Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.v.

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20.08.2012 Aufrufe

182 DGAUM – 47. JAHRESTAGUNG KOLLOQUIEN, SYMPOSIEN UND SEMINARE Kolloquien, Symposien und Seminare Arbeitsmedizinisches Kolloquium des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften K Ototoxische Arbeitsstoffe und Lärm aus Sicht der Praxis Klaus Ponto Berufsgenossenschaft Metall Süd, Mainz Substanzen, deren Wirkung zu einer Schädigung des Gehörs führen kann (Ototoxizität), verlangen bei gleichzeitiger Einwirkung von Lärm am Arbeitsplatz besondere Beachtung bei der Gefährdungsbeurteilung. Obgleich noch Wissensdefizite hinsichtlich der substanziellen Risiken bei der Kombinationswirkung bestehen, ist bekannt, dass besonders folgende Stoffe für die Arbeitswelt ein ototoxisches Potenzial haben: n-Hexan, n-Heptan, Toluol, Ethylbenzol, n-Propylbenzol, Xylol, Styrol, Trichlorethylen, Schwefelkohlenstoff, Kohlenmonoxid, Zyanide, Blei, Quecksilber, Cadmium, Arsen. Für einige dieser Gefahrstoffe sind zurzeit Arbeitsplatzgrenzwerte festgesetzt. Hierbei blieb deren ototoxische Wirkung bisher noch unberücksichtigt. Im Bereich der chemischen Industrie sind noch zahlreiche Lärmarbeitsplätze vorhanden, jedoch sind an diesen Arbeitsplätzen gleichzeitige Belastungen durch ototoxische Gefahrstoffe in der Regel nicht gegeben. In gezielten regelmäßigen Gehöruntersuchungen bei ototoxisch belasteten Beschäftigten ohne Lärmexposition sind bislang keine Auffälligkeiten bekannt geworden. In der Metallbranche, die durch eine erhebliche Zahl von Arbeitsplätzen mit Lärmexposition gekennzeichnet ist, werden viele ototoxische Arbeitsstoffe verwendet. In ersten Risikoanalysen in betroffenen Arbeitsbereichen mit entsprechenden Kombinationsbelastungen wurde ermittelt, bei welchen Tätigkeiten die stoffbezogenen Arbeitsplatzgrenzwerte eingehalten bzw. z.T. überschritten wurden. Daraus lassen sich Hinweise auf Risikogruppen und gezielte Schutzmaßnahmen ableiten. Auch in der Baubranche werden an Arbeitsplätzen Arbeitsstoffe mit ototoxischem Potenzial bei gleichzeitiger Lärmexposition regelmäßig verwendet. Erkenntnisse aus arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen bestätigen relevante Hörverluste der betroffenen Beschäftigten. Arbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed. 42, 3, 2007 Besonders valide Ergebnisse konnten mit der Feldstudie „Toluol in Tiefdruckereien“, durchgeführt von der BG Druck und Papierverarbeitung in den Jahen 1993 bis 2002, gewonnen werden. Toluolbedingte Hörverluste konnten mit der Studie nicht bestätigt werden. Einen guten Beitrag zur Beseitigung der Wissensdefizite können gezielte Auswertungen der beim BGIA in der Datenbank MEGA gespeicherten Expositionsdaten zu den genannten ototoxischen Arbeitsstoffen und Lärm leisten. Die Zusammenführung des Datenbestandes bietet die Möglichkeit, Hinweise auf Gruppen zu gewinnen, die durch Kombinationsbelastungen ggf. einem größeren Hörverlustrisiko ausgesetzt sein können. Aufgrund der zurzeit vorliegenden Erkenntnisse zeichnet sich bereits jetzt ab, dass hinsichtlich des Hörverlustrisikos Lärm und dessen Bekämpfung in