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Vorstand und Verwaltungsrat <strong>de</strong>r<br />

Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft e.V.<br />

Johann Tomaschek<br />

Horst Pfefferl<br />

Werner Lauterbach<br />

Georgios Papadopoulos<br />

Günter Ickert<br />

<strong>INHALT</strong><br />

Editorial<br />

„Forscher“ – „Dichter“ – „Scharlatan“<br />

Das Bild <strong>de</strong>s Paracelsus in <strong>de</strong>n Nachschlagewerken<br />

<strong>de</strong>r frühen Neuzeit<br />

Religiöse Toleranz und Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e <strong>bei</strong><br />

Valentin Weigel ( 533 – 588)<br />

Ein Denkmal <strong>de</strong>r Liebe<br />

Paracelsus und die mo<strong>de</strong>rne Medizin<br />

Empfehlung<br />

„Die Kräuterkun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Paracelsus“<br />

Aus <strong>de</strong>r Ar<strong>bei</strong>t <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>ellschaft<br />

Beson<strong>de</strong>re Lernleistung erfolgreich<br />

abgeschlossen<br />

Leserzuschrift zur<br />

Jugendbildungsfahrt<br />

2<br />

5<br />

24<br />

47<br />

62<br />

66<br />

67


„es ist ein schön ding um ein rosen, aber sie muß ein ganz jar haben, bis sie zum gesteud kompt,<br />

zum dol<strong>de</strong>n, zum blumen… <strong>de</strong>r … die zeit erwartet, bis die natur auszeucht und erwechst auf sein<br />

termin, <strong>de</strong>r hat ein rosen.“<br />

Mit <strong>de</strong>m Bild <strong>de</strong>s pflanzlichen Wachsens und Blühens beschreibt Bombast von<br />

Hohenheim ein allgemeingültiges Entwicklungsgesetz. Hatte er selbst nun seine Zeit,<br />

„seinen Termin“, blühte seine Rose? Ist seine Zeit vor<strong>bei</strong>, überwun<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>r unsrigen<br />

aufgehoben? Blüht heute die Rose eines an<strong>de</strong>ren Zeitalters, eines wissenschaftlichen, informationstechnologischen<br />

und kernkraftorientierten? Sind wir durch die Wissenschaft<br />

zum wahren Wissen gekommen?<br />

Paracelsus hatte ebenso wenig seine Zeit, wie die unsrige als Blüte bezeichnet wer<strong>de</strong>n<br />

kann. Und so harrt sein Gedankenuniversum, uns auf mehr als 8000 Druckseiten überliefert,<br />

<strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>n-Wer<strong>de</strong>ns. Georgios Papadopoulos mahnt in seinen Thesen eine<br />

Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>m völlig eigenständigen Paradigma <strong>de</strong>s Hohenheimers an,<br />

durch welches <strong>de</strong>ssen Inanspruchnahme als Vorläufer heutiger Auffassungen infrage gestellt<br />

wird.<br />

Was wir heute als Wissenschaft bezeichnen, heißt <strong>bei</strong> Paracelsus scientia und meint<br />

das Erforschen <strong>de</strong>r Natur und ihrer Zusammenhänge. Den Begriff Wissenschaft versteht<br />

er eher als Kennzeichen eines geistigen Zustan<strong>de</strong>s: durch Forschen und Nach<strong>de</strong>nken zu<br />

Erkenntnis und Wissen gelangen. Dieser Begriff ist etwa vergleichbar mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Mitgliedschaft.<br />

Wer zur Wissenschaft gelangt, gehört zu <strong>de</strong>n Wissen<strong>de</strong>n.<br />

Beson<strong>de</strong>rs seit <strong>de</strong>m 8. Jahrhun<strong>de</strong>rt orientieren sich Wissenschaftler auf die äußere,<br />

materielle Dimension <strong>de</strong>r Welt. Ergebnis sind großartige Erkenntnisse über <strong>de</strong>ren Funktionieren,<br />

von kleinsten atomaren Strukturen bis hin zu kosmischen Prozessen. Gleichzeitig<br />

setzt sich die Wissenschaft mit dieser Orientierung selbst Grenzen: Nichtmaterielles<br />

und subjektive Prozesse, einschließlich Sinnfragen, übersteigen die objektiven Möglichkeiten<br />

ihrer Metho<strong>de</strong>n. Dazu gehört etwas so Elementares wie <strong>de</strong>r Tod, welcher <strong>de</strong>r<br />

Religion überlassen wer<strong>de</strong>n muss.<br />

Derartige Grenzen kennt das paracelsische Paradigma nicht. Bei ihm zählt allein wissen<br />

und verantwortlich han<strong>de</strong>ln.<br />

Der Hohenheimer <strong>de</strong>nkt die Welt als mehrdimensionale Ganzheit. Sie enthält nicht<br />

nur ein Hier bzw. ein Unten, son<strong>de</strong>rn auch ein Dort bzw. Oben, wo<strong>bei</strong> <strong>bei</strong><strong>de</strong> ursächlich<br />

verknüpft sind und einen Sinn haben, alles ist nämlich um <strong>de</strong>s Menschen willen gemacht:<br />

„die hand, die himel und er<strong>de</strong>n gemacht hat, hat das unter im microcosmo auch gemacht,<br />

aus <strong>de</strong>m obern genomen und beschlossen in die haut <strong>de</strong>s menschen alles, was <strong>de</strong>r himel begreift. darumb<br />

so ist uns <strong>de</strong>r eußer himel ein wegweiser <strong>de</strong>s innern himels.“ 2<br />

Paracelsus ordnet je<strong>de</strong>r Dimension ihre Metho<strong>de</strong> zu: Die materielle Welt ist zu erkennen<br />

durch Erfahrung und Forschung, wo<strong>bei</strong> es ihm vor allem um Erkennen <strong>de</strong>r hinter<br />

allem stehen<strong>de</strong>n Wirkkräfte und Prinzipien geht. Er schreibt: „also hat die natur verordnet,<br />

das die eußern zeichen die innern werk und tugent anzeigent, also hat es got gefallen, das nichts verborgen<br />

bleibe, son<strong>de</strong>r das durch die scientias geoffenbart wür<strong>de</strong>, was in allen geschöpfen ligt.“ 3<br />

Die seelisch-geistige Dimension wird erschlossen durch Sehen, übersetzbar vielleicht<br />

mit Intuition und Inspiration. Wer sieht, <strong>de</strong>r sieht (hin)durch und weiß.<br />

Über allem befin<strong>de</strong>t sich die ewige Dimension <strong>de</strong>s Göttlichen. Ihr ist als Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Glaube im Sinne einer inneren, Handlung auslösen<strong>de</strong>n Überzeugung zuzuweisen.<br />

2<br />

EDITORIAL


In <strong>de</strong>n vier bekannten Säulen <strong>de</strong>r Heilkunst (Philosophie, Astrologie, Alchemie, Tugend)<br />

spiegeln sich diese Dimensionen <strong>de</strong>s paracelsischen Wissenschaftsparadigmas<br />

wi<strong>de</strong>r.<br />

Als Philosoph und Astrologe <strong>de</strong>nkt <strong>de</strong>r Arzt von oben nach unten: Er nimmt das Unsichtbare<br />

im Sichtbaren wahr, das Energetische im Materiellen, die I<strong>de</strong>e in <strong>de</strong>r stofflichen<br />

Form.<br />

Als Alchemist erfasst <strong>de</strong>r Arzt die an<strong>de</strong>re Richtung: Er vere<strong>de</strong>lt das Stoffliche, vollen<strong>de</strong>t<br />

es im Sinne <strong>de</strong>r Freisetzung von Kräften, hebt es also von unten empor und bewirkt<br />

Heilung.<br />

Mit Verkörperung <strong>de</strong>r 4. Säule wird <strong>de</strong>r Arzt zum Weisen. Redlichkeit bzw. Tugend als<br />

Begründung <strong>de</strong>s eigenen Han<strong>de</strong>lns sind nur erreichbar durch un<strong>bei</strong>rrbaren „Rück-<br />

Bezug“ auf Gott, das ist <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r Religion. „darumb ob gleich wol mit <strong>de</strong>r natur angefangen<br />

wird, so folgt doch nicht aus <strong>de</strong>m das in <strong>de</strong>r natur sol aufgehört wer<strong>de</strong>n und in ir bleiben,<br />

son<strong>de</strong>r weiter suchen und en<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>m ewigen, das ist im götlichen wesen und wan<strong>de</strong>l.“ 4<br />

Eine solche Weltsicht im Bewusstsein universeller Ganzheit kennt keine Grenzen,<br />

we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong> noch <strong>de</strong>r Erkenntnis o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Sinnzuweisung. Daraus folgend<br />

könnte also Paracelsusrezeption einen Impuls zu einem erweiterten Wissenschaftsbegriff<br />

geben. Wenn es um Bereiche geht, zu <strong>de</strong>ren Erschließung rationale Metho<strong>de</strong>n versagen,<br />

wäre es irrational, auf an<strong>de</strong>re Metho<strong>de</strong>n zu verzichten. In diesem Sinne wäre Glaube,<br />

wie ihn die Bibel lehrt, als Metho<strong>de</strong> zum Erlangen subjektiven Wissens bzw. innerer<br />

Überzeugung durchaus im Rahmen solch eines erweiterten Wissenschaftsbegriffs <strong>de</strong>nkbar.<br />

Vielleicht wäre das die Zeit zum Erblühen <strong>de</strong>r Rose.<br />

Paracelsus /II/406.<br />

2 Paracelsus /VIII/97.<br />

3 Paracelsus /XII/ 77.<br />

4 Paracelsus /XII/273.<br />

Vorstand und Verwaltungsrat <strong>de</strong>r<br />

DEUTScHEN BOMBASTUS-GESELLScHAFT e.V.<br />

ANMERKUNGEN und LITERATUR<br />

3


Johann Tomaschek<br />

„FORScHER“ – „DIcHTER“ – „ScHARLATAN“.<br />

Das Bild <strong>de</strong>s Paracelsus in <strong>de</strong>n Nachschlagewerken <strong>de</strong>r frühen Neuzeit<br />

Inhaltsübersicht<br />

Einleitung:<br />

Arten und Aufbau von Nachschlagewerken.<br />

. <strong>Ges</strong>ners „Bibliotheca“ und Adams<br />

„Vitae medicorum“<br />

2. Paracelsus als Dichter in Sandrarts<br />

„Teutscher Aka<strong>de</strong>mie“<br />

3. Frehers „Theatrum“ und das „Universal-Lexikon“<br />

von 709<br />

4. Barocke Gelehrsamkeitsgeschichte:<br />

Morhof, conring, Gundling<br />

5. Zedlers „Universal-Lexikon“ und Jöchers<br />

„Gelehrten-Lexikon“<br />

6. Zwei abschließen<strong>de</strong> Beispiele aus <strong>de</strong>m<br />

9. Jahrhun<strong>de</strong>rt: Wolff und Escher<br />

Rückblick und Zusammenfassung<br />

Einleitung:<br />

Arten und Aufbau von Nachschlagewerken<br />

In unserem großen Bibliothekssaal im<br />

Benediktinerstift Admont ist <strong>de</strong>r kostbare<br />

alte Bücherbestand, wie das in früherer<br />

Zeit durchwegs üblich war, nach Sachgruppen<br />

geglie<strong>de</strong>rt. Da gibt es etwa eine eigene<br />

Abteilung mit <strong>de</strong>r lateinischen Aufschrift<br />

„Libri medici“, wo mehrere Jahrhun<strong>de</strong>rte<br />

lang die medizinische Literatur im weitesten<br />

Sinn <strong>de</strong>s Wortes aufgestellt wur<strong>de</strong>,<br />

und dort sind auch jene wenigen Ausgaben<br />

von Paracelsus-Werken zu fin<strong>de</strong>n, die<br />

<strong>bei</strong> uns vorhan<strong>de</strong>n sind.<br />

Ziemlich genau diagonal gegenüber von<br />

dieser Abteilung steht eine ganz an<strong>de</strong>re<br />

Art von Büchern, die „Libri miscellanei“,<br />

also Bücher mit gemischtem Inhalt. Das<br />

könnte auf <strong>de</strong>n ersten Blick wie eine Verlegenheitslösung<br />

aussehen: Dort stellten<br />

vielleicht die Bibliothekare früherer Zeiten<br />

jene Bücher hin, die sich sonst nirgendwo<br />

in <strong>de</strong>r Systematik unterbringen ließen.<br />

Dem ist aber nicht so, <strong>de</strong>nn das neulateinische<br />

Adjektiv „miscellanei“ bezieht sich<br />

tatsächlich auf <strong>de</strong>n Inhalt <strong>de</strong>r in dieser Abteilung<br />

stehen<strong>de</strong>n Werke: Wo könnte auch<br />

<strong>de</strong>r Inhalt bunter gemischt sein als in <strong>de</strong>n<br />

verschie<strong>de</strong>nen Nachschlagewerken – und<br />

um eben solche Bücher han<strong>de</strong>lt es sich <strong>bei</strong><br />

<strong>de</strong>n „miscellanei“.<br />

Abb. : Blick in <strong>de</strong>n spätbarocken Bibliothekssaal<br />

<strong>de</strong>s Stiftes Admont<br />

Wenn von Nachschlagewerken die Re<strong>de</strong><br />

ist, dann <strong>de</strong>nkt man zumeist an die gängigen<br />

Lexika und Enzyklopädien 2, <strong>de</strong>ren<br />

wesentliche Gemeinsamkeit darin besteht,<br />

dass sie alphabetisch aufgebaut sind – das<br />

beginnt schon <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r volkstümlichen<br />

„Welt von A bis Z“ und reicht <strong>bei</strong>spielsweise<br />

bis zur vielbändigen „Enzyclopedia<br />

Britannica“.<br />

Nachschlagewerke können aber auch an<strong>de</strong>rs<br />

strukturiert sein: Wenn sie ihren rei-<br />

5


chen Inhalt nicht in alphabetischer, son<strong>de</strong>rn<br />

in systematischer Anordnung darbieten,<br />

dann spricht man natürlich nicht von<br />

Lexika, son<strong>de</strong>rn von Handbüchern o<strong>de</strong>r<br />

Kompendien. In solchen Werken erscheint<br />

das Nachschlagen vorerst nicht ganz so<br />

einfach zu sein, weil hier <strong>de</strong>r rasche Zugriff<br />

auf ein bestimmtes Stichwort nicht unmittelbar<br />

möglich ist. Es bedarf also einer genaueren<br />

Kenntnis <strong>de</strong>s inneren Aufbaues –<br />

o<strong>de</strong>r aber eines Blickes vorne in das Inhaltsverzeichnis.<br />

In <strong>de</strong>n meisten Fällen<br />

sind diese Handbücher und Kompendien<br />

allerdings am Schluss auch noch mit alphabetischen<br />

Registern ausgestattet, sodass<br />

<strong>de</strong>r Zugriff zumeist von hinten her, und<br />

damit wie<strong>de</strong>r ähnlich wie <strong>bei</strong> einem Lexikon,<br />

erfolgen kann.<br />

Es liegt in <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>r Sache, dass ein<br />

Nachschlagewerk immer nur ein mehr<br />

o<strong>de</strong>r weniger stark begrenztes Quantum an<br />

Wissen über einen Gegenstand, einen<br />

Sachverhalt o<strong>de</strong>r eine Person liefern kann.<br />

Es ersetzt ja nicht die einschlägige Fachliteratur,<br />

son<strong>de</strong>rn bietet vielmehr nur eine Zusammenfassung<br />

<strong>de</strong>ssen, was dazu an Wissenswertem<br />

vorliegt. Somit fin<strong>de</strong>t man in<br />

einem solchen Werk im entsprechen<strong>de</strong>n<br />

Artikel o<strong>de</strong>r Abschnitt üblicherweise <strong>de</strong>n<br />

jeweils aktuellen Wissensstand – man darf<br />

ja davon ausgehen, dass sich <strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r die<br />

Bear<strong>bei</strong>ter eines Lexikons o<strong>de</strong>r eines<br />

Handbuchs mit <strong>de</strong>r speziellen Literatur<br />

vertraut gemacht haben und nun quasi<br />

<strong>de</strong>ren Quintessenz im Nachschlagewerk<br />

vermitteln. Dass es sich in Wirklichkeit<br />

nicht immer so verhält und dass man<br />

immer wie<strong>de</strong>r Klagen über die mangeln<strong>de</strong><br />

Aktualität solcher Werke zu hören bekommt,<br />

sei hier nur am Ran<strong>de</strong> angemerkt.<br />

Weil nun aber das Wissen über einen<br />

bestimmten Sachverhalt o<strong>de</strong>r eine bestimmte<br />

Person stets ein Vielfaches von<br />

<strong>de</strong>m ausmacht, was sich darüber in einem<br />

Nachschlagewerk unterbringen lässt, stellt<br />

sich das Problem <strong>de</strong>r Auswahl; diese kann<br />

sich entwe<strong>de</strong>r an allgemeinen Vorgaben<br />

orientieren o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Entscheidung <strong>de</strong>r<br />

6<br />

jeweiligen Bear<strong>bei</strong>ter liegen. Dass sich aus<br />

diesem Grund in verschie<strong>de</strong>nen Nachschlagewerken<br />

höchst unterschiedliche<br />

Ausführungen unter ein und <strong>de</strong>mselben<br />

Stichwort fin<strong>de</strong>n lassen, liegt somit auf <strong>de</strong>r<br />

Hand. Gera<strong>de</strong> das macht aber das Recherchieren<br />

in <strong>de</strong>n unterschiedlichen Enzyklopädien,<br />

Lexika und Kompendien so überaus<br />

spannend; es erregt mitunter auch Erstaunen<br />

und Befrem<strong>de</strong>n, und es ist häufig<br />

sehr vergnüglich.<br />

Wenn wir nun also auf die Suche nach<br />

<strong>de</strong>m Bild <strong>de</strong>s Paracelsus in <strong>de</strong>n Nachschlagewerken<br />

<strong>de</strong>s 7. und 8. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

gehen, müssen wir diese soeben genannten<br />

Prämissen be<strong>de</strong>nken: Das Bild, das uns ein<br />

Lexikon o<strong>de</strong>r ein Handbuch von einem<br />

bestimmten Menschen bietet, hängt einerseits<br />

von <strong>de</strong>r grundlegen<strong>de</strong>n Konzeption<br />

und <strong>de</strong>n Vorgaben eines solchen Werkes,<br />

aber auch vom jeweiligen Zeithorizont,<br />

vom Wissensstand <strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n Text verantwortlichen<br />

Bear<strong>bei</strong>ter und nicht zuletzt<br />

von <strong>de</strong>r Einstellung ab, mit <strong>de</strong>r sie etwa in<br />

weltanschaulichen o<strong>de</strong>r in fachwissenschaftlichen<br />

Dingen ans Werk gehen.<br />

Bei <strong>de</strong>n Quellen, mit <strong>de</strong>ren Hilfe <strong>de</strong>r<br />

vorliegen<strong>de</strong> Beitrag ausgear<strong>bei</strong>tet wur<strong>de</strong>,<br />

han<strong>de</strong>lt es sich in erster Linie um die Nachschlagewerke<br />

jener Epoche, die sich mit<br />

<strong>de</strong>m von <strong>de</strong>n Historikern verwen<strong>de</strong>ten Begriff<br />

<strong>de</strong>r „Frühen Neuzeit“ umschreiben<br />

und in geistesgeschichtlicher Hinsicht im<br />

Wesentlichen mit <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r Aufklärung<br />

charakterisieren lässt. Das soll nun freilich<br />

nicht ausschließen, dass wir auch einen<br />

Blick zurück ins 6. und später noch zwei<br />

Ausblicke voraus ins 9. Jahrhun<strong>de</strong>rt tun<br />

wer<strong>de</strong>n. Zur Benennung <strong>de</strong>r im Mittelpunkt<br />

unseres Themas stehen<strong>de</strong>n Persönlichkeit<br />

darf ich noch anmerken, dass hier<br />

nicht <strong>de</strong>m Namen „Bombast(us)“, son<strong>de</strong>rn<br />

<strong>de</strong>r in Österreich durchwegs üblichen Namensform<br />

„Paracelsus“ <strong>de</strong>r Vorzug gegeben<br />

wird. Nur unter diesem Stichwort wird<br />

man ja auch heutzutage in <strong>de</strong>n gängigen<br />

Lexika und Handbüchern fündig. Um eine<br />

allzu große Häufung im Gebrauch dieses


Namens zu vermei<strong>de</strong>n, wird ab und zu<br />

auch <strong>de</strong>r Herkunftsname „Hohenheimer“<br />

verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />

1. <strong>Ges</strong>ners „Bibliotheca“ und Adams<br />

„Vitae medicorum“<br />

Das früheste lexikalische Nachschlagewerk,<br />

in <strong>de</strong>m wir etwas über Paracelsus fin<strong>de</strong>n,<br />

ist die „Bibliotheca universalis“ <strong>de</strong>s<br />

Zürcher Arztes und Naturforschers Konrad<br />

<strong>Ges</strong>ner 3, die in seiner Heimatstadt im September<br />

545 in <strong>de</strong>r berühmten Druckerei<br />

<strong>de</strong>s christophorus Froschauer erschienen<br />

ist. Wie schon <strong>de</strong>r Ausdruck „Bibliotheca“<br />

und dann im Untertitel <strong>de</strong>r Begriff „catalogus“<br />

zum Ausdruck bringt 4, hatte <strong>Ges</strong>ner<br />

– damals noch kaum 30 Jahre alt – hiermit<br />

nicht so sehr eine Sach-Enzyklopädie, son<strong>de</strong>rn<br />

vielmehr ein möglichst vollständiges<br />

Verzeichnis aller Bücher vorlegen wollen<br />

(er nennt es ausdrücklich „locupletissimus“),<br />

und zwar jener, die in lateinischer,<br />

griechischer und hebräischer Sprache gedruckt<br />

wor<strong>de</strong>n waren. Es sollte also eher<br />

eine Art „gelehrte Bibliographie <strong>de</strong>s Abendlan<strong>de</strong>s“<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

<strong>Ges</strong>ner war sich aber sehr wohl <strong>de</strong>s Umstan<strong>de</strong>s<br />

bewusst, dass hinter je<strong>de</strong>m Buch<br />

ein Mensch, hinter je<strong>de</strong>m Werk ein Autor<br />

steht (von Autorinnen ist da noch nicht<br />

sehr viel zu fin<strong>de</strong>n), und so wird seine „Bibliotheca“<br />

letzen En<strong>de</strong>s doch ein Autorenlexikon<br />

o<strong>de</strong>r, wenn man so sagen will, eine<br />

bio-bibliographische Enzyklopädie <strong>de</strong>r gelehrten<br />

Welt von <strong>de</strong>r griechischen Antike<br />

bis zu seiner eigenen Zeit. Wollte man<br />

nun aber in diesem alphabetisch aufgebauten<br />

Werk unter „<strong>Bombastus</strong>“ o<strong>de</strong>r „Paracelsus“<br />

nachschauen, so wür<strong>de</strong> man<br />

nicht fündig wer<strong>de</strong>n; hingegen ist unter<br />

„Theophrastus“ ein erstaunlich ausführlicher<br />

Artikel zu fin<strong>de</strong>n 5, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>utscher<br />

Übersetzung folgen<strong>de</strong>n Wortlaut hat.<br />

Theophrastus Bombast aus Hohenheim, seiner<br />

Volkszugehörigkeit nach ein Deutscher aus<br />

Einsie<strong>de</strong>ln, Professor <strong>de</strong>r <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Heilkünste,<br />

nennt sich irgendwo auch Paracelsus. In <strong>de</strong>utscher<br />

Sprache schrieb er eine Erklärung über <strong>de</strong>n<br />

Abb. 2: Titelblatt von <strong>Ges</strong>ners „Bibliotheca universalis“<br />

Kometen, <strong>de</strong>r <strong>bei</strong> uns im Jahre 1531 erschienen<br />

ist; diese wur<strong>de</strong> als Büchlein <strong>bei</strong> uns gedruckt.<br />

Den Galenus, <strong>de</strong>n Hippokrates und die an<strong>de</strong>ren<br />

alten Mediziner schätzte er gering. In Basel sah<br />

ich im Jahre 1527 ein gedrucktes Dokument, in<br />

<strong>de</strong>m er das Versprechen ablegte, alle Teile <strong>de</strong>r medizinischen<br />

Wissenschaft völlig an<strong>de</strong>rs zu lehren,<br />

als dies von <strong>de</strong>n früheren Medizinern geschehen<br />

war. Er hatte aber in Basel eine großzügig<br />

dotierte Anstellung erhalten und lehrte dort<br />

auf <strong>de</strong>r Hohen Schule in <strong>de</strong>utscher Sprache;<br />

wahrscheinlich (so vermute ich) weil er die lateinische<br />

nicht beherrscht hat.<br />

Wie ich höre, hat er aber nichts Vorzügliches<br />

geleistet; er soll vielmehr ein Schwindler gewesen<br />

sein und sich häufig betäuben<strong>de</strong>r Medikamente<br />

aus Opium bedient haben. In lateinischer Sprache<br />

hat er sieben Bücher über <strong>de</strong>n Stufenaufbau<br />

und die Zusammensetzung von Rezepturen<br />

und natürlicher Dinge geschrieben und unserem<br />

Christoph Klauser 6 gewidmet, <strong>bei</strong> <strong>de</strong>m ich die<br />

7


Manuskripte gesehen habe. In ihrer Ausdrucksweise<br />

und im Satzbau sind sie unverständlich,<br />

primitiv, gekünstelt und albern. Er starb, wenn<br />

ich mich nicht täusche, vor einigen Jahren.<br />

Es ist, wenn ich so sagen darf, ein nicht<br />

sehr helles und freundliche Bild, das <strong>Ges</strong>ner<br />

hier von Paracelsus skizziert; er war<br />

zweifellos über seinen Schweizer Landsmann<br />

gut informiert, bringt auch einige<br />

wesentliche Fakten, die heute noch zum<br />

gängigen Paracelsus-Bild gehören, aber er<br />

enthält sich auch nicht einer werten<strong>de</strong>n –<br />

in diesem Fall ganz ein<strong>de</strong>utig abwerten-<br />

<strong>de</strong>n – Stellungnahme. Die Bezeichnung als<br />

„impostor“, was man nur mit „Schwindler“<br />

übersetzen kann, und die charakterisierung<br />

seiner Schriften als „obscurae“,<br />

„barbarae“, affectatae“ und „ineptae“<br />

klingt natürlich ebenso wie die Behauptung,<br />

<strong>de</strong>r Hohenheimer habe „nihil egregii“<br />

geleistet, nicht gera<strong>de</strong> schmeichelhaft.<br />

Von völlig an<strong>de</strong>rer Art als <strong>Ges</strong>ners „Bibliotheca“<br />

ist das nächstfolgen<strong>de</strong> Nachschlagewerk,<br />

in <strong>de</strong>m wir nun über Paracelsus<br />

Nachschau halten wollen. Im Jahre<br />

620 hat <strong>de</strong>r aus Schlesien gebürtige<br />

Schulmann und Lexikograph Melchior<br />

Adam 7 seine „Vitae Germanorum Medicorum“<br />

in Hei<strong>de</strong>lberg in Druck gegeben. Es<br />

han<strong>de</strong>lt sich hier<strong>bei</strong> um <strong>de</strong>n dritten Teil<br />

jenes groß angelegten biographischen<br />

Kompendiums, das entsprechend <strong>de</strong>n vier<br />

klassischen Fakultäten in vier Bän<strong>de</strong>n die<br />

Lebensläufe <strong>de</strong>utscher Naturwissenschaftler<br />

(„Philosophi“), Theologen, Mediziner<br />

und Juristen umfasst, und zwar jener <strong>de</strong>s<br />

6. und <strong>de</strong>s frühen 7. Jahrhun<strong>de</strong>rts 8.<br />

Adams Werk ist nicht alphabetisch, son<strong>de</strong>rn<br />

chronologisch angelegt: Die Biographien<br />

<strong>de</strong>r einzelnen Personen sind nach<br />

<strong>de</strong>ren Sterbedaten angeordnet. Mit seinem<br />

To<strong>de</strong>sjahr 54 steht Paracelsus also ziemlich<br />

weit vorne – er kommt an zwölfter<br />

Stelle. Seine umfangreiche Lebensbeschreibung,<br />

die immerhin zehn ganze Seiten 9<br />

umfasst, ist nicht schwer zu fin<strong>de</strong>n: Entwe<strong>de</strong>r<br />

man sucht vorne im <strong>de</strong>taillierten Inhaltsverzeichnis,<br />

o<strong>de</strong>r man steigt über eines<br />

8<br />

<strong>de</strong>r Register ein. Deren weist das Buch, wie<br />

auf <strong>de</strong>m Titelblatt stolz vermerkt wird,<br />

nicht weniger als drei auf. Man muss natürlich<br />

wie<strong>de</strong>r unter „Theophrastus“ nachschlagen<br />

und wird dort nicht nur auf <strong>de</strong>n<br />

Artikel als solchen, son<strong>de</strong>rn sogar auf die<br />

einzelnen Abschnitte <strong>de</strong>r Biographie verwiesen.<br />

Adams „Vitae medicorum“ sind,<br />

wie schon aus <strong>de</strong>m Titel hervorgeht,<br />

ebenso wie <strong>Ges</strong>ners Bio-Bibliographie in<br />

lateinischer Sprache abgefasst. Seine Sichtweise<br />

unterschei<strong>de</strong>t sich aber <strong>de</strong>utlich<br />

davon, wie ein erster Auszug daraus in<br />

<strong>de</strong>utscher Übersetzung zeigt.<br />

Man sagt, er (Theophrastus Paracelsus) habe<br />

zunächst mit Hilfe seines Vaters, dann aber<br />

durch sein eigenes Bemühen, die gelehrtesten<br />

Männer in Deutschland, Italien, Frankreich,<br />

Spanien und an<strong>de</strong>ren Gegen<strong>de</strong>n Europas als<br />

Lehrer gewonnen. Durch <strong>de</strong>ren Unterweisung,<br />

die sie ihm großmütig zuteil wer<strong>de</strong>n ließen, und<br />

noch viel mehr durch seinen Forscherdrang, weil<br />

er einen überaus scharfen und gera<strong>de</strong>zu übermenschlichen<br />

Geist besaß, machte er große Fortschritte.<br />

Viele waren fest davon überzeugt, dass<br />

es in <strong>de</strong>r gesamten Wissenschaft keinen Menschen<br />

gebe, <strong>de</strong>r solch Schwieriges, Geheimnisvolles<br />

und Verborgenes hervorgebracht habe.<br />

Sehr Viele schreiben diesem Paracelsus Vieles<br />

zu – seiner Begabung und seinem emsigen Bemühen:<br />

Dieses war so groß, dass er nicht nur<br />

<strong>de</strong>n menschlichen Körpern die verloren gegangene<br />

<strong>Ges</strong>undheit, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>n unvollkommenen<br />

Metallen ihre Vollkommenheit rasch wie<strong>de</strong>r<br />

herstellte. Das Blei und <strong>de</strong>n Mercurius (das<br />

Quecksilber) verwan<strong>de</strong>lte er in das Gold, o<strong>de</strong>r<br />

wie man sagt, in die Sonne.<br />

Auch Melchior Adam nimmt, wie die zitierte<br />

Textstelle zeigt, durchaus eine werten<strong>de</strong><br />

Stellungnahme vor, aber sie klingt<br />

völlig an<strong>de</strong>rs als das, was <strong>de</strong>r Mediziner<br />

<strong>Ges</strong>ner einst geschrieben hatte. In <strong>de</strong>m seither<br />

vergangenen Dreiviertel-Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

hatte sich natürlich das Wissen über Paracelsus<br />

beträchtlich vergrößert, und Adam<br />

hat diesem Umstand in seinem doch sehr<br />

speziell konzipierten Werk in einer gera<strong>de</strong>zu<br />

opulenten Weise Rechnung getragen;


darüber hinaus hat <strong>de</strong>r Hei<strong>de</strong>lberger Lexikograph<br />

ganz offensichtlich auch weitgehend<br />

an<strong>de</strong>re Akzente gesetzt. Adams Biographie<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus hört sich je<strong>de</strong>nfalls<br />

auf weite Strecken wie ein einziges Loblied<br />

an, und wenn er vom „übermenschlichen<br />

Geist“ spricht, dann bekommt man schon<br />

<strong>de</strong>n Eindruck, dass er selbst ein Bewun<strong>de</strong>rer<br />

<strong>de</strong>s Hohenheimers war.<br />

Für seine positive Sicht bemüht <strong>de</strong>r<br />

Autor auch so manchen Gewährsmann,<br />

wie etwa einen gewissen Gellius Zemeus,<br />

<strong>de</strong>r sich beson<strong>de</strong>rs überschwänglich geäußert<br />

haben soll, und die Überlieferungen<br />

von <strong>de</strong>n wun<strong>de</strong>rsamen Medizinen <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

und <strong>de</strong>ren erstaunlicher Wirkung<br />

hat er allem Anschein nach für bare<br />

Münze genommen. Von einer kritischen<br />

Distanz ist hier je<strong>de</strong>nfalls so gut wie nichts<br />

zu merken, wie auch ein zweiter Ausschnitt<br />

aus Adams Paracelsus-Vita in <strong>de</strong>utscher<br />

Übersetzung <strong>de</strong>utlich macht.<br />

Ein gewisser Gellius Zemeus hat über ihn <strong>de</strong>n<br />

folgen<strong>de</strong>n Ausspruch getan: „Bei <strong>de</strong>n Deutschen<br />

gibt es nun einen jungen Mann, <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r<br />

Welt nicht seinesgleichen hat. Er hat Hervorragen<strong>de</strong>s<br />

über Themen <strong>de</strong>r Naturwissenschaft, <strong>de</strong>r<br />

Medizin und <strong>de</strong>r Mathematik, aber auch <strong>de</strong>s<br />

Staatswesens und <strong>de</strong>r Rechtsgelehrsamkeit geschrieben.<br />

Entwe<strong>de</strong>r ist in ihm eine ganz ungewöhnliche<br />

natürliche Anlage vorhan<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r<br />

er besitzt eine beson<strong>de</strong>rs große Gna<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Heiligen<br />

Geistes, o<strong>de</strong>r es sind in ihm die Dämonen in<br />

einer gera<strong>de</strong>zu ungeheuren Weise am Werk. Ich<br />

kann mich nicht erinnern, jemals die Schriften<br />

eines gelehrteren Autors gelesen zu haben.“<br />

Neben an<strong>de</strong>ren Heilmitteln <strong>de</strong>s Theophrastus<br />

wird sein Laudanum gepriesen. Die einen sagen,<br />

es war <strong>de</strong>r Stein <strong>de</strong>r Weisen, an<strong>de</strong>re meinen, es<br />

sei Opium gewesen. Doch <strong>bei</strong><strong>de</strong> Meinungen sind<br />

falsch: Das Laudanum, das am höchsten gelobte<br />

Heilmittel <strong>de</strong>s Theophrastus, ist nämlich aus <strong>de</strong>n<br />

vorzüglichsten Dingen bereitet, welche die Er<strong>de</strong><br />

bietet und die das Leben erhalten. Es ist gegen<br />

alle Krankheiten wirksam, ausgenommen gegen<br />

die Lepra. Es war eine ebenso stets verfügbare<br />

wie heilsame und wun<strong>de</strong>rbare Medizin – eine<br />

wahre Panacea, ein Kraut, das alles heilt.<br />

2. Paracelsus als Dichter in Sandrarts<br />

„Teutscher Aka<strong>de</strong>mie“<br />

Die ausführliche Biographie aus <strong>de</strong>r<br />

Fe<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Melchior Adam ist dann in <strong>de</strong>r<br />

Folge für gut 200 Jahre die wichtigste<br />

Quelle für alle Lexikon- und Handbuch-<br />

Einträge über Paracelsus geblieben, und es<br />

wäre durchaus reizvoll, diesem Umstand<br />

in einer eigenen Untersuchung nachzugehen.<br />

Wir wollen nun aber wie<strong>de</strong>r ein paar<br />

Jahrzehnte weitereilen und einen Blick in<br />

ein ganz an<strong>de</strong>res Nachschlagewerk tun, in<br />

<strong>de</strong>m man zunächst gar nicht vermuten<br />

wür<strong>de</strong>, für unser Thema überhaupt etwas<br />

zu fin<strong>de</strong>n. Wer wür<strong>de</strong> auch schon die<br />

„Teutsche Aka<strong>de</strong>mie“ <strong>de</strong>s Joachim von<br />

Sandrart 0, <strong>de</strong>ren zweiter Teil in Nürnberg<br />

675 gedruckt wur<strong>de</strong>, damit in Verbindung<br />

bringen?<br />

Wie bereits <strong>de</strong>r künstlerisch gestaltete<br />

und somit <strong>de</strong>m Inhalt in kongenialer<br />

Weise entsprechen<strong>de</strong> Titel besagt, han<strong>de</strong>lt<br />

es sich hier<strong>bei</strong> um ein umfassen<strong>de</strong>s Kompendium<br />

<strong>de</strong>r Kunstgeschichte, anfangend<br />

<strong>bei</strong> <strong>de</strong>n alten Ägyptern und bis in die Gegenwart<br />

<strong>de</strong>s Autors fortgeführt. Dieser hat<br />

sich nicht nur als kenntnisreichster Kunsthistoriker<br />

seiner Zeit im <strong>de</strong>utschen Sprachraum<br />

hervorgetan, son<strong>de</strong>rn war auch selbst<br />

ein viel beschäftigter und anerkannter bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r<br />

Künstler, <strong>de</strong>r sich insbeson<strong>de</strong>re mit<br />

seinen Kupferstichen, Historienbil<strong>de</strong>rn<br />

und großformatigen Gemäl<strong>de</strong>n, auch für<br />

Kirchen-Altäre, einen Namen gemacht hat.<br />

An Sandrarts „Teutscher Aka<strong>de</strong>mie“ ist<br />

daher auch nicht so sehr <strong>de</strong>r Text als vielmehr<br />

die opulente Ausstattung mit unzähligen<br />

Kupferstichen interessant. Hiermit<br />

sollte ja <strong>de</strong>n Malern und <strong>de</strong>n Bildhauern<br />

eine größtmögliche Zahl an Bildvorlagen<br />

geboten wer<strong>de</strong>n, wenn es darum ging, eine<br />

allegorische, mythologische o<strong>de</strong>r historische<br />

Person darzustellen. Von diesem<br />

Angebot ist dann auch von <strong>de</strong>n Künstlern<br />

ein ausgiebiger Gebrauch gemacht wor<strong>de</strong>n,<br />

und ich darf in diesem Zusammenhang<br />

nochmals auf unseren bereits erwähnten<br />

Bibliothekssaal im Stift Admont zu spre-<br />

9


chen kommen: Von <strong>de</strong>n 68 Konsolbüsten,<br />

die <strong>de</strong>r Bildhauer Josef Stammel dort um<br />

die Mitte <strong>de</strong>s 8. Jahrhun<strong>de</strong>rts für die Bücherschränke<br />

geschaffen hat, sind die allermeisten<br />

nach <strong>de</strong>n Bildvorlagen in Sandrarts<br />

„Teutscher Aka<strong>de</strong>mie“ gestaltet .<br />

Doch was hat das mit Paracelsus zu tun?<br />

Im Text <strong>de</strong>s Werkes wird auf ihn tatsächlich<br />

nirgendwo Bezug genommen, aber im<br />

Bildteil fin<strong>de</strong>n wir auf <strong>de</strong>m mit L bezeichneten<br />

(also <strong>de</strong>m 50.) Kupferstich unter <strong>de</strong>n<br />

sechs Medaillons links unten eines mit<br />

einem Porträt, das ganz <strong>de</strong>utlich lesbar mit<br />

„Theophrastus Paracelsus“ überschrieben<br />

ist. Und nicht nur das: Auffallend ist auch<br />

das Umfeld, in <strong>de</strong>m sich dieses Porträt befin<strong>de</strong>t:<br />

Die <strong>bei</strong><strong>de</strong>n italienischen Maler in<br />

<strong>de</strong>r oberen Reihe (<strong>de</strong>r Dominikaner-Mönch<br />

Giovanni da Fiesole und Lippo von Florenz)<br />

sind da für uns weniger interessant<br />

als die <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Medaillons in <strong>de</strong>r Mitte:<br />

Links <strong>de</strong>r Dichter Francesco Petrarca und<br />

rechts jene Laura, die in Petrarcas Gedichten<br />

so häufig vorkommt und als sein I<strong>de</strong>albild<br />

einer Frau gilt. Genau unter Petrarca<br />

steht nun aber das Paracelsus-Bild und daneben<br />

wie<strong>de</strong>r ein italienischer Maler.<br />

Wenn wir nun versuchen, diese eigenartige<br />

Konstellation <strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>r zu <strong>de</strong>uten, so<br />

können wir einerseits davon ausgehen,<br />

dass Sandrart einen Grund dafür gesehen<br />

haben muss, um <strong>de</strong>n Hohenheimer unter<br />

die Künstler zu setzen, müssen aber an<strong>de</strong>rerseits<br />

feststellen, dass dieser nie in irgen<strong>de</strong>inen<br />

Zusammenhang mit Malern gebracht<br />

wor<strong>de</strong>n ist. Somit kann es hier einen inhaltlichen<br />

Konnex nur mit <strong>de</strong>m Dichter Petrarca<br />

geben, was natürlich heißt, dass Sandrart<br />

<strong>de</strong>n Paracelsus – aus welchem Wissensstand<br />

heraus auch immer – als Dichter angesehen<br />

hat. Im Text selbst wird darauf,<br />

wie bereits erwähnt (und auch auf Petrarca)<br />

nicht Bezug genommen, doch vergleicht<br />

<strong>de</strong>r Autor schon im ersten Teil seines<br />

Werkes in <strong>de</strong>m Abschnitt „Von <strong>de</strong>n Affecten<br />

o<strong>de</strong>r Gemütsregungen“ 2 das Wirken <strong>de</strong>r<br />

Dichter, <strong>de</strong>r Redner und <strong>de</strong>r Maler miteinan<strong>de</strong>r.<br />

Das Ganze ist – teils in Prosa und<br />

0<br />

teils in Versen – in <strong>de</strong>utscher Sprache abgefasst,<br />

<strong>de</strong>nn <strong>bei</strong> <strong>de</strong>n Lesern und Benützern<br />

seines Werkes konnte ja <strong>de</strong>r Autor die<br />

Kenntnis <strong>de</strong>s Latein nicht unbedingt voraussetzen.<br />

Die für uns interessante Stelle<br />

hat (in originalgetreuer Orthographie) <strong>de</strong>n<br />

folgen<strong>de</strong>n Wortlaut:<br />

Die Mahler-Kunst / hat dißfalls eine Verwandtschaft<br />

mit <strong>de</strong>r Red- und Dicht-Kunst: weil /(es)<br />

nach <strong>de</strong>r Aussage (<strong>de</strong>s) Tullii 3, auch ihnen wie<br />

<strong>de</strong>n Oratoren und Poeten obliget / zugleich zu<br />

unterweisen / zu belustigen und zu bewegen. Ihr<br />

Pflicht bringet mit sich / (sagt er) dass sie uns<br />

sollen unterweisen / ihre Schuldigkeit ist /zu<br />

Vermehrung ihrer Ehre / daß sie uns sollen<br />

belustigen; die Notdurft ihres Beruffs erfor<strong>de</strong>rt /<br />

daß sie unsere Herzen bewegen sollen. Je fürtrefflicher<br />

und höher aber eine Kunst o<strong>de</strong>r ein Ding<br />

ist / <strong>de</strong>sto tauglicher ist sie, uns zu bewegen.<br />

Es dichten ja zugleich/<strong>de</strong>r Maler und Poet;<br />

es muss auch sinnen aus/<strong>de</strong>r Redner seine<br />

Red.<br />

Gemäl<strong>de</strong>, Vers’ und Wort’/ist, was die dreye<br />

bringen:<br />

Es re<strong>de</strong>t das Gemähl’/und spielet im Gedicht;<br />

<strong>de</strong>r Redner und Poet/auch Wörter-Farben<br />

spricht.<br />

Nach Nützung sie zugleich/und nach Ergetzung<br />

ringen.<br />

So sind sie dann verwandt/so sind sie alle<br />

drey<br />

belobet und beliebt:/Mal-, Redner-,<br />

Dichterey.<br />

„Es dichten ja zugleich/<strong>de</strong>r Maler und<br />

Poet“ … das klingt nicht nur recht hübsch,<br />

son<strong>de</strong>rn trifft im Wesentlichen natürlich<br />

zu. Und wie<strong>de</strong>r können wir nun schließen:<br />

Weil Paracelsus nicht unter die Maler zu<br />

zählen ist und auch nie als Redner im alten<br />

Sinn <strong>de</strong>s Wortes gegolten hat, weil aber<br />

das Petrarca-Bild die einzige Darstellung<br />

eines Dichters in Sandrarts Werk ist und<br />

weil das Paracelsus-Porträt in <strong>de</strong>ssen unmittelbarer<br />

Nähe steht, können wir wohl<br />

nicht umhin, das bestätigt zu sehen, was<br />

ich vorhin ange<strong>de</strong>utet habe: Für Sandrart<br />

war Theophrastus Paracelsus ein Dichter.<br />

Womöglich hat er über <strong>de</strong>ssen Schriften


Abb. 3: Paracelsus <strong>bei</strong> Künstlern in Sandrarts „Deutscher Aca<strong>de</strong>mie“


und die sprachschöpferische Begabung<br />

ihres Verfassers doch ein wenig Bescheid<br />

gewusst, und vielleicht hat ihn die häufig<br />

mystisch anmuten<strong>de</strong> und dunkle Sprache<br />

darin bestärkt.<br />

Damit aber kein Missverständnis aufkommen<br />

und nicht etwa eine Verwechslung<br />

mit <strong>de</strong>m antiken Gelehrten Theophrast(us) 4<br />

vermutet wer<strong>de</strong>n kann, sei hier noch festgestellt:<br />

Auch dieser Mann kommt in Sandrarts<br />

Buch vor, allerdings auf einer an<strong>de</strong>ren<br />

Tafel mit ebenfalls sechs Kupferstichen,<br />

wo er sich in <strong>Ges</strong>ellschaft <strong>de</strong>r Philosophen<br />

Plato, Aristoteles, Seneca, Demokrit und<br />

Diogenes befin<strong>de</strong>t.<br />

3. Frehers „Theatrum“ und das „Universal­Lexikon“<br />

von 1709<br />

Doch kehren wir von diesem kleinen<br />

Ausflug in die Welt <strong>de</strong>r schönen Künste<br />

wie<strong>de</strong>r zurück zur ernsthaften Gelehrsamkeit,<br />

und das im wahrsten Sinn <strong>de</strong>s Wortes:<br />

Im Jahre 688 erschien, gleichfalls in Nürnberg,<br />

aber diesmal wie<strong>de</strong>r im schwungvollen<br />

Barock-Latein, ein voluminöser Band mit<br />

<strong>de</strong>m Titel „Theatrum virorum eruditione<br />

clarorum“, also eine „Schaubühne <strong>de</strong>r<br />

durch ihre Gelehrsamkeit hervorragen<strong>de</strong>n<br />

Männer“. Der Verfasser Paul Freher 5 war<br />

Mediziner und wirkte als solcher viele<br />

Jahre als Stadtphysikus in seiner Geburtsstadt<br />

Nürnberg. Die Herausgabe seines<br />

umfangreichen Gelehrten-Lexikons hat er<br />

freilich nicht mehr erlebt; es wur<strong>de</strong> erst<br />

sechs Jahre nach seinem Tod von seinem<br />

Neffen Karl Joachim in Druck gegeben.<br />

Ähnlich wie mehr als ein halbes Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

zuvor schon Melchior Adam, hat<br />

auch Freher in seinem Werk die be<strong>de</strong>utendsten<br />

Männer aus <strong>de</strong>n klassischen vier<br />

Fakultäten berücksichtigt; sein „Theatrum“,<br />

auf <strong>de</strong>m er <strong>de</strong>m Leser diese große Schar<br />

von prominenten Aka<strong>de</strong>mikern und Intellektuellen<br />

sozusagen vor Augen führt, umfasst<br />

aber alle zusammen in einem einzigen<br />

Band, <strong>de</strong>r – wie<strong>de</strong>rum an Adams Konzeption<br />

erinnernd – nach <strong>de</strong>n To<strong>de</strong>sjahren <strong>de</strong>r<br />

einzelnen Personen geglie<strong>de</strong>rt ist. Ein aus-<br />

2<br />

führliches Register am Schluss <strong>de</strong>s Ban<strong>de</strong>s<br />

erleichtert auch hier die Benützung, wo<strong>bei</strong><br />

man natürlich wie<strong>de</strong>r unter „Theophrastus“<br />

fündig wird.<br />

Nach<strong>de</strong>m wir schon die kritischen Äußerungen<br />

<strong>de</strong>s Mediziners <strong>Ges</strong>ner und <strong>de</strong>n<br />

wahren Lobgesang <strong>de</strong>s Nicht-Mediziners<br />

Adam gehört haben, dürfen wir neugierig<br />

sein, was <strong>de</strong>r Mediziner Freher über Paracelsus<br />

zu sagen weiß. In einem ersten Ausschnitt<br />

(in <strong>de</strong>utscher Übersetzung) aus <strong>de</strong>m<br />

insgesamt vier Spalten umfassen<strong>de</strong>n Artikel<br />

6 erfahren wir zunächst Folgen<strong>de</strong>s:<br />

Weil er (Theophrastus Paracelsus) in <strong>de</strong>r Naturwissenschaft<br />

und in <strong>de</strong>r Medizin <strong>de</strong>r Alten<br />

nicht weniges vermisste, zeigte er einen neuen<br />

Weg auf, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Erfahrung und von <strong>de</strong>r<br />

