Letter - DAAD-magazin
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Nr. 3 Dezember 2007, 27.Jg.
Foto: Landesbank Berlin AG<br />
Foto: picture-alliance/ZB<br />
2<br />
Inhalt<br />
Titel:<br />
Familie im Umbruch<br />
S.24<br />
Engagiert sich für Integration:<br />
Jean Claude Diallo<br />
S.39<br />
Forschung im Polareis<br />
S.14<br />
Kunstschau in Berlin: Werk des<br />
Italieners Ben Vautier,<br />
<strong>DAAD</strong>-Stipendiat 1978/79<br />
S.4<br />
Buchkunst und Grafik in Leipzig<br />
S.18<br />
Foto: Michael Jordan<br />
Foto: creative collection/axeptDESIGN Foto: Astrid Richter, Quelle: Alfred-Wegener-Institut<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> – Das Magazin für <strong>DAAD</strong>-Alumni<br />
Dialog Seite 4<br />
Beyond the Wall S. 4<br />
Brief aus Damaskus<br />
<strong>DAAD</strong>-Standpunkt<br />
S. 6<br />
20 Jahre Wandel durch Austausch S. 7<br />
Spektrum Deutschland Seite 8<br />
Hochschule<br />
Von Ägypten lernen<br />
Seite 10<br />
Mehr Frauen in die Naturwissenschaften S. 10<br />
Neues vom Campus S. 11<br />
Wissenschaft und Wirtschaft S. 13<br />
Wissenschaft<br />
Fahrt auf der Eisscholle<br />
Seite 14<br />
Das internationale Polarjahr 2007/08<br />
Heinrich Heine digital<br />
S. 14<br />
Interview mit Claudia Lux über Bibliotheken heute S. 16<br />
Ortstermin Seite 18<br />
Buch-Stadt und Bio-City: Leipzig S. 18<br />
Europa<br />
Wer versteht schon Lëtzebuergesch?<br />
Seite 20<br />
Europa spricht viele Sprachen S. 18<br />
Arbeiten weltweit<br />
Zwei Deutsche in Lettland: Pionierarbeit<br />
Seite 22<br />
als Unternehmerin und Umweltberaterin S. 22<br />
Trends<br />
TITEL:<br />
Familie in Deutschland:<br />
Seite 24<br />
Herbeigesehnt, überfordert, neu definiert S. 24<br />
Rätsel Seite 28<br />
Sprachecke Seite 29<br />
<strong>DAAD</strong> Report<br />
Abschied nach 20 Jahren –<br />
Seite 30<br />
Interview mit <strong>DAAD</strong>-Präsident Theodor Berchem<br />
Absolventen deutscher Auslandsschulen –<br />
S. 30<br />
Stipendiatentreffen in Berlin S. 32<br />
Stipendiaten forschen S. 34<br />
Nachrichten<br />
Gestern Stipendiat – und heute ...<br />
S. 36<br />
Jean Claude Diallo S. 39<br />
Köpfe S. 40<br />
Bücher von unseren Lesern S. 42<br />
Impressum S. 42<br />
Deutsche Chronik Seite 43<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07
Bei einem internationalen Schriftstellerkongress<br />
im Oktober in Berlin erzählte<br />
der schwedische Autor Lars Gustafsson folgende<br />
Anekdote: 1968 lebte er als <strong>DAAD</strong>-Stipendiat<br />
mit seiner Familie in Berlin. Sein Sohn<br />
– heute Filmkritiker in Stockholm – besuchte<br />
damals eine Berliner Schule. Eines Tages kam<br />
er ohne Hausarbeiten in den Unterricht – mit<br />
der Entschuldigung, er habe die halbe Nacht<br />
mit Günter Grass, Uwe Johnson und seinem<br />
Vater zugebracht. Der verblüffte Lehrer ließ<br />
es ihm durchgehen. Solche und viele andere<br />
Erlebnisse und Eindrücke berühmter ausländischer<br />
Künstler in Berlin waren in diesem<br />
Herbst bei der internationalen Veranstaltung<br />
„Beyond the Wall“ zu erfahren (Bericht auf<br />
Seite 4).<br />
Wenn Väter heute von ihren Kindern erzählen,<br />
kommt es immer häufiger vor,<br />
dass sie von Windeln und Fläschchen reden.<br />
Junge Väter in Deutschland übernehmen zunehmend<br />
Familienpflichten in der Babyphase<br />
ihrer Kinder. Finanzielle Hilfe erhalten sie<br />
vom Staat. Dies ist nur ein Symptom für den<br />
Wandel der Familie, wie in unserer Titelgeschichte<br />
nachzulesen ist (Seite 24).<br />
Dass Paare ihren Kinderwunsch verwirklichen<br />
können, ohne dass die Frauen auf Beruf<br />
und Karriere verzichten müssen, ist eines der<br />
Ziele einer neuen Familienpolitik in Deutschland.<br />
Sie wird ganz wesentlich von einer Frau<br />
Foto: Reiner Zensen<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
Foto: Jochen Luebke/ddp<br />
bestimmt, die weiß, wovon sie spricht: Familienministerin<br />
Ursula von der Leyen hat selbst<br />
sieben Kinder großgezogen. Interview mit der<br />
Ministerin auf Seite 27.<br />
Nicht um den familiären, sondern um den<br />
wissenschaftlichen Nachwuchs geht es<br />
in unserem Interview mit <strong>DAAD</strong>-Präsident<br />
Theodor Berchem (Seite 30). Anfang 1988<br />
rückte er an die Spitze des <strong>DAAD</strong>, nach 20-jähriger<br />
Amtszeit geht er jetzt in den Ruhestand.<br />
Viele <strong>Letter</strong>-Leserinnen und -Leser kennen<br />
ihn von Treffen im In- und Ausland, wo er<br />
zu Stipendiaten und Alumni schnell unmit-<br />
Editorial<br />
Die heutige Familienministerin Ursula von der Leyen mit ihrer Familie im Jahr 2005<br />
<strong>DAAD</strong>-Präsident<br />
Theodor Berchem<br />
Gitarre spielend mit<br />
<strong>DAAD</strong>-Stipendiaten<br />
telbaren Kontakt fand. Die <strong>Letter</strong>-Redaktion<br />
verdankt ihm viele anregende Beiträge und<br />
Gespräche.<br />
Beim Rückblick auf seine Amtszeit wird<br />
deutlich: Es waren Jahre großen Wandels. Der<br />
<strong>DAAD</strong> sah sich einer dynamischen Internationalisierung<br />
aller Lebensbereiche gegenüber<br />
und hat – dank des persönlichen Einsatzes<br />
seines Präsidenten – diese Entwicklung im<br />
akademischen Austausch aktiv mitgestaltet<br />
(Seite 7).<br />
Wandel durch Internationalisierung erleben<br />
auch die Bibliotheken. Es sind vor allem die<br />
elektronischen Medien, die den Alltag eines<br />
Bibliothekars verändert haben, sagt Claudia<br />
Lux. Die ehemalige <strong>DAAD</strong>-Stipendiatin ist seit<br />
wenigen Monaten als Präsidentin des Weltverbandes<br />
der Bibliotheken „weltoberste Bibliothekarin“<br />
(Interview Seite 16).<br />
Mit der nächsten Ausgabe von <strong>Letter</strong> wird<br />
eine Leserumfrage gestartet. Darin soll<br />
unter anderem nach den Wünschen unserer<br />
Leser an die Zeitschrift gefragt werden. Zunächst<br />
aber wünschen wir Ihnen, liebe Leserinnen<br />
und Leser, von Herzen ein frohes, gesundes<br />
und friedliches Jahr 2008!<br />
Der <strong>DAAD</strong> und die <strong>Letter</strong>-Redaktion<br />
3
4<br />
Dialog<br />
Berlin ist Anziehungspunkt für Künstler aus aller Welt. Viele von ihnen<br />
sind als <strong>DAAD</strong>-Stipendiaten gekommen, zur Zeit der geteilten<br />
Stadt und nach dem Mauerfall. Was die Stadt ihnen bedeutet und wie<br />
sie sich in ihren Werken spiegelt, war drei Monate lang in einer Kunst-<br />
Ausstellung, bei einer Schriftstellerkonferenz sowie bei Lesungen und<br />
Konzerten in Berlin zu erfahren.<br />
Der Afrikaner Georges Adéagbo kennt Berlin<br />
wie seine Westentasche. Kein Wunder,<br />
er hat die Stadt und ihre Flohmärkte durchstreift,<br />
immer auf der Jagd nach Fundstücken<br />
für seine große Installation. Die zeigt ein Sammelsurium<br />
von Gegenständen, mit denen der<br />
Künstler aus Benin das Brandenburger Tor ins<br />
Zentrum rückt und gleichzeitig Verbindungen<br />
schafft zu den vier Alliierten der Berliner<br />
Nachkriegszeit: USA, England, Frankreich und<br />
Russland. Auch die Geschichte des kolonialen<br />
Afrikas gerät in den Blick. Die zentrale Figur<br />
sieht in alle vier Himmelsrichtungen: Berlin<br />
ist Teil eines gemeinsamen Ursprungs.<br />
Adéagbo, zurzeit Stipendiat des Berliner<br />
Künstlerprogramms (BKP) des <strong>DAAD</strong> und gefeierter<br />
Documenta-Künstler (2002), hat sich<br />
künstlerisch mit Berlin auseinandergesetzt –<br />
und das gilt für die meisten der Werke, die von<br />
September bis Dezember unter dem Titel „Beyond<br />
the Wall. Berlin – Freihafen der Künste“<br />
im Max Liebermann Haus direkt neben dem<br />
Brandenburger Tor zu sehen waren.<br />
Die Schau – veranstaltet von der Stiftung<br />
Brandenburger Tor, die hier Leihgaben vor<br />
allem der Landesbank Berlin zeigte –, konzentrierte<br />
sich auf 27 Künstler, die in den vergangenen<br />
44 Jahren am Berliner Künstlerprogramm<br />
des <strong>DAAD</strong> teilgenommen haben. Das<br />
renommierte Stipendienprogramm sollte nach<br />
dem Mauerbau dem eingeschlossenen Westteil<br />
Berlins Verbindung zur internationalen Kunstszene<br />
verschaffen. Seit 1963 hat der <strong>DAAD</strong><br />
mehr als 1 000 ausländische Künstler aus den<br />
Sparten Bildende Kunst, Literatur, Musik und<br />
Film jeweils für mehrere Monate nach Berlin<br />
geladen, wo sie – oft in enger Verbindung mit<br />
der Stadt – bedeutende Werke schufen.<br />
Foto: Stiftung Brandenburger Tor<br />
Foto: Privatleihgabe, Bremen
Berlin rekonstruiert<br />
„Beyond the Wall“ – das meint die Kunst aus<br />
aller Welt sowie die Kunst vor und nach der<br />
Berliner Mauer. Von denen, die sie schufen,<br />
sind heute viele weltberühmt, seien es die<br />
Amerikaner John Cage, der 1972 nach Berlin<br />
kam oder Jimmie Durham (1998), der Japaner<br />
On Kawara (1976), der Brite Damien Hirst<br />
(1993/94) oder der Belgier Marcel Broodthaers<br />
(1974). Und etliche haben ein Werk in Berlin<br />
gelassen, wie der Israeli Micha Ullman<br />
(1989/90), dessen Denkmal „Bibliothek“ auf<br />
dem Berliner Bebelplatz an die Bücherverbrennung<br />
von 1933 erinnert.<br />
Berliner Flohmärkte waren schon immer Anziehungspunkt<br />
für die Künstler, die sich mit<br />
der Geschichte der Stadt auseinandersetzten:<br />
Der Franzose Christian Boltanski (1975) hat<br />
dort eine Schachtel mit Fotos einer Berliner<br />
Familie entdeckt und sie zu einer „Chronik<br />
des Alltags“ zusammengestellt. Der US-Amerikaner<br />
Edward Kienholz (1973/74) hat auf dem<br />
Flohmarkt Radios aus der Nazizeit gefunden<br />
und aus den „Volksempfängern“ ein Objekt gestaltet,<br />
das Diktatur und Massenmanipulation<br />
reflektiert. Kienholz behielt 20 Jahre lang eine<br />
Wohnung in Berlin.<br />
Berlins Geschichte faszinierte auch den US-<br />
Amerikaner Emmett Williams, der Anfang der<br />
80er Jahre „aus dem Chaos elektrostatischer<br />
Verzerrungen“ Bilder einer Stadt konstruierte,<br />
die „selbst aus dem Chaos des Krieges<br />
rekonstruiert wurde“, wie er sagt. Und auch<br />
auf einem Gemälde der Österreicherin Maria<br />
Lassnig (1978), ihrem Regenbogenfarbenbild<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
Foto: Landesbank Berlin AG<br />
„Hände“, lässt sich ein Beziehungsgeflecht erkennen,<br />
das Symbol für die gesellschaftliche<br />
Struktur der Stadt sein könnte.<br />
Berlin ein Laboratorium<br />
„Freihafen der Künste“ – so sieht der ungarische<br />
Schriftsteller György Konrád Berlin. Er<br />
und 24 Autorenkollegen aus aller Welt, fast<br />
alle ehemalige Stipendiaten, standen im Mittelpunkt<br />
eines Schriftstellerkongresses und<br />
von Lesungen, die begleitend zur Ausstellung<br />
vom <strong>DAAD</strong> gemeinsam mit dem Literarischen<br />
Colloqium Berlin veranstaltet wurden.<br />
György Konrád, 1977/78 BKP-Gast und später<br />
Präsident der Berliner Akademie der Künste,<br />
ist einer von fast 100 ungarischen Autoren,<br />
die sich mit einem <strong>DAAD</strong>-Stipendium in Berlin<br />
aufhielten. Er erzählt, wie die Osteuropäer<br />
„mit Herzklopfen erlebten, dass sie sich geografisch<br />
mitten im Sowjetreich und dennoch<br />
außerhalb davon befanden.“ Für viele von ihnen<br />
wurde die Stadt zum Zufluchtsort vor Verfolgung<br />
und Schreibverbot in der Heimat.<br />
Der Ungar Lászlo Földenyi, den es magisch<br />
zur Mauer zog, notierte in seinem Berlin-Tagebuch<br />
im September 1988: „Ich blickte wie ein<br />
Schizophrener über die Mauer, stand gaffend<br />
hier, wohl wissend, dass mein Platz dort wäre,<br />
dass ich dorther gaffen müsste.“ Und auch<br />
Paul Nizon, der in Paris lebende Schweizer,<br />
machte 1982 seine Erfahrung mit der Mauer.<br />
Für ihn war Westberlin „ein Laboratorium für<br />
tolerantes Koexistieren von Lebensformen...<br />
Gleich nebenan herrschte das Gegenteil“.<br />
Dialog<br />
In Berlin ausgestellt:<br />
„Une espace avec le monde“, 2007,<br />
von Georges Adéagbou (links unten),<br />
„Brandenburger Tor und Hindenburg“,1981,<br />
von Emmett Williams (links oben) und<br />
„Hände“, 1989,<br />
von Maria Lassnig<br />
Eine ganz andere Art der Freiheit genoss der<br />
Schwede Lars Gustafsson, der zu Hause in<br />
Schweden hauptberuflich Journalist war. Im<br />
Berlin der 70er Jahre, wo er sich „ungewöhnlich<br />
frei und ungewöhnlich eingeschlossen“<br />
fühlte, nutzte er die Abstinenz vom Brotberuf<br />
dazu, in 15 Monaten drei Romane zu schreiben.<br />
Berlin als Notizbuch<br />
Die Französin Cécile Wajsbrod, deren Familie<br />
den nationalsozialistischen Judenmord in<br />
Paris überlebte, konnte erst nach der Wende<br />
kommen, weil Berlin bis dahin für sie die<br />
Hauptstadt des Dritten Reiches war. „Mit dem<br />
Mauerfall wurde Berlin zur europäischen<br />
Stadt“, sagt sie. Auch Yuri Andruchowytsch<br />
aus der Ukraine hat die Mauer nie gesehen.<br />
Dennoch war sie während seines Jahres in<br />
Berlin 2005/06 für ihn noch lebendig: „Was<br />
könnte Marzahn und Dahlem in einem gemeinsamen<br />
Organismus vereinen?“ fragt er<br />
in seinen Aufzeichnungen „Berlin als Notizbuch“.<br />
Die meisten Autoren haben irgendwann<br />
über Berlin geschrieben. Die Rumänin Carmen<br />
Francesca Banciu, die inzwischen auch<br />
in deutscher Sprache schreibt, versichert in<br />
ihrem gleichnamigen Buch: „Berlin ist mein<br />
Paris.“ Der Brasilianer João Ubaldo Ribeiro<br />
nimmt in seinem Buch „Ein Brasilianer in Berlin“<br />
die Berliner, deren Lebensart ihm fremd<br />
geblieben ist, mit Humor.<br />
Alle Künstler, ob sie in das geteilte Berlin<br />
kamen oder erst nach dem Fall der Mauer, genossen<br />
die freizügige Atmosphäre für Kunst<br />
jeder Art. Und sie gaben der Stadt etwas zurück,<br />
sei es mit ihren Werken oder auch nur<br />
mit einem Stück Atmosphäre aus ihrer Heimat.<br />
Das gilt auch für die Musik-Stipendiaten,<br />
die im Rahmen von „Beyond the Wall“ die<br />
Berliner mit zwei großen Konzerten erfreuten.<br />
Gespielt wurden Stücke so berühmter Komponisten<br />
und „Berliner auf Zeit“ wie Luigi Nono<br />
(Italien), Arvo Pärt (Finnland), Olga Neuwirth<br />
(Österreich), Morton Feldman (USA) und Mark<br />
Andre (Frankreich).<br />
Leonie Loreck<br />
Der Katalog zur Ausstellung enthält auch<br />
Texte mehrerer BKP-Autoren: Beyond the<br />
Wall, Hrsg.: Stiftung Brandenburger Tor. Nicolaische<br />
Verlagsbuchhandlung Berlin 2007<br />
5
6<br />
Dialog<br />
Warum dieses Thema? Die Wahrnehmung<br />
des kulturell, sprachlich und ethnisch<br />
Anderen stellt einen wesentlichen Aspekt<br />
aller Gesellschaften und Kulturen dar und<br />
liefert die Quelle für die Images anderer Nationen<br />
in Literatur, Kunst, Medien, Religion<br />
etc. Die Wahrnehmung des Anderen ist auch<br />
ausschlaggebend für Identitätsbestimmung,<br />
inneren Zusammenhang und Wandel von Kulturen.<br />
Sie kann aber auch zu interkulturellen<br />
Spannungen und Konflikten führen, die zu<br />
politischen Krisen oder gar zu militärischen<br />
Auseinandersetzungen eskalieren.<br />
Bestes Beispiel dafür ist der zeitgenössische<br />
Konflikt zwischen dem „Westen“ und dem „Islam“,<br />
in dem der amerikanische Sozialwissenschaftler<br />
Samuel Huntington einen „Kampf<br />
der Kulturen“ sieht. Es war daher naheliegend,<br />
das Thema zum Gegenstand wissenschaftlicher<br />
Forschung und kritischer Reflexion zu<br />
machen und damit die Hoffnung zu verbinden,<br />
zur Verbesserung der deutsch-arabischen<br />
Beziehungen beizutragen.<br />
An dem Symposium, das vom Institut für<br />
Arabistik und Islamwissenschaft der Westfälischen<br />
Wilhelms-Universität (WWU) Münster<br />
veranstaltet wurde, nahmen 21 Wissenschaftler<br />
teil, die an deutschen und arabischen Universitäten<br />
tätig sind – darunter erfreulich viele<br />
Nachwuchs-Wissenschaftler. Das Spektrum<br />
der Themen war groß. Das begann mit der<br />
theoretischen Problematisierung des Begriffs<br />
vom „Anderen“ aus der Sicht der arabisch-islamischen<br />
Kultur. Die kritische Überprüfung<br />
des Begriffs führte zwangsläufig zur Auseinandersetzung<br />
mit der eigenen kulturellen<br />
Identität.<br />
Verhärtete Fronten<br />
Anhand von konkreten Beispielen der Berichterstattung<br />
über Muslime in deutschen<br />
Zeitungen, Filmen und Schulbüchern stellten<br />
mehrere Referenten fest, dass diese von<br />
Stereo typisierung, Exotisierung und sogar von<br />
Verzerrung beherrscht sei. Besonders gefährlich<br />
sei es, wenn die Berichterstattung den<br />
Islam und die Muslime mit dem Terrorismus<br />
verbände und so die in Deutschland lebenden<br />
Muslime in Terrorismusverdacht brächte.<br />
Wie aus arabischen Autobiografien und<br />
Reiseberichten hervorgeht, war Europa aus<br />
Verzerrte Wahrnehmung Brief aus Damaskus<br />
Um die „Wahrnehmung des Anderen in Deutschland und der arabischen Welt“ ist es nicht<br />
gut bestellt. Zu diesem Resultat kamen Wissenschaftler beider Kulturen bei einem gleichnamigen<br />
Symposium im Juni dieses Jahres an der Universität Münster. Anlass war eine<br />
Gastdozentur des syrischen Komparatistikprofessors und ehemaligen <strong>DAAD</strong>-Stipendiaten<br />
Abdo Abboud, der über die Veranstaltung für <strong>Letter</strong> berichtet.<br />
arabischer Sicht nicht nur eine fremde, nichtislamische<br />
Kultur, von der sich die islamische<br />
Kultur abgrenzte, sondern auch ein Ort, wo die<br />
Moderne Realität ist. Europa war auch die militärisch<br />
überlegene Macht, die die arabisch-islamische<br />
Welt besiegte und unter ihre kolonialistische<br />
Herrschaft brachte. Insbesondere seit<br />
dem Krieg der USA und ihrer Verbündeten<br />
gegen den Irak wird der „Westen“ zunehmend<br />
als eine Gefahr für die arabisch-islamische<br />
Kultur betrachtet, die sich einer „kulturellen<br />
Invasion“ ausgesetzt fühlt.<br />
Auch die religiösen Fronten zwischen dem<br />
„Islam“ und dem als christlich betrachteten<br />
„Westen“ verhärteten sich in den letzten Jahren.<br />
Die massenhaften Proteste, zu denen es<br />
in mehreren islamisch geprägten Staaten als<br />
Reaktion auf die dänischen „Mohammed-Karikaturen“<br />
und auf die Regensburger Vorlesung<br />
von Papst Benedikt XVI. kam, zeugen von einer<br />
Verschärfung der religiösen Spannungen.<br />
So wurde bei dem Symposium auch die Wahrnehmung<br />
des religiös Anderen im Islam, im<br />
Christentum und Judentum in Geschichte und<br />
Gegenwart reflektiert.<br />
Orientierung<br />
„Hiwar Fanni“ – das ist arabisch und heißt<br />
„künstlerischer Dialog“. Und der findet zurzeit<br />
in einem erfolgreichen Projekt zwischen der<br />
Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig<br />
und Hochschulen in Ägypten, Libanon,<br />
Syrien und Jordanien statt. Auf Studienreisen<br />
und in Workshops lernen die am Austausch<br />
beteiligten Studierenden die Kunst und Kultur<br />
des jeweils Anderen kennen. Ende November<br />
Dialog zu Hause beginnen<br />
Die Teilnehmer des Symposiums stimmten<br />
weitgehend darin überein, dass es um die<br />
Wahrnehmung des jeweils Anderen nicht gut<br />
bestellt ist. Das gilt auch innerhalb der eigenen<br />
Gesellschaft – für die Wahrnehmung des<br />
Islam und der Muslime in Deutschland sowie<br />
der religiösen und ethnischen Minderheiten<br />
in der arabischen Welt. Der interkulturelle<br />
Dialog muss daher zu Hause beginnen. Die<br />
Zusammenarbeit zwischen dem Institut für<br />
Arabistik und Islamwissenschaft der WWU<br />
und dem Ausländerbeirat der Stadt Münster,<br />
der das Symposium mitfinanzierte, war ein<br />
richtiger Schritt in diese Richtung.<br />
Abdo Abboud lehrt Komparatistik an der<br />
Universität Damaskus. Seine einjährige Gastprofessur<br />
wurde vom <strong>DAAD</strong> und der WWU<br />
Münster ermöglicht. Das Symposium wurde<br />
auch vom <strong>DAAD</strong> unterstützt. Eine Dokumentation<br />
der Tagung wird 2008 im LIT Verlag<br />
Münster erscheinen.<br />
haben sie in Leipzig in der Ausstellung „Orientierung“<br />
Malereien, Fotografien, Grafiken<br />
und Videoarbeiten gezeigt – alles Werke,<br />
die vom Eindruck der anderen Kultur so<br />
beeinflusst sind wie der ägyptische „Kamelmarkt“<br />
von Franziska Junge. Das dreijährige<br />
Programm wird vom <strong>DAAD</strong> finanziert und<br />
endet 2008 mit einer Reise an die Universität<br />
Damaskus. Llo<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07
Foto: Eric Lichtenscheidt<br />
Dr. Christian Bode ist<br />
Generalsekretär des <strong>DAAD</strong><br />
Wenn Theodor Berchem zum Jahresende<br />
2007 nach 20-jähriger Amtszeit seine<br />
<strong>DAAD</strong>-Präsidentschaft beendet, übergibt<br />
er seinem Nachfolger eine Organisation, die<br />
weltweit die Nummer eins unter den Agenturen<br />
für akademischen Austausch und internationale<br />
Zusammenarbeit ist und die auch<br />
in ihrer Doppelnatur als Selbstverwaltungs-<br />
Einrichtung der Hochschulen und zugleich<br />
Mittlerorganisation staatlicher (Außen-)Kultur-,<br />
Wissenschafts- und Entwicklungspolitik<br />
ziemlich einzigartig sein dürfte.<br />
Theodor Berchems fünf Amtsperioden fielen<br />
in eine Zeit, die als eine Phase großer geistiger,<br />
politischer und wirtschaftlicher Umwälzungen<br />
bezeichnet werden kann und deren<br />
herausragende Eigenschaft eine dynamische<br />
Internationalisierung („Globalisierung“) fast<br />
aller Lebensbereiche ist. Schlagworte wie<br />
Mauerfall, Osterweiterung und Europäische<br />
Integration können nur unzureichend die<br />
Dynamik beschreiben, mit der die Landkarte<br />
der ganzen Welt buchstäblich aus den (alten)<br />
Fugen geriet.<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
So ist die eindrucksvolle Bilanz dieser zwei<br />
Jahrzehnte 1 – unter anderem haben sich das<br />
<strong>DAAD</strong>-Budget (278 Millionen Euro), die Zahl<br />
der Geförderten (55 000 pro Jahr) und die Zahl<br />
der Programme (heute weit über 200) in dieser<br />
Zeit mindestens verdoppelt – sicher auch<br />
der Gunst der historischen Stunde geschuldet.<br />
Doch gerade diese Zeit des Wandels bot herausragenden<br />
Führungspersönlichkeiten das<br />
politische Parkett, mit Mut und Beharrlichkeit<br />
Veränderungen aktiv mitzugestalten. Solch<br />
eine Führungspersönlichkeit hatte der <strong>DAAD</strong><br />
in seinem langjährigen Präsidenten.<br />
Theodor Berchem war und ist ein Mann der<br />
Rekorde und des langen Atems: 20 Jahre<br />
<strong>DAAD</strong>-Präsidentschaft, 28 Jahre Rektor und<br />
Präsident der Universität Würzburg, zahlreiche<br />
Auszeichnungen und Ehrendoktorwürden,<br />
mehr als ein Dutzend Fremdsprachen,<br />
die er von leidlich bis fast muttersprachlich<br />
beherrscht, dazu ein Schriftenverzeichnis, das<br />
auch einem „Nur“ -Wissenschaftler zur Ehre<br />
gereichen würde.<br />
Das alles stärkte zu Recht sein Selbstbewusstsein,<br />
verführte ihn aber nie zu Eitelkeit oder<br />
Überheblichkeit. Von seinen Mitarbeitern<br />
erwartete er neben Einsatz auch unbedingte<br />
Loyalität, aber er gab sie mit gleicher Münze<br />
zurück. Die Wertigkeit der Menschen taxierte<br />
er nicht nach Titeln und Epauletten, sondern<br />
nach ihren persönlichen Verdiensten und charakterlichen<br />
Stärken. Das galt für Mitarbeiter<br />
ebenso wie für Minister. Angst vor Fürstenthronen<br />
war Berchems Sache nicht, ebenso wie<br />
Dialog<br />
<strong>DAAD</strong>-Standpunkt<br />
20 Jahre Wandel durch Austausch<br />
Hommage auf Theo Berchem (<strong>DAAD</strong>-Präsident 1988 – 2007)<br />
Von Christian Bode<br />
ihm, bei allem taktischen Geschick, jedwede<br />
Form von Opportunismus zuwider war. Das<br />
hat ihm in einer Zeit, in der Zivilcourage eher<br />
auszusterben scheint, nicht immer Vorteile,<br />
aber jedenfalls Respekt und manchmal auch<br />
Bewunderung eingebracht.<br />
Schließlich ist der sichere politische Instinkt<br />
zu nennen, der Berchem gerade in unübersichtlichen<br />
kontroversen Situationen zur<br />
Verfügung stand und der sich insbesondere<br />
in aufgeregten Gremiendebatten bewährte.<br />
Manchmal war es gewiss auch nur Berufs- und<br />
Lebenserfahrung, seine rheinische Gewitztheit<br />
und die richtige Prise Humor an der richtigen<br />
Stelle, die es richteten. In schwierigen<br />
Fällen dagegen, wenn es um inhaltliche Richtungsfragen<br />
ging, half ihm ein anderes, das<br />
nur wenige ihr Eigen nennen können: Ein aus<br />
Erfahrung und Leistung aufgebautes und gesichertes<br />
Selbstvertrauen und eine geistige Orientierung,<br />
die gleichermaßen traditionellen<br />
Werten verpflichtet wie neuen Einsichten und<br />
Erfahrungen aufgeschlossen war. Und genau<br />
dies ist die Mischung, aus der auch der Erfolg<br />
des <strong>DAAD</strong> in den letzten 20 Jahren entstand.<br />
Der <strong>DAAD</strong> wünscht seinem Ehrenpräsidenten<br />
noch viele Jahre und Jahrzehnte voller Schaffens-<br />
und Lebensfreude!<br />
(Siehe auch Interview Seite 30 in diesem Heft)<br />
1 Vgl. dazu: Dr. Christian Bode und<br />
Dr. Dorothea Jecht (Hrsg): 20 Jahre<br />
Wandel durch Austausch. Festschrift für<br />
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Theodor Berchem,<br />
<strong>DAAD</strong>-Präsident 1988 – 2007, Bonn 2007<br />
7
8<br />
Spektrum Deutschland<br />
Nobelpreis 2007<br />
Erfolg für deutsche Chemie und Physik<br />
Gleich über zwei Nobelpreise darf sich die<br />
deutsche Wissenschaftsgemeinschaft in diesem<br />
Jahr freuen. Der Preis für Chemie ging an<br />
den 1936 in Stuttgart geborenen Physiker Gerhard<br />
Ertl, bis 2004 Direktor der Abteilung für<br />
physikalische Chemie am Fritz-Haber-Institut<br />
der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin. Geehrt<br />
wurde er für seine Arbeit zum Verständnis<br />
der heterogenen Katalyse, das sind chemische<br />
Prozesse, die sich auf festen Oberflächen abspielen.<br />
Den Preis für Physik teilen sich der<br />
deutsche Physiker Peter Grünberg vom Forschungszentrum<br />
Jülich und der Franzose Albert<br />
Fert für ihre Entdeckung des Riesenmagnetowiderstands<br />
(GMR).<br />
Besonders erfreulich aus deutscher Sicht:<br />
Beide Preisträger hatten ihre Hauptwirkungsstätten<br />
an deutschen Universitäten oder Forschungseinrichtungen.<br />
Gerhard Ertl studierte<br />
ab 1955 an der Universität Stuttgart und folgte<br />
seinem Doktorvater 1962 an die Technische<br />
Universität München, wo er sich auch habilitierte.<br />
