AUFTRAG_283_w.pdf - Gemeinschaft Katholischer Soldaten
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liegt. Mit dieser Feststellung ist keinesfalls<br />
gesagt, dass die arabischen<br />
Gesellschaften nicht in der Lage seien,<br />
diesen Lernprozess zu initiieren<br />
– die intellektuelle Bevölkerungsschicht<br />
hat bereits große Fortschritte<br />
auf diesem Gebiet erzielt – vielmehr<br />
stellt sich die Frage, ob die Menschen<br />
in dieser Region dies überhaupt wollen<br />
bzw. ob der chronische Mangel an<br />
zivilgesellschaftlichen Strukturen in<br />
diesen Ländern sich nicht hemmend<br />
auf eine solche Entwicklung auswirken<br />
kann?<br />
Soziale Gerechtigkeit und politische<br />
Teilhabe ja – Demokratie nein<br />
Die vom Sturz bedrohten und die<br />
bereits gestürzten Potentaten in den<br />
arabischen Ländern betitelten ihre<br />
Staatsform bisher meist mit dem Begriff<br />
der Demokratie und standen an<br />
der Spitze einer sogenannten Präsidialrepublik.<br />
Die „Präsidenten“ führten<br />
ihre Länder mit eiserner Hand<br />
und stützten sich weitestgehend auf<br />
ein strikt organisiertes Sicherheits-<br />
und Militärapparat. Sie ließen der<br />
Form halber Wahlen abhalten, richteten<br />
ein Zwei-Kammer-Parlamentssystem<br />
ein und übernahmen die Relikte<br />
des Verwaltungsapparates, wie<br />
ihn die Europäer nach dem Ende der<br />
Kolonialzeit hinterlassen haben. Diese<br />
Fassadendemokratien haben über<br />
Jahrzehnte hinweg deutliche Spuren<br />
im Bewusstsein der arabischen Bevölkerungen<br />
hinterlassen. Folglich<br />
assoziieren die meisten Menschen<br />
in dieser Region mit den Begriffen<br />
Demokratie und Republik die bisher<br />
in ihren Ländern erfahrenen Repressionen,<br />
Diskriminierungen und<br />
Menschenrechtsverletzungen. Außerdem<br />
sehen sie sich ohnehin durch die<br />
„echten“ Demokratien im Westen im<br />
Stich gelassen, da Europa und die<br />
USA bis zum arabischen Frühling politisch,<br />
wirtschaftlich und militärisch<br />
hervorragende Beziehungen zu den<br />
Despoten im arabischen Raum unterhalten<br />
haben. Der Demokratiebegriff<br />
ist für die Menschen in dieser Region<br />
negativ vorbelastet. Im Prinzip ist es<br />
Ihnen gleichgültig, welchen Namen<br />
ihre zukünftige Staatsform trägt. Vielmehr<br />
interessieren sie programmatische<br />
Inhalte wie soziale Gerechtigkeit,<br />
wirtschaftliche Prosperität und<br />
ein rasches Ende von Korruption und<br />
<strong>AUFTRAG</strong> <strong>283</strong> • SEPTEMBER 2011<br />
Nepotismus, die – unter welchem Titel<br />
auch immer – in staatliche und<br />
gesellschaftliche Realität übersetzt<br />
werden müssen.<br />
Haben die Revolten überhaupt einen Sinn?<br />
Trotz dieser nüchternen Bewertung<br />
der Aufstände in der arabischen<br />
Welt dürfen die kurz- und langfristigen<br />
Folgen dieser Protestwellen nicht<br />
unterschätzt werden. Zu den wichtigsten<br />
Lektionen, die von den Menschen<br />
innerhalb und außerhalb der<br />
arabischen Welt in den vergangenen<br />
Monaten gelernt wurden, gehören u.a.<br />
die Erkenntnisse, dass:<br />
– das Volk eine Stimme hat, die<br />
in organisierter Form sogar den<br />
Sturz von Tyrannen bewirken<br />