Natur <strong>de</strong>r Dinge seinen Ausgang nahm. Hier<strong>bei</strong><br />

erklärte er <strong>de</strong>n Schwefel, das Salz und das<br />

Quecksilber als die drei Prinzipien aller körperlichen<br />

Wesen. Von <strong>de</strong>r Medizin lehrte er, dass sie<br />

auf vier Säulen beruhe: Der Physik, <strong>de</strong>r Astronomie,<br />

<strong>de</strong>r Alchemie und <strong>de</strong>r Tugendhaftigkeit.<br />

Manche sind <strong>de</strong>r Meinung, dass es nicht wenige<br />

gebe und gegeben habe, die imstan<strong>de</strong> waren,<br />

die Schriften <strong>de</strong>s Paracelsus zu verstehen. Es ist<br />

allerdings gewiss, dass er Schriften hinterlassen<br />

hat, <strong>de</strong>nen ein so großes Dunkel innewohnt, sodass<br />

in unserer Zeit kaum jemand verstehen<br />

kann, was er damit sagen wollte.<br />

Johannes Oporinus 7, <strong>de</strong>r sein Schreiber war,<br />

bekräftigt, dass er ihn öfters gesehen habe, wie er<br />

in <strong>de</strong>r Nacht, vom Weine triefend, mit gezücktem<br />

Schwert eine halbe Stun<strong>de</strong> lang mit <strong>Ges</strong>penstern<br />

gekämpft hat – nicht ohne Gefahr für<br />

<strong>de</strong>n Schreiber, <strong>de</strong>r <strong>bei</strong> ihm in <strong>de</strong>r Stube lag und<br />

sich fürchtete. Hierauf habe Paracelsus ihn, <strong>de</strong>n<br />

Schreiber, aufgefor<strong>de</strong>rt, das nie<strong>de</strong>rzuschreiben,<br />

was er ihm diktieren wer<strong>de</strong>; und er diktierte ihm<br />

so fließend, dass kein Zweifel daran bestand,<br />

dass ihm die Worte mit Zutun <strong>de</strong>r Dämonen<br />

eingegeben wur<strong>de</strong>n.<br />

Das Bild, das Freher von Paracelsus<br />

zeichnet, ist also in ziemlich bunten Tönen<br />

gehalten; es bietet einerseits so wichtige<br />

Sachinformationen wie etwa <strong>de</strong>n Hinweis<br />

auf die neuen Forschungswege und auf die<br />

Lehre von <strong>de</strong>n Prinzipien, aber auch recht


eigenartig anmuten<strong>de</strong> Facetten <strong>de</strong>r Lebensbeschreibung,<br />

die uns <strong>de</strong>n Hohenheimer<br />

dann doch als eine exzentrische Person erscheinen<br />

lassen. Das insgesamt jedoch recht<br />

positive Paracelsus-Bild, das uns auf Frehers<br />

„Schaubühne“ geboten wird, enthält natürlich<br />

auch noch manche weitere bemerkenswerte<br />

Einzelheiten, so dass es sich lohnt,<br />

hier noch einen zweiten Ausschnitt (gleichfalls<br />

in <strong>de</strong>utscher Übersetzung) anzufügen.<br />

Die Ausdrucksweise, <strong>de</strong>ren er sich auf <strong>de</strong>r<br />

Hohen Schule in seinen Vorträgen bediente, war<br />

ein barbarisches Latein, wie es in jenem Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

freilich auch von <strong>de</strong>n gebil<strong>de</strong>ten Menschen<br />

gesprochen wur<strong>de</strong>. Er verfügte allerdings<br />

über ein so hervorragen<strong>de</strong>s Gedächtnis, dass er<br />

ganze Textstellen aus <strong>de</strong>m Galenus 8 auswendig<br />

und fließend rezitieren konnte. Und so lehrte er<br />

zunächst unter großer Bewun<strong>de</strong>rung vor einer<br />

zahlreichen Schar von Hörern, darunter auch<br />

solchen, die sich in <strong>de</strong>r medizinischen Wissenschaft<br />

eines ausgezeichneten Rufes erfreuten.<br />

Abb. 4: Mediziner-Porträts mit Paracelsus in Frehers „Theatrum“<br />

Während seines Vortrags wur<strong>de</strong> er zuweilen<br />

auch lei<strong>de</strong>nschaftlich ergriffen und begann die<br />

Stimme laut schreiend zu erheben.<br />

Als er in Basel lehrte, fing er auch damit an,<br />

die Krankheiten mit Beschwörungen und Zauberformeln<br />

zu behan<strong>de</strong>ln. Als dies für einen<br />

frommen Menschen unerträglich wur<strong>de</strong>, brach<br />

er in die Worte aus: „Will Gott nicht helfen, so<br />

helfe <strong>de</strong>r Teufel!“ Man wird diese Worte aber<br />

mil<strong>de</strong>r auslegen, wenn man weiß, dass sie zu<br />

einer ganz gewöhnlichen Person gesprochen<br />

wur<strong>de</strong>n. In seinen Schriften heißt es hingegen<br />

immer wie<strong>de</strong>r: „Dem Christenmenschen ist es<br />

von Gott erlaubt, sich <strong>de</strong>s Dämons gleichsam<br />

wie eines Räubers ohne jegliche Verletzung <strong>de</strong>r<br />

Frömmigkeit in Rat und Tat zu bedienen.“<br />

Wenn in Verbindung mit Frehers „Theatrum“<br />

von einem Paracelsus-Bild die Re<strong>de</strong><br />

ist, so darf auch nicht vergessen wer<strong>de</strong>n,<br />

dass <strong>de</strong>r Ausdruck in diesem Fall sogar<br />

ganz wörtlich zu nehmen ist: Zum ersten<br />

Mal in <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r in Deutschland<br />

3


erschienenen biographischen Nachschlagewerke<br />

wird hier nämlich (und in dieser<br />

Hinsicht durchaus mit Sandrarts „Aca<strong>de</strong>mie“<br />

vergleichbar) <strong>de</strong>r Textteil durch einen<br />

Bildteil ergänzt: Von <strong>de</strong>n rund 3000 Personen,<br />

<strong>de</strong>ren Leben und Wirken in <strong>de</strong>m<br />

gewichtigen Band auf mehr als 500 Seiten<br />

dargestellt wird, sind über 300 auch mit<br />

einem in Kupfer gestochenen Porträt auf<br />

<strong>de</strong>n 82 Tafeln vertreten – also auch in dieser<br />

Hinsicht haben wir es mit einer wahren<br />

„Schaubühne“ von barocker Opulenz zu<br />

tun. Der als „medicus famigeratissimus“<br />

(„überaus berühmter Arzt“) gepriesene<br />

Theophrastus Paracelsus ist hier zwischen<br />

<strong>de</strong>n prominenten italienischen Medizinern<br />

Benedictus Victorinus und Valerius cordus<br />

zu fin<strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r erstgenannte als<br />

Professor in Bologna tätig war und <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />

als „Medicus excellens“ („hervorragen<strong>de</strong>r<br />

Arzt“) bezeichnet wird.<br />

Den verschie<strong>de</strong>nen Nachschlagewerken,<br />

in die wir bisher Einblick genommen<br />

haben, war doch <strong>bei</strong> allen Unterschie<strong>de</strong>n<br />

eines gemeinsam: Keines von ihnen hat<br />

das Wort „Lexikon“ im Titel geführt.<br />

Daher ist es wohl an <strong>de</strong>r Zeit, endlich auch<br />

ein solches Werk heranzuziehen – das<br />

„Allgemeine Historische Lexicon“, <strong>de</strong>ssen<br />

dritter und vierter Teil, in einem Band vereinigt,<br />

im Jahre 709 in Leipzig, <strong>de</strong>r altehrwürdigen<br />

Stadt <strong>de</strong>s Buchdrucks und <strong>de</strong>s<br />

Buchhan<strong>de</strong>ls, erschienen ist. Damit haben<br />

wir zum ersten Mal einen gera<strong>de</strong>zu klassischen<br />

Vertreter dieses Typs vor uns,<br />

streng alphabetisch aufgebaut und bereits<br />

in <strong>de</strong>utscher Sprache abgefasst. Auf unserer<br />

Suche wer<strong>de</strong>n wir diesmal aber – und<br />

auch das ist neu – nicht unter „Theophrastus“,<br />

son<strong>de</strong>rn unter „Paracelsus“ fündig 9,<br />

und da ist in originaler Orthographie Folgen<strong>de</strong>s<br />

zu lesen:<br />

Unter an<strong>de</strong>rem gab (sein Vater) ihn <strong>de</strong>m berühmten<br />

Chymico Basilio Valentino in die Information,<br />

von welchem Paracelsus gelernet,<br />

dass man durch das Destillieren die meisten<br />

Körper in Wasser, Öl und Salz abtheilen könne,<br />

daher er nachmals diese drei Dinge nicht nur zu<br />

4<br />

principiis <strong>de</strong>r körperlichen Dinge gemacht, son<strong>de</strong>rn<br />

auch alle Krankheiten von einem <strong>de</strong>rselben<br />

hergeleitet hat.<br />

Im 28. Jahr seines Alters soll er <strong>de</strong>n so genannten<br />

Stein <strong>de</strong>r Weisen bekommen haben,<br />

<strong>de</strong>swegen er sich zu Basel setzte, auch wegen seiner<br />

glücklichen Kuren eine medizinische Profession<br />

erhielt. Er lehrte also drei Jahr zu Basel, geriet<br />

aber hier<strong>bei</strong>, wie einige versichern, ein wenig<br />

ins lü<strong>de</strong>rliche Leben. Er fing auch an, die Kathe<strong>de</strong>r<br />

und das Latein, so er fast gar vergessen,<br />

zu verachten, und kam auf die Meinung: Man<br />

müsse die Wahrheit nur <strong>de</strong>utsch dozieren.<br />

Gewiss ist, dass er die gemeine galenische Metho<strong>de</strong><br />

zu kurieren sehr herunter gemacht, …<br />

auch in <strong>de</strong>r Theologie selbst sich seiner Freiheit<br />

bedienet, ob er sich schon von <strong>de</strong>r römischen<br />

Kirchen nie offenbar abgeson<strong>de</strong>rt. Wie <strong>de</strong>nn diejenigen,<br />

welche sich Mysticos und Theosophos<br />

nennen, ihn als ihren Vorgänger zu respektieren<br />

haben. Es wird ihm viel Böses nachgesaget,<br />

welches aber seine Liebhaber abzuwen<strong>de</strong>n suchen,<br />

darunter auch die Beschuldigung gehöret,<br />

dass er ein Bündnis mit <strong>de</strong>m Teufel gehabt.<br />

Was dieses Lexikon an Wissenswertem<br />

für unser Thema zu bieten hat, ist natürlich<br />

zum allergrößten Teil aus <strong>de</strong>n uns<br />

schon bekannten älteren Werken <strong>de</strong>s<br />

Adam und <strong>de</strong>s Freher entnommen. Einige<br />

wenige (wenn auch fragwürdige) Neuigkeiten<br />

sind hier aber doch zu fin<strong>de</strong>n, so<br />

etwa die angeblichen Lehrjahre <strong>bei</strong> <strong>de</strong>m<br />

„chymiker“ Valentinus 20 und <strong>de</strong>r <strong>bei</strong> <strong>de</strong>n<br />

Kennern <strong>de</strong>r Materie zweifellos ein<br />

Schmunzeln auslösen<strong>de</strong> Hinweis auf die<br />

angeblichen drei „Prinzipien“ Wasser, Öl<br />

und Salz; hier haben die (namentlich nicht<br />

genannten) Bear<strong>bei</strong>ter <strong>de</strong>s Lexikons wohl<br />

etwas missverstan<strong>de</strong>n: es muss bekanntlich<br />

Schwefel, Quecksilber und Salz heißen.<br />

Neu und nicht unzutreffend ist die ausdrückliche<br />

Bezugnahme auf die „mysticos“<br />

und „theosophos“, während <strong>de</strong>r angebliche<br />

Teufelspakt zum alt gewohnten Repertoire<br />

<strong>de</strong>r Überlieferung gehört.


4. Barocke Gelehrsamkeitsgeschichte:<br />

Morhof, Conring, Gundling<br />

Der Blick in das <strong>de</strong>utschsprachige Lexikon<br />

von 709 darf uns freilich nicht zu <strong>de</strong>r<br />

Annahme verleiten, dass wir es von nun<br />

an überhaupt mit Nachschlagewerken in<br />

<strong>de</strong>r Muttersprache zu tun hätten – vielmehr<br />

ist das Gegenteil <strong>de</strong>r Fall, und das<br />

zeigt sich schon, wenn wir uns als nächstem<br />

<strong>de</strong>m „Polyhistor literarius, philosophicus<br />

et practicus“ <strong>de</strong>s Daniel Georg Morhof<br />

2 zuwen<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r selbst als wahrer Polyhistor<br />

gelten kann. Der aus Wismar<br />

gebürtige Sprach- und Literaturhistoriker<br />

hat in seinem vielteiligen, systematisch<br />

aufgebauten Kompendium, das eine ziemlich<br />

komplizierte Entstehungsgeschichte<br />

aufweist 22, einen im besten Sinne enzyklopädischen<br />

Überblick über die Welt <strong>de</strong>s<br />

Wissens und <strong>de</strong>r universellen Gelehrsamkeit<br />

zu bieten versucht. Welches Bild nun<br />

Morhof in seinem „Polyhistor“ von Paracelsus<br />

skizziert, ist schon daran abzulesen,<br />

dass er ihm bereits im ersten Buch einen<br />

Abschnitt widmet, und zwar im 5. Kapitel,<br />

das mit <strong>de</strong>r Überschrift „De Novatoribus<br />

in Philosophia“ (also „über die Erneuerer<br />

<strong>de</strong>r Philosophie“ – gemeint ist die<br />

Naturwissenschaft) versehen ist. In diesem<br />

Kapitel trägt <strong>de</strong>r 6. Abschnitt 23 die Überschrift<br />

„Phil(ippus) Aureolus Theophrastus<br />

Paracelsus von Hohenheim“ und hat (hier<br />

in <strong>de</strong>utscher Übersetzung wie<strong>de</strong>rgegeben<br />

und etwas gekürzt) <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Inhalt:<br />

Wun<strong>de</strong>rbar war an diesem Menschen, so wie<br />

<strong>de</strong>r Name, auch die Geistesgabe: Er war gleichsam<br />

ein neuer Komet auf <strong>de</strong>m gelehrten Erdkreis,<br />

ein Neuerer in <strong>de</strong>r Theologie und in <strong>de</strong>r<br />

Naturwissenschaft, obwohl er selbst <strong>bei</strong>nahe ungebil<strong>de</strong>t<br />

war, das heißt: Er war mit keiner<br />

Schul-Gelehrsamkeit befleckt. Diesem Geist war<br />

eine wun<strong>de</strong>rbare, wenn auch völlig wild gewachsene,<br />

Fruchtbarkeit zu Eigen, da er so viele<br />

neue Lehrsätze hervorbrachte, die für die Theologen<br />

und Naturwissenschaftler anstößig<br />

waren.<br />

Es war in ihm eine große Kraft <strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>s<br />

und eine große Erkenntnis <strong>de</strong>r Geheim-<br />

nisse <strong>de</strong>r Natur, wodurch es auch geschah, dass<br />

er die Medizin gewissermaßen in eine neue<br />

Form umgegossen hat. Die Deutschen können<br />

sich dieses Namens rühmen. Mit seiner Kunst<br />

hat er nämlich <strong>bei</strong>nahe die gesamte Schule <strong>de</strong>r<br />

galenischen Medizin ihrer Wür<strong>de</strong> entklei<strong>de</strong>t.<br />

Wenn diesem Mann in seiner Jugend die nötige<br />

Bildung zuteil gewor<strong>de</strong>n wäre, mit <strong>de</strong>r er seine<br />

Lehre hätte schmücken können, so hätte<br />

Deutschland überhaupt keinen größeren Namen<br />

aufzuweisen.<br />

Paracelsus war auch kein Auto-Didactus,<br />

son<strong>de</strong>rn verdankte seine wichtigsten Lehren <strong>de</strong>n<br />

unveröffentlichten Schriften <strong>de</strong>s Isaak Hollandius,<br />

von <strong>de</strong>m er sich, wie man annimmt, vieles<br />

abgeschrieben hat. Nun haben freilich die gera<strong>de</strong>zu<br />

ungeheuerlichen Begriffe, <strong>de</strong>ren Schöpfer er<br />

selbst gewesen ist, seine Lehre in einen üblen Ruf<br />

und sogar in <strong>de</strong>n Verdacht <strong>de</strong>r Magie gebracht.<br />

Gerechter aber richten jene über ihn, die be<strong>de</strong>nken,<br />

dass alle seine Schriften erst nach seinem<br />

Tod erschienen sind, und dass von ihm als Leben<strong>de</strong>m<br />

nichts schriftlich festgehalten wur<strong>de</strong>. –<br />

Und hätte er die Hän<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Theologie gelassen,<br />

so hätte er sich weniger Neid zugezogen.<br />

Hier haben wir nun eine wahre Lobeshymne<br />

vor uns, die zwar sachlich nicht<br />

viel Neues bringt (außer <strong>de</strong>m Hinweis auf<br />

<strong>de</strong>n Isaak Hollandius 24), aber in solchem<br />

Maße eine positive Wertung enthält, wie<br />

wir sie bis dahin nicht gefun<strong>de</strong>n haben<br />

und auch künftig nicht fin<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

Morhof rückt in seinem Werk <strong>de</strong>n Hohenheimer<br />

mit <strong>de</strong>m Hinweis auf <strong>de</strong>ssen Be<strong>de</strong>utung<br />

als Neuerer in <strong>de</strong>r Philosophie<br />

sogar in die Nähe <strong>de</strong>s René Descartes und<br />

<strong>de</strong>s Amos comenius, <strong>de</strong>nen jeweils vor<br />

und nach Paracelsus ein eigener Abschnitt<br />

gewidmet ist. Kann man jedoch aus diesem<br />

Lobgesang auch schon <strong>de</strong>n Schluss<br />

ziehen, dass in <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Lan<strong>de</strong>n nun<br />

in <strong>de</strong>r gelehrten Welt ein neues, in leuchten<strong>de</strong>n<br />

Farben gehaltenes Paracelsus-Bild<br />

Einzug gehalten hätte, o<strong>de</strong>r gab es um<br />

diese Zeit doch auch kritische und negative<br />

Gegenstimmen – nicht nur in <strong>de</strong>r<br />

Fachliteratur, son<strong>de</strong>rn auch (und speziell)<br />

in <strong>de</strong>n Nachschlagewerken? Ein gera<strong>de</strong>zu<br />

5


drastisches Beispiel für eine solche Gegenstimme<br />

fin<strong>de</strong>n wir in einer gleichfalls lateinisch<br />

abgefassten Publikation aus <strong>de</strong>m<br />

Jahre 727.<br />

In <strong>de</strong>r Kunst <strong>de</strong>s Heilens stan<strong>de</strong>n damals <strong>bei</strong><br />

uns im hellen Licht <strong>de</strong>s Ruhmes vor allem Leonhard<br />

Fuchs und Johannes Günther aus An<strong>de</strong>rnach.<br />

Ihnen wären ohne Zweifel noch mehrere<br />

an<strong>de</strong>re an die Seite getreten, wenn nicht zu dieser<br />

Zeit jener Scharlatan ganz Deutschland verrückt<br />

gemacht hätte, <strong>de</strong>r sich Philippus Aureolus<br />

Theophrastes <strong>Bombastus</strong> Paracelsus von Hohenheim<br />

nannte. Er war ein Scheusal von<br />

einem Menschen und nur dazu geboren, um in<br />

<strong>de</strong>r Medizin jegliche bessere Lehre zu ver<strong>de</strong>rben.<br />

Aus Einsie<strong>de</strong>ln <strong>bei</strong> Zürich gebürtig, starb er<br />

1541 als Umherschweifen<strong>de</strong>r in Salzburg, nach<br />

langen Wan<strong>de</strong>rungen und ständigen Streitereien<br />

zu Basel und an<strong>de</strong>rswo. Er war ein Großsprecher<br />

und hat alle an<strong>de</strong>ren verachtet.<br />

Was wir soeben gehört haben und was<br />

in <strong>de</strong>n Ohren von Mitglie<strong>de</strong>rn und Freun<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft nicht sehr<br />

freundlich klingen mag, stammt aus einem<br />

ganz ähnlichen Werk wie <strong>de</strong>m <strong>de</strong>s Morhof,<br />

das allerdings von einer ganz an<strong>de</strong>ren<br />

<strong>Ges</strong>innung getragen ist.<br />

Der in Breslau erschienene „commentarius<br />

<strong>de</strong> Scriptoribus se<strong>de</strong>cem post christum<br />

natum seculorum“ will ebenfalls eine<br />

Art Gelehrtengeschichte von <strong>de</strong>r Antike bis<br />

zur Neuzeit bieten, und auch dieses Werk<br />

ist natürlich im Sinne einer systematischhistorischen<br />

Darstellung aufgebaut. Was<br />

seinen Verfasser, <strong>de</strong>n in Helmstedt beheimateten<br />

Hermann conring 25 so sehr an<br />

Paracelsus erzürnt hat, dass er ihn so hässliche<br />

Worte verwen<strong>de</strong>n lässt, ist aus <strong>de</strong>m<br />

verhältnismäßig kurzen Text 26 nicht unmittelbar<br />

ersichtlich. Aber vielleicht ist es doch<br />

kein purer Zufall, dass dieser vielseitige Gelehrte,<br />

<strong>de</strong>r sich vor allem mit juristischen<br />

und rechtsgeschichtlichen Studien einen<br />

Namen gemacht hat, in erster Linie doch<br />

ein Mediziner und darüber hinaus ein großer<br />

Verehrer <strong>de</strong>s Aristoteles war.<br />

Nach <strong>de</strong>r tüchtigen Paracelsus-Schelte<br />

<strong>de</strong>s Herrn Professor conring soll nun wie-<br />

6<br />

<strong>de</strong>r ein in ausgewogeneren Zügen skizziertes<br />

Bild <strong>de</strong>s Hohenheimers vorgelegt<br />

wer<strong>de</strong>n. Ein solches fin<strong>de</strong>n wir in einem<br />

bezüglich <strong>de</strong>r Konzeption mit Morhofs<br />

und conrings Werken vergleichbaren, aber<br />

wesentlich umfangreicheren Kompendium,<br />

das schon in <strong>de</strong>utscher Sprache abgefasst<br />

ist und in seinem anspruchsvollen<br />

Titel von sich nichts Geringeres behauptet,<br />

als <strong>de</strong>m Leser eine „Vollständige Historie<br />

<strong>de</strong>r Gelahrtheit“ zu bieten. Der Autor, Nicolaus<br />

Hieronymus Gundling 27, stammte<br />

aus Franken, lebte aber später in Halle an<br />

<strong>de</strong>r Saale, und sein großes Werk ist erst<br />

734 in Frankfurt am Main und Leipzig<br />

posthum in Druck gegangen. Über Paracelsus<br />

hat er sich viel ausführlicher als die<br />

<strong>bei</strong><strong>de</strong>n vorhin genannten Gelehrsamkeits-<br />

Historiker geäußert, und was er da zu<br />

sagen weiß 28, bietet neben einer Reihe von<br />

mehr o<strong>de</strong>r weniger gesicherten biographischen<br />

Daten auch bemerkenswerte Stellungnahmen<br />

zu Person und Werk <strong>de</strong>s Hohenheimers.<br />

Die Schweizer sind grob, voller Intrigen, und<br />

nicht ein Haar besser als an<strong>de</strong>re Nationen. Theophrastus<br />

Paracelsus war auch ein Schweizer,<br />

o<strong>de</strong>r – wie an<strong>de</strong>re wollen – ein Schwabe. Gewiß<br />

kann ich es nicht sagen, <strong>de</strong>nn er hat es niemand<br />

offenbaret. Soviel ist in<strong>de</strong>ssen wohl gewiß, dass<br />

er nach Africam, Asiam, Moscau und Arabien<br />

gereiset, und hatt also Vieles erfahren. Auch<br />

verstund er dahero die arabische Sprach vollkommen<br />

und hatt darinnen viele gute Dinge<br />

quoad artem medicam (mit Bezug auf die Heilkunst)<br />

geschrieben.<br />

Als er nun von diesen Reisen wie<strong>de</strong>r nach<br />

Hause kam, machte man ihn zum Professore<br />

Physices in Basel. Da er aber daselbst anfing,<br />

auf Deutsch zu docieren, so waren die Pedanten<br />

alsobald hinter ihm her. Denn sie meinten, nun<br />

wür<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>r eine Barbarei einreißen, und je<strong>de</strong>rmann<br />

ein Medicus wer<strong>de</strong>n. Sed inanis erat<br />

hic metus (Doch umsonst war diese Befürchtung).<br />

Man verstehet ja <strong>de</strong>swegen auch nicht<br />

gleich die res (die Sache), wenn man die Worte<br />

weiß. Gleichwohl lief doch je<strong>de</strong>rmann zu diesem<br />

Theophrasto und die an<strong>de</strong>ren Professores litten


dadurch nicht wenigen Abbruch. Folglich ward<br />

das odium (<strong>de</strong>r Haß) immer größer.<br />

Gundlings Ansicht, dass die Schweizer<br />

„grob und voller Intrigen“ seien, hat ihn<br />

also nicht daran gehin<strong>de</strong>rt, die Persönlichkeit<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus vorurteilsfrei und in<br />

einem wirklich angenehmen Licht zu zeigen.<br />

Er geht auch auf kritische Stimmen<br />

ein und ist bemüht, diese Kritikpunkte zu<br />

entschärfen. Da tut es auch nichts zur<br />

Sache, dass er die Reisefreudigkeit <strong>de</strong>s Hohenheimers<br />

über Gebühr und entgegen<br />

<strong>de</strong>r historischen Wahrheit herausgestrichen<br />

hat, und dass er ihn auch noch zu einem<br />

Kenner <strong>de</strong>s Arabischen gemacht hat. Die<br />

üble Beleumdung <strong>de</strong>s Paracelsus sieht er<br />

schlicht und einfach im Neid <strong>de</strong>rer begrün<strong>de</strong>t,<br />

die offenbar durch ihn zu Scha<strong>de</strong>n<br />

kamen (o<strong>de</strong>r zu kommen fürchteten).<br />

Solche missgünstig gesonnene Personen<br />

waren nach Gundlings Ansicht sowohl<br />

unter <strong>de</strong>n Theologen als auch <strong>bei</strong> <strong>de</strong>n Medizinern<br />

zu fin<strong>de</strong>n.<br />

Die Theologen eiferten auch heftig wi<strong>de</strong>r ihn,<br />

weil er in seinen Schriften immer Theologica mit<br />

eingemischet. Allein dieses war, seinen Principiis<br />

nach, allerdings nötig. Denn er sagte ausdrücklich:<br />

Man müsse nicht in <strong>de</strong>nen Schriften<br />

Hippokratis und Galeni, son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r heiligen<br />

Schrift die Kunst <strong>de</strong>s Heilens suchen. Die<br />

Haupt-Ursache hergegen, warum die Theologen<br />

so gar sehr auf ihn schmäheten, war diese, weil<br />

er <strong>de</strong>m Indifferentismo soll sein ergeben gewesen.<br />

Hierzu kam noch <strong>de</strong>rer Lutheraner odium.<br />

Denn er hatte zu sagen pflegen: Luthers Reformation<br />

sei Bacchanten-Werk gewesen; wenn es<br />

ihm anstün<strong>de</strong>, er wollte es weit besser machen.<br />

Er fing schon an zu chymisieren. Ja, er nahm,<br />

an Statt <strong>de</strong>rer ganzen Kübel, die sonst die Medici<br />

<strong>de</strong>n Patienten eingaben, nur wenige Tropfen,<br />

und tat doch damit die besten Kuren in <strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>speratesten Krankheiten. Folglich ist kein<br />

Wun<strong>de</strong>r, dass ihm einige Medici sogar nach<br />

<strong>de</strong>m Leben gestan<strong>de</strong>n: Sie wollten ihn nämlich<br />

mit Gifte hinrichten. Da sie ihm aber auf solche<br />

Weise nicht <strong>bei</strong>kommen konnten, machten sie<br />

ihn zum Hexenmeister. Hiermit stimmten nun<br />

geschwind verschie<strong>de</strong>ne Theologen überein, weil<br />

er in seinen öffentlichen Schriften das Wort<br />

„Magiam“ gebrauchet. Doch ist zu unterschei<strong>de</strong>n<br />

zwischen natürlicher und diabolischer<br />

Magie, weswegen man ihn auch hat <strong>de</strong>rowegen<br />

entschuldigt und verteidiget. Nur dieses ist an<br />

ihm zu ta<strong>de</strong>ln: Dass er seinen Schülern nicht<br />

viel sagte, und was er ja noch offenbarte, davon<br />

konnten sie das Wenigste, seiner neu erdichteten<br />

und dunckeln Wörter halber, verstehen.<br />

Gundlings auffällig <strong>de</strong>utliche Bezugnahme<br />

auf die theologische Gegnerschaft<br />

und sein mil<strong>de</strong>s Urteil über das aus seiner<br />

Sicht an Paracelsus Ta<strong>de</strong>lnswerte kommt<br />

vielleicht nicht ganz von ungefähr: Er<br />

selbst war theologisch und juristisch gebil<strong>de</strong>t,<br />

aber kein Mediziner.<br />

5. Zedlers „Universal­Lexikon“ und Jöchers<br />

„Gelehrten­Lexikon“<br />

Schon einmal haben wir einen Blick in<br />

ein Lexikon getan, das diesen Begriff im<br />

Titel geführt hat, und nun darf natürlich<br />

auch ein Blick in das berühmteste <strong>de</strong>rartige<br />

Werk <strong>de</strong>r frühen Neuzeit, in Zedlers Universal-Lexikon,<br />

nicht fehlen. Mit seinen 68<br />

Bän<strong>de</strong>n ist es im <strong>de</strong>utschen Sprachraum<br />

das größte <strong>de</strong>rartige, jemals vollständig erschienene<br />

Nachschlagewerk, und es ist das<br />

erste seiner Art, das seinen Namen nicht<br />

nach einem Bear<strong>bei</strong>ter o<strong>de</strong>r Verfasser, son<strong>de</strong>rn<br />

nach seinem Verleger erhalten hat. 29<br />

Wie schon im Lexikon von 709 müssen<br />

wir auch hier für unsere Zwecke unter <strong>de</strong>m<br />

Stichwort „Paracelsus“ nachschlagen: Der<br />

26. Band, im Jahre 740 in Frankfurt und<br />

Leipzig erschienen, enthält dazu einen verhältnismäßig<br />

ausführlichen Artikel, <strong>de</strong>r<br />

eine ganze großformatige Seite 30 umfasst.<br />

Der namentlich nicht genannte Verfasser<br />

dieses Beitrags hat sich offenbar gut informiert,<br />

und wie es <strong>de</strong>r grundsätzlichen Intention<br />

<strong>de</strong>s „Zedler“ entsprach, wird hier<br />

nur sachlich fundierte (als solche freilich<br />

nicht mehr neue) Information geboten,<br />

ohne jegliche polemische Bemerkung, aber<br />

auch ohne je<strong>de</strong> ausdrücklich loben<strong>de</strong> Äußerung.<br />

Ein kleiner Ausschnitt soll dies<br />

veranschaulichen.<br />

7


Wie nun <strong>de</strong>rselbe (Paracelsus) eine son<strong>de</strong>rbare<br />

Neigung zur Chymie bezeigte, wur<strong>de</strong> er hierauf<br />

<strong>de</strong>m Abt Trithemio zu Spanheim in die Unterrichtung<br />

gegeben, da er dann verschie<strong>de</strong>ne Geheimnisse<br />

in dieser Kunst erlernte, und sodann<br />

zu Sigismund Fuggern sich verfügte, welcher damals<br />

diesen Studien sehr eifrig oblag und zur<br />

Beför<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>rselben viele Leute hielt. Hiernächst<br />

besuchte er auch an<strong>de</strong>re in dieser Wissenschaft<br />

berühmte Männer, und tat <strong>bei</strong> noch früher<br />

Jugend eine Reise nicht allein durch Deutschland,<br />

Italien, Frankreich und Spanien, son<strong>de</strong>rn<br />

auch durch Polen, Siebenbürgen, Kroatien und<br />

an<strong>de</strong>re Län<strong>de</strong>r; da hat er aller Orten vieles in<br />

<strong>de</strong>r Natur angemerket und er soll sowohl von<br />

alten Weibern als von Ärzten, Wundärzten<br />

und Chymisten son<strong>de</strong>rbare Arzneimittel erlernet<br />

haben.<br />

Man merket hier<strong>bei</strong> auch noch an, dass seine<br />

Lehre von <strong>de</strong>n drei Anfangsgrün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Chymisten<br />

nicht von ihm erfun<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn wie<br />

noch viele an<strong>de</strong>re Dinge aus <strong>de</strong>n Büchern <strong>de</strong>s<br />

Basilius Valentinus, die damals noch wenig in<br />

<strong>de</strong>r Welt bekannt gewesen, hergenommen sei; ob<br />

er gleich <strong>de</strong>nselbigen in seinen Schriften nirgendswo<br />

erwähnt hat. So viel ist in<strong>de</strong>ssen ganz<br />

gewiss, dass er viele Krankheiten mit beson<strong>de</strong>rm<br />

Glück behoben, welche an<strong>de</strong>re Ärzte, die <strong>de</strong>n<br />

Gebrauch <strong>de</strong>s Opium und <strong>de</strong>s Quecksilbers damals<br />

noch nicht recht verstan<strong>de</strong>n, gar nicht zu<br />

heilen wussten.<br />

Sonsten hat er die Physik, Astronomie und<br />

Alchymie nebst <strong>de</strong>r Frömmigkeit als vier Säulen<br />

<strong>de</strong>r wahrhaften Arzneikunst angegeben, auch in<br />

<strong>de</strong>r Gottesgelehrsamkeit sich selbst seiner Freiheit<br />

bedienet, ob er sich gleich von <strong>de</strong>r Römischen<br />

Kirchen niemals abgeson<strong>de</strong>rt.<br />

Wenn auch im vorliegen<strong>de</strong>n Beitrag verständlicherweise<br />

nur eine kleine Auswahl<br />

aus <strong>de</strong>n vielen Nachschlagewerken <strong>de</strong>r frühen<br />

Neuzeit geboten wer<strong>de</strong>n kann, so<br />

wäre diese Auswahl doch noch weit weniger<br />

vollständig ohne jenes spezielle biographische<br />

Fachlexikon, das mehrmals neu<br />

aufgelegt wur<strong>de</strong> und dann noch bis weit<br />

ins 9. Jahrhun<strong>de</strong>rt hinein unter seinesgleichen<br />

als das Standardwerk schlechthin<br />

gegolten hat: Das von christian Gottlieb<br />

8<br />

Jöcher 3 verfasste „Allgemeine Gelehrten-<br />

Lexicon“, <strong>de</strong>ssen 3. Band mit <strong>de</strong>m Stichwort<br />

„Paracelsus“ im Jahre 75 bereits in<br />

zweiter Auflage (und natürlich ebenfalls in<br />

Leipzig) erschienen ist.<br />

Dieses Werk hat es sich – wie <strong>de</strong>r Titel<br />

besagt – zum Ziel gesetzt, die „Gelehrten<br />

aller Stän<strong>de</strong> vom Anfang <strong>de</strong>r Welt bis auf<br />

unsere Zeit“ zu erfassen, und <strong>de</strong>r selbst aus<br />

Leipzig gebürtige Verfasser war als promovierter<br />

Theologie, Professor <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>chichte<br />

und langjähriger Leiter <strong>de</strong>r Universitätsbibliothek<br />

je<strong>de</strong>nfalls <strong>de</strong>r geeignete Mann, um<br />

ein solches in <strong>de</strong>r Tradition von <strong>Ges</strong>ner<br />

und Freher stehen<strong>de</strong>s Kompendium zu erar<strong>bei</strong>ten.<br />

Sein Artikel über Paracelsus 32<br />

stimmt zwar auf weite Strecken fast wortwörtlich<br />

mit <strong>de</strong>m in Zedlers Lexikon überein,<br />

setzt aber doch auch (beson<strong>de</strong>rs in<br />

<strong>de</strong>n spezifisch medizinischen Dingen) eigenständige<br />

Akzente und lässt zwischen<br />

<strong>de</strong>n Zeilen durchaus eine gewisse Sympathie<br />

durchblicken. Dies wird schon an<br />

einer kleinen „Kostprobe“ aus <strong>de</strong>m Artikel<br />

<strong>de</strong>utlich.<br />

Sonst hat er die Physik, Astronomie und Alchymie<br />

nebst <strong>de</strong>r Frömmigkeit als vier Säulen<br />

<strong>de</strong>r wahrhaften Arzneikunst angegeben, auch in<br />

<strong>de</strong>r Theologie sich selbst seiner Freiheit bedienet,<br />

ob er sich gleich von <strong>de</strong>r Römischen Kirchen öffentlich<br />

niemals abgeson<strong>de</strong>rt.<br />

Er wollte die gesamte Medizin auf einen bessern<br />

Fuß setzen, leitete zuerst die Krankheiten<br />

aus <strong>de</strong>m Tartaro und <strong>de</strong>n principiis chymicis<br />

her, verwarf die ganze Diätetik, führte <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r<br />

Pharmazie lauter chymische Arznei-Mittel ein,<br />

verlachte die so genannten galenischen Medikamente,<br />

meinte die Wirkungen <strong>de</strong>r Simplicium<br />

aus ihrer äußeren Farbe zu ent<strong>de</strong>cken, hielt von<br />

<strong>de</strong>r chirurgia incisoria und usoria nichts, son<strong>de</strong>rn<br />

machte zuerst von <strong>de</strong>r Chirurgia sympathetica<br />

viel Rühmens, und suchte überall die<br />

von ihm erfun<strong>de</strong>nen Panazeen zu erheben.<br />

Es sollen noch viel Manuskripte von ihm hier<br />

und da aufbehalten wer<strong>de</strong>n, wie <strong>de</strong>nn einige<br />

vorgeben, dass er 53 medizinische und 235 philosophische<br />

Bücher geschrieben habe.


Abb. 5: Titelblatt <strong>de</strong>s 26. Ban<strong>de</strong>s von Zedlers „Universal-Lexicon“<br />

9


6. Zwei Beispiele aus <strong>de</strong>m 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt:<br />

Wolff und Escher<br />

Mit <strong>de</strong>n Paracelsus-Artikeln in Zedlers<br />

„Universal-Lexikon“ und in Jöchers „Gelehrten-Lexikon“<br />

war im Hinblick auf Inhalt<br />

und Umfang ein sehr hoher enzyklopädisch-biographischer<br />

Standard erreicht,<br />

von <strong>de</strong>m man annehmen möchte, dass er<br />

für die Nachschlagewerke in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n<br />

Jahrzehnten als verbindlich galt. Seit <strong>de</strong>r<br />

Zeit nach 800 kamen ja in rascher Folge<br />

immer neue Lexika auf <strong>de</strong>n Markt, darunter<br />

insbeson<strong>de</strong>re die beliebten „conversations-Lexika“,<br />

die in ihren biographischen<br />

Artikeln natürlich nicht mehr so ausführlich<br />

waren.<br />

Was hat nun aber <strong>bei</strong>spielsweise ein solches<br />

Werk wie das von Oskar Ludwig Bernhard<br />

Wolf 33, wie<strong>de</strong>rum in Leipzig herausgegebene<br />

„Neueste Elegante conversationslexikon“,<br />

das sich „an Gebil<strong>de</strong>te aus allen<br />

Stän<strong>de</strong>n“ wen<strong>de</strong>n wollte, tatsächlich an<br />

Wissen über Paracelsus zu bieten? Die Eintragung<br />

im 3. Band, <strong>de</strong>r 836 erschienen ist,<br />

umfasst nicht viel mehr als 20 Zeilen; sie<br />

beschränkt sich aber nicht etwa auf die Darlegung<br />

einiger bekannter Fakten, son<strong>de</strong>rn<br />

nimmt sogar auf diesem engen Raum noch<br />

eine Wertung vor; diese lässt sich vielleicht<br />

gera<strong>de</strong> noch als „elegant“ bezeichnen, doch<br />

klingt sie nicht unbedingt schmeichelhaft.<br />

Im originalen Wortlaut hört sich dieser mit<br />

<strong>de</strong>r Sigle „23“ gezeichnete Text so an:<br />

Paracelsus, mit seinem eigentlichen Namen<br />

Philippus Aureolus <strong>Bombastus</strong> von Hohenheim,<br />

1493 zu Marien-Einsie<strong>de</strong>ln geboren; die <strong>bei</strong><strong>de</strong>n<br />

Namen P(aracelsus) und Theophrastus hatte er<br />

sich selbst zugelegt; mit ersterem wollte er bezeichnen,<br />

dass er mehr als Celsus sei. Überhaupt<br />

war er ein Mann, <strong>de</strong>ssen ganzes Leben ein Gewebe<br />

von Eccentricitäten ist. Ein Feind alles<br />

gründl(ichen) Wissens, bil<strong>de</strong>te er sich selbst eine<br />

Art von System, das, aus theosophisch-mystischen<br />

Floskeln zusammengesetzt, <strong>de</strong>nnoch viele<br />

Anhänger (Paracelsisten) fand.<br />

Statt <strong>de</strong>r gewöhnlich chemisch bereiteten Medicamente<br />

verfertigte er eine Menge von Arcanen,<br />

mit <strong>de</strong>nen er Wun<strong>de</strong>rcuren verrichtet haben<br />

20<br />

wollte, was ihm <strong>bei</strong> Groß und Klein ein ungeheures<br />

Ansehen verschaffte.<br />

Eine Zeit lang brachte er als wan<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>r Scholasticus<br />

zu, ward 1527 Professor in Basel, und<br />

nach abermaligen Hin- und Herzügen vom Erzbischof<br />

Ernst nach Salzburg berufen, wo er 1541,<br />

wahrscheinlich in Folge eines Sturzes starb.<br />

Seine auf höchst phantastische Weise geschriebenen<br />

Werke tragen überdies <strong>de</strong>n Stempel <strong>de</strong>r<br />

Flüchtigkeit an sich. Sie wur<strong>de</strong>n am vollständ(igsten)<br />

in 2 Bän<strong>de</strong>n, Genf 1658, in Folio<br />

herausgegeben. Von ihm kommt <strong>de</strong>r Ausdruck<br />

„Bombast“ o<strong>de</strong>r „Bombastische Schreibart“.<br />

Von diesem Ausdruck wird sodann auf<br />

das Stichwort „Bombast“ 34 verwiesen, wo<br />

tatsächlich wie<strong>de</strong>r, wenn auch mit einem<br />

leisen Vorbehalt, ein Bezug zu Paracelsus<br />

hergestellt wird. Die mit <strong>de</strong>r Sigle „5“ gezeichnete<br />

kurze Eintragung hat folgen<strong>de</strong>n<br />

Wortlaut:<br />

Bombast, Schwulst in <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong>, um dahinter<br />

geistige Leere zu verstecken. Die wahrscheinlichste<br />

Ableitung ist die von Paracelsus Theophrastus,<br />

<strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>n Namen <strong>Bombastus</strong> gab.<br />

Dass sich die Bear<strong>bei</strong>ter <strong>de</strong>s Wolff’schen<br />

Lexikons (immerhin han<strong>de</strong>lte es sich laut<br />

Titel um eine „<strong>Ges</strong>ellschaft von Gelehrten“)<br />

erlaubten, das Scheltwort „bombastisch“<br />

mit Paracelsus in Verbindung zu bringen,<br />

dürfte nicht nur in <strong>de</strong>r <strong>Bombastus</strong>- <strong>Ges</strong>ellschaft<br />

einiges Befrem<strong>de</strong>n auslösen. – Zum<br />

Herausgeber ist noch anzumerken, dass er<br />

zunächst Medizin studiert, sich dann aber<br />

auf die <strong>Ges</strong>chichte und Philosophie verlegt<br />

hatte. Seine größten publizistischen Erfolge<br />

hat er übrigens nicht mit seinem „eleganten“<br />

Lexikon, son<strong>de</strong>rn mit zwei Anthologien<br />

<strong>de</strong>utscher Poesie und Prosa erzielt:<br />

Sein „Poetischer Hausschatz <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen<br />

Volkes“ ist innerhalb von 70 Jahren in<br />

nicht weniger als 3 Auflagen erschienen!<br />

Es wäre nun wohl mehr als unangemessen,<br />

einen Streifzug durch die <strong>Ges</strong>chichte<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus-Bil<strong>de</strong>s in <strong>de</strong>n frühneuzeitlichen<br />

Nachschlagewerken mit <strong>de</strong>m oben<br />

zitierten, ziemlich abschätzigen Urteil zu<br />

beschließen. Zwei Jahre nach <strong>de</strong>m Erscheinen<br />

<strong>de</strong>s dritten Ban<strong>de</strong>s von Wolffs „con-


versations-Lexikon“ ist nämlich schon von<br />

<strong>de</strong>r wahrlich riesenhaften (und nie vollen<strong>de</strong>ten)<br />

„Allgemeinen Encyklopädie <strong>de</strong>r<br />

Wissenschaften und Künste“ von Ersch<br />

und Gruber <strong>de</strong>r . Band <strong>de</strong>r dritten Sektion<br />

in Druck gegangen – und darin ist <strong>de</strong>r<br />

bis dahin umfang- und inhaltsreichste in<br />

einem Nachschlagwerk publizierte Beitrag<br />

über <strong>de</strong>n Hohenheimer zu fin<strong>de</strong>n. Der<br />

nicht weniger als 22 Spalten 35 umfassen<strong>de</strong><br />

Artikel „Paracelsus“ aus <strong>de</strong>r Fe<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Züricher<br />

Historikers Heinrich Escher 36 bil<strong>de</strong>te<br />

nicht nur bis dahin <strong>de</strong>n unbestrittenen<br />

Höhepunkt <strong>de</strong>r lexikographischen Darstellung,<br />

son<strong>de</strong>rn ist dann seinerseits zum Ausgangspunkt<br />

für die gesamte weitere Paracelsus-Forschung<br />

gewor<strong>de</strong>n.<br />

Mit <strong>de</strong>m in Zürich verfassten Text <strong>de</strong>s<br />

Konrad <strong>Ges</strong>ner, nahe <strong>de</strong>r Geburtsheimat<br />

<strong>de</strong>s Philippus Auréolus Theophrastus <strong>Bombastus</strong><br />

von Hohenheim, genannt Paracelsus,<br />

entstan<strong>de</strong>n, haben wir <strong>de</strong>n Reigen <strong>de</strong>r<br />

literarischen Paracelsus-Bil<strong>de</strong>r aus insgesamt<br />

vier Jahrhun<strong>de</strong>rten eröffnet; mit einem<br />

kleinen Auszug aus <strong>de</strong>m gleichfalls aus Zürich<br />

stammen<strong>de</strong>n Artikel von Escher wollen<br />

wir ihn nun beschließen.<br />

Wie je<strong>de</strong>r ausgezeichnete Mann, so muss<br />

auch Paracelsus, wenn ein begrün<strong>de</strong>tes Urteil<br />

über ihn soll gefällt wer<strong>de</strong>n, nach <strong>de</strong>n Verhältnissen<br />

seiner Zeit und nach seiner eigenen Stellung<br />

zu <strong>de</strong>rselben betrachtet wer<strong>de</strong>n. Dadurch<br />

wird es erklärlich, wie ein großer Geist, in welchem<br />

die erhabensten I<strong>de</strong>en leben, <strong>de</strong>r die geistreichsten<br />