Dort blieb er – mit kurzen Unterbrechungen<br />
durch einen Aufenthalt an der Universität<br />
Hannover und Gastprofessuren in den<br />
USA –, bis er 1986 an das Fritz-Haber-Institut<br />
nach Berlin ging. Seine Erkenntnisse zu Katalysatoren<br />
waren bedeutend für so verschiedene<br />
Prozesse wie die Brennstoffzelle, den<br />
Autokatalysator oder auch für die Herstellung<br />
von Kunstdünger.<br />
Peter Grünberg wurde 1939 in der Tschechoslowakei<br />
geboren und kam 1946 als Flüchtling<br />
nach Hessen. Er studierte ab 1962 Physik an<br />
der Universität Frankfurt, später an der Technischen<br />
Hochschule Darmstadt, wo er promovierte.<br />
Seit 1972 arbeitet er am Forschungszentrum<br />
Jülich und habilitierte an der Universität<br />
Köln. Dank des von ihm und Fert 1988<br />
entdeckten GMR-Effektes konnten Festplatten<br />
erheblich verkleinert und zugleich mit deutlich<br />
höherer Speicherkapazität ausgestattet werden.<br />
Beide Preisträger haben während ihrer<br />
Wissenschaftler-Karriere kurzfristig eine Förderung<br />
durch <strong>DAAD</strong>-Programme genutzt. kj<br />
Archäologisches Institut<br />
100 Jahre am Nil<br />
Jubiläum in Kairo: seit 100 Jahren sind Forscher<br />
des Deutschen Archäologischen Instituts<br />
(DAI) auf den Spuren der alten Ägypter. 1907<br />
als „Kaiserlich Deutsches Institut für Alterskunde“<br />
gegründet, umfasst das Arbeitsgebiet<br />
des DAI einen Zeitraum von über 6000 Jahren:<br />
von der pharaonischen Zeit über die griechisch-römische,<br />
die bzyantinisch-koptische<br />
bis hin zur arabisch-islamischen Epoche.<br />
Behutsam legen die Wissenschaftler bei ihren<br />
Ausgrabungen die Schätze der Vergangenheit<br />
frei, bringen zurück ans Tageslicht, was<br />
irgendwann unter dem ägyptischen Wüstensand<br />
verschwand. Es gab Projekte, bei denen<br />
Schnelligkeit gefragt war: 1962/63 etwa, als<br />
der Tempel von Kalabscha unter Aufsicht von<br />
DAI-Archäologen in 13 000 Blöcke zerlegt wurde,<br />
um ihn nilabwärts wieder<br />
neu aufzubauen. Nach<br />
dem Bau des Assuan-<br />
Staudamms flutete bereits<br />
der neu entstandene Nassersee<br />
das einst heilige<br />
Areal, als die Deutschen<br />
den Tempel stückweise<br />
retteten. Die spektakuläre<br />
Versetzung gelang in<br />
einer Rekordzeit von nur<br />
sechs Monaten.<br />
„Begegnung mit der<br />
Vergangenheit“ hat das<br />
DAI Kairo sein Jubiläum<br />
überschrieben. Die reiche<br />
Foto: Deutsches Archäologisches Institut, Abt. Kairo<br />
Foto: picture-alliance/ZB<br />
Gerhard Ertl (links) und Peter Grünberg bei<br />
einer Fernsehtalkshow 2007<br />
Geschichte Ägyptens und ein ganzes Jahrhundert<br />
deutscher Forschungsarbeit bieten eine<br />
Vielzahl dieser Begegnungen. Zu den Jubiläumsveranstaltungen<br />
gehört auch eine Sonderausstellung<br />
des DAI im Ägyptischen Museum<br />
in Kairo. Darin sind zum Teil noch nie<br />
in der Öffentlichkeit präsentierte Fundstücke<br />
deutscher Grabungsmissionen zu sehen (bis<br />
15.1.2008). wf<br />
Informationen:<br />
www.dainst.org/kairo100jahre<br />
Günter Dreyer, Daniel Polz (Hrsg.): Begegnung<br />
mit der Vergangenheit – 100 Jahre in Ägypten.<br />
Mainz 2007<br />
Wettbewerb<br />
Schönste Wörter<br />
Yakamoz ist das schönste Wort der Welt. Es<br />
ist türkisch und bedeutet in etwa „die Widerspiegelung<br />
des Mondes im Wasser“. Weil sie<br />
es „einfach schön“ findet, „dieses Phänomen<br />
in einem Wort ausdrücken zu können“, ist es<br />
das Lieblingswort der Türkin Rana Aydin. Sie<br />
beteiligte sich an einem Wettbewerb, mit dem<br />
das Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart<br />
im Rahmen des Jahres der Geisteswissenschaften<br />
schönste Wörter weltweit ausfindig<br />
machen wollte.<br />
2 469 Sprachbegeisterte aus 58 Nationen sandten<br />
ihr Lieblingswort ein. Die Jury bewertete<br />
die Originalität der Wörter und die Begründung<br />
der Einsender. Das „ABC der schönsten<br />
Wörter“ reicht von Ài, chinesisch Liebe, bis<br />
Zmrzlina, slowakisch Eis.<br />
Die Wörter hu lu, chinesisch schnarchen, und<br />
volongoto, was in Luganda unordentlich oder<br />
chaotisch heißt, kamen auf Platz zwei und drei<br />
der Rangliste. Auch einige deutsche Wörter<br />
sind in dem ABC enthalten, etwa Kladderadatsch,<br />
Kichererbse und Rhabarber.<br />
Informationen: abckultur@ifa.de Llo<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07
Foto: picture-alliance/dpa<br />
Kampagne gegen Adipositas<br />
Die Deutschen sind zu dick<br />
Angesichts alarmierender Zahlen hat die deutsche<br />
Bundesregierung Übergewicht und Fettleibigkeit<br />
(Adipositas) zum Top-Thema erklärt<br />
und im Mai einen Nationalen Aktionsplan zur<br />
Prävention beschlossen. Bis 2020 will die Regierung<br />
das Ernährungs- und Bewegungsverhalten<br />
der Deutschen verbessern und die Zahl<br />
der Übergewichtigen verringern, insbesondere<br />
bei Kindern und Jugendlichen.<br />
Etwa ein Drittel der Menschen in den Wohlstandsgesellschaften<br />
ist übergewichtig, Tendenz<br />
steigend. Bis 2030 werden Schätzungen<br />
zufolge 45 Prozent der Deutschen adipös sein.<br />
In Europa nimmt Deutschland damit in Sachen<br />
Übergewicht eine Spitzenstellung ein.<br />
Vor allem die Zahl der adipösen Kinder und<br />
Jugendlichen ist seit 1990 dramatisch angestiegen.<br />
Circa 15 Prozent der Schulkinder sind<br />
mittlerweile übergewichtig, sechs Prozent sogar<br />
fettleibig.<br />
Adipositas geht mit Folgeerkrankungen einher,<br />
die häufig chronisch werden: Diabetes<br />
mellitus Typ II (Alterszucker), Herz-Kreislauf-<br />
Krankheiten, orthopädische Folgeschäden<br />
und Fettleber. Die Kosten, die durch ernährungsbedingte<br />
Krankheiten entstehen, wer-<br />
Aufbau des Großen Tempels in<br />
Neu-Kalabscha<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
den auf 70 Milliarden Euro geschätzt – das<br />
sind 30 Prozent aller Gesundheitskosten in<br />
Deutschland. aj<br />
Research in Germany Award<br />
Spitzenforscher gefragt<br />
Ein mit fünf Millionen Euro dotierter Preis soll<br />
internationale Spitzenforscher nach Deutschland<br />
bringen. Der neue „Research in Germany<br />
Award“ wurde vom Bundesministerium für<br />
Bildung und Forschung gestiftet und wird von<br />
der Alexander von Humboldt-Stiftung verliehen.<br />
Der Preis soll jährlich an bis zu zehn international<br />
renommierte Wissenschaftler aller Disziplinen<br />
für einen längeren Forschungsaufenthalt<br />
an deutschen Hochschulen vergeben<br />
werden. Die Forscher werden von den Hochschulen<br />
nominiert. Absicht sei, „Deutschland<br />
dauerhaft und nachhaltig in der internationalen<br />
Spitzenliga zu halten“, sagte Bundesforschungsministerin<br />
Annette Schavan Anfang<br />
Dezember bei der Bekanntmachung des Forschungsfonds<br />
in Berlin.<br />
Die Preissumme soll den Spitzenforschern<br />
nicht nur ein konkurrenzfähiges Gehalt bieten,<br />
sondern auch dem Aufbau neuer Forschungsgruppen<br />
und Strukturen dienen, die<br />
in das Gesamtkonzept der jeweiligen Hochschule<br />
passen. Llo<br />
Informationen: www.humboldt-foundation.de<br />
Foto: picture-alliance/dpa<br />
Spektrum<br />
Deutschland<br />
Davor – danach: Drei<br />
Jahre nach dem verheerenden<br />
Brand in der<br />
Weimarer Herzogin-<br />
Anna-Amalia-Bibliothek<br />
sind die Restaurierungsarbeiten<br />
weitgehend<br />
abgeschlossen. Der<br />
Rokoko-Saal präsentiert<br />
sich wieder in alter<br />
Schönheit. Im Buchbestand<br />
sind die ärgsten<br />
Lücken beseitigt. Seit<br />
Ende Oktober ist es<br />
wieder möglich, die<br />
Bibliothek zu nutzen.<br />
Bei der Feuersbrunst<br />
Anfang September<br />
2004 wurden in<br />
dem 400 Jahre alten<br />
Gebäude etwa 50 000<br />
Bücher vernichtet. Der<br />
Staat unterstützte die<br />
Sanierung mit rund<br />
13 Millionen Euro.<br />
Internet-Nutzung<br />
Frauen seltener online<br />
Noch nutzen mehr Männer als Frauen in<br />
Deutschland das Internet, doch das könnte<br />
sich bald ändern: Die „digitale Kluft“ zwischen<br />
den Geschlechtern wird kleiner, so die<br />
aktuelle Sonderauswertung Gender & Diversity<br />
des (N)ONLINER Atlas 2007. Diesjähriger<br />
Schwerpunkt der Untersuchung des Berliner<br />
Kompetenzzentrums Technik ist eine Fünf-<br />
Jahres-Bilanz der Gender-Verteilung in den<br />
einzelnen Bundesländern.<br />
Während 67,1 Prozent der Männer inzwischen<br />
online sind, liegt die Quote der Onlinerinnen<br />
bei 53,8 Prozent. Im Vergleich zum<br />
Vorjahr ist das eine Steigerung um etwa zwei<br />
Prozent. Der Abstand zu den Männern liegt<br />
mit 13,3 Prozent auf dem niedrigsten Stand<br />
seit Beginn der Erhebung im Jahr 2001. Betrachtet<br />
man alle Surfer, sind 53,5 Prozent<br />
männlich und 46,5 Prozent weiblich.<br />
Ungünstig für Frauen entwickelt sich die<br />
Schere zwischen den Geschlechtern mit abnehmendem<br />
Bildungsgrad: Absolventinnen<br />
der Hauptschule und ohne Ausbildung nutzen<br />
das Internet zu 23 Prozent – ihre männlichen<br />
Kollegen mehr als doppelt so häufig. Bei Nutzern<br />
mit abgeschlossenem Studium existiert<br />
dieser „Gender-Gap“ dagegen nicht. 81 Prozent<br />
dieser Gruppe arbeiten mit dem Internet,<br />
egal ob männlich oder weiblich. kri<br />
9
10<br />
Hochschule<br />
Von Ägypten lernen Mehr Frauen in die Naturwissenschaften<br />
Im Rahmen des Deutsch-Ägyptischen Wissenschaftsjahres trafen<br />
sich an der Humboldt-Universität zu Berlin Wissenschaftler beider<br />
Länder, um Probleme und Chancen von Frauen in den Naturwissenschaften<br />
zu diskutieren. Die Veranstaltung war zugleich der<br />
Auftakt für das Förderprojekt FiNCA – Frauen in den Naturwissenschaften<br />
am Campus Adlershof.<br />
Wovon Deutschland nur träumen kann,<br />
das haben Ägypterinnen in ihrem Land<br />
längst verwirklicht: Dort studieren nahezu<br />
genauso viele Frauen wie Männer ein naturwissenschaftliches<br />
Fach. An deutschen Unis<br />
ist die Frauenquote in diesen Fächern eine<br />
der niedrigsten im weltweiten Vergleich. Das<br />
bestätigten die Teilnehmerinnen des Workshops<br />
„Haben Naturwissenschaften ein Geschlecht?“,<br />
den die Humboldt-Universität gemeinsam<br />
mit Partnern am Wissenschafts- und<br />
Wirtschaftsstandort Adlershof im Oktober in<br />
Berlin veranstaltete.<br />
Mehrere Rollen<br />
„Frauen in der ägyptischen Gesellschaft spielen<br />
mehrere Rollen – als Wissenschaftlerin,<br />
im Haushalt und als Mutter“, erklärte Noha<br />
Seada, Assistenz-Dozentin des Fachbereichs<br />
Computer und Informationswissenschaften<br />
an der Ain Shams University in Kairo, selbstbewusst.<br />
Und auch Neamat El Gayar, Assistenzprofessorin<br />
an der Cairo-University im<br />
Fachbereich „Computer and Information“,<br />
sieht die gesellschaftliche Realität<br />
in Ägypten ganz nüchtern. Die<br />
Informatikerin, die die deutsche<br />
Schule in Kairo besuchte und<br />
<strong>DAAD</strong>-Stipendiatin war, betonte:<br />
„Unsere Gesellschaft wird stark<br />
von Männern dominiert, die eine<br />
sehr traditionelle Vorstellung von<br />
der Rollenverteilung haben.“<br />
Trotz dieser Erfahrungen repräsentierten<br />
beide Frauen in Berlin<br />
den Typ der selbstbewussten und<br />
erfolgreichen ägyptischen Wissenschaftlerin,<br />
ja sie vertraten eine<br />
erstaunlich große Zahl von Frauen<br />
in den Naturwissenschaften ihres<br />
Landes. „Der Frauenanteil an unseren<br />
naturwissenschaftlichen Fakultäten<br />
betrug im Wintersemester<br />
2003/2004 durchschnittlich 49<br />
Prozent“, berichtete Nadia Hagazi,<br />
Professorin am National Research<br />
Center in Kairo. In Fächern wie<br />
Pharmazie, Zahnmedizin und Veterinärmedizin<br />
stellten Studentinnen die Mehrheit.<br />
An der Cairo-University sind laut Neamat El<br />
Gayar derzeit 60 Prozent der Informatik-Professuren<br />
von Frauen besetzt, 40 Prozent ihrer<br />
Studenten sind weiblich.<br />
Bessere Noten<br />
Ganz anders in Deutschland: Dort studierten<br />
im Wintersemester 2005/2006 gerade einmal<br />
1860 Frauen – oder 15 Prozent – das Fach<br />
Computerwissenschaften, erläuterte Britta<br />
Schinzel, Professorin am Institut für Informatik<br />
und Gesellschaft der Universität Freiburg.<br />
„Damit liegen wir im internationalen Vergleich<br />
ganz hinten“, so Schinzel.<br />
Ohne ausländische Stipendiatinnen sähe das<br />
Geschlechterverhältnis an deutschen Universitäten<br />
noch düsterer aus, weiß sie zu berichten:<br />
Rund 18 Prozent der Informatik-Studentinnen<br />
kommen nicht aus Deutschland. „Dabei erzielen<br />
die wenigen Frauen wesentlich bessere<br />
Noten.“ Im Informatik-Vordiplom, so Schinzel,<br />
schneiden über 15 Prozent der Studentinnen<br />
mit der besten Note ab. Das schaffen nur etwa<br />
zwei Prozent ihrer Kollegen.<br />
In naher Zukunft werde sich an dieser Geschlechter-Verteilung<br />
auch nichts ändern, da<br />
ist sich die Physikerin Tanja Tajmel sicher. Die<br />
wissenschaftliche Mitarbeiterin der Humboldt-<br />
Universität hat im Rahmen des EU-Projekts<br />
PROMISE Schülerinnen der Klassen 10 bis 13<br />
aus Deutschland, Österreich, der Türkei und<br />
Bosnien-Herzegowina nach ihren Wunsch-<br />
Studienfächern befragt. Das Ergebnis: Während<br />
in Bosnien-Herzegowina 56 Prozent der<br />
Schülerinnen Naturwissenschaften studieren<br />
wollen, planen in Deutschland nicht einmal<br />
zehn Prozent, ein solches Fach zu belegen.<br />
Mit spezifischen Förderprogrammen wie<br />
FiNCA sollen in Berlin nun mehr Studentinnen<br />
für die männlich dominierten naturwissenschaftlichen<br />
Fächer gewonnen werden.<br />
Das Programm umfasst die Gewinnung von<br />
Schülerinnen für ein naturwissenschaftliches<br />
Studium und die Qualifikation von Frauen für<br />
die Hochschullehrer-Laufbahn bis hin zum<br />
Aufbau eines Frauennetzwerks. Kerstin Rippel<br />
Seltener Anblick: Frau in den<br />
Naturwissenschaften Foto: picture-alliance/ZB<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07
NEUES VoM CAMPUS<br />
Berlin/Peru<br />
Ernte in 3 500 Metern Höhe<br />
Die Hoffnungen der Menschen<br />
von Laraos wurden im August<br />
begraben – ein Erdbeben vernichtete<br />
nahezu alle Häuser des<br />
700-Seelen-Dorfes in den peruanischen<br />
Anden. Dabei sah es Anfang<br />
des Jahres so gut aus: Laraos<br />
mit seinen über 2000 Jahre alten<br />
Terrassenlandschaften, die den<br />
Menschen in der gebirgigen Region<br />
den Anbau von Mais ermöglichen,<br />
hatte es auf die Liste der<br />
100 am meisten bedrohten Stätten<br />
des Weltkulturerbes geschafft, die<br />
World Monuments List.<br />
Möglich wurde dies durch den<br />
engagierten Einsatz einer Gruppe<br />
von Berliner Studenten um Professor<br />
Heiko Diestel vom Institut für<br />
Umweltplanung der Technischen<br />
Universität (TU) Berlin. Im Sommer<br />
2004 kamen sie zum ersten<br />
Mal in die Anden, um empirische<br />
Daten zu sammeln. Fazit: Immer<br />
mehr Dorfbewohner wandern in<br />
die Großstädte ab, weil sich die<br />
Landwirtschaft nicht mehr lohnt.<br />
In der Folge drohen die Terrassen<br />
zu verfallen, weil kaum noch Menschen<br />
da sind, die sie bewirtschaften<br />
und pflegen können.<br />
Gefördert durch den <strong>DAAD</strong>,<br />
brach 2006 ein zweites interdisziplinäres<br />
Studierenden-Team in<br />
die Andenregion auf. Dieses Mal<br />
unterstützt von fünf peruanischen<br />
Studenten und mit dem erklärten<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
Ziel, die Laraos-Terrassen zu schützen.<br />
„Das größte Problem war, die<br />
Menschen vor Ort zu erreichen,<br />
ohne sie zu bevormunden“, sagt<br />
Projektkoordinator Thomas Nehls<br />
von der TU. Die Projektgruppe<br />
führte Theaterstücke auf und veranstaltete<br />
Workshops – bis ein<br />
vertrauensvolles Verhältnis entstanden<br />
war.<br />
„Was wir gemeinsam mit den<br />
Bauern entwickelt haben, diente<br />
als Vorlage für den Antrag beim<br />
World Monuments Fund“, erzählt<br />
Nehls, der stolz ist auf das Erreichte.<br />
Denn auf der WMF-Liste<br />
zu stehen, bedeutet für Laraos die<br />
Chance auf Spendengelder, um die<br />
Terrassen erhalten zu können.<br />
Die Berliner Studenten setzen<br />
im Augenblick andere Prioritäten:<br />
Als sie von dem Erdbeben erfahren<br />
hatten, begannen sie, Spenden zu<br />
sammeln – damit die Menschen in<br />
Laraos bald wieder ein Dach über<br />
dem Kopf haben. Kri<br />
Informationen: www.laraos.info<br />
Hamburg<br />
Wettbewerb für<br />
junge Doktoren<br />
Wer erst kürzlich eine Doktorarbeit<br />
mit besonderer gesellschaftlicher<br />
Bedeutung geschrieben hat,<br />
kann jetzt für einen Spitzenpreis<br />
ins Rennen gehen. Die Hamburger<br />
Körber-Stiftung vergibt künftig<br />
den Deutschen Studienpreis<br />
Foto: TU Berlin<br />
für eine exzellente Dissertation,<br />
deren wissenschaftliche Erkenntnis<br />
mit einem speziellen gesellschaftlichen<br />
Nutzen verbunden<br />
ist. Mit drei Preisen von je 30 000<br />
Euro zählt der Wettbewerb zu den<br />
Hochschule 11<br />
Bedrohtes Erbe: Viele Terrassen<br />
rund um Laraos in den Anden sind<br />
bereits verlassen und verwildert<br />
höchstdotierten deutschen Nachwuchspreisen.<br />
Der Wettbewerb steht Forschern<br />
aller Fachrichtungen offen. Teilnehmen<br />
können auch Ausländer,<br />
die im Jahr 2007 an einer deutschen<br />
Hochschule und Deutsche,<br />
die an einer ausländischen Hochschule<br />
promoviert haben. Einsendeschluss<br />
ist der 1. März 2008.<br />
Informationen:<br />
www.studienpreis.de Llo<br />
Bundesweit<br />
Deutschland entdeckt<br />
seine Elite-Unis<br />
„Die besten deutschen Universitäten<br />
werden jetzt weltweit noch<br />
sichtbarer und im globalen Wettbewerb<br />
der Bildungsstandorte<br />
stärker.“ Das erklärte Bundesforschungsministerin<br />
Annette Schavan<br />
Mitte Oktober zum Abschluss<br />
eines offiziellen Exzellenzwettbewerbs<br />
unter den Hochschulen im<br />
Anzeige
12<br />
Hochschule<br />
Lande Humboldts. Dabei stellten<br />
sich die deutschen Universitäten<br />
erstmals einem direkten Vergleich<br />
ihrer Forschungskapazität.<br />
Der Wettbewerb lief in zwei Bewerberrunden<br />
2006/2007. Rund<br />
400 Fachexperten aus aller Welt<br />
prüften, welche Universitäten<br />
sich als Ganzes oder teilweise auf<br />
Weltniveau aufgestellt haben und<br />
als Global Player gelten können.<br />
Sie dürfen in den nächsten fünf<br />
Jahren mit einem Preisgeld von<br />
insgesamt zwei Milliarden Euro<br />
rechnen.<br />
Das klare Ergebnis: Neun von<br />
mehr als über hundert deutschen<br />
Universitäten haben Strahlkraft in<br />
alle Welt. Neben den Traditionsstandorten<br />
Freiburg, Göttingen,<br />
Heidelberg sowie der Ludwig-Maximilians-Universität<br />
München<br />
sind das die viel jüngere Freie<br />
Universität Berlin, die gerade<br />
40 Jahre alte Uni Konstanz sowie<br />
die Technischen Hochschulen in<br />
Aachen, Karlsruhe und München.<br />
Rund 30 weitere Universitäten<br />
erreichen in speziellen Graduiertenschulen<br />
oder in der „Clusterbildung“<br />
– zumal mit der Industrieforschung<br />
– ein exzellentes<br />
Niveau. Lebenswissenschaften,<br />
neue Werkstoffe und Mikroelektronik<br />
waren die dominierenden<br />
Themen. Im Organisatorischen<br />
erwies sich insbesondere die stärkere<br />
Vernetzung mit den intellektuellen<br />
und finanziellen Ressour-<br />
Stammzellen eines<br />
Mäuseembryos<br />
cen der außeruniversitären Forschung<br />
als zukunftsweisend.<br />
„Es gab eigentlich nur Gewinner,<br />
keine Verlierer“, sagte Peter<br />
Strohschneider als Vorsitzender<br />
des Wissenschaftsrates, der die<br />
Regierungen von Bund und Ländern<br />
in Sachen Hochschulen und<br />
Forschung berät. Und damit meinte<br />
er die Aufbruchstimmung, die<br />
der Wettbewerb an allen teilnehmenden<br />
Universitäten hervorrief.<br />
Informationen: www.dfg.de<br />
www.wissenschaftsrat.de H.H.<br />
Dresden<br />
Stammzellenforschung<br />
im Aufwind<br />
Dresden entwickelt sich zum<br />
wichtigen Standort für die deutsche<br />
Stammzellenforschung. Das<br />
Netzwerk „From Cells to Tissues<br />
to Therapies“ an der Technischen<br />
Universität (TU) Dresden erhält<br />
im Rahmen der Exzellenzinitiative<br />
des Bundes seit einem Jahr –<br />
als erstes in den neuen Bundesländern<br />
– jährlich 1,5 Millionen Euro<br />
für seine Forschung.<br />
In dem Exzellenzcluster, das<br />
aus dem bereits bestehenden<br />
„Zentrum für Regenerative Therapien<br />
(CRTD)“ der TU gegründet<br />
wurde, arbeiten 71 Mitarbeiter an<br />
Themen aus der Stammzellenforschung.<br />
Ziel ist es, die regenerativen<br />
Fähigkeiten des Körpers<br />
zu erforschen und mit diesem<br />
Exzellent: Die 1966 gegründete Universität Konstanz<br />
entwickelt ein Zentrum für junge Spitzenforscher<br />
Foto: picture-alliance/dpa<br />
Wissen neue Therapien zu entwickeln.<br />
Dabei werden Stammzellen<br />
so beeinflusst, dass sie spezielle<br />
Eigenschaften annehmen und zu<br />
Nerven-, Muskel- oder Blutzellen<br />
werden. Neuartige regenerative<br />
Therapien könnten zukünftig<br />
Knorpel- und Knochenerkrankungen,Herz-Kreislauferkrankungen,<br />
Diabetes oder Alzheimer<br />
heilen.<br />
Ein Beispiel aus der Dresdner<br />
Forschung: Die Arbeitsgruppe um<br />
Elly Tanaka hinterfragt die Fähigkeit<br />
von Zellen zur Regeneration<br />
von Gewebe, wie sie beispielsweise<br />
beim Salamander zu finden<br />
HoCHSCHULE IM INTErNET<br />
Die Kirche Basilica di San<br />
Francesco in Assisi in Florenz<br />
kann bis zum 27. Januar<br />
2008 unter http://expo.khi.fi.it/<br />
galerie/assisi in einer Online-Ausstellung<br />
bewundert werden. Sie<br />
zeigt vor allem die Fresken der<br />
weltberühmten, erst kürzlich restaurierten<br />
Kirche. Zwei Studierende<br />
der Leipziger Hochschule<br />
für Technik, Wirtschaft und Kultur<br />
erarbeiteten gemeinsam mit dem<br />
Kunsthistorischen Institut Florenz<br />
die virtuelle Sammlung. Neben<br />
vielen Bildern von den Restaurierungsarbeiten<br />
gibt es auch Fotos<br />
aus der Zeit vor dem schweren<br />
Erdbeben 1997, bei dem 200 Quadratmeter<br />
Fresken zerstört wurden.<br />
Zur Präsidentschaftswahl in<br />
den USA haben Studierende<br />
der Fachhochschule (FH) Brandenburg<br />
unter www.straight2who.<br />
com ein Community-Portal eingerichtet.<br />
Dort können Bürger die<br />
Präsidentschaftskandidaten per<br />
E-Mail, Video oder Tondokument<br />
ansprechen und Botschaften anderer<br />
Bürger einsehen und bewerten.<br />
Seit Juni kooperieren die<br />
Brandenburger – gemeinsam mit<br />
ABB.: The Exploratorium, www.exploratorium.edu<br />
ist. Weiß man, wie diese Regenerationsprozesse<br />
bei primitiven<br />
Wirbeltieren funktionieren,<br />
könnte man sie auch<br />
auf menschliches Gewebe<br />
übertragen und zum Beispiel<br />
neue Behandlungen für Querschnittslähmungen<br />
entwickeln.<br />
In Deutschland ist die Stammzellenforschung<br />
nach wie vor umstritten<br />
und nur unter strengen<br />
gesetzlichen Auflagen möglich.<br />
Das Embryonenschutzgesetz verbietet<br />
seit 1991 die Gewinnung<br />
von embryonalen Stammzellen<br />
aus befruchteten Eizellen. Seit<br />
2002 regelt das „Stammzellgesetz“<br />
den Import von embryonalen<br />
Stammzellen nach Deutschland.<br />
Aus dem Ausland dürfen sie zwar<br />
eingeführt werden, jedoch nur solche,<br />
die vor dem 1. Januar 2002<br />
gewonnen wurden. AD<br />
www.crt-dresden.de<br />
der Freien Universität Berlin – mit<br />
amerikanischen Studenten. Diese<br />
wollen das an der FH Brandenburg<br />
entwickelte „many-to-one“-<br />
Kommunikationssystem auch in<br />
den Staaten einführen. In Deutschland<br />
hat sich bereits die Webseite<br />
www.direktzurkanzlerin.de bewährt.<br />
Die dort gestellten Fragen lässt<br />
Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />
beantworten.<br />
Ein neues Mitglied der Living<br />
Reviews-Familie ist online:<br />
die elektronische Fachzeitschrift<br />
Landscape Research. Herausgeber<br />
des frei zugänglichen,<br />
kostenlosen e-Journals ist das<br />
Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung.<br />
Die Beiträge<br />
über das noch relativ neue, interdisziplinäre<br />
Feld der Landschaftsforschung<br />
reichen von Agrarwissenschaften<br />
über Hydrologie bis<br />
zur Tourismuswissenschaft. Die<br />
Reihe „Living Reviews“ wurde am<br />
Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik<br />
entwickelt, das seit<br />
zehn Jahren „Living Reviews in<br />
Relativity“ herausgibt.<br />
http://landscaperesearch.livingreviews.org<br />
www.livingreviews.org aj<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07
WISSENSCHAFT UND WIrTSCHAFT<br />
Lernfabrik in Darmstadt<br />
Schlanke Produktion<br />
Ingenieure müssen unter den<br />
Bedingungen des globalisierten<br />
Marktes nicht nur in der Lösung<br />
technischer Probleme gut sein,<br />
sondern auch effiziente Produktionsmethoden<br />
anwenden. Das<br />
Stichwort lautet „lean manufacturing“,<br />
also „schlanke Produktion”.<br />
Die Technische Universität Darmstadt<br />
und die Unternehmensberatung<br />
McKinsey haben im Herbst<br />
eine Lernfabrik für Produktionsprozesse<br />
gegründet. Sie bietet den<br />
Studierenden die Möglichkeit, in<br />
alle Stufen eines effizienten Produktionsprozesses<br />
einzutauchen<br />
– von der Planung über die Fertigungssteuerung<br />
bis zur Qualitätssicherung.<br />
Das so genannte „Center für industrielle<br />
Produktivität“ (CiP) auf<br />
dem Campus der TU Darmstadt<br />
umfasst eine Fläche von 500 Quadratmetern<br />
und ist am Institut für<br />
Produktionsmanagement, Technologie<br />
und Werkzeugmaschinen<br />
angesiedelt. Institutsleiter Eberhard<br />
Abele sagt: „Die Lernfabrik<br />
vermittelt in einzigartiger Weise<br />
Fähigkeiten, die viele Industrieunternehmen<br />
in Deutschland<br />
schmerzlich vermissen.“ Konkret<br />
lernen die Studierenden die<br />
„schlanke Produktion“ anhand<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
eines Pneumatikzylinders und<br />
der Montage eines Getriebemotors,<br />
später eines Webcam- und<br />
Fotostativs kennen. Das Projekt<br />
wird von den Unternehmen Bosch<br />
Rexroth sowie SEW-Eurodrive<br />
unterstützt, die sich auf Antriebstechnik<br />
spezialisiert haben.<br />
Katalyse-Forschungszentrum<br />
Schnelle reaktion<br />
An der Rheinisch-Westfälischen<br />
