AUFTRAG_283_w.pdf - Gemeinschaft Katholischer Soldaten
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SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK<br />
mer, aus welchem Anlass auch immer,<br />
mit welchen Absichten auch immer.<br />
Die andere ist präsent als die ähnlich<br />
tief sitzende Überzeugung, der<br />
Neigung, wo es keinen Widerstand<br />
gibt, eigene Interessen notfalls mit<br />
Gewalt durchzusetzen, zwingend mit<br />
der Fähigkeit entgegentreten zu müssen,<br />
notfalls auch militärische Mittel<br />
einzusetzen.<br />
In der Geschichte der Bundesrepublik<br />
Deutschland haben wir diesen<br />
Grundsatzkonflikt mindestens zweimal<br />
mit großem leidenschaftlichen<br />
Aufwand geführt. Der eine brach Anfang<br />
der 50er Jahre auf, als es um<br />
die Frage ging, ob das geschlagene<br />
und geteilte Deutschland nach den<br />
Erfahrungen des 2. Weltkriegs, den<br />
Deutsche angefangen hatten, erneut<br />
eine Armee aufbauen dürfe oder gar<br />
müsse. In diesem Zusammenhang will<br />
ich angesichts der aktuellen Frage,<br />
ob wir in diesem Land nicht in einem<br />
viel stärkeren Maße über die wirklich<br />
wichtigen Fragen der Republik<br />
Volksabstimmungen statt Parlamente<br />
entscheiden lassen sollten, nur daran<br />
erinnern, dass die Entscheidung für<br />
den Aufbau der Bundeswehr und die<br />
Einführung der Wehrpflicht in jenen<br />
Jahren bestimmt nicht durch ein Plebiszit<br />
zustande gekommen wäre.<br />
Zu den großen, und wie ich meine,<br />
gelungenen Richtungsentscheidungen,<br />
die diesen zweiten Versuch,<br />
in Deutschland eine funktionierende<br />
Demokratie zu etablieren, begründet<br />
und geprägt haben, gehört ganz sicher<br />
auch der Beschluss, sich durch den<br />
Aufbau der Bundeswehr, deren Einbeziehung<br />
in die NATO und damit in<br />
das westliche Bündnissystem, verbunden<br />
mit der Wehrpflicht, in die Lage<br />
zu versetzen, die Ansprüche, die unsere<br />
Verfassungsväter und Verfassungsmütter<br />
ins Grundgesetz geschrieben<br />
haben, notfalls auch durchsetzen zu<br />
können.<br />
Wir haben dann in den Jahren ab<br />
1968 eine erneute Grundsatzdebatte<br />
erlebt, mit einer damals mindestens<br />
so starken pazifistischen Welle in der<br />
deutschen Bevölkerung wie in den<br />
50ern, jedoch von einer neuen Generation<br />
getragen, die ihre eigenen<br />
Vorbehalte, Einwände und Zweifel<br />
an der Zweckmäßigkeit, der Legitimität,<br />
der Notwendigkeit militärischer<br />
Friedenssicherung weniger aus eige-<br />
Bild 1: Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert während seines<br />
Festvortrages am 10. März im Collegium Josephinum in Bonn<br />
ner biografischer Erfahrung, als vielmehr<br />
aus Fernsehbildern von kriegerischen<br />
Auseinandersetzungen bezog,<br />
die nahezu weltweit zu sehen waren.<br />
Es gehört in diesen thematischen Zusammenhang,<br />
daran zu erinnern, dass<br />
später der NATO-Doppelbeschluss,<br />
mit der erklärten Absicht, einer sowjetischen<br />
atomaren Mittelstreckenbewaffnung,<br />
die Deutschland mehr<br />
als irgendein anderes Land bedroht<br />
hatte, mit einer vergleichbaren Bewaffnung<br />
zu begegnen, falls die sowjetischen<br />
Raketen nicht verschwinden<br />
würden, eine der umstrittensten<br />
parlamentarischen Entscheidungen<br />
in der Geschichte der Bundesrepublik<br />
Deutschland war. Auch für diese<br />
Entscheidung gilt, dass sie in einem<br />
Plebiszit nie zustande gekommen<br />
wäre. Im Gegenteil: Ausgerechnet<br />
der Kanzler, der diesen für die<br />
deutschen Interessen – nach seiner<br />
festen Überzeugung – zentralen Weg<br />
als erster beschritten hatte, ist von<br />
seiner eigenen Partei, nicht zuletzt<br />
aus diesem Grund, aus dem Amt gedrängt<br />
worden. Gleichwohl halte ich<br />
den NATO-Doppelbeschluss für eine<br />
der wesentlichen Voraussetzungen für<br />
den Zusammenbruch des Warschauer<br />
Paktes und der Beendigung der Ost/<br />
West-Konfrontation, ein Prozess, der<br />
zuvor für die Generationen der frühen<br />
Bundesrepublik nahezu völlig unmöglich<br />
erschien. Ein Urteil, bei dem auch<br />
die Zeithistoriker inzwischen nicht<br />
mehr intervenieren.<br />
Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee<br />
Es gibt eine deutsche Besonderheit,<br />
die den Aufbau der Bundeswehr<br />
und ihre Einsatzbedingungen fast von<br />
allen übrigen demokratischen Staaten<br />
unterscheidet, und das ist der erstaunliche<br />
Grundsatz, über den Einsatz der<br />
Armee nicht die Regierung, sondern<br />
das Parlament entscheiden zu lassen.<br />
Das hat es nicht nur in der deutschen<br />
Geschichte vorher nicht gegeben, das<br />
gibt es in dieser Ausprägung nirgendwo<br />
sonst. Dies hängt natürlich insbesondere<br />
auch mit den besonderen Erfahrungen<br />
aus der Zeit des Nationalsozialismus,<br />
der Instrumentalisierung<br />
der Reichswehr zu ideologischen, totalitären<br />
Zwecken, zusammen, mit den<br />
bis dahin beispiellosen Verheerungen<br />
und Verwüstungen, die das zur Folge<br />
hatte. Und es hängt ganz sicher auch<br />
mit einem anderen Selbstverständnis<br />
dieser zweiten deutschen Demokratie<br />
zusammen.<br />
Die Frage nach dem Einsatz von<br />
Bundeswehrsoldaten in militärischen<br />
Konfliktsituationen ist erst nach der<br />
friedlichen Revolution in Mittel- und<br />
Ost-Europa konkret geworden, in den<br />
90er Jahren, insbesondere im Zusammenhang<br />
mit der Auflösung Jugoslawiens.<br />
Sie stellte sich unter den veränderten<br />
Bedingungen eines Landes,<br />
6 <strong>AUFTRAG</strong> <strong>283</strong> • SEPTEMBER 2011