Ansichten und treffliche Lehren zu verkün<strong>de</strong>n<br />

hat, zugleich die verkehrtesten Richtungen<br />

verfolgen und <strong>de</strong>m schimpflichsten Aberglauben<br />

sich ergeben konnte. Darum sind aber auch die<br />

Urteile über ihn zu allen Zeiten so wi<strong>de</strong>rsprechend<br />

gewesen und wer<strong>de</strong>n es bleiben, so lange<br />

nur einzelne Seiten seines Wirkens dargestellt,<br />

nicht aber sein ganzes System im Zusammenhange<br />

aufgefasst wird…<br />

Überdies stehen seine Behauptungen und Mei-<br />

nungen alle doch in genauer Verbindung, wenn<br />

er sich auch dieselbe nicht <strong>de</strong>utlich dachte, in<strong>de</strong>m<br />

sie aus seiner allgemeinen Ansicht von Gott,<br />

Welt und Mensch hervorgingen, und können<br />

daher auch nur in dieser Verbindung richtig aufgefasst<br />

wer<strong>de</strong>n. Wie viel Irriges nun auch darin<br />

liegen mag, so kann doch nicht geleugnet wer<strong>de</strong>n,<br />

dass sie die Erzeugnisse eines, zwar nicht logisch<br />

ordnen<strong>de</strong>n, aber mit seltener Produktivität begabten,<br />

wahrhaft genialen Geistes waren.<br />

Rückblick und Zusammenfassung<br />

Die ungemein differenzierte und ausgewogene<br />

Betrachtungsweise in Eschers Artikel<br />

bietet natürlich auch <strong>de</strong>n i<strong>de</strong>alen Ausgangspunkt<br />

für einen zusammenfassen<strong>de</strong>n<br />

Rückblick über die unterschiedlichen Paracelsus-Bil<strong>de</strong>r<br />

die hier vor unseren Augen vorüber<br />

gezogen sind. Die geistige Spannweite<br />

<strong>de</strong>r Persönlichkeit, um die es uns hier geht,<br />

ist von Escher mit ihren gegensätzlichen<br />

Ausprägungen sehr <strong>de</strong>utlich gekennzeichnet<br />

wor<strong>de</strong>n, und in diesen großen Spannungsbogen<br />

sind auch sämtliche charakterisierungen<br />

<strong>de</strong>s Hohenheimers einzuordnen,<br />

wie sie uns in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Nachschlagewerken<br />

begegnet sind. Vom hoch gepriesenen<br />

Forscher und bahnbrechen<strong>de</strong>n Erneuerer<br />

<strong>de</strong>r Naturwissenschaften über das Missverständnis<br />

als mystischer Dichter bis zum<br />

geringschätzig abqualifizierten Scharlatan<br />

reicht die Palette <strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>r.<br />

Was die Autoren und Bear<strong>bei</strong>ter dieser<br />

Enzyklopädien und Kompendien betrifft,<br />

so kommt es wohl nicht von ungefähr,<br />

dass die Mediziner unter ihnen mit einer<br />

unverkennbaren Vorliebe ein dunkleres<br />

Bild <strong>de</strong>s Paracelsus gezeichnet haben, während<br />

er von <strong>de</strong>n Vertretern an<strong>de</strong>rer Disziplinen<br />

in <strong>de</strong>utlich helleren Farben dargestellt<br />

wur<strong>de</strong>. Welche Schlüsse sich aus dieser<br />

Beobachtung ziehen lassen, darf ich für<br />

diesmal wohl, als Anregung für weiteres<br />

Nach<strong>de</strong>nken, im Raume stehen lassen.<br />

2


Der aus zwei Flügelsälen und einem zentralen<br />

Kuppelraum bestehen<strong>de</strong> Bibliothekssaal wur<strong>de</strong><br />

776 fertiggestellt und konnte dank seiner großräumigen<br />

Dimensionierung noch bis gegen 900<br />

die Neuzugänge an Büchern aufnehmen. Siehe<br />

dazu: TOMAScHEK, Johann: Stiftsbibliothek<br />

Admont. Ried / Innkreis 996.<br />

2 Eine gute Übersicht zur <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r lexikalischen<br />

und enzyklopädischen Nachschlagewerke<br />

bietet: ZIScHKA, Gert A.: In<strong>de</strong>x lexicorum,<br />

Wien 959, S. XI – XLIV.<br />

3 Geboren am 26.03. 5 6 und gestorben am<br />

3. 2. 565 in Zürich; vgl. Neue Deutsche Biographie<br />

6, Berlin 97 (unverän<strong>de</strong>rter Nachdruck <strong>de</strong>r<br />

Ausgabe 964), S. 342 f.<br />

4 Der gesamte Titel umfasst neun Zeilen und bezeichnet<br />

das Werk nicht nur (mit Recht) als „Opus<br />

novum“, son<strong>de</strong>rn auch als unerlässlich für je<strong>de</strong> öffentliche<br />

und private Bibliothek wie auch als überaus<br />

nützlich für die Studieren<strong>de</strong>n aller Künste und<br />

Wissenschaften. – Drei Jahre später hat <strong>Ges</strong>ner seiner<br />

„Bibliotheca“ <strong>bei</strong>m selben Drucker noch die<br />

2 Bücher umfassen<strong>de</strong>n „Pan<strong>de</strong>ctae“ folgen lassen,<br />

in <strong>de</strong>nen er die in seinem ersten Werk verzeichnete<br />

Fülle an Literatur in systematischer Abfolge <strong>de</strong>n<br />

einzelnen Wissensgebieten zuordnet.<br />

5 Er steht auf <strong>de</strong>r Rückseite von Blatt 6 4; <strong>Ges</strong>ners<br />

„Bibliotheca“ ist nicht mit einer Seitenzählung,<br />

son<strong>de</strong>rn, wie im 6. Jahrhun<strong>de</strong>rt noch üblich, mit<br />

einer Blattzählung versehen.<br />

6 Schweizer Mediziner und Schriftsteller, geboren<br />

En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 5. Jahrhun<strong>de</strong>rts und gestorben am<br />

26. 2. 552 in Zürich; vgl. Deutsche Biographische<br />

Enzyklopädie 5 (2. Ausgabe), München 2006,<br />

S. 668.<br />

7 Geboren in Grottkau (das Geburtsdatum ist nicht<br />

bekannt), gestorben am 23. o<strong>de</strong>r 26. 2. 622 in<br />

Hei<strong>de</strong>lberg. Vgl. Neue Deutsche Biographie ,<br />

Berlin 97 (unverän<strong>de</strong>rter Nachdruck <strong>de</strong>r Ausgabe<br />

von 953), S. 53.<br />

8 Der erste Band („Philosophi“) erschien 6 5 in<br />

Hei<strong>de</strong>lberg und Frankfurt in zwei verschie<strong>de</strong>nen<br />

Ausgaben, <strong>de</strong>r zweite („Theologi“) 6 8, <strong>de</strong>r dritte<br />

und <strong>de</strong>r vierte 620, jeweils in Hei<strong>de</strong>lberg.<br />

9 S. 28 – 37.<br />

0 Geboren am 2.05. 606 in Frankfurt/Main, gestorben<br />

am 4. 0. 688 in Nürnberg; vgl. Deutsche<br />

Biographische Enzyklopädie 8, München 988,<br />

S. 5 4.<br />

Eine vollständige Aufzählung dieser Kleinskulpturen<br />

und Überlegungen zu ihrer Funktion innerhalb<br />

<strong>de</strong>r künstlerischen Ausstattung <strong>de</strong>s Bibliothekssaales<br />

bietet: MANNEWITZ, Martin:<br />

Stift Admont. Untersuchungen zur Entwicklungs-<br />

22<br />

ANMERKUNGEN<br />

geschichte, Ausstattung und Ikonographie <strong>de</strong>r<br />

Klosteranlage, München 987, S. 223 – 227.<br />

2 Drittes Buch / Neuntes Kapitel, S. 78.<br />

3 Gemeint ist <strong>de</strong>r berühmte römische Staatsmann,<br />

Redner und Philosoph Marcus Tullius cicero<br />

( 06 – 43 v. chr.).<br />

4 Schüler <strong>de</strong>s Aristoteles und Leiter <strong>de</strong>r Peripatetiker-Schule,<br />

37 – 287 v. chr. Vgl. <strong>de</strong>n Artikel<br />

„Theophrast von Eresos“ von O. GIGON in:<br />

Lexikon <strong>de</strong>r Alten Welt, Zürich-Stuttgart 965,<br />

Sp. 3057 f.<br />

5 Geboren 6 , gestorben 682. Vgl. <strong>de</strong>n Artikel<br />

„Freher“ von Peter FUcHS in: Neue Deutsche<br />

Biographie 5, Berlin 97 (Nachdruck <strong>de</strong>r Ausgabe<br />

96 ), S. 392 f. (zu Paul Freher S. 392).<br />

6 Sp. 225 – 228; das „Theatrum“ weist eine durchgehen<strong>de</strong><br />

Spaltenzählung auf.<br />

7 Geboren am 25.0 . 507 und gestorben am<br />

06.07. 568 in Basel, eigentlich Johann Herbst(er);<br />

Humanist, Drucker und Verleger; vgl. Neue Deutsche<br />

Biographie 7, München 998, S. 497.<br />

8 Galen(os), latinisiert Galenus, griechischer Arzt<br />

und medizinischer Schriftsteller, 29 – 99 n. chr.<br />

Vgl. <strong>de</strong>n Artikel „Galen“ von F. KUDLIEN in: Lexikon<br />

<strong>de</strong>r Alten Welt, Zürich-Stuttgart 965.<br />

Sp. 0 6 f.<br />

9 Der Artikel umfasst in <strong>de</strong>m großformatigen Band<br />

mehr als eine halbe Spalte auf S. 8; in <strong>de</strong>n erstaunlich<br />

reichhaltigen Literaturangaben wer<strong>de</strong>n<br />

acht Publikationen genannt, darunter auch die<br />

„Vitae medicorum“ von Melchior Adam.<br />

20 Der Benediktiner Basilius Valentinus soll im 5.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rt im Erfurter St. Peterskloster als Arzt<br />

und Alchemist tätig gewesen sein; vgl. <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n<br />

Artikel von Gerhard EIS in: Neue<br />

Deutsche Biographie , Berlin 97 (Nachdruck<br />

<strong>de</strong>r Ausgabe von 953), S. 620. Die historische<br />

Existenz dieses Mönches ist allerdings nicht nachweisbar;<br />

die ihm zugeschriebenen Schriften sind<br />

wahrscheinlich erst viel später entstan<strong>de</strong>n und ihrerseits<br />

schon von Paracelsus beeinflusst.<br />

2 Geboren am 06.02. 639, gestorben am 30.07. 69<br />

in Lübeck; vgl. <strong>de</strong>n informativen Artikel von Adalbert<br />

ELScHENBROIcH in: Neue Deutsche Biographie<br />

8, Berlin 997, S. 27 f.<br />

22 Nur die <strong>bei</strong><strong>de</strong>n ersten Bücher <strong>de</strong>s ersten Teiles<br />

kamen zu Lebzeiten <strong>de</strong>s Autors heraus; das dritte<br />

Buch erschien posthum 692, Buch 4 – 7 sowie die<br />

Teile 2 und 3 wur<strong>de</strong>n erst in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Jahren<br />

nach Mitschriften von Morhofs Hörern zusammengestellt;<br />

7 4 kam eine zweite und 747 sogar<br />

noch eine vierte Auflage heraus. Für <strong>de</strong>n vorliegen<strong>de</strong>n<br />

Beitrag wur<strong>de</strong> die zweite Auflage herangezogen.


23 S. 8 f; die <strong>bei</strong><strong>de</strong>n letzten Wörter <strong>de</strong>r Überschrift<br />

sind in Frakturbuchstaben gesetzt.<br />

24 Gemeint ist zweifellos <strong>de</strong>r Alchemist Johann(es)<br />

Isaac(us) Holland(ius), <strong>de</strong>ssen Lebensdaten nicht<br />

ein<strong>de</strong>utig feststellbar sind; die unter seinem<br />

Namen veröffentlichten Schriften (darunter auch<br />

ein Traktat über <strong>de</strong>n Stein <strong>de</strong>r Weisen) sind erst im<br />

frühen 7. Jahrhun<strong>de</strong>rt gedruckt wor<strong>de</strong>n. Vgl. BIE-<br />

DERMANN, Hans: Handlexikon <strong>de</strong>r magischen<br />

Künste von <strong>de</strong>r Spätantike bis zum 9. Jahrhun<strong>de</strong>rt,<br />

Graz 968, S. 74 f.<br />

25 Geboren am 09. . 606 in Nor<strong>de</strong>n, gestorben am<br />

2.02. 68 in Helmstedt; vgl. <strong>de</strong>n Artikel von<br />

Michael STOLLEIS in: Deutsche Biographische<br />

Enzyklopädie , (2. Ausgabe), München 2005,<br />

S. 397 f. conring hat an <strong>de</strong>m „commentarius“,<br />

wie aus <strong>de</strong>m Vorwort ersichtlich ist, schon ab 664<br />

gear<strong>bei</strong>tet, diesen aber zu Lebzeiten nicht mehr<br />

abgeschlossen; das Werk ist dann erst viel später<br />

aus seinem Nachlass in Druck gegeben wor<strong>de</strong>n.<br />

26 Er steht auf S. 59 und bietet in Anm. 7 mehrere<br />

Literaturhinweise, aus <strong>de</strong>nen hervorgeht, dass sich<br />

conring ausgiebig mit <strong>de</strong>n Befürwortern und Gegnern<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus auseinan<strong>de</strong>rgesetzt hat.<br />

27 Geboren in Kirchensitichenbach am 25.02. 67 ,<br />

gestorben am 09. 2. 729 in Halle /Saale; vgl. <strong>de</strong>n<br />

Artikel „Gundling“ von Rolf LIEBERWIRTH in:<br />

Neue Deutsch Biographie 7, Berlin 966,<br />

S. 3 7 – 3 9 (zu Nicolaus Hieronymus S. 3 8).<br />

28 S. 2959 – 296 ( 6. Abteilung <strong>de</strong>r Historisch-Literarischen<br />

Section, § LXXX).<br />

29 Der Leipziger Buchhändler und Verleger Johann<br />

Heinrich Zedler ( 706 – 770) hatte es verstan<strong>de</strong>n,<br />

für die Herausgabe seiner groß angelegten Enzyklopädie<br />

zwei Professoren <strong>de</strong>r Universität Leipzig<br />

zu gewinnen: Zunächst Johann christoph Gottsched<br />

( 700 – 766) und dann carl Ludwig Ludovici<br />

( 707 – 778). Vgl. John cARTER und Percy<br />

H. MUIR (Hrsg.): Bücher die die Welt verän<strong>de</strong>rn,<br />

Darmstadt 969, Nr. 9 .<br />

30 Sp. 72 – 722; die Literaturangaben beschränken<br />

sich auf sechs Titel, unter <strong>de</strong>nen natürlich wie<strong>de</strong>r<br />

das Werk von Melchior Adam zu fin<strong>de</strong>n ist.<br />

3 Geboren am 20.07. 694 und gestorben am<br />

0.05. 758 in Leipzig; vgl. entsprechen<strong>de</strong>n Artikel<br />

von Notker HAMMERSTEIN in: Neue Deutsche<br />

Biographie 0, Berlin 974, S. 452.<br />

32 S. 246 f; <strong>de</strong>r gebräuchliche <strong>de</strong>utsche Beiname<br />

„von Hohenheim“ scheint hier in <strong>de</strong>r unrichtigen<br />

Schreibweise „von Hohenstein“ auf; von <strong>de</strong>n übrigen<br />

Namen fehlt „Bombast(us)“.<br />

33 Geboren am 26.07. 799 in Altona (Hamburg), gestorben<br />

am 6.09. 85 in Jena; vgl. Deutsche Biographische<br />

Enzyklopädie 9, München 999,<br />

S. 576.<br />

34 Band , (A – D), Leipzig 834, S. 246.<br />

35 S. 284 – 296.<br />

36 Geboren am 20.04. 78 und gestorben am<br />

28.02. 860 in Zürich; vgl. <strong>de</strong>n Artikel „Escher, Dr.<br />

Heinrich“ von G(eorg) von WYSZ in: Allgemeine<br />

Deutsche Biographie 6, Leipzig 877, S. 353 – 355.<br />

Dr. Johann Tomaschek · Bibliothekar <strong>de</strong>s Stiftes Admont<br />

Benediktinerstift · A-89 Admont<br />

Vortrag im Dresdner Kulturpalast am 20. September 2006<br />

23


Der Name Valentin Weigels ist nicht im<br />

Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit<br />

verankert, doch scheint man sich <strong>de</strong>m<br />

sächsischen Theologen und Denker seit geraumer<br />

Zeit wie<strong>de</strong>r verstärkt zuzuwen<strong>de</strong>n.<br />

Nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Marburger Kirchenhistoriker<br />

Winfried Zeller in <strong>de</strong>r zweiten Hälfte <strong>de</strong>s<br />

vorigen Jahrhun<strong>de</strong>rts ihm und seinem<br />

Werk intensive Forschungen gewidmet<br />

hatte, 2 stellte ihn <strong>de</strong>r Dres<strong>de</strong>ner Philosophiehistoriker<br />

Siegfried Wollgast in <strong>de</strong>n<br />

Mittelpunkt seines so faktenreichen wie inspirieren<strong>de</strong>n<br />

Standardwerks zur „Philosophie<br />

in Deutschland 550– 650“ 3 und befasste<br />

sich mit ihm in zahlreichen weiteren<br />

Beiträgen. 4 Auf <strong>de</strong>r Grundlage einer 99<br />

abgeschlossenen umfangreichen überlieferungs-<br />

und textkritischen Untersuchung 5<br />

konnte 995 die Ar<strong>bei</strong>t an <strong>de</strong>r knapp<br />

zwanzig Jahre zuvor ins Stocken geratenen<br />

kritischen Weigelausgabe in neuer <strong>Ges</strong>talt<br />

wie<strong>de</strong>r aufgenommen wer<strong>de</strong>n. 6 In <strong>de</strong>n Jahren<br />

2000 und 2003 erschienen eine Weigelmonographie<br />

in englischer Sprache und<br />

eine englische Übersetzung ausgewählter<br />

Weigeltexte <strong>de</strong>s amerikanischen Germanisten<br />

Andrew Weeks. 7 Jüngst wur<strong>de</strong> Weigels<br />

große Schrift „Vom Leben christi“,<br />

welche 2002 in Band 7 <strong>de</strong>r neuen Weigelausgabe<br />

erschienen ist und eine exemplarische<br />

Quelle für Weigels Toleranz<strong>de</strong>nken<br />

und seine theologische Begründung darstellt,<br />

als „Kostbarkeit <strong>de</strong>r religiösen Literatur<br />

<strong>de</strong>s 6. Jahrhun<strong>de</strong>rts“ bezeichnet. „Wer<br />

innerhalb <strong>de</strong>s protestantischen Spektrums<br />

das Gegenmo<strong>de</strong>ll zur konfessionellen<br />

Frühorthodoxie in reinster Form kennenlernen“<br />

wolle, müsse „zu Valentin Weigel<br />

greifen“. Die Schrift „Vom Leben christi“<br />

verdiene „die Aufnahme in <strong>de</strong>n Lektürekanon<br />

<strong>de</strong>rer, die sich intensiver mit <strong>de</strong>r<br />

christentumsgeschichte <strong>de</strong>r Neuzeit und<br />

beson<strong>de</strong>rs mit <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>s Luthertums<br />

und <strong>de</strong>n Wurzeln <strong>de</strong>s Pietismus<br />

24<br />

Horst Pfefferl<br />

RELIGIÖSE TOLERANZ UND FRIEDENSIDEE<br />

BEI VALENTIN WEIGEL ( 533 – 588)<br />

beschäftigen“ wollten. Soweit <strong>de</strong>r Erlanger<br />

Reformationsgeschichtler Berndt Hamm,<br />

von welchem das Zitat stammt, 8 und dies<br />

nur kurz vorneweg zum aktuellen Stand<br />

<strong>de</strong>r Dinge um das Weigel’sche Werk.<br />

Die Begriffe <strong>de</strong>r religiösen Toleranz auf<br />

<strong>de</strong>r einen Seite und <strong>de</strong>s Glaubenskriegs auf<br />

<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren sind in <strong>de</strong>r jüngsten Zeit in<br />

einer Art ins öffentliche Bewusstsein getreten<br />

und haben an Aktualität gewonnen,<br />

wie man es sich bis vor kurzem nicht hätte<br />

vorstellen können. Kulturelle und gesellschaftliche,<br />

seit <strong>de</strong>r Aufklärung als selbstverständlich<br />

zu betrachten<strong>de</strong> Errungenschaften<br />

wie Glaubens- und Religionsfreiheit,<br />

Trennung von Kirche und Staat und<br />

die gegenseitige Achtung unterschiedlicher<br />

Bekenntnisse wer<strong>de</strong>n plötzlich in Frage gestellt<br />

o<strong>de</strong>r geraten ins Wanken. Das in <strong>de</strong>r<br />

muslimischen Welt als Vorwurf verstan<strong>de</strong>ne<br />

Zitat aus <strong>de</strong>m 4. Jahrhun<strong>de</strong>rt,<br />

welches Benedikt XVI. in seine Regensburger<br />

Vorlesung im September 2006 aufgenommen<br />

hat, sorgte für weltweite Aufregung.<br />

Da<strong>bei</strong> hätte <strong>de</strong>r Papst aufgrund <strong>de</strong>r<br />

<strong>Ges</strong>chichte seiner eigenen Kirche keinen<br />

Grund gehabt, sich in Bezug auf Gewaltbereitschaft<br />

über an<strong>de</strong>re zu erheben, wie<br />

ihm <strong>de</strong>r Bochumer Philosophiehistoriker<br />

Kurt Flasch in einem Beitrag mit <strong>de</strong>m Titel<br />

„Von Kirchenvätern und an<strong>de</strong>ren Fundamentalisten“<br />

genüsslich vorhielt. 9 Mit <strong>de</strong>m<br />

Tenor, die christliche Kirche habe sich so<br />

verhalten, „wie <strong>de</strong>r Papst es Mohammed“<br />

zuschreibe, argumentiert Flasch: „Als [das<br />

christentum] machtlos war, plädierte es<br />

für Glaubensfreiheit. Wo es Staatsreligion<br />

war, reagierte es fundamentalistisch roh<br />

gegen Häretikergruppen“. 0<br />

Der ganze Vorgang zeigt je<strong>de</strong>nfalls die<br />

Brisanz einer Diskussion über Gewalt o<strong>de</strong>r<br />

Toleranz zwischen <strong>de</strong>n Weltreligionen,<br />

<strong>de</strong>ren Verhältnis bis heute nicht frei ist<br />

von Emotionen und Empfindlichkeiten.


Trotz aller Aktualität sollen sich die nachfolgen<strong>de</strong>n<br />

Ausführungen aber mit historischen<br />

Zusammenhängen befassen. Dass<br />

<strong>de</strong>nnoch manche Aussagen gegenwärtige<br />

Ereignisse und Einschätzungen in Erinnerung<br />

rufen, macht nur <strong>de</strong>utlich, dass es<br />

nicht falsch sein kann, in die <strong>Ges</strong>chichte<br />

zurückzublicken und die Entstehung und<br />

Etablierung bestimmter gesellschaftlicher<br />

Güter genauer zu betrachten.<br />

Im Mittelpunkt soll die Beschäftigung<br />

mit Weigels Toleranz- und Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e<br />

stehen. Hierzu sind noch zwei kurze Einführungen<br />

vonnöten, welche aber schon<br />

mitten in die zu behan<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> Thematik<br />

hineinführen: einmal zu Valentin Weigel<br />

und seinem Werk und dann, verbun<strong>de</strong>n<br />

mit einem Überblick über die Entwicklung<br />

von Zwang und Verfolgung in <strong>de</strong>n christlichen<br />

Kirchen, zur Definition <strong>de</strong>s Begriffs<br />

<strong>de</strong>r religiösen Toleranz, zum Frie<strong>de</strong>n zwischen<br />

<strong>de</strong>n Religionen und zu <strong>de</strong>r Frage,<br />

wie es damit zur Zeit Weigels am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

6. Jahrhun<strong>de</strong>rts stand.<br />

1. Wer ist Valentin Weigel und was hat es<br />

mit seinen Schriften auf sich?<br />

Weigel wur<strong>de</strong> 533 in Großenhain in<br />

Sachsen geboren. Er besuchte die Fürstenschule<br />

St. Afra in Meißen und studierte anschließend<br />

in Leipzig und später in Wittenberg<br />

Theologie. 567 wur<strong>de</strong> er von seinem<br />

Wittenberger aka<strong>de</strong>mischen Lehrer<br />

Paul Eber ordiniert und übernahm das<br />

Amt <strong>de</strong>s Hauptpfarrers an <strong>de</strong>r St. Martinskirche<br />

in Zschopau im Erzgebirge. Weigel<br />

war verheiratet und hatte drei Kin<strong>de</strong>r. Sein<br />

Amt hat er fast unangefochten bis zu seinem<br />

Tod 588 ausgeübt. Es gab nur einmal<br />

die Behauptung eines Amtskollegen,<br />

er wür<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r lutherischen Lehre abweichen,<br />

was aber nicht bestätigt wur<strong>de</strong>.<br />

Dagegen führte Weigel selbst in <strong>de</strong>r Ephorie<br />

chemnitz Visitationen durch, die er<br />

später aus gesundheitlichen Grün<strong>de</strong>n aufgab.<br />

Von 572 an hatte Weigel <strong>de</strong>n etwa<br />

zehn Jahre jüngeren, aus chemnitz stammen<strong>de</strong>n<br />

Diakon Benedikt Bie<strong>de</strong>rmann zur<br />

Seite. Bie<strong>de</strong>rmann wur<strong>de</strong> nach Weigels<br />

Tod <strong>de</strong>ssen Nachfolger, nach zehn Jahren<br />

aber wegen Zweifeln an seiner Rechtgläubigkeit<br />

und wegen <strong>de</strong>s Besitzes als häretisch<br />

eingestufter Weigelscher Manuskripte<br />

abgesetzt. Er übernahm die Pfarrstelle in<br />

Neckanitz.<br />

Ab 570 verfasste Weigel zahlreiche teils<br />

umfangreiche Schriften, darunter auch Predigtensammlungen.<br />

Keines dieser Werke,<br />

mit Ausnahme einer Leichenpredigt für<br />

eine Zschopauer Adlige, hat er zum Druck<br />

gebracht. Allerdings gibt es Hinweise darauf,<br />

dass er handschriftliche Kopien seiner<br />

Werke anfertigte o<strong>de</strong>r anfertigen ließ, die<br />

er an gute Freun<strong>de</strong> bzw. Bekannte weiterreichte.<br />

So zirkulierten seine Schriften mit<br />

<strong>de</strong>r Zeit in zahlreichen Abschriften. Viele<br />

davon sind auf diesem Weg bear<strong>bei</strong>tet, ergänzt<br />

und verän<strong>de</strong>rt wor<strong>de</strong>n, und manche<br />

frem<strong>de</strong> Schriften wur<strong>de</strong>n ihm zu Unrecht<br />

zugeschrieben. Zu <strong>de</strong>n frühen Kopisten<br />

und Bear<strong>bei</strong>tern <strong>de</strong>r Weigelschen Schriften<br />

gehörten <strong>de</strong>r schon genannte Diakon Benedikt<br />

Bie<strong>de</strong>rmann sowie zeitweise ein<br />

Zschopauer Kantor bzw. Schullehrer, <strong>de</strong>r<br />

aus Döbeln stammen<strong>de</strong> christoph Weickhart.<br />

Die Bear<strong>bei</strong>tung <strong>de</strong>r Texte geschah großenteils<br />

schon vor <strong>de</strong>r 609, also zwanzig<br />

Jahre nach Weigels Tod, beginnen<strong>de</strong>n<br />

Drucklegung. Die Drucke hatten großen<br />

Zuspruch und erregten Aufmerksamkeit.<br />

Bis 6 9 erschienen min<strong>de</strong>stens 40 Drucke<br />

mit Weigel’schen und pseudoweigelschen<br />

Schriften, manche davon in mehrfachen<br />

Auflagen. Danach wur<strong>de</strong>n die Schriften<br />

mit einem Druckverbot belegt. Der in dieser<br />

Zeit entstan<strong>de</strong>ne Begriff <strong>de</strong>s „Weigelianismus“<br />

wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r theologischen Polemik<br />

das gesamte Jahrhun<strong>de</strong>rt hindurch zur<br />

Bezeichnung jeglicher Art von Häresie<br />

und Heterodoxie verwen<strong>de</strong>t. Erst gegen<br />

En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 7. Jahrhun<strong>de</strong>rts gab es noch einmal<br />

Nachdrucke eines Teils <strong>de</strong>r Schriften.<br />

Insgesamt sind in <strong>de</strong>r umfangreichen<br />

handschriftlichen und gedruckten Überlieferung<br />

etwas mehr als 80 unterschiedliche<br />

25


Werke enthalten, von welchen aber nur<br />

weniger als 50 wirklich Weigel zugerechnet<br />

wer<strong>de</strong>n können.<br />

Am Beginn seiner literarischen Tätigkeit<br />

steht die Beschäftigung mit <strong>de</strong>r mittelalterlichen<br />

<strong>de</strong>utschen Mystik, vornehmlich mit<br />

<strong>de</strong>n Predigten Meister Eckharts und Johannes<br />

Taulers sowie <strong>de</strong>m anonym überlieferten<br />

Schriftchen „Theologia <strong>de</strong>utsch“.<br />

Mit seinen „Zwei nützlichen Traktaten“<br />

von 570 o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m „Bericht zur ‚Deutschen<br />

Theologie‘ “ von 57 hat er zur<br />

Verankerung mystischer Denkansätze in<br />

<strong>de</strong>r protestantischen Theologie und Frömmigkeit<br />

<strong>bei</strong>getragen. 2 Neuplatonische<br />

Einflüsse sind in <strong>de</strong>m an Boethius ausgerichteten<br />

lateinischen Schriftchen De vita<br />

beata (kurz nach 570) zu fin<strong>de</strong>n. 3 Die<br />

Kenntnis paracelsischer Gedanken ist<br />

schon in <strong>de</strong>r 57 entstan<strong>de</strong>nen Schrift<br />

Gnothi seauton („Erkenne dich selbst“)<br />

nachzuweisen. 4<br />

In seiner Erkenntnislehre, die er in diesem<br />

frühen Werk und dann noch einmal<br />

578 in „Der gül<strong>de</strong>ne Griff“ formuliert, 5<br />

for<strong>de</strong>rt Weigel mit <strong>de</strong>r Einsicht, dass die<br />

Erkenntnis vom erkennen<strong>de</strong>n Subjekt und<br />

nicht vom erkannten Objekt ausgeht, zum<br />

eigenen Sehen auf. Mit Bezug auf<br />

Joh. 6,44 – 45 6 heißt es: Keiner wird „die<br />

Schrifft verstehen / o<strong>de</strong>r mit Frucht lesen<br />

/ noch die warhafftige Zeugnuß <strong>de</strong>r<br />

Bibel annehmen können / er sey dann<br />

zuvor von Gott gelehret / vnnd erleuchtet<br />

/ dass er ein reines lauters Auge<br />

bringe / vnnd also die heilige Schrifft zum<br />

Zeugnuß anneme / Dann alle eussere Dinge<br />

/ o<strong>de</strong>r sichtbare Gegenwürffe [...] können<br />

nicht <strong>de</strong>n Verstandt / o<strong>de</strong>r das Iudicium<br />

hinein wircken / das Iudicium muß zuvor<br />

im Auge seyn / vnnd nicht erst vom<br />

Obiecto, o<strong>de</strong>r Gegenwurff genommen<br />

wer<strong>de</strong>n“. 7<br />

In diesem Erkenntnisprinzip ist die religiöse<br />

Emanzipation <strong>de</strong>s Individuums angelegt.<br />

Wenn das Auge, recht zu sehen,<br />

und <strong>de</strong>r Verstand, recht zu urteilen, je<strong>de</strong>m<br />

Menschen gegeben sind, muss er nicht<br />

26<br />

mehr mit frem<strong>de</strong>r Leute Augen sehen und<br />

auf frem<strong>de</strong> Urteile vertrauen. „Wer ein<br />

ding nicht weis noch verstehet (das ist wer<br />

<strong>de</strong>n Verstandt o<strong>de</strong>r das auge nicht in ihme<br />

selber hatt) <strong>de</strong>r muß gleuben, was an<strong>de</strong>re<br />

sagen, re<strong>de</strong>n vndt schreiben, vnnd muß<br />

darauff beruwen. [...] Weren wir aber<br />

christen so konten wir selber sehen mitt<br />

vnsern eigenen auge, was zu thun were“. 8<br />

Der wahre christ benötigt daher keine<br />

kirchlichen Autoritäten mehr und ist auf<br />

keine Priester und Pfarrer, keine Gelehrten<br />

und keine geistlichen Berater irgendwelcher<br />

Art angewiesen.<br />

Auch Weigels Gebetsauffassung ist auf<br />

<strong>de</strong>n inneren geistlichen Menschen ausgerichtet.<br />

Von Joh. 4,24 ausgehend, dass man<br />

Gott im Geist und in <strong>de</strong>r Wahrheit anbeten<br />

soll, sieht er das Beten nicht an Ort<br />

o<strong>de</strong>r Zeit gebun<strong>de</strong>n. Dass <strong>de</strong>r Beten<strong>de</strong><br />

nicht viele Worte machen soll, teilt er mit<br />

Martin Luther, welchen er in seiner Gebetsschrift<br />

von 572 / 575 ausführlich heranzieht.<br />

Das Beten dient uns selbst und<br />

nicht Gott, welcher schon weiß, was wir<br />

bedürfen, ehe wir anfangen zu beten. 9<br />

Um 576 befasst sich Weigel in <strong>de</strong>r<br />

Schrift „Vom Ort <strong>de</strong>r Welt“ mit <strong>de</strong>m<br />

Raumproblem, das er einmal in paracelsischer<br />

Begrifflichkeit auf <strong>de</strong>n äußeren<br />

weltlichen Ortsbegriff sowie theologisch<br />

auf <strong>de</strong>n inneren geistlichen Ort hin auslegt.<br />

Gleich wie es außerhalb <strong>de</strong>r Welt keinen<br />

leiblichen Ort geben kann, <strong>de</strong>nn die<br />

sichtbare Welt schwebt in ihr selbst auf<br />

<strong>de</strong>m Nichts o<strong>de</strong>r Abgrund, also gibt es<br />

auch außerhalb <strong>de</strong>s Menschen keinen<br />

Himmel und keine Hölle. Diese sind an<br />

keinem leiblichen äußeren Ort, son<strong>de</strong>rn es<br />

sind Befindlichkeiten <strong>de</strong>s inneren geistlichen<br />

Menschen: „Du seyst in Aphrica<br />

o<strong>de</strong>r America, du seyst in <strong>de</strong>r Welt o<strong>de</strong>r<br />

ausser <strong>de</strong>r Welt / so fin<strong>de</strong>stu doch das<br />

Reich Gottes / <strong>de</strong>n Himmel / <strong>de</strong>in Vaterlandt<br />

nicht ausser dir / son<strong>de</strong>rn inwendig<br />

in dir im Geiste. Suchestu einen leiblichen<br />

Ort ausser dir / vnd meynest du wollest Ergetzung<br />

/ Genüge o<strong>de</strong>r Seligkeit fin<strong>de</strong>n / so


kennestu dich doch selbst nicht / und weissest<br />

noch nicht wo <strong>de</strong>in Vaterland sey. Jst<br />

doch diese grosse sichtbare Welt an keinem<br />

Orte / son<strong>de</strong>rn in jhr selbst schwebet<br />

sie / vnd hat alle Ding in jhr / ausserhalben<br />

jhr ist nichts / warumb woltestu <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>ine<br />

Genüge o<strong>de</strong>r Seligkeit suchen o<strong>de</strong>r besitzen<br />

in einem Orte ausserhalben dir“. 20<br />

In seiner „Natürlichen Auslegung von<br />

<strong>de</strong>r Schöpfung“ von 577, einer Exegese<br />

<strong>de</strong>r biblischen Schöpfungsgeschichte im<br />

ersten Kapitel <strong>de</strong>r Genesis, geht Weigel<br />

davon aus, dass es sich <strong>bei</strong> <strong>de</strong>n Tagewerken<br />

<strong>de</strong>r Schöpfung nicht um natürliche Tage<br />

han<strong>de</strong>lt, die durch <strong>de</strong>n Sonnenlauf verursacht<br />

wer<strong>de</strong>n. Sie bezeichnen vielmehr<br />

Werke, welche über <strong>de</strong>n menschlichen Verstand<br />

und über das menschliche Begriffsvermögen<br />

hinausgehen. Gott hat nämlich<br />

nicht zuerst die leiblichen sichtbaren<br />

Dinge geschaffen, son<strong>de</strong>rn die geistlichen<br />

unsichtbaren Elemente, aus welchen sich<br />

dann, wie sich auch <strong>de</strong>r Baum aus seinem<br />

Samen entwickelt, die leiblichen sichtbaren<br />

Dinge <strong>de</strong>r Schöpfung entwickelt<br />

haben. Hier<strong>bei</strong> steht das von Paracelsus<br />

bezogene Prinzip <strong>de</strong>r Scheidung eines<br />

Stoffes aus einem an<strong>de</strong>ren im Hintergrund.<br />

2<br />

Die buchstabengetreuen Ausleger <strong>de</strong>r<br />

Schrift, zu welchen er vor allem Martin<br />

Luther zählt, be<strong>de</strong>nkt Weigel mit <strong>bei</strong>ßen<strong>de</strong>m<br />

Spott, da sie sich das Wirken<br />

Gottes wie die Ar<strong>bei</strong>t eines Handwerkers<br />

o<strong>de</strong>r Dreschers, das heißt wie menschliches<br />

Tun vorstellen. Wenn diese Ausleger<br />

<strong>bei</strong> <strong>de</strong>r Schöpfung <strong>de</strong>r Welt hätten da<strong>bei</strong><br />

sein können, spottet er, hätten sie wohl sicher<br />

an <strong>de</strong>n ersten drei Tagen, bevor die<br />

Sonne erschaffen wur<strong>de</strong>, Gott die Laterne<br />

vorgetragen, damit er nicht im Dunkeln<br />

hätte ar<strong>bei</strong>ten müssen. 22 Angesichts dieser<br />

verständigen, auch heute noch nachvollziehbaren<br />

Schöpfungsexegese, welche, auf<br />

<strong>de</strong>n Erkenntnissen und Einsichten <strong>de</strong>r gera<strong>de</strong><br />

erst beginnen<strong>de</strong>n naturkundlichen Betrachtungsweise<br />

aufbauend, <strong>de</strong>n biblischen<br />

Bericht als das versteht, was er ist, nämlich<br />

eine Glaubensaussage, mutet die aktuelle<br />

Auseinan<strong>de</strong>rsetzung um die Frage Evolution<br />

o<strong>de</strong>r Kreationismus, die zur Zeit nach<br />

amerikanischem Vorbild in evangelikalen<br />

Kreisen auch <strong>bei</strong> uns geführt zu wer<strong>de</strong>n<br />

scheint, gera<strong>de</strong>zu grotesk an.<br />

In <strong>de</strong>m richtigen Verständnis <strong>de</strong>s biblischen<br />

Schöpfungsberichts sieht Weigel<br />

überhaupt die Grundlage für das Verständnis<br />

<strong>de</strong>r Heiligen Schrift insgesamt und for<strong>de</strong>rt<br />

die Gläubigen auf, sich mit <strong>de</strong>m wahren<br />

Sinn <strong>de</strong>r Worte Mosis zu beschäftigen.<br />

Darin liegt wie<strong>de</strong>rum ein sehr mo<strong>de</strong>rnes<br />

Prinzip zur Emanzipation <strong>de</strong>s Individuums.<br />

Je<strong>de</strong>r einzelne christ soll selber <strong>de</strong>n Schlüssel<br />

für das Verständnis <strong>de</strong>r Heiligen Schrift<br />

in die Hand bekommen, damit er nicht<br />

mehr nur glauben muss, was an<strong>de</strong>re ihm<br />

erzählen. Den aus <strong>de</strong>r Reformation hervorgegangenen<br />

theologischen Autoritäten, in<br />

erster Linie Luther und Melanchthon,<br />

wirft er vor, dass sie ihre Anhänger auf<br />

eine einzige Meinung verpflichteten, die<br />

von nieman<strong>de</strong>m mehr hinterfragt wer<strong>de</strong>n<br />

dürfe. Wie das Wort <strong>de</strong>s Pythagoras im<br />

Kreis seiner Schüler absolute Gültigkeit besessen<br />

habe, also auch das ihre. So heißt es<br />

in <strong>de</strong>r Vorre<strong>de</strong> zur „Viererlei Auslegung<br />

von <strong>de</strong>r Schöpfung“ (die allerdings nicht<br />

sicher Weigel zugeordnet wer<strong>de</strong>n kann):<br />

„Ann<strong>de</strong>re so es müglich achtenn zuuerstehenn,<br />

seindt so faull, dass sie dörffenn beruhenn<br />

auf <strong>de</strong>r ienigenn schrifftenn, die<br />

sie fur lichter <strong>de</strong>r Welt achtenn, wollenn<br />

nicht weiter studierenn, lassens bleibenn,<br />

do es ihr vermeinter Pythagoras hat gelassenn,<br />

sagenn er habe <strong>de</strong>nn heiligenn Geist<br />

gehabt, so vnndt so lannge, souiell Jhar<br />

habe er über diesem capitell außgeleget,<br />

er habe es recht getroffenn, es könne keiner<br />

darüber kommen, keiner möge es besser<br />

machenn. Sie bin<strong>de</strong>n die Terminos Theologiae<br />

an die menschenn, vnnd haltenn<br />

niemandts könne noch dörfe weyter studierenn,<br />

es sey vnmöglich“. 23<br />

27


2. Zu Begriff und <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r<br />

religiösen Toleranz.<br />

Religiöse Toleranz ist keine selbstverständliche<br />

Erscheinung. Wer einer bestimmten<br />

Glaubensgemeinschaft angehört<br />

und in ihr aufgewachsen ist, ist in <strong>de</strong>r<br />

Regel auch mit <strong>de</strong>m absoluten Wahrheits-<br />

und Ausschließlichkeitsanspruch vertraut,<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n meisten Weltreligionen eigen ist.<br />

Das galt natürlich in noch viel stärkerem<br />

Maße in früheren Jahrhun<strong>de</strong>rten. Auch im<br />

christentum waren Religion und Glaube<br />

keine Privatsache und stan<strong>de</strong>n nicht im<br />

Belieben <strong>de</strong>s einzelnen Menschen, son<strong>de</strong>rn<br />

sie betrafen das gesamte Gemeinwesen<br />

und reichten in praktisch alle Bereiche<br />

<strong>de</strong>s Lebens hinein. Abweichungen vom<br />

vorgeschriebenen Glauben waren mit harten<br />

Sanktionen belegt, min<strong>de</strong>stens <strong>de</strong>r<br />

Entfernung aus <strong>de</strong>m Gemeinwesen, oft<br />

sogar mit <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe.<br />

Man ist sich <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r Betrachtung <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>chichte<br />

<strong>de</strong>r christlichen Kirche darin<br />

einig, dass die Wurzeln für die über Jahrhun<strong>de</strong>rte<br />

hinweg geübte Intoleranz gegenüber<br />

abweichen<strong>de</strong>n Glaubensrichtungen<br />

nicht in <strong>de</strong>r christlichen Lehre selbst liegen.<br />

Denn die Verkündigung <strong>de</strong>s Evangeliums<br />

ist, wörtlich aus <strong>de</strong>m Griechischen<br />

Eu-angelion übersetzt, die „frohe Botschaft“<br />

von <strong>de</strong>r Geburt, Leben, Lei<strong>de</strong>n, Sterben<br />

und Auferstehung <strong>de</strong>s Sohnes Gottes Jesus<br />

christus. Diese Verkündigung lei<strong>de</strong>t keinen<br />

Zwang, wie ein<strong>de</strong>utig unter an<strong>de</strong>rem<br />

aus <strong>de</strong>r Missionsanweisung Jesu an seine<br />

Jünger Mt. 0 hervorgeht. Daher fin<strong>de</strong>t<br />

sich in <strong>de</strong>r Theologie <strong>de</strong>r Kirchenväter die<br />

Unterscheidung zwischen einem Ju<strong>de</strong>n<br />

o<strong>de</strong>r Hei<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r nicht mit Zwang zum<br />

christentum bekehrt wer<strong>de</strong>n darf, und<br />

einem <strong>de</strong>m christlichen Glauben zugehören<strong>de</strong>n<br />

Menschen, <strong>de</strong>ssen spätere Abweichung<br />

von <strong>de</strong>r herrschen<strong>de</strong>n Lehre als Häresie<br />

betrachtet und mit harten Sanktionen<br />

bedroht wird.<br />

Die römische Kirche hat sich dazu <strong>de</strong>r<br />

rigi<strong>de</strong>n Praktiken <strong>de</strong>r Inquisition bedient.<br />

Inquisition bezeichnet ein im 3. Jahrhun-<br />

28<br />

<strong>de</strong>rt in <strong>de</strong>r katholischen Kirche eingeführtes<br />

Verfahren zur Ermittlung und Bekämpfung<br />

von Häresie. Seit dieser Zeit<br />

kam es in <strong>de</strong>r christlichen Kirche zur systematischen<br />

Verfolgung von dogmatischen<br />

Abweichlern. Zur Ausmerzung <strong>de</strong>r Ketzerei<br />

und beson<strong>de</strong>rs zur Durchsetzung <strong>de</strong>r<br />

teils drakonischen Strafen bediente sich<br />

die Kirche auch <strong>de</strong>r jeweiligen weltlichen<br />

Herrschaft. So machten es zum Beispiel<br />

die Inquisitionsgesetzgebung <strong>de</strong>s 4. Laterankonzils<br />

von 2 5 und die staatlichen<br />

Ketzergesetze unter Friedrich II. von 220<br />

<strong>de</strong>m Staat zur Pflicht, die von <strong>de</strong>r Kirche<br />

als solche erkannten Ketzer mit Zwangsmitteln<br />

zu verfolgen. Die weltliche Herrschaft<br />

hat sich dazu natürlich nicht ohne<br />

Bedacht auf <strong>de</strong>n eigenen Nutzen hergegeben,<br />

<strong>de</strong>nn die geistliche Herrschaft <strong>de</strong>r Kirche<br />

war auch ein Garant für ein stabiles<br />

weltliches Gemeinwesen und seine Obrigkeit.<br />

Kirche war immer auch ein Faktor für<br />

<strong>de</strong>n weltlichen Machterhalt, sie stabilisierte<br />

die bestehen<strong>de</strong>n Machtverhältnisse.<br />

Erst im Verlauf <strong>de</strong>r Ereignisse um die lutherische<br />

Reformation erkannten die Lan<strong>de</strong>sfürsten,<br />

dass die zunächst als ketzerisch<br />

abgestempelte religiöse Auflehnung gegen<br />

Rom auch als Faktor im politischen Ränkespiel<br />

gegen die Vorherrschaft <strong>de</strong>s katholischen<br />

Kaisers eingesetzt wer<strong>de</strong>n konnte.<br />

Man hat die stark ausgeprägte Ten<strong>de</strong>nz<br />

zur I<strong>de</strong>ntifikation von Kirche und Staat innerhalb<br />

<strong>de</strong>s christentums geschichtlich zu<br />

erklären versucht, da in unterschiedlichen<br />

vorchristlichen Gemeinwesen <strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r die<br />