Technischen Hochschule (RWTH)<br />
Aachen entsteht in Zusammenarbeit<br />
mit der Wirtschaft ein neues<br />
Katalyse-Forschungszentrum.<br />
Zwei Tochterunternehmen des Leverkusener<br />
Chemie-Konzerns, die<br />
Bayer Material Science AG und die<br />
Bayer Technology Services GmbH,<br />
stecken über einen Zeitraum von<br />
fünf Jahren 7,25 Millionen Euro in<br />
das neue Zentrum, das Land Nordrhein-Westfalen<br />
und die RWTH<br />
Aachen steuern 2,7 Millionen<br />
Euro bei.<br />
In den neuen Laboren erarbeiten<br />
Forscher in enger Kooperation mit<br />
Experten von Bayer Grundlagenwissen<br />
in katalytischen Prozessen.<br />
Die Katalyse, also chemische<br />
Reaktionsbeschleunigung oder<br />
-verlangsamung, ist für viele Fertigungsprozesse<br />
der chemischen<br />
Industrie unentbehrlich, von der<br />
Foto: Institut für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen, TU Darmstadt<br />
Effizienz zählt: Studierende<br />
steuern Produktionsprozesse<br />
Welche Lichterkette ist<br />
die richtige für mich?<br />
Kunstdünger- über die Mikro chip-<br />
Produktion bis zur Brennstoffzelle.<br />
Die Bedeutung der Katalyse-<br />
Forschung wurde in diesem Jahr<br />
durch die Verleihung des Nobelpreises<br />
an den deutschen Chemiker<br />
Gerhard Ertl unterstrichen,<br />
der auf diesem Gebiet forscht<br />
(siehe Seite 8). Am Aachener Katalysezentrum<br />
sollen bis zu zwölf<br />
Forscher arbeiten.<br />
Hochschule 13<br />
Verbraucher<br />
Einkaufsberater online<br />
Weihnachten kann eine Vielzahl<br />
von schwierigen Kaufentscheidungen<br />
mit sich bringen: Eine<br />
Lichterkette für den Vorgarten,<br />
einen neuen Fernseher, eine Ente<br />
für das Festessen. Was kaufen<br />
und worauf achten bei der gro ßen<br />
Auswahl? Bereits seit Sommer<br />
2007 gibt es Hilfe im Internet.<br />
Das Verbraucherportal „konsumo“<br />
untersucht und bewertet<br />
nicht bestimmte Markenprodukte,<br />
sondern beantwortet erst einmal<br />
generell die Frage, welche Kriterien<br />
man beim Kauf eines Artikels<br />
beachten sollte.<br />
Vier Absolventen des Studiengangs<br />
Technikjournalismus der<br />
Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg<br />
haben „konsumo“ gegründet. Sie<br />
glauben, damit eine echte Marktlücke<br />
geschlossen zu haben. Das<br />
Portal verfolgt das Motto „gemeinsam<br />
einfach schlau“ und funktioniert<br />
nach dem so genannten<br />
„Wiki“-Prinzip. Das heißt, alle<br />
Internet-Nutzer können sich registrieren<br />
und dann gleichberechtigt<br />
an den Texten mitarbeiten. So<br />
können sie ihr Fachwissen an andere<br />
weitergeben und selber neue<br />
Produkte zum Katalog hinzufügen.<br />
Beispiel Lichterkette: Hier raten<br />
die Nutzer von „konsumo“ zu<br />
LED-Lampen (LED: Light Emitting<br />
Diode). Denn sie leuchten fast so<br />
hell wie Glühbirnen, verbrauchen<br />
aber weniger Strom. Katja Spross<br />
Info: www.konsumo.de<br />
Foto: Lilith2000/photocase.com
Foto: Alfred-Wegener-Institut<br />
14<br />
Wissenschaft<br />
Fahrt auf der Eisscholle<br />
Wie sich Deutschland am internationalen Polarjahr beteiligt<br />
In der internationalen Polarforschung ist<br />
Deutschland eines der führenden Länder.<br />
Mit zwei permanent besetzten Stationen in<br />
der Arktis und Antarktis, dem Forschungseisbrecher<br />
„Polarstern“, dem Forschungs-U-Boot<br />
„Jago“ und zwei Polarflugzeugen leistet es<br />
einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der<br />
weißen Wildnis.<br />
Rund 60 deutsche Wissenschaftler aus 35<br />
Einrichtungen arbeiten zurzeit in 92 Projekten<br />
zum Polarjahr, das von März 2007 bis März<br />
2008 stattfindet. Die Spannbreite der Projekte<br />
reicht von geologischen Expeditionen zu Land<br />
und Wasser bis hin zur Folgenabschätzung<br />
des Klimawandels sowohl für die Tier- und<br />
Pflanzenwelt als auch für die Menschheit.<br />
Mehr Öffentlichkeit<br />
Aus der Vielzahl der Daten erhoffen sich die<br />
Wissenschaftler bessere Vorhersagemöglichkeiten<br />
zur zukünftigen Entwicklung des<br />
Erdklimas. Die organisatorischen Fäden aller<br />
deutschen Beiträge laufen am Alfred-Wegener-<br />
Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI)<br />
in Bremerhaven und an der Technischen Universität<br />
Dresden zusammen. Hier werden<br />
die Projekte national und international abgestimmt.<br />
Aufgeschreckt von Bildern abschmelzender<br />
Gletscher und den alarmierenden<br />
Berichten der Klimakommission<br />
der Vereinten Nationen, wird der<br />
Menschheit immer stärker bewusst,<br />
wie wenig sie über die Polarregionen<br />
der Erde weiß. Abhilfe schaffen wollen<br />
internationale Wissenschaftlerteams,<br />
die ein Jahr lang verstärkt im ewigen<br />
Eis forschen.<br />
Neben der Forschung haben sich die Wissenschaftler<br />
zur Aufgabe gemacht, die Probleme<br />
der Polarregionen einer größeren Öffentlichkeit<br />
zu vermitteln. „Vom Polarjahr verspreche<br />
ich mir eine weitere Intensivierung der internationalen<br />
Zusammenarbeit und wünsche<br />
mir, dass die Probleme der Polargebiete noch<br />
mehr in die Öffentlichkeit dringen“, sagt der<br />
Geophysiker Christian Haas vom AWI, der<br />
sich als wissenschaftlicher Teilnehmer mit<br />
Messungen der Meereisdicke in der Arktis<br />
beschäftigt.<br />
Entsprechend breit ist das Veranstaltungs-<br />
und Themenspektrum: Es reicht von Schul-<br />
und „Mitmach“-Projekten, über U-Booteinsätze<br />
in norwegischen Fjorden bis hin zur Untersuchung<br />
klimabedingter Verhaltensänderungen<br />
bei Rentieren.<br />
Packeis und Korallenriffe<br />
Ein Highlight der deutschen Polarforschung<br />
2007 ist die Fahrt zum Nordpol auf einer Eisscholle<br />
ohne eigenen Antrieb. Seit Ende August<br />
sind unter russischer Leitung 36 Forscher<br />
auf einer treibenden Eisscholle im arktischen<br />
Packeis unterwegs. Von deutscher Seite ist der<br />
AWI-Meteorologe Jürgen Gräser dabei. „Wir<br />
waren schon kurz davor, das Unternehmen<br />
Meeresobjekte unter Beobachtung:<br />
ein Untereisamphipode (oben) und<br />
Teil eines Kaltwasserkorallenriffs<br />
abzubrechen, als wir endlich eine geeignete<br />
Scholle fanden. Jetzt sind wir dabei, unsere<br />
Station aufzubauen“, berichtet Gräser per E-<br />
Mail. Die Scholle musste groß und stabil genug<br />
sein, um 36 Menschen, Schlaf-, Wohn- und<br />
Arbeitscontainer sowie Material und Vorräte<br />
für mehrere Monate aufzunehmen. Außerdem<br />
musste sie Platz für eine kleine Landebahn<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
Foto: JAGO-Team IFM-GEOMAR Foto: Florian Breier, Quelle: Alfred-Wegener-Institut
ieten, um die Versorgung der Wissenschaftler<br />
aus der Luft zu gewährleisten.<br />
Auf ihrem Weg durch den Arktischen Ozean<br />
wollen die Forscher Daten zu den Veränderungen<br />
des Ozeans und der Atmosphäre<br />
sammeln. Erstmals setzen sie einen mit einer<br />
Kamera versehenen Fesselballon ein, um die<br />
Ausdehnung und Verteilung des Meereises<br />
aus der Vogelperspektive zu erfassen. Gegen<br />
Weihnachten 2007 wollen sie den Nordpol erreichen.<br />
Eine wissenschaftliche Sensation war die<br />
Entdeckung der nördlichsten Korallenriffe der<br />
Welt. Mit dem Kieler Forschungs-U-Boot „Jago“<br />
erkundeten Ende Juli Wissenschaftler des<br />
Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften<br />
(IFM-GEOMAR) Kiel und des AWI Korallenriffe<br />
in den Fjorden Norwegens. „Kaltwasserkorallen<br />
sind der Wissenschaft erst seit rund<br />
zehn Jahren bekannt“, sagt AWI-Direktor Jörn<br />
Thiede. „Sie leben in Wassertiefen von 60 bis<br />
2 000 Metern. Ihre Riffe ziehen sich als breites<br />
Band entlang des nordwesteuropäischen Kontinentalrands<br />
von Gibraltar bis Nordnorwegen.“<br />
Im Gegensatz zu ihren tropischen Verwandten<br />
ernähren sich die Kaltwasserkorallen in der<br />
lichtlosen Tiefsee von tierischem Plankton,<br />
das dort im Überfluss vorkommt.<br />
„Coole Klassen“<br />
Dass der Physik- und Biologielehrer Michael<br />
Bauer vom Erich Kästner-Gymnasium in Eis-<br />
ABSTrACT<br />
International Polar Year:<br />
Floating on an Ice Floe<br />
Alarming climate reports and photos of melting<br />
glaciers have heightened public awareness<br />
of the polar regions. The International<br />
Polar Year, from March 2007 to March 2008,<br />
has been organized to boost research in<br />
and publicity about the polar regions.<br />
At present, some 60 German scientists from 35<br />
institutions are at work on 92 Polar Year projects.<br />
The studies range from geological expeditions on<br />
land and sea to assessments of the effects of climate<br />
change. One high point is a voyage through<br />
the Arctic Ocean on an ice floe with no artificial<br />
propulsion. An international team of scientists<br />
is using this “research vessel” to collect data on<br />
changes in the ocean and the atmosphere. Another<br />
scientific sensation is the discovery in Norway‘s<br />
fjords of the northernmost coral reef in the world.<br />
Polar researchers are also increasingly addressing<br />
the public. The “Cool Classes” project for example<br />
gives teachers and pupils a look at scientific<br />
work in the field. All the German projects for the<br />
International Polar Year are being co-ordinated by<br />
the Alfred Wegener Institute for Polar and Marine<br />
Research in Bremerhaven (AWI) and TU Dresden.<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
lingen (Baden-Württemberg) bei einer Expedition<br />
an Bord der „Polarstern“ mitfahren durfte,<br />
hatte er dem Projekt „Coole Klassen“ zu verdanken.<br />
In dem von der Robert Bosch Stiftung<br />
geförderten Projekt geben die Polarforscher<br />
Lehrern und Schülern Gelegenheit, sie zu begleiten<br />
und bei ihrer Arbeit zu beobachten.<br />
130 Lehrer in ganz Deutschland sind beteiligt.<br />
An ihren Schulen betreuen sie eigene<br />
Projekte zu Polarthemen. Zusammen mit<br />
zwei Kollegen aus Belgien und Norwegen war<br />
Michael Bauer zwei Wochen an Bord des Forschungsschiffs.<br />
Die Schönheit der Arktis zog<br />
den 35-Jährigen in ihren Bann: „Am zweiten<br />
Morgen auf See wurde ich mit der Bemerkung,<br />
es gäbe draußen ‚Zitronensorbet’, an Deck geschickt.<br />
Irritiert ging ich nach draußen und<br />
Wissenschaft<br />
war augenblicklich überwältigt von dem Anblick,<br />
der sich mir bot. Das Meer war spiegelglatt.<br />
Im gleißenden Licht der Mitternachtssonne<br />
schwammen weiße Eisschollen auf dem<br />
blauen Meer. Einfach unglaublich schön.“<br />
Besonders beeindruckend war für Bauer,<br />
wie eng die Wissenschaftsdisziplinen miteinander<br />
verzahnt und wie abhängig sie voneinander<br />
sind. „Jede Arbeitsgruppe liefert<br />
ihr Puzzlestück zum Gesamtbild. Das hätten<br />
meine Schüler sehen sollen, schnell wäre das<br />
schultypische Schubladendenken – Physik ist<br />
Physik und hat mit Biologie nichts zu tun –<br />
verflogen.“ Rüdiger Schacht<br />
Informationen:<br />
www.awi.de und www.Polarjahr.de<br />
Das Forschungs-U-Boot Jago vor einem Tauchgang in Norwegen<br />
Foto: Karen Hissmann, JAGO-Team IFM-GEOMAR<br />
15
16<br />
Wissenschaft<br />
Claudia Lux, Generaldirektorin der Zentral-<br />
und Landesbibliothek Berlin, ist die neue<br />
Präsidentin des Weltverbandes der Bibliotheken,<br />
dem 1500 Mitgliederverbände aus<br />
150 Ländern angehören. Über die Zukunft<br />
der Bibliotheken als Bildungseinrichtung<br />
im digitalen Zeitalter, über die politischen<br />
Rahmenbedingungen und die Vorzüge des<br />
guten alten Buches sprach <strong>Letter</strong> mit der<br />
ehemaligen <strong>DAAD</strong>-Stipendiatin.<br />
Warum sind Öffentliche Bibliotheken – im<br />
Vergleich zu Museen – ein Stiefkind der<br />
Kulturpolitik?<br />
Weil in den Museen oft glanzvolle Eröffnungen<br />
stattfinden, bei denen man sich gerne zeigt.<br />
Und weil auf der anderen Seite viele Politiker<br />
nicht wissen, was sich heute in einer Bibliothek<br />
abspielt. Bei vielen gibt es noch das veraltete<br />
Bild aus der Jugendzeit. Sie denken, das<br />
Internet habe die Bibliotheken abgelöst, und<br />
wissen nicht, dass es die Bibliotheken sind, die<br />
viele Daten und Materialien im Internet zur<br />
Verfügung stellen. Durch die modernen Biblio-<br />
Heinrich Heine digital<br />
Claudia Lux will den Bibliotheken mehr Prestige verschaffen<br />
theken wird das Internet für viele Nutzer erst<br />
zugänglich.<br />
Darum ist es jetzt mein Ziel – gerade auch als<br />
Präsidentin des Weltverbandes – das Thema Bibliotheken<br />
in der Politik auf die Tagesordnung<br />
zu setzen. Schließlich spielen Bibliotheken eine<br />
ganz zentrale Rolle in der Bildung für Schüler<br />
und Erwachsene und darüber hinaus in vielen<br />
Bereichen der Gesellschaft, etwa bei der Integration<br />
von Migranten und Minderheiten. Aber<br />
auch für die Wirtschaft, für kleine und mittlere<br />
Unternehmen ist die Bibliothek eine wichtige<br />
Informationsquelle. Bibliotheken gehören zu<br />
den besonders häufig genutzten kulturellen<br />
Einrichtungen einer Stadt. Das alles müssen<br />
wir viel deutlicher machen und ein neues Bild<br />
von der Bibliothek heute präsentieren.<br />
Brauchen wir ein Bibliotheksgesetz, das<br />
den Betrieb einer Bibliothek zur Pflichtaufgabe<br />
für die Gemeinde macht?<br />
Ja, das brauchen wir unbedingt. Dann können<br />
die Haushälter in einer Kommune nicht einfach<br />
sagen: Die Bibliothek ist keine gesetzliche<br />
Foto: wikipedia / Sächsischen Landesbibliothek Dresden<br />
Aufgabe, und deshalb fördern wir sie nicht<br />
weiter. Das würde die Geldgeber stärker in die<br />
Pflicht nehmen und die öffentliche Aufgabe<br />
der Bibliothek in den Blick rücken. Es müsste<br />
ganz selbstverständlich sein, dass man bei<br />
jeder Planung – auch außerhalb des engeren<br />
Bildungsbereiches – fragt: Welche Rolle kann<br />
dabei unsere Bibliothek spielen? In Skandinavien<br />
oder den USA ist das so.<br />
Ein Beispiel: Wenn Internet-Plätze für die Bürger<br />
eingerichtet werden, macht man das automatisch<br />
in der Post, weil man denkt, die seien<br />
für Kommunikation zuständig. Diese Geräte<br />
werden bei der Post vielleicht technisch betreut,<br />
jedoch bestimmt nicht inhaltlich. Die Bibliothekare<br />
aber wissen, wie man Inhalte erschließt.<br />
Also wären solche Geräte in Bibliotheken viel<br />
besser aufgehoben.<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
Foto: Zentral- und Landesbibliothek Berlin
Präsentieren sich Bibliotheken zu oft als<br />
kulturelle Spielwiese und zu wenig als bildungspolitisches<br />
Instrument?<br />
In Deutschland werden Bildung und Spaß oft<br />
als verschiedene Bereiche angesehen – die<br />
alte Trennung von „E“ und „U“, von Ernst und<br />
Unterhaltung. Bibliotheken haben das schon<br />
immer zusammengebracht. Das ist unsere Stärke.<br />
Richtig aber ist, dass die Bibliotheken noch<br />
nicht genügend genutzt werden, um Bildungsziele<br />
zu erreichen.<br />
Ich denke da an die Ergebnisse der internationalen<br />
Pisa-Studie, die den deutschen Schülern<br />
ein schlechtes Zeugnis bei ihren Leseleistungen<br />
ausstellt. Da wird nun nach den Schulen gerufen,<br />
aber auch die Bibliotheken können einen<br />
Beitrag leisten, das Lesevermögen zu steigern<br />
– und das kann sogar Spaß machen.<br />
Sind die Bibliotheken für das digitale Zeitalter<br />
gerüstet?<br />
Wir haben das in unseren Häusern schon vollzogen.<br />
Wir recherchieren in Datenbanken, haben<br />
elektronische Kataloge, die Bibliothekare<br />
sind geschult in Recherchen im Internet und<br />
können Informationskompetenz auch vermitteln.<br />
Damit sind wir ein Stück weiter als der<br />
Rest der Gesellschaft.<br />
Herrin der Bücher<br />
Claudia Lux, geboren 1950 in Gladbeck,<br />
studierte in Bochum, Berlin und den USA<br />
sowie als <strong>DAAD</strong>-Stipendiatin 1974 bis 1976<br />
in China. Nach dem Diplom in Sozialwissenschaften<br />
und der Promotion in Sinologie<br />
begann sie ihre Ausbildung zum Höheren<br />
Bibliotheksdienst an der Staatsbibliothek in<br />
Berlin und arbeitete dort als Fachreferentin<br />
für Sinologie. Sie wurde Direktorin der<br />
Senatsbibliothek und 1997 Generaldirektorin<br />
der Zentral- und Landesbibliothek Berlin. Die<br />
Vereinigung der geteilten Berliner Stadtbibliotheken<br />
nach dem Mauerfall zählt sie heute zu<br />
ihren größten beruflichen Erfolgen.<br />
Seit 2006 ist Claudia Lux Honorarprofessorin<br />
am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaften<br />
der Humboldt-Universität. Sie<br />
war Vorsitzende des Deutschen Bibliotheksverbandes,<br />
bevor sie im August 2007 ihr Amt<br />
als Präsidentin des Weltverbandes der Bibliotheken<br />
(IFLA) antrat. Die Frankfurter Allgemeine<br />
Zeitung bezeichnet Lux als „Cheflobbyistin<br />
weltweit für die Interessen der Bibliotheken“.<br />
ors<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
Droht die „digitale Spaltung“ in der Gesellschaft<br />
zwischen Nutzern und Nicht-Nutzern<br />
der neuen Medien?<br />
Ja – und nicht nur global, sondern auch innerhalb<br />
Europas. Sogar innerhalb der Städte.<br />
Wer keinen Zugang hat, sei es materiell oder<br />
vom Wissen her, ist diskriminiert. Es gehört zu<br />
den Aufgaben der Bibliotheken, den Zugang<br />
zu digitalen Informationen kostenlos zur Verfügung<br />
zu stellen und auch Hilfestellung beim<br />
Umgang damit zu leisten. Dabei geht es nicht<br />
nur um Bildung, sondern auch um demokratische<br />
Rechte. Man denke an den „digitalen<br />
Staat“, an Formulare über das Netz. An dieser<br />
Arbeit beteiligen wir uns täglich.<br />
Aber wir müssen auch den Veränderungen in<br />
der Gesellschaft Rechnung tragen. Früher war<br />
es das höchste Ziel, ein eigenes Arbeits- oder<br />
Studierzimmer zu haben. Heute arbeitet die<br />
mobile Gesellschaft gern mit ihren Laptops in<br />
öffentlichen Räumen. Wir müssen attraktive<br />
Räumlichkeiten zur Verfügung stellen, in denen<br />
man sich ungezwungen aufhalten kann<br />
und nicht konsumieren muss. Wenn wir sehen,<br />
wie solche Bibliotheksräume in Singapur oder<br />
Skandinavien aussehen – nämlich sehr sicher,<br />
sehr großzügig und mit langen Öffnungszeiten<br />
–, dann haben wir in Deutschland noch<br />
einen langen Weg vor uns.<br />
Welche Eigenschaften braucht ein<br />
Bibliothekar?<br />
Man muss sehr gut strukturiert denken und<br />
kreativ arbeiten können. Und ohne Freude an<br />
der digitalen Welt geht es heute auf keinen<br />
Fall. Es geht um digitale Langzeitspeicherung,<br />
um große Datenbanken. Aber es geht auch um<br />
neue Herausforderungen beim Umgang mit<br />
den traditionellen Medien, man denke nur an<br />
den durch Säure hervorgerufenen Zerfall von<br />
Büchern. Und eigentlich verwalten wir ja nicht<br />
nur die Formate, sondern die Inhalte. Das unterscheidet<br />
uns von den Telekommunikations-<br />
Leuten.<br />
Hat das gute alte Buch denn auch noch<br />
seine Stärken?<br />
Ja, denn viele Menschen können sehr leicht<br />
damit umgehen, und es kann an jedem Ort<br />
benutzt werden. Aber ich würde das nicht<br />
überstrapazieren. Denn auch auf meinem Laptop<br />
kann ich jederzeit und überall in Texten<br />
blättern, auch am Strand. Bücher kann man<br />
Foto: Stadt- und Landesbibliothek Dortmund<br />
Wissenschaft<br />
auch am Bildschirm lesen. Man sieht ja auch<br />
schon, dass junge Leute anders lesen: nicht<br />
mehr linear, sondern ganze Textblöcke bildmäßig<br />
erfassend.<br />
Welches ist denn Ihr Lieblingsbuch?<br />
Heinrich Heine, Das Buch der Lieder.<br />
Und das lesen Sie am liebsten auf dem<br />
Bildschirm?<br />
Ich muss zugeben, da setze ich mich gern in<br />
einen Sessel und nehme das Buch zur Hand.<br />
Dazu gibt es einen Kaffee. Und ich sammele<br />
auch schön gestaltete und illustrierte Ausgaben<br />
dieses Buches. Die Anmerkungen und<br />
Kommentare – das ist freilich eine gute Idee –<br />
könnte man dann nebenan auf dem Bildschirm<br />
lesen. So ist es heute in den Bibliotheken – es<br />
existiert beides nebeneinander, man muss nur<br />
die richtige Nutzung finden.<br />
Die Fragen stellte Horst Willi Schors<br />
Digitale Bibliothek an öffentlichen<br />
Internet-PCs<br />
17
18<br />
Foto: picture-alliance/ZB<br />
Ortstermin<br />
Buch-Stadt und<br />
Bio-City<br />
Leipzig verknüpft Kulturtradition<br />
mit Zukunftstechnologien<br />
Bach und Lessing haben hier gewirkt, Musik<br />
und Literatur sind in Leipzig zu Hause.<br />
Doch nicht nur an diese berühmte<br />
Tradition knüpft die Stadt heute an. Beim<br />
Aufbruch zum modernen Wissenschaftsstandort<br />
geht sie neue Wege.<br />
Eine gewaltige Baugrube im Herzen Leipzigs<br />
zeugt von Aufbau und Neubeginn.<br />
Hier, am Augustusplatz neben Gewandhaus<br />
und Oper, entsteht der innerstädtische Campus<br />
der Universität Leipzig. Alte Gebäude werden<br />
saniert und umgebaut, neue Institutsgebäude,<br />
eine Mensa und eine Aula errichtet. Die veranschlagten<br />
140 Millionen Euro werden vermutlich<br />
nicht ausreichen. Bis zum Jubiläumsjahr<br />
2009 – dann wird die Uni 600 Jahre alt – soll<br />
alles fertig sein. Dann schlägt das moderne,<br />
an den Orten und Grundrissen der alten Uni<br />
orientierte Herz der Leipziger Forschung und<br />
Lehre mitten in der Stadt mit rund 30 000 Studenten<br />
und 500 Professoren.<br />
Die Geschichte ist ein bestimmendes Element<br />
in der Leipziger Wissenschafts- und<br />
Hochschullandschaft. Natürlich ist man stolz<br />
auf 600 Jahre kontinuierlichen Universitätsbetrieb,<br />
auf berühmte Lehrende wie Werner<br />
Heisenberg und Gotthold Ephraim Lessing,<br />
prominente Alumni wie Gottfried Wilhelm<br />
Leibniz, Richard Wagner und die heutige Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel. Die Geschichte<br />
der Leipziger Uni ist aber auch eine Geschichte<br />
der Diskontinuitäten: Die Umwandlung zur<br />
Karl-Marx-Universität im DDR-Staat und die<br />
Neuorientierung nach dem Wendejahr 1989<br />
haben tiefe Einschnitte hinterlassen.<br />
Zeit des Umbruchs<br />
Das betrifft nicht nur die Universität. Die<br />
Fachhochschule (heute 6200 Studenten) wurde<br />
1992 unter dem Namen „Hochschule für<br />
Technik, Wirtschaft und Kultur“ neu gegründet<br />
und löste eine Reihe von bestehenden<br />
Hochschulen und Fachschulen ab. Die „Deutsche<br />
Hochschule für Körperkultur und Sport“,<br />
jahrzehntelang ein Garant für DDR-Erfolge im<br />
Leistungssport, die Verwicklung in Doping-<br />
Praktiken inbegriffen, wurde 1993 aufgelöst.<br />
Ähnlich erging es dem „Literaturinstitut Johannes<br />
R. Becher“, das eine Erziehung von<br />
Schriftstellern im Sinne des sozialistischen<br />
In der Hochschule für Grafik und Buchkunst:<br />
Installation von Mario Röhling mit Büchern<br />
aus der hauseigenen Bibliothek<br />
Realismus leisten sollte. 1995 wurde es – unter<br />
veränderten Vorzeichen als „Deutsches<br />
Literaturinstitut“ – neu gegründet und bietet<br />
heute einen Bachelor-Studiengang „Literarisches<br />
Schreiben“.<br />
So wurden die 90er Jahre eine Zeit des Umbruchs<br />
und der Neuorientierung – mit allen<br />
Chancen und Risiken. Neu in die Stadt kamen<br />
unter anderem die Fachhochschule der Deutschen<br />
Telekom (1991), später die Leibniz-Institute<br />
für Troposphärenforschung, Oberflächenmodifizierung<br />
und Länderkunde (alle 1992)<br />
sowie die Max-Planck-Institute für evolutionäre<br />
Anthropologie (1997) und Mathematik in<br />
den Naturwissenschaften (1996).<br />
Mit dem „Max-Planck-Institut für Kognitions-<br />
und Neurowissenschaften“ etablierte sich<br />
ein ganz besonders zukunftsträchtiger und<br />
öffentlichkeitswirksamer Forschungszweig<br />
in Leipzig. Mit moderner Messtechnik, wie<br />
etwa der Kernspintomographie, werden hier<br />
die Reaktionen im Hirn auf Reize gemessen<br />
und eine naturwissenschaftliche Antwort auf<br />
die klassische philosophische Frage nach dem<br />
Vorgang und dem Ort des Denkens gesucht.<br />
Das Thema hat Tradition in Leipzig: 1927<br />
Hochschule und Forschung in Leipzig<br />
Universität Leipzig www.uni-leipzig.de<br />
Handelshochschule Leipzig (HHL) www.hhl.de<br />
Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur<br />
www.htwk-leipzig.de<br />
Hochschule für Grafik und Buchkunst<br />
www.hgb-leipzig.de<br />
Hochschule für Musik und Theater<br />
„Felix Mendelssohn Bartholdy“ www.hmt-leipzig.de<br />
Fachhochschule der Deutschen Telekom AG<br />
www.fh-telekom-leipzig.de<br />
Bio City Leipzig www.bio-city-leipzig.de<br />
Forschungsinstitut für Informations-Technologien<br />
www.fit-leipzig.de<br />
Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und<br />
Immunologie www.izi.fraunhofer.de<br />
Fraunhofer-Institut für Mittel- und Osteuropa<br />
www.moez.fraunhofer.de<br />
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung<br />
www.ufz.de<br />
Leibniz-Institut für Oberflächenmodifizierung<br />
www.iom-leipzig.de<br />
Leibniz-Institut für Länderkunde www.ifl-leipzig.de<br />
Leibniz-Institut für Troposphärenforschung<br />
www.tropos.de<br />
Max-Planck-Institut für Mathematik in den<br />
Naturwissenschaften www.mis.mpg.de<br />
Max-Planck-Institut für Kognitions- und<br />
Neurowissenschaften www.cbs.mpg.de<br />
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie<br />
www.eva.mpg.de<br />
Simon-Dubnow-Institut für Jüdische Geschichte<br />
und Kultur www.dubnow.de<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07
Abb.: Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften<br />
entstand hier der erste Lehrstuhl für Hirnforschung.<br />
Der Ausbau des Instituts ist noch in<br />
vollem Gange, 2008 sollen dort mehr als 220<br />
Mitarbeiter beschäftigt sein.<br />
Biomedizin und mehr<br />
In Leipzig bemühte man sich zudem schon<br />
frühzeitig um das, was heute als ein Königsweg<br />
in den angewandten Wissenschaften gilt:<br />
die enge – auch räumliche – Verzahnung von<br />
Wissenschaft und High-tech-Industrie. Das<br />
Schlüsselwort lautet: „Bio-City“. 2003 eröffnet,<br />
sind dort Institute der Universität (sie nehmen<br />
etwa 40 Prozent der Betriebsfläche von rund<br />
20 000 Quadratmetern ein) und rund zwanzig<br />
kleine und mittlere Unternehmen angesiedelt.<br />
Die Stadt Leipzig koordiniert.<br />
Rings um diesen harten Kern biomedizinischer<br />
Forschung haben sich das neue Klinikum,<br />
