strategische Sollbruchstelle PMI liefert in diesem Zusammenhang<br />

einen interessanten Anwendungsfall für das Zusammenwirken der organisationalen<br />

Identität (Struktur) und strategischer <strong>Wandel</strong>initiativen (Handlungen).<br />

Die Ausgangsfrage, unter deren Blickwinkel die hier untersuchten Projekte analysiert<br />

wurden, lautete daher „Wie beeinflussen strategische <strong>Wandel</strong>initiativen in Post-<br />

Merger-Phasen den <strong>Prozess</strong> der organisationalen Identitätsbildung?“ 794<br />

Ausgangspunkt der Arbeit war die Fit-Hypothese, welche die strategische, organisati-<br />

onale und kulturelle – und damit auch identitätsbezogene – „Passung“ der Organisati-<br />

onen <strong>als</strong> Erfolgsrezept für die Integration im Anschluss an einen Zusammenschluss<br />

behauptet. Epistemologische, organisationstheoretische und vor allem empirische<br />

Hinweise zeigten im Verlaufe dieser Studie allerdings, dass aus einer systemisch-<br />

konstruktivistischen, prozessorientierten Sichtweise der Erfolg organisationalen<br />

<strong>Wandel</strong>s in erster Linie von der Form der <strong>Wandel</strong>prozesse abhängt. Genauer gesagt:<br />

am Beispiel des <strong>Wandel</strong>s der organisationalen Identität im Anschluss an Fusionen<br />

wurde deutlich, dass Fusionen dann erfolgreich sein können, wenn im Rahmen von<br />

Integrationsprojekten neue, gemeinsame Identitäten <strong>als</strong> Grundlage organisationalen<br />

Handelns geschaffen werden können.<br />

Strategisches<br />

<strong>Wandel</strong>projekt<br />

Organisationale<br />

Identität<br />

Abbildung 98: Rekursivität <strong>Strategischer</strong> <strong>Wandel</strong>projekte und Organisationaler Identität<br />

<strong>Wandel</strong>projekte sind in diesem Zusammenhang von entscheidender Bedeutung, da<br />

ihnen die Funktion temporärer Lern- und Integrationsarenen zukommt: Hier trifft die<br />

alte auf die neue Struktur und es kann im <strong>Prozess</strong> des Organisierens eine neue Identität<br />

verfertigt werden. Strategische Projekte bilden sozusagen den Piloten für die Ent-<br />

wicklung und den Transfer neuer Identitätsstrukturen in den organisationalen Alltag.<br />

794 Vgl. Kap. 2.3.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Diese Strukturen sind dabei <strong>als</strong> Routinen zu verstehen, die expliziter und mehr noch<br />

impliziter Natur sind und die mit organisationalen Handlungen in einem rekursiven<br />

Verhältnis stehen.<br />

Gerade der implizite Charakter der alten und neuen Strukturen entzieht sie allerdings<br />

dem direkten Zugriff und der Machbarkeit. Eine Orientierung im Umgang mit solchen<br />

impliziten Strukturen geben z.B. die systemischen Prinzipien, die bereits im Kapitel<br />

7.1 die strukturelle Analyse der <strong>Wandel</strong>s unterstützten. 795 Im Sinne einer Wirkungs-<br />

analyse, beschreiben sie Aspekte, wie die Zugehörigkeit zu einer Organisation, die<br />

zeitliche Reihenfolge des Eintritts in eine Organisation, der besondere Einsatz oder<br />

Fähigkeiten und Leistungen, die im Rahmen des <strong>Wandel</strong>s beachtet werde müssen. 796<br />

Auf den ersten Blick selbstverständlich, sind es gerade die hierin behandelten implizi-<br />

ten Systembezüge, die den organisationalen <strong>Wandel</strong> häufig unerkannt gefährden. Die<br />

dahinterliegende Logik ist allerdings häufig für die Systembeteiligten aufgrund ihrer<br />

„Systemblindheit“ über die übliche Reflexion kaum zugänglich und bedarf daher<br />

besonderer Dramaturgien oder Verfahren zur Externalisierung. Systemische Verfahren<br />

wie z.B. Strukturaufstellungen bieten hier geeignete Mittel zum Umgang mit den<br />

schwer zugänglichen impliziten Wissensstrukturen.<br />

Wie bereits mehrfach erwähnt, ist der hier zugrunde gelegte soziologische Struktur-<br />

begriff eng verbunden mit der Vorstellung eines Strukturationsprozesses. Aus den<br />

Beobachtungen des Forschungsprojekts folgt, dass die <strong>Wandel</strong>initiativen die<br />

Identitätsstruktur maßgeblich beeinflussen, aber umgekehrt auch die Identitäts-<br />

strukturen Einfluss auf die Initiativen nehmen.<br />

Die analytische Unterscheidung der Elemente eines solchen <strong>Prozess</strong>es wurde anhand<br />

verschiedener Beobachtungen in Kapitel 7.2 gezeigt. Das dargelegte <strong>Prozess</strong>modell<br />

dient vor allem dazu, den <strong>Prozess</strong> zu strukturieren bzw. einen Orientierungsrahmen zu<br />

eröffnen. Schon das konstruktivistische Verständnis verbietet es, von „faktischen“<br />

Elementen eines solchen <strong>Prozess</strong>es zu sprechen.<br />

Trotzdem stellen die genannten Elemente (Ausgangspunkt, Zielzustand, relevanter<br />

Unterschied, <strong>Wandel</strong>projekte <strong>als</strong> identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e sowie Reflexion) zentrale<br />

795 Vgl. auch Kap. 4.2.7.<br />

796 Zur ausführlichen Beschreibung vgl. Kap. 5 sowie insbesondere Sparrer, 1997;Varga von Kibéd und Sparrer,<br />

2000a.<br />

379


380<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Aspekte im Ablauf eines rekursiven Strukturationsprozesses dar. Ihnen lassen sich<br />

einzelne Instrumente wie z.B. das As-Is-Modelling, die Change Impact Analysis oder<br />

Verfahren der Ziel- und Erwartungsklärung zuordnen. Damit bildet das Modell einen<br />

konstruktivistischen Orientierungsrahmen für ein Management des (Identitäts)-<br />

wandels.<br />

Gerade die Rekursivität strategischer <strong>Wandel</strong>prozesse macht die Gestaltung solcher<br />

<strong>Prozess</strong>e allerdings zu einer Managementherausforderung, welche die bestehenden<br />

Orientierungen und Grundannahmen des Managements in Frage stellt. Vier<br />

Spannungsfelder können dabei besonders herausgehoben werden:<br />

Inhalts- und Beziehungsebene:<br />

Im Rahmen des strategischen <strong>Wandel</strong>s steht der Umbau von Routinen, Handlungs-<br />

folgen und Geschäftsprozessen im Mittelpunkt der Veränderungsanstrengungen.<br />

Muster und Abläufe müssen von verschiedenen Beteiligten neu konstruiert werden.<br />

Inhalte stehen dabei häufig im Zentrum der Aufmerksamkeit, bilden aber vielfach nur<br />

das trojanische Pferd oder ein offizielles Thema, an dem neue Formen der Kommuni-<br />

kation und Beziehungsverfertigung erprobt werden müssen. Die Trennung dieser<br />

beiden Ebenen ist im Sinne einer Komplexitätsreduzierung und transparenten<br />

Vorgehensweise von entscheidender Bedeutung für eine Bewältigung der anstehenden<br />

Themen. Die Aufgabe, die Inhalts- von der Beziehungs- oder <strong>Prozess</strong>ebene zu trennen<br />

und damit bearbeitbar zu machen, fällt vor allem der Führung zu. Allerdings darf dies<br />

nicht im Sinne einer trivialen Steuerungsaufgabe missverstanden werden. 797<br />

Subjekt und Objekt:<br />

Das zweite Spannungsfeld setzt an dieser Illusion der Steuerbarkeit an und hinterfragt<br />

die Vorstellung einer Subjekt-Objekt Beziehung zwischen der Führungskraft und dem<br />

restlichen System. Nach dieser Vorstellung sehen sich viele Führungskräfte <strong>als</strong> unab-<br />

hängig vom Rest des Systems. Sie betrachten sich oftm<strong>als</strong> <strong>als</strong> neutrale Beobachter, die<br />

außerhalb des Systems stehen. Die empirischen Beobachtungen zeigen allerdings, dass<br />

die Führung im <strong>Prozess</strong> des strategischen <strong>Wandel</strong>s mitbetroffen und eingebunden ist in<br />

die rekursiven Organisations- und Führungsprozesse. Sie steht damit in einem<br />

797 Vgl. zu Unterschiede in Gesetzmässigkeiten von Geschäftsprozessen (Veränderung von Betriebsanlagen,<br />

Geschäftsprozess) und sozialen Veränderungen (social contract, implizite Regeln, etc.) u.a. Roost, 1998<br />

Rüegg-Stürm, 2001.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

nichttrivialen Subjekt-Subjekt-Verhältnis zum Geschehen in der Organisation und ist<br />

in Entscheidungen, Handlungen und in die ihnen zugrundeliegenden Strukturen<br />

automatisch einbezogen.<br />

Handlung und Struktur:<br />

Eine dritte Herausforderung besteht in der Wahrnehmung und dem reflektierten Um-<br />

gang mit den bestehenden und den neuen Handlungs- und Identitätsmustern. Während<br />

mit den bestehenden Strukturen häufig nicht erkannte Handlungsvoraussetzungen<br />

verbunden sind, bringen neue Handlungen häufig auch nicht intendierte Handlungs-<br />

konsequenzen mit sich. 798 Beide schränken die Fähigkeit einer Organisation ein,<br />

strukturellen <strong>Wandel</strong> zu bewältigen, d.h. neue Strukturen an die bestehenden anzu-<br />

schließen. Der implizite und häufig kollektive Charakter solcher Einschränkungen<br />

macht den Zugang zu ihnen nochm<strong>als</strong> schwieriger. Unter dem Primat des Tagesge-<br />

schäfts bleibt i.d.R. auch wenig Zeit zur Reflexion und Externalisierung des Hand-<br />

lungs- und Strukturenwissens. Dabei wäre die Externalisierung latenter Strukturen zur<br />

Verkürzung von Latenzphasen und zur Beschleunigung organisationaler Erneuerung<br />

eine selbst nach herkömmlichen betriebswirtschaftlichen Maßstäben sinnvolle<br />

Investition.<br />

Individuum und Beziehung:<br />

Schließlich basieren viele Rückschlüsse und Denkweisen immer noch auf einer<br />

Beschreibung der Wirklichkeit, die ein Denken in Formen des methodologischen<br />

Individualismus enthüllt. Konzepte wie organisationales Lernen, Wissensmanagement,<br />

Motivation und Widerstand, sowie die damit verbundenen Erklärungsansätze für orga-<br />

nisationale Phänomene, stellen das Individuum in den Mittelpunkt der Betrachtung.<br />

Damit geraten Beziehungen und Konstellationen zwischen den Variablen, den<br />

Beteiligten und dem Kontext in den Hintergrund.<br />

Die vier beschriebenen Spannungsfelder spiegeln allerdings nicht nur lange gehegte<br />

Grundannahmen wider über das, was organisationale Wirklichkeit ist, sondern legen es<br />

dem Management des <strong>Wandel</strong>s nahe, nicht mit verkürzten Handlungstheorien aus<br />

biologischen, technischen und individualistischen Vergleichen („Ein Unternehmen ist<br />

798 Vgl. zu den nicht erkannten Handlungsvoraussetzungen und den nicht intendierten Handlungskonsequenzen<br />

insbesondere Giddens, 1979; Giddens, 1997.<br />

381


382<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

wie...“) die Dynamik und Komplexität organisationaler <strong>Wandel</strong>prozesse zu unter-<br />

schätzen.<br />

PETTIGREW weist in diesem Zusammenhang auf Bedeutung von Zeit und Kontext bei<br />

der Analyse strategischer <strong>Wandel</strong>prozesse hin. „Actions are embedded in contexts<br />

which limit their information, insight and influence. But the dual quality of agents and<br />

contexts must always be recognized. Contexts are shaping an shaped. Actors are<br />

producers and products.” 799<br />

Systemisch gesprochen ist daher das Wie bzw. die Art und Weise der Verfertigung<br />

sowie die Wechselwirkung zwischen Text und Kontext von entscheidender<br />

Bedeutung, sowohl für die expliziten <strong>als</strong> auch die impliziten Ergebnisse strategischer<br />

