Relativitätstheorie - Fakultät für Physik und Astronomie - Universität ...

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48 Differentialformen Tangentialraum TpU bezeichnet wird. Für den hier betrachteten Fall U ⊂ Rn ist das offensichtlich, weil jeder Kurve durch p ein Geschwindigkeitsvektor v = d dλ c(λ)| λ=0 zugeordnet werden kann, – der Addition oder Skalarmultiplikation von Richtungsableitungen entspricht also die Addition und Skalarmultiplikation solcher Geschwindigkeitsvektoren. Wie wir sehen werden, wird das Konzept des Tangentialraums auch für gekrümmte Mannigfaltigkeiten funktionieren, – auch dort ist nämlich der Tangentialraum ein linearer Vektorraum. Wichtig ist zunächst, dass wir uns an eine neue Sichtweise gewöhnen, die in der Differentialgeometrie üblich ist: Die Vektoren des Tangentialraums TpU sind Richtungsableitungen. Bemerkung: Vektoren sind Ableitungen – das ist für Neueinsteiger nicht leicht zu akzeptieren. Wir müssen uns jedoch daran gewöhnen, dass Vektoren nicht mehr Distanzen zwischen Punkten angeben. Ein Vektor ist lediglich eine Richtungsangabe kombiniert mit einer Zahl (Betrag des Vektors). Das einzige, was man mit solch einem Vektor machen kann, ist die Bildung einer Richtungsableitung, also zu fragen, wie sich z.B. eine Koordinate oder eine Funktion ändert, wenn man in die entsprechende Richtung geht. Deshalb darf man den Vektor ohne Bedenken mit der ihm zugeordneten Richungs- ableitung identifizieren. Vektorfelder: Eine Richtungsableitung Xp ∈ TpU ist definiert in einem bestimmten Punkt p. In der Regel ist die Richtungsableitung nicht nur in einem einzigen Punkt, sondern auf ganz U erklärt. In diesem Fall spricht man von einem Vektorfeld, das mit X bezeichnet wird. Lässt man dieses Vektorfeld auf eine Funktion f wirken, erhält man eine neue Funktion X f mit X f |p = Xp f . Gemäß der neuen Sichtweise wirkt ein Vektorfeld X auf Funktionen, indem es an jedem Punkt die entsprechende Richtungsableitung durchführt. Das Vektorfeld X ist also ein linear Operator X(λ f + µg) = λX f + µXg ( f ,g Funktionen; λ,µ ∈ R) (2.68) der auf Produkte von Funktionen die Leibniz-Regel (Produktregel) erfüllt: 2.3.2 Differentiale Die Ableitung einer skalaren Funktion f im Punkt x0 ist bekanntlich eine lineare Approximation der Funktion in der Umgebung von x0: Wenn man sich ein kleines Stück in Richtung dx bewegt, ändert sich die Funktion in linearer Näherung um d f = f ′ (x0)dx. Dabei sind d f und dx infinitesimale Differentiale. In höherdimensionalen Räumen ergibt sich d f = ∇ f · dx, wobei ∇ f der Gradient von f ist. X( f g) = f Xg + gX f . (2.69) Unendlich kleine Vektoren – von dieser eigenartigen jedoch über die Jahre liebgewonnenen Vorstellung infinitesimaler Größen werden wir uns nun verabschieden müssen. An ihre Stelle tritt eine Interpretation, die mit den oben eingeführten abstrakten Richtungsvektoren X ∈ TpU Haye Hinrichsen — Allgemeine Relativitätstheorie

2.3 Funktionen, Koordinatensysteme und Differentialformen 49 kompatibel ist. Die unterschiedliche Denkweise ist schematisch in der folgenden Abbildung skizziert: • Auf der linken Seite ist die traditionelle Denkweise dargestellt: Ausgangspunkt ist hier eine Funktion f (x), also eine direkte Abbildung von einer Koordinate x auf einen Funktionswert. Man stellt dann die Frage, wie sich f bei einer Änderung von x ändert. Für große Änderungen kann dieser Zusammenhang nichtlinear sein, aber für infinitesimal kleine Änderungen dx wird die infinitesimal kleine Änderung d f linear von dx abhängen. • Die rechte Seite zeigt die Sichtweise der Differentialgeometrie: Ausgangspunkt ist hier der abstrakte ‘physikalische’ Raum U. Auf diesem Raum sind zwei Funktionen definiert: Eine Funktion f : U → R und eine Koordinatenfunktion x : U → R. Jedem Punkt p wird damit ein Funktionswert fp und eine Koordinate xp zugeordnet. Um zu untersuchen, wie sich diese Funktionen lokal ändern, bildet man von beiden die Richtungsableitung. Wir lassen nun eine Richtungsableitung Xp auf diese beiden Funktionen wirken und definieren d f (Xp) := Xp f dx(Xp) := Xpx (2.70) Diese beiden Größen beschreiben, wie sich die Funktion f bzw. die Koordinate x in linearer Näherung ändern, wenn man am Punkt p in Richtung Xp geht. Wie man sehen kann, sind die Differentiale d f und dx hier keine infinitesimalen Größen mehr, sondern lineare Funktionen auf Richtungsvektoren, d.h. lineare Abbildungen TpU → R. Sie sind demzufolge Elemente des zu TpU dualen Vektorraums, des sogenannten Kotangentialraums T ∗ p U: Differentiale sind 1-Formen des Kotangentialraums T ∗ p U. Differentiale sind also lineare Abbildungen, die abstrakte Richtungsvektoren Xp ∈ TpU auf Zahlen abbilden. Das Differential d f einer Funktion f ist durch d fp(Xp) = Xp f punktweise definiert. Für die Gesamtheit aller Punkt schreibt man kurz wobei X ein Vektorfeld und d f ein Feld von 1-Formen ist. d f (X) = X f (2.71) Bemerkung: Aus der neuen Perspektive ist die Schulbuchmathematik eine Vereinfachung, die darin besteht, dass man den Umweg über U und TpU weglässt und stattdessen direkt die verkettete Abbildung f ◦ x −1 : R → R : x ↦→ f (x) := f (p(x)) untersucht (senkrechter Pfeil in der Abbildung). Allerdings steht dann der Tangentialraum nicht zur Verfügung und damit hat man im Prinzip keine Möglichkeit, eine Richtung anzugeben. Dieses Problem umgeht man, indem man Richtungen durch die Komponenten unendlich kleiner Vektoren, sogenannter infinitesimale Differentiale dx, repräsentiert. Dies ist der Preis, den man zahlen muss, wenn man auf die Definition eines Tangentialraums verzichten möchte. Haye Hinrichsen — Allgemeine Relativitätstheorie