das Max-Planck-Institut für evolutionäre<br />
Anthropologie und das Fraunhofer-Institut<br />
für Zelltherapie und Immunologie mit dem<br />
Schwerpunkt regenerative Medizin angesiedelt.<br />
Erst vor wenigen Wochen fand dort der<br />
Weltkongress für regenerative Medizin statt.<br />
„Das Projekt funktioniert“, sagt Ulrich Brieler,<br />
Mitarbeiter des Leipziger Oberbürgermeisters,<br />
„die Bio-City entwickelt einen regelrechten<br />
Sog.“<br />
Durchgesetzt hat sich Leipzig auch beim<br />
Wettbewerb um die Entwicklung einer anderen<br />
zukunftsträchtigen Technologie: Kraftstoff<br />
aus Biomasse. Bis zu 100 Wissenschaftler sollen<br />
dort einmal tätig sein. Nicht zuletzt das<br />
Helmholtz-Institut für Umweltforschung, das<br />
seit 1991 in Leipzig angesiedelt ist, galt den<br />
Entscheidern als Standortvorteil für Leipzig.<br />
Buchmesse und Bach<br />
Eine große, über Jahrhunderte reichende<br />
Tradition hat Leipzig als Buch-Stadt. Das ehemalige<br />
Uni-Gebäude auf dem Augustusplatz,<br />
ein Hochhaus in Form eines aufgeschlagenen<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
Buches, erinnert daran, dass<br />
die einst weltweit führende<br />
Leipziger Buchmesse, die<br />
reiche Verlagslandschaft im<br />
grafischen Viertel und die<br />
Deutsche Nationalbibliothek<br />
(heute zum Leidwesen<br />
der Leipziger nur noch eine<br />
Zweigstelle der Frankfurter Zentrale) der Kern<br />
der damaligen Wissens-Industrie waren. Geblieben<br />
ist davon vor allem die renommierte<br />
„Hochschule für Grafik und Buchkunst“,<br />
1764 gegründet, mit heute mehr als 500 Studenten.<br />
Eine ehrwürdige Tradition hat auch die Musik<br />
in Leipzig, für die nicht nur die Namen<br />
des Komponisten Johann Sebastian Bach und<br />
seiner Söhne stehen, die im 18. Jahrhundert<br />
von Leipzig aus die musikalische Welt ungemein<br />
befruchtet haben. Die renommierte<br />
Hochschule für Musik wurde 1843 von dem<br />
Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy<br />
gegründet, der prägende Jahre in der damals<br />
schon berühmten Musikstadt verbrachte. Sie<br />
ist die älteste Musikhochschule Deutschlands.<br />
ABSTrACT<br />
Leipzig, the home of the second-oldest university<br />
in Germany, is a city steeped in history and<br />
teeming with famous names. After the German<br />
unification in 1989, the city’s academic and<br />
scientific institutions were thoroughly reorganized.<br />
Since then, Leipzig has been burgeoning.<br />
The most obvious sign of growth is the huge<br />
building site in the city centre, where the University<br />
will rise anew in 2009 — its 600 th year.<br />
The new Leipzig “Bio City” is a medical and<br />
biological research cluster in which businesses<br />
and research institutes work closely together.<br />
Forschung am Gehirn: Max-Planck-Forscher<br />
in Leipzig messen mit modernsten Methoden<br />
Ortstermin<br />
Gesänge von Bach:<br />
Der Leipziger Thomanerchor probt in der Thomaskirche 2006<br />
Leipzig vereint viele solcher Einrichtungen<br />
auf engstem Raum, umgeben von einer attraktiven,<br />
mit kulturellen Großeinrichtungen<br />
gespickten Innenstadt. Bibliotheken, Galerien,<br />
Theater- und Konzerthäuser, mehr als ein Dutzend<br />
hochkarätiger Forschungseinrichtungen<br />
sowie sechs Hochschulen – zum Teil in den<br />
alten, im Zentrum angesiedelten Häusern der<br />
ehemaligen Leipziger Messe untergebracht –<br />
schaffen überraschende Verbindungen. „Gerade<br />
diese räumliche Dichte ermöglicht enorme<br />
Chancen der Kooperation“, sagt Ulrich Brieler.<br />
Man wolle die Qualität und Breite der wissenschaftlichen<br />
Bildungsmöglichkeiten zum Markenzeichen<br />
machen. Man könnte es auch kürzer<br />
sagen: Synergie durch räumliche Nähe.<br />
Horst Willi Schors<br />
Leipzig, City of Literature and Life Sciences<br />
Applied environmental science is another new<br />
focus area: in the coming year, the German<br />
biomass research centre will go into operation.<br />
Leipzig’s rich history as a city of music and publishing<br />
is still apparent today in the Academy<br />
of Visual Arts and the Felix Mendelssohn Bartholdy<br />
University of Music and Theatre. The city<br />
is developing a brand — Wissenschaftsstandort<br />
Leipzig — to represent its dense constellation of<br />
universities, top-flight research facilities and<br />
historic, highly prized cultural institutions.<br />
ors<br />
Foto: picture-alliance/dpa<br />
19
20<br />
Europa<br />
Wer versteht schon Lëtzebuergesch?<br />
Europa spricht viele Sprachen<br />
In mindestens zwei Fremdsprachen soll<br />
jeder Bürger der Europäischen Union fit<br />
sein. Dieses Klassenziel hat die Europäische<br />
Kommission ihren Bürgern gesetzt.<br />
Hochschulen können die ehrgeizigen Pläne<br />
unterstützen.<br />
Fast alle Luxemburger sprechen<br />
zwei, viele sogar drei<br />
oder vier Sprachen, die meisten<br />
Briten dagegen nur eine<br />
Sprache, nämlich Englisch. Das<br />
hat einen einfachen Grund:<br />
Auf Englisch kann man sich<br />
überall verständigen – aber<br />
wer versteht schon Lëtzebuergesch,<br />
die luxemburgische<br />
Nationalsprache? „Dieses Beispiel<br />
zeigt, dass Sprachenlernen<br />
zuallererst eine Frage der<br />
Motivation ist“, erklärt Wolfgang<br />
Mackiewicz. Der Leiter<br />
des Sprachenzentrums der<br />
Freien Universität Berlin war<br />
bis Oktober Vorsitzender einer<br />
von der Europäischen Kommission<br />
eingesetzten Expertengruppe,<br />
die sich mit dem<br />
Thema „Mehrsprachigkeit“ in<br />
der Europäischen Union (EU)<br />
befasste. Der Auftrag an die<br />
elf Spezialisten lautete: „neue<br />
Impulse und Ideen“ für mehr<br />
Sprachenkompetenz der EU-Bürger.<br />
Neben 23 Amtssprachen existieren in den<br />
27 Mitgliedstaaten der EU 60 Regional- und<br />
Minderheitensprachen, zum Beispiel Sorbisch<br />
in Deutschland, Walisisch in Großbritannien<br />
oder Rätoromanisch in Italien. In einer Umfrage<br />
von Eurobarometer gab 2005 die Hälfte<br />
der Interviewten an, neben der Muttersprache<br />
noch eine weitere Sprache zu beherrschen –<br />
und zwar auf einem Niveau, auf dem eine Unterhaltung<br />
möglich ist. In zwei Fremdsprachen<br />
können sich gut ein Viertel der EU-Bürger verständigen<br />
(Befragung 2000).<br />
Das ist den europäischen Staats- und Regierungschefs<br />
zu wenig. Auf ihrem Gipfeltreffen<br />
2002 in Barcelona einigten sie sich darauf,<br />
dass alle EU-Bürger von Kindheit an mindestens<br />
zwei Fremdsprachen lernen sollen.<br />
„Innerhalb von wenigen Jahren lässt sich<br />
das nicht realisieren, aber es war wichtig,<br />
ein gemeinsames Ziel zu verabreden“, meint<br />
Wolfgang Mackiewicz. Um die Bürger stärker<br />
als bisher zu motivieren, Fremdsprachen zu<br />
lernen, empfiehlt die Expertengruppe, Sprachenlernen<br />
zu einer Freizeitbeschäftigung<br />
für alle Altersgruppen zu machen. Vor allem<br />
die Medien spielen dabei eine äußerst wichtige<br />
Rolle: Fernsehfilme in Originalsprache<br />
mit Untertiteln oder Fernsehsendungen, die<br />
Unterhaltung und Sprachenlernen miteinander<br />
verbinden, sind wichtige Impulsgeber für<br />
die lebenslange Beschäftigung mit Sprachen.<br />
Darüber hinaus setzt sich die Gruppe dafür<br />
ein, die Forschung zum Thema Mehrsprachigkeit<br />
voranzutreiben und die sprachlichen und<br />
kulturellen Fähigkeiten von Migranten zu<br />
nutzen, sei es im Schulunterricht oder in der<br />
Wirtschaft.<br />
Entscheidend sind auch die Lehrpläne an den<br />
Hochschulen. „An der Freien Universität ist<br />
die Sprachausbildung in alle Studiengänge<br />
integriert. Wer eine Sprache lernt, kann seine<br />
Leistungspunkte in jedem Fach anrechnen<br />
lassen. Das spornt zusätzlich an“, erklärt Englischprofessor<br />
Mackiewicz. Einige deutsche<br />
Hochschulen geben Sprachen ein ähnliches<br />
Gewicht, nach Ansicht von Mackiewicz könnte<br />
es überall so sein.<br />
Deutsch bleibt wichtig<br />
Seit Januar 2007 hat die Europäische Union<br />
nun einen eigenen Kommissar für Mehrsprachigkeit:<br />
den Rumänen Leonard Orban. Er<br />
sagt: „Wir wollen, dass EU-Bürgerinnen und<br />
-Bürger in allen europäischen Ländern problemlos<br />
Arbeitsangebote wahrnehmen oder<br />
ein Studium aufnehmen können.“ Im November<br />
traf sich der Kommissar mit europäischen<br />
Alles eine Frage der Motivation: Mit Fremdsprachen kommt man weiter<br />
Spitzenmanagern in Lissabon, um über ihren<br />
Part bei der Ausbildung mehrsprachiger Arbeitnehmer<br />
zu diskutieren. Denn längst ist<br />
klar: Mangelnde Fremdsprachenkenntnisse<br />
führen zu Geschäftsverlusten. Firmen, die<br />
dagegen eine mehrsprachige Kommunikation<br />
strategisch nutzen, können ihren Exportumsatz<br />
steigern. Dabei nimmt die Nachfrage nach<br />
anderen Sprachen als Englisch zu. Dies bestätigten<br />
Unternehmer in einer Untersuchung<br />
und sagten, sie müssten sich künftig näher<br />
mit Deutsch und Französisch beschäftigen.<br />
Katja Spross<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
Abb.: <strong>DAAD</strong>
NACHrICHTEN<br />
Kroatien<br />
Wirklich europäisch<br />
Im Bildungsbereich wächst Europa<br />
manchmal schneller zusammen<br />
als auf der offiziellen politischen<br />
Ebene. Ende September startete in<br />
der kroatischen Hauptstadt Zagreb<br />
das Zentrum für Europäische Bildung,<br />
eine Gründung der Universitäten<br />
Zagreb und Münster. Das<br />
Zentrum bietet den einjährigen<br />
Masterstudiengang „Management<br />
und Beratung für europäische<br />
Bildung“, der eine Präsenzphase<br />
an beiden Universitäten und eine<br />
E-Learning-Phase am Heimatort<br />
der Studierenden umfasst. Andere<br />
Fortbildungsangebote, Symposien<br />
und Vorträge drehen sich um die<br />
Themen Bildungspolitik und Bildungsreformen<br />
in Europa, Schul-<br />
und Hochschulentwicklung sowie<br />
Sprachenpolitik.<br />
Bei der Eröffnung sprach Bundesbildungsministerin<br />
Annette<br />
Schavan von einem „wirklich europäischen<br />
Projekt“. Das Zentrum<br />
für Europäische Bildung werde<br />
dazu beitragen, das europäische<br />
Bewusstsein zu schärfen. In den<br />
kommenden drei Jahren wird das<br />
Zentrum von der EU finanziert<br />
und zwar über das Projekt „Lernen<br />
für Europa“ (TEMPUS-Programm).<br />
Daran beteiligt sind zwölf Universitäten<br />
aus zehn west- und südosteuropäischen<br />
Ländern – unter<br />
anderem auch aus der Türkei.<br />
TEMPUS<br />
Deutschland mit<br />
Abstand vorn<br />
Das EU-Förderprogramm TEMPUS<br />
für die Hochschulzusammenarbeit<br />
mit Osteuropa, Zentralasien,<br />
Südosteuropa und Nordafrika ist<br />
hierzulande beliebt: Seit dem Jahr<br />
2000 sind deutsche Hochschulen<br />
im EU-Vergleich an den meisten<br />
Projekten beteiligt, 2007 lagen sie<br />
sogar mit Abstand vorn und warben<br />
rund 15 Millionen Euro ein.<br />
„Die deutschen Hochschulen engagieren<br />
sich aus Überzeugung.<br />
Sie entwickeln die Curricula mit<br />
den Partnerhochschulen weiter,<br />
fördern den akademischen Aus-<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
tausch und die interkulturelle<br />
Zusammenarbeit. Damit vertiefen<br />
sie auch ihre eigene internationale<br />
Vernetzung, was einen Imagegewinn<br />
für sie bedeutet“, erklärt<br />
Angelika Sachsenröder, Leiterin<br />
der nationalen TEMPUS-Kontaktstelle<br />
im <strong>DAAD</strong>.<br />
TEMPUS unterstützte seit dem<br />
Fall des Eisernen Vorhangs 1990<br />
den Reformprozess der mittel- und<br />
osteuropäischen Hochschulen<br />
und Gesellschaften in Richtung<br />
Marktwirtschaft und<br />
Demokratisierung. Viele der<br />
anfangs geförderten Länder<br />
sind inzwischen selbst EU-<br />
Mitglieder. Die EU verlängerte<br />
TEMPUS und veränderte die<br />
Zielregionen: Neue Unabhängige<br />
Staaten (NUS), Mongolei,<br />
westliche Balkanländer<br />
und ab 2002 südliche Mittelmeeranrainer.<br />
Seit 2007 zählt<br />
Israel zu den förderungswürdigen<br />
Ländern.<br />
Über den Atlantik hinweg:<br />
Europa und USA bieten<br />
Doppelabschlüsse<br />
Foto: picture-alliance/Bildagentur Huber<br />
Foto: picture-alliance/dpa<br />
Bildung<br />
Transatlantischer Austausch<br />
Ein Jahr nach Unterzeichung des<br />
neuen achtjährigen Bildungsabkommens<br />
zwischen der Europäischen<br />
Union und den Vereinigten<br />
Staaten (2006 – 2013) gaben<br />
beide Partner das Startsignal für<br />
14 transatlantische Kooperationsprojekte,<br />
darunter acht Studiengänge<br />
mit Doppelabschluss. Dazu<br />
Symbolträchtig:<br />
Kroatiens Regierung flaggt Europa<br />
Europa<br />
zählen das Bachelor-Studium in<br />
Geowissenschaften der Universitäten<br />
Potsdam und Montana und<br />
das Bachelor-Studium in Ingenieurwissenschaften,<br />
gemeinsam<br />
angeboten von der Universität des<br />
Saarlands und der Oregon State<br />
University. Die EU stellt 3,8 Millionen<br />
Euro für alle Projekte bereit<br />
– denselben Betrag wie die USA.<br />
Der Austausch von Studierenden,<br />
die gemeinsame Lehrplanentwicklung<br />
und die Zusammenarbeit<br />
bei Studien sollen die<br />
transatlantische Zusammenarbeit<br />
festigen. „Das Programm Atlantis<br />
fördert das gegenseitige Verständnis<br />
der EU- und US-Bürger.<br />
Europäische und amerikanische<br />
Studierende erhalten Gelegenheit,<br />
ein bis drei Semester auf der anderen<br />
Seite des Atlantiks zu verbringen<br />
– bei uneingeschränkter<br />
akademischer Anerkennung ihrer<br />
Leistungsnachweise“, erklärte<br />
EU-Bildungskommissar Ján Figel<br />
zum Start der 14 neuen Projekte.<br />
Seit dem Beginn von Atlantis 1995<br />
haben über 4 000 Studierende an<br />
einem Austausch teilgenommen.<br />
Katja Spross<br />
21
22<br />
Fotos: privat<br />
Arbeiten weltweit<br />
Aufbruchstimmung setzt Kräfte frei<br />
Unternehmerin und Umweltberaterin – Pionierarbeit in Lettland<br />
Sabine Betz (links)<br />
und Heidrun Fammler<br />
Lettland: Seit 1991 ist das baltische Land<br />
an der Ostsee unabhängig. Mit der „singenden“<br />
Revolution lösten sich die Letten<br />
nach 46 Jahren von der Sowjetunion.<br />
Der historische Umbruch eröffnete neue<br />
Chancen: Heidrun Fammler und Sabine<br />
Betz gingen nach Riga und verwirklichten<br />
dort ihre Ideen.<br />
ch galt Mitte der 80er Jahre als schwer ver-<br />
„Imittelbare Akademikerin, meine Fächer<br />
Germanistik, Soziologie und Kunstgeschichte<br />
waren nicht sehr gefragt“, erinnert sich Sabine<br />
Betz an ihre Zeit nach dem Studium in<br />
Münster. Heute ist sie Chefin von 24 Mitarbeitern<br />
in Riga und importiert Türbeschläge<br />
und Klinken aus Deutschland. Ein weiter Weg?<br />
Sabine Betz’ Beziehung zu Lettland hat lange<br />
Tradition: Sie ist Halblettin und besuchte das<br />
lettische Gymnasium in Münster. Ein Vorteil,<br />
den damals noch keiner erkannte: „Mit Lettisch<br />
kann man doch kein Geld verdienen,<br />
bekam ich oft zu hören. Außerdem hielt jeder<br />
Anfang der 80er Jahre die Unabhängigkeit für<br />
unwahrscheinlich.“<br />
Ende der 80er Jahre passierte das, womit<br />
niemand gerechnet hatte: Im August 1989 bildeten<br />
Esten, Letten und Litauer eine mehrere<br />
hundert Kilometer lange Menschenkette von<br />
Tallinn über Riga bis Vilnius, Anfang 1991 errichteten<br />
die Rigenser Barrikaden, sangen baltische<br />
Lieder, und die „singende Revolution“<br />
siegte im August 1991 – die drei baltischen<br />
Staaten erklärten ihre Unabhängigkeit.<br />
Riga: Die Hansestadt<br />
ist die größte Metropole<br />
des Baltikums …<br />
Die Software-Firma, in der Sabine<br />
Betz arbeitete, gehörte Exilletten,<br />
die mit Programmierern in der alten<br />
Heimat via Standleitung Projekte<br />
in Deutschland abwickelten. Die<br />
Zusammenarbeit lief gut, und der<br />
jungen Frau wurde das Einmalige der Situation<br />
bewusst: „Der Zeitpunkt ist so günstig,<br />
ich möchte dabei sein“, entschied sie und<br />
wanderte mit ihrem sieben Monate alten Sohn<br />
nach Riga aus. „Es gab überall Marktlücken,<br />
die komplette Wirtschaft stellte sich um, und<br />
ich war mittendrin“, sagt sie noch heute voller<br />
Begeisterung. Wahrscheinlich sei es ihr Vorteil<br />
gewesen, dass sie keine speziellen Branchenkenntnisse<br />
hatte und neugierig den Markt<br />
beob achtete. „Irgendwann kam die Anfrage, ob<br />
ich 5 000 Stück einer Türklinke in Deutschland<br />
besorgen könnte, und danach ging es weiter“,<br />
beschreibt Sabine Betz ihren Weg zur Fachfrau<br />
und mittelständischen Unternehmerin. 1994<br />
gründete sie die Firma „SB un Partneri SIA,<br />
Großhandel für Baubeschläge“, im letzten Jahr<br />
erwirtschaftete sie 1,8 Millionen Euro.<br />
Kapitalismus neu erfinden<br />
Ihre westliche Herkunft kam der jungen Unternehmerin<br />
zugute. „Die Kunden haben mir<br />
meine Expertise geglaubt, ich kam aus dem<br />
Westen, also musste ich es wissen.“ Tatsächlich<br />
war sie ihren Kunden immer nur um ein paar<br />
Schritte voraus, paukte Fachvokabular und besuchte<br />
alle Messen. Sabine Betz musste sich<br />
zügeln, nicht immer Vergleiche mit dem Westen<br />
zu ziehen. „Ich konnte meinen Mitarbeitern<br />
nicht ständig deutsche Lösungsvorschläge<br />
präsentieren. Wir mussten alles neu erfinden,<br />
denn der Kapitalismus existierte hier nicht.“<br />
Für die heute 49-Jährige ist ein Traum in Erfüllung<br />
gegangen. „Ich habe mich hier verwirklicht.<br />
In Deutschland hätte ich diesen Mut nicht<br />
gehabt.“ Um ihre Firma weiterhin erfolgreich<br />
führen zu können, muss die Unternehmerin<br />
immer wieder lernen, lettische Eigenheiten zu<br />
respektieren. Offene Kommunikation ist eher<br />
selten und das Diskutieren von Problemen mit<br />
Vorgesetzten unüblich. „Mir sind die Letten<br />
zu freundlich, ich wünsche mir ein bisschen<br />
mehr Konfliktbereitschaft.“<br />
Europa konkret<br />
„Zurückhaltend nordisch, vorsichtig sozialistisch“<br />
– so beschreibt Heidrun Fammler<br />
ihre Kooperationspartner in Lettland. Sie ist<br />
Präsidentin des Netzwerks „Baltic Environmental<br />
Forum“ und organisiert Seminare und<br />
Kongresse zu Umweltthemen. Als Reiseleiterin<br />
kam die Historikerin zunächst nach Riga,<br />
sie hatte Russisch studiert und interessierte<br />
sich schon früh für Umweltthemen. Deshalb<br />
bewarb sie sich 1995 erfolgreich auf eine Stelle<br />
als Projektleiterin in Riga. „Ich kannte die Bedingungen<br />
der Sowjetzeit, und nun sollte ich<br />
in allen drei unabhängigen baltischen Staaten<br />
Seminare zur europäischen Umweltpolitik<br />
halten.“<br />
Hinter der abstrakt klingenden Aufgabe<br />
verbargen sich konkrete Probleme: Die drei<br />
Länder hatten zwar die „Environmental action<br />
plans“ der OECD unterschrieben und finanzierten<br />
ein gemeinsames Büro in Riga – die<br />
Umsetzung war jedoch allen Akteuren unklar.<br />
Heidrun Fammler vermittelte zunächst mit<br />
nur einer Mitarbeiterin Beamten aus Umweltministerien<br />
und Verwaltungen Bewusstsein<br />
für umweltpolitische Themen und lotete mögliche<br />
Kooperationen aus. Mit Beginn der EU-<br />
Beitrittsphase bekam das Forum neue Aufgaben:<br />
„Wir hielten Seminare zu EU-Richtlinien<br />
und luden Experten aus Brüssel und einzelnen<br />
Mitgliedsländern ein“, erläutert Heidrun<br />
Fammler.<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07
Bedürfnisse vor Ort erfragen<br />
Dabei hatte sie die Zielgruppe genau im Blick:<br />
„Ich habe immer nach den konkreten Bedürfnissen<br />
vor Ort gefragt.“ Denn zunächst wussten<br />
die Verantwortlichen in Lettland, Litauen und<br />
Estland nicht, was sie brauchten – zu unbekannt<br />
war die europäische Terminologie, zu<br />
abstrakt die Verordnungen. Heidrun Fammler<br />
ging pragmatisch mit dem Abgrenzungsbedürfnis<br />
der baltischen Staaten um. Politisch<br />
wurde und wird auf die Unterschiedlichkeit<br />
abgehoben, auf der fachlichen Ebene existieren<br />
ausgezeichnete Kooperationen, die gerade<br />
im Umweltbereich sehr wichtig sind.<br />
Nach dem EU-Beitritt wurden die Ideen und<br />
Aktivitäten des Forums keineswegs überflüssig,<br />
wie Heidrun Fammler zunächst befürchtet<br />
hatte. Eine Seminarteilnehmerin machte<br />
ihr damals Mut: „Wenn wir<br />
in Brüssel angekommen sind,<br />
werden wir merken, was wir<br />
nicht verstanden haben.“ Erneut<br />
veränderte die Umweltmanagerin<br />
den Fokus. „Der<br />
Beitritt hat die Länder viel<br />
Kraft gekostet. Jetzt geht es darum,<br />
die Minimalvorgaben aus<br />
Brüssel mit Leben zu füllen<br />
und die EU-Umweltstandards<br />
in Gemeinden und Unternehmen<br />
umzusetzen.“ Daher<br />
managt sie gemeinsam mit<br />
insgesamt 30 Mitarbeitern in<br />
den drei Ländern kleine Projekte,<br />
die spezifische Beratung<br />
bieten. Seit 2002 tauschen<br />
beispielsweise Kommunen aus<br />
Nordrhein-Westfalen und Lettland<br />
Praktiker aus, um Probleme<br />
vor Ort zu lösen.<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
Foto: picture-alliance/ZB<br />
Mittlerweile hat die 42-Jährige das „Baltic Environmental<br />
Forum“ auf insgesamt fünf Vereine<br />
erweitert: Zu den drei aus den baltischen Ländern<br />
kommen ein Büro in St. Petersburg und<br />
eins in Hamburg. Damit stellt sie die wichtige<br />
Verbindung nach Russland her und erhält sich<br />
ein Standbein in ihrer Studienstadt Hamburg<br />
– spätere Rückkehr nicht ausgeschlossen. Zurzeit<br />
genießt sie es, in Riga zu leben, denn „die<br />
Ostsee ist gleich um die Ecke“. Gleichzeitig<br />
betrachtet sie den rasanten Bauboom kritisch.<br />
„Die entstehende Konsumgesellschaft macht<br />
dieselben Fehler wie im Westen, doch wir sind<br />
die Letzten, die das kritisieren sollten.“ Aus<br />
ABSTrACT<br />
A Fresh Start,<br />
a Dynamic Environment<br />
They put their ideas into practice and achieved<br />
success in Latvia: Heidrun Fammler and<br />
Sabine Betz are working in a country of<br />
2.3 million inhabitants on the Baltic coast.<br />
After graduating in German language and<br />
literature, Betz set up her own business, and<br />
now imports doorknobs and handles from<br />
Germany. She seized her opportunity when,<br />
after Latvia gained its independence, the<br />
country’s entire infrastructure was reorganized.<br />
Heidrun Fammler works in Riga as<br />
president of the Baltic Environmental Forum,<br />
a network that advises local governments and<br />
agencies on environmental issues. She enjoys<br />
the Latvian mentality, which she describes<br />
as “hesitantly Nordic, cautiously Socialist”.<br />
Arbeiten weltweit<br />
diesen Beobachtungen hat Heidrun Fammler<br />
ein Projekt entwickelt. Sie möchte den Bauboom<br />
untersuchen und ergründen, welche<br />
Konzepte zur Energieeinsparung angewendet<br />
werden können. Solche Ideen beflügeln sie:<br />
„Hier kann ich etwas bewegen, das motiviert<br />
mich sehr.“ Ob sie Seminare in Ukrainisch,<br />
Russisch oder Weißrussisch abhält, neue Projekte<br />
beantragt oder deutsche Umwelttechnik<br />
den lokalen Gegebenheiten anpasst – „mein<br />
preußisches Planungs-Gen hilft mir“.<br />
Isabell Lisberg-Haag<br />
… mit restaurierten Fassaden und engen Gassen<br />
Foto: concoon/photocase.com<br />
23
24<br />
Trends<br />
Abschied von einem Ideal<br />
Familie in Deutschland: Herbeigesehnt, überfordert, neu definiert<br />
Neue Väter, Patchworkfamilie, Alleinerziehende<br />
oder Scheidungsrate – die Stichwörter<br />
zum Thema Familie könnten ganze<br />
Lexika füllen, und täglich kommen neue<br />
Begriffe hinzu. Die Familie, im deutschen<br />
Grundgesetz unter Schutz gestellt, wandelt<br />
sich.<br />
Lange spielte sie allenfalls die zweite Geige:<br />
Familienpolitik in Deutschland war kein<br />
Gebiet, auf dem Karriere zu machen war. Entsprechend<br />
gering fiel das Engagement der Politiker<br />
aus. Das ist plötzlich anders geworden.<br />
Der Staat unterstützt mit Elterngeld und Krippenförderung<br />
ein verändertes Frauen- und<br />
Familienbild.<br />
Was ist passiert? Bis die Familie in den Fokus<br />
der Parteien rückte, mussten erst Fakten<br />
schmerzhaft deutlich werden, die sich freilich<br />
seit Jahren abzeichneten. Mit 1,3 Geburten pro<br />
Frau kommen in Deutschland zu wenige Kinder<br />
auf die Welt, um Sozialsysteme und Innovationskraft<br />
zu sichern.<br />
Neue Väter braucht das Land<br />
„Möglichkeiten, seine Kinder während der<br />
eigenen Arbeitszeit gut unterzubringen, sind<br />
viel mehr wert als Geld“, sagt Christian Hohlfeld,<br />
Vater zweier Kleinkinder, und spricht damit<br />
für viele Eltern. 67 Prozent der Eltern von<br />
Deutsche Wirklichkeit: Patchworkfamilien<br />
sind längst keine Seltenheit mehr<br />
Zweijährigen wünschen sich für ihr Kind einen<br />
Platz in einer Kindertagesstätte, doch nur<br />
27 Prozent haben Erfolg, so eine Analyse des<br />
Deutschen Jugendinstituts in München. „Eine<br />
sichere Betreuung macht Menschen Mut, Kinder<br />
zu bekommen und beruflich am Ball zu<br />
bleiben“, so Christian Hohlfeld.<br />
Foto: Enno Kapitza, www.ennokapitza.de<br />
Der Pressereferent der Technischen Universität<br />
Berlin ist in Elternzeit und kümmert sich<br />
um Laura (4) und Lennart (2), nachdem seine<br />
Frau nach vierjähriger Pause wieder ganztags<br />
arbeitet. „Ich genieße es, zu sehen, wie meine<br />
Kinder sich täglich verändern und wie sie lernen.“<br />
Der fast 40-Jährige erlebt sich allerdings<br />
als „Unikat“. Er kennt bisher keinen anderen<br />
Vater, der für eine gewisse Zeit den Job mit der<br />
Erziehungsarbeit getauscht hat.<br />
Noch zählt Christian Hohlfeld zu einer Minderheit,<br />
aber sie soll wachsen, so das Ziel der<br />
christdemokratischen Bundesfamilienministerin<br />
Ursula von der Leyen (siehe Interview).<br />
Ein Weg dorthin ist das bis zu 14 Monate nach<br />
der Geburt gezahlte Elterngeld. Es gehört zu<br />
den zentralen Reformprojekten der Bundesregierung,<br />
um Beruf und Familie besser zu<br />
vereinbaren.<br />
Elterngeld gibt es seit Anfang 2007, wenn<br />
Vater oder Mutter im Beruf pausiert oder weniger<br />
arbeitet. Gezahlt werden 67 Prozent des<br />
letzten Nettogehaltes, maximal 1 800 Euro<br />
im Monat. Ein Elternteil kann die staatliche<br />
Leistung zwölf Monate in Anspruch nehmen,<br />
die weiteren zwei Monate gibt es nur, wenn<br />
der Partner die Betreuung des Nachwuchses<br />
übernimmt.<br />
Doch finanzielle Hilfen allein retten die Familie<br />