Projekte, wie etwa den <strong>Wandel</strong> der Identität.<br />

Damit findet eine Verlagerung der rein inhaltlich orientierten <strong>Wandel</strong>vorstellung hin<br />

zu einem eher ganzheitlichen „Beides“ von Inhalt und <strong>Prozess</strong> statt. Im Mittelpunkt<br />

steht nicht mehr die Frage, wie die Organisation <strong>als</strong> Entität gewandelt werden kann,<br />

sondern wie der <strong>Wandel</strong> anschlussfähig organisiert bzw. gestaltet werden kann, eben<br />

vom <strong>Wandel</strong> der Organisation zur Organisation des <strong>Wandel</strong>s. 800<br />

Die Fähigkeit zur Bewältigung von <strong>Wandel</strong> und zur Erneuerung kommt somit in<br />

Metastrukturen zum Ausdruck, die darüber entscheiden, wie rasch und friktionsfrei<br />

sich Strukturen weiterentwickeln können. Solche Strukturen können, wie beschrieben,<br />

in der Einbeziehung oder der <strong>Prozess</strong>transparenz, im Systemvertrauen 801 oder in<br />

Aspekten der prozessualen Gerechtigkeit 802 bestehen. Das übergeordnete Ziel besteht<br />

in der Erreichung von Anschlussfähigkeit zwischen dem „Alten“ und dem „Neuen“.<br />

Diese Anschlussfähigkeit ist insbesondere gefordert bei Bruchstellen in der organisati-<br />

onalen Entwicklung, wie sie neben den Unternehmenszusammenschlüssen z.B. auch<br />

das Outsourcing von Organisationsteilen, die Bildung von Allianzen oder Umstruk-<br />

turierungen darstellen. Auf diese und weitere organisationale <strong>Wandel</strong>situationen wird<br />

im Folgenden eingegangen.<br />

799 Vgl. Pettigrew, 1997.<br />

800 Vgl. hierzu auch das gleichnamige Symposium des Rheintal-Instituts im April 2002 in Bonn.<br />

801 Vgl. Sydow und Loose, 1994.<br />

802 Vgl. u.a. Kim und Mauborgne, 1991.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

8.2 Bruchstellen organisationaler Identitätsstrukturen<br />

Im nun folgenden Kapitel wird ein Modell entwickelt, dass gezielt Situationen<br />

beleuchtet, die einen möglichen Bruch in der Unternehmensentwicklung darstellen.<br />

Während bislang nur ein Spezialfall unternehmerischen <strong>Wandel</strong>s – der Zusammen-<br />

schluss zweier Unternehmen – untersucht worden ist, soll im Folgenden ein Bezugs-<br />

rahmen für weitere idealtypische Bruchstellen organisationaler Identität angeboten<br />

werden. Mit dem vorgestellten Modell wird eine systembezogene Orientierungshilfe<br />

gegeben, die insbesondere die Lücken bisheriger Modelle ergänzt. Dazu wird vorab<br />

auf die zwei Modelle aus der Literatur kurz eingegangen.<br />

8.1 Vom <strong>Wandel</strong> der Organisation<br />

zur Organisation des <strong>Wandel</strong>s<br />

8.2 Bruchstellen des<br />

organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />

8.3 Praktische Implikationen 8.4 Theoretische Implikationen<br />

Identitätsbildender <strong>Prozess</strong>e Identitätsbildender <strong>Prozess</strong>e<br />

8.5 Fazit: Identität und<br />

Post-Merger-Integration<br />

Abbildung 99: Übersicht über Kapitel 8<br />

Die in dieser Arbeit vertretene Auffassung von organisationaler Identität ist stark ver-<br />

bunden mit der Vorstellung einer path-dependcy. D.h. dass die Identitätsstruktur einer<br />

Organisation von den Handlungen und Erfahrungen abhängt, die etwa im Rahmen der<br />

Gründung oder zur Bewältigung wichtiger Phasen der Geschichte einer Organisation<br />

erfolgt sind.<br />

Diese sozial konstruierte, komplexe und vorwiegend implizite Identitätsstruktur kann<br />

sich in bestimmten Kontexten <strong>als</strong> ein klarer Wettbewerbsvorteil, in Zeiten des<br />

radikalen <strong>Wandel</strong>s aber u.U. auch <strong>als</strong> ein Nachteil darstellen: „Unvorhersehbare<br />

Brüche schaffen unter Umständen von heute auf morgen radikal sich verändernde<br />

383


384<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Rahmenbedingungen, die die bisherigen Erfolgsmuster eines Unternehmens total auf<br />

den Kopf stellen.” 803<br />

Bereits REGER weist darauf hin, dass Situationen des organisationalen <strong>Wandel</strong>s eine<br />

besondere Herausforderung für die organisationale Identität darstellen können. Diese<br />

Situationen üben einen besonderen Druck auf Organisationen aus, lassen die beste-<br />

hende Identität sichtbar werden und teilweise problematisch erscheinen. REGER zählt<br />

zu solchen Situationen Merger, Akquisitionen und Spin-offs, Joint Ventures und<br />

Allianzen, Industrieentwicklungen und -turbulenzen, Krisen sowie zeitlich begrenzte<br />

Organisationsformen. 804<br />

Im Rahmen von Lebenszyklusmodellen werden solche Unternehmensentwicklungen<br />

teilweise chronologisch, teilweise thematisch dargestellt. 805 Allerdings stehen bei<br />

diesen Modellen in der Regel die Entwicklungen im Bereich der Produkte, Techno-<br />

logien, Branchen oder allgemeine Wachstumsmodelle zur Diskussion. Weniger<br />

Beachtung finden darin implizite Aspekte wie etwa die Entwicklung der Kultur oder<br />

der Identität.<br />

Zwei Modelle zur organisationalen Identität und zum organisationalen <strong>Wandel</strong> sind<br />

von VAN DE VEN und POOLE sowie REGER ET AL. vorgestellt worden: VAN DE VEN<br />

und POOLE gehen in einem deduktiven Modell zum Identitätswandel von vier ideal-<br />

typischen Arten des <strong>Wandel</strong>s aus, die dem <strong>Wandel</strong> und der Entwicklung in sozialen<br />

Systemen regelmäßig zugrunde liegen (Life-cycle, Evolutionary, teleological,<br />

dialectical). Jeder dieser Idealtypen des <strong>Wandel</strong>s bietet eine unterschiedliche<br />

Erklärung, warum es zum <strong>Wandel</strong> kommt und was ihn antreibt.<br />

Kritisch ist hierzu anzumerken, dass das Modell von einem stark deterministischen<br />

Organisationsverständnis ausgeht. Organisationen sind demnach im wesentlichen<br />

durch äußere Einflüsse bestimmt. Die Rolle der Organisationsmitglieder und Manager<br />

<strong>als</strong> systemkonstituierendes Element wird dagegen vernachlässigt.<br />

Das Modell von REGER ET AL. erinnert an „psychologische“ Modelle und beschreibt<br />

den Effekt wahrgenommener Stressfaktoren auf die Identität einer Organisation. Die<br />

803 Vgl. Wimmer und Nagel, 2000.<br />

804 Vgl. Reger, 1998.<br />

805 Vgl. zu einer zusammenfassenden Darstellung z.B. Pümpin und Prange, 1991.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

wahrgenommenen Stressfaktoren, wirken dabei über deren Interpretation auf Hand-<br />

lungen, die zu einer Änderung der Identität führen.<br />

Wahrgenommener<br />

Stress<br />

Interpretation<br />

1. Einleitung<br />

Handlung<br />

1. Einleitung<br />

Abbildung 100: Modell zum <strong>Wandel</strong> der organisationalen Identität<br />

in Anlehnung an: (Reger et al., 1998, S. 148).<br />

Effekt auf Identität<br />

Hervorzuheben ist hieran, dass im Rahmen des Modells Stress <strong>als</strong> ein subjektives<br />

Phänomen aufgefasst wird und versucht wird über die Interpretationen, die Bedeutung<br />

der Handlungen auf die organisationale Identität zu erfassen. Allerdings erinnert das<br />

Modell an Stressmodelle, wie sie ähnlich auch im Bereich der Individualpsychologie<br />

vorliegen. 806 Die Besonderheiten organisationaler „Stressphänomene“ sowie deren<br />

Dimension werden damit aber nicht berücksichtigt.<br />

Im Folgenden wird daher ein Modellvorschlag entwickelt, der verschiedene zentrale<br />

Anlässe organisationalen <strong>Wandel</strong>s wie z.B. Allianzenbildung, Outsourcing, Kosten-<br />

reduktionsprogramme u.a. umfasst. Diese werden nach systemischen Gesichtspunkten<br />

unterschieden und daraus Implikationen für das Management von identitätsbildenden<br />

<strong>Prozess</strong>en abgeleitet.<br />

Dazu wird - anders <strong>als</strong> dies im Modell von VAN DE VEN und POOLE geschieht - vor<br />

allem die Bedeutung interner Strukturen und <strong>Prozess</strong>e thematisiert. Organisationen<br />

werden <strong>als</strong> Systeme betrachtet, die nicht nur auf den <strong>Wandel</strong> von aussen reagieren,<br />

sondern <strong>als</strong> kontextbezogene Systeme, in denen ihre Organisationsmitglieder und<br />

Manager <strong>als</strong> systemkonstituierende Elemente den <strong>Wandel</strong> selber „erfinden“.<br />

Das Modell enthält grundsätzlich drei Dimensionen, die im Folgenden kurz anhand<br />

von Beispielen erläutert werden:<br />

• <strong>Wandel</strong>anlässe bzw. <strong>Wandel</strong>themen, die zu Bruchstellen der organisationalen<br />

Identität werden können und eine Herausforderung im Rahmen des organisationalen<br />

<strong>Wandel</strong>s darstellen,<br />

806 Vgl. u.a. Davison und J.M., 1988;Margraf, et al., 1989.<br />

385


386<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

• die Systemorientierung, welche die Ausrichtung des Systems auf bestimmte<br />

Systemaufgaben betrifft, 807<br />

• die daraus hervorgehenden Anforderungen an ein Management der sozialen<br />

Systeme. Diese können z.B. darin bestehen, Formen zu finden, um die Zuge-<br />

hörigkeit zu einer Organisation deutlicher erkennbar zu machen (z.B. Rituale).<br />

Wenngleich den einzelnen Ebenen des Modells eine jeweils eigene Orientierung und<br />

damit eine eigene Logik zugrunde liegt, können die <strong>Wandel</strong>anlässe durchaus mehrere<br />

Herausforderungen an das Manamgent stellen. Beispielsweise kann ein Joint Venture<br />

durch spätere Zutritte mit dem Thema Wachstum konfrontiert werden, es können<br />

aber auch Fragen der Systemzugehörigkeit z.B. durch unklar definierte System-<br />

grenzen aufgeworfen werden. D.h., dass die aufgeführten <strong>Wandel</strong>anlässe durchaus<br />

nicht trennscharf zuzuordnen sind.<br />

Beispielhafte<br />

<strong>Wandel</strong>anlässe<br />

Unternehmenszusammenschlüsse,<br />

Outsourcing, Projekte,<br />

Netzwerke, temporäre<br />

Organisationsformen<br />

Organisationsformen<br />

Kooperationen, Allianzen<br />

Akquisitionen, Joint Ventures,<br />

Gründung Gründung und und Umgang Umgang mit mit<br />

neuen neuen Geschäftsfeldern, Geschäftsfeldern, Spin Spin -Offs<br />

Krisen, Umstrukturierungen,<br />

Phasen besonderen Einsatzes<br />

Kosteneinsparungsprogramme,<br />

Kosteneinsparungsprogramme<br />

Kosteneinsparungsprogramme,<br />

Kosteneinsparungsprogramme<br />

Kosteneinsparungsprogramme,<br />

Kosteneinsparungsprogramme<br />

ERP, ERP, Shared Shared Service,<br />

Service,<br />

Faster Faster Time Time to to Market<br />

Market<br />

...betreffen...<br />

Systemorientierung<br />

Unterscheidung Innen Innen--Außen<br />

Innen Innen--Außen -Aussen -Außen -Aussen -Außen -Aussen<br />

(Zugehörigkeitsorientierung)<br />

(Zugehörigkeitsorientierung)<br />

Zeitliche Zeitliche Reihenfolge<br />

Reihenfolge<br />

(interorganisationale (Wachstumsorientierung) Strukturbildung)<br />

Gründung neuer Teil -Systeme<br />

(Fortpflanzungsorientierung)<br />

Einsatz für das Ganze<br />

(Immunkraftbildung)<br />

Systemleistung und -fähigkeiten<br />

(Outputorientierung)<br />

Systemherausforderung<br />

...erfordern... bzgl. Identität<br />

Abbildung 101: Bruchstellen der Identitätsbildung strategischer <strong>Prozess</strong>e<br />