Herrscher teils göttlichen Status innehatten.<br />

Zu nennen sind hier etwa die Pharaonen<br />

im alten Ägypten o<strong>de</strong>r die Kaiser im<br />

späten römischen Reich. Tatsächlich leiten<br />

ja auch im christlichen Bereich weltliche<br />

Regenten wie Könige o<strong>de</strong>r Kaiser ihre<br />

Macht von Gott her, aus einem „Gottesgna<strong>de</strong>ntum“,<br />

das heißt aus einer religiösen<br />

Legitimation. 24 In diesen Fällen hat Religion<br />

auch eine starke politische Komponente,<br />

<strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Zweifel an o<strong>de</strong>r das Abweichen<br />

von religiösen Grundsätzen ist


dann zugleich eine Gefahr für die Akzeptanz<br />

<strong>de</strong>r weltlichen Obrigkeit.<br />

Die mittelalterliche päpstliche Inquisition<br />

wur<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m Aufkommen <strong>de</strong>r Reformation<br />

542 durch eine eigene kuriale<br />

Institution <strong>de</strong>s Papsttums, die sogenannte<br />

römische Inquisition (Sacra Congregatio<br />

Sancti Officii) ersetzt, welche nun für Ermittlungen<br />

gegen Häresie zuständig war<br />

und 588 ihre größten Vollmachten erhielt.<br />

Sie überwachte auch <strong>de</strong>n 559 erschienenen<br />

ersten römischen In<strong>de</strong>x verbotener<br />

Bücher. Als im 7. Jahrhun<strong>de</strong>rt in<br />

Italien keine be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Ketzerei mehr zu<br />

verzeichnen war, fungierte das Offizium<br />

als Hüter <strong>de</strong>r Kirchenzucht. Abgeschafft<br />

wur<strong>de</strong> diese ursprünglich als Inquisitionsgericht<br />

eingesetzte Kommission erst während<br />

<strong>de</strong>s Zweiten Vatikanischen Konzils<br />

im Jahr 965. 25<br />

Mit <strong>de</strong>r Reformation hat sich zunächst<br />

grundsätzlich nicht viel geän<strong>de</strong>rt. Luthers<br />

anfängliche Überzeugungen waren noch<br />

geprägt von <strong>de</strong>m Umstand, dass seine<br />

Lehre als häretisch betrachtet wur<strong>de</strong> und<br />

von Verfolgung bedroht war. Martin Ohst<br />

zufolge 26 sprach er sich gegen Zwangsmaßnahmen<br />

<strong>de</strong>r Obrigkeit aus, da man <strong>de</strong>n<br />

Glauben nicht erzwingen könne. 27 Häresie<br />

sei nicht durch Verfolgung, son<strong>de</strong>rn durch<br />

Überzeugung zu bekämpfen. 28 In seinem<br />

neuen Taufverständnis herrscht die institutionalisierte<br />

Kirche nicht über <strong>de</strong>n Glauben.<br />

29 Allerdings muss auch <strong>bei</strong> Luther die<br />

Verkündigung <strong>de</strong>s Evangeliums, welche<br />

auf <strong>de</strong>r ein<strong>de</strong>utig verständlichen Schrift<br />

begrün<strong>de</strong>t ist, „rein“ und unverfälscht bleiben.<br />

Um dies sicherzustellen, ist gegenüber<br />

<strong>de</strong>r Papstkirche und gegenüber<br />

falschen Lehren <strong>de</strong>r „Sakramentierer“ Intoleranz<br />

Pflicht. 30 Häretiker können durch<br />

die Obrigkeit <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s verwiesen wer<strong>de</strong>n.<br />

Die To<strong>de</strong>sstrafe kann <strong>bei</strong> Störung <strong>de</strong>r<br />

öffentlichen Ordnung in Anwendung<br />

kommen. 3 Zwingli, Melanchthon und<br />

calvin befürworteten zwangsrechtliche Bestimmungen<br />

ebenso wie die protestantischen<br />

Orthodoxien. Das sind, wohlge-<br />

merkt, Positionen <strong>de</strong>r reformatorischen<br />

Lehre zu einem Zeitpunkt, als diese selbst<br />

schon Kirchen gebil<strong>de</strong>t hatte und in vielen<br />

Gemeinwesen <strong>de</strong>n Glauben bestimmte<br />

und auch Einfluss auf die politische Herrschaft<br />

nahm. Noch 553 ließ calvin in<br />

Genf <strong>de</strong>n Antitrinitarier Michael Servet<br />

(dieser hatte unter an<strong>de</strong>rem in einer Schrift<br />

die Dreieinigkeit „ein Monstrum mit drei<br />

Köpfen“ genannt) aufgrund <strong>de</strong>s Corpus<br />

Iuris Civilis Justinians und <strong>de</strong>r Constitutio<br />

Criminalis Carolina 32 als Ketzer auf <strong>de</strong>m<br />

Scheiterhaufen verbrennen. 33 Wie calvin<br />

war auch Luther <strong>de</strong>r Überzeugung, dass in<br />

einem Gemeinwesen ein einheitlicher<br />

Glaube vorherrschend sein muss. Noch in<br />

<strong>de</strong>n Bestimmungen <strong>de</strong>s Augsburger<br />

Reichstagsabschieds von 555, <strong>de</strong>m sogenannten<br />

Augsburger Religionsfrie<strong>de</strong>n, ist<br />

das Prinzip <strong>de</strong>s lan<strong>de</strong>sherrlichen Kirchenregiments<br />

festgeschrieben, das durch <strong>de</strong>n<br />

Spruch Cuius regio eius religio (wessen Land,<br />

<strong>de</strong>ssen Religion) beschrieben wird. Das be<strong>de</strong>utet,<br />

dass das Bekenntnis <strong>de</strong>r jeweiligen<br />

Herrschaft für alle Untertanen <strong>de</strong>s betreffen<strong>de</strong>n<br />

Territoriums verbindlich war. Die<br />

Bestimmungen galten allerdings nur zwischen<br />

<strong>de</strong>r römischen Kirche und <strong>de</strong>n Angehörigen<br />

<strong>de</strong>s Augsburger Bekenntnisses<br />

von 530.<br />

Nicht weniger <strong>de</strong>sillusionierend wirkt<br />

die Betrachtung <strong>de</strong>r weltlichen Realpolitik<br />

zur Zeit Weigels unter <strong>de</strong>m Aspekt <strong>de</strong>s<br />

Frie<strong>de</strong>nsgedankens, das heißt eines gewaltfreien<br />

Nebeneinan<strong>de</strong>rs unterschiedlicher<br />

religiöser Überzeugungen und dogmatischer<br />

Ausprägungen. Das 6. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

gilt als das Jahrhun<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>r Konfessionalisierung.<br />

Aus <strong>de</strong>n Ursprüngen <strong>de</strong>r Reformation<br />

entwickelte sich eine ganze Reihe von<br />

beson<strong>de</strong>ren dogmatischen Richtungen,<br />

welche sich gegeneinan<strong>de</strong>r abzugrenzen<br />

bestrebt waren und dazu auch nicht vor<br />

Gewalt zurückschreckten. Die anfangs Verfolgten<br />

waren längst selber zu Verfolgern<br />

gewor<strong>de</strong>n. Die religiös bedingte, wenn<br />

auch nicht ausschließlich religiös begrün<strong>de</strong>te<br />

Konfrontation mit <strong>de</strong>m Papsttum<br />

29


mün<strong>de</strong>te schließlich in <strong>de</strong>r Katastrophe<br />

<strong>de</strong>s Dreißigjährigen Kriegs, welcher einen<br />

be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Teil <strong>de</strong>r Einwohner Mitteleuropas<br />

dahinraffte. Man geht davon aus,<br />

dass <strong>de</strong>r Dreißigjährige Krieg mehr Menschenleben<br />

gekostet hat als <strong>de</strong>r verheeren<strong>de</strong><br />

Zweite Weltkrieg <strong>de</strong>s vergangenen<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rts. Durch Kampfhandlungen<br />

und die damit verbun<strong>de</strong>nen Auswirkungen<br />

wie Flucht, Vertreibung, Verelendung,<br />

Hungersnöte und dadurch bedingte epi<strong>de</strong>mische<br />

Krankheiten wur<strong>de</strong>n um die 40<br />

Prozent <strong>de</strong>r Bevölkerung hinweggerafft,<br />

die Städte verloren im Durchschnitt ein<br />

Drittel ihrer Einwohner.<br />

Toleranz- und Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>en wur<strong>de</strong>n in<br />

<strong>de</strong>r ersten Hälfte <strong>de</strong>s 6. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

durch Erasmus von Rotterdam (in <strong>de</strong>r<br />

5 9 erschienenen Schrift Querela pacis,<br />

„Die Klage <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns“), durch Sebastian<br />

Franck („Kriegbüchlein <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns“ von<br />

539) und Paracelsus in unterschiedlichen<br />

Texten beson<strong>de</strong>rs zu Beginn <strong>de</strong>r dreißiger<br />

Jahre geäußert. 34 Später ist das Werk Weigels<br />

hierzu anzuführen, <strong>de</strong>r sich eng an die<br />

Auffassungen von Franck und Paracelsus<br />

anschließt.<br />

Ein beson<strong>de</strong>rer Initiationspunkt für Toleranzgedanken<br />

war die schon genannte<br />

Verbrennung Servets 553 in Genf. Aus<br />

Protest darauf gab <strong>de</strong>r zur Reformation<br />

übergetretene Gelehrte Sebastian castellio<br />

unter <strong>de</strong>m Pseudonym Martinus Bellius<br />

ein Jahr später eine Textsammlung gegen<br />

die Ketzertötung heraus, die als ein klassisches<br />

Votum für religiöse Toleranz angesehen<br />

wer<strong>de</strong>n kann. Zu <strong>de</strong>n älteren und<br />

neueren Autoren <strong>de</strong>r Texte gehörten neben<br />

Augustin und Martin Luther auch Erasmus<br />

und Sebastian Franck. Unter <strong>de</strong>n Argumenten,<br />

die castellio gegen eine Verurteilung<br />

<strong>de</strong>r Ketzer vorbringt, ist auch die<br />

Auffassung, dass <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>m Urteil<br />

<strong>de</strong>s Jüngsten Gerichts nicht vorgreifen<br />

dürfe. Sie beruht auf <strong>de</strong>r klassischen Toleranzstelle<br />

Mt. 3,24 – 30, <strong>de</strong>m Gleichnis<br />

vom Unkraut unter <strong>de</strong>m Weizen, das auch<br />

später von Weigel, wie noch zu zeigen ist,<br />

30<br />

ausführlich herangezogen wur<strong>de</strong>. Diese Argumentationsweise<br />

fällt in eine Zeit, in <strong>de</strong>r<br />

es hinsichtlich Glaube und Dogma kein<br />

allgemeingültiges Kriterium und keine unangefochtene<br />

normsetzen<strong>de</strong> Autorität<br />

mehr gibt, das heißt, dass vom „Standpunkt<br />

<strong>de</strong>r je eigenen Rechtgläubigkeit aus<br />

betrachtet, [...] die je an<strong>de</strong>re eine Häresie“<br />

ist. 35<br />

Umso größere Be<strong>de</strong>utung kommt damit<br />

<strong>de</strong>r Toleranz als Maxime für <strong>de</strong>n Umgang<br />

miteinan<strong>de</strong>r zu. Dennoch muss Toleranz<br />

als Konfliktbegriff gesehen wer<strong>de</strong>n, welcher<br />

auf konkurrieren<strong>de</strong>, nicht zur Deckung<br />

zu bringen<strong>de</strong> Werte bzw. Wahrheitsansprüche<br />

antwortet. Der Begriff kann<br />

nach zwei Seiten ad absurdum geführt wer<strong>de</strong>n:<br />

einmal durch das eventuell auch gewaltsame<br />

Bestehen auf <strong>de</strong>r eigenen Überzeugung,<br />

o<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite durch<br />

Skeptizismus bzw. Indifferentismus gegenüber<br />

einer Wertesetzung überhaupt. Bei<strong>de</strong>s<br />

schließt Toleranz aus. Sie ist also „mehr als<br />

Indifferenz, aber auch mehr als die klassische<br />

Tugend <strong>de</strong>r Geduld und <strong>de</strong>s Ertragens“,<br />

da sie sich gegen konkurrieren<strong>de</strong><br />

„intolerante“ Exklusivitätsansprüche abzugrenzen<br />

hat. 36<br />

3. Weigels Toleranzschrift „Vom Leben<br />

Christi“: Der spirituelle Entwurf <strong>de</strong>s Lebens<br />

Christi als innerer Maßstab für <strong>de</strong>n<br />

rechten Glauben 37<br />

In <strong>de</strong>n Jahren 577 und 578 wur<strong>de</strong>n<br />

die lutherischen Geistlichen im albertinischen<br />

Sachsen zur Unterschrift unter die<br />

„Konkordienformel“ aufgefor<strong>de</strong>rt. Knapp<br />

50 Jahre nach <strong>de</strong>r Zustimmung <strong>de</strong>r protestantischen<br />

Territorien zur „Augsburgischen<br />

Konfession“ sollte mit diesem<br />

Werk ein erneuter Versuch zur Erhaltung<br />

dieser Einheit gemacht wer<strong>de</strong>n. Weigel<br />

empfand die Verpflichtung auf die Konkordienformel<br />

als einen ungerechtfertigten<br />

Zwang für <strong>de</strong>n Glauben. Seine 577 wi<strong>de</strong>rstrebend<br />

geleistete Unterschrift hat er in<br />

seinem Dialogus <strong>de</strong> christianismo von 584<br />

überzeugend gerechtfertigt. Da die Stelle


auch einen sehr persönlichen Einblick in<br />

Weigels Denken und Han<strong>de</strong>ln gewährt,<br />

möchte ich sie im Zusammenhang vorstellen.<br />

Sie ist in <strong>de</strong>m Dialog <strong>de</strong>m Auditor in<br />

<strong>de</strong>n Mund gelegt, welcher für <strong>de</strong>n theologisch<br />

Ungebil<strong>de</strong>ten (das heißt <strong>de</strong>n Laien)<br />

steht. Er verteidigt sich auf die provokante<br />

Frage <strong>de</strong>s Concionators – er verkörpert <strong>de</strong>n<br />

etablierten geistlichen Stand – , warum er<br />

unterschrieben habe, wenn er außer christus<br />

und <strong>de</strong>n Schriften <strong>de</strong>r Propheten und<br />

Apostel keine an<strong>de</strong>ren geistlichen Autoritäten<br />

anerkenne, wie folgt:<br />

„Nicht irer Lehre o<strong>de</strong>r Menschenbüchern<br />

habe ich mich vnterschrieben, son<strong>de</strong>rn<br />

dieweil sie iren intent haben auf die<br />

apostolische Schrifft vnd dieselbige allen<br />

Menschenbuchern vorziehen (wie billich),<br />

konte ich das wol lei<strong>de</strong>n. Hetten sie aber<br />

ein eynig an<strong>de</strong>r Buch vber die Schrifften<br />

<strong>de</strong>r Propheten vnd Aposteln gesetzt,<br />

wür<strong>de</strong> ich nicht zugeplatzet haben. Zu<strong>de</strong>me<br />

war es eine schnelle Vberhuiung<br />

o<strong>de</strong>r Vbereylung, das man nicht ettliche<br />

Tage o<strong>de</strong>r Wochen solche Dinge eynem<br />

je<strong>de</strong>n inson<strong>de</strong>rheit zu uberlesen vergönnete,<br />

son<strong>de</strong>rn nur in einer Stun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m<br />

gantzen Hauffen vorgelesen vnd drauf die<br />

subscription gefo<strong>de</strong>rt. Zum dritten wolte<br />

mir armen Zuhorer nicht geburen, <strong>de</strong>m<br />

Teufel ein Freu<strong>de</strong>nmal zu machen vnd anzurichten,<br />

das <strong>de</strong>r ganze Hauffe geschrien<br />

hette: Da, da, wir habens wol gewust, er<br />

sei nicht vnserer Lehre gemeß! Also hette<br />

mein vnbeweglicher apostolischer Grund<br />

mussen vor eine vorlogene Lehre gehalten<br />

wer<strong>de</strong>n, welches Gott nicht gefellig, die<br />

„Perlen fur die Sew“ zu schütten o<strong>de</strong>r „das<br />

Heyligtumb <strong>de</strong>n Hun<strong>de</strong>n zu geben“. [...]<br />

Wer unberufft leufet, richtet nichts aus,<br />

mache mir also gar kein Gewissen mit diesem<br />

Vntterschreiben. Jch bleibe, verharre<br />

vnd sterbe in diesem Grun<strong>de</strong>, <strong>de</strong>n ich<br />

euch erzehlet habe. Die Welt mag von mir<br />

vrtheilen, was sie wolle, dieweil ich eben<br />

darmit mein Freiheit <strong>de</strong>s Geistes bezeuget<br />

habe, das ich sein konne vnter allen Secten<br />

one Schiffbruch meines Glaubens, one<br />

Verletzung meines Gewissens. Mein Schatz<br />

ligt im Hertzen, <strong>de</strong>n kan mir keine Secte<br />

nehmen, es sey Bapst, Luther, Zwinglius<br />

o<strong>de</strong>r wer da wölle“. 38<br />

Soweit seine Rechtfertigung im Rückblick.<br />

Die For<strong>de</strong>rung zur Unterschrift<br />

unter die „Konkordienformel“ und die<br />

darin empfun<strong>de</strong>ne Ausübung von Glaubenszwang<br />

waren aber auch das ausschlaggeben<strong>de</strong><br />

Motiv für die Abfassung seiner<br />

großen programmatischen Schrift „Vom<br />

Leben christi“ im Jahr 578, die als spiritueller<br />

Gegenentwurf zur „Konkordienformel“<br />

geschrieben ist. Darin entwickelt Weigel<br />

ein geistliches Programm <strong>de</strong>s Lebens<br />

christi, das als innerer Maßstab <strong>de</strong>s Glaubens<br />

zu verstehen ist. Es soll an die Stelle<br />

<strong>de</strong>r von außen vorgenommenen Glaubensregulierung<br />

treten, wie sie von <strong>de</strong>n<br />

etablierten Kirchen in <strong>de</strong>r „Konkordienformel“<br />

<strong>de</strong>n Menschen aufgezwungen wer<strong>de</strong>n<br />

sollte. In diesem Sinn könnte Weigel<br />

schon die Überschrift <strong>de</strong>s einleiten<strong>de</strong>n Abschnitts<br />

zur Epitome <strong>de</strong>r „Konkordienformel“<br />

von 578 verstan<strong>de</strong>n haben, wo es<br />

heißt: „Von <strong>de</strong>m summarischen Begriff,<br />

Regel und Richtschnur, nach welcher alle<br />

Lehr geurteilet, und die eingefallene Jrrungen<br />

christlich erkläret und entschei<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n sollen“. Auf diesen Text antwortet<br />

Weigel nämlich mit <strong>de</strong>m Titel seiner<br />

Schrift: „Ein Buchlein Vom leben christi,<br />

das ist vom waren glauben, <strong>de</strong>r da ist die<br />

Regel, richtscheidt o<strong>de</strong>r messchnur <strong>de</strong>r heiligen<br />

stadt Gottes vnd Jhrer einwoner hir<br />

auf ERDEN“. 39<br />

Der in „Vom Leben christi“ entwickelte<br />

spirituelle Entwurf impliziert die Befreiung<br />

<strong>de</strong>s Individuums aus <strong>de</strong>r Bevormundung<br />

durch kirchliche und sonstige geistliche Institutionen<br />

und Autoritäten. Die Menschenkirche<br />

und ihre Vertreter sind nicht<br />

befugt und nicht befähigt, <strong>de</strong>n Maßstab<br />

<strong>de</strong>s Glaubens festzulegen. Dieser ist in<br />

je<strong>de</strong>m gläubigen Menschen eingepflanzt,<br />

es ist das allen Menschen gegebene Leben<br />

christi. In diesem sehr mo<strong>de</strong>rn anmuten<strong>de</strong>n<br />

Prinzip liegt auch eine wichtige<br />

3


Wurzel für Weigels I<strong>de</strong>e einer religiösen<br />

Toleranz. Da je<strong>de</strong>r gläubige christ <strong>de</strong>n<br />

Maßstab <strong>de</strong>s Glaubens in sich selbst besitzt,<br />

hat er seinen Glauben nur vor Gott<br />

zu verantworten. Damit ist <strong>de</strong>r Glaube<br />

allen äußerlichen Institutionen wie Kirchen,<br />

Universitäten o<strong>de</strong>r Menschen grundsätzlich<br />

entzogen, und niemand hat das<br />

Recht, <strong>de</strong>n Glauben eines an<strong>de</strong>ren zu <strong>de</strong>nunzieren.<br />

In <strong>de</strong>n Ausführungen <strong>de</strong>r 50 Kapitel<br />

umfassen<strong>de</strong>n Schrift sind als integraler Bestandteil<br />

die Grundsätze enthalten, welche<br />

für unsere Überlegungen von Interesse<br />

sind. In zwei Durchgängen gibt Weigel<br />

hier anhand von christus (in <strong>de</strong>n Kapiteln<br />

– 4) und anhand von Paulus und allen<br />

christen (in <strong>de</strong>n Kapiteln 6–29) eine ausführliche<br />

Darstellung <strong>de</strong>r zum Leben<br />

christi gehören<strong>de</strong>n bzw. sich aus diesem<br />

ergeben<strong>de</strong>n geistlichen Eigenschaften <strong>de</strong>r<br />

Gläubigen. Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen:<br />

Die wahren Gläubigen sind nicht aus<br />

Adams Geblüt von <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn neue<br />

Kreaturen von oben herab aus <strong>de</strong>m Himmel<br />

(Kap. /Kap. 6); durch Taufe und<br />

Abendmahl willigen sie ein, mit christus<br />

zu sterben (Kap. 2/Kap. 7); sie behalten<br />

die Art und Eigenschaft <strong>de</strong>r neuen Kreatur<br />

(Kap. 3/Kap. 8); sie geben <strong>de</strong>n eigenen<br />

Willen auf und wan<strong>de</strong>ln im höchsten Gehorsam<br />

(Kap. 5/Kap. 9); sie leben ohne<br />

Eigentum <strong>de</strong>r Güter und besitzen alle<br />

Dinge in Gott, als besäßen sie sie nicht<br />

(Kap. 6/Kap. 20); sie haben <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n<br />

christi in ihnen (Kap. 7/Kap. 2 ); sie zanken<br />

und rechten nicht um das Zeitliche,<br />

töten auch keinen (Kap. 8/Kap. 22); sie<br />

töten keinen Sün<strong>de</strong>r und verjagen auch<br />

nicht die Ketzer (Kap. 9/Kap. 23); sie beschirmen<br />

das Evangelium nicht mit Kriegen<br />

und Feldschlachten (Kap. 0/Kap. 24);<br />

sie rächen sich nicht an ihren Wi<strong>de</strong>rsachern<br />

(Kap. /Kap. 25); sie wer<strong>de</strong>n um<br />

<strong>de</strong>s Glaubens willen verspottet, verfolgt<br />

o<strong>de</strong>r gar getötet wer<strong>de</strong>n (Kap. 3/Kap. 27);<br />

sie zwingen noch nötigen keinen zum<br />

32<br />

Glauben (Kap. 4/Kap. 28); sie behalten<br />

christus als Herrn <strong>de</strong>r wahren Kirche, welcher<br />

keinen Statthalter über seine Kirche<br />

setzt (Kap. 5/Kap. 29).<br />

Die folgen<strong>de</strong>n Punkte dieses spirituellen<br />

Entwurfs sind für die hier anstehen<strong>de</strong> Thematik<br />

von beson<strong>de</strong>rem Interesse:<br />

. Die christen zwingen noch nötigen<br />

keinen zum Glauben.<br />

2. Sie zanken und rechten nicht um das<br />

Zeitliche, töten auch keinen.<br />

3. Sie töten keinen Sün<strong>de</strong>r und verjagen<br />

auch nicht die Ketzer.<br />

4. Sie behalten christus als Herrn <strong>de</strong>r<br />

wahren Kirche, welcher keinen Statthalter<br />

über seine Kirche setzt.<br />

5. Sie beschirmen das Evangelium nicht<br />

mit Kriegen und Feldschlachten.<br />

Diese Aussagen sollen nachfolgend<br />

näher betrachtet wer<strong>de</strong>n, wofür zunächst<br />

<strong>de</strong>r Weigels Toleranz- und Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e zugrun<strong>de</strong>liegen<strong>de</strong><br />

Kirchenbegriff vorzustellen<br />

ist.<br />

4. Weigels spiritualistischer<br />

Kirchenbegriff<br />

Weigel unterschei<strong>de</strong>t zwischen Gottes<br />

Kirche und <strong>de</strong>r Menschenkirche. Gottes<br />

Kirche „Jst nicht in einem gewissen lan<strong>de</strong><br />

o<strong>de</strong>r königreiche, wie das sichtbare Jsrael<br />

im lan<strong>de</strong> canaan ein zeittlang sein Muste<br />

son<strong>de</strong>rn sie Jst in <strong>de</strong>r gantzen welt ahn keinem<br />

gewissenn Orthe vnnd Jst die versamlung<br />

<strong>de</strong>r glaubigen“. 40 Sie „stehet gegrun<strong>de</strong>t<br />

auff <strong>de</strong>m vnbeweglichen eckstein Jesu<br />

christo“, ihre Gliedmaßen wer<strong>de</strong>n gefun<strong>de</strong>n<br />

„vnter allen hey<strong>de</strong>n, sprachen, volkernn,<br />

sectenn etc“ 4 . Dieser wahren unsichtbaren<br />

Kirche Gottes steht die Menschenkirche<br />

gegenüber als „eine sichtbare<br />

versamlung <strong>de</strong>rer die da predigt hörenn<br />

zur <strong>bei</strong>cht gehen das sacrament nehmen“<br />

und ist „Jnn viel secten zertheilt, heisset<br />

die vilkopffige kirche do ein Je<strong>de</strong>r hauffe<br />

in einem gewissen orthe seinen sinn kopff<br />

vnnd leermeister hat vnnd ein Je<strong>de</strong>r hauffe<br />

fur sich alleine ge<strong>de</strong>nnckt die heylige Katholische<br />

kirche zu sein“. 42


Dieses wird auf Luther, <strong>de</strong>n Papst, Melanchthon,<br />

Zwingli, calvin und an<strong>de</strong>re<br />

ausgelegt. In <strong>de</strong>r Menschenkirche, wofür<br />

Weigel auch <strong>de</strong>n paracelsischen Begriff <strong>de</strong>r<br />

„Mauerkirche“ verwen<strong>de</strong>t, folge „ein Je<strong>de</strong>r<br />

hauffe [...] seinem haupt vnnd vorgeher“<br />

und wolle <strong>de</strong>n Glauben nach <strong>de</strong>ssen Urteil<br />

und Schriften reglementieren, „alß die Lutherischen<br />

folgenn <strong>de</strong>m Luther vnnd wollen<br />

die ketzer o<strong>de</strong>r bucher messen reguliren<br />

pruefenn vrtheilenn etc. nach <strong>de</strong>n<br />

schriften Lutheri, was darwied<strong>de</strong>r Jst wirt<br />

nicht ahngenomen son<strong>de</strong>rn als ketzerisch<br />

verworffenn“. 43 Ebenso hielten es die Synergisten<br />

mit <strong>de</strong>n Schriften Melanchthons<br />

usf.<br />

Die Definition <strong>de</strong>r wahren Kirche<br />

Gottes als einer spirituellen Versammlung<br />

<strong>de</strong>r Gläubigen, zerstreut in <strong>de</strong>r ganzen<br />

Welt, klingt für uns heute zunächst fremd<br />

und sektiererisch o<strong>de</strong>r gar pfingstlerisch,<br />

ist aber gar nicht so weit von <strong>de</strong>r Ekklesiologie<br />

<strong>de</strong>s frühen Luther entfernt. In <strong>de</strong>n<br />

auf ihn zurückgehen<strong>de</strong>n „Schwabacher Artikeln“<br />

von 529 heißt es in Artikel 2:<br />

„Dass kein Zweifel sei, es sei und bleibe<br />

auf Er<strong>de</strong>n ein heilige christenliche Kirch<br />

bis an <strong>de</strong>r Welt En<strong>de</strong>, wie christus spricht<br />

Mat[thaei] ult[imo]: siehe, ich bin <strong>bei</strong><br />

euch bis an <strong>de</strong>r Welt En<strong>de</strong>. Soliche Kirch<br />

ist nichts an<strong>de</strong>rst dann die Glaubigen an<br />

christo, weliche obgenannte Artickel und<br />

Stuck halten, glauben und lehrn und daruber<br />

verfolgt und gemartert wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r<br />

Welt, <strong>de</strong>nn wo das Euangelion gepredigt<br />

wird und die Sakrament recht gebraucht,<br />

do ist die heilige christenliche Kirche, und<br />

sie ist nicht mit <strong>Ges</strong>etzen und äußerlicher<br />

Pracht an Stätte und Zeit, an Person und<br />

Gebär<strong>de</strong> gebun<strong>de</strong>n“. 44<br />

Noch pointierter hieß es in Luthers Bekenntnis<br />

von 528, welches die Grundlage<br />

für die Schwabacher Artikel bil<strong>de</strong>te:<br />

„Demnach gläube ich, dass eine heilige<br />

christliche Kirche sei auf Er<strong>de</strong>n, das ist die<br />

Gemeine und Zahl o<strong>de</strong>r Versammlung<br />

aller christen in aller Welt, die einige<br />

Braut christi und sein geistlicher Leib ...<br />

Und dieselbige christenheit ist nicht allein<br />

unter <strong>de</strong>r römischen Kirchen o<strong>de</strong>r Bapst,<br />

son<strong>de</strong>rn in aller Welt ..., dass also unter<br />

Bapst, Türken, Persern, Tattern und allenthalben<br />

die christenheit zerstrauet ist leiblich,<br />

aber versammlet geistlich in einem<br />

Euangelio“. 45 Allerdings wur<strong>de</strong>n diese Formulierungen<br />

nicht in die späteren Bekenntniswerke<br />

übernommen.<br />

Für Weigels Ekklesiologie gilt darüber<br />

hinausgehend, dass die wahre Geistkirche<br />

nicht auf christen beschränkt ist, ja nicht<br />

einmal auf Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r übrigen Weltreligionen,<br />

son<strong>de</strong>rn dass ihr auch sogenannte<br />

„Hei<strong>de</strong>n“ angehören können, das heißt<br />

zum Beispiel Menschen, die vor christi<br />

Wan<strong>de</strong>l auf Er<strong>de</strong>n gelebt haben, wie die<br />

Philosophen und Weisen <strong>de</strong>r griechisch-römischen<br />

Antike o<strong>de</strong>r die Gottesleute <strong>de</strong>s<br />

Alten Testaments. Gott hat seine Offenbarung<br />

allen Menschen zugänglich gemacht.<br />

Das ergibt sich aus <strong>de</strong>m ersten Kapitel <strong>de</strong>s<br />

Römerbriefs, wo es heißt: „Denn das man<br />

weis / das Gott sey / ist jnen offenbar /<br />

Denn Gott hat es jnen offenbart / damit<br />

/ das Gottes vnsichtbares wesen / das<br />

ist / seine ewige Krafft vnd Gottheit / wird<br />

ersehen / so man <strong>de</strong>s warnimpt / an <strong>de</strong>n<br />

Wercken / nemlich / an <strong>de</strong>r schepffung <strong>de</strong>r<br />

welt. Also / das sie keine entschüldigung<br />

haben“ (Röm. , 9 – 20). Haben alle Menschen<br />

die Möglichkeit zur Erkenntnis<br />

Gottes, so haben sie auch die Pflicht, nach<br />

<strong>de</strong>m Erkannten zu leben. Solche frommen<br />

Hei<strong>de</strong>n haben Gott, das höchste Gut, zumin<strong>de</strong>st<br />

erahnen, im besten Falle auch erkennen<br />

können. Genannt wer<strong>de</strong>n hierzu<br />

<strong>bei</strong> Weigel und übrigens auch <strong>bei</strong> Sebastian<br />

Franck, welcher Weigels Quelle für diese<br />

Anschauung gewesen sein dürfte, neben<br />

Plato und Sokrates auch Plotin, Proklus,<br />

Mercurius (= Hermes Trismegistus) sowie<br />

Adam, Abel, Noah, Abraham, Hiob und<br />

an<strong>de</strong>re. 46<br />

Der Gedanke <strong>de</strong>r „Seligen Hei<strong>de</strong>n“ fin<strong>de</strong>t<br />

sich, in einer an<strong>de</strong>ren Begrifflichkeit<br />

vorgetragen, auch <strong>bei</strong> Paracelsus, <strong>de</strong>ssen<br />

Ekklesiologie im übrigen eng mit <strong>de</strong>r<br />

33


Weigel’schen übereinstimmt: „Merket, dass<br />

alle Kin<strong>de</strong>r selig sind: <strong>de</strong>r Türken, <strong>de</strong>r Tartern,<br />

<strong>de</strong>r Hei<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Christen ... Denn ein jeglichs<br />

Kind ist selig, es sei von wannen es wolle, es sei<br />

im Mutterleibe gestorben o<strong>de</strong>r nicht“. – „Ein<br />

Türk, <strong>de</strong>m da dürstet nach <strong>de</strong>r Gerechtigkeit, <strong>de</strong>r<br />

ist nichts besser <strong>de</strong>nn ein Christ, <strong>de</strong>m auch dürstet<br />

nach <strong>de</strong>r Gerechtigkeit. Denn sie sind <strong>bei</strong><strong>de</strong><br />

Christen“. 47 Kurt Goldammer führt dazu<br />

aus: „Der christliche Absolutheitsanspruch<br />

<strong>bei</strong> Paracelsus ist nur mehr noch ein „limitierter“<br />

o<strong>de</strong>r „inklusiver“, <strong>de</strong>r übergreift<br />

auf das in <strong>de</strong>n nichtchristlichen Religionen<br />

enthaltene Gute, und damit halbwegs<br />

<strong>de</strong>ren Anerkennung ausspricht“. 48 Weiterhin<br />

spricht Goldammer von einem „christlichen<br />

Offenbarungsuniversalismus“ <strong>bei</strong><br />

Paracelsus, wonach auch Platon und Aristoteles<br />

„von oben herab“ geboren waren.<br />

Das geht auf eine Unterscheidung zwischen<br />

„von oben herab geborn wer<strong>de</strong>n und zum<br />

an<strong>de</strong>rn mal geborn wer<strong>de</strong>n und neu geborn wer<strong>de</strong>n“<br />

in <strong>de</strong>r Schrift De inventione artium zurück,<br />

wo es heißt: „dan das wissent, ob gleichwol<br />

Plato und an<strong>de</strong>re von oben herab <strong>de</strong>n<br />

samen haben und <strong>de</strong>s samens halben von oben<br />

herab geborn sind wor<strong>de</strong>n, so sind sie doch drumb<br />

nit gleubig. die an<strong>de</strong>rn zwei neugeborn und wi<strong>de</strong>rumb<br />

gborn wer<strong>de</strong>n (o<strong>de</strong>r das nur eins ist)<br />

das trift die gleubigen an“. 49<br />

5. Zwangfreie Mission: Christus und die<br />

Christen zwingen noch nötigen keinen<br />

zum Glauben<br />

Grundlage für diesen in <strong>de</strong>n Kapiteln 4<br />

und 28 <strong>de</strong>r Schrift „Vom Leben christi“<br />

behan<strong>de</strong>lten Satz sind die folgen<strong>de</strong>n Unterscheidungen:<br />

zwischen <strong>de</strong>m Alten Testament<br />

und <strong>de</strong>m Neuen Testament, <strong>de</strong>m äußeren<br />

Menschen und <strong>de</strong>m inneren Menschen,<br />

<strong>de</strong>r äußeren sichtbaren Kirche und<br />

<strong>de</strong>r wahren inneren unsichtbaren Kirche.<br />

Das Alte Testament steht unter <strong>de</strong>m<br />

Mosaischen <strong>Ges</strong>etz, es ist für <strong>de</strong>n alten<br />

äußeren Menschen geschrieben, welcher in<br />

<strong>de</strong>m gewissen Land canaan <strong>de</strong>r äußerlichen<br />

sichtbaren jüdischen Kirche angehört.<br />

Dagegen steht das Neue Testament<br />

34<br />

unter <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> christi; es bezieht sich<br />

auf <strong>de</strong>n neugeborenen Menschen, welcher<br />

<strong>de</strong>r wahren inneren Kirche Gottes angehört,<br />

<strong>de</strong>ren Glie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r ganzen Welt zerstreut<br />

sind. Während die alte Kreatur durch das<br />

<strong>Ges</strong>etz zum Glauben gezwungen wur<strong>de</strong>,<br />

gilt dies für die neue Kreatur in christus<br />

nicht mehr. Sie tut aus Liebe, was sie tun<br />

soll, und steht im guten Willen <strong>de</strong>s Geistes,<br />

welcher ungezwungen bleiben will. Die<br />

Menschen zum Glauben zu zwingen wäre<br />

alttestamentlich und heidnisch, nicht<br />

christlich. „christus ist die gna<strong>de</strong> vnnd<br />

hann<strong>de</strong>lt auß <strong>de</strong>r gna<strong>de</strong> mit liebe vnd gar<br />

nicht mit gesetz zwangk“. 50 Er hat<br />

Mt. 0,5 – 5 Par. <strong>de</strong>n Aposteln befohlen<br />

„zupredigenn vnnd zupleiben bey <strong>de</strong>nen<br />

die es willig aufnahmen, die es aber nicht<br />

hören wolten vonn <strong>de</strong>nselben musten sie<br />

gehen vnd keinen mit gewalt nöttigen<br />

zum glauben“. 5<br />

Daraus ergibt sich auch Weigels Stellungnahme<br />

gegen das im Augsburger Religionsfrie<strong>de</strong>n<br />

von 555 begrün<strong>de</strong>te Territorialprinzip<br />

Cuius regio eius religio und seine<br />

Anwendung: „Darauß sehen wir wie falsch<br />

vnnd vnrecht Mann Jtzundt Han<strong>de</strong>le, do<br />

eine Je<strong>de</strong> herschafft Judischer Mosischer<br />

weyse ge<strong>de</strong>nckt Jhr vn<strong>de</strong>rthanen zum<br />

Euangelio zu Nöttigen so doch <strong>de</strong>r glaube<br />

keinen Zwangk lei<strong>de</strong>t, Denn <strong>de</strong>r eingetzwungene<br />

glaube Jst kein glaube. Hat<br />

christuß Petrum nicht vber seine kirche<br />

gesetzt viel weniger die weltliche obrikeit<br />

vnnd hat Petrus <strong>de</strong>r doch ein Apostel war<br />

keinen zum glauben getzwungen, vil weniger<br />

soll die weltliche Obrikeit Jemandts<br />

zum glauben zwingen o<strong>de</strong>r nöttigen“. 52<br />

Dieselbe Überzeugung ist nahezu wörtlich<br />

auch <strong>bei</strong> Paracelsus vorgebil<strong>de</strong>t: „Aus<br />

<strong>de</strong>m folget, dass niemand mag zum Glauben genötigt<br />

wer<strong>de</strong>n. Denn genötigt Ding ist nichts<br />

nutze“. 53 – „auf solchs sollen wir wissen, dass<br />

wir kein oberhand [= Obrigkeit], kein gewalt,<br />

kein zwang von niemants haben sollen in <strong>de</strong>m,<br />

was do antrifft gegen <strong>de</strong>r forcht <strong>de</strong>s herrn und<br />

sein weisheit. dann so ein oberhand alle menschen<br />

<strong>de</strong>r ganzen welt brecht in éin glauben mit


zwang, so wer es ein vermeinter glaub und nicht<br />

ein geliebter glaub. auf das wer es besser, ein<br />

ieglicher wer in seim alten [sc. Glauben] als in<br />

disem“. 54 – „Nit zwing ein an<strong>de</strong>rn. Mit <strong>de</strong>m<br />

Evangelio sollen sie bekehrt wer<strong>de</strong>n, nit mit<br />

euern Schwertern ... Der Mensch, <strong>de</strong>r sich untersteht,<br />

<strong>de</strong>n Glauben zu mehren mit <strong>de</strong>m Schwert,<br />

<strong>de</strong>r ist vom Teufel. – Was das Wort nit tun will,<br />

sollst du es nit mit <strong>de</strong>m Schwert erlangen. Denn<br />

Glauben heißen wir nit nötigen“. 55 Paracelsus<br />

verlangt mit diesen Äußerungen „Toleranz<br />

für die scheinbaren Ketzer“, wie es Goldammer<br />

formuliert hat, und „wen<strong>de</strong>t sich<br />

damit“ - Weigel vergleichbar - „gegen jegliche<br />

staatliche Bekehrung, gegen die Ketzerbestreitung<br />

von oben her, gegen das<br />

religiöse Territorialprinzip“. 56<br />

6. Grundsätzliche Ablehnung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe:<br />

Die Christen töten keinen Sün<strong>de</strong>r<br />

Die grundsätzliche Ablehnung <strong>de</strong>r<br />

To<strong>de</strong>sstrafe resultiert <strong>bei</strong> Weigel aus seiner<br />

christologischen Auffassung. Da christus<br />

nicht aus Adams Fleisch und Blut geboren<br />

ist, son<strong>de</strong>rn aus himmlischem Fleisch und<br />

Blut aus Gott, hat er nicht „die art Adams<br />

das ehr <strong>de</strong>n dieb Henckete, <strong>de</strong>n Ehebrecher<br />

kopffete, <strong>de</strong>n mör<strong>de</strong>r Ra<strong>de</strong>brechte, <strong>de</strong>n<br />

ketzer Hinrichtete vnd alle sun<strong>de</strong>r leiblich<br />

tödtete“. 57 Da christus die Art seines<br />

Vaters hat, hält er sich auch an <strong>de</strong>ssen Ausspruch<br />

Ez. 33, : „so wahr alß ich lebe so<br />

will ich nicht <strong>de</strong>n todt <strong>de</strong>s sun<strong>de</strong>rs sonn<strong>de</strong>rn<br />

das ehr bekehret wer<strong>de</strong> vnd lebe“. 58<br />

Aus <strong>de</strong>m Alten Testament wer<strong>de</strong>n weiterhin<br />

herangezogen: das Gebot <strong>de</strong>s Dekalogs<br />

(„Du sollst nicht töten“, Ex. 20, 3 und<br />

Dtn. 5, 7), dass Kain nicht getötet wer<strong>de</strong>n<br />

solle (Gen. 4, 5), und aus <strong>de</strong>r Noahgeschichte<br />

<strong>de</strong>r Wille Gottes, „<strong>de</strong>s Menschen<br />

leben“ rächen zu wollen „an einem jeglichen<br />

Menschen / als <strong>de</strong>r sein Bru<strong>de</strong>r ist“<br />

(Gen. 9,5). Hier zeigt sich allerdings die<br />

Tücke einer solchen Argumentation mit<br />

Schriftstellen. Im nachfolgen<strong>de</strong>n Vers<br />

heißt es nämlich: „Wer Menschen blut vergeusset<br />

/ Des Blut sol auch durch Menschen<br />

vergossen wer<strong>de</strong>n“. Luther hat dies<br />

als Bestätigung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe verstan<strong>de</strong>n,<br />

wie die Randbemerkung zum Vers zeigt:<br />

„Hie ist das weltlich Schwert eingesetzt /<br />

Das man die Mör<strong>de</strong>r tödten sol“ (Ausgabe<br />

<strong>de</strong>r Lutherbibel von 545). Weigel hat die<br />

Stelle an<strong>de</strong>rs ausgelegt: „Nun Jst <strong>de</strong>s<br />

Vatters meinung wie ehr dan zun zeitten<br />

cayns vnnd Lamechs bewiesen hat das<br />

man gar nicht solle tödten, wied<strong>de</strong>r mit<br />

recht noch auß mutwillen wid<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />

offenbaren sun<strong>de</strong>r noch <strong>de</strong>n ketzer, also<br />

das ehr auch zun zeitten Noe ein geboth<br />

gab wo Jemands töten wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>s bluet<br />

wolte ehr selbst rechnen“. 59<br />

Hier ist ein kurzer Exkurs zu Weigels<br />

Schriftverständnis einzuschieben: Die Ambivalenz<br />

<strong>de</strong>s biblischen Worts ist Weigel<br />

durchaus bewusst, wenn er mit Sebastian<br />

Franck die Bibel als „wichsene nase“<br />

bezeichnet, welche sich nach allen Richtungen<br />

drehen lässt, 60 o<strong>de</strong>r auch als<br />

„bey<strong>de</strong>nhen<strong>de</strong>r“, das heißt als ein Schwert,<br />

das <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n gerecht ist und das ein<br />

je<strong>de</strong>r für sich brauchen kann, wie er will. 6<br />

Das betrifft allerdings nur <strong>de</strong>n äußeren<br />

Buchstaben. Zum richtigen Verständnis<br />

<strong>de</strong>r Schrift muss <strong>de</strong>r Geist hinzukommen,<br />

das heißt, ohne <strong>de</strong>n einwohnen<strong>de</strong>n Geist<br />

Gottes kann die Schrift nicht verstan<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n, was unter an<strong>de</strong>rem aus <strong>de</strong>m christuswort<br />

Joh. 4,26 abgeleitet ist: „Aber <strong>de</strong>r<br />

Tröster <strong>de</strong>r heilige Geist / welchen mein<br />

Vater sen<strong>de</strong>n wird in meinem Namen / <strong>de</strong>r<br />

selbige wirds euch alles leren“. Auch nach<br />

<strong>de</strong>r schon angesprochenen Erkenntnislehre<br />

Weigels müssen das Auge und <strong>de</strong>r Verstand<br />

im Menschen sein, ohne das Auge kann<br />

ich nicht sehen, und ohne <strong>de</strong>n inneren<br />

Verstand <strong>de</strong>r Schrift kann ich <strong>de</strong>n äußeren<br />

Buchstaben nicht verstehen.<br />

Nun zurück zu Weigels ablehnen<strong>de</strong>r<br />

Haltung gegenüber <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe:<br />

Mögen auch manche Stellen <strong>de</strong>s alten<br />

Testaments an<strong>de</strong>rs interpretierbar sein, so<br />

wird er doch durch <strong>de</strong>n geistlichen Sinn<br />

<strong>de</strong>s Neuen Testaments bestätigt, was mit<br />

zahlreichen Stellen zu belegen ist. Weigels<br />

Position ergibt sich wie folgt: christus ist<br />

35


in die Welt gekommen, die Sün<strong>de</strong>r selig zu<br />

machen ( .Tim. , 5); er ist gekommen, zu<br />

heilen das Verwun<strong>de</strong>te und lebendig zu<br />

machen, das tot war (Röm. 4, 7); er ist gekommen<br />

zu suchen, was verloren war<br />

(Lk. 9, 0), und ist nicht gesandt in die<br />

Welt, dass er jemand richte, verdamme<br />

o<strong>de</strong>r töte, son<strong>de</strong>rn dass die Welt durch ihn<br />

selig wer<strong>de</strong> (Joh. 3, 7). 62 Moses steinigte<br />

die Ehebrecherin, aber christus spricht<br />

„Wer vnter euch on sun<strong>de</strong> ist / <strong>de</strong>r werffe<br />

<strong>de</strong>n ersten stein auff sie“, und es gingen<br />

alle davon (Joh. 8,7–9). christus ist nicht<br />

gekommen, das <strong>Ges</strong>etz aufzuheben, son<strong>de</strong>rn<br />

zu erfüllen (Mt. 5, 7), aber er fragt<br />

nicht nach <strong>de</strong>n auswendigen Werken <strong>de</strong>s<br />

Leibes, son<strong>de</strong>rn er sieht <strong>de</strong>n inwendigen<br />

Sün<strong>de</strong>r an, <strong>de</strong>r ist <strong>de</strong>r rechte Täter, und<br />

nicht <strong>de</strong>r Leib aus Adam. Das <strong>Ges</strong>etz geht<br />

auf <strong>de</strong>n inneren Menschen, auf <strong>de</strong>n Willen,<br />

und christus erfüllt das <strong>Ges</strong>etz, in<strong>de</strong>m er<br />

das Herz ansieht. Wenn <strong>de</strong>m inwendigen<br />

Menschen durch <strong>de</strong>n Glauben geholfen<br />

ist, dann wird auch <strong>de</strong>r äußere Mensch<br />

wohl regiert. Die Sün<strong>de</strong> ist im inwendigen<br />

Menschen. Über ihn erbarmt sich christus.<br />

Wenn er sich durch seine Gna<strong>de</strong> bessert<br />

und bekehrt, vergibt er die Sün<strong>de</strong>, wenn<br />

nicht, straft er sie nicht leiblich, son<strong>de</strong>rn<br />

mit <strong>de</strong>r ewigen Verdammnis nach gehaltenem<br />

Gericht. Die Sün<strong>de</strong> wird nicht leiblich<br />

gestraft, „sonn<strong>de</strong>rn am Jnwendigen<br />

menschen muß sie von Gotte gestrafft<br />

wer<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r ewigen verdamniß wo sie<br />

nicht durch die gna<strong>de</strong> christi wirt hinweg<br />

genommen“. 63 Ähnlich heißt es auch in<br />

<strong>de</strong>r „Kirchen- o<strong>de</strong>r Hauspostille“, Predigt<br />