kann. Die arabischen Bevölkerungen<br />
haben gelernt, die „Protestmärsche“<br />
als Medium zur<br />
Durchsetzung politischer und<br />
wirtschaftlicher Forderungen einzusetzen.<br />
Der Westen hat hoffentlich<br />
gelernt, den Menschen in<br />
dieser Region, die Eigenschaft<br />
des „Revoltierens“ und „Protestierens“<br />
zu zu trauen.<br />
– die bisher erzielten Ergebnisse<br />
in Richtung politischer Teilhabe,<br />
wirtschaftlicher Reformen und<br />
gesellschaftlicher Öffnung – auch<br />
nach dem Abebben der Protestwellen<br />
– nicht mehr rückgängig<br />
zu machen sind. Gleichgültig wie<br />
die neuen Staatsformen aussehen<br />
werden, staatliche Repressalien<br />
durch tägliche Entwürdigungen<br />
gehören endgültig zur Geschichte<br />
der arabischen Region.<br />
– in den neu entstehenden Staaten<br />
gesellschaftliche und sozio-politische<br />
Standards neu definiert<br />
Kurznachricht:<br />
Lage in Syrien im August 2011<br />
SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK<br />
werden müssen. Darunter fallen<br />
auch bisher religiös unantastbare<br />
Orientierungs- und Verhaltensnormen.<br />
– das Verhältnis und die Zusammenarbeit<br />
mit westlichen Staaten<br />
angesichts eines gesteigerten<br />
Selbstwertgefühls der Araber neu<br />
bestimmt werden muss.<br />
– unser eurozentrischer Blick auf<br />
den Orient mit dem stereotypen<br />
Bild, das wir bisher vom islamisch<br />
geprägten arabischen Kulturraum<br />
zu zeichnen pflegten,<br />
eine Korrektur erfahren muss.<br />
– eine ehrlich gemeinte und weniger<br />
interessengeleitete Unterstützung<br />
der Umbrüche in der<br />
arabischen Welt – ohne Zielvorgaben<br />
– die arabische Perzeption vom<br />
Westen „aufpolieren“ und die<br />
verlorene Glaubwürdigkeit der<br />
Europäer und Amerikaner in den<br />
arabischen Bevölkerungen graduell<br />
wiederherstellen könnte.<br />
Diese Lehren aus dem arabischen<br />
Frühling werden das zukünftige Bild<br />
dieser Region entscheidend prägen<br />
und geben Anlass zur Hoffnung, dass<br />
eine neue Epoche in den arabischen<br />
Staaten eingeleitet wurde. Eine Epoche,<br />
für die es sich gelohnt hat zu<br />
kämpfen und die inzwischen mehrere<br />
Tausend Opfer gekostet hat. Der<br />
Optimismus der Menschen in diesen<br />
Staaten ist dennoch als verhalten zu<br />
bezeichnen, weil sie befürchten, dass<br />
sie um die Früchte ihrer „Revolutionen“<br />
gebracht werden. Ihre Angst<br />
kommt im berühmten afghanischen<br />
Sprichwort am besten zum Ausdruck:<br />
„Der Esel ist derselbe geblieben, nur<br />
der Sattel ist neu“. ❏<br />
N achdem die EU und die USA den Rücktritt von Machthaber Assad gefordert<br />
haben und schon wirtschaftliche Sanktionen verhängt haben,<br />
unterstützt Moskau weiterhin den Machthaber. In der Erklärung aus dem<br />
russischen Außenministerium hieß es, „Der syrische Staatspräsident hat<br />
seinem Volk und der internationalen Staatgemeinschaft Reformversprechen<br />
gemacht. Danach erklärt, die Angriffe beendet zu haben. Während die Regierung<br />
in Damaskus solche Schritte setzt, ist es nicht richtig, den Rücktritt<br />
von Assad zu fordern“<br />
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