Management der<br />

Systemgrenze<br />

Management Management des<br />

Systemwachstums<br />

Management der<br />

Systemfortpflanzung<br />

Management Management der<br />

Krisenbewältigung<br />

Management<br />

des<br />

Systemoutput<br />

Systemoutputs<br />

Systemoutput<br />

Systemoutputs<br />

Systemoutput<br />

Systemoutputs<br />

Systemoutput<br />

Systemoutputs<br />

Im Folgenden werden die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen <strong>Wandel</strong>an-<br />

lässen, Systemorientierungen und Herausforderungen an das Management<br />

beschrieben:<br />

807 Vgl. zur Systemorientierung und den damit einhergehenden Systemprinzipien Varga von Kibéd und Sparrer,<br />

2000a sowie in dieser Arbeit Kap. 4.2.7. Die Differenzierung verschiedener Systemtypen nach ihrer<br />

jeweiligen Systemorientierung geht auf Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer zurück.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Die in dieser Arbeit behandelten Unternehmenszusammenschlüsse, aber auch Out-<br />

sourcing-<strong>Prozess</strong>e bedeuten aus systemischer Sicht die Hinzunahme oder den Aus-<br />

schluss von Systemteilen und damit eine Veränderung der Systemgrenze. Die Unter-<br />

scheidung systemeigen/systemfremd im Rahmen der Systemgrenzziehung birgt aller-<br />

dings unmittelbare Konsequenzen für die Zugehörigkeit und die Identität der Organi-<br />

sation. Die Zugehörigkeit, die mit dieser Innen-Aussen Unterscheidung definiert wird,<br />

wird damit in Frage gestellt. Ein Management der Systemgrenze muss u.a. darin be-<br />

stehen, dass transparente Ein- und Ausstiegsrituale in die Organisation vollzogen<br />

werden, welche die Systemgrenze und damit die Zugehörigkeit deutlich markieren. 808<br />

Kooperationen, Allianzen, Akquisitionen und Joint Ventures stellen Beispiele der<br />

Strukturbildung zwischen Organisationen dar. Hier besteht ein Abstimmungsbedarf<br />

bzgl. der Positionierung der einzelnen Beteiligten im neu gebildeten System. Die<br />

wechselseitigen Beziehungen haben einen wichtigen Einfluss auf die Identität sowohl<br />

der einzelnen Beteiligten <strong>als</strong> auch des gesamten Systems. Studien zeigen, dass der<br />

Erfolg und das Wachstum solcher Zusammenschlüsse vor allem vom Vertrauen und<br />

dem „relational capital“ abhängen. 809 Systemischer betrachtet scheint vor allem die<br />

Frage der zeitlichen Reihenfolge, wann ein Partner in eine Kooperation getreten ist,<br />

sowie die Anerkennung der längeren Zughörigkeit von besonderer Bedeutung für die<br />

weitere Zusammenarbeit und das weitere Wachstum des Systems zu sein.<br />

Auch für neue Geschäftssegmente, wie das in dieser Studie beschriebene PFC, gilt<br />

dieser Zusammenhang. Die älteren Segmente erfahren durch die Gründung und das<br />

Heranwachsen eines neuen Segments einen Platzverlust. Dies kann u.U. bis zum Ver-<br />

lust von Kunden oder der allmählichen Kannibalisierung des traditionellen Geschäfts<br />

gehen.<br />

Die Herausforderung für das Management der Systemfortpflanzung besteht in diesem<br />

Zusammenhang nicht nur im Hinblick auf die Klärung der Verhältnisse der Beteiligten<br />

zueinander; sondern es sollte vor allem die Anerkennung der alten Segmente durch die<br />

jungen Segmente deutlich werden. Die Wertschätzung bedeutet dann einen Ausgleich<br />

für den Platzverlust im System. Das weitere Wachstum des Systems und die<br />

Kooperation zwischen den Segmenten wird somit gefördert durch die Anerkennung<br />

808 Vgl. zur Bedeutung von Ritualen u.a. Rüegg-Stürm und Lukas, 2001.<br />

809 Vgl. zur Zusammenarbeit in strategischen Allianzen sowie die Bedeutung des wechselseitigen Verhältnisses<br />

der Partner Chung, et al., 2000;Kale, et al., 2000.<br />

387


388<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

und nicht die Abwertung der bestehenden Segmente. Erst diese Wertschätzung<br />

ermöglicht es, auch weiterhin neue Segmente auf Kosten der älteren hinzuzunehmen.<br />

Bevor neue Segmente allerdings <strong>als</strong> gleichberechtigte Systemelemente wahrge-<br />

nommen werden, stellen sie i.d.R. erst einmal strategische Wachstumsinitiativen dar,<br />

die u.U. eher experimentellen Charakter haben. Diese Gründung neuer Teilsysteme<br />

oder Geschäftssegmente beinhaltet eine doppelte Herausforderung: Einerseits<br />

brauchen diese Initiativen häufig ein up-front Investment, das sie nicht aus sich heraus<br />

erwirtschaften können, sondern das aus den Ressourcen der Gesamtorganisation<br />

heraus bereitgestellt werden muss. Andererseits ist es für die Identitätsbildung des<br />

neuen Segments häufig wichtig, sich gegenüber dem alten System in gewisser Weise<br />

abzugrenzen.<br />

Die Managementherausforderung in dieser Phase der Fortpflanzung besteht darin, den<br />

teilweise existentiell wichtigen Bezug zur Gesamtorganisation zu ermöglichen ohne<br />

jedoch die frühe Phase eigener Identitätsbildung des neuen Systems zu verhindern. 810<br />

Eine weitere Bruchstelle in der Entwicklung organisationaler Identität stellen Um-<br />

strukturierung, Krisen und sonstige Phasen besonderen Einsatzes für das Ganze in<br />

einer Organisation dar. Ihre Bedeutung liegt zum einen darin, dass in ihnen die<br />

Identität der Organisation besonders zum Ausdruck kommt und explizit wird.<br />

WHETTEN weist sinngemäß darauf hin, dass man die Identität einer Organisation erst<br />

dann kennt, wenn man sie schreien sieht. 811<br />

Wichtiger im Zusammenhang mit dem Management organisationaler Identität ist<br />

allerdings, dass Krisen charakterbildende Erfahrungen in der Geschichte einer Organi-<br />

sation darstellen. Dabei kommt es weniger auf das Verhalten selbst an, <strong>als</strong> vielmehr<br />

auf die Art und Weise wie Krisen nachträglich interpretiert werden und wie mit den<br />

Ressourcen, die zur Überwindung der Krise beigetragen haben, umgegangen wird.<br />

810 Matthias Varga von Kibéd macht mit einem Beispiel aus dem Familiensystem auf die Nahtstelle zwischen<br />

den beiden Prinzipien aufmerksam: Am Beispiel eines jungen Babys, das Vorrang vor seinen Geschwistern<br />

genießt, solange es noch sehr bedürftig ist, wird deutlich, dass junge Systeme in einer ersten Phase <strong>als</strong><br />

eigenes System gesehen werden und erst in einem nächsten Schritt <strong>als</strong> Teil oder Element eines größeren<br />

Systems. In der Familie findet dieser Übergang statt, wenn sich das jüngste Geschwister in die Reihe der<br />

Geschwister einreiht und keinen Vorrang mehr vor den älteren genießt. Analog ist auch der <strong>Prozess</strong> bei der<br />

Entwicklung neuer strategischer Geschäftsfelder zu sehen. Vgl. zur Balance von Unabhängigkeit und<br />

Bezogenheit neuer Geschäftsbereiche Day, et al., 2001.<br />

811 Vgl. Reger, 1998.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Organisationen, die in diesem Sinne achtbar mit dem besonderen Einsatz zur Über-<br />

windung solcher Krisen umgegangen sind, sind in der Regel stärker, wenn sie erneut<br />

Krisen bewältigen müssen. Ein Management der Krisenbewältigung sollte daher vor<br />

allem mit dem besonderen Einsatz wertschätzend umgehen.<br />

Eine letzte Form organisationaler Bruchstellen sind Anstrengungen in Form<br />

besonderer Leistungen sowie das zur Verfügung stellen besonderer Fähigkeiten<br />

beispielsweise im Bereich der internen Wertschöpfung. Allerdings implizieren solche<br />

Anstrengungen, zur Ergebnisverbesserung, wie z.B. Kosteneinsparungsprogramme<br />

sowie Anstrengungen, Synergieeffekte zu nutzen, den Gewinn oder die Rentabilität zu<br />

erhöhen, häufig auch größere Veränderungen der Organisationsstruktur und damit der<br />

organisationalen Identität. Beispiele sind die auch in dieser Arbeit wiederholt genann-<br />

ten ERP, Shared Service Programme aber auch Programme wie „faster time to<br />

market“. 812<br />

Da Unternehmen i.d.R. nicht nur auf den puren Weiterbestand, sondern auf<br />

zunehmend effektivere Leistungserbringung und Fähigkeitsentwicklung angewiesen<br />

sind, ist die Outputorientierung von enormer Bedeutung. Ein Management der System-<br />

leistung und -fähigkeiten muss die Erbringung von Leistungen und die Entwicklung<br />

von Fähigkeiten z.B. durch entsprechende Strukturen und Anreize daher aktiv unter-<br />

stützen.<br />

Betrachtet man nun diese fünf idealtypischen Bruchstellen organisationalen <strong>Wandel</strong>s,<br />

so kann man feststellen, dass in der Praxis häufig eine Verwechslung der verschie-<br />

denen Ebenen stattfindet. So werden z.B. Fragen der Zugehörigkeit vermischt mit<br />

Fragen der Leistungsfähigkeit einer Organisation. Das beschriebene ERP-Projekt stellt<br />

in diesem Sinne ein positives Beispiel dar, indem hier der Etablierung der System-<br />

grenzen im Anschluss an die beiden Merger Vorrang und Zeit gegeben wurde, bevor<br />

man sich Fragen der Steigerung der Leistungsfähigkeit zuwandte. Somit wurden<br />

Konflikte hinsichtlich der Zugehörigkeit nicht auf dem Feld der Geschäftsprozess-<br />

modellierung und -optimierung ausgetragen.<br />

Leider wurde diese intelligente Vorgehensweise nicht mehr bei dem Nachfolgeprojekt<br />

(Shared Service) angewandt. Hier waren die Zutaten bereit für eine ordentliche Ver-<br />

mengung von Fragen sozialer und technischer Logik. D.h. obwohl das Projekt faktisch<br />

812 Vgl. zur Untersuchung eines „faster time to market“ Programms Rüegg-Stürm, 2002.<br />

389


390<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

auf einen teilweisen Zusammenschluss von zwei Firmen hinauslief und sich somit<br />

Fragen der Zugehörigkeit stellten, wurde ausschließlich die Systemleistung<br />

thematisiert. Nötig wären hier evtl. andere – nicht zeitbezogene – Formen der Unter-<br />

scheidung der verschiedenen <strong>Wandel</strong>themen bzw. –ebenen, um verschobene Konflikte<br />

und das Ausagieren von Zugehörigkeitsfragen in Diskussionen, in denen es eigentlich<br />

um Systemspezifikationen geht, zu vermeiden.<br />

Auch das hier vorgestellte Bruchstellenkonzept steht unter dem Primat konstruk-<br />

tivistischer Erkenntnisgewinnung, d.h. die Bruchstellen sind keineswegs objektiv<br />

gegeben, sondern werden von den Beteiligten konstruiert. Allerdings liefert das<br />

Modell mit den ihm zugrundeliegenden Systemprinzipien eine Systematisierung der<br />

Herausforderungen, die bei der Gestaltung solcher <strong>Wandel</strong>prozesse auftreten können.<br />

Managementhandeln <strong>als</strong> systemische Intervention verstanden sollte sich daher an den<br />

Systemprinzipien orientieren, weil sie die Anschlussfähigkeit im Sinne einer zeitlichen<br />

oder historischen Fortsetzung garantieren. Die Beachtung der Systemprinzipien erhöht<br />

gewissermaßen die Wahrscheinlichkeit, daß die Interventionen oder Veränderungs-<br />

initiativen von der Organisation <strong>als</strong> mit den bisherigen Routinen vereinbar wahrge-<br />

nommen wird und nicht wie ein fremdes Organ abgestoßen wird.<br />

Entscheidend wird somit die Frage, inwieweit die Handlungen im Rahmen des organi-<br />

sationalen <strong>Wandel</strong>s <strong>als</strong> anschlussfähige Handlungen eingestuft werden und damit an<br />

den bisherigen Handlungsstrom anknüpfen oder nicht. Damit stellt sich eine zentrale<br />