nicht. In Großstädten wird inzwischen<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
Foto: amridesign/Fotolia.com
Foto: Jupp Darchinger Foto: ullstein bild - Haeckel-Archiv Foto: akg-images<br />
jede zweite Ehe geschieden, Menschen finden<br />
sich zu Patchworkfamilien zusammen, in die<br />
jeder Partner seine Kinder mitbringt, viele<br />
Paare bleiben kinderlos. Der „Familienvater“,<br />
der seine Lieben ernährt, und seine Frau, die<br />
daheim für Kinder und gemütliche Atmosphäre<br />
sorgt, haben ausgedient. Alternative Familienformen<br />
sind „in“. Innerhalb von zehn<br />
Jahren ging die Zahl verheirateter Paare mit<br />
Kindern um 16 Prozent auf 6,5 Millionen zurück.<br />
Gleichzeitig nahm die Zahl von Lebensgemeinschaften<br />
mit Kindern sowie die Zahl<br />
Alleinerziehender von 1996 bis 2006 um 30<br />
Prozent zu.<br />
Diese Entwicklung hat nichts mit Familienfeindlichkeit<br />
zu tun, wie es manche Zeitgenossen<br />
heraufbeschwören. Neueste Umfragen<br />
zeigen: 52 Prozent der Deutschen schätzen<br />
die Familie weit mehr als ihre persönliche<br />
Freiheit. Für ein Viertel der Befragten hat die<br />
Familie in den vergangenen Jahren noch an<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
Bedeutung gewonnen – aber mit veränderten<br />
Bedingungen. Immer mehr gut qualifizierte<br />
Frauen wollen nach der Geburt ihres ersten<br />
Kindes nicht mehr beruflich zurückstecken<br />
und wehren sich dagegen, gar nicht oder erst<br />
nach einigen Jahren an ihren Arbeitsplatz zurückkehren<br />
zu können.<br />
Mütter sollen in den ersten Lebensjahren<br />
bei den Kindern bleiben – so das konservative<br />
Familienbild, das noch heute in den westdeutschen<br />
Bundesländern fortwirkt. Hier meinen<br />
60 Prozent der Menschen, dass ein Vorschulkind<br />
unter der Berufstätigkeit der Mutter leidet,<br />
in Ostdeutschland sind es nur 23 Prozent.<br />
Die Westdeutschen sehen die Berufstätigkeit<br />
von Müttern somit auch wesentlich kritischer<br />
als viele ihrer europäischen Nachbarn.<br />
Eine Umkehrung der gesellschaftlichen Entwicklung<br />
ist unmöglich, „weil Männer und<br />
Frauen schon zu modern geworden sind für<br />
die altmodische Form“, so Familienforscher<br />
Hans Bertram von der Humboldt-<br />
Universität zu Berlin. In Deutschland<br />
geht zwar jede zweite Frau in einem<br />
Paarhaushalt mit Kindern unter zwölf<br />
Jahren nicht arbeiten, aber nur sechs<br />
Prozent sagen: Ich habe es so gewollt.<br />
Dieser Widerspruch ist alles andere<br />
als förderlich. Denn in Ländern, in denen<br />
Frauen emanzipierter sind und<br />
moderner denken als die Gesellschaft,<br />
Familienbild im Wandel der Zeit:<br />
1803: König Wilhelm III. mit Frau<br />
und Söhnen<br />
Um 1900: Ammen kümmern sich um<br />
den Nachwuchs<br />
1950: Feste Rollenverteilung<br />
ABSTrACT<br />
Farewell to an Ideal<br />
For many years, commitment to family<br />
policy was hard to find among<br />
politicians in Germany. But that has<br />
changed: with parental benefits and<br />
day care subsidies, the state now<br />
supports a new notion of women<br />
and families. Because at the current<br />
birth rate of 1.3 per woman, there<br />
are not enough children being born<br />
to secure the country’s social welfare<br />
systems and its innovative power.<br />
Lifestyles are changing. In the big cities,<br />
half of all marriages end in divorce.<br />
Within ten years, the number of married<br />
couples with children has dropped<br />
16 percent to 6.5 million. And in the<br />
same period, the number of unmarried<br />
Foto: vario images<br />
Titel<br />
Trends<br />
Trübe Aussichten:<br />
Kinderarmut nimmt in Deutschland zu<br />
in der sie leben, werden die wenigsten Kinder<br />
geboren, haben Forscher des Berlin-Instituts<br />
für Bevölkerung und Entwicklung festgestellt.<br />
Familienfreundliche Unternehmen<br />
Elena de Graat kennt diese Diskussionen seit<br />
fast 20 Jahren. Die Geschäftsführerin des Bonner<br />
Instituts „Work & Life“ berät Unternehmen<br />
zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf:<br />
„Wir ermitteln, was sich die Beschäftigten<br />
wünschen und zeigen Möglichkeiten auf.“ Lösungen<br />
gibt es viele: betriebseigener Kindergarten,<br />
Zuschüsse zur Kinderbetreuung, Unterstützung<br />
eines Sportvereins oder flexible<br />
Arbeitszeiten. „Teamabsprachen über Arbeitszeiten<br />
reichen manchmal schon, um Eltern zu<br />
entlasten, es muss nicht immer der teure Kindergarten<br />
auf dem Werksgelände sein“, sagt<br />
die 48-jährige Diplompsychologin. Nicht nur<br />
große Konzerne engagieren sich. „Kleinere<br />
couples with children and the number of<br />
single parents has increased by 30 percent.<br />
The latest surveys show that 52 percent of<br />
Germans value family far more than their<br />
personal freedom. A quarter of the respondents<br />
felt that the family has continued to grow<br />
more important in recent years — but under<br />
changed conditions. More and more highly<br />
qualified women don’t want to sacrifice their<br />
professional lives after the birth of a first child.<br />
Family-friendly policies pay off. A survey by the<br />
German Ministry for Families found that the<br />
management of 44 percent of businesses considered<br />
family-friendly offerings a competitive<br />
advantage in recruiting employees. Nonetheless,<br />
unemployment and insufficient income remain<br />
a problem for parents: 2.5 million children<br />
need support from the state. At present Germany<br />
has more children growing up in poverty<br />
than most other industrialized countries.<br />
25
26<br />
Trends<br />
Ein Kind im Spind:<br />
Sarah Wöhler, Hochschule Mannheim,<br />
3. Platz beim 21. Plakatwettbewerb<br />
„Kinder? Kinder!“ des Deutschen<br />
Studentenwerks<br />
und mittlere Betriebe können häufig flexibel<br />
und schnell reagieren und müssen nicht alles<br />
mit der Konzernleitung abstimmen“, sagt die<br />
Beraterin.<br />
Familienfreundlichkeit lohnt sich. In einer<br />
Umfrage des Bundesfamilienministeriums<br />
halten 44 Prozent der Unternehmensleitungen<br />
familienfreundliche Angebote für einen Wettbewerbsvorteil<br />
bei der Gewinnung von Personal<br />
– außerdem lohnt es sich. Einer von de<br />
Graats Kunden hat es vorgerechnet: Für jeden<br />
investierten Euro in Familienfreundlichkeit<br />
hat das Unternehmen zwei Euro gespart.<br />
Kind und Karriere<br />
Die Wahl zwischen Beruf und Kind ist überholt,<br />
betont Familienministerin von der Leyen<br />
und schlägt familienpolitisch einen Weg ein,<br />
den Sozialdemokraten nicht erwartet und Konservative<br />
skeptisch bis widerwillig begleitet<br />
haben. Bis 2013 sollen 750 000 Betreuungsplätze<br />
für Kinder unter drei Jahren zur Verfügung<br />
stehen. Und die Ministerin schmiedet<br />
Bündnisse. Gemeinsam mit der Wirtschaft<br />
möchte sie Unternehmen ermutigen, mehr<br />
für bessere Betreuung zu tun. Ab 2008 finanziert<br />
das Ministerium drei Jahre lang Plätze<br />
in betriebseigenen Kindertagesstätten mit 50<br />
Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds.<br />
Doch so leicht verabschiedet sich<br />
kein Land, in dem eine berufstätige<br />
Mutter schon mal als „Rabenmutter“<br />
abgestempelt wird, von<br />
seinem traditionellen Familienbild.<br />
Beispiel Betreuungsgeld: Für ihre<br />
Zustimmung zum Rechtsanspruch<br />
auf einen Krippenplatz ab 2013<br />
verlangen konservative Politiker,<br />
dass Eltern, die ihr Kind nicht in<br />
die Krippe bringen, 150 Euro pro<br />
Monat erhalten. Kopfschütteln<br />
beiden europäischen Nachbarn, in<br />
Deutschland sprechen die Kritiker<br />
von einer „Herdprämie“, die Frauen<br />
wieder ans Haus binden soll.<br />
Ob es daheim allerdings so harmonisch<br />
zugeht, wie manche Politiker<br />
zu glauben scheinen, ist zu bezweifeln.<br />
Denn immer mehr Eltern<br />
fühlen sich mit der Erziehung ihrer<br />
Sprösslinge überfordert. An mehreren<br />
tausend Orten in Deutschland<br />
treffen sie sich abends in „Elternschulen“,<br />
suchen Beratungsstellen<br />
auf oder schalten wöchentlich die Sendung<br />
„Super Nanny“ ein, in der eine Erzieherin<br />
gestresste Eltern und randalierende Kinder<br />
coacht. Durch veränderte Lebensformen, den<br />
großen Einfluss der Medien und den unsicheren<br />
Arbeitsmarkt scheinen Werte und Normen<br />
außer Kraft gesetzt, die für Generationen<br />
galten.<br />
Betreuung plus Erziehung<br />
Der „Kinderreport Deutschland 2007“ ist<br />
alarmierend: Die Armut nimmt zu; 2,5 Millionen<br />
Kinder sind auf staatliche Unterstützung<br />
angewiesen – 208 Euro pro Monat. Mittlerweile<br />
wachsen in Deutschland mehr Kinder<br />
in Armut auf als in den meisten anderen Industriestaaten,<br />
so ein Ergebnis der aktuellen<br />
Studie der Organisation für wirtschaftliche<br />
Zusammenarbeit und Entwicklung OECD.<br />
„Kein Geld für Bildung, kein Geld für Kultur.<br />
Kleidung nur secondhand, viele Eltern schaffen<br />
es nicht mal mehr, ihre Kinder gesund zu<br />
ernähren“, beschreibt eine arbeitslose 40-jährige<br />
Mutter die Not. Um diesen Kindern die<br />
gleichen Bildungschancen wie Kindern aus<br />
besser gestellten Familien zu ermöglichen,<br />
halten Erziehungswissenschaftler ein Betreuungssystem,<br />
das früh und umfassend fördert,<br />
für unverzichtbar.<br />
Auch dabei hat Deutschland Nachholbedarf.<br />
Die pädagogische Arbeit ist oft eher unstrukturiert,<br />
wenig zielgerichtet und kaum nachhaltig,<br />
stellten die OECD-Bildungsexperten 2004<br />
fest. Die Unternehmensberatung McKinsey<br />
versucht etwas Neues. In einem bundesweit<br />
einmaligen Projekt führen die Berater in der<br />
ostdeutschen Stadt Halle ein Qualitätsmanagementsystem<br />
ein. Die Erzieherinnen in den Kindergärten<br />
analysieren Stärken und Schwächen<br />
ihrer Arbeit, stellen strukturierte Themenpläne<br />
auf und suchen verstärkt Kontakt mit den<br />
Eltern. Ob Familienzentren, Ganztagsschulen,<br />
Steuererleichterungen – erst wenn die Gesellschaft<br />
akzeptiert, dass sich Lebensentwürfe<br />
grundlegend wandeln, wird das Modell Familie<br />
– grundlegend verändert – überleben.<br />
Uschi Heidel/Isabell Lisberg-Haag<br />
Alltag bei Familie Hohlfeld:<br />
Vater Christian kocht gemeinsam mit seinen Kindern Laura und Lennart<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
Foto: Cynthia Rühmekorf
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
Gut betreut:<br />
Betriebskindergärten entlasten<br />
berufstätige Eltern<br />
Noch ein weiter Weg<br />
Interview<br />
mit Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen<br />
Seit zwei Jahren steht Ursula von der Leyen<br />
an der Spitze des Bundesministeriums für<br />
Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zuvor<br />
war die 49-jährige Christdemokratin<br />
Ministerin für Soziales, Frauen, Familie<br />
und Gesundheit des Bundeslandes Niedersachen.<br />
Die promovierte Ärztin hat sieben<br />
Kinder.<br />
Die Bundesregierung und die Bundesländer<br />
wollen bis 2013 insgesamt 750 000<br />
Krippenplätze für ein- bis dreijährige Kinder<br />
zur Verfügung stellen. Warum ist dieser<br />
starke Ausbau notwendig?<br />
Zuallererst brauchen Kinder Mütter und Väter.<br />
Aber Eltern hatten in früheren Zeiten Hilfe, die<br />
ähnlich wie die Krippen waren, nämlich viele<br />
Geschwister, Onkel, Tanten, Großväter und<br />
-mütter, die die Kinder mit durchs Leben begleitet<br />
haben. Das ist heute nicht mehr so. Viele<br />
junge Männer und Frauen wollen heute beides:<br />
Sie wünschen sich Kinder, sie wünschen sich<br />
aber auch, dass sie gleichzeitig in ihrem Beruf<br />
arbeiten können. Wir Politiker müssen die<br />
Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass<br />
wieder mehr Kinder geboren werden. Heute<br />
sind Mehrgenerationenhäuser, Familienzentren<br />
oder Krippen der Ort, an dem Kinder eine<br />
Chance haben, andere Kinder zu treffen. Jedes<br />
dritte Kind unter sechs Jahren hat heute einen<br />
Migrationshintergrund, und jedes dritte Kind<br />
unter fünf Jahren hat keine Geschwister. Diese<br />
Kinder brauchen einen Raum, um gemeinsam<br />
mit Gleichaltrigen die Welt entdecken zu können<br />
und bereits früh Bildung zu erfahren.<br />
Sie haben mit dem Elterngeld, das seit<br />
Januar 2007 nach der Geburt eines Kindes<br />
gezahlt wird, auch Vätern Anreiz gegeben,<br />
im Beruf auszusetzen und sich um das<br />
Baby zu kümmern. Wie wird diese Möglichkeit<br />
von den Männern angenommen?<br />
Zu einem erfüllten Leben als Mann gehört<br />
auch die Möglichkeit, ein aktiver Vater zu sein<br />
und Erziehungsverantwortung übernehmen<br />
zu können. Mit den Partnermonaten beim Elterngeld<br />
stärken wir den jungen Männern den<br />
Rücken – und die Entwicklung ist außerordentlich<br />
positiv: Seit Einführung des Elterngeldes<br />
Anfang des Jahres haben fast dreimal so viele<br />
Väter wie bisher Elternzeit genommen – der<br />
Bundesdurchschnitt liegt inzwischen bei 8,5<br />
Prozent. Ich freue mich, wie viele junge Väter<br />
jetzt gleich nach der Geburt ihres Kindes ihre<br />
Vaterzeit nehmen. Dieser Trend ist ermutigend,<br />
denn Kinder brauchen die Mutter, aber auch<br />
den Vater!<br />
Ist Deutschland im internationalen Vergleich<br />
familienfeindlich?<br />
Deutschland ist nicht kinderfeindlich, aber wir<br />
haben noch einen weiten Weg zu gehen, um wieder<br />
Anschluss an die anderen Nationen zu bekommen,<br />
in denen wesentlich mehr Kinder geboren<br />
werden. Bei Kinderbetreuungsangeboten<br />
für unter Dreijährige sind wir zum Beispiel fast<br />
Schlusslicht in Europa. In den alten Bundesländern<br />
gibt es für neun von zehn Eltern gar keine<br />
Angebote. Mütter und Väter sollten aber die<br />
Wahl haben, ob und wie sie Kindererziehung<br />
und ihren Beruf vereinbaren können. Diese<br />
Wahlfreiheit haben wir zurzeit nicht. Wenn wir<br />
die Zahl der Tagesmütter und Krippenplätze bis<br />
2013 verdreifachen und auf 750 000 erhöhen,<br />
haben wir einen ersten Schritt in diese Richtung<br />
gemacht. Die Länder, die sich bereits vor Jahren<br />
auf den Weg gemacht haben, verzeichnen steigende<br />
Geburtenraten. Sie haben Qualität und<br />
Foto: picture-alliance/ZB<br />
Titel<br />
Trends<br />
Zahl der Betreuungsplätze erhöht – und stehen<br />
dadurch auch wirtschaftlich besser da. Dort<br />
sind mehr junge Menschen im Job. Es gibt dort<br />
mehr Kinder und – das wird oft vergessen – die<br />
Kinderarmut ist in diesen Ländern auch geringer.<br />
Das sollte uns zu denken geben.<br />
In welchen Bereichen der Familienpolitik<br />
möchten Sie weitere Akzente setzen?<br />
Besonders am Herzen liegt mir, dass wir die<br />
Kinderarmut konsequenter bekämpfen. Dazu<br />
braucht es gute Sachleistungen, wie Bildungsangebote<br />
im Kindergartenalter für Kinder aus<br />
Familien, die oft schon über Generationen vom<br />
Staat abhängig sind. Aber wir müssen auch<br />
die große Zahl der Eltern stärker unterstützen,<br />
die fleißig arbeiten, wo der Verdienst jedoch<br />
für alle Kinder nicht reicht und die deshalb<br />
zusätzlich Hartz IV beziehen.<br />
Anmerkung der Redaktion:<br />
Anfang 2005 wurden Arbeitslosenhilfe und<br />
Sozialhilfe zusammengelegt. Der Name Hartz<br />
IV geht auf Peter Hartz, ehemaliges Vorstandsmitglied<br />
der Volkswagen AG, zurück.<br />
Hartz leitete die Kommission zur Reform des<br />
Arbeitsmarktes.<br />
27<br />
Foto: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
28 Rätsel<br />
Die Märchen der Brüder Jacob und Wilhelm<br />
Grimm sind rund um den Globus äußerst populär.<br />
In unserem Rätsel geht es um Details aus einigen<br />
ihrer bekanntesten Volksmärchen. Einzutragen ist jeweils das<br />
richtige Substantiv am Ende des Satzes.<br />
Dornröschen verletzt sich am Finger und fällt in einen<br />
hundertjährigen<br />
Die Schwester von Hänsel heißt<br />
Hänsel und seine Schwester werden im Wald gefangen genommen<br />
von einer<br />
Vier von den Menschen gequälte Tiere – Esel, Hund, Katze und Hahn –<br />
schließen sich als „Stadtmusikanten“ zusammen und suchen<br />
den Weg nach<br />
Rotkäppchen soll die kranke Großmutter besuchen. Im Korb trägt das<br />
Mädchen Kuchen und<br />
Aschenputtel soll Linsen aus der Asche aufsammeln.<br />
Dabei helfen ihr die<br />
Schneewittchen wird von der bösen Stiefmutter besucht. Die Stiefmutter reicht ihr<br />
einen vergifteten<br />
Eine geheimnisvolle Frau legt größten Wert darauf, dass ihr Bett gut<br />
aufgeschüttelt ist. Angeblich schneit es dann auf der Erde.<br />
Es handelt sich um Frau<br />
Der böse Wolf will in ein Haus eindringen und sieben Geißlein fressen.<br />
Um nicht an der rauen Stimme erkannt zu werden,<br />
isst der Wolf zuvor<br />
Schneewittchen läuft in einen Wald.<br />
Dort helfen ihr die sieben<br />
Sind die richtigen Wörter eingetragen, so ergeben die Buchstaben in den dick umrandeten Feldern<br />
hintereinander gelesen das Lösungswort: Es ist der Titel – und zugleich die Titelfigur – eines<br />
Märchens der Brüder Grimm.<br />
Schreiben Sie das Lösungswort an t<br />
Unter den richtigen Lösungen werden zehn Hauptgewinne und zehn Trostpreise vergeben. Bei<br />
diesem Rätsel nehmen an der Auslosung nur Einsendungen von Leserinnen und Lesern teil,<br />
deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Bitte die vollständige<br />
Anschrift des Absenders angeben!<br />
DIE GEWINNER KÖNNEN ZWISCHEN FOLGENDEN PREISEN WÄHLEN:<br />
1. Duden – Die deutsche Rechtschreibung. 24. Auflage<br />
(die neue, seit 1. August 2006 gültige Rechtschreibung). Dudenverlag<br />
2. Die schönsten Märchen der Brüder Grimm. Diogenes Verlag.<br />
Dazu 2 Hörbuch-CDs: Märchen der Brüder Grimm. hoergut-verlag<br />
3. Die Blaue Blume. Traditional German Folk Songs. Von Sterndreher: CD New Earth Records<br />
4. Bernd Schuh: 50 Klassiker. Naturwissenschaftler von Aristoteles bis Crick & Watson.<br />
Gerstenberg Verlag<br />
Bitte geben Sie mit der Lösung auch den von Ihnen gewünschten Preis an.<br />
Wer war’s? Professor Grübler fragt<br />
Wie lernt man eigentlich am besten Fremdsprachen?<br />
Der Sohn eines Pfarrers aus dem Norden Deutschlands<br />
praktiziert im 19. Jahrhundert eine ganz besondere Methode:<br />
Er nimmt die Übersetzung eines Buches zur Hand,<br />
dessen Original-Ausgabe er fast auswendig kann. Er schreibt:<br />
„Nach einmaligem Durchlesen hatte ich wenigstens die Hälfte<br />
der in dem Buche vorkommenden Wörter inne, und nach<br />
einer Wiederholung dieses Verfahrens hatte ich sie beinahe<br />
alle gelernt, ohne dabei auch nur eine Minute mit Nachschlagen<br />
in einem Wörterbuch verloren zu haben.“ Das Resultat:<br />
Binnen sechs Wochen beherrscht der vom lebenslangen Lernen<br />
geradezu besessene Schlaukopf das Griechische.<br />
Griechenland hat es ihm angetan – und bestimmt sein Forscherleben.<br />
Er heiratet in zweiter Ehe eine Griechin und schreibt<br />
seinem Vater: „Ich kann nur mit einer Griechin glücklich werden.“<br />
So sehr ist er auf die uralte hellenistische Kultur fixiert,<br />
dass auch seine Kinder griechische Namen erhalten. Sein<br />
Sohn heißt Agamemnon, die Tochter Andromache.<br />
Er lernt Fremdsprache um Fremdsprache und forscht mit<br />
eiserner Energie. Und das mit großartigem Erfolg. Im Jahr<br />
1873 entdeckt er einen unermesslich wertvollen Schatz,<br />
den er eigenhändig aus uralten Trümmern hervorholt.<br />
Da bestätigt sich für ihn seine Maxime: „Wo viel<br />
Schutt liegt, ist auch viel zu finden.“<br />
Man überhäuft ihn mit Ehrungen. Die Universität<br />
Rostock verleiht ihm den Doktor-Titel, obwohl<br />
er es in seiner ärmlichen Jugendzeit nicht<br />
bis zum Abitur gebracht hat. Im Alter von<br />
68 Jahren stirbt er an den Folgen eines<br />
Ohrenleidens.<br />
Professor Grübler fragt: Wer war’s?<br />
Unter den richtigen Lösungen werden<br />
fünf Gewinner ausgelost. Der Rechtsweg<br />
ist ausgeschlossen. Bitte wählen<br />
Sie unter den links unten genannten<br />
Preisen.<br />
Senden Sie die Lösung an t<br />
Redaktion <strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong><br />
Trio MedienService<br />
Chausseestraße 103<br />
10115 Berlin, Germany<br />
Fax: +49 30/28 09 61 97<br />
E-Mail: raetsel@trio-medien.de<br />
Einsendeschluss ist der 10. März 2008<br />
!<br />
Die Lösung und die Gewinner<br />
der vorigen <strong>Letter</strong>-Rätsel<br />
finden Sie auf Seite 42<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07
SPrACHWErKSTATT<br />
Zeitlebens ein romantiker<br />
Formen der Zeit werden mit den so genannten Temporal- oder Zeitadverbien beschrieben:<br />
zum Beispiel die Tageszeit (nachts), die Pünktlichkeit (rechtzeitig) oder die Häufigkeit<br />
(manchmal). Im folgenden Text ist – aus den vorgegebenen Adverbien – jeweils<br />
das passende Wort zu ergänzen. Mehrfachnennungen sind möglich.<br />
bald, damals, darauf, früh, heute, immer, inzwischen, jetzt, kürzlich, noch, oft, schließlich,<br />
schon, später, wieder, zuerst, zuvor<br />
„Wie wird’s nun alles so stille<br />
_______!/ So war mirs _______ in<br />
der Kinderzeit,/ die Bäche gehen<br />
rauschend nieder/ durch die dämmernde<br />
Einsamkeit...“ So beginnt<br />
das Gedicht „Im Alter“ von Joseph<br />
von Eichendorff . _______ gilt er als<br />
der bedeutendste Vertreter der deutschen<br />
Spätromantik. Aber _______<br />
zu seinen Lebzeiten machte er sich<br />
als Dichter einen Namen. _______,<br />
am 26. November 2007, jährte sich<br />
Eichendorffs Todestag zum 150.<br />
Mal, und _______, am 10. März<br />
2008, wird man sich seines 220.<br />
Geburtstags erinnern.<br />
Auf Schloss Lubowitz bei Ratibor<br />
in Oberschlesien kam Eichendorff<br />
1788 als Sohn eines preußischen<br />
Offiziers zur Welt. Nach dem Besuch<br />
des katholischen Gymnasiums<br />
studierte er ab 1805 Jura: _______<br />
in Halle und _______ in Heidelberg.<br />
Nach einer längeren Bildungsreise setzte er das Studium in Berlin fort und beendete<br />
es _______ 1812 in Wien. _______ war der Weg frei für den Eintritt in den preußischen<br />
Staatsdienst. Doch Eichendorff entschied sich, _______ an den Befreiungskriegen gegen<br />
Napoleon teilzunehmen.<br />
Nach seiner Heirat mit Luise von Larisch arbeitete er als Referendar in Breslau, bevor<br />
er 1821 – er war _______ dreifacher Vater – Regierungsrat in Danzig wurde. Nach<br />
mehreren Jahren in Danzig und Königsberg übersiedelte er 1831 mit seiner Familie nach<br />
Berlin, wo er eine Tätigkeit im Kultusministerium übernahm. _______ wurde er 1841 zum<br />
Geheimen Rat ernannt und drei Jahre _______ pensioniert.<br />
Neben seiner Arbeit im Staatsdienst war Eichendorff Schriftsteller. Seine Erzählungen und<br />
Gedichte zeugen _______ _______von der Sehnsucht nach einer weniger bürgerlichen,<br />
mit der Natur und dem Glauben an Gott verbundenen Welt. Wohl am berühmtesten ist<br />
bis _______ seine 1826 erschienene Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“, mit<br />
der er _______ bekannt wurde.<br />
Aber auch die Naturgedichte und Wanderlieder Eichendorffs, in denen sich _______ die<br />
Liebe zur Landschaft seiner schlesischen Heimat spiegelt, gelten _______ _______ als<br />
Höhepunkt romantischer Lyrik. _______ nur eingestreut in seine Erzählungen, wurden sie<br />
_______ auch in Sammelbänden veröffentlicht und _______ durch Komponisten wie Felix<br />
Mendelssohn, Robert Schumann oder Richard Strauss vertont.<br />
Nach seiner Pensionierung hörte Eichendorff mit dem Dichten auf. 1855 zog er zu seiner<br />
Tochter nach Neiße in Oberschlesien; 1856 verlor er seine Frau. Er selbst starb im Jahr<br />
_______ mit 69 Jahren an den Folgen einer Erkältung.<br />
Christine Hardt<br />
LÖSUNG: wieder; oft; heute; schon; kürzlich; bald; zuerst; später; schließlich; jetzt; zuvor; inzwischen; schließlich; später; schon früh;<br />
heute; damals; oft; immer noch; zuerst; später; schließlich; darauf.<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
Illustration von Hans Traxler aus: Eichendorff – Taugenichts, Reclam, ISBN 978-3-15-010626-6, Euro 16,90<br />
AUFGESPIESST<br />
Sprachecke<br />
Nussschokolade im Betttuch?<br />
War es früher wirklich einfacher mit der deutschen<br />
Rechtschreibung? In den längst vergangenen<br />
Zeiten vor ihrer Reform, als mancher<br />
«Ballettänzer» noch ohne «Sauerstoffflasche»<br />
eine «Schiffahrt» wagte, gab es zum Beispiel folgende<br />
Regel: Treffen drei gleiche Konsonanten<br />
zusammen, so werden nur zwei von ihnen geschrieben,<br />
wenn auf sie ein Vokal folgt («Ballettänzer»<br />
oder «Schiffahrt») – folgt ihnen aber<br />
ein Konsonant, werden alle drei geschrieben<br />
(»Sauerstoffflasche«).<br />
Ganz einleuchtend war diese Regel nicht, und<br />
so fiel sie wohl zu Recht der Reform zum Opfer.<br />
Heute folgt man auch bei den von den Fachleuten<br />
so genannten «Tripelkonsonanten» dem Prinzip<br />
der Stammschreibung. Das bedeutet, dass der<br />
Stamm eines Wortes auch in seinen Ableitungen<br />
erkennbar bleibt («der Rat», «die Räte», «raten»,<br />
«er/sie/es rät», «ratsam» usw.). Nach der jetzt<br />
gültigen Rechtschreibung schreibt man grundsätzlich<br />
alle Buchstaben hin, die zum Wortstamm<br />
gehören – auch wenn «Flusssand», «Rollladen»<br />
oder «Brennnessel» manche Zeitgenossen immer<br />
noch ein wenig befremden mögen.<br />
Die neue Rechtschreibung erlaubt aber auch den<br />
relativ großzügigen Gebrauch des Bindestrichs<br />
– es ist durchaus korrekt, dem «Zoo-Orchester«<br />
nach seinem Auftritt «Nuss-Schokolade» anzubieten.<br />
Wenn man auf sinnvolle Trennungen<br />
achtet und nicht die falschen Wörter miteinander<br />
in Beziehung setzt, vermeidet man mit einem<br />
solchen Bindestrich auf elegante Art wahre Wortungetüme<br />
wie «Flussschifffahrt» oder «Teeeieinhängehaken».<br />
Ist die Sache also einfacher geworden als früher?<br />
Ja. Und nein. Denn «Mittag» bleibt «Mittag», obwohl<br />
natürlich die Mitte des Tages gemeint ist.<br />
Konsequenz sieht wohl anders aus. «Dennoch»<br />
(auch so ein Wort!): Deutsch bleibt eine wunderschöne<br />
Sprache, findet<br />
29
30<br />
<strong>DAAD</strong><br />
„Gut sein reicht nicht“<br />
Abschied nach 20 Jahren – <strong>DAAD</strong>-Präsident Theodor Berchem<br />
über Erfolge und neue Pläne<br />
Herr Berchem, Sie kommen gerade aus<br />
Indien. Wie wichtig war diese letzte große<br />
Dienstreise, die Sie als <strong>DAAD</strong>-Präsident<br />