2.3 Funktionen, Koordinatensysteme <strong>und</strong> Differentialformen 49<br />

kompatibel ist. Die unterschiedliche Denkweise ist schematisch in der folgenden Abbildung<br />

skizziert:<br />

• Auf der linken Seite ist die traditionelle Denkweise dargestellt: Ausgangspunkt ist hier<br />

eine Funktion f (x), also eine direkte Abbildung von einer Koordinate x auf einen Funktionswert.<br />

Man stellt dann die Frage, wie sich f bei einer Änderung von x ändert. Für große<br />

Änderungen kann dieser Zusammenhang nichtlinear sein, aber <strong>für</strong> infinitesimal kleine<br />

Änderungen dx wird die infinitesimal kleine Änderung d f linear von dx abhängen.<br />

• Die rechte Seite zeigt die Sichtweise der Differentialgeometrie: Ausgangspunkt ist hier<br />

der abstrakte ‘physikalische’ Raum U. Auf diesem Raum sind zwei Funktionen definiert:<br />

Eine Funktion f : U → R <strong>und</strong> eine Koordinatenfunktion x : U → R. Jedem Punkt p wird<br />

damit ein Funktionswert fp <strong>und</strong> eine Koordinate xp zugeordnet. Um zu untersuchen, wie<br />

sich diese Funktionen lokal ändern, bildet man von beiden die Richtungsableitung.<br />

Wir lassen nun eine Richtungsableitung Xp auf diese beiden Funktionen wirken <strong>und</strong> definieren<br />

d f (Xp) := Xp f dx(Xp) := Xpx (2.70)<br />

Diese beiden Größen beschreiben, wie sich die Funktion f bzw. die Koordinate x in linearer<br />

Näherung ändern, wenn man am Punkt p in Richtung Xp geht. Wie man sehen kann, sind die<br />

Differentiale d f <strong>und</strong> dx hier keine infinitesimalen Größen mehr, sondern lineare Funktionen auf<br />

Richtungsvektoren, d.h. lineare Abbildungen TpU → R. Sie sind demzufolge Elemente des zu<br />

TpU dualen Vektorraums, des sogenannten Kotangentialraums T ∗ p U:<br />

Differentiale sind 1-Formen des Kotangentialraums T ∗ p U.<br />

Differentiale sind also lineare Abbildungen, die abstrakte Richtungsvektoren Xp ∈ TpU auf Zahlen<br />

abbilden. Das Differential d f einer Funktion f ist durch d fp(Xp) = Xp f punktweise definiert.<br />

Für die Gesamtheit aller Punkt schreibt man kurz<br />

wobei X ein Vektorfeld <strong>und</strong> d f ein Feld von 1-Formen ist.<br />

d f (X) = X f (2.71)<br />

Bemerkung: Aus der neuen Perspektive ist die Schulbuchmathematik eine Vereinfachung, die darin<br />

besteht, dass man den Umweg über U <strong>und</strong> TpU weglässt <strong>und</strong> stattdessen direkt die verkettete<br />

Abbildung f ◦ x −1 : R → R : x ↦→ f (x) := f (p(x)) untersucht (senkrechter Pfeil in der Abbildung).<br />

Allerdings steht dann der Tangentialraum nicht zur Verfügung <strong>und</strong> damit hat man im Prinzip keine<br />

Möglichkeit, eine Richtung anzugeben. Dieses Problem umgeht man, indem man Richtungen durch<br />

die Komponenten unendlich kleiner Vektoren, sogenannter infinitesimale Differentiale dx, repräsentiert.<br />

Dies ist der Preis, den man zahlen muss, wenn man auf die Definition eines Tangentialraums<br />

verzichten möchte.<br />

Haye Hinrichsen — Allgemeine <strong>Relativitätstheorie</strong>

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