Frage für das Management des <strong>Wandel</strong>s: Wie kann an den beschriebenen Bruchstellen<br />

der Anschluss neuer strategischer Inhalte an die bestehenden Identitätsstrukturen<br />

gewährleistet werden? Wie kann <strong>als</strong>o die Zukunft mit Vergangenheit verbunden wer-<br />

den?<br />

8.3 Zurück in die Zukunft oder retrospektive Identitätsbildung –<br />

praktische Implikationen <strong>identitätsbildender</strong> <strong>Prozess</strong>e<br />

Im folgenden Kapitel werden Gestaltungsmöglichkeiten für ein Management organi-<br />

sationaler Identitätsbruchstellen aufgezeigt. Diese Gestaltungsmöglichkeiten stellen<br />

praktische Implikationen der bisher untersuchten <strong>Wandel</strong>prozesse dar und lehnen sich<br />

insbesondere an lösungsorientierte Interventionsansätze und Überlegungen an. Sie


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

können <strong>als</strong> Metafähigkeiten verstanden werden, die in sehr konkreten Mikropraktiken<br />

zum Ausdruck kommen. 813<br />

8.3 Praktische Implikationen<br />

Identitätsbildender <strong>Prozess</strong>e<br />

8.1 Vom <strong>Wandel</strong> der Organisation<br />

zur Organisation des <strong>Wandel</strong>s<br />

8.2 Bruchstellen des<br />

organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />

8.5 Fazit: Identität und<br />

Post-Merger-Integration<br />

Abbildung 102: Übersicht über Kapitel 8<br />

8.4 Theoretische Implikationen<br />

Identitätsbildender <strong>Prozess</strong>e<br />

Den nun geschilderten Gestaltungsmöglichkeiten liegt eine prozessuale Auffassung<br />

organisationaler Identität zugrunde, die eng verbunden ist mit der Vorstellung der<br />

path-dependency und des kontinuierlichen Erlebensstroms organisationalen Handelns.<br />

Diese Vorstellung kam bereits im Rahmen des fünfphasigen <strong>Prozess</strong>modells und auch<br />

des Bruchstellenmodells zum Ausdruck. 814 An dieser Stelle sollen nicht die einzelnen<br />

Phasen des <strong>Prozess</strong>modells (Ausgangspunkt, Ziel, <strong>Prozess</strong> der Einbeziehung, Unter-<br />

schiede, Reflexion) wiederholt werden. Vielmehr sollen aus dem Modell heraus<br />

Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie auftauchende Bruchstellen des organisationalen<br />

<strong>Wandel</strong>s so gestaltet werden können, dass die neue Identität anschließen kann an die<br />

bestehenden Wirklichkeitsmodelle der Organisation.<br />

Die Fähigkeit, neue Situationen und Ereignisse in die bestehende Identität zu integrie-<br />

ren, hängt vor allem von der „Erfindung“ sinnvoller Verknüpfungen ab. Sinn- und<br />

Identitätsbildung in Phasen organisationalen <strong>Wandel</strong>s kann verstanden werden <strong>als</strong> die<br />

813 Vgl. u.a. de Shazer, 1994;de Shazer, 1995;Jackson und McKergow, 2002.<br />

814 Vgl. Kap. 7.2. und 8.2.<br />

391


392<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

nachträgliche plausible Re-Konstruktion der Organisationsgenese. Die <strong>Wandel</strong>-<br />

prozesse werden dabei durch Geschichten, die zur gewählten Form der Gestaltung<br />

geführt haben, von ihrer Mehrdeutigkeit befreit. Die Herausforderung für das<br />

Management besteht deshalb darin, Sinn zu stiften, d.h. die Sinngebung und<br />

Identitätsgebung der Organisation zu unterstützen. 815<br />

WEICK vergleicht diese Sinngebung in Organisationen mit einer Karriereplanung, bei<br />

der die gewöhnlichen Handlungsfolgen i.d.R. nicht karrieregeplant sind, sondern erst<br />

im nachhinein karriereinterpretiert werden. 816<br />

GARFINKEL formuliert diesen Zusammenhang wie folgt:<br />

„Anstelle der Ansicht, dass Entscheidungen so getroffen werden, wie es die Umstände<br />

erfordern, muss eine alternative Formulierung in Betracht gezogen werden. Sie<br />

besteht in der Möglichkeit, dass die Person die getroffenen Entscheidungen erst im<br />

nachhinein definiert. Das Ergebnis kommt vor der Entscheidung... . Die Ent-<br />

scheidungsregeln im Alltagsleben... könnten sich in viel stärkerem Maß mit dem<br />

Problem beschäftigen, den Ergebnissen ihre legitime Geschichte zuzuschreiben, <strong>als</strong><br />

mit dem Problem, vor dem tatsächlichen Anlass zur Wahl zu entscheiden, unter<br />

welchen Bedingungen einer von mehreren möglichen Handlungsabläufen gewählt<br />

werden wird.“ 817<br />

Eine Reihe von Experimenten zeigt, dass die Sinngebung je nach der zeitlichen Ver-<br />

ortung eines Ereignisses durch eine prospektive oder retrospektive Vorgehensweise<br />

deutlich variiert. So ergeben sich beispielsweise deutliche Unterschiede bei der Auf-<br />

gabe „Auf der Straße Nr. 89 ist ein Unfall passiert. Beschreiben Sie ihn!“ und „auf der<br />

Straße Nr. 89 wird ein Unfall passieren. Beschreiben Sie ihn!“ 818<br />

Solche und ähnliche Experimente ergaben deutliche Unterschiede in der Bestimmtheit<br />

im Detail, der Ausführlichkeit der Schilderung, der Vielfältigkeit und dem phantas-<br />

tischen Denken. WEICK schließt hieraus, dass die retrospektive Sinngebung offen-<br />

815 Vgl. Weick, 1985a. Gioia und Chittipetti sprechen in einem ähnlichen Sinne von Sensemaking und<br />

Sensegiving. Allerdings liegt ihrem Konzept ein deutlich entitatives Kommunikationsverständnis zugrunde<br />

Gioia und Chittipeddi, 1991.<br />

816 Vgl. Weick, 1976a.<br />

817 Vgl. Garfinkel, 1967 deutsch zitiert nach Weick, 1985a.<br />

818 Vgl. Weick, 1985a.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

sichtlich wesentlich leichter fällt, <strong>als</strong> die prospektive. Die vollzogene Verortung in der<br />

abgeschlossenen Zukunft (zweites Futur) führt demnach zu einer leichteren Sinn-<br />

findung.<br />

Bei der retrospektiven Vorgehensweise ist das Ereignis festgelegt und man arbeitet<br />

sich von dort aus weiter zurück, um die Entstehung eines Ereignisses zu beschreiben.<br />

„Das zukünftige Ereignis ist besser zu verstehen, weil Sie sich wenigstens eine voran-<br />

gehende Reihe von Mitteln zu seiner Hervorbringung vor Augen stellen können. Die<br />

Bedeutung jenes Ziels ist diese Reihe von Mitteln zu seiner Hervorbringung.“ 819<br />

Neben dieser verbesserten Vorstellung und der leichteren Sinngebung erhöht die<br />

Formulierung im zweiten Futur auch die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Um-<br />

setzung: Schritte, die in der Vergangenheit schon einmal erfolgreich ausgeführt<br />

wurden, können in die Gegenwart sozusagen importiert werden.<br />

Fähigkeiten, in der Zukunft zu denken und diese differenziert zu gestalten, sind aller-<br />

dings für Manager allgemein und insbesondere für die Bewältigung von strategischem<br />

<strong>Wandel</strong> von außerordentlicher Bedeutung. 820<br />

Hinweise zur praktischen Form der Umsetzung bieten vor allem lösungsorientierte<br />

Ansätze, wie sie von DE SHAZER und KIM BERG entwickelt und zunehmend mehr im<br />

Kontext der Organisationsberatung eingesetzt werden. 821 Auch die von SPARRER und<br />

VARGA VON KIBÉD entwickelten Strukturaufstellungen ermöglichen die retrospektive<br />

Bearbeitung zukünftiger Ziele und Szenarien. 822 Es handelt bei beiden Vorgehens-<br />

weisen um Interventionen, die gewissermaßen eine Pseudoprojektion in die Zukunft,<br />

ein „Beamen“ in den zukünftigen Zustand, unterstützen. So können die wesentlichen<br />

Stationen des Phasenmodells, wie der Ausgangs- und der zukünftige Zustand, sowie<br />

relevante Unterschiede zwischen dem Ausgangszustand und dem Zielzustand bear-<br />

beitet und der Reflexion zugänglich gemacht werden.<br />

819 Vgl. ebenda.<br />

820 Vgl. Ascher, 1978. Dem Thema ist mit dem „Journal of Forecasting“ mittlerweile auch eine eigene<br />

wissenschaftliche Zeitschrift gewidmet.<br />

821 Vgl. de Shazer, 1994;de Shazer, 1995;Jackson und McKergow, 2002. Vgl. Auch die Literatur zum Thema<br />

Appreciative Inquiry.<br />

822 Vgl. Sparrer, 2001;Varga von Kibéd und Sparrer, 2000a.<br />

393


394<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Wie kann nunmehr die Architektur strategischer <strong>Wandel</strong>prozesse aussehen, die diesem<br />

retrospektiven Denken dem zweiten Futur entsprechen?<br />

Lösungsorientierte Ansätze gehen von einem Ausgangszustand aus, der i.d.R. von<br />

einem Problem geprägt ist. Die Grundlage des <strong>Prozess</strong>es bildet eine kurze Be-<br />

schreibung der Ausgangssituation – keine umfangreiche Analyse der Problemur-<br />

sachen. Aufbauend auf dieser Beschreibung kann durch verschiedene Möglichkeiten<br />

der angestrebte Zustand, das Ziel im Modus des Futur zwei, differenziert dargestellt<br />

werden. Fragen zur Identifizierung des angestrebten Zustands im Futur zwei lauten<br />

z.B. „Angenommen, das Problem ist gelöst, was wäre dann anders?“ oder „Ange-<br />

nommen, das Ziel ist erreicht, was wäre dann anders?“<br />

A B<br />

Der Ausgangspunkt A<br />

Der erwarteteZustand B<br />

z.B. Wann war in der<br />

z.B. Angenommen, dass B<br />

Vergangenheit schon<br />

erreicht ist ... (Wunderfrage)<br />

einmal etwas von B<br />

erreicht? (Ausnahme)<br />

relevante Unterschiede<br />

z.B. Wenn A nun 0 wäre und B gleich 10,<br />

was wäre bereits eine deutliche Veränderung?<br />

Was wäre dann anders?<br />

(Skalierung relevanter Unterschiede)<br />

Abbildung 103: Möglichkeiten der retrospektiven <strong>Wandel</strong>arbeit<br />

Um im <strong>Prozess</strong> den zukünftigen Zustand zu erreichen, existieren oftm<strong>als</strong> bereits über-<br />

sehene Ressourcen, Fähigkeiten, Wissen u.a., die bei der Erreichung des erwarteten<br />

Zustands behilflich sein können. Die Identifizierung der Ressourcen kann unterstützt<br />

werden durch Fragen wie „Wann war in der Vergangenheit schon einmal etwas von<br />

dem Ziel erreicht bzw. das Problem gelöst?“


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Häufig sind Probleme in der Vergangenheit zwar noch nicht gänzlich gelöst, aber<br />

Teilerfolge bereits erzielt worden. Diese können dann beispielsweise auf einer Skala<br />

von 0 bis 10 skaliert werden: „Angenommen, 10 steht für den erwünschten Zustand<br />

und 0 für den Zustand <strong>als</strong> das Problem am schlimmsten war. Wo stehen Sie jetzt?“<br />

oder „Auf welchem Punkt in der Skala wäre eine spürbare Verbesserung erreicht? Was<br />

ist da anders?“. Damit werden relevante Unterschiede ermittelt bzw. die Aufmerks-<br />

amkeit auf diese Unterschiede gelenkt. Im strukturationstheoretischen Sinne bieten<br />

sich dadurch Möglichkeiten, nicht erkannte Handlungsvoraussetzungen und nicht<br />

intendierte Handlungskonsequenzen transparent zu machen.<br />

Im Rahmen der hier diskutierten identitätsbildenden <strong>Prozess</strong>e unterstützen diese und<br />