unternommen haben?<br />
Indien ist als zweitgrößtes Land der Erde natürlich<br />
sehr wichtig. Wir haben alte freundschaftliche<br />
Verbindungen, allein schon durch<br />
die Pionierleistungen deutscher Indologen und<br />
Sanskritologen. Der Wissenschaftsaustausch<br />
ist aber bis heute nicht befriedigend. Zwar haben<br />
wir jetzt circa 4 000 Inder bei uns, aber insgesamt<br />
studieren und forschen 130 000 Inder<br />
im Ausland, davon 8 000 in den USA. Deshalb<br />
rollt jetzt der Science Express durch Indien, ein<br />
Zug, der dem Besucher moderne wissenschaftliche<br />
Themen präsentiert – und in dem auch der<br />
<strong>DAAD</strong> über Bildungs- und Forschungsmöglichkeiten<br />
in Indien und Deutschland informiert.<br />
Damit wollen wir den indischen Nachwuchs<br />
auf die Chancen einer Karriere in Forschung<br />
und Entwicklung aufmerksam machen.<br />
Der Austausch funktioniert aber nur, wenn<br />
auch mehr Deutsche nach Indien gehen. Dafür<br />
muss man die entsprechenden Strukturen<br />
schaffen: Kooperationen, Doppeldiplome, ein<br />
Exzellenzzentrum für binationale Projekte. Für<br />
die neuen Initiativen will uns das Bundesforschungsministerium<br />
zusätzlich über vier Millionen<br />
Euro pro Jahr geben, was eine gute Verdoppelung<br />
unseres Haushalts für Indien ist.<br />
(Siehe auch Bericht auf Seite 36)<br />
Dafür, dass der Austausch keine Einbahnstraße<br />
bleibt, hat sich der <strong>DAAD</strong> während<br />
Ihrer Amtszeit stark eingesetzt.<br />
Ja, und mit Erfolg. Wir wollten zunächst zehn<br />
Prozent deutsche Studierende mit Auslandserfahrung,<br />
dann 15 Prozent. Wenn man heute zu<br />
den Studiensemestern auch Ferienkurse und<br />
Praktika im Ausland hinzuzählt, sind es etwa<br />
30 Prozent. Wir wollen es in den nächsten Jahren<br />
auf 50 Prozent bringen, damit stehen wir<br />
dann an der Spitze der Industrienationen.<br />
Wenn Sie auf 20 Jahre Präsidentschaft<br />
zurücksehen – welches waren besonders<br />
erfreuliche Entwicklungen in der Austauschpolitik?<br />
Erfreulich ist, dass es trotz aller Schwierigkeiten<br />
und ständigem Gerangel ums Geld gelungen<br />
ist, seit meinem Amtsantritt den Haushalt<br />
zu verdreifachen. Ganz generell können<br />
wir dankbar sein, dass unser Parlament und<br />
alle Parteien uns so gewogen sind. Dass wir<br />
das Geld, das wir bekommen, nach bestimmten<br />
Kriterien selbst verteilen können – das gibt es<br />
in keinem anderen Land der Welt.<br />
Als ich den <strong>DAAD</strong> übernommen habe, war das<br />
schon eine sehr gute Organisation. Aber in unserer<br />
Zeit reicht es nicht, gut zu sein. Man muss<br />
auch darüber reden. Wir haben uns in den letz-<br />
ten Jahren als gute Adresse weltweit bekannt<br />
gemacht und dasselbe mit Marketing-Aktionen<br />
und Messeauftritten für den Hochschulstandort<br />
Deutschland erreicht.<br />
Was ist Ihnen besonders gut gelungen,<br />
worauf sind Sie vielleicht sogar stolz?<br />
Eines der wichtigsten Ereignisse – auch von der<br />
Gemütslage her – war die Wiedervereinigung<br />
mit ihren ganz besonderen Herausforderungen<br />
an den <strong>DAAD</strong>. Wir haben damals, ohne lange<br />
zu zögern, gesagt: Wir übernehmen die circa<br />
7 000 ausländischen Stipendiaten der DDR.<br />
Denn kein ausländischer Student sollte mit<br />
der Wiedervereinigung sein eigenes Scheitern<br />
verbinden. Politisch war das nicht ganz leicht<br />
durchzusetzen, und wir brauchten ja auch mit<br />
einem Schlag 70 Millionen Mark mehr. Aber<br />
wir haben das geschafft.<br />
Mehr als 90 Prozent dieser Stipendiaten haben<br />
ihr Studium erfolgreich abgeschlossen. Das ist<br />
eine hervorragende Bilanz, denn sie befanden<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07
sich in einem System, das im Umbruch war.<br />
Keine leichte Situation: Die Professoren wurden<br />
ausgewechselt, ebenso die Studieninhalte.<br />
Dass es trotzdem ein Erfolg wurde, macht mich<br />
wirklich stolz.<br />
Sie haben die Arbeit für den <strong>DAAD</strong> viele<br />
Jahre neben Ihrem Vollzeitjob als Präsident<br />
der Universität Würzburg gemacht. Was<br />
hat Sie daran so gereizt, dass Sie die Doppelbelastung<br />
auf sich genommen haben?<br />
Da gab es eine ganze Reihe von Motivationen.<br />
Zum einen ist es ungeheuer befriedigend, junge<br />
Leute für die Wissenschaft zu begeistern, ob<br />
junge Deutsche, die man rausschicken, oder<br />
Ausländer, die man für sich gewinnen möchte.<br />
Etwas pathetisch könnte ich sagen, dass unsere<br />
Arbeit auch eine wichtige Leistung für den<br />
Frieden in der Welt ist. Wir bilden Eliten aus,<br />
die Freunde Deutschlands werden und sich<br />
später womöglich für den Frieden einsetzen<br />
werden.<br />
Ich bin ja von Haus aus Philologe, also anderen<br />
Ländern und Mentalitäten gegenüber<br />
ohnehin aufgeschlossen. So habe ich es auch<br />
als eine ungeheure Bereicherung empfunden,<br />
in der Welt zu reisen und mit offenen Augen<br />
und Ohren alles aufzunehmen. Man muss sich<br />
ja nicht identifizieren, aber man kann sich<br />
innerlich annähern, um zu verstehen, warum<br />
andere Leute anders leben als wir. Allerdings<br />
ließ das dichte Arbeitsprogramm auf diesen<br />
Reisen – Brasilien oder Japan in drei Tagen –<br />
oft kaum Zeit dafür.<br />
Welches Land möchten Sie als Privatmann<br />
wieder besuchen und noch näher kennenlernen?<br />
Das sind eine ganze Reihe von Ländern. Da<br />
ich Romanist bin, werde ich von der Romania<br />
nicht lassen, und die ist ja nicht nur in Europa<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
angesiedelt, sondern auch auf dem gewaltigen<br />
Subkontinent Lateinamerika.<br />
Haben Sie da ein bestimmtes Projekt?<br />
Ja, ich möchte demnächst, wenn ich mehr Zeit<br />
habe, ein Buch fertig schreiben, einen systematischen<br />
Vergleich zwischen Spanisch und<br />
Portugiesisch. Das soll all denen nützlich sein,<br />
die beide Sprachen sprechen wollen. In Lateinamerika<br />
leben 180 Millionen Portugiesen<br />
und Brasilianer und ungefähr 350 Millionen<br />
Hispanophone zusammen und müssen sich<br />
verständigen. Was dabei herauskommt, ist weder<br />
Spanisch noch Portugiesisch, sondern Portunhol.<br />
Damit können sie sich verständigen,<br />
aber sie wissen, dass das unvollkommen ist.<br />
Ich bin häufig gefragt worden: Wie machst Du<br />
das, dass Du die Sprachen auseinanderhältst.<br />
Und da dachte ich mir, das kann ich mal aufschreiben.<br />
Bei Ihren Auslandsbesuchen haben Sie<br />
die Gastgeber und <strong>DAAD</strong>-Alumni immer<br />
wieder verblüfft, weil Sie mit ihnen in ihrer<br />
eigenen Sprache reden konnten. Wie viele<br />
Sprachen können Sie wirklich?<br />
(Berchem lacht:) Das kann ich gar nicht genau<br />
sagen (denkt nach und zählt 15 Sprachen<br />
auf – von Rumänisch und Griechisch über<br />
Katalanisch bis Russisch, Serbokroatisch und<br />
Arabisch), bei einigen fehlt natürlich auch die<br />
Praxis, und ich beherrsche sie eher passiv.<br />
Wo lässt Sie Ihre Arbeit unbefriedigt, was<br />
ist nicht erreicht?<br />
Ich hatte in der Vergangenheit oft den Eindruck,<br />
dass Afrika wissenschaftlich, politisch<br />
und wirtschaftlich ein verlorener, aufgegebener<br />
Kontinent ist. Doch das ändert sich gerade. Die<br />
<strong>DAAD</strong><br />
offizielle Politik in Deutschland ist aufmerksam<br />
geworden, unser Bundespräsident ist sehr<br />
engagiert und dort auch sehr geachtet. Was wir<br />
bisher dort leisten, ist jedoch angesichts der<br />
Größe des Kontinents nicht angemessen.<br />
Allerdings dürfen wir nicht zu den Ländern gehören,<br />
die die afrikanischen Eliten abziehen.<br />
Vor einem Jahr war ich mit dem Bundespräsidenten<br />
in Ghana. Da wurde uns gesagt: „75<br />
Prozent unserer ausgebildeten Ärzte sind im<br />
Ausland.“ Wir haben überlegt, wie man das<br />
ändern könnte. Eine Möglichkeit wäre, dass<br />
man die Besten des Landes zur Ausbildung<br />
gar nicht erst für mehrere Jahre zu uns holt,<br />
sondern dass sie durch Kooperation, etwa mit<br />
Gastdozenten, vor Ort lernen.<br />
Wenn Afrika auf eigenen Füßen stehen will,<br />
braucht es eigene Lehrer. Man muss sie ausbilden,<br />
zum Beispiel in Centers of Excellence,<br />
wo sie aus den Anrainerstaaten zusammenkommen<br />
und gut ausgebildet werden – das<br />
könnten wir mit Surplace-Stipendien unter-<br />
stützen – und wo sie untereinander vernetzt<br />
werden. So könnte man vermeiden, die guten<br />
Leute von dort abzuziehen. Ich hoffe, dass die<br />
Politik bereit ist, das mitzufinanzieren. Die Regierungen<br />
in Afrika müssen allerdings auch<br />
dafür sorgen, dass man etwa mit einem Arztgehalt<br />
dort angemessen leben kann.<br />
In einem <strong>Letter</strong>-Interview 1987, direkt vor<br />
Ihrem Amtsantritt als <strong>DAAD</strong>-Präsident, haben<br />
Sie sich bereits für die Einführung von<br />
Bachelor und Master an den deutschen<br />
Hochschulen ausgesprochen. Wie denken<br />
Sie heute darüber?<br />
Ja, ich zähle zu den Vorkämpfern der gegliederten<br />
Studienstruktur. Sie sorgt für eine größere<br />
Kompatibilität, und das ist gut. Wenn<br />
Ausländer früher mit einem Diplom aus<br />
Aachen – immerhin eine der ersten Adressen<br />
– nach Hause zurückgingen, hatten sie<br />
Schwierigkeiten, den als Master anerkannt zu<br />
bekommen. Und deutsche Master-Absolventen<br />
Fotos: Reiner Zensen<br />
31
32<br />
<strong>DAAD</strong><br />
konnten in Deutschland nur schwer eingegliedert<br />
werden. Das ist vorbei.<br />
Bei dem Ziel, mehr Mobilität zu schaffen,<br />
habe ich allerdings meine Zweifel. Wenn man<br />
im Bachelor-Studiengang in drei Jahren so<br />
viel lernen will, dass man für den Beruf qualifiziert<br />
ist, muss das Studium sehr gestrafft<br />
sein. Da ist es schwierig, eine Zeitlang ins Ausland<br />
zu gehen. Ein Philologe aber muss sich<br />
so früh wie möglich im Ausland aufhalten,<br />
um dort Englisch, Russisch oder Chinesisch<br />
zu lernen.<br />
Der <strong>DAAD</strong> sieht in bi- und trilateralen Vereinbarungen<br />
eine Chance, dieses Problem zu lösen.<br />
Das heißt, dass ein Semester in Cambridge<br />
so in das Studium in Deutschland eingepasst<br />
wäre, dass es zählt. Das ist allerdings aufwändig.<br />
Ich laste der Politik an, dass sie den Bachelor<br />
als generell berufsbildenden Abschluss<br />
ansieht und Vorgaben machen will, wie viele<br />
weiter studieren dürfen. Ob jemand nach dem<br />
Bachelor den Master machen will, sollte man<br />
ihm selbst und der Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt<br />
überlassen.<br />
Was kommt nach zwei Präsidentschaften?<br />
Ich gehe davon aus, dass es ein bisschen ruhiger<br />
wird als bisher. Ich werde mich nicht<br />
völlig aus dem Hochschulleben zurückziehen,<br />
unter anderem engagiere ich mich weiter im<br />
Hochschulrat der Universität Augsburg. Aber<br />
es wird eine Freude sein, an den Schreibtisch<br />
zurückzukehren – und auch wieder mehr Gitarre<br />
zu spielen. Immerhin habe ich die Begeisterung<br />
für dieses Instrument an vier Enkel<br />
vererbt, die fleißig spielen.<br />
Vielen Dank für das Gespräch!<br />
Die Fragen stellte Leonie Loreck<br />
Theodor Berchem, 1935 in Pützchen bei Bonn<br />
geboren, studierte Romanistik, Anglistik und<br />
Slawistik in Genf, Köln und Paris, wo er 1963<br />
promovierte.<br />
Der Habilitation 1966 folgte 1967 der Ruf als<br />
Romanistikprofessor an die Universität Würzburg.<br />
Zu Berchems wissenschaftlichen Schwerpunkten<br />
gehören die Dialektologie, Phonetik<br />
und Stilistik.<br />
1975 wurde Berchem Rektor der Universität<br />
Würzburg und war von 1976 bis 2003 ihr<br />
Präsident. Bevor er 1988 das Amt des <strong>DAAD</strong>-<br />
Präsidenten antrat, war er vier Jahre Präsident<br />
der Hochschulrektorenkonferenz.<br />
Für sein internationales Engagement wurde<br />
er mit zahlreichen höchsten akademischen<br />
und staatlichen Ehrungen im In- und Ausland<br />
bedacht, zuletzt Ende November in Thailand, wo<br />
er aus den Händen von Prinzessin Maha Chakri<br />
Sirindhorn als erster deutscher Akademiker den<br />
Mongkutthai Orden, den „Most Noble Order of<br />
the Crown of Thailand“, entgegennahm.<br />
Berchem und seine französische Ehefrau Marie-<br />
José haben vier Töchter und 10 Enkelkinder. Llo<br />
Foto: Nicole Maskus<br />
Eine Münchnerin aus Ägypten<br />
200 Absolventen deutscher Auslandsschulen beim<br />
Stipendiatentreffen in Berlin<br />
Sie kommen von deutschen Schulen im<br />
Ausland zum Studium nach Deutschland,<br />
sprechen perfekt Deutsch, sind bikulturell<br />
und hochmotiviert. Beim großen Treffen in<br />
Berlin machte die gute Nachricht schnell<br />
die Runde: Der <strong>DAAD</strong> stockt die Stipendienzahl<br />
für diese Auslands-Abiturienten<br />
um das Doppelte auf.<br />
ir haben nicht nur Mathe, Deutsch und<br />
„WEnglisch gelernt, sondern auch Fleiß<br />
und Toleranz“, beschreibt Burak Altintas seine<br />
Zeit auf der Deutschen Schule in Istanbul. „Die<br />
Toleranz kam ganz von allein - durch unsere<br />
deutschen Lehrer und die deutschen Schüler,<br />
die mit uns die Schule besuchten, lernten wir,<br />
mit einer anderen Lebensweise und Kultur<br />
umzugehen.“ Nach dem Abitur war dann der<br />
Anreiz groß, in dem aus der Ferne schon vertrauten<br />
Land eine Zeitlang zu leben.<br />
Heute studiert Altintas im 9. Semester Medizin<br />
in Heidelberg. Der junge Türke war einer<br />
von 200 Stipendiaten, die der <strong>DAAD</strong> im November<br />
nach Berlin geladen hatte. Bei einem<br />
Besuch im Auswärtigen Amt zeigte sich Außenminister<br />
Frank-Walter Steinmeier beim Gespräch<br />
mit den Studenten positiv überrascht<br />
von deren Sprachkenntnissen. Viele sprechen<br />
Deutsch wie ihre Muttersprache.<br />
„Mit dem Programm holen wir die Talentiertesten<br />
zu uns“, sagt <strong>DAAD</strong>-Generalsekretär<br />
Christian Bode und erinnert daran, dass viele<br />
der jungen Leute beim Besuch der Deutschen<br />
Schule bereits in die Fußstapfen ihrer Eltern<br />
treten: „Da gibt es dauerhafte Bindungen an<br />
Deutschland.“ Von den Schulen für das Stipendium<br />
vorgeschlagen, kommen überdies die besonders<br />
Begabten.<br />
Diese exzellenten Voraussetzungen sind<br />
auch der Grund, warum die deutschen Hochschulen<br />
verstärkt um die Auslandsschul-Absolventen<br />
werben wollen. Bislang entscheiden<br />
sich nur etwa 25 Prozent für eine deutsche<br />
Universität. In dem 2001 eingerichteten <strong>DAAD</strong>-<br />
Programm „Absolventen deutscher Auslandsschulen“<br />
werden zurzeit 60 Stipendien pro<br />
Jahr vergeben. Das Auswärtige Amt will diese<br />
Zahl ab 2008 verdoppeln. Davon profitieren<br />
nicht nur die Abiturienten der deutschen<br />
Schulen, sondern verstärkt auch Absolventen<br />
einheimischer Schulen mit deutschem Zweig.<br />
Dort erwerben sie mit dem einheimischen<br />
Schulabschluss auch das Deutsche Sprachdiplom<br />
und damit den direkten Zugang zu den<br />
deutschen Hochschulen.<br />
Solarstrom für Brasilien<br />
Die Neugier auf das Leben in Deutschland ist<br />
bei den meisten nur ein, wenn auch wichtiger<br />
Grund. Baruk Altintas, der später als Chirurg<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07
ABSTrACT<br />
From a German School Abroad<br />
to a University in Germany<br />
This November in Berlin, 200 <strong>DAAD</strong> scholarship<br />
students who came to Germany for their<br />
university studies after graduating from a<br />
German school abroad gathered at the invitation<br />
of the <strong>DAAD</strong>. Foreign Minister Frank-<br />
Walter Steinmeier, who welcomed the students,<br />
expressed surprise at their language skills.<br />
Most of them speak German like natives.<br />
The graduates of German schools abroad are<br />
bicultural and highly motivated. Their excellent<br />
preparation is the reason why German<br />
higher education institutions increasingly<br />
want to attract them. Up to now, only about 25<br />
percent of these graduates have chosen German<br />
universities. In 2001 the <strong>DAAD</strong> began a<br />
programme especially for graduates of German<br />
schools abroad, which currently grants 60<br />
scholarships each year. The Foreign Ministry<br />
wants to double this figure starting in 2008.<br />
in der Türkei arbeiten möchte, sagt: „Die Ausbildung<br />
hätte ich natürlich auch in Istanbul<br />
machen können, aber hier habe ich ganz<br />
andere Forschungsmöglichkeiten. Es reicht<br />
nicht, ein guter Kliniker zu sein – man muss<br />
heute auch über die neuesten Entwicklungen<br />
in der Molekularbiologie, der Onkologie oder<br />
der Stammzellenforschung auf dem Laufenden<br />
sein.“ Seinen Wunsch, experimentell<br />
zu forschen, konnte er bereits bei seiner Doktorarbeit<br />
verwirklichen: Altintas hat ein Modell<br />
entworfen, mit dem sich die Interaktion<br />
von Nerven und Krebszellen beim Krebs der<br />
Bauchspeicheldrüse untersuchen lässt.<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
Blick auf das politische Berlin:<br />
In der Kuppel des Bundestags …<br />
Foto: Nicole Maskus<br />
Der gute Ruf der deutschen Ingenieurwissenschaften<br />
war es, der den Brasilianer Nicolás<br />
Chang an die Technische Hochschule nach<br />
Aachen lockte, wo er im 7. Semester Maschinenbau<br />
studiert. Auch er war auf Deutschland<br />
bestens vorbereitet. „Meine Eltern schickten<br />
mich und meine Schwester auf die Humboldt-<br />
Schule in São Paulo, weil sie gut ist und obwohl<br />
sie 20 Kilometer von zu Hause entfernt<br />
lag.“ Chang, dessen Vater aus Taiwan und dessen<br />
Mutter aus Uruguay stammt, spricht neben<br />
seiner Heimatsprache Portugiesisch auch<br />
Spanisch, Englisch und Chinesisch.<br />
„Deutsch zu lernen, war zuerst ziemlich<br />
schwierig“, erinnert er sich, „aber es hat sich<br />
gelohnt.“ Denn Deutschland ist genau der richtige<br />
Ort für sein Spezialinteresse: die Umwelttechnik.<br />
„Hier gibt es intensive Forschung auf<br />
dem Gebiet, und die erneuerbaren Energien<br />
werden enorm subventioniert.“ Chang träumt<br />
davon, dass mithilfe von solarthermischen<br />
Kraftwerken die Situation im Nordosten Brasiliens<br />
verbessert wird. Während der größte Teil<br />
Brasiliens Energie aus Wasserkraftwerken bezieht,<br />
gibt es in der nördlichen Wüstenregion<br />
bis heute ganze Dörfer ohne Strom, erzählt er.<br />
Auch Trinkwasser fehlt dort, weil das verfügbare<br />
Wasser zu salzig ist, Entsalzungsanlagen<br />
aber Strom brauchen.<br />
Karriere gesichert<br />
Dass er mit dem deutschen Abschluss und<br />
den interkulturellen Erfahrungen einen guten<br />
Job finden wird, daran zweifelt Chang<br />
nicht. „São Paulo gehört weltweit zu den<br />
Städten mit den meisten deutschen Firmen.“<br />
<strong>DAAD</strong><br />
Die Karrierechancen sind gut – das können<br />
auch die ersten 13 Absolventen des <strong>DAAD</strong>-Programms<br />
bestätigen. Die Ägypterin Heba Aguib,<br />
die auf die Frage nach ihrer Herkunft spontan<br />
sagt: „Ich bin Münchnerin“, bekam nach ihrem<br />
Abschluss als Maschinenbauerin an der<br />
Technischen Universität München gleich zwei<br />
Angebote aus der Automobilindustrie.<br />
Der Ingenieurin, die erstmal promovieren<br />
will, liegt die finanzielle Ausstattung und<br />
damit die Zukunft ihrer deutschen Schule in<br />
Kairo am Herzen. „Wenn das Schulgeld erhöht<br />
wird, kann nur noch die Elite ihre Kinder dort<br />
lernen lassen“, warnt sie. Sie würde ihre Kinder<br />
später auch gern zur deutschen Schule<br />
schicken – „wenn sie dann noch genauso gut<br />
ist wie zu meiner Zeit.“<br />
Als sie diesen Wunsch in Berlin bei einer Diskussionsrunde<br />
mit Bundestagsabgeordneten<br />
zur Sprache brachte, traf sie auf offene Ohren.<br />
Peter Gauweiler (CSU), Experte für Auswärtige<br />
Kultur- und Bildungspolitik, forderte die<br />
Stipendiaten auf, ihm Verbesserungsvorschläge<br />
für die deutschen Schulen zu schicken. Die<br />
Wünsche und Tipps sollen in einen für das<br />
nächste Jahr geplanten Beschluss des Bundestags<br />
zu den Deutschen Auslandsschulen<br />
eingehen. Gauweiler kündigte an: „Die fünf<br />
Einsender mit den besten Vorschlägen lade<br />
ich zur Anhörung nach Berlin ein.“<br />
Leonie Loreck<br />
33<br />
… und im Auswärtigen Amt mit Außen minister<br />
Frank-Walter Steinmeier (1. Reihe rechts),<br />
<strong>DAAD</strong>-General sekretär Christian Bode (links<br />
daneben) und Bildungsexperte Rolf Dieter<br />
Schnelle vom Auswärtigen Amt (2. Reihe rechts)
34<br />
Foto: Claudia Krüger<br />
<strong>DAAD</strong><br />
STIPENDIATEN ForSCHEN<br />
1000 Jahre alt: Das Zupfinstrument Mbira<br />
Musikethnologie<br />
Musikalische Geschichten<br />
aus Afrika<br />
Ursprünglich hat sie an der Görlitzer<br />
Universität Sozialarbeit studiert.<br />
Doch während eines Praktikums<br />
in Südafrika entdeckte<br />
Claudia Krüger ihre Liebe zur<br />
afrikanischen Musik. „Afrika hat<br />
mich immer fasziniert und als<br />
Kind habe ich gesungen, bevor<br />
ich sprechen konnte“, sagt die in<br />
Riesa an der Elbe geborene Wissenschaftlerin.<br />
Nach dem Studium<br />
lernte sie einen Musikethnologen<br />
kennen, der sie für sein Fach begeisterte.<br />
An deutschen Hochschulen gibt<br />
es keine Möglichkeit, das exotische<br />
Fach zu studieren, und so<br />
landete die <strong>DAAD</strong>-Stipendiatin<br />
an der Universität im britischen<br />
Sheffield. Der Schwerpunkt ihres<br />
Masterstudiums in Musikethnologie<br />
war die Musik Südafrikas.<br />
Ihr Forschungsprojekt brachte<br />
Claudia Krüger bereits mit in die<br />
mittelenglische Stadt: „Auf einer<br />
Hochzeit in Botswana hatte ich<br />
zuvor Musiker aus Südafrika getroffen,<br />
die mir die Gelegenheit<br />
gaben, ihre Band zu begleiten.“<br />
Neben vielen Gesprächen probte<br />
die Forscherin gemeinsam mit<br />
den afrikanischen Musikern und<br />
durfte sogar mehrmals mit auf<br />
die Bühne. „Das Material, das ich<br />
in dieser Zeit gesammelt habe,<br />
reichte bereits für eine Masterarbeit<br />
aus, daher habe ich mich<br />
in meinem Studium in Sheffield<br />
vor allem auf die theoretischen<br />
Grundlagen konzentriert.“<br />
Noch während des Studiums<br />
nahm die Forscherin eine Teilzeitstelle<br />
in einer kleinen, nicht-kommerziellen<br />
Musikagentur an und<br />
vermittelt seitdem zwischen Sheffielder<br />
Schulen und Künstlern aus<br />
aller Welt. „Wir möchten jungen<br />
Menschen den Geschmack von<br />
„Weltmusik“ näher bringen. Unser<br />
Angebot ist dabei vielfältig –<br />
von „traditional“ bis „urban-style“<br />
ist alles dabei.“ In naher Zukunft<br />
möchte die Musikethnologin ihre<br />
Doktorarbeit über afrikanischen<br />
Tanz schreiben und dazu wahrscheinlich<br />
mit ihrem malawischen<br />
Partner und dem gemeinsamen<br />
Sohn nach Afrika ziehen.<br />
Kriminologie<br />
Gegen Drogenhandel<br />
und Terror<br />
„In meiner Heimat lebt man unter<br />
politischer Spannung“, sagt<br />
Ximena Useche-Gómez. „Dennoch<br />
lebe ich gerne in Kolumbien,<br />
meine Familie ist dort und<br />
neben Gewalt und Drogenhandel<br />
gibt es natürlich auch ein gesellschaftliches<br />
Leben.“ Die Kolumbianerin<br />
ist Juristin und Diplom-<br />
Kriminologin. Seit 2005 absolviert<br />
sie ein Promotionsstudium<br />
am Institut für Kriminologie der<br />
Universität Hamburg – gefördert<br />
über das <strong>DAAD</strong>-Colfuturo-Sonderprogramm,<br />
das sich speziell an<br />
kolumbianische Studierende und<br />
Graduierte richtet.<br />
„Ich analysiere in meiner Arbeit<br />
die Kriminalpolitik gegenüber<br />
dem Terrorismus in Kolumbien<br />
in den letzten acht Jahren.“ Das<br />
Gefahr aus der Luft: Kinder zeichnen ihre Ängste<br />
lateinamerikanische Land kämpft<br />
an vielen Fronten: gegen Drogenhandel,<br />
linksgerichtete Guerillas,<br />
rechtsextreme Todesschwadrone<br />
und paramilitärische Gruppen.<br />
Die Kriminalpolitik Kolumbiens<br />
sei heutzutage zu einer Sicherheitspolitik<br />
des permanenten Ausnahmezustandes<br />
geworden, meint<br />
die Kriminologin. „Trotz der massiven<br />
militärischen Hilfe der USA<br />
konnte unserem Land der Frieden<br />
nicht garantiert werden.“<br />
Die Erfahrungen aus Deutschland<br />
seien sehr wichtig, sagt Ximena<br />
Useche-Gómez, die bereits<br />
1996 an der Hamburger Universität<br />
ihr Diplom in Kriminologie<br />
machte. „Die Gesetzgebung in<br />
Kolumbien ist durch deutsche<br />
Wut und<br />
Enttäuschung:<br />
Junge Franzosen in<br />
den Vorstädten<br />
Traditionen beeinflusst. Viele Juristen,<br />
die unsere Verfassung mitgestalteten,<br />
haben in Deutschland<br />
promoviert. Es ist jedoch schwierig,<br />
die hohen juristischen Standards<br />
umzusetzen, wenn gleichzeitig<br />
ein interner Krieg herrscht.<br />
Aber es ändert sich derzeit viel in<br />
Kolumbien, und dieser Prozess<br />
wird weitergehen.“<br />
Abb.: El Tiempo<br />
Architektur<br />
Ökologische Nachbarschaft<br />
in Vietnam<br />
„Ökobau bedeutet nicht nur Dachbegrünung,<br />
Nutzung erneuerbarer<br />
Energien oder Verwendung<br />
umweltfreundlicher Baustoffe“,<br />
sagt Nguyen Quang Minh. Der<br />
Vietnamese hat Architektur an der<br />
Universität für Bauwesen in Hanoi<br />
studiert und absolviert zurzeit ein<br />
dreijähriges <strong>DAAD</strong>-gefördertes<br />
Promotionsstudium am Lehrstuhl<br />
Ökologisches Bauen der Bauhaus-<br />
Universität Weimar. „Ökologisches<br />
Bauen ist ein Gesamtkonzept, das<br />
auch Freiräume, Verkehr und vor<br />
allem die Nachbarschaft mit einbezieht.“<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07
Abb.: Van Tho<br />
Quang Minh entwickelt ein solches<br />
Konzept für ökologische Wohnsiedlungen<br />
in seiner Heimatstadt<br />
Hanoi. „Ökologie ist in Vietnam<br />
hochaktuell, und Ökobau wird<br />
künftig eine große Rolle bei der<br />
Stadtentwicklung spielen. In diesem<br />
Kontext geht es vor allem um<br />
Nachhaltigkeit. Bei diesem Thema<br />
spielen – von der Zielsetzung bis<br />
zur Umsetzung – Architekten und<br />
Stadtplaner wie ich eine wichtige<br />
Rolle.“<br />
Eine nachhaltige städtebauliche<br />
Entwicklung hat für Quang Minh<br />
viele Aspekte: Zu jeder ökologischen<br />
Siedlung gehöre ein gemeinsamer<br />
Platz, ein Treffpunkt<br />
für die Bewohner und ein Raum<br />
für Kommunikation, Erholung und<br />