„Am Vierten Sontage nach Trinitatis“:<br />

„GOTT straffet alleine die Sün<strong>de</strong> / vnd<br />

nicht <strong>de</strong>r Mensch / Er straffet sie nicht leiblich<br />

/ son<strong>de</strong>rn mit <strong>de</strong>r ewigen Verdamniß/<br />

wo sie nicht durch christum vergeben<br />

wird“. 64<br />

Das be<strong>de</strong>utet: Die Ehebrecher, Diebe,<br />

Mör<strong>de</strong>r sind geistlich tot, aber christus<br />

will nicht, dass sie auch leiblich getötet<br />

wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn dass sie sich bekehren<br />

können und geistlich leben. Auch <strong>bei</strong> kri-<br />

36<br />

minellen Vergehen ist folglich <strong>de</strong>r Status<br />

als Sün<strong>de</strong>r vor Gott für <strong>de</strong>n Täter nicht<br />

aufgehoben, auch ihm will Gott die Möglichkeit<br />

<strong>de</strong>r Reue und Buße für sein Vergehen<br />

und damit die Verschonung von <strong>de</strong>r<br />

ewigen Verdammnis geben.<br />

Weigels Auffassung weist viele Parallelen<br />

zu <strong>de</strong>r Ablehnung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe <strong>bei</strong> Paracelsus<br />

auf, wie sie von Kurt Goldammer in<br />

seiner Untersuchung zum Toleranzgedanken<br />

<strong>bei</strong> Paracelsus beschrieben wur<strong>de</strong>.<br />

Neben bedingter Zustimmung in einigen<br />

Schriften steht <strong>bei</strong> Paracelsus eine radikale<br />

Ablehnung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe in an<strong>de</strong>ren<br />

Schriften gegenüber. Eines seiner Argumente<br />

lautet, dass christen „diese <strong>de</strong>m<br />

Hei<strong>de</strong>ntum zugehören<strong>de</strong> Strafart nicht<br />

nötig“ hätten, „weil Gott selbst straft und<br />

sich das Recht über alles Leben vorbehält,<br />

und weil <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r Gelegenheit zur Buße<br />

haben soll“. 65<br />

Hinsichtlich <strong>de</strong>r Motivation für ihre<br />

Haltung unterschei<strong>de</strong>n sich Weigel und<br />

Paracelsus allerdings voneinan<strong>de</strong>r. Während<br />

die grundsätzliche Ablehnung <strong>de</strong>r<br />

To<strong>de</strong>sstrafe <strong>bei</strong> Weigel unmittelbar in seiner<br />

christologie begrün<strong>de</strong>t liegt, sieht Goldammer<br />

als innere Wurzeln für die Auffassung<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus die Grundhaltung als<br />

Arzt und das „Biologische“ in seinem<br />

Denken. „Denn eine Art von Biologismus<br />

liegt zweifellos vor, eine Anschauung vom<br />

hohen Werte <strong>de</strong>s ganzheitlichen Lebens<br />

[...]. Die Erhaltung <strong>de</strong>s Leibes, o<strong>de</strong>r besser:<br />

<strong>de</strong>s leib-seelischen Ganzen, ist höchste<br />

Pflicht für <strong>de</strong>n Arzt. Und das be<strong>de</strong>utet:<br />

Kampf gegen <strong>de</strong>n Tod und Eintreten für<br />

das Nichtschädigen“. 66<br />

Wie weit Weigel und Paracelsus mit dieser<br />

Auffassung von <strong>de</strong>r rechtlichen und gesellschaftlichen<br />

Realität ihrer Zeit entfernt<br />

waren, zeigt die erwähnte Constitutio Criminalis<br />

Karls V. von 532, welche die To<strong>de</strong>sstrafe<br />

in verschie<strong>de</strong>nen Formen für eine<br />

Fülle von Vergehen festschrieb und zu<br />

einer inflatorischen Anwendung dieser<br />

Sanktion führte. Kurt Goldammer hat in<br />

seiner Untersuchung zur Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e und


zum Toleranzgedanken ( 956) darauf hingewiesen,<br />

dass Paracelsus „wohl <strong>de</strong>r erste<br />

grundsätzliche Gegner <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe im<br />

abendländischen Kulturbereich“ gewesen<br />

sei. 67 Unzutreffend ist daher die Angabe<br />

von Fritz Loos im Artikel „To<strong>de</strong>sstrafe“ in<br />

<strong>de</strong>m 2005 erschienenen Band 8 <strong>de</strong>r vierten<br />

Auflage <strong>de</strong>r „Religion in <strong>Ges</strong>chichte und<br />

Gegenwart“: „Erst in <strong>de</strong>r Spätaufklärung<br />

wur<strong>de</strong> nachdrücklich Kritik an <strong>de</strong>r heute<br />

gera<strong>de</strong>zu wahllos erscheinen<strong>de</strong>n Sanktionierung<br />

durch die To<strong>de</strong>sstrafe geübt [...],<br />

schließlich aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Humanität<br />

auch ihre völlige Abschaffung gefor<strong>de</strong>rt“. 68<br />

Die paracelsischen wie die Weigel’schen<br />

Stellungnahmen sind darin übergangen,<br />

was auch auf <strong>de</strong>n Artikel „To<strong>de</strong>sstrafe“ in<br />

<strong>de</strong>m 2002 erschienenen Band 33 <strong>de</strong>r „Theologischen<br />

Realenzyklopädie“ zutrifft, wo<br />

O.M.T. O’ Donovan referiert: „Das Verdienst,<br />

als erster Theoretiker die To<strong>de</strong>sstrafe<br />

grundsätzlich abgelehnt zu haben“,<br />

wer<strong>de</strong> „für gewöhnlich <strong>de</strong>m italienischen<br />

Rationalisten cesare Beccaria ( 738 – 794)<br />

zugeschrieben“. 69<br />

7. Auch die Obrigkeit hat keine Befugnis<br />

zu töten<br />

Die römische Kirche ist zwar fe<strong>de</strong>rführend<br />

<strong>bei</strong> <strong>de</strong>r Verfolgung von Häretikern<br />

und hat dies in zahlreichen Dekreten und<br />

durch die Einrichtung <strong>de</strong>r Ketzergerichte<br />

und an<strong>de</strong>res geregelt. Sie hat sich aber<br />

davor gehütet, anstehen<strong>de</strong> To<strong>de</strong>sstrafen<br />

selbst auszusprechen bzw. zu vollziehen.<br />

Dieses wur<strong>de</strong> an die weltliche Obrigkeit<br />

<strong>de</strong>legiert. 70 Das heißt, die Kirche hat religiös<br />

bedingte Sanktionen durch <strong>de</strong>n Arm<br />

<strong>de</strong>r weltlichen Obrigkeit (o<strong>de</strong>r durch das<br />

Schwert) vollstrecken lassen. Dagegen bezieht<br />

Weigel in <strong>de</strong>n Kapiteln 5 und 29<br />

seiner Schrift „Vom Leben christi“ Stellung.<br />

Zunächst wird mit Bezug auf Matthäus 8,4<br />

(„Wer nu sich selbs nidriget / wie das Kind/<br />

<strong>de</strong>r ist <strong>de</strong>r grössest im Himelreich“) dargelegt,<br />

dass „christus keinen stathalter noch<br />

Vietztumb“ über seine Kirche setzt, „Ehr<br />

bleibet selber <strong>de</strong>r Herre vber die kirche.<br />

Das Lamp setzt nicht wolffe vber die<br />

schaffe o<strong>de</strong>r christus verordnet nicht weltliche<br />

schwerth vber sein Reich hie auf<br />

er<strong>de</strong>n vnnd zwinget keinen zum glauben<br />

wid<strong>de</strong>r durch sich noch durch die Hanndt<br />

<strong>de</strong>r obrikeit“. 7 Es „gilt hie nicht diese Antichristische<br />

ausre<strong>de</strong>, Wir dorffen keinen<br />

tödten aber die Obrikeit soll die sun<strong>de</strong>r<br />

tödten vnd die ketzer verJagenn“, <strong>de</strong>nn<br />

„christus pleibet alleine die obrickeyt vber<br />

seine kirche vnd setzet keinen stathalter<br />

drueber“. 72 Ähnlich heißt es in <strong>de</strong>r Predigt<br />

„Am Vierten Sontage nach Trinitatis“ <strong>de</strong>r<br />

„Kirchen- o<strong>de</strong>r Hauspostille“: „weit sey das<br />

vom Apostolischen grun<strong>de</strong> / das wir leren<br />

solten mit <strong>de</strong>m Antichristo / als hett GOTT<br />

das Schwert vber die Kirche <strong>Ges</strong>etz / als<br />

könte <strong>de</strong>r Mensch die Sün<strong>de</strong> straffen / o<strong>de</strong>r<br />

als solte die Obrigkeit an stat cHRIsti / sitzen<br />

/ alles nichts. cHristus hat nicht <strong>de</strong>n<br />

Pabst o<strong>de</strong>r das Schwert vber seine Kirchen<br />

geordnet / er wil seine Kirche nicht durch<br />

<strong>de</strong>n Teuffel regieren / Er bleibt alleine das<br />

Häupt / <strong>de</strong>r Meister vnd HERR / vber seine<br />

Kirche“. 73<br />

8. Religiöse Toleranz: Die Christen<br />

verjagen auch nicht die Ketzer<br />

Weigels I<strong>de</strong>e von einer umfassen<strong>de</strong>n Toleranz<br />

gegenüber dogmatischen Abweichlern<br />

liegt die klassische Toleranzstelle in<br />

Mt. 3 zugrun<strong>de</strong>, das Gleichnis vom Unkraut<br />

unter <strong>de</strong>m Weizen. Es dient ihm in<br />

vielen Stellungnahmen gegen Ketzerverfolgung<br />

als Argumentationsbasis, und mehrfach<br />

hat er <strong>de</strong>n Bibeltext auch in diesem<br />

Sinne ausgelegt, am ausführlichsten wohl<br />

in Predigt 6 <strong>de</strong>r „Handschriftlichen Predigtensammlung“<br />

von 573– 574. In <strong>de</strong>m<br />

Gleichnis Jesu heißt es (Mt. 3,24–30):<br />

„Das Himelreich ist gleich einem Menschen<br />

/ <strong>de</strong>r guten Samen auff seinen Acker<br />

seet. Da aber die Leute schlieffen / kam<br />

sein Feind / vnd seete Vnkraut zwisschen<br />

<strong>de</strong>n Weitzen / vnd gieng dauon. Da nu das<br />

Kraut wuchs / vnd Frucht bracht / Da fand<br />

sich auch das Vnkraut. Da tratten die<br />

Knechte zu <strong>de</strong>m Hausvater / vnd sprachen/<br />

37


Herr / hastu nicht guten Samen auff <strong>de</strong>inen<br />

acker geseet? Wo her hat er <strong>de</strong>nn das Vnkraut?<br />

Er sprach zu jnen / Das hat <strong>de</strong>r<br />

Feind getan. Da sprachen die knechte /<br />

Wiltu <strong>de</strong>nn / das wir hin gehen / vnd es<br />

ausgetten? Er sprach / Nein / Auff das jr<br />

nicht zu gleich <strong>de</strong>n Weitzen mit ausreuffet/<br />

so jr das Vnkraut ausgettet. Lasset <strong>bei</strong><strong>de</strong>s<br />

mit einan<strong>de</strong>r wachsen / bis zu <strong>de</strong>r Erndte.<br />

Vnd vmb <strong>de</strong>r erndte zeit / wil ich zu <strong>de</strong>n<br />

Schnittern sagen / Samlet zuuor das Vnkraut<br />

vnd bin<strong>de</strong>t es in Bündlin / das man<br />

es verbrenne / Aber <strong>de</strong>n Weitzen samlet<br />

mir in meine Schewren“. Weigel verweist<br />

nun darauf, dass Jesus sein Gleichnis in<br />

<strong>de</strong>n Versen 37 – 43 selbst auslegt, dass nämlich<br />

„<strong>de</strong>r Saame sei das Wortt Gottes, <strong>de</strong>r<br />

Acker sei die Welt, ja solcher gute Saame<br />

sein die Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>ß Reichs vnd das Vnkraut<br />

neben <strong>de</strong>m Waitzen seien die Kin<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r Boßheit. Der Feindt, <strong>de</strong>r solch Vnkraut<br />

seet, sei <strong>de</strong>r Teuffel, die Erndte das En<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Welt vnd die Schnitter seind die<br />

Engel“. 74 Wäre kein guter Same und<br />

Acker, heißt es in <strong>de</strong>r Predigt weiter, „so<br />

were auch kein Vnkraut, vnnd were kein<br />

Liecht, so möchte auch kein Finsternus<br />

sein, were kein Gutes, so mocht auch kein<br />

Böses seinn. Also ist nach <strong>de</strong>m Fall Böses<br />

vnnd Gutes im Mentschen aufgewachsen,<br />

vnnd also ist es auch in <strong>de</strong>r Weltt, dass<br />

gute vnd böse Mentschen <strong>bei</strong>samen seind.<br />

Solches außzujetten ist keinem Mentschen<br />

befohlen, son<strong>de</strong>rn allein <strong>de</strong>n Englen, darzu<br />

am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Welt; <strong>de</strong>nn die Mentschen<br />

wissen nit, waß Waitzen o<strong>de</strong>r Vnkraut ist,<br />

sie möchten <strong>de</strong>n Waitzen fur das Vnkraut<br />

außreufen“. Als Schlussfolgerung ergibt<br />

sich daraus, „dass man die Ketzer nit solle<br />

tödten, sonn<strong>de</strong>rn man solle sie pleiben lassen<br />

neben <strong>de</strong>n Gerechten biß zum<br />

Erndten“. 75<br />

Das Unkraut befin<strong>de</strong>t sich nicht ohne<br />

einen sinnvollen Zweck unter <strong>de</strong>m Weizen.<br />

„Es pleiben dise zween Samen im<br />

Mentschen zur Übung vnd auch in <strong>de</strong>r<br />

Welt zur proba, auf dass die Frommen<br />

auch geübet wer<strong>de</strong>n durch die Bösen, vnd<br />

38<br />

soll sich kein Mentsch vnn<strong>de</strong>rstehen, die<br />

Ketzer zu tödten o<strong>de</strong>r außzureuten; man<br />

möchte sonst <strong>de</strong>n Waitzen ergreiffen vor<br />

das Vnkraut, wie <strong>de</strong>nn allemal geschehen<br />

von <strong>de</strong>n hitzigen Ketzermeistern, dass sie<br />

die fromen Lehrer fur die falschen haben<br />

vom Brott gerichtet. Es ist nur <strong>de</strong>n Englen<br />

befohlen vnnd nit <strong>de</strong>n Mentschen, die<br />

Ketzer außzurotten, darzu am Endte <strong>de</strong>r<br />

Weltt“. 76<br />

Der hier verwen<strong>de</strong>te Begriff <strong>de</strong>s „Ketzermeisters“<br />

ist ein Beleg dafür, dass sich die<br />

über Jahrhun<strong>de</strong>rte andauern<strong>de</strong> Ketzerverfolgung<br />

durch die christlichen Kirchen in<br />

einer Fülle von Wortschöpfungen <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>utschen Sprache nie<strong>de</strong>rgeschlagen hat.<br />

„Ketzermeister“ bezeichnet nach <strong>de</strong>m<br />

Grimm’schen Wörterbuch sowohl <strong>de</strong>n<br />

Erzketzer (archihaereticus) wie auch <strong>de</strong>n<br />

Richter o<strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong>n im Ketzergericht<br />

(inquisitor haereseos). 77 Weigel verwen<strong>de</strong>t<br />

<strong>de</strong>n Begriff in <strong>de</strong>r zweiten Be<strong>de</strong>utung<br />

häufig, wie hier auch, auf <strong>de</strong>r Folie seines<br />

Eintretens für religiöse Toleranz als Kampfbegriff.<br />

Seine Kritik geht sogar noch, wie<br />

es aus <strong>de</strong>r Polemik gegen Ketzerverfolgung<br />

auch aus an<strong>de</strong>ren Quellen bekannt ist,<br />

einen Schritt weiter, in<strong>de</strong>m er die Verfolger<br />

selbst als die eigentlichen Ketzer erscheinen<br />

lässt: „Wie sollen die Mentschen von <strong>de</strong>n<br />

Ketzern vrtheilen? Sie seind offtmals die<br />

größten Ketzer. Vnd warlich, eben diejenigen,<br />

so sich vn<strong>de</strong>rfangen, an<strong>de</strong>re zu vrtheilen<br />

vnd zu verketzern, die seind selber das<br />

Vnkraut vnd gehören in das hellische<br />

Feuer. Sie fallen Gott in sein Gericht vnd<br />

vrtheilen, wissen doch, dass es nit <strong>de</strong>n<br />

Mentschen, son<strong>de</strong>rn nur <strong>de</strong>n Englen befohlen<br />

sei vnd dass Gott <strong>bei</strong><strong>de</strong>s miteinan<strong>de</strong>r<br />

wol lassen wachsen biß zur Erndte ans<br />

Endte <strong>de</strong>r Welt“. 78 Diese geharnischte Philippika<br />

gegen Ketzerverfolgung steht,<br />

wohlgemerkt, in einer Predigtensammlung<br />

aus <strong>de</strong>n Jahren 573/74, die noch <strong>de</strong>utlich<br />

vor <strong>de</strong>n genannten Vorgängen um die<br />

Konkordienformel von 577/78 entstand.<br />

Es wäre <strong>de</strong>nkbar, dass Weigel durch die<br />

seit Beginn <strong>de</strong>r siebziger Jahre in Kursach-


sen virulente Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>m<br />

Kryptocalvinismus, das heißt <strong>de</strong>m versteckten<br />

Einschleusen calvinistischer theologischer<br />

Positionen, <strong>de</strong>ssen die Anhänger<br />

Philipp Melanchthons, die sogenannten<br />

Philippisten, beschuldigt wur<strong>de</strong>n, zu seinen<br />

Äußerungen veranlasst wur<strong>de</strong>. Am ersten<br />

April (in <strong>de</strong>r Woche davor bricht die<br />

Predigtensammlung ab) wur<strong>de</strong> eine Reihe<br />

von ihnen verhaftet, darunter auch <strong>de</strong>r<br />

Wittenberger Theologe christoph Pezel,<br />

ein Studiengefährte Weigels, sowie Kaspar<br />

Peucer, <strong>de</strong>r Schwiegersohn Melanchthons<br />

und Leibarzt <strong>de</strong>s Kurfürsten August, <strong>de</strong>r<br />

später im Kerker starb. 79 Wie stark Weigel<br />

in <strong>de</strong>r frühen Predigt, von welcher man<br />

allerdings nicht weiß, ob sie auch in diesem<br />

Wortlaut gehalten wur<strong>de</strong>, emotional engagiert<br />

ist, zeigt <strong>de</strong>r sich unmittelbar an die<br />

zitierte Stelle anschließen<strong>de</strong> Stoßseufzer:<br />

„O wie viel frommer, gottesgelerter Menner<br />

seind von <strong>de</strong>m vntüchtigen falschen<br />

<strong>Ges</strong>chmeiß, wie in <strong>de</strong>r Ketzer cronica Sebastian<br />

Francken zu sehen ist allen geistlichen<br />

Augen vnd in <strong>de</strong>r gantzen Schrifft,<br />

von Anfang <strong>de</strong>r Welt bißher verketzert<br />

wor<strong>de</strong>n!“ 80<br />

Der richtige Umgang mit Häretikern ist<br />

nach Weigels Meinung ein an<strong>de</strong>rer: „Die<br />

rechten Lehrer sind keine Ketzermeister.<br />

Sie tragen ihre Feindt mit Gedult vnd lassen<br />

sie auch neben <strong>de</strong>m Waitzen pleiben<br />

biß auf seine Zeit, wie Moises <strong>de</strong>n Jambrem<br />

[nach 2. Tim. 3,8] vnd Paulus <strong>de</strong>n<br />

Elymam [nach Act. 3,8– ] vnd christus<br />

die Phariseer [nach Mt. 23, –33], Petrus<br />

Simonem Magum [nach Act. 8,9–24]. Sie<br />

fallen Gott nit in sein Gericht; <strong>de</strong>nn sie<br />

wissen wol, dass die Ketzer nutzer seind<br />

zur Übung <strong>de</strong>r Frommen alß schädlicher“.<br />

8<br />

9. Weigels Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e: Die Christen<br />

beschirmen das Evangelium nicht mit<br />

Kriegen und Feldschlachten<br />

Das Reformationsjahrhun<strong>de</strong>rt war das<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>r Konfessionalisierung.<br />

Genau in diesem Zusammenhang for<strong>de</strong>rt<br />

Weigel gegenseitige Toleranz ein. Er prangert<br />

<strong>de</strong>n unduldsamen Umgang an, <strong>de</strong>n<br />

die einzelnen Abspaltungen miteinan<strong>de</strong>r<br />

pflegen:<br />

„Die da seint in <strong>de</strong>r menschen kirchen<br />

die machen Jnen selbst einen sichtbaren<br />

hauffen vnnd ein Je<strong>de</strong>r hauffe hat zum<br />

Haupt einen Vorgeher o<strong>de</strong>r menschen. Die<br />

caluinisten <strong>de</strong>n caluinum die synergisten<br />

<strong>de</strong>n Philippum die Flacianer <strong>de</strong>n Luther<br />

die papistenn <strong>de</strong>n papst. Vnnd ein Je<strong>de</strong>r<br />

haufe will die kirche sein vnnd das man<br />

solche menschen kirchen Ja kenne von<br />

wannen sie seint das sie ausser <strong>de</strong>m schaffstall<br />

christi seint so verrathen sie sich selbest<br />

mit Jhrer wolffischen ahrt in <strong>de</strong>me sie<br />

Jhre wid<strong>de</strong>rsacher verJagen Jncarcerirenn<br />

todtenn etc. auff das Jhr hauffe reine sey<br />

vnnd bleibe beysammen in einhelligem<br />

consenß <strong>de</strong>r reinen lehre im rechten<br />

brauch <strong>de</strong>r sacramenten [...]“. 82 Er for<strong>de</strong>rt<br />

zur Besinnung und zum Gewaltverzicht<br />

auf: „Sihe ahn was doch die vermeinten<br />

Euangelischen ein Jahr o<strong>de</strong>r siebene daheer<br />

haben furgenomen. mit gewalt haben<br />

sie <strong>de</strong>n glauben wollen verfechten, Hetten<br />

sie kriegsvolck gehabt sie hettens auch gethan.<br />

Der Papst verJagt die Lutterischen<br />

die Luttherischen vertreibenn die papisten,<br />

die caluinisten vertreiben die Flacianer<br />

Vnnd die Flacianer wid<strong>de</strong>rumb die caluinisten<br />

vnnd synergisten vnd ist noch kein<br />

en<strong>de</strong>“. 83 Weigel fährt dann fort: „O fielen<br />

wir allesampt auff vnsere knie vnter Gott<br />

vnd bekeneten einer <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn die<br />

sün<strong>de</strong> vnsere eigene plintheit das wir gantz<br />

auß <strong>de</strong>m glauben vom leben christi weren<br />

gewichen, so mochte vnnß geholffen wer<strong>de</strong>n“.<br />

84<br />

Der Glaube bedarf keines weltlichen<br />

Schutzes: „Also gehet es auch zu mit beschirmung<br />

<strong>de</strong>s glaubens das die falschen<br />

39


christen <strong>de</strong>n glauben mit <strong>de</strong>m schwerth<br />

durch obrikeyt wollen beschutzen <strong>de</strong>nen<br />

sie doch nicht haben vnnd das leben christi<br />

wollen sie verthedingen mit kriege<br />

vnnd seint doch eben domitte wid<strong>de</strong>r das<br />

leben christi vnnd haben dasselbige nicht.<br />

Aber die wahren christen seint schaffe<br />

vnd folgen <strong>de</strong>m lamme nach wo es hingehet.<br />

christus das lamb krieget nicht tuth<br />

nicht feltschlachten. Also alle seine nachfolger<br />

sie rueffen nicht die obrikeit vmb<br />

Hulffe ahn, vnd pflantzen Jhre lehre nit<br />

fort mit <strong>de</strong>m schwerthe dann eß were glat<br />

wied<strong>de</strong>r das friedtlich Euangelium“. 85 Da<br />

wolle man „<strong>de</strong>n glauben beschirmen<br />

<strong>de</strong>nen man doch nicht hat“. 86<br />

In Kapitel 0 dieser Schrift führt Weigel<br />

drei Grün<strong>de</strong> an, „dass christus nicht<br />

kriege o<strong>de</strong>r feldschlachtenn thu“: „Die<br />

erste vhrsache Jst die zeit, die ann<strong>de</strong>r Jst<br />

mangel <strong>de</strong>s eigentumbs, die dritte Jst <strong>de</strong>r<br />

glaube“. 87 Die Zeit ( .) ist begrün<strong>de</strong>t durch<br />

Röm. 3, 2: „Die nacht ist vergangen <strong>de</strong>r<br />

tag Jst herbey kommen“, und Joh. , 7:<br />

„Das gesetz Jst durch Moisenn gegeben,<br />

die warheit vnnd gna<strong>de</strong> Jst mit christo<br />

kommen“: 88 Die Nacht und das <strong>Ges</strong>etz<br />

sind das Alte Testament, „da man leibliche<br />

kriege fuhrte wid<strong>de</strong>r die philister vnnd an<strong>de</strong>re<br />

Hey<strong>de</strong>n“. Der Tag und die Gna<strong>de</strong><br />

sind das Neue Testament, „do christus das<br />

liecht kommen ist vnnd hat auffgehaben<br />

die nacht, das Jst die freu<strong>de</strong>nreiche Zeit<br />

daruon die propheten geweissaget haben,<br />

sie wer<strong>de</strong>n Jhre spiesse zu sichelnn machen<br />

vnnd Jhre schwerter zu pflugsscharen<br />

[Jes. 2,4], die wolffe wer<strong>de</strong>n bej <strong>de</strong>n lemmern<br />

wonen, vnnd die Par<strong>de</strong>l bey <strong>de</strong>n<br />

bocken, vnnd ein kleiner knabe wirt kelber<br />

vnd Junge lewen vnnd mast viehe miteinan<strong>de</strong>r<br />

treiben [Jes. ,6]“, usw. 89<br />

(2.) Wo kein Eigentum <strong>de</strong>s Willens und<br />

<strong>de</strong>r Güter ist, da kann kein Krieg sein.<br />

christus „ist kommen ein gast zusein in<br />

dieser welt, vnnd alle gleubigen seint geste,<br />

sie lassen Jhnen alles Nehmen ohne wied<strong>de</strong>r<br />

wehre“, 90 was durch Mt. 5,40 begrün<strong>de</strong>t<br />

ist: „Vnd so jemand mit dir rechten<br />

40<br />

wil / vnd <strong>de</strong>inen Rock nemen / <strong>de</strong>m las<br />

auch <strong>de</strong>n Mantel“. 9<br />

(3.) „Der glaube Jst christus selber vnd<br />

stehet nit in Jrdischem leibe, auch nicht im<br />

papyr son<strong>de</strong>rn im Jnnern menschen.<br />

Niemand kan einen zum glauben zwingen<br />

o<strong>de</strong>r daruon treiben, Ehe liesse christus<br />

das leben ehe ehrr wolte daruon abtreten“,<br />

heißt es zu diesem Punkt. 92 „Ob gleich die<br />

vnrugige welt krieg ahn fehet o<strong>de</strong>r mit gewalt<br />

ferth, so ist doch christus ein lamb<br />

vnnd die seinen seint schaffe, die kriegen<br />

nicht. Eß ist nie erhöret wor<strong>de</strong>nn das ein<br />

lamp o<strong>de</strong>r die schaffe eine feltschlacht gethan<br />

habenn wid<strong>de</strong>r die wolffe. Auff geistliche<br />

weise streitten sie zwar teglich vnnd<br />

behalten einen sieg nach <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn.<br />

Aber nach <strong>de</strong>m eussern Menschen wirt gar<br />

nicht gekrieget“. 93<br />

Weigels Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e äußert sich nicht<br />

nur in seiner <strong>de</strong>zidierten Ablehnung <strong>de</strong>r<br />

Kriegshän<strong>de</strong>l zwischen <strong>de</strong>n sich herausbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

christlichen Kirchen, son<strong>de</strong>rn sie<br />

erstreckt sich darüber hinausgehend auch<br />

auf die Gewaltanwendung zwischen <strong>de</strong>n<br />

Religionen. Gegen die sogenannten Religionskriege<br />

führt Weigel im Wesentlichen<br />

zwei Grün<strong>de</strong> an. Zum einen: Ebenso wie<br />

<strong>de</strong>r Glaubenskampf <strong>de</strong>s einzelnen Menschen<br />

inwendig im Geiste geschieht, steht<br />

auch die wahre Kirche inwendig im Glauben<br />

und Geist und bedarf keines weltlichen<br />

Schutzes, christus selbst ist ihr<br />

Haupt und ihr unbesiegbarer Schutz. Zum<br />

an<strong>de</strong>rn ist das religiöse Motiv für einen<br />

Krieg in aller Regel nur vorgeschoben, in<br />

Wirklichkeit (und das hat sich bis heute<br />

nicht geän<strong>de</strong>rt) wer<strong>de</strong>n die Kriege um<br />

weltliche Güter, um Macht und Herrschaft<br />

geführt und sind eines christlichen Gemeinwesens<br />

unwürdig. Man muss nicht,<br />

schreibt Weigel in Kapitel 0 „Vom Leben<br />

christi“, „Gottes worth <strong>de</strong>n seligmachen<strong>de</strong>n<br />

glauben, mit kriege vnnd feltschlachten<br />

beschirmen, <strong>de</strong>r glaube darff keines weltlichen<br />

schutzes wie die vermeinten christen<br />

achten die da sagen, man musse <strong>de</strong>m<br />

Turcken mit kriege wie<strong>de</strong>rstehen, ehr will


vnnß <strong>de</strong>n glauben, Gottes wort nehmen“,<br />

<strong>de</strong>nn es wer<strong>de</strong> „fur war nicht <strong>de</strong>r glaube<br />

gemeinet son<strong>de</strong>rn vmb die zeitlichen<br />

guther richt man ahn solch blutvergiessen<br />

vnd bekrieget landt vnd leute“. 94 Zu vergleichen<br />

ist weiterhin Kapitel 24 <strong>de</strong>rselben<br />

Schrift, wo es heißt: „Wir seint nicht vnter<br />

Moise in einem gewissen Hauffen o<strong>de</strong>r<br />

lan<strong>de</strong> das wir vermeinen nach <strong>de</strong>m sichtparen<br />

Hauffen die kirche Gottes zusein<br />

Vnnd wolten <strong>de</strong>rhalben mit langen spiessen<br />

fur <strong>de</strong>n Turcken zihen vnd Jhnen<br />

schlagenn wie offtmals geschehen da man<br />

hat wollen <strong>de</strong>n glauben beschirmen wid<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>n Turcken vnnd ist doch kein glaube<br />

da gewesen. Dan wo <strong>de</strong>r glaube Jst do Jst<br />

auch christi lebenn, wo christi leben Jst<br />

do Jst kein krieg mit leiblichen waffen“. 95<br />

Auch in dieser Auffassung steht Weigel<br />

wie<strong>de</strong>rum nahe <strong>bei</strong> Paracelsus. Dieser<br />

schrieb in seiner „Auslegung <strong>de</strong>r Zehn Gebote“<br />

zum 5. Gebot: „Was ists: man hat<br />

or<strong>de</strong>n mit landsknechten, <strong>de</strong>n Türken zu überwen<strong>de</strong>n,<br />

zu erschlagen. was ist das an<strong>de</strong>rs we<strong>de</strong>r<br />

mör<strong>de</strong>rei und ein vermessenliche mör<strong>de</strong>rei? [...]<br />

das ist nun die warheit: <strong>de</strong>r feind Christi soll<br />

überwun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, aber mit <strong>de</strong>r lehr, nit mit<br />

mör<strong>de</strong>rei; dann gott hat nit gemör<strong>de</strong>t zum glauben;<br />

er setzt sein reich nit in die welt mit Julio<br />

[Cäsar], Nebucadnezaro, Alexandro etc., son<strong>de</strong>rn<br />

er hieß seine jünger verkün<strong>de</strong>n das wort<br />

gottes, nicht feldschlachten tun“; 96 – „Wo secht<br />

ihr ein krieg als allein <strong>bei</strong> solchen gotlosen leuten<br />

[nämlich <strong>de</strong>n Reichen und Mächtigen]? die<br />

<strong>de</strong>nken tag und nacht auf solche hen<strong>de</strong>l, wie sie<br />

<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n nechsten überstreiten, überkriegen,<br />

auf dass sie ihn umb das sein bringen“.<br />

97 Goldammer fasst die Position <strong>de</strong>s<br />

Paracelsus wie folgt zusammen: „Glaubenskrieg<br />

und Schwertmission aber wer<strong>de</strong>n<br />

von Paracelsus ein<strong>de</strong>utig abgelehnt. Es<br />

gibt keinen heiligen Krieg. Der angebliche<br />

Krieg für das Wort Gottes wird als Mord<br />

verworfen“. 98<br />

10. Fazit<br />

Kurt Goldammer hat in seiner Untersuchung<br />

zu Weigels Toleranz- und Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e<br />

festgestellt, dass dieser „auf frem<strong>de</strong>n<br />

Schultern“ stehe, und er mache „auch keinen<br />

Hehl daraus, dass er Vorbil<strong>de</strong>r und<br />

Gewährsleute“ habe. 99 Das ist in Bezug<br />

auf <strong>de</strong>n hier behan<strong>de</strong>lten Themenkreis sicher<br />

richtig, min<strong>de</strong>rt aber in keiner Weise<br />

<strong>de</strong>n Wert <strong>de</strong>r progressiven humanistischen<br />

Botschaft, die Weigel mit <strong>de</strong>m Toleranzgedanken<br />

weitergibt. Warum soll eine I<strong>de</strong>e,<br />

welche die Menschheit im guten Sinne<br />

voranzubringen imstan<strong>de</strong> ist, nicht aufgegriffen<br />

und ausgebaut wer<strong>de</strong>n? Nur so<br />

konnte eine Entwicklung geför<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n,<br />

die in <strong>de</strong>r Aufklärung schließlich zu<br />

einem vorläufigen Ziel gelangt ist.<br />

Über Paracelsus und Sebastian Franck<br />

hinausweisend fin<strong>de</strong>t sich die Toleranzi<strong>de</strong>e<br />

in Weigels Werk nicht nur als gelegentliche<br />

Einfügung, son<strong>de</strong>rn ist als integraler Bestandteil<br />

<strong>de</strong>s spirituellen Programms <strong>de</strong>s<br />

Lebens christi seinem theologischen Denken<br />

immanent.<br />

Nicht gerechtfertigt erscheint mir <strong>de</strong>r<br />

jüngst von Berndt Hamm geäußerte Vorhalt,<br />

dass die „Weigelsche Gegennormierung“<br />

zur „Konkordienformel“, welche<br />

„eine Entgrenzung und Diffusion <strong>de</strong>s<br />

christentums“ be<strong>de</strong>ute, „freilich auf ihre<br />

Weise – allem Nicht-Spiritualistischen gegenüber<br />

– auch abgrenzend und intolerant,<br />

allerdings nicht verfolgungsbereit“<br />

sei. 00 Toleranz als Konfliktbegriff darf gegenüber<br />

Intoleranz und Intransigenz nicht<br />

wehrlos erscheinen, wenn sie ihr ursprüngliches<br />

Anliegen selbst nicht aufgeben will.<br />

Weigels Polemik gegen <strong>de</strong>n durch die offiziellen<br />

Kirchen ausgeübten Glaubenszwang<br />

und die damit verbun<strong>de</strong>nen Verketzerungen<br />

und Verfolgungen vermeintlicher Häretiker<br />

ist in diesem Sinne als Verteidigung <strong>de</strong>r<br />

Toleranz, das heißt <strong>de</strong>r Glaubens- und Religionsfreiheit<br />

zu verstehen.<br />

Weigels Toleranzgedanke hat <strong>de</strong>s Weiteren<br />

nichts zu tun mit Indifferentismus<br />

o<strong>de</strong>r mit irgen<strong>de</strong>iner Form von religiöser<br />

4


Gleichgültigkeit, son<strong>de</strong>rn damit, dass das<br />

entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Moment <strong>de</strong>s Glaubens einzig<br />

und allein in <strong>de</strong>r Seele <strong>de</strong>s einzelnen<br />

Menschen seinen Platz hat, als <strong>de</strong>ssen einzige<br />

Regel das Leben christi zu gelten hat.<br />

Das ist <strong>de</strong>r theologische Inhalt seiner<br />

gleichnamigen Schrift „Vom Leben christi“.<br />

Alle an<strong>de</strong>ren, die Reglementierung o<strong>de</strong>r<br />

Dogmatisierung <strong>de</strong>s Glaubens bewirken<strong>de</strong>n<br />

Dinge wie Sakramente, Zeremonien, Bekenntnisse,<br />

Kirchen, Gottesdienste und<br />

an<strong>de</strong>res sind Akzi<strong>de</strong>nzien, das heißt Zutaten,<br />

die so o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rs aussehen o<strong>de</strong>r<br />

auch ganz fehlen können, ohne dass da<strong>bei</strong><br />

auch nur das kleinste Stück <strong>de</strong>s Glaubens<br />

verlorenginge, ohne dass nur das kleinste<br />

Stück <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Glauben verbun<strong>de</strong>nen<br />

göttlichen Gna<strong>de</strong> und Vergebung abhan<strong>de</strong>nkäme.<br />

Daraus ergibt sich von alleine die notwendige<br />

Folgerung, dass <strong>de</strong>n einzelnen<br />

Ausprägungen von Glauben und Kirche,<br />

<strong>de</strong>n Konfessionen, ja auch <strong>de</strong>n unterschiedlichen<br />

Religionen keine Heilsnotwendigkeit<br />

mehr zukommt, da sie äußere<br />

Dinge sind und bleiben. Sie sind für <strong>de</strong>n<br />

äußeren Menschen eingesetzt, und für diesen<br />

sind sie so akzeptabel, wie sie jeweils<br />

sind. Ein objektives Kriterium, <strong>de</strong>n richtigen<br />

vom falschen Glauben zu unterschei<strong>de</strong>n,<br />

ist <strong>de</strong>m menschlichen Erkenntnisvermögen<br />

nicht gegeben. Daher ist die einzig<br />

mögliche Haltung, mit welcher <strong>de</strong>r christ<br />

an<strong>de</strong>ren Konfessionen o<strong>de</strong>r Religionen begegnen<br />

kann, die Haltung <strong>de</strong>r Toleranz. Es<br />

ist nicht Aufgabe <strong>de</strong>s Menschen, <strong>de</strong>n Weizen<br />

vom Unkraut zu schei<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn<br />

das ist Aufgabe <strong>de</strong>r Engel am Jüngsten Gericht,<br />

wie Weigel mehrfach unter Berufung<br />

auf die klassische Toleranzstelle, das<br />

Gleichnis vom Unkraut unter <strong>de</strong>m Weizen<br />

in Mt. 3, ausführt.<br />

Es bleibt weiterhin festzuhalten, dass<br />

hier ein Spannungsfeld entsteht zwischen<br />

<strong>de</strong>n realen Zustän<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Zeit Weigels<br />

42<br />

o<strong>de</strong>r auch Sebastian Francks und <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

und ihren Vorstellungen von Toleranz<br />

und Frie<strong>de</strong>n zwischen <strong>de</strong>n unterschiedlichen<br />

Bekenntnissen und Religionen.<br />

Die Frage ist berechtigt, was von<br />

einer Toleranzi<strong>de</strong>e, die sich gegen die vorherrschen<strong>de</strong><br />

Meinung und Gepflogenheit<br />

<strong>de</strong>r Zeit stellt, zu halten ist. Han<strong>de</strong>lt es<br />

sich um eine ernst zu nehmen<strong>de</strong> Position,<br />

welche sich offen und bewusst gegen <strong>de</strong>n<br />

Zeitgeist stellt und eine Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r<br />

Gegebenheiten bewirken will? Hat sie missionarischen<br />

charakter? O<strong>de</strong>r ist es, wie<br />

Kurt Goldammer die Haltung einordnet,<br />

eine Min<strong>de</strong>rheitenposition religiöser<br />

Randgruppen wie <strong>de</strong>r Täufer, <strong>de</strong>r Spiritualisten<br />

und an<strong>de</strong>rer, die sich diese Meinung<br />

nur leisten konnten, weil sie überwiegend<br />

im Verborgenen blieb und nicht aktiv in<br />

das politisch-gesellschaftliche <strong>Ges</strong>chehen<br />

eingebracht wur<strong>de</strong>? 0<br />

In seinem Aufsatz über „Aspekte <strong>de</strong>s<br />

Frie<strong>de</strong>ns<strong>de</strong>nkens“ verteidigt Siegfried<br />

Wollgast utopisches Denken, <strong>de</strong>m er die<br />

Frie<strong>de</strong>nsvorstellungen <strong>de</strong>s Erasmus von<br />

Rotterdam, Sebastian Francks o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

zuordnet, gegen abwerten<strong>de</strong> Beurteilungen.<br />

In <strong>de</strong>r Utopie sieht Wollgast zu<br />

Recht „antizipieren<strong>de</strong>s Bewusstsein“. „Utopien<br />

streben [...] nach <strong>de</strong>m Unmöglichen,<br />

wo<strong>bei</strong> sie <strong>de</strong>m Machbaren ein mehr o<strong>de</strong>r<br />

min<strong>de</strong>r großes Stück vorwärts zu helfen<br />

vermögen“. 02 In Sebastian Francks „universaler<br />

Toleranz“, welche „aus <strong>de</strong>m Recht<br />

<strong>de</strong>s religiösen Individualismus“ gespeist<br />

wer<strong>de</strong>, sei „<strong>de</strong>r Gedanke einer Trennung<br />

von Kirche und Staat ebenso angelegt wie<br />

die I<strong>de</strong>e von <strong>de</strong>r Religion als Privatsache“. 03<br />

Vor allem Letzteres ist auch in <strong>de</strong>n vorgetragenen<br />

Positionen Weigels zu erkennen.<br />

In diesem Sinne eines in die Zukunft wirken<strong>de</strong>n<br />

Beginns sollten die Toleranz- und<br />

Frie<strong>de</strong>nsgedanken eines Sebastian Franck,<br />

eines Paracelsus und auch eines Valentin<br />

Weigel betrachtet wer<strong>de</strong>n.