den betroffenen Branchen weiterhin eine prominente Bedeutung hat. K Ototoxische Arbeitsstoffe und Lärm aus der Sicht der Wissenschaft Andreas Seeber Institut für Arbeitsphysiologie, Universität Dortmund Aus tierexperimentellen Studien ist bekannt, dass gleichzeitig oder nacheinander auftretende Einwirkungen von Lärm- und Lösungsmittelexpositionen additive und überadditive Effekte als Hörschwellenveränderungen haben können. Im Vortrag wird ein Überblick zu epidemiologischen Studien gegeben, die zu kombinierten Lärm- und Lösungsmittelexpositionen bekannt wurden. Effekte von 21 aromatischen Lösungsmitteln (u. a. Toluol und Styrol) in Zellformationen der Cochlea sind tierexperimentell darstellbar. Damit liegen Informationen zur ototoxischen Einordnung der Substanzen vor. Eine typische Untersuchung an Ratten zu Toluol und Lärm belegt die Hypothese der Überadditivität. Die genutzten Expositionen liegen weit oberhalb der Arbeitsplatzgrenzwerte (z. B. Faktor 20 für Toluol). Des Weiteren werden Studien der Arbeitsgruppen von M. Sliwinska-Kowalska (Lodz) und T. Morata (NIOSH, Cincinnatti) vorgestellt, die Belege für kombinierte Effekte von Lärm- und chemische Expositionen an Arbeitsplätzen (Toluol, Styrol, Lösungsmittelgemische) zeigen. Die Expositionen liegen nur zum Teil oberhalb der gültigen Grenzwerte, sind aber in ihrer Einordnung kritisch zu sehen. Als empfindliche Frequenzbereiche eines chemisch induzierten Hörverlustes werden 4–6 kHz, z.T. auch höhere Frequenzen ausgewiesen. Diesen Ergebnissen werden Erhebungen der Arbeitsgruppe des Vortragenden gegenüber gestellt, die ohne Effektnachweis blieben bei Expositionen unterhalb des Grenzwerts (Toluol). Aus der Gegenüberstellung der Studien ergibt sich, dass die Suche nach Effektschwellen zumindest teilweise (Toluol) eingegrenzt werden kann. Die Empfehlungen eines EU-unterstützten Workshops zur Thematik sehen die Ototoxozität als eine Gefährdung an Arbeitsplätzen an, die einer besonderen Zuwendung und Grenzwertsetzung bedarf. Dem kann gegenüber gestellt werden, dass Ototoxizität nach Lösungsmittelexposition durchaus als einer von verschiedenen anderen neurotoxischen Effekten einzuordnen ist. Sofern stabile Nachweise vorliegen, dass in diesem Wirkbereich die sensitivste Effektschwelle eines Arbeitsstoffes vorliegt (Lowest Observable Advers Effect Level), sind diese bei der Grenzwertsetzung zu berücksichtigen. Es ist diskutierenswert, unter welchen Bedingungen präventive arbeitsmedizinische Untersuchungen der Betroffenen zu empfehlen sind. K Ototoxische Arbeitsstoffe und Lärm – Bilanz und Ausblick Jürgen Milde BG-Zentrale für Sicherheit und Gesundheit (BGZ), HVBG, Sankt Augustin Das Thema „Ototoxizität von Arbeitsstoffen“ ist durchaus nicht neu und in Verbindung mit Schwermetallen (z. B. Blei und seine Verbindungen) und so genannten Erstickungsgasen (z. B. Kohlenmonoxid) lang bekannt. In den Blickpunkt der Aufmerksamkeit geriet es durch Aktivitäten in Wissenschaft und Rechtsetzung, die auf internationaler Ebene angestoßen worden sind. Von dieser Entwicklung sind nun auch viele Lösungsmittel betroffen, die in der Arbeitswelt in beträchtlichen Mengen zum Einsatz gelangen.