Freizeitgestaltung. „Ich möchte in<br />
meiner Dissertation eine Wohnsiedlung<br />
mit einer ökologischen<br />
Nachbarschaft als komplette Einheit<br />
konzipieren“, sagt der 31-Jährige.<br />
Als ebenso wichtig betrachtet<br />
der Forscher die Bewahrung des<br />
vietnamesischen Architekturerbes:<br />
„Die Bauformen und Stadt-<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
strukturen unserer Vorväter sind<br />
eine Kunst der Wohnraumgestaltung.<br />
Daher ist die Kombination<br />
von modernen Ökobautechniken<br />
und traditionellen Baustilen heutzutage<br />
eine neue Aufgabe für Architekten.“<br />
Nguyen Quang Minh<br />
möchte nach seiner Promotion<br />
nach Hanoi zurückkehren und<br />
dort als Architekt und Hochschullehrer<br />
arbeiten. „Ich will meine Erfahrungen<br />
in die Praxis umsetzen,<br />
aber auch meine Fachkenntnisse<br />
an Studenten weitergeben. Und<br />
vielleicht wird mein Traum wahr,<br />
eines Tages die erste Ökostadt in<br />
Vietnam zu bauen.“<br />
Ethnologie<br />
Wir sind Franzosen<br />
Im Herbst 2005 erschütterte eine<br />
Serie von Brandstiftungen, gefolgt<br />
von gewalttätigen Zusammenstößen<br />
zwischen meist jugendlichen<br />
Migranten und der Polizei die<br />
Vororte im Großraum Paris – die<br />
so genannten Banlieues. Für den<br />
Ethnologen Michael Westrich der<br />
Anlass, nach den Hintergründen<br />
der Gewaltausbrüche in der französischen<br />
Metropole zu fragen.<br />
Für seine Abschlussarbeit konzentrierte<br />
er sich dabei auf afrikanische<br />
Jugendliche im 18. Pariser<br />
Arrondissement und der nördlichen<br />
Vorstadt.<br />
Der <strong>DAAD</strong>-Stipendiat nahm<br />
Kontakt zu einem afrikanischstämmigen<br />
Fotografen und zu<br />
Mitgliedern einer französischen<br />
Rap-Band auf, die bereits in der<br />
zweiten oder dritten Generation<br />
in Frankreich leben. Die multikulturelle<br />
Rap-Band „La Brigade,<br />
les hommes en colère“ – wütende<br />
Männer – singt vom schwierigen<br />
Leben in den Pariser Vorstädten,<br />
von Hoffnungen und Hass. Sie haben<br />
Verständnis für die Unruhen,<br />
aber eins ist für sie selbstverständlich:<br />
„Wir sind Franzosen.“ Gerade<br />
deshalb empfinden sie die Ausgrenzung<br />
aus der französischen<br />
Gesellschaft so schmerzhaft.<br />
Neben seiner Feldforschung<br />
drehte der Ethnologe mit Hilfe<br />
eines befreundeten Schweizer<br />
Filmteams einen 40-minütigen<br />
Dokumentarfilm mit dem Titel<br />
Zukunft für Hanoi:<br />
Ökobau schafft Freiräume<br />
<strong>DAAD</strong><br />
„Poesie einer Revolte“. Er wurde<br />
Anfang des Jahres in der Ausstellung<br />
„Black Paris“ zunächst in<br />
Bayreuth, dann im Frankfurter<br />
Museum der Weltkulturen gezeigt<br />
und ist bis Februar 2008 noch im<br />
Musée des Arts Derniers in Paris<br />
zu sehen.<br />
„Meine Interviews haben gezeigt,<br />
dass bei den Menschen<br />
sowohl in der ersten als auch in<br />
der zweiten Generation ein Gefühl<br />
der Benachteiligung vorherrscht.<br />
Durch städtebauliche Maßnahmen,<br />
die sozial Schwache in die<br />
Vorstädte verdrängen, und Fehler<br />
im Erziehungssystem wird<br />
der Eindruck noch verstärkt, es<br />
gäbe Bürger zweiter Klasse, die<br />
sich durch äußerliche Fremdartigkeit<br />
ausweisen“, resümiert<br />
der Wissenschaftler. Er steht den<br />
staatlichen Strategien skeptisch<br />
gegenüber: „Die Aufstände mit<br />
Repressionen und Zuzugsbegrenzungen<br />
bekämpfen zu wollen,<br />
führt ins Leere. Eine intensivere<br />
Sicherheits politik kann sogar zur<br />
Verstärkung der Situation führen,<br />
wie die heftigen Auseinandersetzungen<br />
im November 2005<br />
zeigen.“<br />
Die Arbeit in Paris habe seinen<br />
weiteren Werdegang nachhaltig<br />
beeinflusst und den Wunsch geweckt,<br />
tiefer in die Migrationsdebatte<br />
einzusteigen. Seit dem<br />
letzten Wintersemester studiert<br />
der gebürtige Regensburger im<br />
Masterstudiengang „Internationale<br />
Migration und interkulturelle<br />
Beziehungen“ an der Universität<br />
Osnabrück. Doris Bünnagel<br />
Fotos: Michael Westrich<br />
35
36<br />
<strong>DAAD</strong><br />
NACHrICHTEN & BErICHTE<br />
Science Express<br />
Mehr Fahrt für<br />
Austausch mit Indien<br />
Ein Zug rollt durch Indien. An Bord<br />
trägt er eine Hightech-Ausstellung, die<br />
die deutsch-indische Forschungszusammenarbeit<br />
präsentiert. Das Startsignal<br />
gab Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />
gemeinsam mit ihrem Amtskollegen,<br />
dem indischen Premierminister Manmohan<br />
Singh, Ende Oktober in Neu Delhi.<br />
Merkel wurde bei ihrem Staatsbesuch<br />
in Indien von einer hochrangigen Wirtschafts-<br />
und Wissenschaftsdelegation<br />
begleitet, darunter Bundesforschungsministerin<br />
Annette Schavan und <strong>DAAD</strong>-<br />
Präsident Theodor Berchem.<br />
An Bord des Zuges, der mit seinen<br />
13 Waggons sieben Monate lang 56 indische<br />
Städte besucht, informiert auch der <strong>DAAD</strong><br />
über den Wissenschaftsstandort Deutschland,<br />
um den indischen Nachwuchs auf Möglichkeiten<br />
des Studierens und Forschens in der<br />
Bundesrepublik aufmerksam zu machen. Zurzeit<br />
sind etwa 4 000 Inder zu diesem Zweck<br />
in Deutschland, in den USA sind es zwanzig<br />
Mal mehr.<br />
Wichtiger Motor der deutsch-indischen Beziehungen<br />
ist die Wirtschaft. Deutsche Firmen<br />
wie etwa die Lufthansa, die Bahn oder<br />
das Luft- und Raumfahrtunternehmen EADS<br />
sind in Indien tätig. Neben der Kooperation im<br />
Maschinenbau soll auch die Zusammenarbeit<br />
bei Klimaschutz und Umwelttechnik ausgebaut<br />
werden.<br />
Angesichts zunehmender Forschungs- und<br />
Wirtschaftskontakte gilt auch die Devise:<br />
Deutschland braucht mehr Nachwuchs mit<br />
Indien-Kompetenz. Unter dem Motto: „Passage<br />
to India“ soll deutschen Studierenden aller<br />
Fachrichtungen und Studiengänge mehr<br />
Anreiz zu einem Studien- und Forschungs-<br />
Foto: picture-alliance/dpa<br />
aufenthalt in Indien gegeben werden, etwa<br />
mit binationalen Masterstudiengängen und<br />
anderen Doppelabschlüssen. Am Indian Institute<br />
of Technology (IIT) in Madras soll ein<br />
deutsches Exzellenz-Zentrum für Ingenieur-<br />
und Umweltwissenschaften als Referenzstelle<br />
für binationale Projekte entstehen. Den verstärkten<br />
Austausch mit Indien will das Bundesbildungsministerium<br />
mit jährlich mehr als<br />
vier Millionen Euro zusätzlich fördern. Llo<br />
Indische Stipendiaten<br />
Pünktlich in Stuttgart<br />
In Deutschland streikte die Bahn, aber die<br />
indischen Stipendiaten, die der <strong>DAAD</strong> von<br />
zehn verschiedenen deutschen Hochschulorten<br />
nach Stuttgart geladen hatte, zeigten ein<br />
hohes Maß an Organisationstalent: Fast alle<br />
waren pünktlich. Das Treffen Mitte November<br />
auf dem Campus in Stuttgart-Vaihingen führte<br />
51 Stipendiaten der Indian Institutes of Technology<br />
(IIT) und 16 weitere von den Indian<br />
Institutes of Management (IIM) zusammen.<br />
Zurzeit studieren sie an den führenden Technischen<br />
Universitäten und Business Schools<br />
in Deutschland, um den Master zu erwerben.<br />
In dem 1998 eingerichteten IIT MasterSandwichprogramm<br />
nehmen jährlich zwischen<br />
50 und 60 junge Ingenieure die Möglichkeit<br />
wahr, nach einem sechswöchigen Deutschkurs<br />
ihre Masterarbeit unter deutscher Leitung<br />
zu verfassen. Einige ergänzen ihren<br />
Aufenthalt durch ein Industriepraktikum. Die<br />
IIM-Studenten kommen zu einem viermonatigen<br />
Austauschsemester an deutsche Business<br />
Schools.<br />
Stuttgart ist Daimler-Stadt, und daher überraschte<br />
es nicht, dass der indische Daimler<br />
Vize-Präsident für Forschung und Entwicklung,<br />
Professor Bharat Balasubramaniam,<br />
seine angehenden „Nachfolger“ willkommen<br />
hieß. Außer Minus-Temperaturen und<br />
Schnee – für die indischen Gäste der erste und<br />
deshalb freudig begrüßte – bot das Stuttgarter<br />
Treffen einen Besuch des Mercedes-Museums,<br />
Vorträge an der Universität und „Antakshari”,<br />
einen indischen Gesangswettbewerb. H. B.<br />
Kontinuität der Beziehungen: Irische <strong>DAAD</strong>-Alumni posieren am Trinity College in Dublin<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
Foto: <strong>DAAD</strong>
Das Startsignal für den Science Express geben<br />
Premierminister Manmohan Singh und Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel. Rechts im Bild<br />
Forschungsministerin Annette Schavan<br />
Alumni in Dublin, Bratislava, Paris<br />
Dichterlesung und Kontaktbörse<br />
Welches waren die Ergebnisse der deutschen<br />
und irischen Ratspräsidentschaft in<br />
der Europäischen Union? Wie sieht Belfasts<br />
Zukunft als moderne europäische Stadt aus?<br />
Welche Vorstellungen haben die Deutschen<br />
von Europa? Antworten auf diese Fragen bekamen<br />
die Teilnehmer des Alumni-Seminars<br />
Ende September 2007 in Dublin. Rund 80<br />
irische ehemalige <strong>DAAD</strong>-Stipendiaten und<br />
einige Lektoren trafen sich im Trinity College<br />
Dublin, um über Hochschulpolitik und<br />
Mobilität in der Forschung sowie über Immigration<br />
und Europa als Kulturraum zu diskutieren.<br />
<strong>DAAD</strong>-Generalsekretär Christian Bode hob<br />
bei der Begrüßung die Kontinuität der akademischen<br />
Beziehungen zwischen beiden<br />
Ländern hervor. Die engen kulturellen Beziehungen<br />
unterstrich der deutsch-irische<br />
Schriftsteller und <strong>DAAD</strong>-Alumnus Hugo Hamilton<br />
mit einer Lesung aus seinem Buch<br />
„The Island of Talking“. Darin beschreibt er<br />
Leute und Orte im Irland der Gegenwart, die<br />
Heinrich Böll einst in seinem „Irischen Tagebuch“<br />
dargestellt hat.<br />
Kultur stand zwar auch auf dem Programm<br />
des ersten Treffens slowakischer Alumni<br />
Mitte Oktober in Bratislava, aber die Schwerpunkte<br />
lagen auf Wirtschaft und Wissenschaft.<br />
Rund 150 ehemalige <strong>DAAD</strong>-Stipendiaten<br />
aller Disziplinen informierten sich in<br />
der Comenius-Universität über „Deutschland<br />
und die Slowakei im europäischen Wissenschafts-<br />
und Wirtschaftsraum“.<br />
Der Stellenwert der Kooperationen beider<br />
Länder auf diesen Feldern wurde unterstrichen<br />
durch die Teilnahme unter anderen des<br />
slowakischen EU-Kommissars Ján Figel. Vor<br />
der Eröffnung des Seminars durch <strong>DAAD</strong>-<br />
Präsident Theodor Berchem konnten die<br />
Alumni bei einer Kontaktbörse an der Wirtschaftsuniversität<br />
in Bratislava mit potenziellen<br />
Arbeitgebern ins Gespräch kommen.<br />
Politisch aktuell war das Alumni-Treffen,<br />
das Anfang November in Paris stattfand. Gut<br />
eine Woche vor Beginn der unbefristeten<br />
Streiks in Frankreich, die als Protest gegen<br />
die Reformpolitik der Regierung Sarkozy<br />
gelten, trafen sich rund 50 ehemalige und<br />
aktuelle <strong>DAAD</strong>-Stipendiaten unter dem Motto:<br />
„Ein Europa der Reformen? Eine deutschfranzösische<br />
Bilanz“. Bei dem Treffen in der<br />
Cité universitaire ging es auch um das Thema<br />
Generationenkonflikte in Frankreich und<br />
Deutschland. CW<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
10 Jahre Forum Studienjahr<br />
Jerusalem treu<br />
Wenn sich die Mitglieder des Forums Studienjahr<br />
treffen, geht ihr Blick nach Jerusalem.<br />
Eint sie doch das dort verbrachte Theologische<br />
Studienjahr an der Dormition Abbey. „Und<br />
doch sind wir kein Nostalgieverein“, sagte<br />
Vorstandsmitglied Regina Wildgruber Mitte<br />
Oktober beim Jahrestreffen in Erfurt. Dort feierte<br />
der Alumni-Verein sein zehnjähriges Bestehen.<br />
Es gelinge immer wieder, so Wildgruber,<br />
die Erfahrungen des Studienjahrs aktuell<br />
fruchtbar zu machen.<br />
Das Theologische Studienjahr wurde 1973<br />
von dem damaligen Abt der deutschen Benediktinerabtei<br />
Dormition Abbey in Jerusalem,<br />
Laurentius Klein, gegründet. Er wollte evangelischen<br />
und katholischen Theologiestudenten<br />
Foto: Schapowalow/Atlantide<br />
Prägende Eindrücke: Altstadt von Jerusalem<br />
ein Studium im Land der Bibel ermöglichen.<br />
Der Fächerkanon des Intensivstudiums wurde<br />
unter anderem um Judaistik, Islamkunde und<br />
Archäologie erweitert. Der <strong>DAAD</strong> unterstützt<br />
das Programm seit Beginn mit Stipendien.<br />
Die Studienjahrler, ob Pfarrer, Lehrer, Journalisten<br />
oder Unternehmensberater, empfinden<br />
die Zeit in Israel als besonders prägend<br />
für ihre eigene Biografie – da ist es egal, ob sie<br />
30 Jahre zurückliegt, wie bei Pastor Manfred<br />
Rauer aus Hüllhorst, oder erst wenige Monate,<br />
wie bei Studentin Julia Mathias. Das war der<br />
Grund, warum Absolventen vor zehn Jahren<br />
die Gründung eines Ehemaligenvereins beschlossen.<br />
400 Mitglieder zählt er heute.<br />
Gründungsmitglied Uta Zwingenberger erinnerte<br />
an die Anfänge: Als Pater Laurentius<br />
nach mehr als zwei Jahrzehnten die Leitung<br />
<strong>DAAD</strong><br />
des Studienjahrs abgab, hatten die Ehemaligen<br />
den Wunsch, etwas zu schaffen, „das Kontinuität<br />
bewahrt“. Diese Rolle hat das Forum<br />
tatsächlich übernommen, nicht nur, indem es<br />
für das Studienjahr wirbt und es materiell fördert.<br />
Aus seinen Aktivitäten ist auch die Ökumenische<br />
Stiftung Jerusalem erwachsen, die<br />
Sprachkurse in Hebräisch und Arabisch für<br />
die Studierenden in Jerusalem finanziert, ferner<br />
eine wissenschaftliche Buchreihe (Jerusalemer<br />
Theologisches Forum) und Symposien<br />
zu Themen des Studienjahrs.<br />
Auch beim diesjährigen Treffen in Erfurt<br />
blieben die Alumni ihren Interessen treu:<br />
Sie begaben sich auf die Pfade Luthers und<br />
Meister Eckharts, beleuchteten die Situation<br />
der Katholiken in Erfurt und folgten den Spuren<br />
der jüdischen Bevölkerung, etwa bei dem<br />
Besuch eines vor kurzem ausgegrabenen jü-<br />
dischen Bades, einer mittelalterlichen Mikwe.<br />
Im nächsten Jahr heißt der Treffpunkt: Istanbul.<br />
Kristina Hellwig<br />
Informationen: www.studienjahr.de<br />
Alumni-Konferenz in Tirana<br />
Bologna in Albanien<br />
Zwei Jahre Bologna-Prozess in Albanien: Welche<br />
Erfahrungen haben albanische Universitäten<br />
damit gemacht, welche Erfolge sind zu<br />
verzeichnen, welche Defizite sind erkennbar?<br />
Was ist in der Öffentlichkeit bekannt - mehr<br />
als nur, dass es neue, gestufte Studiengänge<br />
mit den neuen Abschlüssen Bachelor und<br />
Mas ter gibt? Was ist noch zu tun? Welche Erfahrungen<br />
wurden in Kooperationsprojekten<br />
mit deutschen Universitäten gesammelt?<br />
37
38<br />
<strong>DAAD</strong><br />
Vor zwei Jahren wurde in Albanien<br />
per Ministerdekret das universitäre<br />
Studium auf Bachelor und Master umgestellt.<br />
Die ersten Studienjahrgänge<br />
in den neuen Studiengängen sind<br />
beendet, in Kürze werden die ersten<br />
Bachelor-Diplome verliehen. Somit<br />
war es Zeit für eine Zwischenbilanz.<br />
Der albanische <strong>DAAD</strong>-Alumniverein<br />
und die örtlichen <strong>DAAD</strong>-Lektoren luden<br />
Universitäten und Politiker zu einer<br />
großen <strong>DAAD</strong>-Alumnikonferenz<br />
ein, die im Oktober unter dem Titel<br />
„Bologna-Prozess: Erfahrungen und<br />
Perspektiven“ in Tirana stattfand.<br />
Der Kreis der Referenten beschränkte<br />
sich nicht auf Universitätsdozenten<br />
in Albanien. Eine Journalistin<br />
stellte das Bild der Universitäten<br />
in der Öffentlichkeit dar; die<br />
Hochschulrektorenkonferenz zeigte<br />
die Entwicklungen in Deutschland auf; auch<br />
wurden internationale Hochschulpartnerschaftsprojekte<br />
vorgestellt. Die Bedeutung des<br />
Themas zeigte sich auch darin, dass neben<br />
dem deutschen Botschafter der albanische Bildungsminister<br />
und der Berater des Premierministers<br />
die Gäste begrüßten.<br />
Der übereilt eingeführte Reformprozess hat,<br />
wie bei der Konferenz deutlich wurde, in Albanien<br />
stellenweise doch zu sinnvollen neuen<br />
Studiengängen geführt und stößt weitgehend<br />
auf Akzeptanz – wenn auch das Wissen<br />
darum, was ein „Bachelor“ eigentlich ist, zu<br />
Beginn sehr gering war. Neben mehr Transparenz<br />
sind weitere große Herausforderungen<br />
an den albanischen Universitäten zu meistern,<br />
vor allem bei der Einrichtung weiterer Masterstudiengänge.<br />
Um die Diskussion weiterzuführen,<br />
ist eine Publikation der wichtigsten<br />
Beiträge und Ergebnisse geplant.<br />
Jürgen Röhling, Holger Kächelein,<br />
<strong>DAAD</strong>-Lektoren, Albanien<br />
Dialogue on Education<br />
Für eine bessere Lehre<br />
Eine neue Kultur des Lehrens sowie Mut<br />
zur Bewertung und Sanktionierung von<br />
Leistungen in der Lehre – das waren zentrale<br />
Forderungen der Teilnehmer des Kongresses<br />
„Exploring Difference – Making University<br />
Teaching Count“. Veranstaltet wurde er vom<br />
<strong>DAAD</strong> gemeinsam mit dem British Council,<br />
der German-American Fulbright Commission,<br />
der Australian Group of Eight und dem Canadian<br />
Bureau for International Education im<br />
Oktober in der Kanadischen Botschaft in Berlin.<br />
Ziel war es, von Erfahrungen in England,<br />
Kanada, USA und Australien zu lernen. Ursula<br />
Lehmkuhl, Vize-Präsidentin der Freien Uni-<br />
versität Berlin, formulierte drei Fragen: Kann<br />
man Lehren lernen? Wie kann man gute von<br />
schlechter Lehre unterscheiden? Welche Rolle<br />
spielt der Wettbewerb?<br />
In Deutschland wird die Lehre nach Ansicht<br />
von Experten noch als Stiefkind behandelt.<br />
Das sei, so die Referenten, auch an den Hochschulen<br />
der englischsprachigen Länder lange<br />
so gewesen. Druck aus der Wirtschaft, die<br />
über schlecht ausgebildete Studenten klagte,<br />
Nachfragen aus der Politik nach dem Effekt<br />
der hohen Bildungs-Investitionen und nicht<br />
zuletzt der Druck der Studenten, die für ihre<br />
Studiengebühren auch gute Lehrangebote<br />
einforderten, hätten in den 90er Jahren einen<br />
Bewusstseinswandel eingeleitet.<br />
Als Ergebnis ist in Kanada ein flächendeckendes<br />
System von „Zentren für Lehren<br />
und Lernen“ entstanden, an amerikanischen<br />
Unis werden schwächere Professoren von Kollegen<br />
gecoacht, in Australien gibt es hoch dotierte<br />
Preise für Exzellenz in der Lehre.<br />
Der „International Dialogue on Education“<br />
(ID-E) – eine Initiative des <strong>DAAD</strong> – soll fortgesetzt<br />
werden und die deutsche Diskussion<br />
durch Impulse aus dem Ausland beleben. ors<br />
Ausstellung<br />
Künstlerblick auf<br />
asiatische Metropolen<br />
„Hyper Cities – Über Städte“ hieß die Ausstellung,<br />
in der 13 junge Künstler – allesamt<br />
<strong>DAAD</strong>-Stipendiaten aus verschiedenen Ländern<br />
– mit Fotos, Videos und Installationen beklemmende<br />
Bilder von asiatischen Großstädten<br />
zeigten: von der Zerstörung gewachsener<br />
Strukturen, von Enge, Lärm, Beschleunigung<br />
und unwirtlicher Gegenwart. Einen „Überraschungstreffer“<br />
und ein „sehenswertes<br />
Hanoi auf dem Weg vom Gestern zum Morgen:<br />
Foto von Thomas Bergmann aus der Serie „Hanoi – Long Bien“ 2004<br />
Statement“ nannte die Presse die Schau, die<br />
im Herbst dieses Jahres im Museum für Asiatische<br />
Kunst in Berlin zu sehen war.<br />
Gegenwart und Zukunft der explosionsartig<br />
wachsenden asiatischen Metropolen – gesehen<br />
durch die Augen von Künstlern: die schmuddelige<br />
Sex-Meile von Bangkok im harten, tristen<br />
Tageslicht; klaustrophobische Drängelszenen<br />
in der Tokioter Untergrundbahn; verzweifelte,<br />
aber auch rührende Versuche von Menschen,<br />
im alles verschlingenden Großstadtdschungel<br />
von Seoul mithilfe von Haustieren ein Stück<br />
Individualismus und „Gemütlichkeit“ zu bewahren.<br />
Entstanden war die Idee zur Ausstellung<br />
beim <strong>DAAD</strong>, als ein Beitrag zur Asien-Pazifik-<br />
Woche in Berlin. Die dramatische Entwicklung<br />
der Mega-Städte in Asien und anderen Regionen<br />
der Welt gilt als politisches Thema von<br />
überragender Bedeutung. Im Jahr 2008 wird<br />
die Hälfte der Weltbevölkerung in Metropolregionen<br />
leben. ors<br />
Online-Service für Deutsche<br />
<strong>DAAD</strong> setzt Beraterin Luzie ein<br />
Einen neuen Beratungsservice hat der <strong>DAAD</strong><br />
auf seinen Internetseiten eingerichtet: „Luzie“<br />
gibt deutschen Studierenden und jungen<br />
Wissenschaftlern Tipps für den Auslandsaufenthalt.<br />
Mit Kompetenz und lebhafter Mimik<br />
erteilt sie Auskunft über viele Details von der<br />
Planung über die Förderung bis zur Durchführung<br />
eines Studien-, Forschungs- oder Praktikums-Aufenthalts.<br />
Damit soll die <strong>DAAD</strong>-Kampagne<br />
„go out! studieren weltweit“ unterstützt<br />
werden. Eine Wissensdatenbank generiert die<br />
Antworten. Die Informationsbasis wird fortlaufend<br />
ergänzt. www.go-out.de und www.daad.de<br />
(Informationen für Deutsche)<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
Gestern Stipendiat – und heute...<br />
Jean Claude Diallo<br />
Dezernent für Integration in Frankfurt am Main<br />
Zuerst schlug sein Herz für den Fußballverein<br />
„1860 München“, dann für „Borussia<br />
Mönchengladbach“, und nun hält er schon seit<br />
Jahren „Eintracht Frankfurt“ die Treue. Das<br />
passt, schließlich ist Jean Claude Diallo begeisterter<br />
Frankfurter – und zugleich Weltbürger.<br />
„Ich habe die Welt hier, in dieser Stadt, mit<br />
mehr als 180 Nationalitäten.“ Besser geeignet<br />
könnte das Arbeitsumfeld für einen Dezernenten<br />
für Integration kaum sein. Vor einem<br />
Jahr wurde der Diplom-Psychologe aus Guinea<br />
in das städtische Ehrenamt berufen.<br />
Rund 165 000 Ausländer prägen das Bild<br />
der Finanzmetropole am Main mit. Und genau<br />
darum geht es dem 60-jährigen Stadtrat:<br />
„Die Menschen hier müssen endlich bereit<br />
sein, diese Wirklichkeit wahrzunehmen und<br />
anzunehmen. Die meisten von uns leben doch<br />
im Tunnel, schauen nicht links, nicht rechts,<br />
erkennen nicht ihren Nachbarn in seiner Eigenart.“<br />
Es sind dabei keinesfalls nur die Deutschen,<br />
an die er denkt. Integration versteht<br />
der Psychologe als einen Prozess, in dem die<br />
Gruppen aufeinander zugehen und sich aufeinander<br />
einlassen. Von den Migranten selbst<br />
erwartet er mehr Eigenverantwortlichkeit. Diese<br />
will er fördern, damit die Menschen aus<br />
ihrer Opferhaltung und ihren Nischen herauskommen.<br />
„Mein Hauptmotto ist: Identifiziert<br />
euch mit Deutschland. Lebt voll in dieser Gesellschaft,<br />
weil diese Gesellschaft auch euch<br />
gehört.“<br />
Genau das hat Jean Claude Diallo getan: Vor<br />
40 Jahren kam er mit einem <strong>DAAD</strong>-Stipendium<br />
nach Würzburg. „Ein stockkonservatives<br />
Pflaster“, erinnert er sich. „Die Zivilisation<br />
begann für mich erst in Frankfurt, wo die<br />
Rebellion von 1968 voll im Gange war.“ Der<br />
Psychologie-Student erlebte einen zunächst<br />
„noch sehr autoritären Staat“, dann aber die<br />
Entwicklung zu einem „offenen, diskursiven<br />
Land mit einer gesunden Demokratie“.<br />
Auf dieser soliden Basis konnte<br />
Deutschland, so Jean Claude Diallo,<br />
die Wiedervereinigung verkraften.<br />
Für ihn allerdings hat die Landkarte<br />
seither unangenehme Flecken<br />
bekommen. Östlicher als Weimar<br />
fährt er nicht. „Ich habe einfach<br />
keine Lust, mich in Orte zu begeben, die zur<br />
ausländerfreien Zone erklärt werden“, sagt er<br />
deutlich. Von der Politik erwartet er mehr Einsatz<br />
gegen Rechtsextremismus.<br />
Deutsche in verschiedenen Farbtönen<br />
Aber selbst in Frankfurt haben seine zwei<br />
erwachsenen Söhne hin und wieder erfahren<br />
müssen, dass eines nur langsam in die Köpfe<br />
zu dringen scheint: „Die Deutschen gibt es in<br />
verschiedenen Farbtönen.“ Der vierfache Vater<br />
ist seit langem mit einer Fränkin verheiratet.<br />
Jean Claude Diallo ist ein Genussmensch, er<br />
liebt elegante Kleidung und gutes Essen. Okraschoten<br />
und Palmöl aus seiner Heimat findet<br />
er in der Frankfurter Markthalle. Als Sohn einer<br />
muslimischen Marxistin und eines katholischen<br />
Vaters hatte Religion von Anfang an<br />
ihren Platz in Diallos Leben. Eine Papstreise<br />
<strong>DAAD</strong><br />
ins diktatorische Uganda Mitte der 70er Jahre<br />
bewog den überzeugten Christen, aus der<br />
katholischen Kirche auszutreten. Einige Jahre<br />
später wechselte er zum Protestantismus.<br />
In der evangelischen Kirche fand Jean Claude<br />
Diallo seine langjährige Arbeitgeberin. Er baute<br />
die Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge<br />
in Düsseldorf und am Frankfurter Flughafen<br />
auf. „Es ist eine schwierige Arbeit, Menschen,<br />
die gefoltert worden sind, die alles verloren<br />
haben, zu befähigen, wieder Anschluss ans<br />
Leben zu finden.“ Der Psychologe hat um eine<br />
bessere Unterbringung der Flüchtlinge am<br />
Flughafen gekämpft. Erfolgreich, erfüllend,<br />
aber auch aufreibend – „irgendwann hat es<br />
mir gereicht.“ Er wollte mehr im Management<br />
arbeiten und übernahm die Leitung des Fachbereichs<br />
„Interkulturelle Arbeit: Beratung, Bildung,<br />
Seelsorge“ im evangelischen Regionalverband<br />
Frankfurt. 2008 geht er in Ruhestand.<br />
Dann bleibt ihm mehr Zeit für die Aufgaben<br />
in seinem Ehrenamt, dem Dezernat für Integration.<br />
Seine eigene Biographie mag hilfreich gewesen<br />
sein, Nöte und Sorgen von Migranten<br />
besser zu verstehen, sagt der Afrikaner, aber<br />
auf diese Rolle wolle er sich nicht festnageln<br />
lassen: „Integration bedeutet, sich von solchen<br />
Zuschreibungen zu lösen.“<br />
Frankfurt ist zum Mittelpunkt seines Lebens<br />
geworden. Mitte der 80er Jahre verbrachte<br />
Jean Claude Diallo noch einmal 17 Monate<br />
in Guinea, überraschend berufen zum Minister<br />
für Information und Kultur. Als es „ein<br />
Kampf gegen Windmühlen“ wurde, kehrte<br />
er nach Frankfurt zurück. Die Verbindung<br />
zur Heimat ist lebendig geblieben,<br />
und wenn er den Wunsch spüren sollte,<br />
dort wieder zu leben, würde er das tun.<br />
„Diese Möglichkeit lasse ich mir nicht<br />
nehmen.“ Uschi Heidel<br />
Foto: Michael Jordan<br />
39
40<br />
<strong>DAAD</strong><br />