Öffentlicher Vortrag am 5. .2006 im Kulturpalast<br />

Dres<strong>de</strong>n. – Die geringfügig überar<strong>bei</strong>tete<br />

Druckfassung ist Hans-Henrik Krummacher zum<br />

75. Geburtstag gewidmet.<br />

2 Die Schriften Valentin Weigels. Eine literarkritische<br />

Untersuchung. (Historische Studien 370). Berlin<br />

940. (Neudruck Vaduz 965).<br />

3 Philosophie in Deutschland zwischen Reformation<br />

und Aufklärung 550 – 650. Berlin 988. 2 993.<br />

4 Vgl. z. B.: Valentin Weigel und seine Stellung in<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Philosophie- und Geistesgeschichte,<br />

in: Siegfried Wollgast, Vergessene und Verkannte.<br />

Zur Philosophie und Geistesentwicklung in<br />

Deutschland zwischen Reformation und Frühaufklärung.<br />

Berlin 993, 222 – 253.<br />

5 Horst Pfefferl, Die Überlieferung <strong>de</strong>r Schriften Valentin<br />

Weigels. Phil. Diss. [Masch.] Marburg 99<br />

(Kurzfassung als Diss.-Teildruck Marburg 99<br />

[ 992]).<br />

6 Vgl. Valentin Weigel: Sämtliche Schriften. Hg. v.<br />

Will-Erich Peuckert u. Winfried Zeller. Stuttgart-<br />

Bad cannstatt, – 7 ( 962 – 978; weiterhin zitiert<br />

als Weigel, Sämtliche Schriften); <strong>de</strong>rs.: Neue<br />

Edition. Hg. v. Horst Pfefferl. Stuttgart – Bad<br />

cannstatt, III ( 996); IV ( 999); VII (2002); VIII<br />

( 997); XI (2007; weiterhin zitiert als Weigel, Neue<br />

Edition).<br />

7 Valentin Weigel ( 533 – 588). German Religious<br />

Dissenter, Speculative Theorist, and Advocate of<br />

Tolerance. Albany 2000; Valentin Weigel, Selected<br />

Spiritual Writings. Translated and Introduced by<br />

Andrew Weeks. (The classics of Western Spirituality.<br />

A Library of the Great Spiritual Masters). New<br />

York 2003.<br />

8 Berndt Hamm, Rezension zu Weigel, Neue Edition<br />

VII, in: Wolfenbütteler Renaissance-Mitteilungen<br />

28 (2004), 07.<br />

9 „Süd<strong>de</strong>utschen Zeitung“ vom 7. Oktober 2006,<br />

Feuilleton S. .<br />

0 Ebd.<br />

Zu <strong>de</strong>n nachfolgen<strong>de</strong>n Ausführungen zu Weigels<br />

Lebensumstän<strong>de</strong>n und zu seinem Werk ist zu verweisen<br />

auf meinen Weigel-Artikel in <strong>de</strong>r Theologischen<br />

Realenzyklopädie (weiterhin zitiert als TRE),<br />

Band 35, 447 – 453, und die ebd. angegebene Literatur.<br />

2 Vgl. die kritische Ausgabe <strong>bei</strong><strong>de</strong>r Werke in Weigel,<br />

Sämtliche Schriften 3.<br />

3 Erstdruck Halle 609.<br />

4 Vgl. die kritische Ausgabe in Weigel, Neue Edition<br />

III.<br />

5 Vgl. die kritische Ausgabe ebd. VIII.<br />

6 „Es kan niemand zu mir komen / es sey <strong>de</strong>nn / das<br />

jn ziehe <strong>de</strong>r Vater [...]. Es stehet geschrieben in<br />

ANMERKUNGEN<br />

<strong>de</strong>n Propheten / Sie wer<strong>de</strong>n alle von Gott geleret<br />

sein“ (hier wie nachfolgend sind die Schriftzitate<br />

nach <strong>de</strong>r Ausgabe <strong>de</strong>r Lutherbibel von 545 wie<strong>de</strong>rgegeben).<br />

7 Weigel, Neue Edition III, 54, 22 – 29.<br />

8 Ebd. VIII, 74, 4 – 2.<br />

9 Vgl. ebd. IV passim.<br />

20 Weigel, Sämtliche Schriften , 99 f.<br />

2 Vgl. z. B. die Kapitel 3 und 9 <strong>de</strong>r „Natürlichen<br />

Auslegung von <strong>de</strong>r Schöpfung“ von 577, Weigel,<br />

Neue Edition XI, 47 – 50 und 74 – 79 sowie<br />

ebd. die entsprechen<strong>de</strong>n Anmerkungen.<br />

22 Vgl. in <strong>de</strong>n Kapiteln 9 und 0 <strong>de</strong>r „Natürlichen<br />

Auslegung“: „Was machen dan viel wortt die weltgelertten<br />

in Jhrer auslegung von <strong>de</strong>n Naturlichen<br />

tagenn, als habe Gott seine werck vollbracht, nach<br />

<strong>de</strong>m lauff <strong>de</strong>r Sonnen. Saget man zu Jhnen es war<br />

Ja kein Sonne, am ersten, an<strong>de</strong>rn vndt dritten tagewercke,<br />

sie kam erst herfur am virtten tagewercke,<br />

So sprechen sie, Gott habe die ersten drei tage<br />

eine lichte wolcken geschaffen, das er mit <strong>de</strong>n Engeln<br />

sehen köntte. Do merckestu Jhre weisheit, so<br />

sie dar<strong>bei</strong> weren gewehsen, sie soltten wohl Gotte<br />

vndt <strong>de</strong>n Engeln eine lattern angezun<strong>de</strong>t furgetragen<br />

haben“; - „Solchs wirdt gesagt vmb <strong>de</strong>rer willen,<br />

die da <strong>de</strong>n Genesin auslegen, nach sinnlicher<br />

weise auf tagelöhnrisch, wie ein drescher einen tag<br />

souiel Korn drischt, vndt <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn aber souiel<br />

schock, vndt also wil Jch hiermit verworffen haben<br />

alle grobe danzappische auslegung, die bis anhero<br />

mit vielen langen wortten ist an tag bracht wor<strong>de</strong>n,<br />

do man doch hette sollen schonen <strong>de</strong>s vnschuldigen<br />

papiers vn<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Jugent sie zuuerführen“,<br />

Weigel, ebd. XI, 78, 6 – 79, und 86, 4 – 9.<br />

23 Weigel, ebd. XI, 200, 4 – . – Vgl. noch die folgen<strong>de</strong>n<br />

Stellen: Predigt 2 <strong>de</strong>r „Handschriftlichen Predigtensammlung“<br />

von 573 – 574: „Ja wen man es<br />

ihnen schreibet vnd außlegen will, So wollen sie<br />

es nit wissen, son<strong>de</strong>rn sparen biß in die himlische<br />

Schuell, es sej ietzund zu hoch, Es habe we<strong>de</strong>r<br />

ihr Luther noch Melanthon von disen dingen geschrieben,<br />

darumb dorffen sie es auch nit lernen“<br />

(zitiert ebd. 99 Anm. 3); Kapitel 7 <strong>de</strong>r „Einfältigen<br />

Übung“ von 574: „So fehret <strong>de</strong>r schriftgelerte<br />

antichrist doher mit <strong>de</strong>m buchstaben, vnd führet<br />

die einfeltigen von <strong>de</strong>m Zeugnis ihres hertzens,<br />

heraus zum schattenwerck, auf das man solle gleuben<br />

auf gutt bere<strong>de</strong>n, vnd nicht aus <strong>de</strong>m heiligen<br />

geiste. Ja viel seint also verblen<strong>de</strong>t, das sie ihren<br />

vermeinten Pytagoram fur sich nehmen, hangen<br />

an ihrem vermeinten praeceptorj, lesen seine<br />

bucher, vnd lassen die heilige schrifft fahren, halten<br />

mehr von <strong>de</strong>n commenten, als von <strong>de</strong>r Biblia<br />

selbst, welche doch von <strong>de</strong>m heiligen geiste dic-<br />

43


tirt vnd geschrieben ist“ (zitiert ebd. 200 Anm. 2),<br />

o<strong>de</strong>r Predigt 2 <strong>de</strong>r „Handschriftlichen Predigtensammlung“:<br />

„Jst das nit eine grosse plindtheit vnd<br />

faulkeit, seinen glauben auf Mentschen setzen,<br />

sich beschirmen mit an<strong>de</strong>r Leüth vnwissenheit,<br />

vnnd nit weiter Studirn wollen. [...] Es manglet<br />

ihnen [<strong>de</strong>n buchstäbischen Theologen] am besten,<br />

daß sie nit weiter wollen forschen alß ihre vorfahren,<br />

darbej lassen sie es wen<strong>de</strong>n. Es wer<strong>de</strong> es keiner<br />

besser machen, alß ihre Pythagorej“ (zitiert ebd.).<br />

24 Vgl. <strong>de</strong>n Artikel „Königtum“, TRE 9, 326, 30 – 37<br />

und 333, 8 – 2 .<br />

25 Vgl. <strong>de</strong>n Artikel „Inquisition“, TRE 6, 89 ff.<br />

26 Vgl. <strong>de</strong>n Artikel „Toleranz / Intoleranz IV“, Religion<br />

in <strong>Ges</strong>chichte und Gegenwart, 4. Aufl. (weiterhin<br />

zitiert als RGG 4), Bd. 8, Sp. 463; von dort<br />

sind auch die unten angegebenen Belegstellen <strong>bei</strong><br />

Martin Luther entnommen.<br />

27 Vgl. Luther, Weimarer Ausgabe , 264.<br />

28 Vgl. ebd. , 624 f.<br />

29 Vgl. ebd. 6, 535 – 537.<br />

30 Vgl. ebd. 40 / II, 46f.<br />

3 Vgl. ebd. 3 / I, 207 – 2 0; 50,9 – 5.<br />

32 Die „constitutio“ ist eine 532 von Karl V. durchgeführte<br />

Kodifikation <strong>de</strong>s Strafrechts in Deutschland.<br />

Sie sah übrigens die To<strong>de</strong>sstrafe in unterschiedlichen<br />

Formen für eine Fülle von Vergehen<br />

bis hin zu Diebstahl vor und führte in <strong>de</strong>r Folgezeit<br />

zu einer inflatorischen Anwendung dieser<br />

Strafe.<br />

33 Vgl. Willem Nijenhuis, Artikel „calvin, Johannes“,<br />

TRE 7, hier beson<strong>de</strong>rs 575, 34 – 576, 5.<br />

34 Zu <strong>de</strong>n unterschiedlichen theoretischen Ansätzen,<br />

die dieser Frie<strong>de</strong>nsliteratur zugrun<strong>de</strong>liegen, ist auf<br />

zahlreiche Ar<strong>bei</strong>ten von Siegfried Wollgast zu verweisen,<br />

beson<strong>de</strong>rs auf sein Werk über <strong>de</strong>n „Deutschen<br />

Pantheismus im 6. Jahrhun<strong>de</strong>rt“, Berlin<br />

972.<br />

35 Martin Ohst (wie oben), RGG 4 8, Sp. 463.<br />

36 Vgl. Eckhart Stöve, Artikel „Toleranz“, TRE 33,<br />

647, 24 – 47, Zitat ebd. 38 – 39.<br />

37 Zu <strong>de</strong>n nachfolgen<strong>de</strong>n Ausführungen vgl. auch<br />

Horst Pfefferl, „Omnia me christi vita docere potest“.<br />

Das spirituelle Programm <strong>de</strong>r Leben-christi-Thematik<br />

<strong>bei</strong> Valentin Weigel und seine möglichen<br />

Quellen, in: Salzburger Beiträge zur<br />

Paracelsusforschung 37 (2004), 60 – 75.<br />

38 Weigel, Sämtliche Schriften 4, 59 f.<br />

39 Weigel, Neue Edition VII, 25, – 8 und ebd. Anm. .<br />

40 Weigel, ebd. VII, 65, 5 – 8.<br />

4 Ebd. VII, 30, 6 – 9.<br />

42 Ebd. VII, 3 , 3 – 7.<br />

43 Ebd. VII, 35, 9 – 22.<br />

44 Die Bekenntnisschriften <strong>de</strong>r evangelisch-lutherischen<br />

Kirche. Hg. v. Dt. Evangel. Kirchenausschuß.<br />

Göttingen 930, 59, 9 – 33.<br />

44<br />

45 Ebd. 60 Anm. .<br />

46 Vgl. z. B. Kapitel 9 <strong>de</strong>s „Gebetbuchs“: „Aber auff<br />

<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn Seitten nemlich an christo so liegen<br />

sie die göttliche Mayestet an vnnd verneinen <strong>de</strong>n<br />

Schaatz im Ackher, welchen we<strong>de</strong>r Socrates, noch<br />

Plato, noch Mercurius noch Proclus vnd <strong>de</strong>rgleichen<br />

verneinen wur<strong>de</strong>n“, Weigel, Neue Edition<br />

IV, 87, 0 – 3, und die ebd. Anmerkung 8 neben<br />

weiteren Belegen angeführte Stelle aus Sebastian<br />

Francks „Paradoxa“: „Welcher das wort Gottes /<br />

das Lamb christum in ihm predigen höret / vnd<br />

<strong>de</strong>m wort frucht brecht / <strong>de</strong>r wür<strong>de</strong> durch die innwonend<br />

krafft christi warlich christus [...] Als<br />

Abel / Seth / Noe / Loth / Job / Abraham / Hermes<br />

Trimegistus / etc.“<br />

47 Paracelsus, Vom Licht <strong>de</strong>r Natur und <strong>de</strong>s Geistes.<br />

Hg. v. Kurt Goldammer. (Reclams Universal-Bibliothek<br />

8448 [3]). Stuttgart 976, 7 .<br />

48 Kurt Goldammer, Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e und Toleranzgedanke<br />

<strong>bei</strong> Paracelsus und <strong>de</strong>n Spiritualisten. I.<br />

Paracelsus, in: Archiv für Reformationsgeschichte<br />

46 ( 955), 33 (weiterhin zitiert als Goldammer,<br />

Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e).<br />

49 Theophrast von Hohenheim gen. Paracelsus:<br />

Sämtliche Werke. . Abteilung: Medizinische, naturwissenschaftliche<br />

und philosophische Schriften.<br />

Hg. v. Karl Sudhoff. Bd. XIV. München und Berlin<br />

933, 273; vgl. Goldammer, Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e, 33.<br />

50 Weigel, Neue Edition VII, 64, 6 – 8.<br />

5 Ebd. VII, 64, 4 – 6.<br />

52 Ebd. VII, 66, 4 – 9.<br />

53 Sermon „Ob <strong>de</strong>r glaub zu strafen sei“; Paracelsus,<br />

Vom Licht <strong>de</strong>r Natur und <strong>de</strong>s Geistes (wie oben),<br />

7 ; vgl. Goldammer, Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e, 32 f.<br />

54 Psalmenkommentar, zu Psalm , ; zitiert nach<br />

Goldammer, Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e, 42.<br />

55 Paracelsus, Vom Licht <strong>de</strong>r Natur und <strong>de</strong>s Geistes<br />

(wie oben), 72.<br />

56 Goldammer, Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e, 42.<br />

57 Weigel, Neue Edition VII, 5 , 4 – 6.<br />

58 Ebd. VII, 5 , 8 – 9; Ez. = Hesekiel.<br />

59 Ebd. VII, 5 , 0 – 4.<br />

60 Ebd. VIII, 79, 4 – 5.<br />

6 Ebd. VIII, 75, 2.<br />

62 Vgl. ebd. VII, 50, 5 – 9.<br />

63 Ebd. VII, 52, 0 – 2.<br />

64 Zitiert ebd. VII, 52 Anm. 5.<br />

65 Goldammer, Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e, 25.<br />

66 Goldammer, Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e, 2 .<br />

67 Goldammer, Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e, 25.<br />

68 RGG 4 8, Sp. 45 .<br />

69 TRE 33, 64 , 30 – 32.<br />

70 Zu erinnern ist <strong>bei</strong>spielsweise an die bereits erwähnten<br />

Bestimmungen <strong>de</strong>s 4. Laterankonzils<br />

und die Ketzergesetze Friedrichs II. von 2 5 bzw.<br />

220.


7 Weigel, Neue Edition VII, 65, 9 – 3; vgl. auch die<br />

ebd. Anm. 3 angeführte Stelle aus Weigels „Dialogus<br />

<strong>de</strong> christianismo“: „Die Kirche hat keinen leiblichen<br />

stadthalter noch vitztumb, sie ist geistlich,<br />

darumb bleibet christus <strong>de</strong>r Herre, das Heubt<br />

vnd <strong>de</strong>r meister, darff keines Vicarij, hat auch keinen<br />

nie geordnet, Solches sehen wir klerlich Mathei<br />

8. Do die Junger christum fragten Her wer<br />

ist doch <strong>de</strong>r grösseste im Himmelreich, das ist in<br />

<strong>de</strong>r H. Kirchen vf er<strong>de</strong>n? satzte ehr nicht Petrum<br />

zum stadhalter, o<strong>de</strong>r vber die an<strong>de</strong>rn eilfe, sprach<br />

nicht Du bist Elter dann sie, sey du ir Herre, habe<br />

du <strong>de</strong>n schlissel alleine fur dich auf daß die an<strong>de</strong>rn<br />

in <strong>de</strong>ine Hen<strong>de</strong> sehen vnd <strong>bei</strong> dir holen, was<br />

zur seiligkeit notwendig“, sowie Kapitel 29 „Vom<br />

Leben christi“: „Die gewaltigen konige herschen<br />

vnd die gewalt haben heysset man gnedige herrn,<br />

Vos autem non sic Jhr aber nicht also son<strong>de</strong>rn ein<br />

Je<strong>de</strong>r sey <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn diener, ich bleibe ewer Meister<br />

sagt christus“, ebd. VII, 0 , 26 – 29.<br />

72 Ebd. VII, 52, 5 – 8.<br />

73 Zitiert ebd. VII, 52 Anm. ; vgl. noch das ebd. VII,<br />

66 Anm. 8 angeführte Zitat aus <strong>de</strong>r „Kirchen- o<strong>de</strong>r<br />

Hauspostille“: „christus hat nicht <strong>de</strong>n Hencker<br />

o<strong>de</strong>r Teuffel vber seine Kirche gesetzt / Er bleibet<br />

Meister vnnd HERR / vnd alle Obrigkeit die christum<br />

angehet / bleibet vnter <strong>de</strong>m Glauben / vnter<br />

christo / vnd setzet sich nicht zum Richter / vber<br />

<strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>r“.<br />

74 Weigel, Sämtliche Schriften 6, 245.<br />

75 Ebd.<br />

76 Ebd. 6, 247 f.<br />

77 Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch<br />

V, Sp. 644.<br />

78 Weigel, Sämtliche Schriften 6, 248.<br />

79 Vgl. Winfried Zeller, Einleitung zur „Handschriftlichen<br />

Predigtensammlung“, Weigel Sämtliche<br />

Schriften 6, 9 f.; <strong>de</strong>rs., Der ferne Weg <strong>de</strong>s Geistes,<br />

in: <strong>de</strong>rs., Theologie und Frömmigkeit. <strong>Ges</strong>ammelte<br />

Aufsätze 2. Hg. v. Bernd Jaspert. (Marburger<br />

Theologische Studien 5). Marburg 978, 94 f.,<br />

sowie zum Kryptocalvinismus in Kursachsen Helmar<br />

Junghans, Artikel „Kryptocalvinisten“, TRE<br />

20, 25 – 27.<br />

80 Weigel, Sämtliche Schriften 6, 248; <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r genannten<br />

Ketzerchronik han<strong>de</strong>lt es sich um Sebastian<br />

Francks „chronica, Zeitbuch und <strong>Ges</strong>chichtbibel“,<br />

Erstdruck Straßburg 53 ; die dritte darin<br />

enthaltene chronik ist überschrieben „chronica<br />

<strong>de</strong>r Römischen Ketzer“.<br />

8 Weigel, ebd. 6, 250 f.<br />

82 Weigel, Neue Edition VII, 65, 7 – 5.<br />

83 Unter „Flacianern“ sind die <strong>de</strong>n Gnesio-Lutheranern<br />

zuzurechnen<strong>de</strong>n Anhänger <strong>de</strong>s Matthias<br />

Flacius Illyricus ( 520 – 575) zu verstehen; mit<br />

„Synergisten“ wer<strong>de</strong>n Anhänger <strong>de</strong>r auf Philipp<br />

Melanchthon beruhen<strong>de</strong>n Lehre von <strong>de</strong>r Mitwirkung<br />

<strong>de</strong>s menschlichen Willens <strong>bei</strong>m Erlangen <strong>de</strong>r<br />

göttlichen Gna<strong>de</strong> bezeichnet.<br />

84 Weigel, Neue Edition VII, 88, 2 – 0.<br />

85 Ebd. VII, 86, 9 – 87, .<br />

86 Ebd. VII, 88, – 2.<br />

87 Ebd. VII, 54, – 4.<br />

88 Ebd. VII, 54, 4 – 6.<br />

89 Ebd. VII, 54, 7 – 5.<br />

90 Ebd. VII, 54, 7 – 9.<br />

9 Vgl. ebd. VII, 48, 0 – 2; 49, – 4; 73, 5 – 6, u. ä.<br />

92 Ebd. VII, 54, 22 – 25.<br />

93 Ebd. VII, 53, 6 – 2 .<br />

94 Ebd. VII, 54, 26 – 55,2.<br />

95 Ebd. VII, 87, 4 – 0. – Ähnliche Äußerungen fin<strong>de</strong>n<br />

sich viele in Weigels Werk. So sind einige Beispiele<br />

aus seiner „Kirchen- o<strong>de</strong>r Hauspostille“ von<br />

578 / 579 anzuführen, wo es in <strong>de</strong>r Predigt „Am<br />

fünfften Sontage nach Epiphaniae“ heißt: „Denn<br />

vmbs Glaubens willen sol niemand getödtet wer<strong>de</strong>n<br />

/ es thun es auch die Gläubigen nicht / daß<br />

sie jeman<strong>de</strong>s verketzern vnd tödten / vmb <strong>de</strong>s<br />

Glaubens willen / die Schaffe vertreiben nicht die<br />

Wölfe / fangen auch nicht Krieg an mit <strong>de</strong>n Wölffen<br />

/ so wenig als jhr Lamb christus“ (zitiert ebd.<br />

VII, 53 Anm. 5), o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Predigt „Am Sontage<br />

Jnvocavit“: „die christen haben zustreiten / nicht<br />

mit Fleisch vnd Blut / das ist / nicht mit sichtbaren<br />

leiblichen Fein<strong>de</strong>n / die da Fleisch vnnd Blut<br />

haben / da man Büchsen / Schwerdt / Langespieß<br />

brauchet / wie Jsrael die sichtbahren leiblichen<br />

Fein<strong>de</strong> bekriegen muste / zur Figur in das newe Testament<br />

/ welches jetzo <strong>de</strong>r Antichrist nimmt zum<br />

Deckelmantel das Kriegen zuverthedigen / das<br />

man solle <strong>de</strong>n Glauben / das Wort Gottes beschirmen<br />

mit langen Spiessen / und solche Lehre wird<br />

auffgenommen vor recht / Da leuffet jung vnd alt<br />

vor <strong>de</strong>n Türcken / ja wol vor an<strong>de</strong>re Fürsten / vnd<br />

vermeynet / man sey in einem gar guten Stan<strong>de</strong><br />

/ Aber wür<strong>de</strong> christus erkennet / <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>fürste<br />

/ so solle man inne wer<strong>de</strong>n / wie ungebührlich<br />

die Schrifft außgelegt sey von <strong>de</strong>n Kriegen“ (zitiert<br />

ebd. VII, 54 Anm. 3 und 87 Anm. 3); weiter in<br />

<strong>de</strong>r Predigt „Am Sontage nach <strong>de</strong>r Beschneidung“:<br />

„Wie dürffen <strong>de</strong>nn nu die jenigen sich christi o<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>ß Glaubens rühmen / welche vmb Land vnd<br />

Leute kriegen vnd Feldschlachten thun / sie sind<br />

gantz wi<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Glauben / das ist wi<strong>de</strong>r christum<br />

vnd sein Leben / vnd bezeugen / daß sie we<strong>de</strong>r<br />

christum noch die Schrifft erkant haben“ (zitiert<br />

ebd. VII, 54 Anm. ), o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>rselben Predigt:<br />

„Da siehestu <strong>de</strong>n Brunn aller Kriegen / nemlich<br />

auß <strong>de</strong>m Eigenthumb <strong>de</strong>ß willens [und] <strong>de</strong>r<br />

Güter / auß welchen kompt Zanck / Ha<strong>de</strong>r / Krieg<br />

/ Todtschlag / welches kein christ noch Evangelischer<br />

thut noch thun kan / so ers thete vnd krie-<br />

45


gete vmb zeitliche Güter / so were er nicht gläubig<br />

noch Evangelisch“ (zitiert ebd. VII, 55 Anm. ).<br />

96 Theophrast von Hohenheim gen. Paracelsus:<br />

Sämtliche Werke. 2. Abteilung: Theologische und<br />

religionsphilosophische Schriften. Hg. v. Kurt<br />

Goldammer. Bd. VII. Auslegung <strong>de</strong>s Psalters Davids.<br />

T. 4. Bearb. v. Kurt Goldammer. Wiesba<strong>de</strong>n<br />

96 , 63.<br />

97 Zitiert nach Goldammer, Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e, 26.<br />

98 Ebd. 30.<br />

99 Kurt Goldammer, Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e und Toleranzgedanke<br />

<strong>bei</strong> Paracelsus und <strong>de</strong>n Spiritualisten. II.<br />

46<br />

Dr. Horst Pfefferl<br />

Alter Kirchhainer Weg 2 · 35039 Marburg<br />

Franck und Weigel, in: Archiv f. Reformationsgeschichte<br />

47 ( 956), 202 f.<br />

00 Berndt Hamm, Rezension zu Weigel, Neue Edition<br />

VII (wie oben Anm. 8), 06.<br />

0 Vgl. Goldammer, Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e, 20.<br />

02 Siegfried Wollgast, Aspekte <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns<strong>de</strong>nkens<br />

im 6. und 7. Jahrhun<strong>de</strong>rt in Deutschland, in:<br />

<strong>de</strong>rs., Vergessene und Verkannte. Zur Philosophie<br />

und Geistesentwicklung in Deutschland zwischen<br />

Reformation und Frühaufklärung. Berlin 993,<br />

09.<br />

03 Ebd. 34.<br />

Vortrag im Dresdner Kulturpalast am 5. November 2006


Udo Benzenhöfer spricht für die Lebendigkeit<br />

<strong>de</strong>s in <strong>de</strong>r Waldstatt Einsie<strong>de</strong>ln Geborenen<br />

von „Paracelsus-Straßen, Paracelsus-Apotheken,<br />

Paracelsus-Kliniken, Paracelsus-Briefmarken<br />

und Paracelsus- Münzen“,<br />

so fügen wir gern auch „Paracelsus-Denkmale“<br />

hinzu. 2<br />

Denkmale rufen die Erinnerung an eine<br />

be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Persönlichkeit o<strong>de</strong>r ein historisches<br />

Ereignis wach.<br />

Denkmale verkörpern die Erinnerung an<br />

einen zu ehren<strong>de</strong>n Menschen. Die Errichtung<br />

eines Denkmals ist auch immer eingebettet<br />

in eine gewisse Zeit historischer<br />

Prägung, bestimmt durch <strong>de</strong>n allgemeinen<br />

o<strong>de</strong>r lokalen Zeitgeist. Zum Zeitgeist gehört<br />

auch die Durchführung von Jubiläen.<br />

Kritisch sind solche Veranstaltungen zu<br />

werten, wenn sie stolz von Lokalpatriotismus<br />

geprägt im staatlichen Auftrag zur<br />

Darstellung <strong>de</strong>r staatlichen I<strong>de</strong>ologie gefeiert<br />

wer<strong>de</strong>n. Dies wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich im Vergleich<br />

<strong>de</strong>r Ehrungen zum 400. To<strong>de</strong>stage<br />

von Theophrastus Bombast von Hohenheim<br />

im Jahre 94 in Einsie<strong>de</strong>ln und<br />

Salzburg.<br />

Das Vorrecht, die Tradition <strong>de</strong>s Erbes<br />

von Theoprastus Bombast von Hohenheim<br />

zu pflegen, gebührte in erster Linie<br />

diesen <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Orten Einsie<strong>de</strong>ln und Salzburg.<br />

Die Würdigung seines Lebens und<br />

seines Wirkens als Arzt und Humanist<br />

erfolgte örtlich und zeitlich sehr unterschiedlich.<br />

Einsie<strong>de</strong>ln, so informiert das Lexikon,<br />

ist <strong>de</strong>r meist besuchte Wallfahrtsort <strong>de</strong>r<br />

Schweiz im Kanton Schwyz, südlich <strong>de</strong>s<br />

Zürichsees, 800 m hoch gelegen, zwischen<br />

0.000 und 2.000 Einwohnern, bekannt<br />

durch die barocke Benediktinerabtei, bereits<br />

934 gegrün<strong>de</strong>t. Die Stiftskirche baute<br />

caspar Moosbrugger mit seiner Bauhütte.<br />

Die Gna<strong>de</strong>nkapelle beherbergt die Statue<br />

<strong>de</strong>r Maria zu Einsie<strong>de</strong>ln. Das Ortsbild<br />

wird von <strong>de</strong>n zwei Türmen <strong>de</strong>r Stiftskirche<br />

überragt. 3<br />

Werner Lauterbach<br />

EIN DENKMAL DER LIEBE<br />

Ein gutes Lexikon gibt noch einen Hinweis<br />

auf Einsie<strong>de</strong>ln als Geburtsort <strong>de</strong>s<br />

Theophrastus Bombast von Hohenheim,<br />

<strong>de</strong>nn für <strong>de</strong>n biografisch interessierten<br />

Leser ist Einsie<strong>de</strong>ln beson<strong>de</strong>rs mit <strong>de</strong>n<br />

Fragen nach <strong>de</strong>n Eltern, <strong>de</strong>m Standort <strong>de</strong>s<br />

Geburtshauses und Ereignissen seiner ersten<br />

neun Lebensjahre, also seiner Kindheit,<br />

verbun<strong>de</strong>n. Es war sehr erfreulich,<br />

dass eine <strong>de</strong>r ersten gemeinsam organisierten<br />

Ausfahrten <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<br />

<strong>Ges</strong>ellschaft e.V. mit <strong>de</strong>r URANIA e.V.<br />

Dres<strong>de</strong>n von Basel aus ganztags nach Einsie<strong>de</strong>ln,<br />

an die Teufelsbrücke und zum<br />

Mittagessen in die Meinratsklause am<br />

Etzel führte und eine weitere Exkursion<br />

Salzburg zum Ziel hatte.<br />

Spurensuche<br />

Das heutige Denkmal in Einsie<strong>de</strong>ln hat<br />

auch eine Vorgeschichte. Begeben wir uns<br />

auf Spurensuche zum früheren Paracelsus<strong>de</strong>nkmal.<br />

En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Jahres 893 berichteten die<br />

Zeitungen von Einsie<strong>de</strong>ln über ein ungewohntes<br />

Ereignis. Am 0. Dezember 893<br />

erfolgte mittags 3 Uhr in <strong>de</strong>r Schulhauskapelle<br />

zu Einsie<strong>de</strong>ln eine Ge<strong>de</strong>nkfeier zur<br />

Erinnerung an <strong>de</strong>n großen Sohn Theophrastus<br />

Bombast, <strong>de</strong>r unweit von hier,<br />

noch im Klosterbereich <strong>de</strong>r Waldstatt<br />

gelegen, vor 400 Jahren geboren wur<strong>de</strong>.<br />

Wie so oft sind es tatkräftige Männer<br />

und Frauen, die mit hohem persönlichen<br />

Einsatz Vorgänge einleiten und Prozesse in<br />

Bewegung setzen.<br />

Es waren in Einsie<strong>de</strong>ln Eduard Kälin<br />

( 842 – 923), ein Lehrer <strong>de</strong>r Sekundarschule,<br />

<strong>de</strong>r in einem Festvortrag über das<br />

Leben und Wirken <strong>de</strong>s berühmten Sohnes<br />

sprach und Bezirksamtmann Dr. med. F.<br />

Lienhardt ( 855 – 923), <strong>de</strong>r das Schlusswort<br />

<strong>de</strong>m Thema „Parazelsus als Arzt“<br />

widmete.<br />

Eine Paracelsusbüste, nachgestaltet <strong>de</strong>n<br />

Porträts von A. Hirschvogel ( 538), stand<br />

47


von Blumen umgeben auf <strong>de</strong>m Po<strong>de</strong>st im<br />

kleinen Saal, „kunstvoll mo<strong>de</strong>lliert und abgegossen“<br />

von Kleinplastiker Josef Wickart<br />

( 775 – 844). Meinrad Kälin hatte sie um<br />

825 auf einem Po<strong>de</strong>st im Naturalienkabinett<br />

<strong>de</strong>r Schule aufgestellt.<br />

Abends trafen sich etwa 40 Personen,<br />

„Freun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Parazelsusfeier“, im Hotel<br />

Pfauen. Sie berieten über die Errichtung<br />

eines „beschei<strong>de</strong>nen Denkmals“ in Einsie<strong>de</strong>ln.<br />

Da<strong>bei</strong> freuten sich doch viele Paracelsus-Verehrer<br />

über die Resonanz <strong>de</strong>r Aufsätze<br />

in „verschie<strong>de</strong>nen Zeitungen und Kalen<strong>de</strong>rn,<br />

die das Wirken <strong>de</strong>s großen Arztes<br />

und Naturforschers aus <strong>de</strong>m finstern<br />

Wald“ darstellten. So erhielten Mitglie<strong>de</strong>r<br />

eines Komitees <strong>de</strong>n Auftrag, „Vorschläge<br />

zu studieren und auszuar<strong>bei</strong>ten“, aber<br />

weiter geschah vorerst nichts.<br />

Doch dann erwies sich Dr. Raimund<br />

Netzhammer ( 862 – 945), Benediktiner<br />

im Kloster, als Initiator zur Weiterführung<br />

<strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e. Er publizierte um 900 einen<br />

Aufsatz unter <strong>de</strong>r Überschrift „Theophrastus<br />

Parazelsus, das Wissenswerteste über<br />

<strong>de</strong>ssen Leben, Lehre und Schriften“ im<br />

Schulprogramm <strong>de</strong>r Stiftsschule. Damit<br />

gab er <strong>de</strong>r Stadt einen Erinnerungs-Effekt.<br />

Ein Jahr später erschien von ihm <strong>bei</strong> Benziger<br />

die erste „hieländische“ Biografie<br />

über Paracelsus.<br />

„Da <strong>de</strong>r Gefeierte in Einsie<strong>de</strong>ln noch<br />

ein großer Unbekannter war,“ blieb man<br />

beschei<strong>de</strong>n. An <strong>de</strong>r Hauswand <strong>de</strong>s Gasthauses<br />

„Zur Krone“ im Sihltal wur<strong>de</strong> 90<br />

neben <strong>de</strong>r Eingangstür eine Inschrifttafel<br />

angebracht, die auf das Haus seiner im<br />

Jahre 493 erfolgten Geburt hinweisen<br />

sollte. „Sie fällt weniger auf, als wenn ein<br />

Wirt um Ostern herum Bockbier ausschenkt“,<br />

kommentierte ein Herr M.G. in<br />

<strong>de</strong>r Presse. 4<br />

Trotz aller Bemühungen Netzhammers<br />

dauerte es bis zum 9. Juni 906, dass auf<br />

<strong>de</strong>m Platz vor <strong>de</strong>m alten Schulhaus unweit<br />

<strong>de</strong>s Klosters zwei Mo<strong>de</strong>lle als Angebote<br />

für ein künftiges Denkmal stan<strong>de</strong>n. Das<br />

eine „war eine Büste <strong>de</strong>s Parazelsus auf<br />

48<br />

einfachem Postament, das an<strong>de</strong>re, ein<br />

roher Stein mit <strong>de</strong>m Medaillon <strong>de</strong>s Parazelsus,<br />

umgeben von einer Gruppe bewachsener<br />

und verwachsener Steine“. Die<br />

Entscheidung fiel für <strong>de</strong>n rohen Steinblock<br />

mit einer Porträtmedaille und <strong>de</strong>r<br />

Aufschrift „Parazelsus“. Als Stein fand<br />

man einen Findling, einen Sernifit, unterhalb<br />

<strong>de</strong>r Scheerenbrücke (Schierenbrugg)<br />

<strong>bei</strong> Hütten im tosen<strong>de</strong>n Sihltal. Das Medaillon<br />

stammte von einem jungen Künstler<br />

namens Georg Sonntag, <strong>de</strong>r es <strong>de</strong>r<br />

Stadt schenkte. In einem Bericht dazu<br />

heißt es: „Was konnte sich für ein Parazelsus<strong>de</strong>nkmal<br />

besser eignen als ein Findling,<br />

gehoben aus einem wilddurchtosten Wasserlauf?<br />

Glich Parazelsus im Hochtal von<br />

Einsie<strong>de</strong>ln mit seinen kurzen Kin<strong>de</strong>rjahren<br />

nicht auch einem Findling und stemmte er<br />

sich nicht wie ein Felsblock in reißen<strong>de</strong>r<br />

und schäumen<strong>de</strong>r Gischt gegen die wütend<br />

auf ihn einstürmen<strong>de</strong>n Gegner seiner<br />

nur allzu berechtigten Neuerungen?“ Als<br />

Ort hatte das Komitee <strong>de</strong>n Platz vor <strong>de</strong>m<br />

alten Schulhaus gewählt. Ein Achter-Pfer<strong>de</strong>gespann<br />

zog <strong>de</strong>n von Baumeister Kammerer<br />

gespaltenen Findling zum Ort <strong>de</strong>r<br />

Aufstellung. Das Gewicht wur<strong>de</strong> mit 30<br />

Doppelzentner angegeben. Große eratische<br />

Blöcke von <strong>de</strong>n Bergen <strong>de</strong>s Katzenstrick<br />

und <strong>de</strong>n Hundwilern wur<strong>de</strong>n um<br />

<strong>de</strong>n Stein gruppiert, umgeben von einer<br />

alpinen Flora, für die sich die Mitglie<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r Sektion <strong>de</strong>s Alpenvereins <strong>de</strong>s Ortes<br />

verantwortlich fühlten. Eine offizielle Einweihung<br />

gab es nicht. Bald warnte die<br />

Stadtverwaltung vor <strong>de</strong>r Unsitte, Alpenrosen<br />

am Denkmal zu brechen. Ein Eisenzaun<br />

schützte die Anlage. 5<br />

Das damalige Bronzerelief ziert heute<br />

<strong>de</strong>n Ge<strong>de</strong>nkstein an <strong>de</strong>r Teufelsbrücke.<br />

Es vergingen Jahrzehnte ...<br />

Die Initiative zur Pflege <strong>de</strong>s Paracelsus-<br />

Erbes ging vorwiegend auf <strong>de</strong>utsche Paracelsusforscher,<br />

Humanisten, Künstler und<br />

Schriftsteller über. Im Sommer 929 erfolgte<br />

<strong>de</strong>r Aufruf zur Gründung einer Para-


Abb. : 906, Paracelsus<strong>de</strong>nkmal,<br />

Sernifit-Ge<strong>de</strong>nkstein vor <strong>de</strong>r alten Schule in<br />

Einsie<strong>de</strong>ln, Postkarte<br />

celsus-<strong>Ges</strong>ellschaft. Sie erhielt durchaus<br />

regen Zulauf. Von <strong>de</strong>n Gründungsmitglie<strong>de</strong>rn<br />

war beson<strong>de</strong>rs Prof. Karl Sudhoff<br />

( 853– 938), Mitar<strong>bei</strong>ter am Deutschen<br />

Institut für Medizingeschichte, Leipzig,<br />

aktiv. Er publizierte in <strong>de</strong>n Schriftenreihen<br />

„Archiv für <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Medizin“,<br />

„Klassiker <strong>de</strong>r Medizin“ und „Acta Paracelsica“<br />

Werke <strong>de</strong>s Paracelsus und machte<br />

damit die Leistungen <strong>de</strong>s humanistischen<br />

Arztes <strong>de</strong>n Menschen <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

bekannt. Er bemühte sich um die Herausgabe<br />

<strong>de</strong>r Werke <strong>de</strong>s Arztes und Humanisten.<br />

6<br />

Das Interesse <strong>de</strong>r Bevölkerung am Lebensweg<br />

<strong>de</strong>s in Einsie<strong>de</strong>ln geborenen<br />

Theophrastus wur<strong>de</strong> ab 9 7 durch die<br />

Romantrilogie „Die Kindheit <strong>de</strong>s Paracelsus“,<br />

„Das <strong>Ges</strong>tirn <strong>de</strong>s Paracelsus“ und „Das<br />

dritte Reich <strong>de</strong>s Paracelsus“ <strong>de</strong>s Autors<br />

Erwin Guido Kolbenheyer ( 878 – 962)<br />

geför<strong>de</strong>rt. Auf <strong>de</strong>m Schutzumschlag zur<br />

37. Auflage ( 937) warb <strong>de</strong>r Verlag u. a. mit<br />

<strong>de</strong>m Satz: „Neben Luther steht Paracelsus,<br />

<strong>de</strong>r große Heilmeister, als <strong>de</strong>utsche Erscheinung<br />

im Zeitalter <strong>de</strong>s Humanismus<br />

und <strong>de</strong>r Reformation, von Kolbenheyer als<br />

ein Symbol <strong>de</strong>utschen Geistes eindrucksvoll<br />

dargestellt in dieser gewaltigsten Romanschöpfung<br />

unserer Zeit.“ Damit <strong>de</strong>utete<br />

sich schon eine politisch gefärbte<br />

Richtung an. 7<br />

Im III. Reich erschien mit <strong>de</strong>m Film <strong>de</strong>r<br />

Bavaria-Filmgesellschaft „Paracelsus“ mit<br />

Werner Kraus in <strong>de</strong>r Hauptrolle unter <strong>de</strong>r<br />

Regie von Wilhelm Georg Pabst eine erneut<br />

i<strong>de</strong>ologisch gefärbte Sicht auf das<br />

Leben <strong>de</strong>s Arztes.<br />

Waldstatt Einsie<strong>de</strong>ln 1941<br />

In unterschiedlichen Höhepunkten vollzogen<br />

sich 94 Feierstun<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Publikationen<br />

ehren<strong>de</strong>n Inhalts zur Erinnerung<br />

an die 400. Wie<strong>de</strong>rkehr seines To<strong>de</strong>stages.<br />

In Einsie<strong>de</strong>ln bil<strong>de</strong>te sich ein Ehrenkomitee<br />

unter <strong>de</strong>m Vorsitz von S. Gn. Fürstabt<br />

Dr. Ignatius Staub und <strong>de</strong>m Ehrenpräsidium<br />

von Bun<strong>de</strong>srat Dr. Philipp Etter. Das<br />

Lokalkomitee ar<strong>bei</strong>tete unter <strong>de</strong>m Präsidium<br />

von Dr. carl Birchler und <strong>de</strong>m Sekretär<br />

W. K. Kälin. Diesmal gelang ein lan<strong>de</strong>sweites<br />

Engagement für <strong>de</strong>n großen<br />

Arzt. Aus <strong>de</strong>m Einsiedler Arzt Paracelsus<br />

wur<strong>de</strong> ein gefeierter Schweizer!<br />

Veranstalten<strong>de</strong> <strong>Ges</strong>ellschaften waren:<br />

- Kloster und Bezirk Einsie<strong>de</strong>ln<br />

- <strong>de</strong>r Schwyzerische Ärzteverein<br />

- <strong>de</strong>r Historische Verein <strong>de</strong>s Kantons<br />

Schwyz<br />

Die Feier dauerte vom 4. bis zum 6. Oktober<br />

94 . Das Festkomitee ersuchte die<br />

Anwohner <strong>de</strong>s zentralen Bereiches <strong>de</strong>r<br />

Festlichkeiten zur Paracelsusfeier und zum<br />

Rosenkranzfest ihre Häuser zu beflaggen.<br />

Sonnabend, 4. Oktober 1941<br />

Nach <strong>de</strong>r Begrüßung <strong>de</strong>r Gäste und <strong>de</strong>r Eröffnung<br />

<strong>de</strong>r Feierlichkeiten durch die<br />

Herren Fürstabt Ignatius Staub und Bun<strong>de</strong>srat<br />

Dr. Philipp Etter erfolgten Vorträge<br />

in drei Parallelversammlungen, abends Orgelkonzert<br />

und ein Vortrag mit Lichtbil<strong>de</strong>rn<br />

„Paracelsus am Etzel“ vor 300 Teilnehmern.<br />

„Es nahmen Vertreter ziviler,<br />

militärischer und wissenschaftlicher Autoritäten<br />

teil, so auch Rektoren o<strong>de</strong>r ihre Abgeordneten<br />

<strong>de</strong>r Universitäten Basel, Bern,<br />

Freiburg, Lausanne, Neuenburg, St. Gallen,<br />

Genf, Zürich und <strong>de</strong>r Eidgenössischen<br />

Technischen Hochschule.“<br />

Sonntag, 5. Oktober 1941<br />

Nach einem feierlichen Pontifikalamt <strong>de</strong>s<br />

49


Rosenkranzfestes in <strong>de</strong>r Stiftskirche übergab<br />

Prof. Dr. Linus Birchler das neue<br />

Denkmal vor <strong>de</strong>m sogenannten „alten<br />

Schulhaus“ <strong>de</strong>r Öffentlichkeit.<br />

Birchler hatte nicht nur die nötigen<br />

Mittel gesammelt, son<strong>de</strong>rn auch die Texte<br />

für die Inschriften am Sockel ausgewählt.<br />

Das „Denkmal wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong><br />

mit warmem Dank entgegengenommen.“<br />

Am Nachmittag erfolgten weitere Vorträge<br />

und Führungen durch die Paracelsusausstellung.<br />

Abends führte die Züricher Spielgemein<strong>de</strong><br />

„Das Spiel von Paracelsus“ von<br />

Max Geilinge im Theatersaal <strong>de</strong>s Stiftes<br />

auf.<br />

Montag, 6. Oktober 1941<br />

Falls gewünscht, erfolgten Ausflüge zur<br />

Geburtsstätte neben <strong>de</strong>r Teufelsbrücke am<br />

Etzel.<br />

Vorbereitend auf die Vorträge und die<br />

Einsiedler Bewohner informierend, die<br />

nicht zu <strong>de</strong>n Teilnehmern <strong>de</strong>r Vorträge<br />

zählen konnten, erschienen zwei würdigen<strong>de</strong><br />

Aufsätze in <strong>de</strong>r Presse.<br />

So publizierte Dr. Karl Schönenberger<br />

in einer Son<strong>de</strong>r<strong>bei</strong>lage <strong>de</strong>s Einsiedler Anzeigers<br />

über: „Theophrastus Paracelsus, <strong>de</strong>r<br />

Reformator <strong>de</strong>r Heilkun<strong>de</strong>.“ Er fasste in<br />

drei Themenkreisen das damalige Wissen<br />

über <strong>de</strong>n großen Sohn <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> zusammen,<br />

nämlich<br />

. Von <strong>de</strong>r Jugendzeit in Einsie<strong>de</strong>ln bis<br />

zur Flucht aus Basel<br />

2. Sein Wan<strong>de</strong>rleben und früher Tod<br />

3. Seine Werke und seine Be<strong>de</strong>utung.<br />

Unter an<strong>de</strong>rem heißt es: „Alles unterwirft<br />

sein scharfer Geist <strong>de</strong>r Kritik <strong>de</strong>r Vernunft<br />

und <strong>de</strong>s Experimentes; nichts nimmt<br />

er an, was er nicht selber erprobt und erfahren<br />

hat. Seine Heilmittel zieht er aus<br />

allen Reichen <strong>de</strong>r Natur: Zoologie, Botanik,<br />

Mineralogie. Beson<strong>de</strong>rs eifrig war er<br />

in seinem chemischen Laboratorium, nicht<br />

so sehr als Alchemist, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Stein <strong>de</strong>r<br />

Weisen sucht, son<strong>de</strong>rn als Arzt, <strong>de</strong>r die<br />

Heilkräfte <strong>de</strong>r Metalle und Mineralien ergrün<strong>de</strong>n<br />

wollte. Mit ihm bricht eine neue<br />

Epoche <strong>de</strong>r chemie, <strong>de</strong>r sog. Iatrochemie<br />

50<br />

(Heilmittelchemie), an, er fügte das Quecksilber,<br />

Antimon und an<strong>de</strong>re mineralische<br />

und metallische Heilmittel (Zink, Kupfer<br />

usw.) dauernd <strong>de</strong>m Arzneischatze <strong>de</strong>s Mediziners<br />

ein. [...] Daneben aber ist er noch<br />

tief vom Medizinaberglauben <strong>de</strong>r Zeit befangen,<br />

wenn er <strong>de</strong>n <strong>Ges</strong>tirnen eine große<br />

Wirkung auf <strong>de</strong>n menschlichen Körper zugesteht.<br />

Während Mars, Saturn und Venus<br />

auf Wun<strong>de</strong>n einen schlimmen Einfluß ausüben,<br />

sind die im Zeichen <strong>de</strong>r Sonne, Jupiters<br />

und Merkurs entstan<strong>de</strong>nen Wun<strong>de</strong>n<br />

leicht zu heilen, und ganz beson<strong>de</strong>rs hat<br />

<strong>de</strong>r Mond Kraft, nicht nur auf die Zukunft<br />

<strong>de</strong>s Kranken, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>s gesun<strong>de</strong>n<br />

Menschen einzuwirken.<br />

Neben staunenswerten Gedanken – so<br />

re<strong>de</strong>t er z. B. von einer organischen Entwicklung<br />

<strong>de</strong>r gesamten Natur, <strong>de</strong>ren<br />

e<strong>de</strong>lstes Glied <strong>de</strong>r Mensch ist; die Krankheit<br />

sei ein organischer Prozeß <strong>de</strong>ssen<br />

Wesen genau zu erforschen ist – steht <strong>de</strong>r<br />

tollste Unsinn aus <strong>de</strong>r Astrologie, <strong>de</strong>r<br />

Magie, Mantik (Wahrsagerei) und <strong>de</strong>r jüdischen<br />

Kabbala (Geheimlehre).“<br />

Und Schönenberger formulierte auch:<br />

„Die ungeheure Fruchtbarkeit dieses genialen<br />

Geistes ist wahrhaft bewun<strong>de</strong>rnswürdig.“<br />

8<br />

Bei Linus Birchler heißt es:<br />

„Rastlos und quälend forscht er in <strong>de</strong>n<br />

verschie<strong>de</strong>nen Disziplinen, ein Vorläufer<br />

gar vieler mo<strong>de</strong>rner Ent<strong>de</strong>ckungen in<br />

Medizin, Biologie, chemie. Schwankend<br />

steht sein Bild vor <strong>de</strong>n Zeitgenossen und<br />

<strong>de</strong>r Nachwelt. Man hat ihn als Säufer<br />

verlästert, als Kurpfuscher und Landstreicher<br />

gehetzt, als Zauberer gefürchtet,<br />

aber verehrte ihn als Wun<strong>de</strong>rarzt, als<br />

Magier und fast als Heiligen. Paracelsus ist<br />

das eigentliche Urbild <strong>de</strong>s Faust. Goethe<br />

hat, bewußt o<strong>de</strong>r unbewußt, allerlei Paracelsisches<br />

Gedankengut in <strong>de</strong>n zweiten Teil<br />

seiner Menschheitsdichtung gewoben.“<br />

„Hohenheim <strong>de</strong>nkt letztlich theologisch.<br />

Er ist, sich selber unbewußt, ein antiker<br />

Iatromantis, ein Priesterarzt, wie etwa<br />

Empedokles ihn uns geschil<strong>de</strong>rt hat. Er


will nicht ein Organ behan<strong>de</strong>ln, son<strong>de</strong>rn<br />

<strong>de</strong>n ganzen Menschen und zwar Leib und<br />

Seele. Psychologie steht neben ihm in <strong>de</strong>r<br />

Physiologie, Seele neben Leib. Und die<br />

seelische Beschaffenheit <strong>de</strong>s Heilers, <strong>de</strong>s<br />