ähnliche Ansätze aus dem Bereich der systemischen Beratung die Verortung im<br />

zukünftigen Bild der Organisation. Es wird ein Schritt in die Zukunft vollzogen und<br />

aus retrospektiver Sicht eine differenziertere und klarere Vorstellung von der zukünf-<br />

tigen Situation entwickelt. Ein Sensemaking seitens der Führung im strategischen<br />

<strong>Wandel</strong> sollte sich daher stärker auf „Futur-zwei-Logiken“ stützen, wie sie lösungs-<br />

orientierte Ansätze und ansatzweise auch die Change Impact Analysis beinhalten.<br />

Ein solcher lösungs- und ressourcenorientierter Dialog mit den Veränderungsstake-<br />

holdern kann zur Dekonstruktion der taken-for-granted assumptions und anschließend<br />

zur Rekonstruktion der Organisation anlässlich strategischer Projekte führen. Ein<br />

<strong>Wandel</strong> der organisationalen Identität muss dann allerdings mit konkreten Handlungen<br />

von strategischer Bedeutung verbunden sein.<br />

Dem theoretischen Zusammenhang zwischen Handlung, Struktur und Identität widmet<br />

sich das folgende Kapitel.<br />

8.4 Handlung, Struktur und Identität – theoretische Implikationen<br />

<strong>identitätsbildender</strong> <strong>Prozess</strong>e<br />

In diesem Kapitel werden die theoretischen Implikationen der Beobachtungen und<br />

Interpretationen zu identitätsbildenden <strong>Prozess</strong>en in Form eines Modells zusammen-<br />

geführt. Die Ergebnisse werden dabei in Bezug gesetzt zu zwei angrenzenden<br />

Modellen mit deutlich ungleichem theoretischen Hintergrund.<br />

Die vorliegende Arbeit zum organisationalen <strong>Wandel</strong> basiert mit der system-<br />

theoretischen und der strukturationstheoretischen Positionierung auf sich teilweise<br />

395


396<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

überschneidenden, teilweise aber auch unterschiedlichen theoretischen Konzepten. 823<br />

Für den Themenbereich der <strong>Wandel</strong>phänomene gilt, dass diese aus system-<br />

theoretischer Sicht vor allem mit Hilfe von Mehrebenenmodellen erklärt werden, wie<br />

sie z.B. BATESON und ARGYRIS/SCHÖN beschreiben. Dagegen wird aus Sicht der<br />

Strukturationstheorie in diesem Zusammenhang besonders die Dualität von Handlung<br />

und Struktur diskutiert. 824<br />

8.3 Praktische Implikationen<br />

Identitätsbildender <strong>Prozess</strong>e<br />

8.1 Vom <strong>Wandel</strong> der Organisation<br />

zur Organisation des <strong>Wandel</strong>s<br />

8.2 Bruchstellen des<br />

organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />

8.4 8.4 Theoretische Praktische Implikationen<br />

Implikationen<br />

Identitätsbildender Identitätsbildender <strong>Prozess</strong>e<br />

<strong>Prozess</strong>e<br />

8.5 Fazit: Identität und<br />

Post-Merger-Integration<br />

Abbildung 104: Überblick über Kapitel 8<br />

Gemeinsam ist beiden Ansätzen, dass die Herausforderungen in der Bewältigung<br />

organisationalen <strong>Wandel</strong>s vor allem im <strong>Wandel</strong> von Strukturen, von Mustern oder<br />

Routinen gesehen werden. HANDY betont die Notwendigkeit des Bestehens der<br />

Strukturen, aber gleichzeitig auch deren <strong>Wandel</strong>. Eine Paradoxie im Umgang mit<br />

solchen Mustern ergibt sich nach seiner Meinung daraus, dass sie häufig Erfolgs-<br />

rezepte der Vergangenheit darstellen und damit bereits den Keim für das Scheitern in<br />

der Zukunft beinhalten. 825<br />

Wie können nun spezifische <strong>Wandel</strong>modelle zur Veränderung solcher Strukturen und<br />

im Speziellen der Identitätsstrukturen aussehen? REGER ET AL. unterscheiden in ihrem<br />

Mehrebenenmodell drei verschiedene <strong>Wandel</strong>ebenen. Auf der ersten Ebene geht es um<br />

den <strong>Wandel</strong> von Handlungen, auf der zweiten Ebene um den <strong>Wandel</strong> der Theorie der<br />

823 Für eine ausführliche Differenzierung der beiden Ansätze siehe vor allem Reckwitz, 1997a; Reckwitz, 1997b.<br />

824 Vgl. Kap. 5.1.5 und Kap. 4.1.<br />

825 Vgl. Handy, 1998.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Handlungen und schließlich auf der dritten Ebene um den <strong>Wandel</strong> der Identität der<br />

Organisation. 826<br />

Dies entspricht dem Modell von BATESON, welches menschliches Lernen nach ver-<br />

schiedenen logischen Typen klassifiziert. Die hierarchische Art, wie die Beziehung der<br />

verschiedenen Ebenen zueinander in der Regel formuliert werden, nämlich dass die<br />

höhere Ebene die Informationen der darunter liegenden Ebenen organisiert, ist von<br />

Bateson selbst skeptisch gesehen worden: „Das in diesem Aufsatz diskutierte Modell<br />

geht stillschweigend davon aus, dass die logischen Typen in Form einer einfachen,<br />

unverzweigten Stufenleiter angeordnet werden können ... Aber die Welt des Handelns,<br />

der Erfahrung, der Organisation und des Lernens lässt sich nicht vollständig auf ein<br />

Modell abbilden, das Aussagen über die Relation zwischen Mengen von verschiedenen<br />

logischen Typen ausschließt.“ 827 Nach BATESON wird die „niedrigere“ Ebene nicht<br />

durch die „höhere“ Ebene determiniert, sondern es besteht eine wechselseitige Be-<br />

ziehung: „Bei der Erklärung des Modells für den Leser musste in einer Richtung vor-<br />

gegangen werden, innerhalb des Modells wird jedoch angenommen, dass die höheren<br />

Ebenen die niedrigeren erklären und vice versa.“ 828<br />

Das Verhältnis zwischen den Ebenen des <strong>Wandel</strong>s der Handlungen und der Theorie<br />

der Handlungen ist damit systemisch wie auch strukturationstheoretisch <strong>als</strong> rekursiv zu<br />

beschreiben. Mit der Einführung der Identität <strong>als</strong> einer wesentlichen Einflussgröße im<br />

<strong>Prozess</strong> des <strong>Wandel</strong>s ergibt sich allerdings eine neue rekursive Beziehung, wie sie im<br />

Prinzip bereits zwischen der Handlung und der Theorie der Handlung besteht, aller-<br />

dings auf einer nächsthöheren Ebene.<br />

Entgegen des bisweilen angenommenen hierarchischen Verhältnisses zwischen jeweils<br />

über- und untergeordneten Ebenen soll bei dem im Folgenden gezeigten Modell die<br />

Gleichrangigkeit und das rekursive Verhältnis zwischen Handlung, Struktur und<br />

Identität im Sinne von Giddens stärker zum Ausdruck kommen. Demnach zeigt sich in<br />

einer neuen Handlung eine neue Struktur und eine neue Identität. Umgekehrt er-<br />

möglicht aber auch eine neue Identität neue Theorien der Handlung und neue<br />

Handlungen.<br />

826 Vgl. Reger, et al., 1998.<br />

827 Vgl. Bateson, 1981.<br />

828 Vgl. ebenda.<br />

397


398<br />

First Order:<br />

Change in<br />

Action<br />

Second Order:<br />

Change in Theory<br />

of Action (Strategy)<br />

Third Order:<br />

Change in Theory<br />

of Being (Identity)<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Change in Theory<br />

of Being (Identity)<br />

Change in<br />

Action Change in Theory<br />

of Action (Strategy)<br />

Abbildung 105: Handlung, Struktur und Identität aus system- und strukturationstheoretischer Sicht 829<br />

Diese Modellierung <strong>identitätsbildender</strong> <strong>Prozess</strong>e bringt die Rekursivität von Handlung,<br />

Struktur und Identität deutlicher zum Ausdruck und verzichtet auf die möglicherweise<br />

missverständliche Mehrebenenbetrachtung. Damit verbieten sich allerdings auch<br />

linear-kausale Beschreibungen oder gar Erklärungen, wie sie zu dem Zusammen-<br />

wirken von Strategie und Struktur etwa von CHANDLER („structure follows strategy“)<br />

gemacht worden sind. 830<br />

Die Enthierarchisierung bedeutet allerdings nicht, dass die drei Aspekte im gleichen<br />

Maße dem Management des organisationalen <strong>Wandel</strong>s zugängig sind. Die hier<br />

beschriebenen empirischen Ergebnisse, wie auch weite Teile der Literatur, weisen<br />

deutlich auf die besonderen Schwierigkeiten der Veränderung organisationaler<br />

Strukturen und Identitäten hin 831 .<br />

Allerdings führen diese Überlegungen wie auch vor allem die abnehmende Planbarkeit<br />

strategischer Veränderungen zu einer stärkeren Verschmelzung von strategischem<br />

Management und Organisationstheorie. Die in der Strategieliteratur zunehmend mehr<br />

diskutierte Konvergenzthese von Strategie- und Organisationsforschung führt dazu,<br />

dass mehr und mehr routinisierte soziale Praktiken im Zentrum des strategischen<br />

Interesses stehen. Nur über solche Strukturen können die Herausforderungen, die laut<br />

SCHREYÖGG heute im Zentrum des strategischen Managements stehen, nämlich die<br />

829 Zum Ebenenmodell der Identitätsbildung vgl. Reger, et al., 1998.<br />

830 Vgl. Chandler, 1962.<br />

831 Vgl. z.B. Beer, et al., 1990; Rüegg-Stürm, 2000.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Auseinandersetzung mit der (Un-)Planbarkeit von Unternehmen und die Suche nach<br />

alternativen strategischen Steuerungsmodellen, gelöst werden. 832<br />

Die Frage lautet <strong>als</strong>o, was steuert die Steuerungsgrößen oder weniger hierarchisch<br />

gefragt: Welche Faktoren stehen im rekursiven Verhältnis und prägen die theories of<br />

action? Die organisationale Identität scheint ein heißer Anwärter auf eine maßgebliche<br />

Rolle zu sein, ist sie doch nach den hier untersuchten <strong>Wandel</strong>prozessen ein hochgradig<br />

selbstreferentieller Strukturfaktor bei der Bewältigung des strategischen <strong>Wandel</strong>s. Eine<br />

wandelfähige Organisation, sollte daher neben ihren Formalprozessen eben solche<br />

impliziten Strukturen bereitstellen, welche die emergenten <strong>Prozess</strong>e in einer<br />

Organisation und ihren strategischen <strong>Wandel</strong> unterstützen. 833<br />

8.5 Fazit: Identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e in Post-Merger-Phasen<br />

8.3 Praktische Implikationen<br />

Identitätsbildender <strong>Prozess</strong>e<br />

8.1 Vom <strong>Wandel</strong> der Organisation<br />

zur Organisation des <strong>Wandel</strong>s<br />

8.2 Bruchstellen des<br />

organisationalen <strong>Wandel</strong>s<br />

8.4 Theoretische Implikationen<br />

Identitätsbildender <strong>Prozess</strong>e<br />

8.5 Fazit: Identität und<br />

Post-Merger-Integration<br />

Abbildung 106: Übersicht über Kapitel 8<br />

REGER resümiert den Stand der Forschung zur organisationalen Identität im Strategie-<br />

diskurs:<br />

832 Vgl. Schreyögg, 1999b.<br />

833 Vgl. Schreyögg, 1998; Schreyögg, 1999b.<br />

399


400<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

“There are opportunities for dissertation research that address the limits of managerial<br />

discretion in shaping identity at founding, during crisis and other change events, and in<br />

“normal“ times. Research that focuses on process of identity management and change is<br />

especially needed. This work is probably best done using intensive case studies and<br />

participant observation methods from anthropology. Work is <strong>als</strong>o needed that develops<br />

underlying theoretical rationales for typologies of situations and the characteristics of<br />

identities, that provide advantages or disadvantages in these situations. Here is area where<br />

large-scale, cross-organizational research might be most useful. 834<br />

Die vorliegende Arbeit versteht sich in diesem Sinne <strong>als</strong> Beitrag zur qualitativen Er-<br />

forschung strategischen <strong>Wandel</strong>s und organisationaler Identität an einer der schwie-<br />

rigsten und herausforderndsten organisationalen Bruchstellen. Das konstruktivistisch<br />

orientierte <strong>Prozess</strong>modell organisationaler Identität bildet dabei einen Orientierungs-<br />

rahmen, der beitragen kann, die Komplexität solcher <strong>Prozess</strong>e zu reduzieren sowie<br />