Bei ototoxischen Arbeitsstoffen handelt es sich um eine Vielfalt von Chemikalien, deren Toxikologie und Risikopotenzial für das Gehör nicht hinreichend bekannt sind. Vermisst werden vor allem Erkenntnisse zu Pathomechanismen, Dosis-Wirkungs-Beziehungen und Effektschwellen. Die wissenschaftlichen Befunde am Menschen leiden unter Problemen bei der präzisen Erfassung der Exposition. Daten über ototoxische Effekte unter den Expositionsbedingungen aktueller Arbeitsplätze sind weitgehend nicht vorhanden. Ebenso fehlen belastbare Daten über die Kombinationswirkungen von Lärm und ototoxischen Arbeitsstoffen. Die Wissensdefizite gestatten es zurzeit nicht, mit der nötigen Genauigkeit festzustellen, ob und von welchen der unter Verdacht stehenden Stoffe in der Arbeitswelt substanzielle Risiken ausgehen und unter welchen Arbeitsbedingungen sie zum Tragen kommen könnten. Auf Basis der bei den Berufsgenossenschaften vorhandenen Messdaten zu Gefahrstoffen und Lärm wird derzeit versucht, Arbeitsplätze mit einem möglicherweise erhöhten Risiko zu identifizieren. In einer Fachveranstaltung im Sommer 2006 wurde eine erste Bewertung des derzeitigen Erkenntnisstandes in Wissenschaft und Praxis aus Sicht des Arbeitsschutzes vorgenommen und in einem Positionspapier des Ausschusses Arbeitsmedizin niedergelegt. Darin wird versucht, die Größenordnung der Problematik angemessen einzuordnen und Hinweise für den praktischen Umgang zu geben. Darüber hinaus werden Empfehlungen für Vorgehensweisen formuliert, die beim derzeitigen Stand der Erkenntnisse ein ausreichend hohes Schutzniveau der Beschäftigten gewährleisten. Zusätzlich sind eine Reihe weiterer Aktivitäten in Betracht zu ziehen, die vorhandene Kenntnislücken schließen und so eine fundierte Basis für zielgerichtetes Handeln herstellen könnten. Das Positionspapier ist unter www.hvbg.de Webcode 2162018 zusammen mit weiterer Information im Internet herunterladbar. K Neue Entwicklungen zu den Berufskrankheiten der Wirbelsäule Stephan Brandenburg Mitglied der Geschäftsführung, Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, Hamburg Seit ihrem Inkrafttreten zum 01. 01. 1993 stellen die mit einer zeitlich beschränkten KOLLOQUIEN, SYMPOSIEN UND SEMINARE Rückwirkung eingeführten Berufskrankheitentatbestände für verschleißbedingte Wirbelsäulenerkrankungen Nr. 2108–2110 (s. Anhang) vor allem für die medizinische Begutachtung eine besondere Herausforderung dar. So sind insbesondere eindeutige Abgrenzungs- und Beurteilungskriterien z. B. in Bezug auf das berufskrankheitenkonforme Krankheitsbild in diesen Berufskrankheitentatbestände nicht enthalten. Trotz der mittlerweile vorliegenden umfangreichen gutachterlichen Erfahrungen und der Bestrebungen, eine nachvollziehbare Begutachtungspraxis zu entwickeln, werden viele zentrale Aspekte wie z. B. die Beurteilung konkurrierender Ursachenfaktoren nicht einheitlich gesehen. Um den verschiedenen Schwierigkeiten und unterschiedlichen Auffassungen zu begegnen, hat es in jüngster Zeit eine Reihe von Neuerungen in Bezug auf die Berufskrankheiten der Wirbelsäule gegeben: I. Konsensus-Arbeitsgruppe „Medizinische Beurteilungskriterien bei den Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule“ II. Deutsche Wirbelsäulenstudie III. BK-Nr. 2110: Neues Merkblatt für die ärztliche Untersuchung IV. BK-Nr. 2108: Neues Merkblatt für die ärztliche Untersuchung V. Aktuelle Rechtsprechung Die Schwerpunkte des Beitrags liegen auf grundsätzlichen Anmerkungen zu den Ergebnissen der Konsensus-Arbeitsgruppe sowie auf Erläuterungen zur aktuellen Rechtsprechung. Anhang � 2108 Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. � 2109 Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. � 2110 Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die K DGAUM – 47. JAHRESTAGUNG Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Expositionsermittlung der Wirbelsäulenbelastung Rolf Ellegast Referat Arbeitswissenschaft, physikalische Einwirkung, Berufsgenossenschaftliches Institut für Arbeitsschutz (BGIA), St. Augustin Präventive Maßnahmen am Arbeitsplatz setzen die Kenntnis arbeitsplatzspezifischer Belastungsdaten voraus. Bei Wirbelsäulenbelastungen gehören hierzu insbesondere die aus der Tätigkeit resultierenden Körperhaltungen und -bewegungen sowie die z. B. bei der manuellen Lastenhandhabung auf die Arbeitsperson einwirkenden Kräfte. Dabei müssen die mit dem Arbeitsprozess verbundenen Belastungen möglichst in ihrer Komplexität und zeitlichen Abfolge objektiv erfasst und bewertet werden. Hierzu setzen das BGIA und verschiedene Berufsgenossenschaften Messsysteme ein. Die hierdurch gewonnenen Belastungsdaten werden in einem Datenbanksystem eingestellt und aufbereitet. Zur kontinuierlichen Erfassung und Analyse von Wirbelsäulenbelastungen an Arbeitsplätzen wird vom BGIA und 9 Berufsgenossenschaften seit Jahren das CUELA- Messsystem eingesetzt. Körper-/Gelenkbewegungen und einwirkende Kräfte werden hierbei mit Sensoren, die auf der Arbeitskleidung angebracht sind, in hoher Auflösung über mehrstündige Messzeiten erfasst. Unmittelbar nach einer Messung liegen die Ergebnisse in Form von Statistiken vor und können inkl. Videodokumentationen in das Datenbanksystem OMEGA eingelesen werden. Dieses bisher zur Archivierung und Recherche von Gefahrstoff-, Lärm- und Vibrationsdaten genutzte System wurde um ein entsprechendes Modul „Muskel- und Skelettbelastungen“ erweitert. Mehr als 200 Belastungsprofile von Arbeitsplätzen verschiedener Branchen (u. a. Bauwirtschaft und Krankenpflege) sind inzwischen messtechnisch erfasst worden. Sowohl in Betriebsberatungen als auch im Rahmen von Forschungsprojekten konnten so gezielte Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung von Fehlbelastungen des Muskel- Skelettsystems am Arbeitsplatz eingeleitet werden. Mit der Einstellung der Belastungsprofile in die OMEGA-Datenbank, deren Struktur eine Expositionsübergreifende Analyse zulässt, wurde begonnen. Arbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed. 42, 3, 2007 183