Arztes, ist ihm so wichtig wie das Heilmittel,<br />

das er stets individuell bemißt. Paracelsus<br />

will nichts weniger als eine metaphysische<br />

Untermauerung <strong>de</strong>r gesamten Heilkunst,<br />

die er wirklich als Kunst auffaßt.<br />

Paracelsus hat wie ganz Wenige sonst das<br />

Ethos <strong>de</strong>s ärztlichen Berufes betont und in<br />

seinen Schriften immer wie<strong>de</strong>r herausgehoben.“<br />

9<br />

Auch <strong>de</strong>r in Zürich und Basel lehren<strong>de</strong><br />

Philosoph und Psychologe carl Gustav<br />

Jung ( 875 – 96 ) erhielt Applaus für seinen<br />

Vortrag. Hierzu <strong>de</strong>r Kommentar von<br />

Dr. A. Haas:<br />

„Prof. Jung hat <strong>de</strong>r Magie und Kabbalistik<br />

in seinem Vortrag einen weiten Raum<br />

zugemessen und durch schlagen<strong>de</strong> Zitate<br />

aus Urtexten uns ein faszinieren<strong>de</strong>s Innenbild<br />

von Paracelsus gegeben, das immer<br />

wie<strong>de</strong>r die Mutterliebe und Verehrung <strong>de</strong>r<br />

Mutter in Son<strong>de</strong>rheit aufleuchten läßt.<br />

Da Paracelsus nie mit Frauen in Berührung<br />

kam, soweit sie nicht Patientinnen<br />

waren und eigentlich nie von Frauen in<br />

seinen Schriften und <strong>Ges</strong>prächen die Re<strong>de</strong><br />

ist, so behielt er einfach in lieben<strong>de</strong>r Sehnsucht<br />

seine Mutter, die er nur neun Jahre<br />

im Etzelhaus an <strong>de</strong>r Brücke gesehen hatte,<br />

in unwan<strong>de</strong>lbarem An<strong>de</strong>nken.“ 0<br />

Noch Jahrzehnte später würdigte Urs<br />

Leo Gantern<strong>bei</strong>n die Re<strong>de</strong> c. G. Jungs:<br />

„Der Beitrag <strong>de</strong>s berühmten Psychologen<br />

c. G. Jung stach beson<strong>de</strong>rs hervor und<br />

mußte <strong>bei</strong> starkem Andrang in einen größeren<br />

Saal verlegt wer<strong>de</strong>n. Mit seinem<br />

Vortrag ‚Paracelsus als geistige Erscheinung‘<br />

gelang Jung eine charakterisierung<br />

<strong>de</strong>s Menschen Paracelsus, die durch ihre<br />

Prägnanz heute noch besticht“.<br />

In <strong>de</strong>n Ausgaben <strong>de</strong>r Tageszeitungen<br />

wur<strong>de</strong>n nahezu alle 20 Vorträge kommentiert.<br />

Gewiss boten auch manche Vorträge<br />

Inhalte zum Debattieren an und sicher<br />

blieben auch in Diskussionsrun<strong>de</strong>n ungeklärte<br />

Fragen offen.<br />

Dr. A. Haas stellte zum Abschluss fest:<br />

„Was Wun<strong>de</strong>r, wenn heute nach <strong>de</strong>m<br />

großen Paracelsusfest in Einsie<strong>de</strong>ln zum<br />

Schlusse ... ein eigentlicher Wirrwarr <strong>de</strong>r<br />

Ansichten über <strong>de</strong>n Ablauf <strong>de</strong>r Lebensgeschichte<br />

und Tätigkeit <strong>de</strong>s größten Arztes<br />

<strong>de</strong>r Zeitenwen<strong>de</strong> von spätmittelalterlicher<br />

Wissenschaft bis zur Aufgeschlossenheit<br />

<strong>de</strong>r Renaissance entstand.<br />

Aber man kann im Sezieren <strong>de</strong>r Seele<br />

eines großen Mannes, <strong>de</strong>r von seiner Jugend<br />

an bis zu seinem To<strong>de</strong> in ruheloser<br />

Wan<strong>de</strong>rung fast ganz Europa dozierend,<br />

lehrend und entbehrend durchquerte, um<br />

schließlich arm und verlassen in Salzburg<br />

zu sterben – man kann im psychoanalytischen<br />

Sezieren <strong>de</strong>r Seele auch zu weit<br />

gehen. Die einan<strong>de</strong>r oft diametral gegenüberstehen<strong>de</strong>n<br />

Ansichten, die in Einsie<strong>de</strong>ln<br />

von <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Professoren<br />

und Privatgelehrten entwickelt wur<strong>de</strong>n,<br />

zeigen nur selbst wie<strong>de</strong>r die Wi<strong>de</strong>rsprüche<br />

in Paracelsus’ Leben, die durch die Forschung<br />

längst bekannt sind.“<br />

An späterer Stelle schrieb Haas:<br />

„Paracelsus war Kämpfer in einem heroischen<br />

Leben.<br />

Ob er mehr Magier als Arzt, mehr<br />

Alchemist als Biologe, mehr Mystiker als<br />

Gnostiker war, diese Fragen kommen erst<br />

sekundär an die Reihe. Sicher aber gilt <strong>de</strong>r<br />

Satz Il<strong>de</strong>fons Betscharts in seinem Paracelsusbuche:<br />

‚Theoprastus Paracelsus gehört<br />

zu jenen Menschen, <strong>de</strong>ren Wirkkraft selbst<br />

<strong>de</strong>n härtesten Knochen ihres Skeletts überdauert,<br />

Menschen, an <strong>de</strong>ren Grab es erst<br />

recht lebendig wird, mit <strong>de</strong>nen man sich<br />

auseinan<strong>de</strong>rsetzen muß, die keine Ruhe<br />

lassen, die ohne Leib über Jahrhun<strong>de</strong>rte<br />

hinweg Krieg führen.‘“ 2<br />

Zum Ergebnis dieses Kongresses zählte<br />

auch die Entschließung, „... alles, was vom<br />

Kathe<strong>de</strong>r aus in Einsie<strong>de</strong>ln gesprochen<br />

wur<strong>de</strong>, durch eine ins Leben zu rufen<strong>de</strong><br />

schweizerische Paracelsus-<strong>Ges</strong>ellschaft lebendig<br />

zu erhalten.“<br />

5


Zwei be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Forschungsergebnisse<br />

Dr. Bruno Lienhardt fand auf <strong>de</strong>m Kongress<br />

ein Podium zur Darstellung seiner<br />

Forschungsar<strong>bei</strong>ten. Er unterbreitete neue<br />

Ergebnisse beson<strong>de</strong>rs zur Lage <strong>de</strong>s Geburtshauses<br />

und zur Familie <strong>de</strong>r Mutter.<br />

Lienhardt bewies, dass das Geburtshaus<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus nicht das heutige Gasthaus<br />

„Krone“ war – trotz <strong>de</strong>r angebrachten Ge<strong>de</strong>nktafel<br />

– und auch nicht die Wirtschaft,<br />

die man links vor <strong>de</strong>m Erreichen <strong>de</strong>r Sihlbrücke<br />

passiert, son<strong>de</strong>rn dass es weiter von<br />

<strong>de</strong>r Sihlbrücke entfernt gestan<strong>de</strong>n haben<br />

muss. Das Wohnhaus von <strong>Bombastus</strong>’<br />

Eltern, heute wür<strong>de</strong> man sagen, sie nutzten<br />

ein Mietrecht im schwiegerelterlichen<br />

Haus, lag nach aufgefun<strong>de</strong>nen Unterlagen<br />

in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s alten Känntli, einem seit<br />

alten Zeiten begangenen Kirchgängerweg<br />

nach Untersyten (Dorf Egg).<br />

Lienhard fand im Urbar von 50 (zu<br />

erklären mit <strong>de</strong>n Akten unserer archivierten<br />

Liegenschaftsämter), dass ein 74<br />

abgerissenes, einem Zacharias Grätzer gehören<strong>de</strong>s<br />

Haus, seit Jahrhun<strong>de</strong>rten im<br />

Familienbesitz <strong>de</strong>r Grätzers war. 50<br />

hieß <strong>de</strong>r Besitzer Uli Grätzer. Ihm gehörte<br />

die Liegenschaft Küelwiesli.<br />

Lienhardt: „Derselbe Uli Grätzer hatte<br />

Güter und Fel<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>r „Sihlbrugg“ inne,<br />

besaß die „Winkleren“, „Bodman“, das<br />

„Kielwislin“, „Burg“ und „Rowlosen“.<br />

Lienhardt bewies, dass das Geburtshaus<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus auf <strong>de</strong>m rechten Berghang<br />

oberhalb <strong>de</strong>r Etzelstraße und <strong>de</strong>r Teufelsbrücke<br />

im sog. Küelwisli gegenüber <strong>de</strong>m<br />

Gasthaus zum „Sternen“ lag. Im Jahre<br />

9 8 wur<strong>de</strong> <strong>bei</strong>m Umbruch eines Teils <strong>de</strong>s<br />

Küelwisli ein Hausfundament und<br />

Scherben von Tongeschirren gefun<strong>de</strong>n.“ 3<br />

Man kann sagen, dass das Geburtshaus<br />

eine beson<strong>de</strong>re Lage hatte. Unmittelbar benachbart<br />

verlief <strong>de</strong>r Pilgerweg vom Zürichsee<br />

nach Einsie<strong>de</strong>ln. Das Gasthaus an <strong>de</strong>r<br />

St. Meinradskapelle auf <strong>de</strong>m Etzel bot für<br />

die Pilger, die von Rapperswill über <strong>de</strong>n Zürichsee<br />

und Pfäffikon kommend <strong>de</strong>n Aufstieg<br />

zum Etzel geschafft hatten, die letzte<br />

52<br />

Rastmöglichkeit vor <strong>de</strong>m schmalen Abstieg<br />

ins Sihltal und einem letzten Aufstieg von<br />

<strong>de</strong>r Sihlbrücke zum Kloster. Und hier im<br />

Brückenbereich wohnte <strong>de</strong>r Arzt Wilhelm<br />

von Hohenheim. Er konnte die wund gelaufenen<br />

Füße <strong>de</strong>r Pilger salben, ihre Atemnot<br />

heilen und ihnen Mut zusprechen,<br />

<strong>de</strong>nn das Pilgerziel war greifbar nahe. Sicher<br />

waren die Pilger ohne viel Bargeld auf die<br />

Reise gegangen, <strong>de</strong>nn Unterstützung fan<strong>de</strong>n<br />

sie <strong>bei</strong> frommen Familien und in Klöstern.<br />

So dürfte Wilhelm Bombast die Kranken<br />

für ein „Vergelt’s Gott“ geheilt haben. Wie<br />

viele tausen<strong>de</strong> Pilger mögen <strong>de</strong>n Pilgerweg<br />

im Laufe <strong>de</strong>r Jahrhun<strong>de</strong>rte beschritten<br />

haben. Nun, hier an <strong>de</strong>r Teufelsbrücke<br />

neigte sich <strong>de</strong>r kilometerweite Weg <strong>de</strong>m<br />

En<strong>de</strong> zu. Sie erhofften sich in <strong>de</strong>n nächsten<br />

Tagen durch ihre Gebete und Opfergaben<br />

Hilfe und Genesung von <strong>de</strong>r wun<strong>de</strong>rtätigen<br />

Schwarzen Madonna Maria in <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong>nkapelle<br />

<strong>de</strong>s Klosters zu erlangen.<br />

908 erfolgte <strong>de</strong>r Abbruch eines Hauses<br />

in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s heutigen Gasthauses<br />

Krone an <strong>de</strong>r Teufelsbrücke. Das Wirtshaus<br />

wur<strong>de</strong> um 8 4 auf <strong>de</strong>n Grundmauern<br />

eines alten Gebäu<strong>de</strong>s erbaut. 3<br />

Und auf <strong>de</strong>r Anhöhe, von <strong>de</strong>r man einst<br />

wie heute das Kloster in seiner vollen<br />

Abb. 2: Teufelsbrücke, Etzelstraße 894.<br />

Das Bauwerk stammt aus <strong>de</strong>m Jahre 7.<br />

Schwyzer Staatsarchiv, Negativplattensammlung<br />

<strong>de</strong>s Ing. Josef Bettschart ( 843 – 900).<br />

Übermittelt durch Herrn Bingisser


Größe und Schönheit erblickte, besäumt<br />

von <strong>de</strong>n mit Schnee und Eis be<strong>de</strong>ckten<br />

Bergen <strong>de</strong>r im Hintergrund gelegenen<br />

Gebirgskette <strong>de</strong>s Glärnisch, steht heute das<br />

Paracelsus-Denkmal.<br />

Die Beantwortung <strong>de</strong>r Frage zur Familie<br />

ergibt sich eigentlich schon aus <strong>de</strong>r Klärung<br />

<strong>de</strong>r Lage <strong>de</strong>s Hauses.<br />

Der Vater Wilhelm Bombast ( 457 –<br />

534) war ein aus <strong>de</strong>m süd<strong>de</strong>utschen<br />

Raum, vermutlich aus Riet <strong>bei</strong> Vaihingen<br />

an <strong>de</strong>r Enz, zugewan<strong>de</strong>rter Arzt aus<br />

Schwaben, „<strong>de</strong>r Arztnei Lizentiat“, wie er<br />

in einer Urkun<strong>de</strong> genannt wur<strong>de</strong>. Er war<br />

<strong>de</strong>r erste in Einsie<strong>de</strong>ln nachweisbare<br />

Klosterarzt und „habe eine schöne Bibliothek<br />

besessen“. Nach <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> seiner<br />

Frau 502 zog er mit seinem Sohn nach<br />

Villach. So hat Theophrastus Bombast von<br />

Hohenheim nur neun Jahre im Sihltal <strong>bei</strong><br />

Einsie<strong>de</strong>ln verlebt.<br />

Über das Leben seiner Mutter, die aus<br />

<strong>de</strong>m Sihltal stammte und <strong>de</strong>m Kloster<br />

Einsie<strong>de</strong>ln als Gottesfrau hörig war, seine<br />

Großeltern und die Jahre seiner Kindheit<br />

weiß man wenig. Selbst sein Geburtsjahr<br />

o<strong>de</strong>r gar das Geburtsdatum sind nicht<br />

exakt beweisbar. Hieß er wirklich Aureolus<br />

Philippus Theophrastus Bombast von Hohenheim?<br />

Der Taufname Theophrastus<br />

wur<strong>de</strong> sicher vom Vater nach <strong>de</strong>m griechischen<br />

Naturforscher Theophrastus benannt.<br />

Mit <strong>de</strong>m Vornamen Aureolus benannte<br />

er sich selbst erstmals im Paragranum<br />

von 530. Danach taucht das Präfix<br />

„para“ mehrfach in <strong>de</strong>n Titeln seiner Bücher<br />

auf, so auch im Paramirum. Und <strong>de</strong>r<br />

Name Philippus steht erstmals auf <strong>de</strong>m<br />

Grabstein in Salzburg.<br />

Der Name Paracelsus wird häufig als<br />

Pseudonym ge<strong>de</strong>utet, unter <strong>de</strong>m er seine<br />

Bücher publizierte. Aber ab 529 fin<strong>de</strong>n<br />

wir häufig <strong>bei</strong><strong>de</strong> Namen Theophrastus Paracelsus<br />

auf <strong>de</strong>m Buchtitel, so nennt auch<br />

die Große Wundartzney von 536 <strong>de</strong>n<br />

Autor Theophrastus von Hohenheim, genannt<br />

Paracelsus.<br />

Eine weitere Deutung könnte sich auf<br />

<strong>de</strong>n römischen Enzyklopädisten celsus<br />

beziehen, dann hieße Paracelsus „über<br />

celsus hinausgehend“. Einigt man sich auf<br />

eine gräkolatinisierte Erklärung hieße<br />

„para“: <strong>bei</strong>, und „celsus“: hoch. 5<br />

Ganten<strong>bei</strong>n führt <strong>de</strong>n Namen Paracelsus<br />

auf die humanistische Ableitung von „Hohenheim“<br />

zurück, „para“ gleich hoch, darüber<br />

hinaus, jenseits, und „cella“ gleich<br />

Zelle, Kammer, Raum. 6<br />

Wir können uns vorstellen, dass <strong>de</strong>r heranwachsen<strong>de</strong><br />

Theophrastus sowohl in <strong>de</strong>r<br />

von seiner Mutter behüteten und <strong>de</strong>n<br />

Großeltern betreuten Welt <strong>de</strong>r Sihltalbauern<br />

aufwuchs, die das Jahr einteilten in die<br />

Zeit <strong>de</strong>s Viehauftriebes auf die Sihlwei<strong>de</strong>n<br />

(bis Walpurgis), gefolgt von <strong>de</strong>n Gras- und<br />

Heuernten und ab Bartholomäi vom erneuten<br />

Auftrieb <strong>de</strong>r Schafe und Rin<strong>de</strong>r auf<br />

die Wiesen und Matten. Auf kargem<br />

Bo<strong>de</strong>n wuchsen Hafer und Gerste. Die<br />

einfache und gesun<strong>de</strong> Ernährung durch<br />

Milch, Käse und Haferbrot ließen ihn<br />

wachsen. Waldreichtum lieferte <strong>de</strong>n Sihlbauern<br />

genügend Holz als Heizmaterial.<br />

Zum an<strong>de</strong>ren dürfte <strong>de</strong>r Vater <strong>de</strong>n Knaben<br />

oft auf sein Pferd genommen und mit ihm<br />

zu Patienten geritten sein. Von klein auf<br />

waren ihm medizinische Ausdrücke zu bestimmten<br />

Vorgängen bekannt, wie Salbenrühren,<br />

Pulvermischen, A<strong>de</strong>rlassen. Als ein<br />

beson<strong>de</strong>res Fest im Klosterleben zu Einsie<strong>de</strong>ln<br />

zählte das aller sieben Jahre gefeierte<br />

Engelweihfest. Ein vergrößerter Pilgerstrom<br />

nahm an <strong>de</strong>n religiösen Kundgebungen<br />

teil. Her<strong>bei</strong>geeilte Schausteller priesen ihre<br />

Waren an. Höhepunkte waren nach alten<br />

Berichten die sportlichen Wettkämpfe zwischen<br />

<strong>de</strong>n Ortsmannschaften von Einsie<strong>de</strong>ln<br />

und St. Gallen im Ringkampf, Steinewerfen<br />

und Weitspringen. Eines <strong>de</strong>r Feste<br />

dürfte Theophrastus erlebt haben.<br />

Weil die Mutter zum Benediktinerstift<br />

Einsie<strong>de</strong>ln gehörte, war Theophrastus nach<br />

damaligem Recht, „daß das Kind <strong>de</strong>r<br />

schlechteren Hand folge, ein Gotteshausmann“.<br />

Ergänzung: Wir wissen, dass <strong>de</strong>r Ein-<br />

53


siedler Gotteshausmann Peter Wessener,<br />

versehen mit einer Vollmacht <strong>de</strong>s damaligen<br />

Abtes Ludwig II. Blarer von Wartensee,<br />

in Salzburg einen silbernen Becher aus<br />

<strong>de</strong>m Nachlass <strong>de</strong>s verstorbenen Bombast<br />

für das Kloster entgegennahm. Dieser berühmte<br />

Becher und vieles an<strong>de</strong>re mehr<br />

ging mit großer Wahrscheinlichkeit in <strong>de</strong>n<br />

Wirren <strong>de</strong>r Franzosenzeit 798 verloren.<br />

Das Kloster stand leer, die Mönche waren<br />

geflohen und es wur<strong>de</strong> geplün<strong>de</strong>rt. Einen<br />

Beweis für die Existenz <strong>de</strong>s Bechers lieferte<br />

<strong>de</strong>r Autor Leu in einem Band <strong>de</strong>r Darstellung<br />

schweizerischer <strong>Ges</strong>chlechter aus <strong>de</strong>m<br />

Jahre 758. Damals war <strong>de</strong>r Becher im<br />

Kloster noch vorhan<strong>de</strong>n.<br />

Seit etlichen Jahren, sicher in Verbindung<br />

mit Kolbenheyers Paracelsus-Roman,<br />

wur<strong>de</strong> in vielen Biografien <strong>de</strong>s <strong>Bombastus</strong><br />

<strong>de</strong>r Name <strong>de</strong>r Mutter als Ochsner genannt.<br />

Dies könnte auch mit <strong>de</strong>r Deutung<br />

<strong>de</strong>s Porträts <strong>de</strong>s Vaters zusammenhängen.<br />

Das Wappen <strong>de</strong>r Hohenheimer zeigt<br />

einen schwarzen Schild mit weißem Balken<br />

und schwarzen Linsen, zuweilen umgeben<br />

von acht Tatzenkreuzen, das Ochsnerwappen<br />

einen weißen Schild mit einem<br />

schwarzen Ochsenkopf.<br />

Die Deutung von acht Tatzenkreuzen<br />

um sein Wappen auf einem Flugblatt mit<br />

seinem Porträt ist unklar. Schweizer Autoren<br />

führen diese Tatzenkreuze auf einen<br />

Hof Wollerau zurück, <strong>de</strong>r von 387 bis<br />

549 zur Herrschaft <strong>de</strong>r Johanniter gehörte.<br />

Diese Kreuze sollen an Grenzsteinen<br />

am Etzel vorhan<strong>de</strong>n sein. Eine Verbindung<br />

zu <strong>de</strong>n Familien Grätzer und zu Bombast<br />

konnte nicht nachgewiesen wer<strong>de</strong>n.<br />

Ingrid Kästner <strong>de</strong>utet die Tatzenkreuze<br />

nur als eine Erweiterung <strong>de</strong>s Familienwappens.<br />

6<br />

Auf <strong>de</strong>m Porträt <strong>de</strong>s Vaters Wilhelm<br />

Bombast von Hohenheim befin<strong>de</strong>t sich<br />

ein Wappen mit einem Ochsen- o<strong>de</strong>r Stierkopf.<br />

Deshalb galt die These, er sei mit<br />

einer Tochter einer im Sihltal ansässigen<br />

Familie Ochsner verheiratet gewesen.<br />

Auch die Ochsner hatten Güter, aber das<br />

54<br />

Küelwisli bewirtschafteten die Grätzer.<br />

Lienhardt nannte folgen<strong>de</strong>n Grund für<br />

die bisherige Deutung <strong>de</strong>s Ochsenkopfes<br />

im <strong>Bombastus</strong>wappen:<br />

„Der Ochsenkopf war im ausgehen<strong>de</strong>n<br />

Mittelalter das Berufswappen <strong>de</strong>r Mediziner.<br />

Sie verehrten St. Lukas als ihren Patron<br />

und nahmen <strong>de</strong>n Ochs in ihr Wappen<br />

auf. Wür<strong>de</strong> es sich auf <strong>de</strong>m Porträt <strong>de</strong>s<br />

Wilhelm Bombast um ein Frauenwappen<br />

han<strong>de</strong>ln, dann müßte es, heraldischen<br />

<strong>Ges</strong>etzen folgend, rechts vom Beschauer<br />

stehen und nicht links, wie es <strong>de</strong>r Fall ist.<br />

Wilhelm wollte als Lizentiat <strong>de</strong>r Medizin<br />

seine Zugehörigkeit zu dieser Berufsgruppe<br />

dokumentieren. Man darf also aus <strong>de</strong>m<br />

Vorhan<strong>de</strong>nsein dieses Wappens keine zu<br />

weit gehen<strong>de</strong>n Schlüsse ziehen, ebenso<br />

wenig, wie man die Nelke in <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>s<br />

Dargestellten auf einen Hochzeiter <strong>de</strong>uten<br />

muß. Sie kann darauf hinweisen, muß es<br />

aber nicht.“ 3<br />

Damit hatte Lienhardt einen wichtigen<br />

Beitrag zur Kindheit <strong>de</strong>s Theophrastus geleistet,<br />

<strong>de</strong>nn Heimstatt und Familie waren<br />

bis zum Alter von neun Jahren für die<br />

Kindheit und Entwicklung von großer<br />

Be<strong>de</strong>utung.<br />

Trotz<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong>n diese damals – also<br />

94 – vorgetragenen Erkenntnisse durchaus<br />

noch nicht von allen Autoren zur<br />

Kenntnis genommen.<br />

Obwohl sich <strong>de</strong>r Lebensweg <strong>de</strong>s Theophrastus<br />

Bombast, seine Wan<strong>de</strong>rkurve <strong>bei</strong>m<br />

Besuch von Villach, Straßburg, Zürich, Basel,<br />

Kolmar, Bad Pfäffers, St. Gallen um seinen<br />

Geburtsort bewegte, kehrte er nie wie<strong>de</strong>r<br />

nach Einsie<strong>de</strong>ln zurück. Aber im Gedächtnis<br />

behielt er die Waldstatt am Etzel im warmen<br />

Familienleben seiner frühen Kindheit.<br />

Deshalb soll Theophrastus selbst zu<br />

Wort kommen:<br />

„Von <strong>de</strong>r Natur bin ich nit subtil gespunnen,<br />

ist auch nit meins Lands Art – <strong>de</strong>r ich bin von<br />

Einsidlen, <strong>de</strong>s Lands ein Schweizer, – daß man<br />

was mit Sei<strong>de</strong>n spinnen erlange. Wir wer<strong>de</strong>n<br />

auch nit mit Feigen erzogen, noch mit Met,<br />

noch Weizenbrot. Aber mit Käs, Milch und


Haberbrot. Das kann nit subtil <strong>Ges</strong>ellen machen.<br />

Zu <strong>de</strong>m, daß eim alle sein Tag anhängt,<br />

was er in <strong>de</strong>r jugend empfangen hat, dieselbe<br />

(Art) ist nur fast grob sein gegen diese subtilen,<br />

katzreinen, suberfeinen Leute. Denn dieselbigen<br />

(die) in weichen Klei<strong>de</strong>rn und in Frauenzimmern<br />

erzogen wer<strong>de</strong>n, und wir, die in Tannzapfen<br />

erwachsen, verstehent einan<strong>de</strong>r nit wohl.“ 6<br />

Wie <strong>de</strong>m auch sei, <strong>de</strong>r Ge<strong>de</strong>nkstein am<br />

Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sihlbrücke über <strong>de</strong>n Fluss<br />

gleicht <strong>bei</strong><strong>de</strong> Varianten einan<strong>de</strong>r an. Noch<br />

immer nimmt <strong>de</strong>r Fluss tief unter <strong>de</strong>r Brücke<br />

seinen wildromantischen Lauf, vorüber<br />

an Felsblöcken und alten Baumwurzeln,<br />

wie zu Zeiten <strong>de</strong>s jungen Theophrastus,<br />

wenn er kletternd und nach Abenteuern<br />

suchend seine Heimat allein, mit <strong>de</strong>m<br />

Vater o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Großvater erkun<strong>de</strong>te.<br />

Zur Errichtung <strong>de</strong>s Denkmals in<br />

Einsie<strong>de</strong>ln<br />

In Vorbereitung <strong>de</strong>r großen Feierlichkeiten<br />

stand die Planung eines Denkmals<br />

auf <strong>de</strong>r Tagesordnung. Eine symbolische<br />

Deutung, die <strong>de</strong>r Nachwelt in 20 Jahren<br />

Rätsel auferlegen könnte, wur<strong>de</strong> abgelehnt.<br />

Es gab erneut die I<strong>de</strong>e, nach <strong>de</strong>r<br />

Darstellung Hirschvogels <strong>de</strong>n humanistischen<br />

Arzt als Ganzfigur auf einen<br />

Sockel zu stellen. Damit wäre sicher eine<br />

„heroische“ Darstellung <strong>de</strong>s wan<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n<br />

Arztes erreicht wor<strong>de</strong>n, aber es mel<strong>de</strong>te<br />

sich ein Mitglied <strong>de</strong>s Komitees zu Wort:<br />

„Wir in seiner Heimat errichten ihm <strong>bei</strong><br />

<strong>de</strong>r schweizerischen Paracelsusfeier ein<br />

Denkmal, das nicht <strong>de</strong>n körperlich unschönen,<br />

kleinen und kahlköpfigen Arzt<br />

darstellt, son<strong>de</strong>rn symbolisch eine Mutter<br />

mit zwei gesun<strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn zeigt.“ Diese<br />

Darstellung, ob die Deutung von zwei gesun<strong>de</strong>n<br />

Kin<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m kranken Mädchen<br />

und <strong>de</strong>m gesun<strong>de</strong>n Buben spricht,<br />

wird mehrfach in <strong>de</strong>r Presse „... als Symbol<br />

alles mütterlich <strong>Ges</strong>un<strong>de</strong>n, das im paracelsischen<br />

Werk geschaffen ist und heute<br />

noch fortwirkt“, ge<strong>de</strong>utet für das <strong>Ges</strong>undmachen<br />

und <strong>Ges</strong>un<strong>de</strong>rhalten. Die Mutter<br />

schaut besorgt o<strong>de</strong>r wohl doch mehr be-<br />

glückt auf das Mädchen, das sie fest im<br />

Arm hält. Das Mädchen schmiegt sich in<br />

Geborgenheit an die Mutter und <strong>de</strong>r<br />

Junge, neben <strong>de</strong>r Mutter stehend, schaut<br />

zu ihr vertrauensvoll empor. Ein Bild<br />

glücklicher Mutterliebe.<br />

Eine interessante Meinung vertritt Ganten<strong>bei</strong>n:<br />

„Ich persönlich stehe <strong>de</strong>m Einsiedler<br />

Paracelsus<strong>de</strong>nkmal etwas ratlos gegenüber.<br />

Wohl kaum einer <strong>de</strong>r zahlreichen Pilger –<br />

<strong>de</strong>r Weg vom Parkhaus zum Klostereingang<br />

führt direkt am Denkmal vor<strong>bei</strong> –<br />

wird hinter <strong>de</strong>r harmonischen Mutterdarstellung<br />

ein Denkmal <strong>de</strong>s Revoluzzers<br />

Paracelsus vermuten, wenn er sich nicht<br />

die Mühe macht, sich zu bücken und die<br />

Sockelinschrift zu lesen. Auch ich hätte ein<br />

Standbild bevorzugt. Der <strong>bei</strong> uns nicht<br />

unumstrittene Autor Franz Rueb vermutete<br />

in seinem Buch „Mythos Paracelsus“<br />

eine Anlehnung an <strong>de</strong>n nationalsozialistischen<br />

Mutterkult (siehe auch Anm. ).<br />

Ich <strong>de</strong>nke mir, dass man das Kloster nicht<br />

provozieren wollte, <strong>de</strong>nn gera<strong>de</strong> in seinen<br />

theologischen Schriften wetterte Paracelsus<br />

gegen Mönche und Klöster als Werke <strong>de</strong>s<br />

Teufels, die mit ihrer Scheinheiligkeit vom<br />

inneren christentum ablenkten. Das<br />

Denkmal befin<strong>de</strong>t sich keine fünfzig Meter<br />

von <strong>de</strong>r Klosterpforte entfernt, da kam<br />

eine Mutterdarstellung <strong>de</strong>r schwarzen<br />

Maria schon näher. Aber warum mussten<br />

zwei Kin<strong>de</strong>r dargestellt wer<strong>de</strong>n? Die Abbildung<br />

<strong>de</strong>r unbekannten Einsiedler Mutter<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus mit <strong>de</strong>m kleinen Theophrast<br />

zu Füßen hätte wie<strong>de</strong>rum einen<br />

Sinn ergeben. Lei<strong>de</strong>r konnte ich damals<br />

nicht mitre<strong>de</strong>n.“ 5<br />

Darüber lässt sich nach<strong>de</strong>nken.<br />

55


Abb. 3: Paracelsus<strong>de</strong>nkmal. Foto Kälin 2003.<br />

Und während man dieses in harmonischen<br />

Zügen <strong>de</strong>r Mutterliebe errichtete<br />

Denkmal verinnerlicht, liest man am Sockel<br />

die ehren<strong>de</strong>n Worte, die Verdienste<br />

<strong>de</strong>s auch als Magus vom Etzel genannten<br />

Humanisten:<br />

„Zum Gedächtnis an <strong>de</strong>n Arzt,<br />

Naturforscher und Philosophen<br />

Theophrastus Paracelsus<br />

Erneuerer <strong>de</strong>r Medizin,<br />

Vater <strong>de</strong>r chemotherapie,<br />

För<strong>de</strong>rer <strong>de</strong>r Biologie und <strong>de</strong>r<br />

Wundarztnei,<br />

Retter <strong>de</strong>r Geistesumnachteten,<br />

Kün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s ärztlichen Ethos,<br />

Eigenwilliger Denker und<br />

<strong>de</strong>mütiger christ,<br />

Freund <strong>de</strong>r Armen.<br />

En<strong>de</strong> 493 neben <strong>de</strong>r Teufelsbrücke<br />

am Etzel geboren,<br />

ist er am 24. September 54<br />

56<br />

nach einem<br />

faustischen Leben zu Salzburg<br />

verstorben.<br />

Seiner Einsidler Heimat einge<strong>de</strong>nk.“<br />

Auf <strong>de</strong>r linken Seite <strong>de</strong>s Denkmalsockels<br />

beginnt <strong>de</strong>r Text mit seinem Wahlspruch,<br />

<strong>de</strong>m politischen credo:<br />

„Eines an<strong>de</strong>rn Knecht sei nicht, wer sein<br />

eigner Herr sein kann.“<br />

Alterius non sit qui suus esse potest<br />

Ein Je<strong>de</strong>r bleib wie ein Fels in seinem<br />

Wesen.<br />

Das Kind<br />

bedarf keines <strong>Ges</strong>tirns und keines<br />

Planeten,<br />

seine Mutter ist sein Planet und sein<br />

Stern.<br />

Selig und mer <strong>de</strong>nn selig ist <strong>de</strong>r Mann<br />

<strong>de</strong>m Got die Gnad gibt <strong>de</strong>r Armut.<br />

Die rechte Tür<br />

<strong>de</strong>r Arznei ist das Licht <strong>de</strong>r Natur.<br />

Der höchste<br />

Grund <strong>de</strong>r Arznei ist die Liebe.<br />

Einen biografischen Bezug lesen wir auf<br />

<strong>de</strong>r rechten Seite <strong>de</strong>s Sockels:<br />

Dass ich mich keiner Rhetorik<br />

noch Subtilitatem berümen kann,<br />

son<strong>de</strong>rn nach <strong>de</strong>r Zungen miner<br />

Gepurt und Lantsprachen, ich<br />

bin von Ainsidlen <strong>de</strong>s Lants ein<br />

Schweizer.<br />

Also bin ich gewan<strong>de</strong>lt<br />

durch die Län<strong>de</strong>r und ein Peregrinus<br />

gewest meine Zeit, allein und<br />

fremd und an<strong>de</strong>rs. Da hast du Got<br />

wachsend lan <strong>de</strong>ine Kunst unter<br />

<strong>de</strong>m Hauche <strong>de</strong>s furchtbaren Win<strong>de</strong>s<br />

mit Schmerzen in mir.<br />

Das neue Denkmal hatte <strong>de</strong>r Bildhauer<br />

Alfons Magg (geb. 4.07. 89 in Zürich)<br />

geschaffen. Zwar konnte es erst nur als Gipsmo<strong>de</strong>ll<br />

gezeigt wer<strong>de</strong>n, doch <strong>de</strong>r Bronzeguss<br />

erfolgte kurze Zeit später.<br />

Auf je<strong>de</strong>n Fall kommt in dieser Darstellung<br />

die Verehrung <strong>de</strong>s Paracelsus für seine<br />

Mutter zum Ausdruck.


Zur Biografie <strong>de</strong>s Künstlers wäre sein Schulbesuch<br />

am Gymnasium <strong>de</strong>r Zisterzienser in<br />

<strong>de</strong>r Mehrau zu nennen und sein Studium an<br />

<strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie in München. Er war Schüler<br />

<strong>de</strong>s Künstlers Adolf von Her. Er erar<strong>bei</strong>tete<br />

eine Büste <strong>de</strong>s Dichters Heinrich Fe<strong>de</strong>rer in<br />

Marmor und 939 saß ihm Papst Pius XII.<br />

in castel Gandolfo sieben Mal Mo<strong>de</strong>ll.<br />

Weitere Ar<strong>bei</strong>ten fan<strong>de</strong>n Aufnahme in die<br />

Stiftsbibliothek von St. Gallen.<br />

Ernst-Louis Bingisser ergänzte unsere<br />

bisherigen Informationen: „Für das Denkmal<br />

saß die ehemalige große Liebe von<br />

Prof. Linus Birchler Mo<strong>de</strong>ll. Es war Frau<br />

Luise Steiner-Benziger, Mirli o<strong>de</strong>r Rainli<br />

(aus Willerzell).“<br />

Er erinnerte sich <strong>de</strong>r zeitgenössischen<br />

Erklärung, „... daß die Statue in Frauengestalt<br />

die sorgen<strong>de</strong> und behüten<strong>de</strong> Kraft <strong>de</strong>r<br />

von Paracelsus geför<strong>de</strong>rten und erneuerten<br />

Heilkunst personifiziert.“ 7<br />

Vor Beginn <strong>de</strong>r Feierlichkeiten hatte<br />

man vom bisher hier stehen<strong>de</strong>n roten<br />

Findling das Medaillon entfernt und befestigte<br />

es an einem neuen Ge<strong>de</strong>nkstein<br />

neben <strong>de</strong>r Sihlbrücke. Der rote Findling<br />

wur<strong>de</strong> jedoch <strong>de</strong>m ersten Abt <strong>de</strong>s Klosters<br />

Eberhard (gest. 958) gewidmet. 8<br />

Unmittelbar nach <strong>de</strong>n Feierlichkeiten<br />

bat Linus Birchler, Professor an <strong>de</strong>r ETH<br />

Zürich, in einem Aufruf um finanzielle<br />

Unterstützung. Man wollte die 20 Vorträge<br />

drucken und Zirkulare zur Gründung <strong>de</strong>r<br />

Paracelsus-<strong>Ges</strong>ellschaft versen<strong>de</strong>n. Nur<br />

vier Personen hatten bisher ihre Spen<strong>de</strong>nfreudigkeit<br />

erklärt, und beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r<br />

Schwyzer Ärzteverein, <strong>de</strong>r zu <strong>de</strong>n Mitveranstaltern<br />

gehörte, wur<strong>de</strong> angesprochen.<br />

Er sollte sich für zwei <strong>de</strong>r Schrifttafeln<br />

finanziell verantwortlich fühlen. Birchler:<br />

„Wäre es nun nicht möglich, daß <strong>de</strong>r eine<br />

o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re unserer Mitbürger post festum<br />

doch noch in <strong>de</strong>n Sack langt?“ 9<br />

Aus heutiger Sicht schätzt U. L. Ganten<strong>bei</strong>n<br />

ein, dass die schweizerischen Vertreter<br />

<strong>de</strong>r Festlichkeiten auch die Vorträge <strong>de</strong>r<br />

Feiern in München und Salzburg mit Interesse<br />

zur Kenntnis nahmen, auf <strong>de</strong>nen ein<br />

<strong>de</strong>utsch-nationalistisches Paracelsusbild geprägt<br />

wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>m zwar viele Schweizer<br />

konträr gegenüberstan<strong>de</strong>n, aber doch nicht<br />

alle. 5<br />

Die Feier in Salzburg<br />

Es bietet sich an, die Frage zu stellen,<br />

wie <strong>de</strong>r Jahrestag in Salzburg gefeiert<br />

wur<strong>de</strong>.<br />

Im Festvortrag <strong>de</strong>s Reichsgesundheitsführers<br />

Dr. conti zum Thema „Vorkämpfer<br />

<strong>de</strong>r neuen <strong>de</strong>utschen Heilkun<strong>de</strong>“<br />

wur<strong>de</strong> bereits zu Beginn geklärt, „... daß<br />

die Grundwerte <strong>de</strong>r NS Weltanschauung<br />

auf <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>s Blutes und <strong>de</strong>r Rasse, <strong>de</strong>nen<br />

<strong>de</strong>r Persönlichkeit und <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s<br />

Kampfes bestehen, ohne <strong>de</strong>nen nichts entsteht<br />

und auch nichts erhalten wird auf<br />

dieser Welt. Über aller Weltanschauung<br />

aber steht das Volk. Nur was <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen<br />

Volke nützt, darf maßgebend für<br />

unser Tun und Lassen sein. [...] Darin liegt<br />

im Tiefsten <strong>de</strong>r Schlüssel verborgen,<br />

warum sich das <strong>de</strong>utsche Volk, vertreten<br />

durch Partei, Staat und Wehrmacht, am<br />

Grabe <strong>de</strong>s Theophrast, Paracelsus von Hohenheim<br />

versammelte.“<br />

Gewiss, conti versäumte nicht in wenigen<br />

Sätzen die Biografie darzustellen:<br />

- auf die Zeitereignisse um 493 einzugehen,<br />

- die Familie <strong>de</strong>s Paracelsus in Einsie<strong>de</strong>ln<br />

zu erwähnen und hinzuweisen<br />

auf die Unterweisung <strong>de</strong>s Sohnes<br />

durch <strong>de</strong>n Vater in <strong>de</strong>r freien Natur,<br />

- auf das Studium an <strong>de</strong>r Hohen Schule<br />

zu Ferrara,<br />

- seine Wan<strong>de</strong>rjahre,<br />

- die Erlebnisse in Basel mit Froben und<br />

<strong>de</strong>n Streit mit autoritätsgläubigen Professoren,<br />

- die Geburtsstun<strong>de</strong> einer neuen Heilkun<strong>de</strong>,<br />

- sein Studium zum Buch über die Bergwerkskrankheiten,<br />

- sein Kampf gegen die Pest, die Franzosenkrankheit<br />

und die tatarischen<br />

Krankheiten,<br />

57


58<br />

- Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Bä<strong>de</strong>r, die Rolle <strong>de</strong>s<br />

Giftes,<br />

- seine auf Beobachtung gegrün<strong>de</strong>te Erfahrung<br />

und das Experiment,<br />

- Zitate zu Erbsün<strong>de</strong> und gottgewollter<br />

Ehe und Kin<strong>de</strong>rlosigkeit.<br />

Aber immer betont conti, „... daß<br />

<strong>de</strong>utsches Arzttum an Paracelsus anknüpft.<br />

[…]<br />

Wir wissen, daß Paracelsus von Hohenheim<br />

bewußt Deutscher war. Er hat sein<br />

Deutschtum betont: ‚Nit ein Apostel o<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>rgleichen bin ich, son<strong>de</strong>rn ein Philosoph<br />

nach <strong>de</strong>utscher Art.‘ Grimmig zog er gegen<br />

die Welschen vom Le<strong>de</strong>r und dankte Gott,<br />

daß er ein geborener <strong>de</strong>utscher Mann war.<br />

... ‚Darum aber, daß ich allein bin, daß ich<br />

neu bin, daß ich <strong>de</strong>utsch bin, verachtet<br />

darum meine Schriften nicht.‘“ 20<br />

conti: „Er liebte sein Volk, an das er<br />

glaubte: ‚Es sind in <strong>de</strong>utscher Nation<br />

mächtig und trefflich gelehrte <strong>Ges</strong>ellen<br />

und Männer.‘ Herausgehoben lesen wir im<br />

Manuskript: ‚Europa hat sein Haupt in<br />

Germania, <strong>de</strong>nn Deutschland ist das<br />

Haupt von Europa.‘“<br />

Seherisch und gegenwartsnahe nannte<br />

conti die Worte: „Deutsch war sein Fernweh,<br />

sein Streben nach Weite.“<br />

Und um <strong>de</strong>m Hörer verstehen zu geben,<br />

was man unter <strong>de</strong>utsch zu verstehen hatte,<br />

zitierte conti ausgerechnet Dietrich Eckart<br />

(gest. 923), 92 Hauptschriftleiter <strong>de</strong>r<br />

führen<strong>de</strong>n Zeitung <strong>de</strong>r NSDAP, <strong>de</strong>s Völkischen<br />

Beobachters und überzeugten<br />

Kampfgefährten Hitlers, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r<br />

Schlagzeile „Deutschland erwache!“ in <strong>de</strong>r<br />

Gründungszeit <strong>de</strong>r NSDAP propagandistisch<br />

wirkte: „... <strong>de</strong>r Wille zum Unmöglichen,<br />

zur Vollendung, sein unruhvoller<br />

Geist, sein zähes Bohren hinein ins Bo<strong>de</strong>nlose<br />

aller Dinge, daher sein Eisenschä<strong>de</strong>l,<br />

<strong>de</strong>r so oft <strong>de</strong>s eignen Vorteils spottet.“ 20<br />

Das stimmt inhaltlich mit <strong>de</strong>m Text<br />

einer Porträtkarte <strong>de</strong>s Arztes überein, auf<br />

<strong>de</strong>r die Unterschrift unter <strong>de</strong>m Bild lautet:<br />

„Ich schreib teutsch, ich lehre teutsch – aus<br />

meinem Blut heraus, aus meinem stolz heraus,<br />

daß ich ein Teutscher bin.“ 2<br />

Natürlich erfolgten auf <strong>de</strong>r Salzburger<br />

Tagung auch wissenschaftliche Vorträge zu<br />

Paracelsus’ Leben und Wirken. Forschungsergebnisse<br />

verschie<strong>de</strong>ner Art gab es<br />

genug. Aber <strong>de</strong>r Reichsgesundheitsführer<br />

gab die i<strong>de</strong>ologische Ausrichtung vor.<br />

Zwei Ereignisse können weiterhin als Erfolg<br />

<strong>de</strong>r Konferenz in Salzburg verbucht<br />

wer<strong>de</strong>n:<br />

950: Die Errichtung einer Paracelsus-<br />

Statue im Salzburger Kurpark von Josef<br />

Thorak ( 889– 952, bekannt als „Bildhauer<br />

<strong>de</strong>s Führers“ auf <strong>de</strong>n Kunstausstellungen<br />

in München). Paracelsus sitzend,<br />

nach<strong>de</strong>nklich sinnierend, ein Buch auf<br />

<strong>de</strong>n Knien.<br />

95 : Gründung <strong>de</strong>r Internationalen<br />

Paracelsus-<strong>Ges</strong>ellschaft mit <strong>de</strong>m Sitz in<br />

Salzburg.<br />

Auch in Dres<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 400. To<strong>de</strong>stages<br />

von Paracelsus gedacht. Dr. Rudolf<br />

Dammert schrieb in <strong>de</strong>r Sonntagsausgabe<br />

<strong>de</strong>r Dresdner Nachrichten vom 23. März<br />

94 über: „Paracelsus. Der bahnbrechen<strong>de</strong><br />

Kün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Naturheilkraft.“<br />

Bereits <strong>de</strong>r zweite Abschnitt bereitet auf<br />

eine unterhaltsame biografische Darstellung<br />

vor:<br />

„Paracelsus Theophrastus <strong>Bombastus</strong> –<br />

erschrecken wir nicht, wenn es <strong>bei</strong> diesem<br />

lateinischen Namen so gelehrt ertönt,<br />

fürchten wir nicht, daß wir in eine wissenschaftliche<br />

Abhandlung verwickelt wer<strong>de</strong>n<br />

und die Stirne runzeln müssen, um <strong>de</strong>n<br />

Sinn zu begreifen. Die Größe <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

besteht gera<strong>de</strong> darin, daß er die Abstraktion<br />

abschüttelte und ein herzerquicken<strong>de</strong>r<br />

Naturbursche war. Sein Leben ist<br />

eine unterhaltsame <strong>Ges</strong>chichte.“ Und<br />

diese unterhaltsame <strong>Ges</strong>chichte über <strong>de</strong>n<br />

Naturburschen stellte <strong>de</strong>r Autor in <strong>de</strong>n<br />

Abschnitten „Herkunft und Kampfansage“,<br />

„Pirschjagd hinter <strong>de</strong>m Volksglauben“,<br />

„Die wan<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Universität“ und<br />

„Sein unvergängliches Verdienst“ mit<br />

einem <strong>Bombastus</strong>bild und <strong>de</strong>r Reproduk-


tion einer Alchemistenküche um 500<br />

(nach einem Gemäl<strong>de</strong> von David Teniers<br />

d. J.) seinen Lesern dar. 22<br />

So hatte Theophrastus Bombast von<br />

Hohenheim Ehrungen auf verschie<strong>de</strong>nen<br />

Ebenen erfahren, wo<strong>bei</strong> die sachlichsten<br />

Vorträge über <strong>de</strong>n Arzt und Humanisten<br />

wohl doch in Einsie<strong>de</strong>ln erfolgt waren.<br />

Be<strong>de</strong>nken sollte man auch, wie diese<br />

Tage im Spätherbst 94 in das politische<br />

Weltgeschehen eingebettet waren. Vergessen<br />

wir nicht, dass sich in jenen Monaten,<br />

in <strong>de</strong>nen diese Paracelsusfeiern stattfan<strong>de</strong>n,<br />

das unter faschistischer Herrschaft<br />

stehen<strong>de</strong> Deutschland mit <strong>de</strong>r Welt im<br />

Kriegszustand befand.<br />

Kriegsberichte in Schweizer Zeitungen<br />

lesen sich allerdings <strong>de</strong>utlich distanzierter<br />

als die <strong>de</strong>utschen Siegesmeldungen. So<br />

zitierte die Neue Einsiedler Zeitung nach<br />

Berichten zu <strong>de</strong>n Paracelsusfeiern unter<br />

<strong>de</strong>r Rubrik „Neuere und Neueste Meldungen“<br />

vom 03. 0. 94 aus <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong><br />

Hitlers zur Eröffnung <strong>de</strong>s dritten Kriegswinterhilfswerkes,<br />

„... daß es sich im Krieg<br />

gegen die Sowjet-Union um <strong>de</strong>n schwersten<br />

Waffengang aller Zeiten handle“. Die<br />

Redaktion kommentiert, es sei Hitler aber<br />

nicht gelungen, die Angriffsabsichten Stalins<br />

zu begrün<strong>de</strong>n.<br />

Abspann<br />

Im Jahre 993 fan<strong>de</strong>n vielfache Würdigungen<br />

<strong>de</strong>s 500. Geburtstages Bombasts<br />

von Hohenheim statt. Die chronistische<br />

Aufar<strong>bei</strong>tung <strong>de</strong>r Feierlichkeiten, darunter<br />

die in Einsie<strong>de</strong>ln, Salzburg und Dres<strong>de</strong>n,<br />

bleibt <strong>de</strong>r Zukunft vorbehalten.<br />

Dank für Unterstützung<br />

Wir danken beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>n Herren Albert<br />

und Ernst Bingisser, Bernau, Schweiz,<br />

für die freundliche Unterstützung <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r<br />