Ansatzpunkte zum systemischen Umgang mit der Rekursivität organisationaler Pro-<br />

zesse zu identifizieren.<br />

Vier Herausforderungen bleiben <strong>als</strong> Fazit der empirischen und theoretischen Betrach-<br />

tung bzgl. der identitätsbildenden Wirkung von strategischen <strong>Wandel</strong>prozessen in<br />

Post-Merger-Phasen:<br />

Erstens enthalten Post-Merger-Phasen unvermeidlich eine Menge an Paradoxien,<br />

Widersprüche und Dilemmata für die beteiligten Organisationen. Der gute Wille,<br />

bestimmte Herausforderungen einerseits ökonomisch besonders sinnvoll zu gestalten,<br />

stellt die Beteiligten auf der anderen Seite häufig vor unlösbare Widersprüche und<br />

Brüche mit bisherigen Routinen und <strong>Prozess</strong>en. Dies führt häufig zur resignierenden<br />

Feststellungen nach dem Motto: „Das ist nicht mehr meine Firma.“ 835<br />

Die darin zum Ausdruck kommende organisationale Heimatlosigkeit wird arbeits- und<br />

individualpsychologisch bisweilen <strong>als</strong> innere Kündigung interpretiert. Auf der organi-<br />

sationalen Ebene scheint es so, dass es den Organisationsmitgliedern bisweilen schwer<br />

fällt, sich in den neuen Identitätsstrukturen einer gemeinsamen Organisation zu veror-<br />

ten.<br />

Zweitens sind Post-Merger-Phasen stets von einer Reihe von strategischen Projekten,<br />

Integrationsbemühungen etc. geprägt. Diese führen unweigerlich zur Veränderung<br />

organisationaler Strukturen. Hier bestehen, nicht zuletzt aufgrund der vielen Berichte<br />

834 Vgl. Reger, 1998.<br />

835 Vgl. Interview I68, I14.


Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

über Fusionen und häufig auch schon fusionserfahrenen Mitarbeitern, mittlerweile eine<br />

Menge kritischer Erwartungen und Unsicherheiten. Der erhöhte Kommunikations-<br />

bedarf seitens der Mitarbeiter trifft dabei häufig auf ein Management, das angesichts<br />

der hohen Komplexität und Dynamik solcher <strong>Prozess</strong>e diesem Bedürfnis zeitlich und<br />

beziehungsmäßig kaum nachkommen kann.<br />

Allerdings stellen die strategischen Projekte Strukturierungsprozesse dar, in denen die<br />

neuen integrierten Strukturen verfertigt werden. Hier existiert nicht nur die Möglich-<br />

keit, sondern besteht geradezu die Notwendigkeit zur aktiven Einbeziehung von<br />

Know-how Trägern. Somit ergibt sich die Chance, für die Beteiligten, aus dem<br />

<strong>Wandel</strong>prozess heraus prozessualle Sicherheit, Vertrauen und eine Vorstellung von der<br />

zukünftigen Identität der Organisation zu entwickeln.<br />

Drittens sind diese <strong>Prozess</strong>e stets durch zwei Dimensionen des Handelns und damit<br />

auch zwei verschiedene Logiken geprägt: Die inhaltlich-analytischen Aspekte wie z.B.<br />

die informationstechnischen, betriebswirtschaftlichen oder planerischen<br />

Anforderungen und die sozial-kommunikativen Anforderungen. Die inhaltlichen<br />

Anforderungen sind dabei i.d.R. aufgrund des umfangreichen Expertenwissens und<br />

Fähigkeiten der Beteiligten selten erfolgskritisch. Dagegen kommt es im Bereich der<br />

<strong>Prozess</strong>- und Beziehungsgestaltung, nicht zuletzt aufgrund der enormen Fokussierung<br />

aller Systembeteiligten auf die inhaltllichen Fragen, häufig zu Formen des kollektiven<br />

Ausblendens. Ausdruck dessen sind häufig Stellvertreterkriege auf den Schauplätzen<br />

angeblich sachlicher Auseinandersetzungen. Der Primat des Handelns und der Vorrang<br />

des Tagesgeschäfts verhindert dann die notwendige Vergesellschaftung von tiefer<br />

liegenden Sinnstrukturen und den Aufbau eines allseits geteilten und verbindenden<br />

neuen Orientierungswissens.<br />

Hier setzt viertens die eigentliche Führungsaufgabe an, nämlich die Gestaltung der<br />

<strong>Wandel</strong>prozesse im Sinne einer angemessenen Kommunikations- und Beziehungs-<br />

architektur, welche die Akzeptanz und Anschlussfähigkeit der neuen organisationalen<br />

Identität ermöglicht. Dass dabei u.U. ein langsameres Tempo und ein vorsichtiger<br />

<strong>Prozess</strong> gewählt werden muss, macht folgendes Zitat eines interviewten Managers<br />

deutlich:<br />

„Eine Organisation verträgt eine gewisse Portion Änderung pro Zeiteinheit. Eine Organisation<br />

ist eine Verdauungsmaschine. Wenn man zuviel hineinstopft dann kommt es unten genau<br />

so wieder heraus. Zur Umsetzung muss es verdaut werden. Das Gefühl dafür wie viel man der<br />

401


402<br />

Grundsteine organisationaler Theoriegebäude<br />

Organisation zumuten kann, haben nur wenige Manager. Es kommt in diesem Zusammenhang<br />

auch auf die „Garheit“ des Essens an. Ein eigenes Thema dabei ist Rohkost“. 836<br />

Die Metapher macht deutlich, dass der Fokus des <strong>Wandel</strong>managements nicht auf dem<br />

<strong>Wandel</strong> der Organisation, sondern auf der Organisation des <strong>Wandel</strong>s liegen sollte. Da<br />

die strategischen Projekte <strong>als</strong> identitätsbildende Lernarenen das neue Selbstverständnis<br />

der Organisation maßgeblich beeinflussen und umgekehrt, ist die angemessene, d.h.<br />

anschlussfähige Organisation der <strong>Wandel</strong>prozesse erfolgsentscheidend. Zur Ver-<br />

meidung von strategischem Durchfall und organisationalen Verdauungsstörungen<br />

müssen <strong>Wandel</strong>prozesse die systemische Rekonstruktion der eigenen Identität und den<br />

Aufbau neuer, sozial konstruierter Erwartungen ermöglichen. Diese Selbstbe-<br />

schreibung des Systems kann dann zum der Kern der eigenen organisationalen<br />

Identität werden.<br />

In diesem Sinne macht bereits RÜEGG-STÜRM darauf aufmerksam, „dass der Erfolg<br />

einer Fusion vor allem vom Zugang der neu entstehenden Organisation zu sich selber<br />

abhängt. Je rascher es gelingt, tragfähige Beziehungs- und Kommunikationsprozesse<br />

für eine faire, offene und nachvollziehbare Erschließung unausgeschöpfter Verbesser-<br />

ungspotentiale, aber auch für die Aufarbeitung von Friktionen und Widersprüchen zu<br />

entwickeln, um so eher werden die Menschen dazu motiviert sein, auf der Basis von<br />

Vertrauen und freiwilliger Loyalität nicht nur Erfolgsmeldungen publik zu machen,<br />

sondern auch schwierige Herausforderungen aufzugreifen.“ 837<br />

Um diesen <strong>Prozess</strong> erfolgreich zu gestalten, bedarf es der Etablierung einer neuen<br />

gemeinsamen Systemgrenze und einer damit verbundenen sinnstiftenden Unter-<br />

nehmensidentität, der Anerkennung vergangener Leistungen sowie transparenter<br />

<strong>Prozess</strong>e, welche die Beteiligten einbezieht. Nur so können neue Routinen, Muster und<br />

Identitäten entwickelt werden, welche die Basis für erfolgreiches organisationales<br />

Handeln und einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil bieten.<br />

Ausdruck, aber zugleich auch Voraussetzung dafür ist, dass einer kollektiven Identität<br />

im Rahmen konkreter gemeinsamer Handlungen eine Chance gegeben wird sich zu<br />

entwickeln. Das nachfolgende Gedicht aus einer der in dieser Arbeit untersuchten<br />

Fusionen spiegelt diesen Zusammenhang abschließend wider.<br />

836 Vgl. Interview I10.<br />

837 Vgl. Rüegg-Stürm, 2002. Kursiv im Original.


E. Härdi<br />

Die <strong>Wandel</strong>prozesse – identitätsbildende <strong>Prozess</strong>e des <strong>Wandel</strong>s<br />