Bei ototoxischen Arbeitsstoffen handelt<br />

es sich um eine Vielfalt von Chemikalien,<br />

deren Toxikologie <strong>und</strong> Risikopotenzial <strong>für</strong><br />

das Gehör nicht hinreichend bekannt sind.<br />

Vermisst werden vor allem Erkenntnisse zu<br />

Pathomechanismen, Dosis-Wirkungs-Beziehungen<br />

<strong>und</strong> Effektschwellen.<br />

Die wissenschaftlichen Bef<strong>und</strong>e am<br />

Menschen leiden unter Problemen bei der<br />

präzisen Erfassung der Exposition. Daten<br />

über ototoxische Effekte unter den Expositionsbedingungen<br />

aktueller Arbeitsplätze<br />

sind weitgehend nicht vorhanden. Ebenso<br />

fehlen belastbare Daten über die Kombinationswirkungen<br />

von Lärm <strong>und</strong> ototoxischen<br />

Arbeitsstoffen.<br />

Die Wissensdefizite gestatten es zurzeit<br />

nicht, mit der nötigen Genauigkeit festzustellen,<br />

ob <strong>und</strong> von welchen der unter Verdacht<br />

stehenden Stoffe in der Arbeitswelt<br />

substanzielle Risiken ausgehen <strong>und</strong> unter<br />

welchen Arbeitsbedingungen sie zum Tragen<br />

kommen könnten.<br />

Auf Basis der bei den Berufsgenossenschaften<br />

vorhandenen Messdaten zu Gefahrstoffen<br />

<strong>und</strong> Lärm wird derzeit versucht,<br />

Arbeitsplätze mit einem möglicherweise<br />

erhöhten Risiko zu identifizieren.<br />

In einer Fachveranstaltung im Sommer<br />

2006 wurde eine erste Bewertung des derzeitigen<br />

Erkenntnisstandes in Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Praxis aus Sicht des Arbeitsschutzes vorgenommen<br />