Auf einen Klick<br />
Der <strong>DAAD</strong> im Internet<br />
www.daad.de/<strong>magazin</strong><br />
Nachrichten und Berichte über<br />
das weltweite Engagement des<br />
<strong>DAAD</strong> – informativ und aktuell.<br />
www.daad.de/alumni<br />
Das <strong>DAAD</strong>-Portal für alle<br />
Alumni mit Infos zu Alumni-<br />
Vereinen, Alumni-Kalender,<br />
Alumni-VIP-Galerie und<br />
Alumni-Adressdatenbank.<br />
Solarauto „Eolian“<br />
Erstes chilenisches<br />
Solarmobil am Start<br />
Zwei <strong>DAAD</strong>-Alumni aus Chile<br />
schickten beim diesjährigen Solar-Autorennen<br />
in Australien das<br />
erste chilenische Solarmobil auf<br />
die Piste. Die beiden Ingenieurwissenschaftler<br />
Rodrigo Palma<br />
Behnke und Carlos Gherardelli<br />
Dezerega entwickelten das schnittige,<br />
umweltfreundliche Fahrzeug<br />
EOLIAN mit ihrem Team an der<br />
Universidad de Chile in Santiago<br />
de Chile.<br />
Erneuerbare Energien sind in<br />
Chile, genauso wie in Deutschland,<br />
ein Topthema. Palma Behnke<br />
studierte von 1995 bis 1999 mit<br />
einem <strong>DAAD</strong>-Stipendium Elektrotechnik<br />
an der Universität Dortmund,<br />
und Gherardelli Dezerega<br />
war von 1994 bis 2002 <strong>DAAD</strong>-<br />
Stipendiat in Berlin, wo er an der<br />
Technischen Universität Wärme-,<br />
Kälte- und Klimatechnik belegte.<br />
Beide Wissenschaftler setzen seitdem<br />
auf innovative Technologien,<br />
Energieeffizienz und Umweltschutz.<br />
Der <strong>DAAD</strong> unterstützte das Projekt<br />
im Rahmen seiner Imagekam-<br />
pagne für den Studienstandort<br />
Deutschland. So wurde das Rennen<br />
mit seiner Hilfe fotografisch<br />
und filmisch begleitet und dokumentiert.<br />
Das Logo „Hi Potentials!<br />
International careers made in<br />
Germany“ prangte nicht nur auf<br />
der Kleidung des Piloten und den<br />
T-Shirts des Rennteams, sondern<br />
auch auf dem Seitenflügel des Solarmobils.<br />
Das weltweit bekannte Panasonic<br />
World Solar Challenge Solar-<br />
Autorennen, führte im Oktober<br />
über 3 000 Kilometer von Darwin<br />
nach Adelaide. Die Chilenen<br />
belegten zwar nur den 14. Platz,<br />
aber in diesem Fall war Dabeisein<br />
alles.<br />
Informationen zum Auto:<br />
www.eolian.cl,<br />
zum Rennen: www.wsc.org.au Llo<br />
<strong>DAAD</strong>-Außenstellen<br />
Neue Gesichter<br />
Die <strong>DAAD</strong>-Büros in Paris, Peking<br />
und Warschau haben seit dem<br />
1. September neue Leiter. In Paris<br />
löste Klaudia Knabel die kommissarische<br />
Leiterin und ehemalige<br />
<strong>DAAD</strong>-Lektorin Stefanie Neubert<br />
ab. Klaudia Knabel leitete zuvor<br />
in der Bonner <strong>DAAD</strong>-Zentrale das<br />
Referat Frankreich und Benelux-<br />
Länder.<br />
Der Pekinger Außenstellenleiter<br />
Thomas Schmidt-Dörr verließ<br />
den <strong>DAAD</strong> und repräsentiert nun<br />
die Freie Universität Berlin in der<br />
chinesischen Hauptstadt. Seine<br />
Stelle bekleidet jetzt Stefan Hase-<br />
Bergen. Der Sinologe war Referent<br />
im Bonner China-Referat, bevor er<br />
2006 zunächst die Akademische<br />
Prüfstelle in Peking übernahm.<br />
Der Leiter der <strong>DAAD</strong>-Vertretung<br />
in Warschau, Peter Hiller, und der<br />
Leiter des Referats Moldau, Rumänien,<br />
Türkei und Ukraine beim<br />
<strong>DAAD</strong>, Randolf Oberschmidt,<br />
tauschten ihre Posten: Hiller<br />
kehrte aus Warschau nach Bonn<br />
zurück, Oberschmidt zog in die<br />
polnische Hauptstadt um.<br />
Seit der Rückkehr der früheren<br />
Leiterin des Londoner <strong>DAAD</strong>-Büros,<br />
Nina Lemmens, nach Bonn<br />
im Sommer 2006 leitete die Historikerin<br />
Antje Schlamm die<br />
Außenstelle an der Themse kommissarisch.<br />
Die ehemalige <strong>DAAD</strong>-<br />
Lektorin in Irland und London<br />
wurde im Sommer auf der Stelle<br />
bestätigt und vertritt den <strong>DAAD</strong><br />
jetzt offiziell in Großbritannien.<br />
Im <strong>DAAD</strong>-Hauptstadtbüro Berlin<br />
verstärkt Daniel Zimmermann<br />
das Team. Der ehemalige Dozent<br />
für Spanisch an der Universität<br />
Viadrina in Frankfurt/Oder leitete<br />
drei Jahre lang das <strong>DAAD</strong>-<br />
Informationszentrum in Barcelona.<br />
Am 1. Oktober trat er seine<br />
Stelle im <strong>DAAD</strong>-Verbindungsbüro<br />
in Berlin an. Als Stellvertreter<br />
der Leiterin des Berliner Büros,<br />
Annette Julius, ist er für die Bereiche<br />
Hochschule und Wissenschaft<br />
zuständig. KS<br />
Fotos: Tobias Titz<br />
Der Solarflitzer<br />
„Eolian“ und seine<br />
Konstrukteure<br />
Rodrigo Palma<br />
(links) und Carlos<br />
Gherardelli<br />
Foto: picture-alliance/ZB<br />
KÖPFE<br />
Als der 85-jährige Wladyslaw<br />
Bartoszewski Anfang November<br />
dieses Jahres vom neuen polnischen<br />
Ministerpräsidenten Donald<br />
Tusk zum Außenstaatssekretär<br />
ernannt wurde, bezeichnete<br />
ihn der polnische Europapolitiker<br />
Jacek Saryusz-Wolski als „unsere<br />
Wunderwaffe“. Bartoszewski soll<br />
die schwierigen Fälle der polnischen<br />
Außenpolitik lösen helfen.<br />
Dass er sich ganz besonders<br />
den deutsch-polnischen Beziehungen<br />
widmen wird, liegt in der<br />
Natur der Sache: Der Historiker,<br />
Publizist, parteilose Politiker und<br />
gläubige Christ ist Wegbereiter<br />
der deutsch-polnischen Aussöhnung.<br />
Als 18-Jähriger wurde Bartoszewski<br />
von den Nationalsozialisten<br />
nach Auschwitz verschleppt<br />
und nach einem halben Jahr<br />
schwerkrank wieder entlassen.<br />
Von da an ging er seinen geistig<br />
und politisch eigenwilligen Weg,<br />
ob im Widerstand gegen die Nazis,<br />
später gegen die Kommunisten –<br />
was ihm sieben Jahre Gefängnis<br />
einbrachte –, ob in der polnischen<br />
Demokratiebewegung, als Professor<br />
an der Katholischen Universität<br />
Lublin oder als Außenminister<br />
(1995 und 2000/2001). Genau 50<br />
Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
hielt er als erster polnischer Politiker<br />
im Deutschen Bundestag eine<br />
große Versöhnungsrede. 1982 war<br />
er mit einem <strong>DAAD</strong>-Stipendium<br />
für ein Forschungsjahr an das<br />
Wissenschaftskolleg zu Berlin gekommen<br />
und blieb sieben weitere<br />
Jahre, in denen er an deutschen<br />
Universitäten lehrte. Llo<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07
Foto: Reiner Zensen<br />
Der Dialog zwischen Polen<br />
und Deutschland liegt auch<br />
Anna Pukajlo am Herzen. Die<br />
Verbindungen der 26-jährigen<br />
Polin zu Deutschland reichen bis<br />
in ihre Kindheit zurück: „Meine<br />
Großmutter sprach häufig deutsch<br />
mit uns“, erzählt sie „ sie war als<br />
Zwangsarbeiterin vier Jahre in<br />
Deutschland.“ Seit 2004 studiert<br />
Anna Pukajlo Germanistische<br />
Linguistik an der Technischen<br />
Universität Berlin. Als eine Studienfahrt<br />
sie 2005 nach Auschwitz<br />
führte, fand sie dort Dokumente<br />
über ihren ermordeten Großonkel.<br />
„Da wusste ich, dass ich etwas tun<br />
muss.“<br />
Seit diesem Herbst koordiniert sie<br />
die deutsch-polnische Jugend-Geschichtswerkstatt<br />
in Hennigsdorf<br />
und Szczecin, die den Dialog unter<br />
Jugendlichen beider Länder fördert.<br />
Gleichzeitig arbeitet sie für<br />
das Projekt www.lernen-aus-dergeschichte.de<br />
, ein Web-Portal, das<br />
Lehrer mit Materialien und Informationen<br />
für den Unterricht über<br />
den Nationalsozialismus versorgt.<br />
Obwohl sie auch noch Deutschen<br />
die polnische Sprache beibringt,<br />
erhält sie an der Uni nur Bestnoten.<br />
Für alles zusammen verlieh<br />
ihr die TU im November den mit<br />
1000 Euro dotierten <strong>DAAD</strong>-Preis.<br />
Damit werden besonders engagierte<br />
ausländische Studierende<br />
an deutschen Hochschulen ausgezeichnet.<br />
kri<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
Foto: Licht & Burr<br />
Der isländische Autor Sigurjón<br />
Birgir Sigurdsson (45),<br />
der sich einprägsam „Sjón“ nennt,<br />
ist trotz seiner jungen Jahre fast<br />
schon eine Legende. Dazu haben<br />
die Songtexte beigetragen, die<br />
das literarische Multitalent für<br />
die Pop-Ikone Björk geschrieben<br />
hat. Für die Liedtexte zum Björk-<br />
Film „Dancer in the Dark“ bekam<br />
Sjón eine Oskar-Nominierung.<br />
Nun kann die deutsche Öffentlichkeit<br />
den lange als Geheimtipp<br />
geltenden Dichter aus der Nähe<br />
kennenlernen. Seit dem Wintersemester<br />
ist Sjón „Samuel-Fischer-<br />
Gastprofessor“ an der Freien Universität<br />
Berlin (FU) und lehrt isländische<br />
Literatur. Die Professur<br />
wird vom <strong>DAAD</strong>, dem S. Fischer<br />
Verlag, dem Veranstaltungsforum<br />
der Verlagsgruppe Holtzbrinck<br />
und der FU vergeben.<br />
Neben Gedichten, Dramen und<br />
Songtexten hat Sjón auch ein<br />
halbes Dutzend Romane veröffentlicht.<br />
Zudem ist er als Sänger mit<br />
der Kult-Punkband „Icecubes“ und<br />
Performance-Künstlern aufgetreten.<br />
Sein Roman „Schattenfuchs“<br />
ist in diesem Jahr in deutscher<br />
Sprache bei S. Fischer erschienen.<br />
In Island ist Sjón ein Star. Darum<br />
trat bei einer Lesung in Berlin<br />
auch der isländische Botschafter<br />
Ólafur Davídsson auf und verriet<br />
ein Detail, das den deutschen Zuhörern<br />
unbekannt war: „Sjón ist<br />
auch ein hervorragender Sportler.<br />
Er war isländischer Meister im<br />
Dreisprung aus dem Stand.“ ors<br />
Höchst populär ist der mexikanische<br />
Künstler Damián<br />
Ortega beim Berliner Publikum.<br />
Der 40-Jährige wurde mit dem<br />
Publikumspreis des „Preises der<br />
Nationalgalerie“ 2007 geehrt, der<br />
als wichtigste Auszeichnung für<br />
junge Kunst in Deutschland gilt.<br />
Mehr als 50 000 Besucher hatten<br />
sich die Werke von Ortega und<br />
drei Künstlerkollegen angeschaut,<br />
die für den Kunstpreis nominiert<br />
waren. Der Preis der Jury ging an<br />
die Britin Ceal Floyer, die Mehrheit<br />
der Besucher entschied sich<br />
für Ortega.<br />
Der mexikanische Weltenbummler<br />
war 2006/2007 Gast des Berliner<br />
Künstlerprogramms des <strong>DAAD</strong><br />
und hat die Zeit genutzt, sich auf<br />
die Stadt einzulassen und sich<br />
hier auch niederzulassen. Gleich<br />
zwei viel beachtete Ausstellungen<br />
fanden in der <strong>DAAD</strong>-Galerie statt.<br />
Ortegas künstlerisches Prinzip ist<br />
der Gebrauch von Alltagsmaterialien,<br />
die durch Dekonstruktion<br />
und Anordnung im Raum eine<br />
neue, oft überraschende und fast<br />
immer politisch grundierte und<br />
ironisch gebrochene neue Bedeu-<br />
tung bekommen. Die Ergebnisse<br />
kommen als Video, Skulptur, Foto<br />
oder Installation daher. Ein zerlegter<br />
Volkswagen oder eine explodierende<br />
Wolke aus Werkzeugen<br />
(die in Berlin gezeigt wurde) zählen<br />
zu den bekanntesten Werken.<br />
ors<br />
Foto: Courtesy of kurimanzutto, mexico city<br />
<strong>DAAD</strong><br />
ch bin übrigens der Mann von<br />
„I Frau Köhler“, so stellte sich<br />
einer der wichtigsten deutschen<br />
Muslime, Ayyub Axel Köhler, einmal<br />
bei der früheren Bundestagspräsidentin<br />
Rita Süssmuth vor.<br />
Der Vorsitzende des Zentralrats<br />
der Muslime in Deutschland weiß,<br />
warum: Seine Frau Asiye Köhler,<br />
gebürtige Türkin, hat bei entscheidenden<br />
Verhandlungen zwischen<br />
muslimischen Vereinigungen in<br />
Deutschland großen Einfluss: So<br />
schaffte sie es im April 2007 nach<br />
zähen Gesprächen, die vier größten<br />
muslimischen Verbände Deutschlands<br />
zu einer gemeinsamen Allianz<br />
zusammenzuschmieden. Das<br />
war die Geburtsstunde des neuen<br />
Koordinationsrats der Muslime in<br />
Deutschland, der als gemeinsame<br />
Interessenvertretung zentraler<br />
Ansprechpartner für die Politik<br />
sein soll.<br />
„Mir sind die kulturelle Verständigung<br />
und das Zwischenmenschliche<br />
wichtig“, sagt Asiye<br />
Köhler. 1965 kam die älteste von<br />
fünf Töchtern eines anatolischen<br />
Schuhmachers mit einem <strong>DAAD</strong>-<br />
Stipendium zum Studium der Germanistik<br />
nach Köln. Dort wurde<br />
sie Lehrerin an einem Gymnasium.<br />
Die zweifache Mutter, die<br />
ihr Kopftuch nach dem Vorbild<br />
der Frauen in ihrer anatolischen<br />
Heimat über einer Bastkappe<br />
trägt, setzt sich für die religiöse<br />
Gleichstellung ein, erarbeitete einen<br />
Lehrplan für Islamkunde an<br />
deutschen Schulen und engagiert<br />
sich am Zentrum für religiöse Studien<br />
der Universität Münster, wo<br />
inzwischen Islamlehrer ausgebildet<br />
werden. sm<br />
Foto: Matthias Jung<br />
41
42<br />
<strong>DAAD</strong><br />
BüCHEr VoN UNSErEN LESErN<br />
König als Erneuerer<br />
Nachdem Griechenland 1830 seine<br />
Unabhängigkeit erlangt hatte,<br />
begann eine Zeit des intensiven<br />
geistigen Austauschs mit Deutschland.<br />
Grund: Der erste Monarch,<br />
König Otto, stammte aus Deutschland<br />
– genauer: aus Bayern. Eines<br />
seiner Ziele war der Aufbau eines<br />
neuen Rechtssystems. So kam<br />
es zur Gründung der Universität<br />
Athen mit einer Juristischen Fakultät,<br />
deren erste Dozenten an<br />
deutschen Hochschulen ausgebildet<br />
waren. In seinem reich bebilderten<br />
Buch über die Anfänge<br />
dieser Juristischen Fakultät geht<br />
Professor Ioannis K. Karakostas<br />
der „deutschen Epoche“ intensiv<br />
nach. Der ehemalige <strong>DAAD</strong>-Stipendiat<br />
hat in München, Heidelberg<br />
und Berlin geforscht und ist<br />
heute Dekan der Juristischen Fakultät<br />
und Vizerektor der Universität<br />
Athen. CK<br />
Ioannis K. Karakostas: König<br />
Otto, die Otto-Universität und ihre<br />
Juristische Fakultät. Verlag C. H.<br />
Beck, München 2007. (Das Buch<br />
liegt auch in einer griechischen<br />
Ausgabe vor.)<br />
Philosoph als Dichter<br />
Peter Abaelard (1079–1142) war<br />
nicht nur der geniale Philosoph<br />
und Theologe, als den die gelehrte<br />
Welt ihn kennt, sondern auch ein<br />
hochbegabter Dichter. Mit seiner<br />
Dichter- und Sängergabe eroberte<br />
Abb.: Chantilly, musée Condé<br />
Foto: akg-images<br />
In griechischer<br />
Nationalkleidung:<br />
Otto I. von<br />
Griechenland 1835<br />
auf einer<br />
Lithografie von<br />
Gottlieb Bodmer<br />
Berühmtes Liebespaar:<br />
Abaelard und<br />
Heloisa in einer<br />
Handschrift des<br />
„Roman de Rose“<br />
aus dem<br />
14. Jahrhundert<br />
er im Paris des 12. Jahrhunderts<br />
die Herzen der Frauen. Seine Liebeslieder<br />
– geschrieben für seine<br />
Schülerin und spätere Geliebte<br />
Heloisa – sind nicht erhalten.<br />
Wohl aber die Klagelieder, die in<br />
Latein abgefassten Planctus, in<br />
denen Abaelard Leid und Klage<br />
biblischer Personen gestaltet. Ursula<br />
Niggli, die bereits mehrere<br />
Publikationen zu Abaelard vorlegte,<br />
hat die poetischen Verse<br />
erstmals ins Deutsche übersetzt<br />
und darin Anklänge an die Beziehungsgeschichte<br />
mit Heloisa<br />
aufgedeckt. Niggli, die 1975 als<br />
<strong>DAAD</strong>-Stipendiatin in Heidelberg<br />
studierte, leitet in Zürich das von<br />
ihr gegründete Philosophie-Institut<br />
„Paraklet“, in dem sie interessierten<br />
Bürgern die Grundlagen<br />
der Philosophie vermittelt. Llo<br />
Ursula Niggli: Peter Abaelard als<br />
Dichter. Francke Verlag 2007<br />
Hesse musikalisch<br />
Die Werke von Hermann Hesse<br />
sind neben den Märchen der Gebrüder<br />
Grimm die weltweit meistgelesenen<br />
deutschsprachigen Bücher.<br />
Die russische Germanistin<br />
Julia Moritz hat Hesse ganz neu<br />
gelesen. Bei ihrer Interpretation<br />
von Werken wie „Demian“ „Steppenwolf“<br />
oder „Siddharta“ bezieht<br />
sie sich auf die Musikalität als<br />
eine besondere Qualität literarischer<br />
Prosatexte. Mit ihrer Dissertation<br />
macht sie den Versuch,<br />
in die Poetik von Hesses Texten<br />
„hineinzuhören“ und ihnen eine<br />
spezifische – „musikalische“ –<br />
Sinndimension abzugewinnen.<br />
Gleichzeitig behandelt die Autorin<br />
Hesse unter „interkulturellen“<br />
Gesichtspunkten. Neben westlichen<br />
Theorien der Literaturwissenschaft<br />
setzt sie methodische<br />
Interpretationsansätze aus dem<br />
russischsprachigen Raum ein,<br />
etwa von Jurij Lotman. Julia Moritz<br />
hat nach einem Germanistikstudium<br />
an der Staatlichen<br />
Universität Samara, Russland, als<br />
<strong>DAAD</strong>-Stipendiatin an der Universität<br />
Hamburg promoviert. Llo<br />
Julia Moritz: Die musikalische<br />
Dimension der Kunst. Hermann<br />
Hesse, neu gelesen. Verlag Königshausen<br />
& Neumann 2007. Eine<br />
elektronische Version ist unter<br />
www.sub.uni-hamburg.de/opus/<br />
volltexte/2006/2765/ verfügbar.<br />
rätsel-Lösungen<br />
Die Lösung des vorigen <strong>Letter</strong>-Rätsels lautet:<br />
MoNDSCHEIN.<br />
Die Lösung ergibt sich aus folgenden Wörtern:<br />
stockdunkel, pfeilschnell, strohdumm, steinreich,<br />
kugelrund, feuerrot, spottbillig, hauchzart, brandaktuell,<br />
federleicht.<br />
Einen Hauptpreis haben gewonnen:<br />
Sean Dunwoody, Drexel Hill/USA; W. M. Laksiri Andradi,<br />
Eastwood/Australien; Petar Stamenkovski, Skopje/<br />
Mazedonien; Mohamed Alsenbesy, Sohag/Ägypten;<br />
Yevgeniya Suspitsyna, Ust-Kamenogorsk/Kasachstan; Olavi<br />
Laine, Tampere/Finnland; Darja Lukitschowa, Podporoshje/<br />
Russland; Nadine Magaud, Paris/Frankreich; Adel Zagha,<br />
Birzeit/West Bank; Lilawati Kurnia, Jakarta/Indonesien.<br />
Einen Trostpreis erhalten:<br />
Dragana Djordjevic, Nis/Serbien; Honor Clynes, Dublin/<br />
Irland; Isabel T. Mercadal, Buenos Aires/Argentinien;<br />
Simona Piangatello, Tolentino/Italien; José María Escardó,<br />
San Isidro/Argentinien; Arve Brunvoll, Nyborg/Norwegen;<br />
Wojciech Rybiński, Poznań/Polen; Réka Kovacsevics,<br />
Budapest/Ungarn; Zuzana Fecková, Bratislava/Slowakei;<br />
Anis Ali Abdulkhaleq, Aden/Jemen.<br />
Wer war’s?<br />
rUDoLF VIrCHoW<br />
Einen Preis erhalten:<br />
Zsuzsanna Budai, Bucsa/Ungarn; Jorge E. Paolini Gómez,<br />
Caracas/Venezuela; Angela Linda Lettieri, Salerno/Italien;<br />
Ana Maria Brozovic, Zagreb/Kroatien; Mauricio Ayala<br />
Rincon, Brasilia/Brasilien.<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong><br />
Das Magazin für <strong>DAAD</strong>-Alumni<br />
Herausgeber:<br />
Deutscher Akademischer Austauschdienst e.V., Bonn<br />
Kennedyallee 50, 53175 Bonn, Germany<br />
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34-35), Katja Sproß (KS) (verantw. Seiten 13, 20-21),<br />
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(AD), Hermann Horstkotte (H.H.), Dr. Klaus Hübner (Michel),<br />
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Silke Meny (sm), Kerstin Rippel (kri), Horst Willi Schors (ors),<br />
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jedem Fall die Meinung des Herausgebers wieder.<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> erscheint dreimal im Jahr.<br />
Einzelpreis 4,– Euro, Jahresabonnement 15,– Euro<br />
inklusive Porto und MwSt.<br />
Printed in Germany – Imprimé en Allemagne PVST 20357<br />
Dieser Ausgabe liegen die Beilagen „<strong>Letter</strong> Literatur“,<br />
„Partnerschaft fördert Entwicklung“ sowie ein Kalender bei.<br />
Ein Teil der Ausgabe enthält ein Faltblatt des<br />
<strong>DAAD</strong>-Freundeskreises.<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07
1. August<br />
Neue regeln<br />
Die Rechtschreibreform tritt endgültig<br />
in Kraft. Damit gilt zum<br />
Beispiel für Schüler: Die alte<br />
Schreibweise „daß“ wird als Fehler<br />
angestrichen, richtig ist nur<br />
noch „dass“.<br />
9. August<br />
Trauer um Plenzdorf<br />
Im Alter von 72 Jahren stirbt der<br />
Schriftsteller Ulrich Plenzdorf –<br />
einst einer der bekanntesten DDR-<br />
Autoren. Zu seinen erfolgreichsten<br />
Werken gehören der Roman „Die<br />
neuen Leiden des jungen W.“ und<br />
die Filmerzählung „Die Legende<br />
von Paul und Paula“.<br />
15. August<br />
Sechsfacher Mord<br />
Bei einer Schießerei in der Innenstadt<br />
von Duisburg (Nordrhein-<br />
Westfalen) sterben sechs Italiener.<br />
Auslöser ist die Rivalität zwischen<br />
verfeindeten Mafia-Clans aus Süd-<br />
Italien.<br />
20. August<br />
Hetzjagd in Kleinstadt<br />
Bei einem Volksfest in Mügeln<br />
(Sachsen) überfällt eine Horde<br />
rechtsradikaler Jugendlicher acht<br />
Inder. Die Angegriffenen können<br />
sich mit knapper Not in ein Haus<br />
retten. Augenzeugen sprechen<br />
von einem völligen Versagen der<br />
Polizei.<br />
25. August<br />
Gefährliche Tierseuche<br />
Auf einem Geflügelhof in der Nähe<br />
von Erlangen (Bayern) wird der<br />
Ausbruch der Vogelgrippe festgestellt.<br />
166 000 Enten müssen getötet<br />
werden, um die Ausbreitung<br />
der Tierseuche zu verhindern.<br />
27. August<br />
China-reise Merkels<br />
Kanzlerin Angela Merkel<br />
reist mit einer großen<br />
Wirtschaftsdelegation nach<br />
China. Sie wirbt dabei unter<br />
anderem für die Einhaltung<br />
der Menschenrechte.<br />
4. September<br />
Anschlag vereitelt<br />
Die Polizei nimmt im Sauerland(Nordrhein-Westfalen)<br />
drei Männer fest, die<br />
Bombenanschläge auf Dis-<br />
<strong>DAAD</strong> <strong>Letter</strong> 3/07<br />
Deutsche Chronik<br />
Eine Auswahl von Ereignissen, die in der Bundesrepublik Schlagzeilen machten (1. August bis 30. November 2007)<br />
Foto: picture-alliance/dpa<br />
kotheken und US-Einrichtungen<br />
in Deutschland geplant haben<br />
sollen. Bei den Festgenommenen<br />
handelt es sich um einen Türken<br />
sowie zwei Deutsche, die zum Islam<br />
übergetreten sind.<br />
23. September<br />
Konflikt mit China<br />
Kanzlerin Angela Merkel empfängt<br />
in Berlin den Dalai Lama,<br />
das religiöse Oberhaupt der Tibeter.<br />
Das Treffen zieht eine schwere<br />
Verstimmung im deutsch-chinesischen<br />
Verhältnis nach sich.<br />
3. Oktober<br />
Öffnung von Moscheen<br />
Zahlreiche moslemische Gemeinden<br />
beteiligen sich am „Tag der<br />
Offenen Moschee“. Rund 100 000<br />
Bundesbürger nutzen das Angebot<br />
und nehmen an Führungen<br />
sowie Folklore-Darbietungen teil.<br />
9. Oktober<br />
Wechsel in Bayern<br />
Bayerns Landtag wählt den bisherigen<br />
Innenminister Günther<br />
Beckstein (CSU) zum neuen Ministerpräsidenten.<br />
Kurz zuvor<br />
hat die Partei Erwin Huber zum<br />
Vorsitzenden gekürt. Damit endet<br />
die Ära von Edmund Stoiber, der<br />
lange Jahre sowohl bayerischer<br />
Ministerpräsident als auch CSU-<br />
Chef war.<br />
10. Oktober<br />
Höchste Auszeichnung<br />
Der Berliner Forscher Gerhard Ertl<br />
erhält den Chemie-Nobelpreis.<br />
Tags zuvor bekam der Jülicher<br />
Forscher Peter Grünberg den Physik-Nobelpreis<br />
zugesprochen.<br />
Geisel kommt frei<br />
Ein in Afghanistan verschleppter<br />
deutscher Bauingenieur kommt<br />
nach 85 Tagen Geiselhaft frei.<br />
20. Oktober<br />
Brücke nach rügen<br />
Die längste Straßenbrücke<br />
Deutschlands wird dem Verkehr<br />
übergeben. Es handelt sich um ein<br />
vier Kilometer langes Bauwerk,<br />
das die Stadt Stralsund an der Ostsee<br />
mit der beliebten Urlaubsinsel<br />
Rügen verbindet.<br />
26. Oktober<br />
Beck bleibt SPD-Chef<br />
Auf einem Parteitag in Hamburg<br />
wird der SPD-Vorsitzende Kurt<br />
Beck im Amt bestätigt. Außenminister<br />
Frank-Walter Steinmeier<br />
rückt zum stellvertretenden SPD-<br />
Chef auf.<br />
3. November<br />
Kanzlerin in Kabul<br />
Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />
besucht erstmals Afghanistan.<br />
Der Regierung in Kabul sagt sie<br />
verstärkte deutsche Hilfe bei der<br />
Ausbildung der örtlichen Polizei<br />
zu.<br />
13. November<br />
Minister scheidet aus<br />
Franz Müntefering, Vizekanzler<br />
und Arbeitsminister im Kabinett<br />
von Angela Merkel, tritt zurück.<br />
Der SPD-Politiker begründet dies<br />
mit der Krebs-Erkrankung seiner<br />
Frau. Neuer Vizekanzler wird Außenminister<br />
Frank-Walter Steinmeier<br />
(SPD).<br />
14. November<br />
Kein Zugverkehr<br />
Wegen eines Streiks der Lokomotivführer<br />
kommt der Eisenbahnverkehr<br />
weitgehend zum Erliegen.<br />
Mit dem Arbeitskampf will<br />
die Lokführer-Gewerkschaft nicht<br />
nur zweistellige Lohnerhöhungen,<br />
sondern auch das Recht auf einen<br />
eigenen berufsbezogenen Tarifvertrag<br />
durchsetzen. Nach dem Ende<br />
Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel mit<br />
dem chinesischen<br />
Ministerpräsidenten<br />
Wen Jiabao in Peking<br />
Folge des Streiks:<br />
Leerer Bahnhof<br />
in Rostock<br />
des Streiks nehmen Bahn und Gewerkschaft<br />
neue Tarifgespräche<br />
auf. Bis Ende November liegt aber<br />
noch keine Einigung vor.<br />
22. November<br />
Martyrium eines Kindes<br />
Die Stadtverwaltung von Schwerin<br />
(Mecklenburg-Vorpommern) informiert<br />
über einen Familien-Skandal:<br />
Ein junges Ehepaar hat seine<br />
fünfjährige Tochter über Wochen<br />
so sehr vernachlässigt, bis das<br />
Kind schließlich verhungert und<br />
verdurstet ist. Gegen die Eltern<br />
wird Haftbefehl erlassen.<br />
28. November<br />
Erfolg beim Lesen<br />
Heutige Schüler der vierten Grundschulklasse<br />
können besser lesen<br />
als jene, die 2001 getestet wurden.<br />
Zu diesem Ergebnis kommt die internationale<br />
Langzeitstudie „Iglu“.<br />
Im internationalen Vergleich mit<br />
45 teilnehmenden Ländern und<br />
Regionen liegt Deutschland mit<br />
Platz elf im oberen Viertel. Weiterer<br />
Befund: Mädchen sind bei<br />
Lektüre und Textverständnis besser<br />
als Jungen.<br />
29. November<br />
Mindestlohn bei Post<br />
Die Tarifparteien der Post vereinbaren<br />
einen Mindestlohn für<br />
Briefträger. Demnach haben die<br />
Zusteller vom 1. Januar an Anspruch<br />
auf einen Stundenlohn von<br />
mindestens 9,80 Euro im Westen<br />
Deutschlands und neun Euro im<br />
Osten. Anlass ist die wachsende<br />
Konkurrenz durch private Briefdienste,<br />
die ihre Zusteller bisher<br />
oft schlechter bezahlt haben.<br />
30. November<br />
Weniger Schulden<br />
Der Bundestag verabschiedet den<br />
Regierungshaushalt für 2008. Der<br />
Etat hat ein Volumen von rund<br />
283 Milliarden Euro und sieht<br />
neue Kredite in Höhe von knapp<br />
zwölf Milliarden Euro vor. Das ist<br />
die geringste Neuverschuldung<br />
seit der deutschen Einheit 1990.<br />
43<br />
Foto: picture-alliance/ZB