Fusion heisst das magischi Wort<br />

Schauplatz esch Schönbühl en Bärner Ort.<br />

Schnell händ dänn Migröler muesse leere,<br />

dass d´Aargauer ond Bärner ned glich düend gscheere.<br />

Di einte nämed das doch sehr gelasse,<br />

di andere chönet´s no gar ned rächt fasse<br />

De get´s no söttig wo miisi Stemmig mache,<br />

ond nome sueche die negative Sache.<br />

Verschwändemer doch eusi Chraft ned för so unnötigi Gschechte,<br />

schaffe mer zäme ond dönd ned schlächt öber anderi prechte.<br />

Dänn nome metenand chömmer es Ziel erreiche,<br />

chönd stolz si und feud ha e allne Bereiche.<br />

403


Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />

Interviews<br />

404<br />

Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />

Datum Einheit BSC ERP PFC MIGROS TS Zeit Cod<br />

e<br />

02.10.2000 L&S Zentrale � � 1,5 I04<br />

05.10.2000 SBT � � 1,75 I55<br />

13.10.2000 L&S Schweiz � � � � 1,5 I32<br />

25.10.2000 (No.1) L&S Zentrale � � � 1,25 I25<br />

25.10.2000 (No.3) L&S Zentrale � � � 1 I31<br />

25.10.2000 (No.2) L&S Zentrale � � � 1 I58<br />

09.11.2000 SBT � � 1,5 I36<br />

13.11.2000 (No.1) L&S Zentrale � � � 1,5 I18<br />

13.11.2000 (No.2) L&S Schweiz � � 1 I42<br />

16.11.2000 (No.2) L&S Schweiz � � � 2 I21<br />

16.11.2000 (No.1) L&S Zentrale � � � � 0,75 I27<br />

06.12.2000 L&S Zentrale � � � 1,5 I40<br />

14.12.2000 SBT � � � 1,25 I33<br />

26.01.2001 L&S Schweiz � � � � 1,5 I63<br />

29.01.2001 Extern � � 1,5 I39<br />

01.02.2001 (No.2) L&S Zentrale � � � 1 I02<br />

01.02.2001 (No.1) L&S Schweiz � � � 1,5 I49<br />

08.02.2001 L&S Zentrale � 1 I60<br />

28.02.2001 L&S Zentrale � � � � 1 I64<br />

01.03.2001 L&S Schweiz � � � � 1,5 I12<br />

02.03.2001 (No.1) L&S Zentrale � � � 1,25 I24<br />

02.03.2001 (No.2) L&S Zentrale � � � 1 I30<br />

20.04.2001 (No.2) L&S Zentrale � � 1,25 I28<br />

20.04.2001 (No.1) L&S Zentrale � � 1,25 I37<br />

27.04.2001 L&S Schweiz � � � 1 I46<br />

07.05.2001 L&S Zentrale � � � 1,5 I09<br />

10.05.2001 L&S Zentrale � � � � 1,25 I61<br />

11.05.2001 L&S Zentrale � � � 1,25 I54<br />

28.05.2001 L&S Schweiz � � � 1 I38<br />

30.05.2001 L&S Zentrale � � 1 I01


Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />

31.05.2001 (No.1) L&S Zentrale � � � 1,25 I05<br />

31.05.2001 (No.2) L&S Zentrale � � � 1,25 I35<br />

08.06.2001 L&S Zentrale � � � 1,25 I43<br />

13.06.2001 L&S Zentrale � � � � 1,25 I06<br />

18.06.2001 L&S Zentrale � � � 1,75 I23<br />

20.07.2001 L&S Zentrale � � 1,5 I07<br />

03.08.2001 L&S Schweiz � � 1 I11<br />

17.08.2001 L&S Schweiz � � � 1 I51<br />

20.08.2001 L&S Schweiz � � 1 I14<br />

23.08.2001 (No.1) SBT � � 2 I13<br />

23.08.2001 (No.2) L&S Zentrale � � � � 1 I34<br />

27.09.2001 L&S Zentrale � � � � 1,5 I59<br />

01.10.2001 (No.2) L&S Zentrale<br />

USA<br />

� � 1,5 I17<br />

01.10.2001 (No.1) SBT USA � � � 4 I57<br />

02.10.2001 (No.4) L&S Bosten,<br />

USA<br />

02.10.2001 (No.3) L&S Bosten,<br />

USA<br />

02.10.2001 (No.2) L&S Bosten,<br />

USA<br />

02.10.2001 (No.1) L&S Bosten,<br />

USA<br />

03.10.2001 (No.1) L&S Baltimore,<br />

USA<br />

03.10.2001 (No.2) L&S Baltimore,<br />

USA<br />

03.10.2001 (No.3) L&S Baltimore,<br />

USA<br />

� � � 1,25 I15<br />

� � � 0,75 I26<br />

� � � 0,75 I41<br />

� � � 0,75 I50<br />

� � � 0,75 I16<br />

� � � 0,75 I19<br />

� � � 1 I62<br />

23.10.2001 L&S Zentrale � � 1 I56<br />

25.10.2001 Extern � � 1 I48<br />

08.11.2001 L&S Zentrale � � � 2 I44<br />

21.11.2001 L&S Zentrale � � � 1,25 I10<br />

28.11.2001 L&S Zentrale � � � 1,5 I20<br />

29.11.2001 Extern � � 1,5 I65<br />

30.11.2001 (No.2) L&S Zentrale � 1,5 I29<br />

30.11.2001 (No.1) SBT � � � � 1,25 I52<br />

07.12.2001 L&S Zentrale � � 1 I08<br />

405


406<br />

Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />

10.12.2001 L&S Schweiz � � � � 1 I03<br />

11.12.2001 (No.1) L&S Schweiz � � � 1,25 I22<br />

11.12.2001 (No.2) L&S Zentrale � � � 1,5 I47<br />

18.12.2001 SBT � � 1 I45<br />

18.01.2002 L&S Zentrale � � � 2 I53<br />

26.02.2001 MIGROS Aare � 1,5 I66<br />

25.02.2001 MIGROS Aare � 1 I67<br />

25.02.2001 MIGROS Aare � 1,5 I68<br />

26.02.2001 MIGROS Aare � 1,5 I69<br />

26.02.2001 MIGROS Aare � 1 I70<br />

05.03.2001 Extern 1 I71<br />

06.03.2001 MIGROS Aare � 1,5 I72<br />

26.02.2001 MIGROS Aare � 1 I73<br />

14.03.2001 MIGROS Aare � 1 I74<br />

74 Interviews (ca. 94 Stunden)


Dokumente<br />

Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />

01.08.1998 top+ : Das Plus für den Erfolg. Information für Mitarbeiter. D64<br />

01.08.1998 top+ : Foliensatz. D65<br />

03.01.2000 Verifikationsstudie zum ERP Programm D70<br />

11.01.2000 LANDIS&STAEFA Division. Human Resources - Unsere Leitprinzipien.<br />

01.02.2000 Building up. Mitarbeiter-Zeitung von SIEMENS Building Technologies.<br />

Ausgabe 1/2000.<br />

09.02.2000 Geschäftsbericht SIEMENS 1999. D38<br />

16.02.2000 (No.1) Balanced Scorecard Einführungs-Guide. SIEMENS Building<br />

Technologies.<br />

16.02.2000 (No.2) Appendix to the SBT BSC-Guide for LANDIS&STAEFA-EU. D02<br />

16.02.2000 (No.3) Roof Strategy of LANDIS&STAEFA-EU. D58<br />

16.02.2000 (No.4) Business Unit LANDIS&STAEFA-EU. D09<br />

16.02.2000 (No.5) Firmenpräsentation LANDIS&STAEFA-EU. D36<br />

04.04.2000 (No.1) Performance Contracting: So funktioniert's. Werbebroschüre. D50<br />

04.04.2000 (No.2) Performance Contracting: Modernisieren und Einsparen mit<br />

Garantie. Werbebroschüre.<br />

07.04.2000 Protokoll ERP Steering Committee. D48<br />

12.04.2000 Diskussion des ERP Programms auf dem Geschäftsleitungsworkshop<br />

von LANDIS&STAEFA-EU.<br />

15.05.2000 (No.1) BSC der Landesgesellschaft Schweiz. D07<br />

15.05.2000 (No.2) Dokumentation der Best Practices aus der Einführung der BSC in<br />

der Filiale Ost.<br />

29.05.2000 (No.1) Conclusions and Findings. ERP at the Joint Management Meeting<br />

2000.<br />

29.05.2000 (No.2) European ERP DU's, SAP R/3 Pilot Project and Rollout. Joint<br />

Management Meeting 2000.<br />

29.05.2000 (No.3) ERP Program. Co-operation BPM and IT. D33<br />

06.06.2000 Introduction to the Balanced Scorecard: Implementing Business<br />

Strategy.<br />

15.06.2000 Projektplan für das Projekte Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung.<br />

04.07.2000 (No.1) ERP Kick-off Workshop Agenda. D18<br />

04.07.2000 (No.2) ERP Program: Vision and Mission. D34<br />

05.07.2000 Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung. Definition der Aufgabenstellung<br />

und des Projektes.<br />

24.07.2000 ERP Initialisation Phase. Status July 2000. D17<br />

407<br />

D61<br />

D08<br />

D04<br />

D49<br />

D12<br />

D13<br />

D11<br />

D35<br />

D42<br />

D57<br />

D37


408<br />

Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />

07.08.2000 (No.1) Protokoll ERP Steering Committee. D47<br />

07.08.2000 (No.2) ERP Program Europe. Steering Committee. Status Report August<br />

2000.<br />

16.08.2000 ERP Program Europe. Communication Concept. D19<br />

23.08.2000 Presseinformation der SIEMENS Building Technologies zur<br />

geplanten Restrukturierung der Divisionen.<br />

05.09.2000 ERP Program Europe. Status Report. Steering Committee Meeting. D24<br />

11.09.2000 ERP Program Europe. Teambuilding Business Process Modelling<br />

Phase.<br />

18.09.2000 (No.1) Präsentation zur Gesamtheitlichen Kundenbewirtschaftung anlässlich<br />

der Freigabe des Projekts durch die erweiterte Geschäftsleitung.<br />

18.09.2000 (No.2) Lenkungsteam und Selektionsprozess überregional tätiger Kunden<br />

für die Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung.<br />

18.09.2000 (No.3) Zeitplan für die Einführung der Gesamtheitlichen Kundenbewirtschaftung.<br />

18.09.2000 (No.4) Vorschlagsdokument zur Erfassung überregional tätiger Kunden für<br />

die Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung.<br />

01.10.2000 (No.1) LANDIS&STAEFA Solutions Division Europe. Organization Charts. D44<br />

01.10.2000 (No.2) Internationale Bezeichnungen der Unternehmenseinheiten.<br />

SIEMENS.<br />

31.10.2000 ERP Program Europe. Status Report. Steering Committee October<br />

2000.<br />

13.11.2000 ERP Program Europe. Program Charter. Executive Summary. D22<br />

22.11.2000 Offizielle Minutes SBDT D 82<br />

29.11.2000 (No.1) Presseinformation der SIEMENS Building Technologies zum Abschluss<br />

des Geschäftsjahrs 1999/2000.<br />

12.12.2000 ERP Program Europe. Program Charter. D21<br />

14.12.2000 (No.1) Presseinformationen zur Bilanzpressekonferenz 2000 der SIEMENS<br />

AG.<br />

14.12.2000 (No.2) Geschäftsbericht SIEMENS Building Technologies. Daten und<br />

Fakten 2000.<br />

15.12.2000 ERP Program Europe. To-Be Quality Review. High Level Change<br />

Impact Analysis.<br />

22.01.2001 ERP Program Europe. Pilot and Template Development Phase.<br />

Kick-off Workshop.<br />

25.01.2001 Auszug aus dem offiziellen Protokoll der Geschäftsleitungssitzung<br />

von L&S-Solutions.<br />

01.02.2001 ERP Program Europe. Team for Template and Pilot Development. D30<br />

13.02.2001 (No.1) SID Rollout Process. D60<br />

D27<br />

D55<br />

D31<br />

D52<br />

D45<br />

D67<br />

D66<br />

D41<br />

D26<br />

D54<br />

D56<br />

D39<br />

D32<br />

D20<br />

D03


Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />

13.02.2001 (No.2) SID Rollout Document. D59<br />

13.02.2001 (No.3) Allgemeine Informationen zur Change Impact Analysis. D01<br />

13.02.2001 (No.4) Kick-off Workshop Change Impact Analysis Divisional Unit<br />

Switzerland.<br />

28.02.2001 ERP Program Europe. Steering Committee. Status Report February<br />

2001.<br />

18.03.2001 ERP European Quality Review Workshops 2001. D16<br />

21.03.2001 ERP Program Europe. Steering Committee. Status Report March<br />

2001.<br />

14.04.2001 Merger Manual D83<br />

14.04.2001 Präsentation zum Merger LANDIS UND STAEFA D85<br />

02.05.2001 Erfahrungsaustausch SBT-Raifeisenbank D 81<br />

22.05.2001 CD-ROM Dokumentation zum European Management Meeting<br />

2001.<br />

29.08.2001 ERP Program Europe. Steering Committee. Status Report August<br />

2001.<br />

29.08.2001 Program Charter SBT ERP Program D68<br />

17.09.2001 Präsentation BSC USA D 78<br />

06.11.2001 Erfahrungen aus der Einführung der BSC in der Landesgesellschaft<br />

Schweiz.<br />

12.12.2001 (No.1) Geschäftsbericht SIEMENS Building Technologies. Daten und<br />

Fakten 2001.<br />

12.12.2001 (No.2) Pressebericht und Unterlagen zur Bilanzpressekonferenz der SBT<br />

2001.<br />

12.12.2001 PFC Handbuch D 79<br />

12.12.2001 Reference Manual PFC D 80<br />

09.01.2002 NZZ Artikel D84<br />

06.02.2002 Firmenpräsentation MBA St. Gallen D 77<br />

26.02.2002 Internes Dokument MIGROS AARE D 72<br />

26.02.2002 Strategie MIGROS AARE D 73<br />

26.02.2002 Internes Dokument MIGROS AARE D 74<br />

26.02.2002 Video RTSC MIGROS AARE D 75<br />

26.02.2002 Pressemitteilung MIGROS AARE D 76<br />

01.03.2002 MIGROS Geschäftsbericht 2001 D 71<br />

01.03.2002 MIGROS Homepage D 86<br />

86 Dokumente<br />

409<br />

D43<br />

D69<br />

D29<br />

D10<br />

D28<br />

D15<br />

D40<br />

D53


Beobachtungen<br />

410<br />

Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />

Datum Einheit Sitzung BSC ERP PFC TS Zeit Code<br />

21.02.2000 L&S Zentrale BSC Erfahrungskreis � 2 B015<br />

22.02.2000 L&S Zentrale BSC in den Ländern<br />

Osteuropas<br />

25.02.2000 L&S Zentrale Sitzung der<br />

Geschäftsleitung<br />

28.02.2000 L&S Zentrale Growth Team<br />

Meeting<br />

� 1,25 B004<br />

� 1,5 B006<br />

14 B103<br />

13.03.2000 L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � � 3 B039<br />

15.03.2000 (No.1) L&S Schweiz BSC Workshop � 3 B040<br />

15.03.2000 (No.2) L&S Schweiz BSC Workshop � 3,25 B054<br />

20.03.2000 L&S Schweiz Sitzung der erweiterten<br />

Geschäftsleitung<br />

31.03.2000 L&S Zentrale Growth Team Workshop<br />

03.04.2000 L&S Zentrale Informelles Coaching<br />

ERP<br />

04.04.2000 L&S Zentrale PFC European Conference<br />

07.04.2000 L&S Zentrale ERP Steering Committee<br />

12.04.2000 L&S Zentrale Workshop zur Vorbereitung<br />

des Joint<br />

Management Meeting<br />

� 1,25 B005<br />

� 8 B086<br />

� � 2 B114<br />

� � 16 B105<br />

� � 4,5 B077<br />

� � 3,5 B058<br />

17.04.2000 L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � � 2,75 B036<br />

19.04.2000 L&S Zentrale BSC Workshop � � 4,5 B078<br />

25.04.2000 L&S Schweiz BSC Workshop � � 3 B041<br />

27.04.2000 L&S Zentrale Projektmanagement<br />

im PFC<br />

02.05.2000 L&S Zentrale Vorbereitung Growth<br />

Team Meeting<br />

� � 1,5 B007<br />

� 1 B001<br />

08.05.2000 L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � � 2,5 B029<br />

10.05.2000 L&S Zentrale ERP Steering Committee<br />

15.05.2000 L&S Schweiz Sitzung der erweiterten<br />

Geschäftsleitung<br />

� � 4 B068<br />

� � 6,5 B082


Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />

19.05.2000 L&S Zentrale PFC Meeting � 3 B112<br />

29.05.2000 (No.2) L&S Zentrale Side Meeting ERP<br />

Steering Committee<br />

am JMM<br />

29.05.2000 (No.1) L&S Zentrale Joint Management<br />

Meeting (JMM)<br />

� � 2 B016<br />

� � 8 B087<br />

06.06.2000 L&S Zentrale BSC Workshop � � 7,5 B083<br />

13.06.2000 (No.1) L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � � � 3,5 B059<br />