<strong>und</strong> in einem Positionspapier<br />

des Ausschusses <strong>Arbeitsmedizin</strong> niedergelegt.<br />

Darin wird versucht, die Größenordnung<br />

der Problematik angemessen einzuordnen<br />

<strong>und</strong> Hinweise <strong>für</strong> den praktischen<br />

Umgang zu geben. Darüber hinaus werden<br />

Empfehlungen <strong>für</strong> Vorgehensweisen<br />

formuliert, die beim derzeitigen Stand<br />

der Erkenntnisse ein ausreichend hohes<br />

Schutzniveau der Beschäftigten gewährleisten.<br />

Zusätzlich sind eine Reihe weiterer<br />

Aktivitäten in Betracht zu ziehen, die<br />

vorhandene Kenntnislücken schließen <strong>und</strong><br />

so eine f<strong>und</strong>ierte Basis <strong>für</strong> zielgerichtetes<br />

Handeln herstellen könnten.<br />

Das Positionspapier ist unter www.hvbg.de<br />

Webcode 2162018 zusammen mit weiterer<br />

Information im Internet herunterladbar.<br />

K<br />

Neue Entwicklungen zu den Berufskrankheiten<br />

der Wirbelsäule<br />

Stephan Brandenburg<br />

Mitglied der Geschäftsführung, Berufsgenossenschaft <strong>für</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heitsdienst <strong>und</strong> Wohlfahrtspflege, Hamburg<br />

Seit ihrem Inkrafttreten zum 01. 01. 1993<br />

stellen die mit einer zeitlich beschränkten<br />

KOLLOQUIEN, SYMPOSIEN UND SEMINARE<br />

Rückwirkung eingeführten Berufskrankheitentatbestände<br />

<strong>für</strong> verschleißbedingte<br />

Wirbelsäulenerkrankungen Nr. 2108–2110<br />

(s. Anhang) vor allem <strong>für</strong> die medizinische<br />

Begutachtung eine besondere Herausforderung<br />

dar. So sind insbesondere eindeutige<br />

Abgrenzungs- <strong>und</strong> Beurteilungskriterien<br />

z. B. in Bezug auf das berufskrankheitenkonforme<br />

Krankheitsbild in diesen Berufskrankheitentatbestände<br />

nicht enthalten.<br />

Trotz der mittlerweile vorliegenden umfangreichen<br />

gutachterlichen Erfahrungen <strong>und</strong><br />

der Bestrebungen, eine nachvollziehbare<br />

Begutachtungspraxis zu entwickeln, werden<br />

viele zentrale Aspekte wie z. B. die Beurteilung<br />

konkurrierender Ursachenfaktoren<br />

nicht einheitlich gesehen. Um den verschiedenen<br />

Schwierigkeiten <strong>und</strong> unterschiedlichen<br />

Auffassungen zu begegnen, hat es in<br />

jüngster Zeit eine Reihe von Neuerungen<br />

in Bezug auf die Berufskrankheiten der<br />

Wirbelsäule gegeben:<br />

I. Konsensus-Arbeitsgruppe „Medizinische<br />

Beurteilungskriterien bei den Berufskrankheiten<br />

der Lendenwirbelsäule“<br />

II. <strong>Deutsche</strong> Wirbelsäulenstudie<br />

III. BK-Nr. 2110: Neues Merkblatt <strong>für</strong> die<br />

ärztliche Untersuchung<br />

IV. BK-Nr. 2108: Neues Merkblatt <strong>für</strong> die<br />

ärztliche Untersuchung<br />

V. Aktuelle Rechtsprechung<br />

Die Schwerpunkte des Beitrags liegen auf<br />

gr<strong>und</strong>sätzlichen Anmerkungen zu den Ergebnissen<br />

der Konsensus-Arbeitsgruppe sowie<br />

auf Erläuterungen zur aktuellen Rechtsprechung.<br />

Anhang<br />

� 2108 Bandscheibenbedingte Erkrankungen<br />

der Lendenwirbelsäule durch<br />

langjähriges Heben oder Tragen schwerer<br />

Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten<br />

in extremer Rumpfbeugehaltung, die<br />

zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen<br />

haben, die <strong>für</strong> die Entstehung,<br />

die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben<br />

der Krankheit ursächlich<br />

waren oder sein können.<br />

� 2109 Bandscheibenbedingte Erkrankungen<br />

der Halswirbelsäule durch langjähriges<br />

Tragen schwerer Lasten auf der<br />

Schulter, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten<br />

gezwungen haben, die <strong>für</strong> die<br />

Entstehung, die Verschlimmerung oder<br />

das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich<br />

waren oder sein können.<br />

� 2110 Bandscheibenbedingte Erkrankungen<br />

der Lendenwirbelsäule durch<br />

langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung<br />

von Ganzkörperschwingungen im<br />

Sitzen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten<br />

gezwungen haben, die <strong>für</strong> die<br />

K<br />

DGAUM – 47. JAHRESTAGUNG<br />

Entstehung, die Verschlimmerung oder<br />

das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich<br />

waren oder sein können.<br />

Expositionsermittlung der Wirbelsäulenbelastung<br />

Rolf Ellegast<br />

Referat Arbeitswissenschaft, physikalische Einwirkung, Berufsgenossenschaftliches<br />

Institut <strong>für</strong> Arbeitsschutz (BGIA),<br />

St. Augustin<br />

Präventive Maßnahmen am Arbeitsplatz<br />

setzen die Kenntnis arbeitsplatzspezifischer<br />

Belastungsdaten voraus. Bei Wirbelsäulenbelastungen<br />

gehören hierzu insbesondere<br />

die aus der Tätigkeit resultierenden Körperhaltungen<br />

<strong>und</strong> -bewegungen sowie die z. B.<br />

bei der manuellen Lastenhandhabung auf<br />

die Arbeitsperson einwirkenden Kräfte. Dabei<br />

müssen die mit dem Arbeitsprozess verb<strong>und</strong>enen<br />

Belastungen möglichst in ihrer<br />

Komplexität <strong>und</strong> zeitlichen Abfolge objektiv<br />

erfasst <strong>und</strong> bewertet werden. Hierzu<br />

setzen das BGIA <strong>und</strong> verschiedene Berufsgenossenschaften<br />

Messsysteme ein. Die hierdurch<br />

gewonnenen Belastungsdaten werden<br />

in einem Datenbanksystem eingestellt<br />

<strong>und</strong> aufbereitet.<br />

Zur kontinuierlichen Erfassung <strong>und</strong><br />

Analyse von Wirbelsäulenbelastungen an Arbeitsplätzen<br />

wird vom BGIA <strong>und</strong> 9 Berufsgenossenschaften<br />

seit Jahren das CUELA-<br />

Messsystem eingesetzt. Körper-/Gelenkbewegungen<br />

<strong>und</strong> einwirkende Kräfte werden<br />

hierbei mit Sensoren, die auf der Arbeitskleidung<br />

angebracht sind, in hoher Auflösung<br />

über mehrstündige Messzeiten erfasst.<br />

Unmittelbar nach einer Messung liegen die<br />

Ergebnisse in Form von Statistiken vor <strong>und</strong><br />

können inkl. Videodokumentationen in<br />

das Datenbanksystem OMEGA eingelesen<br />

werden. Dieses bisher zur Archivierung <strong>und</strong><br />

Recherche von Gefahrstoff-, Lärm- <strong>und</strong><br />

Vibrationsdaten genutzte System wurde um<br />

ein entsprechendes Modul „Muskel- <strong>und</strong><br />

Skelettbelastungen“ erweitert.<br />

Mehr als 200 Belastungsprofile von Arbeitsplätzen<br />

verschiedener Branchen (u. a.<br />

Bauwirtschaft <strong>und</strong> Krankenpflege) sind<br />

inzwischen messtechnisch erfasst worden.<br />

Sowohl in Betriebsberatungen als auch im<br />

Rahmen von Forschungsprojekten konnten<br />

so gezielte Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung<br />

von Fehlbelastungen des Muskel-<br />

Skelettsystems am Arbeitsplatz eingeleitet<br />

werden.<br />

Mit der Einstellung der Belastungsprofile<br />

in die OMEGA-Datenbank, deren<br />

Struktur eine Expositionsübergreifende<br />

Analyse zulässt, wurde begonnen.<br />

Arbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed. 42, 3, 2007 183

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