13.06.2000 (No.2) L&S Zentrale ERP Steering Committee<br />

15.06.2000 L&S Schweiz Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung<br />

19.06.2000 L&S Zentrale Growth Team<br />

Meeting<br />

� � 3,5 B060<br />

� � 3,25 B055<br />

� 13 B102<br />

20.06.2000 L&S Zentrale PFC Meeting � � 13 B113<br />

03.07.2000 L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � � 2,5 B030<br />

04.07.2000 L&S Zentrale ERP Kick-off Workshop<br />

17.07.2000 L&S Schweiz ERP Kick-off Workshop<br />

07.08.2000 L&S Zentrale ERP Steering Committee<br />

10.08.2000 L&S Schweiz Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung<br />

16.08.2000 L&S Zentrale ERP Communication<br />

Concept<br />

� � 18 B110<br />

� � 3,5 B061<br />

� � 4 B069<br />

� � 8 B088<br />

� � 2,5 B031<br />

18.08.2000 L&S Schweiz ERP Core Team � � 1,5 B009<br />

21.08.2000 L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � � 3 B042<br />

23.08.2000 L&S Schweiz Gesamtheitliche Kundenbewirt-schaftung<br />

� 8 B089<br />

28.08.2000 L&S Zentrale ERP Core Team � � 2 B017<br />

29.08.2000 L&S Zentrale ERP Management<br />

Information Meeting<br />

30.08.2000 L&S Zentrale ERP As-Is Modelling<br />

Workshop<br />

05.09.2000 L&S Zentrale ERP Steering<br />

Committee<br />

� � 1,5 B010<br />

� � 15 B104<br />

� � 2,75 B037<br />

411


11.09.2000 L&S Zentrale PFC Goal Seeting<br />

Workshop I<br />

20.09.2000 L&S Zentrale Growth Team<br />

Meeting<br />

21.09.2000 L&S Schweiz ERP As-Is Quality<br />

Review<br />

412<br />

Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />

� 10 B101<br />

� 8 B090<br />

� � 8 B091<br />

13.10.2000 L&S Schweiz ERP Core Team � � 3 B043<br />

16.10.2000 L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � � 3 B044<br />

17.10.2000 L&S Zentrale ERP To-Be Modelling<br />

Workshop<br />

18.10.2000 L&S Zentrale PFC Manager<br />

Meeting<br />

� � 8 B092<br />

� � � � 16 B106<br />

27.10.2000 (No.1) L&S Schweiz ERP Core Team � � 2 B018<br />

27.10.2000 (No.2) L&S Schweiz ERP Power User<br />

Treffen<br />

30.10.2000 L&S Zentrale ERP Steering<br />

Committee<br />

06.11.2000 L&S Zentrale ERP Power User<br />

Kick-off<br />

10.11.2000 L&S Zentrale PFC Goal Setting<br />

Workshop II<br />

22.11.2000 L&S Zentrale Strategic Business<br />

Development Team<br />

29.11.2000 L&S Zentrale ERP Steering<br />

Committee<br />

� � 3,25 B056<br />

� � 4 B070<br />

� � 3 B045<br />

� � 8,5 B095<br />

� 9 B099<br />

� � 3 B046<br />

13.12.2000 L&S Zentrale PFC Meeting � � 2 B019<br />

18.12.2000 (No.2) L&S Zentrale ERP Information<br />

Meeting<br />

� � 2 B019<br />

18.12.2000 (No.1) L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � 3 B047<br />

20.12.2000 L&S Zentrale ERP Steering<br />

Committee<br />

� � 2,5 B032<br />

21.12.2000 L&S Schweiz ERP Core Team � � 3 B048<br />

15.01.2001 L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � � 2,5 B033<br />

18.01.2001 L&S Schweiz BSC Workshop � � 8,5 B096<br />

22.01.2001 L&S Zentrale ERP Workshop � � 16 B107<br />

24.01.2001 L&S Zentrale PFC ERP Update � � � 1,5 B011<br />

25.01.2001 L&S Zentrale PFC Manager<br />

Meeting<br />

� � 7,5 B084


Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />

02.02.2001 L&S Schweiz Verkaufstagung � 8,5 B097<br />

05.02.2001 (No.2) L&S Zentrale ERP Teambuilding<br />

Konzept<br />

13.02.2001 L&S Zentrale ERP Kick-off Task<br />

Force Organizational<br />

Change<br />

� � 1,75 B013<br />

� � 2 B021<br />

16.02.2001 L&S Schweiz ERP Core Team � � 3,5 B062<br />

28.02.2001 L&S Zentrale ERP Steering<br />

Committee<br />

� � 8 B093<br />

02.03.2001 L&S Schweiz ERP Core Team � � 3 B049<br />

06.03.2001 L&S Schweiz ERP CIA Workshop � � 4,25 B076<br />

21.03.2001 (No.1) L&S Schweiz Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung<br />

21.03.2001 (No.2) L&S Zentrale ERP Steering<br />

Committee<br />

27.03.2001 L&S Zentrale European Human Resource<br />

Meeting<br />

28.03.2001 SBT European Human Resource<br />

Meeting<br />

� � 4 B071<br />

� � 4 B072<br />

� � 9,5 B100<br />

� 16,75 B109<br />

10.04.2001 L&S Schweiz ERP CIA Workshop � � 8,5 B098<br />

26.04.2001 L&S Zentrale ERP Budget Meeting � � 6 B081<br />

27.04.2001 L&S Zentrale ERP Steering<br />

Committee<br />

� � 4 B073<br />

02.05.2001 Raifeisenbank Erfahrungsaustausch � � 5 B112<br />

07.05.2001 L&S Zentrale ERP Core Team � � 2 B022<br />

07.05.2001 L&S Zentrale ERP Lessons Learned<br />

Workshop<br />

� � 2 B023<br />

11.05.2001 L&S Schweiz ERP Core Team � � 2,25 B027<br />

15.05.2001 L&S Schweiz ERP CIA Workshop � � 7,5 B085<br />

22.05.2001 L&S Zentrale European Management<br />

Meeting (EMM)<br />

28.05.2001 L&S Zentrale ERP Steering<br />

Committee<br />

� � � 18 B111<br />

� � 4 B074<br />

08.06.2001 L&S Schweiz ERP Core Team � � 2 B024<br />

18.06.2001 L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � � 3,25 B057<br />

27.06.2001 (No.1) L&S Schweiz Gesamtheitliche Kundenbewirtschaftung<br />

27.06.2001 (No.2) L&S Zentrale ERP Steering<br />

Committee<br />

� 2 B025<br />

� � 4 B075<br />

413


414<br />

Committee<br />

12.07.2001 L&S Zentrale ERP Steering<br />

Committee<br />

Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />

� � 3,5 B063<br />

20.08.2001 L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � � 5,5 B080<br />

29.08.2001 L&S Zentrale ERP Steering<br />

Committee<br />

� � 3,75 B067<br />

14.09.2001 L&S Schweiz ERP Core Team � � 2 B026<br />

27.09.2001 L&S Zentrale ERP Steering<br />

Committee<br />

� � 4,5 B079<br />

08.10.2001 L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � 3,5 B064<br />

25.10.2001 L&S Zentrale ERP Steering<br />

Committee<br />

� � 3,5 B065<br />

26.10.2001 L&S Schweiz ERP Core Team � � 3,5 B066<br />

30.10.2001 L&S Schweiz Verkaufstagung � � 8 B094<br />

6.11.2001 L&S Zentrale PFC Manager<br />

Meeting<br />

� � 16 B108<br />

12.11.2001 L&S Zentrale PFC Monthly Meeting � � 3 B051<br />

12.12.2001 (No.1) SBT Bilanzpressekonferenz � 1 B003<br />

18.12.2001 L&S Zentrale ERP Steering<br />

Committee<br />

105 Beobachtung mit insgesamt ca. 552 h<br />

� � 3 B053


Feedbackveranstaltungen<br />

Verzeichnis der Forschungsaktivitäten<br />

Datum Einheit Name BSC ERP PFC Zeit<br />

08.05.2000 L&S Zentrale Feedback PFC � 0,5<br />

10.05.2000 L&S Zentrale Feedback � 1<br />

22.06.2000 SBT USA Feedback � � 2<br />

10.07.2000 L&S Zentrale Feedback � 1<br />

29.06.2000 L&S Zentrale Feedbackpaper<br />

zum Growth Team<br />

30.08.2000 L&S Zentrale Feedback � 0,5<br />

14.11.2000 L&S Zentrale Feedbackpaper<br />

zum Strategieprozess<br />

13.12.2000 L&S Zentrale Feedback PFC � 1,25<br />

14.12.2000 L&S Zentrale Feedback � 1,25<br />

18.12.2000 L&S Zentrale Feedback PFC � 0,5<br />

21.01.2001 L&S Zentrale Feedback � 0,5<br />

08.02.2001 L&S Zentrale Feedback � 1<br />

14.02.2001 L&S Zentrale Feedback � 0,5<br />

01.12.2001 SBT USA Feedbackpaper � 0<br />

05.03.2002 L&S Zentrale Feedback � 2<br />

13.03.2002 SBT Feedback � � 1,5<br />

26.03.2002 SBT Feedback 1,5<br />

02.04.2002 L&S Zentrale Feedback 1,5<br />

18 Feedbackveranstaltungen<br />

0<br />

0<br />

415


Literaturverzeichnis<br />

416<br />

Literaturverzeichnis<br />

Agrawal, A., Jaffe, J. F., & Mandelker, G. N. (1992). The Post-Merger Performance of<br />

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Albert, S. (1992). The Algebra of Change. In B. M. Staw & L. Cummings (Eds.),<br />

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Lebenslauf<br />

Name Thomas Schumacher<br />

Geboren 24.10.1967<br />

Ausbildung und beruflicher Werdegang<br />

Lebenslauf<br />

1989 – 1994 Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln<br />

und der Dublin City University, Abschluss: Dipl.-Kaufmann<br />

1995 – 1999 Studium der Psychologie an der Universität Bonn<br />

Abschluss: Dipl.-Psychologe<br />

1995 – 1998 BUS - Büro für Unternehmensentwicklung & Schulung Dr. Stober<br />

und Partner, Düsseldorf (Projektleiter, Trainer)<br />

1995 – 1998 Studieninstitut für kommunale Verwaltung, Köln (Nebenamtlicher<br />

Dozent)<br />

1998 – 2000 Studieninstitut für kommunale Verwaltung, Köln, Dozent und<br />

Fachbereichsleiter (Führung, Kommunikation & Arbeits<br />

techniken; BWL & Controlling; Marketing, Medien &<br />

Öffentlichkeitsarbeit)<br />

1998 – 2002 Ausbildung zum systemischen Berater, SySt München<br />

(Institut für Systemische Aus-, Fortbildung und Forschung)<br />

2000 - 2002 Universität St. Gallen, Doktorand und Teilprojektleiter im<br />

Forschungsprojekt „Learning Dynamics“ in Zusammenarbeit mit<br />

Siemens Building Technologies (SBT): Begleitung strategischer<br />

<strong>Wandel</strong>projekte: BSC- und SAP-Einführungen, Aufbau neuer<br />

strategischer Geschäftsfelder<br />

Seit 2002 Berater bei der osbTübingen<br />

Sonstiges Lehrbeauftrager der Universität St. Gallen (Systemische<br />

Methoden zur Bewältigung organisationalen <strong>Wandel</strong>s); Trainer in<br />

der Weiterbildung am Insititut für Betriebswirschaftslehre der<br />

Universität St. Gallen („Fit for Change“, „Unternehmerseminar“,<br />

„Executive Verwaltungsseminar“)<br />

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