Beschaffung von Kopien, Unterlagen und<br />

Fotos zur Pflege <strong>de</strong>s Erbes von Paracelsus<br />

in Einsie<strong>de</strong>ln.<br />

Ein weiteres Wort <strong>de</strong>s Dankes gilt auch<br />

Herrn Dr. Urs Leo Ganten<strong>bei</strong>n, Zürich, für<br />

<strong>de</strong>n Schriftwechsel in Vorbereitung dieses<br />

Beitrages.<br />

Fotos und Informationen stellten uns<br />

dankenswerterweise ebenfalls Herr Grätzer,<br />

Leiter <strong>de</strong>s Bezirksarchivs Einsie<strong>de</strong>ln und<br />

Herr Bürgermeister Steinbauer, Bad<br />

Gastein, zur Verfügung.<br />

59


Der Vortrag wur<strong>de</strong> für <strong>de</strong>n Druck bear<strong>bei</strong>tet.<br />

2 Benzenhöfer, Udo: Paracelsus. Rororo 997.<br />

Weitere Paracelsus - Denkmale<br />

- Medaillon an <strong>de</strong>r Sihlbrücke auf einem Stein, nahe<br />

Gasthaus Zur Krone.<br />

- Grabmal in Salzburg, am Salzburger Friedhof<br />

St. Sebastian mit Medaillon von Leo von Moos<br />

( 872 – 943), 94 angebracht.<br />

- Paracelsus-Statue im Salzburger Kurpark von Josef<br />

Thorak ( 889 – 952, als „Bildhauer <strong>de</strong>s Führers“<br />

bekannt), 950 aufgestellt, Paracelsus sitzend,<br />

nach<strong>de</strong>nklich sinnierend, ein Buch auf <strong>de</strong>n Knien.<br />

- Paracelsus-Stele in Bad Gastein, Nikolausfriedhof.<br />

Hier zeigt sich die Ehrung <strong>de</strong>r Persönlichkeit <strong>de</strong>s<br />

berühmten Arztes in beson<strong>de</strong>rer Schönheit und<br />

Aussagekraft. 993 von Dr. Guido Friedl aus Bischofshofen<br />

(* 942) gestaltet. „Der Künstler stellt<br />

Paracelsus als Arzt (die tätigen Hän<strong>de</strong>), Pharmazeut<br />

(<strong>de</strong>r Kolben als Ar<strong>bei</strong>tsgerät <strong>de</strong>r Apotheker<br />

und Ärzte), Philosoph (Kopf) und chemiker dar.<br />

Das Schwert kann für die adlige Herkunft, aber<br />

auch für die Geheimmedizin (wir ergänzen, auch<br />

für sein Kämpfertum! – d. V.) ge<strong>de</strong>utet wer<strong>de</strong>n.<br />

Dass Paracelsus ohne Körper dargestellt ist bzw.<br />

sein Körper nur teilweise umrisshaft erkennbar<br />

wird, nimmt Bezug auf die Sage <strong>de</strong>s Unsichtbaren<br />

und Paracelsus’ Aussage, was bleibt, sei Geist.<br />

Der Kopf ist aus Bronze, das Schwert und Korpus<br />

aus Stahl und das Denkmal steht auf einer Granitplatte<br />

aus Oberösterreich, die folgen<strong>de</strong> Inschrift<br />

trägt:<br />

Theoprastus <strong>Bombastus</strong> von Hohenheim<br />

genannt Paracelsus<br />

493 – 993<br />

ALTERIUS NON SIT QUI SUUS ESSE PO-<br />

TEST“.<br />

(Quelle: Information <strong>de</strong>r Kur- und Nationalparkgemein<strong>de</strong><br />

Bad Gastein an <strong>de</strong>n Autor, 08.03.2006).<br />

- Bad Pfäfers: Bronzerelief von Alois Schärli: Paracelsus<br />

in Bad Pfäffers. Paracelsus auf Wan<strong>de</strong>rschaft.<br />

- Villach: Paracelsus-Holzbüste von Sepp Dopner<br />

(nach Hirschvogel).<br />

- Im Paracelsushof befin<strong>de</strong>n sich zwei Steinmedaillons<br />

für <strong>de</strong>n berühmten Arzt und <strong>de</strong>ssen Vater<br />

Wilhelm von Hohenheim, <strong>de</strong>r 505– 534 Stadtarzt<br />

in Villach war.<br />

- Bremen, Büste <strong>de</strong>s <strong>Bombastus</strong> von Honettem<br />

in <strong>de</strong>r Böttcherstraße von Bernhard Hoetger<br />

( 874 – 949), Bildhauer, Architekt, Graphiker, geschaffen<br />

932.<br />

- Beratshausen, Denkmal <strong>de</strong>s <strong>Bombastus</strong> in Ganzkörperdarstellung<br />

vor <strong>de</strong>m Zehnerstadtl, geschaffen<br />

von Mihai Buculai 995, vermutlich Bronze.<br />

60<br />

ANMERKUNGEN<br />

3 Das aktuelle Wissen, Lexikon Bd. 6, S. 20.<br />

4 Manuskript, Denkmalsgedanken. Ortszeitung,<br />

Blatt ohne Datum. Nachbemerkung: Dr. Netzhammer<br />

wur<strong>de</strong> später Erzbischof und Rektor <strong>de</strong>s<br />

Priesterseminars in Bukarest.<br />

5 Zitat: Neue Einsiedler Zeitung, März 939.<br />

6 Ickert, Günter: Zur <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Deutschen<br />

<strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft. In: Manuskripte-Thesen-<br />

Informationen Nr. 7 (200 ), Herausgeber Deutsche<br />

<strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft e.V. (nachfolgend<br />

MTI genannt).<br />

Siehe auch: In Memoriam Karl Sudhoff. In MTI<br />

Nr. 20 (2003).<br />

7 Zitat aus <strong>de</strong>m Text <strong>de</strong>s Buchumschlages „Das <strong>Ges</strong>tirn<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus.“ 37. Auflage ( 937).<br />

8 Schönberg, Karl: Theophrastus Paracelsus, <strong>de</strong>r Reformator<br />

<strong>de</strong>r Heilkun<strong>de</strong>. In: Son<strong>de</strong>r<strong>bei</strong>lage zu Nr.<br />

78 <strong>de</strong>s Einsiedler Anzeigers vom 3. Oktober 94 .<br />

9 Birchler, Linus: Der Magus vom Etzel. In: Einsiedler<br />

Anzeiger, Nr. 77 (82. Jg.), 30.09. 94 .<br />

Siehe auch: Neue Einsiedler Zeitung Nr. 78<br />

(34. Jg.) 03. 0. 94 .<br />

0 Haas, Alois: Paracelsus im Lichte <strong>de</strong>r Wissenschaft.<br />

Das Ergebnis <strong>de</strong>s Paracelsuskongresses in Einsie<strong>de</strong>ln.<br />

In: Beilage <strong>de</strong>r Einsie<strong>de</strong>lner Zeitung (ohne<br />

Datum).<br />

Ganten<strong>bei</strong>n, Urs Leo: Die <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Schweizerischen<br />

Paracelsus-<strong>Ges</strong>ellschaft. In: Salzburger<br />

Beiträge zur Paracelsusforschung 33 ( 999),<br />

S. 84 – 09.<br />

2 Einsiedler Zeitung Nr. 77 (82. Jg.) 30.09. 94 .<br />

3 Lienhardt, Bruno: Wo lag das Geburtshaus <strong>de</strong>s<br />

Paracelsus? In: Son<strong>de</strong>r<strong>bei</strong>lage <strong>de</strong>s Einsiedler Anzeiger<br />

zur Paracelsusfeier, 03. 0. 94 .<br />

Siehe auch:<br />

Bingisser, Albert und Ernst, Bennau, Schweiz.<br />

Schriftwechsel mit <strong>de</strong>m Autor 2003.<br />

Milt, Bernhard: Paracelsus und Zürich. In: Vierteljahresschrift<br />

<strong>de</strong>r Naturforschen<strong>de</strong>n <strong>Ges</strong>ellschaft<br />

Zürich, 94 , S. 32 – 354, hier 34 .<br />

4 Das Foto ist vermutlich die älteste Fotografie <strong>de</strong>r<br />

Teufelsbrücke im Sihltal. Sie stammt vom Ing.<br />

Josef Bettschart (Schwyz) aus <strong>de</strong>m Jahre 894. Das<br />

Motiv wur<strong>de</strong> vom Sihlfluss aus oberhalb <strong>de</strong>r Teufelsbrücke<br />

aufgenommen. Links ist das heute noch<br />

bestehen<strong>de</strong> Bauerngut vor <strong>de</strong>r Brücke zu sehen,<br />

wenn man sich von Einsie<strong>de</strong>ln aus <strong>de</strong>r Brücke nähert.<br />

Außerhalb <strong>de</strong>s Motivs liegt rechts das Gasthaus<br />

Krone.<br />

Eine Würdigung <strong>de</strong>r Fotosammlung besagte 983,<br />

dass die „Ausstellung Bettscharts wie<strong>de</strong>r einmal<br />

jene versunkene Welt in Erinnerung rufen sollte,<br />

<strong>de</strong>r wir heute zu Recht so oft nachtrauern. Jene<br />

schöne Landschaft <strong>de</strong>s Schwyzer Talkessels z. B.


mit ihren Obstgärten, Weilern und Höfen. Das<br />

Dorf mit seiner hohen Lebensqualität! Gewiss,<br />

nicht für alle Menschen war es damals ‚schön‘ auf<br />

dieser Welt, auch in <strong>de</strong>r besterhaltenen Landschaft<br />

nicht. Das soll nicht verkannt wer<strong>de</strong>n! Aber ein<br />

Nach<strong>de</strong>nken, ein Abwägen <strong>de</strong>s im 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

Gewonnenen mit <strong>de</strong>m dafür Verlorenen dürfte<br />

nieman<strong>de</strong>m scha<strong>de</strong>n.“<br />

Siehe auch: Wiget, Josef: Staatsarchivar, Einleitung<br />

zu einer Bettschart-Ausstellung. Manuskript.<br />

( 983).<br />

5 Ganten<strong>bei</strong>n, Urs Leo: Brief an <strong>de</strong>n Autor,<br />

02.03.2006.<br />

6 Kästner, Ingrid: Paracelsus. Biographien hervorragen<strong>de</strong>r<br />

Naturwissenschaftler, Techniker und Mediziner,<br />

Bd. 82, BSB Teubner Verlagsgesellschaft<br />

985, S. 20.<br />

Siehe auch: Kopie <strong>de</strong>s Flugblattes in: 500 Jahre<br />

Paracelsus. Herausgeber: Amt für Kulturpflege,<br />

Departement <strong>de</strong>s Innern <strong>de</strong>s Kanton St. Gallen,<br />

St. Gallen, S. 52.<br />

7 Bingisser, Ernst-Louis: Handschriftliche Notiz,<br />

Jona 05.07. 989.<br />

Milt, Bernhard: Paracelsus und Zürich, in: Vierteljahresschrift<br />

<strong>de</strong>r Naturforschen<strong>de</strong>n <strong>Ges</strong>ellschaft<br />

Zürich, 94 , S. 32 – 354, hier S. 34 . Autor Leu<br />

schreibt auch, Paracelsus stamme aus <strong>de</strong>m Appenzeller<br />

Land und habe Höhener geheißen.<br />

8 K. H.: Findling – Parazelsus-Denkmal – Eberhards-Denkmal<br />

– Planschbecken“. Manuskript, 3<br />

Seiten, Jahr unbekannt, übermittelt von Fam. Bingisser.<br />

Autor unbekannt: Der Denkstein zu Ehren <strong>de</strong>s<br />

Arztes Theophrastus Paracelsus. Manuskript, 2 Seiten.<br />

9 Birchler, Linus: Aus <strong>de</strong>r Waldstatt, Dank und<br />

Bitte. Einsiedler Anzeiger 0. 0. 94 .<br />

20 conti: Vorkämpfer <strong>de</strong>r neuen <strong>de</strong>utschen Heilkun<strong>de</strong>.<br />

Festre<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>r Paracelsus-Ge<strong>de</strong>nkfeier in<br />

Salzburg. In: Die <strong>Ges</strong>undheitsführung, Ziel und<br />

Weg, Heft ( 94 ), S. 355 – 36 . Alle Zitate erfolgten<br />

ohne Quellenangabe.<br />

Siehe auch Prof. Dr. Diepgen: Was wissen wir von<br />

Paracelsus sicher und was be<strong>de</strong>utet er uns heute?<br />

Mit einem Zitat Alfred Rosenberg aus „Mythos<br />

<strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts. In: Die <strong>Ges</strong>undheitsführung<br />

Heft 9 ( 94 ) S. 287 – 299.<br />

2 Postkarte zu Paracelsus, 94 , Text ohne Quellenangabe.<br />

22 Dres<strong>de</strong>ner Nachrichten, 23. März 94 .<br />

23 Neue Einsiedler Zeitung, 03.04. 94 . Neuere und<br />

Neueste Meldungen.<br />

Die Wehrmachtberichte 939 – 945. Bd. . <strong>Ges</strong>ellschaft<br />

für Literatur und Bildung mbH Köln 989.<br />

Bergschicker, Heinz:<br />

Deutsche chronik 933 – 945. Berlin 985.<br />

Dr. Werner Lauterbach · Hainichener Str. 3 • 09599 Freiberg<br />

Kurzfassung eines Vortrages zur Jahreshauptversammlung <strong>de</strong>r<br />

Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft<br />

am 8. März 2006<br />

6


62<br />

Georgios Papadopoulos<br />

PARAcELSUS UND DIE MODERNE MEDIZIN<br />

Was ich heute vorzutragen vorhabe, hat<br />

mit <strong>de</strong>r Relevanz <strong>de</strong>s paracelsischen<br />

Werkes, <strong>de</strong>r paracelsischen Anschauungen,<br />

in unserer heutigen Welt zu tun. Es hat<br />

also mit Fragen wie <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n zu tun:<br />

Wie könnte man heute vernünftigerweise<br />

über das medizinische (und naturwissenschaftliche)<br />

Werk <strong>de</strong>s Paracelsus <strong>de</strong>nken?<br />

Wie (und inwieweit) könnte man heute<br />

das medizinische (und naturwissenschaftliche)<br />

Werk <strong>de</strong>s Paracelsus verstehen? Welche<br />

Urteile über das medizinische (und naturwissenschaftliche)<br />

Werk <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

sind sinnvoll? Das sind Fragen, die immer<br />

wie<strong>de</strong>r auftauchen, entwe<strong>de</strong>r offen ausgedrückt<br />

o<strong>de</strong>r nur in impliziten, verkappten<br />

Formen anwesend.<br />

Ich <strong>de</strong>nke, man versucht noch heute<br />

allzu oft und allzu sehr, Paracelsus im<br />

Lichte <strong>de</strong>r heutigen Medizin (bzw. Naturwissenschaft)<br />

zu verstehen und zu beurteilen.<br />

Man spricht oft so, als ob das Verdienst<br />

(und die Wichtigkeit) <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

zu einem großen Umfang o<strong>de</strong>r fast ausschließlich<br />

darin bestün<strong>de</strong>, dass er Erkenntnisse,<br />

Anschauungen bzw. Techniken<br />

<strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Medizin „eingeleitet“, „vorbereitet“<br />

bzw. vorausgeahnt hat. Man<br />

weist immer wie<strong>de</strong>r auf die eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />

Einzelheit <strong>de</strong>s paracelsischen Denkgebäu<strong>de</strong>s<br />

und <strong>de</strong>r paracelsischen (Anleitungen<br />

zur) praktischen Tätigkeit hin, die angeblich<br />

(mehr o<strong>de</strong>r weniger enge, mehr o<strong>de</strong>r<br />

weniger entfernte) Ähnlichkeiten zu gewissen<br />

„Bestandteilen“ <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Medizin<br />

aufweist. Die Behauptungen und die<br />

dazugehörigen Argumentationen sind fast<br />

immer ziemlich zweifelhaft und nur wenig<br />

überzeugend. Ähnliches gilt, wenn man zu<br />

untersuchen und zu beurteilen versucht, in<br />

welchem Gra<strong>de</strong> eine bestimmte I<strong>de</strong>e o<strong>de</strong>r<br />

eine bestimmte Technik <strong>de</strong>s Paracelsus die<br />

seitherige Entwicklung <strong>de</strong>r Medizin beeinflusst<br />

hat bzw. in welchem Gra<strong>de</strong> eine neuere<br />

Theorie o<strong>de</strong>r eine Technik, welche im<br />

Rahmen <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Medizin für wich-<br />

tig gehalten wird, etwa durch eine mehr<br />

o<strong>de</strong>r weniger lineare Entwicklung einer paracelsischen<br />

I<strong>de</strong>e o<strong>de</strong>r Technik entstan<strong>de</strong>n<br />

ist. Ein Beispiel: Die (alchemische) Bear<strong>bei</strong>tung<br />

von pharmazeutischen Substanzen<br />

<strong>bei</strong> Paracelsus zur Herstellung von<br />

Medikamenten sei, so wird oft behauptet,<br />

eine frühe Form <strong>de</strong>r (und führte schließlich<br />

zur) mo<strong>de</strong>rnen (labormäßigen, chemischen<br />

bzw. industriellen) Arzneimittelproduktion.<br />

Nun ist es heute ziemlich<br />

wohlbekannt, dass solche Bear<strong>bei</strong>tung von<br />

Substanzen (schon recht) vor Paracelsus<br />

angefangen hatte und zur Zeit <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

auch von Leuten betrieben wur<strong>de</strong>, welche<br />

keine richtige Beziehung zur paracelsischen<br />

Medizin und zu <strong>de</strong>n paracelsischen<br />

Anschauungen hatten – o<strong>de</strong>r sogar<br />

Paracelsus gegenüber feindlich stan<strong>de</strong>n. 2<br />

Aber abgesehen davon ist es sehr fraglich,<br />

ob man im Bezug auf Sinn, Zweck, Vorgehensweise,<br />

theoretische Voraussetzungen<br />

usw. irgen<strong>de</strong>ine Gemeinsamkeiten zwischen<br />

<strong>de</strong>r paracelsischen und <strong>de</strong>r heutigen<br />

Arzneimittelherstellung feststellen darf.<br />

Und falls Paracelsus auf die I<strong>de</strong>e gekommen<br />

wäre, eine Voraussage darüber zu machen,<br />

wie er sich die weitere Entwicklung<br />

seiner Arzneimittel vorstellte (bzw.<br />

wünschte), ist es, meine ich, höchst unwahrscheinlich,<br />

dass er etwas wie die heutige<br />

Situation <strong>de</strong>r Arzneimittelherstellung<br />

und Arzneimittelgebrauch als eine „normale“,<br />

zu erwarten<strong>de</strong>, bzw. wünschenswerte<br />

Entwicklung seiner I<strong>de</strong>en und seiner<br />

Praktiken betrachtet hätte.<br />

Die Suche nach Ähnlichkeiten, Parallelitäten<br />

bzw. Nachkommenbeziehungen zwischen<br />

einzelnen Aspekten <strong>de</strong>r paracelsischen<br />

und <strong>de</strong>r heutigen Medizin kann<br />

je<strong>de</strong>s Mal zu weitläufigen Erforschungen,<br />

Diskussionen und Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen<br />

führen, wo<strong>bei</strong> aber keineswegs damit zu<br />

rechnen ist, dass man, in je<strong>de</strong>m bestimmten<br />

Falle, zu einem akzeptablen Schluss irgendwann<br />

gelangen könnte. Wenn es aber da-


auf kommt, die paracelsische Medizin als<br />

Ganzes mit <strong>de</strong>r heutigen, mo<strong>de</strong>rnen Medizin<br />

zu vergleichen, dann wür<strong>de</strong> ich ohne<br />

je<strong>de</strong>n Vorbehalt behaupten, man könnte<br />

in <strong>de</strong>r ganzen <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Medizin<br />

kaum zwei medizinische Systeme fin<strong>de</strong>n,<br />

die so weit voneinan<strong>de</strong>r entfernt und in<br />

solchem Grad miteinan<strong>de</strong>r unvereinbar<br />

wären wie das paracelsische auf <strong>de</strong>r einen<br />

Seite und das System <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Medizin<br />

auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite. Die verfügbare<br />

Zeit erlaubt mir nicht, <strong>bei</strong> diesem Thema<br />

länger zu verweilen. Ich wollte im Moment<br />

nur auf dieses eine hinweisen. Im<br />

Zentrum <strong>de</strong>r paracelsischen Medizin stehen,<br />

in ganz entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Rollen, geistige<br />

Wesenheiten (Entitäten) und Kräfte,<br />

welche „die er<strong>de</strong>n, blut und fleisch nit wissen“,<br />

wie er es ausdrückt. 3 Im schroffen Gegensatz<br />

dazu konzentriert sich die mo<strong>de</strong>rne<br />

Medizin ganz und gar auf materielle<br />

Dinge bzw. Gegebenheiten, die sie mit<br />

technischen Mitteln zu erfassen, zu messen<br />

und zu bear<strong>bei</strong>ten versucht.<br />

Die Tatsache, dass die heutige Medizin<br />

so weit entfernt von <strong>de</strong>r paracelsischen<br />

und so unvereinbar mit ihr ist, hat zwangsläufig<br />

zur Folge, dass man, soweit man die<br />

mo<strong>de</strong>rne Medizin als Ausgangspunkt<br />

nimmt, sich genötigt fühlt, das meiste von<br />

<strong>de</strong>r paracelsischen Medizin als grundfalsch,<br />

als Irrlehren, als Irrpraktiken zu verwerfen.<br />

Das ist übrigens eine Einstellung,<br />

die für sehr viele Leute (Mediziner, Wissenschaftler,<br />

Historiker usw.) und für eine<br />

lange Zeit (seit <strong>de</strong>m 6. bzw. 7. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

bis heute) ziemlich charakteristisch ist.<br />

Nach <strong>de</strong>m schon <strong>Ges</strong>agten wür<strong>de</strong> man<br />

wahrscheinlich erwarten, dass ich etwas darüber<br />

zu sagen habe, wie man sich, meiner<br />

Meinung nach, in an<strong>de</strong>rer Weise <strong>de</strong>m<br />

Werk und <strong>de</strong>n Anschauungen <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

annähern könnte (bzw. sollte). Solch<br />

eine an<strong>de</strong>re Annäherung und eine Begründung<br />

dafür wer<strong>de</strong> ich tatsächlich in zweierlei<br />

Weise zu erläutern versuchen.<br />

Erstens. Meiner Meinung nach können<br />

die medizinischen (o<strong>de</strong>r philosophischen<br />

usw.) Anschauungen einer historischen<br />

Persönlichkeit einen Wert an sich haben,<br />

unabhängig davon, ob sie einen größeren<br />

o<strong>de</strong>r kleineren Einfluss auf die nachfolgen<strong>de</strong>n<br />

hatten, ob, o<strong>de</strong>r in welchem<br />

Gra<strong>de</strong>, o<strong>de</strong>r für wie lange Zeit sie sich<br />

durchsetzen konnten.<br />

Wenn ich eine Analogie benutzen darf,<br />

hat die Architektur <strong>de</strong>s Brunelleschi o<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r Meister <strong>de</strong>s Barock einen Wert an sich<br />

(und sollte auch an sich studiert wer<strong>de</strong>n),<br />

unabhängig vom Einfluss, <strong>de</strong>n sie auf die<br />

nächsten Generationen hatten, unabhängig<br />

davon, dass wir heute ganz an<strong>de</strong>rs<br />

bauen. Und die Philosophie von Plato<br />

und Aristoteles (ich beziehe mich hier beson<strong>de</strong>rs<br />

auf ihre Philosophie <strong>de</strong>r Natur)<br />

hat einen Wert an sich, unabhängig davon,<br />

dass wir heute ganz an<strong>de</strong>rs über die Natur<br />

<strong>de</strong>nken – auch unabhängig davon, dass<br />

ihre Philosophie <strong>de</strong>r Natur, insbeson<strong>de</strong>re<br />

diejenige von Aristoteles, über viele Jahrhun<strong>de</strong>rte<br />

die Gelehrten ganz stark beeinflusst<br />

hat. Dieser „Wert an sich“ könnte<br />

etwas damit zu tun haben, wie die „innere<br />

Struktur“, <strong>de</strong>r „Zusammenhang“, die „Genialität“<br />

usw. dieser Anschauungen war –<br />

auch mit <strong>de</strong>r Faszination, die sie noch<br />

heute auf uns ausüben, mit <strong>de</strong>m, was uns<br />

bewegt, sie noch heute zu bewun<strong>de</strong>rn. Er<br />

hat auch etwas mit <strong>de</strong>r „Leistungsfähigkeit“<br />

dieser Anschauungen zu tun, wie<br />

diese Anschauungen die Phänomene <strong>de</strong>r<br />

Natur zu erklären vermochten, wenn auch<br />

in ganz an<strong>de</strong>ren Weise, als wir es heute<br />

tun.<br />

In Bezug auf Paracelsus gilt es also, nach<br />

<strong>de</strong>m „Wert an sich“ <strong>de</strong>s (medizinischen<br />

usw.) paracelsischen Werkes zu suchen.<br />

Zweitens. Im Anschluss an die grundlegen<strong>de</strong>n<br />

Ar<strong>bei</strong>ten von Thomas Kuhn (und<br />

die vorangegangenen von Ludwig Fleck) 4<br />

und im Rahmen einer Überwindung bzw.<br />

Relativierung <strong>de</strong>r Herrschaft von positivistischen<br />

Anschauungen in <strong>de</strong>r Wissen-<br />

63


schaftstheorie und <strong>de</strong>r Philosophie <strong>de</strong>r<br />

Wissenschaften spricht man heute von Paradigmen<br />

in <strong>de</strong>n Wissenschaften. Ein Paradigma<br />

im Sinne Kuhns ist die allgemeine<br />

Art und Weise, wie die Wissenschaftler<br />

(einer bestimmten Epoche bzw. einer bestimmter<br />

„Schule“ usw.) die Welt bzw. das<br />

Objekt ihrer Wissenschaft „sehen“ – was<br />

sie darin beson<strong>de</strong>rs beachten, was sie für<br />

wichtig halten, wie sie das Beobachtete zu<br />

erklären versuchen usw. Der Begriff <strong>de</strong>r Paradigmen<br />

hat also damit zu tun, dass eine<br />

wissenschaftliche Theorie nicht bloß aufgrund<br />

von Beobachtungen und Experimenten<br />

(in einer direkten und unkomplizierten<br />

Weise) aufgebaut wer<strong>de</strong>n kann –<br />

wie eine empiristische bzw. positivistische<br />

I<strong>de</strong>ologie behaupten wür<strong>de</strong> – son<strong>de</strong>rn dass<br />

da<strong>bei</strong> sozusagen „vorgefasste“ „Einstellungen“,<br />

„Grundanschauungen“ bzw.<br />

„Philosophien“ eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rolle<br />

spielen.<br />

In <strong>de</strong>r Astronomie ist das keplersche<br />

(bzw. das kopernikanische) Paradigma ein<br />

an<strong>de</strong>res als das ptolemäische. In <strong>de</strong>r Physik<br />

ist das Paradigma <strong>de</strong>r Quantentheorie<br />

(bzw. dasjenige <strong>de</strong>r Relativitätstheorie) an<strong>de</strong>rs<br />

als dasjenige <strong>de</strong>r newtonschen Physik.<br />

In diesem Sinne könnte man sagen, das<br />

paracelsische Paradigma ist etwas ganz an<strong>de</strong>res<br />

als das Paradigma <strong>de</strong>r heutigen Medizin<br />

(bzw. <strong>de</strong>r heutigen Naturwissenschaft).<br />

Da<strong>bei</strong> ist ganz wichtig, dass es im Sinne<br />

dieser „Paradigmenlehre“ überaus schwierig<br />

o<strong>de</strong>r sogar unmöglich ist, zwei verschie<strong>de</strong>ne<br />

Paradigmen (welche das gleiche „Gebiet“<br />

bzw. <strong>de</strong>n gleichen „Wissensraum“ betreffen)<br />

in einer objektiven Weise zu<br />

vergleichen – bzw. allgemeingültige Urteile<br />

über <strong>de</strong>ren relative Richtigkeit, <strong>de</strong>ren relative<br />

Vollständigkeit, <strong>de</strong>ren relativen Wert<br />

zu fällen. Denn welcher solch ein Urteil<br />

fällen möchte, „lebt“ ja und macht seine<br />

Untersuchungen innerhalb eines bestimmten<br />

Paradigmas. Wenn man so etwas berücksichtigt,<br />

wenn man irgendwie ahnt,<br />

dass <strong>de</strong>r Wissenschaftsbetrieb tatsächlich<br />

64<br />

in einer solchen Art funktioniert, dann<br />

wird das Recht <strong>de</strong>r heutigen Medizin bzw.<br />

Naturwissenschaft, über die Wissenschaft<br />

vergangener Zeiten, u. a. über die paracelsische<br />

Medizin und Naturwissenschaft, in<br />

einer absoluten Weise zu urteilen, stark relativiert.<br />

Wenn so etwas allgemein von Paradigmen<br />

gilt, kommt im Falle <strong>de</strong>s „paracelsischen<br />

Paradigmas“ noch etwas Beson<strong>de</strong>res<br />

hinzu. Die paracelsische Medizin<br />

und Naturphilosophie behauptet ja, dass<br />

sie imstan<strong>de</strong> ist, Erkenntnisse zu gewinnen,<br />

welche außerhalb <strong>de</strong>r Reichweite <strong>de</strong>r<br />

(gewöhnlichen) Sinne bzw. <strong>de</strong>r (gewöhnlichen)<br />

Vernunft liegen. Das ist ein konstitutives<br />

Element <strong>de</strong>s „paracelsischen Paradigmas“<br />

und wird in <strong>de</strong>n paracelsischen<br />

Texten mit Hinweisen auf das „Licht <strong>de</strong>r<br />

Natur“, auf „Magie“ usw. beschrieben.<br />

Solche Paradigmen sind nicht ungewöhnlich<br />

in <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r westlichen Philosophie<br />

(bzw. Wissenschaft). So ist <strong>bei</strong><br />

Plato in seinem bekannten Höhlengleichnis<br />

die Art, wie die Leute, welche in <strong>de</strong>r<br />

Höhle gefesselt bleiben, die Welt sehen,<br />

grundsätzlich verschie<strong>de</strong>n, verglichen mit<br />

<strong>de</strong>njenigen, die ins Freie gelangt sind.<br />

Denn die letzten haben eine viel höhere<br />

Ebene von Erkenntnis erreicht. In <strong>de</strong>r Tat<br />

sind solche Paradigmen, wie paracelsische<br />

Medizin und Naturphilosophie, in einem<br />

verstärkten, ja in einem ungemein starken<br />

Grad unvergleichbar mit solchen, welche,<br />

wie die heutige positivistische Medizin, in<br />

einer konstitutiven und klar ausgedrückten<br />

Weise die Sinnesdaten und die damit verbun<strong>de</strong>nen<br />

Instrumentenmessungen zu<br />

ihrer Grundlage erhoben haben.<br />

Was be<strong>de</strong>utet das alles für unsere Bemühungen,<br />

uns <strong>de</strong>m Werk <strong>de</strong>s Paracelsus in<br />

einer angemessenen, befriedigen<strong>de</strong>n Weise<br />

anzunähern, das Werk <strong>de</strong>s Paracelsus möglichst<br />

richtig zu verstehen? Ganz knapp<br />

ausgedrückt, sollten wir, wür<strong>de</strong> ich sagen,<br />

die paracelsische Medizin nicht etwa als<br />

Vorläuferin bzw. Vorbereiterin <strong>de</strong>r heutigen<br />

Medizin zu verstehen versuchen,


son<strong>de</strong>rn eben als etwas von ihr ganz Verschie<strong>de</strong>nes,<br />

etwas mit ihr ganz Unvereinbares.<br />

In <strong>de</strong>r Tat scheint mir, dass das,<br />

was die Beschäftigung mit <strong>de</strong>r paracelsischen<br />

Medizin so interessant und lohnend<br />

macht, eben ist, dass sie so verschie<strong>de</strong>n,<br />

so weit entfernt von <strong>de</strong>r heutigen Medizin<br />

ist.<br />

Von einem etwas an<strong>de</strong>ren Blickpunkt<br />

aus: Was ist eigentlich das, was Paracelsus<br />

noch heute für einige (wenn auch vielleicht<br />

wenige) Leute so attraktiv, reizend<br />

o<strong>de</strong>r bewun<strong>de</strong>rnswert macht? Meiner Meinung<br />

nach ist es gera<strong>de</strong> das, dass er uns in<br />

seinem Werk ein Bild vom Menschen, von<br />

So in Lehrbüchern und an<strong>de</strong>ren Werken <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>chichte<br />

<strong>de</strong>r Medizin, z. B.: Paul Diepgen, <strong>Ges</strong>chichte<br />

<strong>de</strong>r Medizin, I. Band, Berlin: Walter <strong>de</strong><br />

Gruyter, 949, S. 254 – 26 ; Erwin Ackerknecht,<br />

Kurze <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Medizin, Stuttgart: F. Enke,<br />

959, S. 84 – 87; Heinz Schott (Hrsg.), Meilensteine<br />

<strong>de</strong>r Medizin, Dortmund: Harenberg Verl.,<br />

996, S. 80 – 86 und 99 – 206; Robert Jütte<br />

(Hrsg.), Paracelsus – im Lichte <strong>de</strong>r Natur, Hei<strong>de</strong>lberg:<br />

Karl F. Haug, 994, S. 85 – 23.<br />

2 Siehe z. B.: R. P. Multhauf, The Origins of chemistry,<br />

London: Oldbourne, 966; <strong>de</strong>rs.: Medical<br />

chemistry and „the Paracelsians“. Bull. Hist. Med.,<br />

XXVIII ( 954) 0 – 26; Walter Pagel, Paracelsus:<br />

An Introduction to Philosophical Medicine in<br />

the Era of the Renaissance, 2. rev. Auflage, Karger,<br />

ANMERKUNGEN<br />

Prof. Dr. med. Georgios Papadopoulos<br />

Klissouras 9 · GR - 5452 Psychiko / Athen<br />

seinen Beziehungen zur Umwelt, von seiner<br />

<strong>Ges</strong>undheit und Krankheit anbietet,<br />

das ganz an<strong>de</strong>rs als das Bild aussieht,<br />

welches die heutige Medizin, die heutige<br />

Wissenschaft uns vorhält. Und eine rechte<br />

Verehrung <strong>de</strong>s Paracelsus geht meiner Meinung<br />

nach Hand in Hand mit einer festen<br />

Überzeugung, dass, so wichtig und großartig<br />

die Erkenntnisse (und Leistungen) <strong>de</strong>r<br />

mo<strong>de</strong>rnen Medizin (und Wissenschaft)<br />

sein mögen, sie uns doch nur partielle,<br />

einseitige Aspekte <strong>de</strong>r Wirklichkeit gewähren<br />

– während Paracelsus uns weitere (und<br />

be<strong>de</strong>utsame) Aspekte dieser Wirklichkeit<br />

offenbart.<br />

982; Allen G. Debus, Guintherius, Libavius and<br />

Sennert: The chemical compromise in Early Mo<strong>de</strong>rn<br />

Medicine. In: Science, Medicine and Society<br />

in the Renaissance (hrsg. von A.G. Debus) Heinemann,<br />

972, S. 5 – 65.<br />

3 Labyrinthus medicorum errantium (Sudhoff’sche<br />

Ausgabe, I. Abt., . Bd., S. 72).<br />

4 Das Hauptwerk von Thomas Kuhn ist: The Structure<br />

of Scientific Revolutions, chicago 962; <strong>de</strong>utsche<br />

Übersetzung (von K. Simon): Die Struktur<br />

wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt a.<br />

M., 973. Dasjenige von Ludwig Fleck: Entstehung<br />

und Entwicklung einer wissenschaftlichen<br />

Tatsache, Benno Schwabe & co., 935 (neue Ausgabe:<br />

Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 980).<br />

65


Olaf Rippe, Margret Ma<strong>de</strong>jsky:<br />

Die Kräuterkun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

AT Verlag<br />

cH-540 Ba<strong>de</strong>n und München<br />

2006, 463 Seiten<br />

ISBN 3-03800-3 3-<br />

Die Autoren sind Heilpraktiker in eigener<br />

Praxis. Sie gaben 200 im AT Verlag<br />

das Buch „Paracelsusmedizin“ heraus und<br />

haben mit diesen <strong>bei</strong><strong>de</strong>n nun vorliegen<strong>de</strong>n<br />

Bän<strong>de</strong>n eine außeror<strong>de</strong>ntlich umfangreiche<br />

Darstellung <strong>de</strong>r paracelsischen Medizin<br />

zusammengetragen. Die „Kräuterkun<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s Paracelsus“ ist die logische Fortsetzung<br />

<strong>de</strong>r „Paracelsusmedizin“. In<br />

verständlicher Sprache wird das umfangreiche<br />

Thema – Signaturenlehre, Astrologie,<br />

Alchimie, Spagyrik und Magie – anschaulich<br />

behan<strong>de</strong>lt. Die Autoren stellen<br />

das Thema in <strong>de</strong>n historischen Zusammenhang<br />

sowie in <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r paracelsischen<br />

Naturphilosophie. Die vielen besprochenen<br />

Heilpflanzen, Therapien und Rezepturen<br />

reichen von Infektionen und<br />

Hautlei<strong>de</strong>n über Gewürze und Heilkräuter<br />

für Magen und Darm, Stoffwechselkrankheiten<br />

und Ausleitungstherapien, Frauenheilkun<strong>de</strong>,<br />

Herzerkrankungen und Lebenselixieren<br />

bis zur Psychoregulation. Mit <strong>de</strong>r<br />

„Paracelsusmedizin“ und <strong>de</strong>r „Kräuterkun<strong>de</strong>“<br />

wird das medizinische Wissen <strong>de</strong>s<br />

Paracelsus einer breiten Leserschaft vorgestellt,<br />

praktikabel für <strong>de</strong>n interessierten<br />

Laien sowie gewiss auch Neues bietend für<br />

66<br />

Günter Ickert<br />

EMPFEHLUNG<br />

<strong>de</strong>n erfahrenen Heiler. Es ist zweifellos das<br />

hervorragen<strong>de</strong> Verdienst <strong>de</strong>r Autoren, gezeigt<br />

zu haben, dass das fundierte Wissen<br />

<strong>de</strong>s Arztes Paracelsus auch nach 500 Jahren<br />

keinesfalls veraltet ist; im Gegenteil:<br />

Der Hohenheimer verlangte: „Das soll <strong>de</strong>r<br />

Arzt wissen, dass die Natur auch ein Arzt,<br />

eine Apotheke und Arznei ist“ (Sudhoff,<br />

IV/523) – und diesen „Arzt“ samt „Apotheke“<br />

und „Arznei“ gibt es noch heute!<br />

Mit einer gewissen Genugtuung wird man<br />

<strong>de</strong>r „Kräuterkun<strong>de</strong>“ auch entnehmen, dass<br />

z. B. Sal<strong>bei</strong>, Mistel o<strong>de</strong>r Johanniskraut<br />

nicht nur gegenwärtigen wissenschaftlichen<br />

Studien standhalten, son<strong>de</strong>rn z. T. schulmedizinischen<br />

Vergleichspräparaten gleichwertig<br />

o<strong>de</strong>r überlegen waren (Johanniskraut,<br />

S. 387 o.). Ferner wird immer wie<strong>de</strong>r<br />

darauf hingewiesen, dass die gesamte<br />

Pflanze oft wirkungsvoller ist als <strong>de</strong>r isolierte<br />

Wirkstoff. Paracelsus formuliert das<br />

so: „Wer hat das Rezept <strong>de</strong>r Natur komponiert?<br />

Hat das nicht Gott getan? Warum sollte<br />

ich seine Komposition verachten?“ (Sudhoff,<br />

XI/ 37), und: „Die Natur ist <strong>de</strong>r Arzt, nicht<br />

du; sie setzt zusammen, nicht du; schau, dass<br />

du lernst, wo ihre Apotheken seien, wo ihre Tugen<strong>de</strong>n<br />

geschrieben stehen“ (Sudhoff, VIII/85).


AUS DER ARBEIT DER GESELLScHAFT<br />

Beson<strong>de</strong>re Lernleistung erfolgreich abgeschlossen<br />

Im Auftrag <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<br />

<strong>Ges</strong>ellschaft betreute Herr Dr. Liebscher<br />

im Zeitraum Januar 2006 bis Juni 2007 die<br />

Beson<strong>de</strong>re Lernleistung von Jane Wottawa<br />

vom Kreisgymnasium Freital.<br />

Die Abiturientin führte in <strong>de</strong>r Bombas-<br />

tus-Werke AG, einem vorrangig auf Phytopharmaka<br />

orientierten Unternehmen in<br />

Freital, „Untersuchungen zur Nachweisbarkeit<br />

von Methyleugenol in ätherischen<br />

Ölen“ durch. Da<strong>bei</strong> konnte sie <strong>de</strong>n ökonomisch<br />

wichtigen Nachweis erbringen, dass<br />

mittels <strong>de</strong>r vorhan<strong>de</strong>nen Analysegeräte<br />

dieses pharmazeutischen Unternehmens<br />

die Einhaltung <strong>de</strong>s vom <strong>Ges</strong>etzgeber gefor<strong>de</strong>rten<br />

Grenzwertes von Methyleugenol<br />

zuverlässig nachgewiesen wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Nach<strong>de</strong>m Jane Wottawa En<strong>de</strong> Januar<br />

2007 die Dokumentation zu ihrer Beson<strong>de</strong>ren<br />

Lernleistung fristgerecht eingereicht<br />

hatte und die Gutachten vorlagen, fand<br />

am 5. Juni 2007 das öffentliche Kolloquium<br />

zur Verteidigung <strong>de</strong>r Ar<strong>bei</strong>t statt.<br />

Die Ar<strong>bei</strong>t wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n betreuen<strong>de</strong>n<br />

Lehrern mit <strong>de</strong>r Note bewertet, was zugleich<br />

Ausdruck <strong>de</strong>r erfolgreichen Ar<strong>bei</strong>t<br />

im Auftrag <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft<br />

ist.<br />

Seit 200 wur<strong>de</strong> damit sechs Abiturientinnen<br />

und Abiturienten die Möglichkeit<br />

gegeben, wichtige Erfahrungen <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r Anfertigung<br />

einer wissenschaftlichen Ar<strong>bei</strong>t<br />

zu sammeln. Gleichzeitig erfolgte eine intensive<br />

Beschäftigung auf <strong>de</strong>m Gebiet natürlicher<br />

Arzneimittel. Bei<strong>de</strong>s unterstützt<br />

unmittelbar das zentrale Anliegen <strong>de</strong>r<br />

Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft, Person<br />

und Werk Hohenheims einer breiteren Öffentlichkeit<br />

bekannt zu machen.<br />

Interessenten können die Ar<strong>bei</strong>ten über<br />

die <strong>Ges</strong>chäftsstelle zur Ansicht erhalten.<br />

Reisebericht <strong>de</strong>r Jugend­Bildungsreise<br />

<strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>­<strong>Ges</strong>ellschaft<br />

von Christoph und Luisa Liebscher<br />

Als wir das Programm <strong>de</strong>r Jugend-Bildungsreise<br />

<strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft<br />

bekamen, freuten wir uns einerseits,<br />

endlich einmal die Walhalla besuchen<br />

zu können, und an<strong>de</strong>rerseits, einen Einblick<br />

in uns bislang eher unbekannte historische<br />

Zeiten zu bekommen. Denn nach kurzem<br />

Überlegen war uns klar gewor<strong>de</strong>n, dass wir<br />

von <strong>de</strong>r Walhalla und <strong>de</strong>r heiligen Elisabeth,<br />

aber auch von <strong>Bombastus</strong> nicht viel<br />

wussten. Im Internet besorgten wir uns zunächst<br />

einmal einen Überblick, sprachen<br />

auch mit unseren Eltern, aber die direkte<br />

Begegnung ist wohl doch etwas an<strong>de</strong>res<br />

und so gingen wir mit großer Spannung<br />

auf die Fahrt. Als wir dann am Sonntag<br />

schließlich vor <strong>de</strong>m monumentalen Bauwerk<br />

<strong>de</strong>r Walhalla stan<strong>de</strong>n, waren wir<br />

überwältigt von <strong>de</strong>r Gewaltigkeit <strong>de</strong>s Tempels.<br />

Doch dies war schon <strong>de</strong>r letzte Tag.<br />

Deshalb von vorn:<br />

Die Anreise am ersten Tag ging problemlos<br />

vonstatten. Im Bus herrschte erwartungsvolle<br />

Stimmung und uns empfing<br />

die beeindrucken<strong>de</strong> Felsenlandschaft von<br />

Pottenstein.<br />

Nach <strong>de</strong>m Frühstück am Samstag besichtigten<br />

wir die Burg und im Zehnthaus<br />

die Son<strong>de</strong>rausstellung mit <strong>de</strong>m Thema<br />

„Krone, Brot und Rosen. 800 Jahre Elisabeth<br />

von Thüringen ( 207– 23 )“. Ein<br />

Vortrag zu dieser bemerkenswerten Persönlichkeit<br />

run<strong>de</strong>te <strong>de</strong>n Rundgang ab.<br />

Nach <strong>de</strong>r Besichtigung fuhren wir nach<br />

Beratzhausen und erhielten eine sehr informative<br />

Führung durch die Stadt. Auch<br />

wenn man sich nicht alle dargebotenen<br />

Fakten merken konnte, ergab sich doch<br />

eine lebendige Vorstellung <strong>de</strong>r damaligen<br />

Zeit und es war schon spannend, die Paracelsusstraße<br />

entlang zum Zehnthaus mit<br />

<strong>de</strong>r Statue von Paracelsus und Richtung<br />

Gasthaus zu gehen, einen Weg also, <strong>de</strong>n<br />

67


Paracelsus-Denkmal in Beratzhausen, eingeweiht<br />

995<br />

auch Paracelsus gegangen sein könnte.<br />

Beson<strong>de</strong>res Glück hatten wir wenig<br />

später, <strong>de</strong>nn es war uns möglich, sowohl<br />

die Kirche als auch das Ge<strong>bei</strong>nhaus von<br />

Beratzhausen anzusehen, für Letzteres<br />

brauchte man natürlich etwas stärkere<br />

Nerven.<br />

Zwar haben wir schon seit vielen Jahren<br />

immer wie<strong>de</strong>r von <strong>Bombastus</strong> gehört, doch<br />

im Grun<strong>de</strong> wussten wir bis zu diesem Zeitpunkt<br />

wenig Genaues über ihn. Durch <strong>de</strong>n<br />

Rundgang und <strong>de</strong>n anschließen<strong>de</strong>n Vortrag<br />

wur<strong>de</strong> uns ein Überblick von ihm gegeben,<br />

worüber wir sehr froh sind.<br />

Wir sprachen am Abend noch einmal<br />

über die Erlebnisse <strong>de</strong>s Tages und Fragen<br />

wur<strong>de</strong>n von Herrn Ickert und Herrn Vogt<br />

sachkundig beantwortet.<br />

Am letzten Tag war es dann soweit, es<br />

68<br />

ging zur Walhalla. Endlich waren wir hier<br />

und stan<strong>de</strong>n im Schatten <strong>de</strong>s gigantischen<br />

Bauwerks. Wir besichtigten <strong>de</strong>n Tempel<br />

von außen und von innen und waren<br />

überwältigt von <strong>de</strong>r Größe. Erklären<strong>de</strong><br />

Worte wur<strong>de</strong>n von Herrn Ickert <strong>bei</strong>gefügt.<br />

Uns wur<strong>de</strong> bewusst, wie wichtig be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong><br />

Persönlichkeiten für die <strong>Ges</strong>chichte<br />

unseres Volkes sind und wie eindrucksvoll<br />

es sein kann, sich mit dieser <strong>Ges</strong>chichte<br />

näher zu befassen.<br />

Walhalla, Ruhmes- und Ehrenhalle in Donau-<br />

stauf <strong>bei</strong> Regensburg, erbaut 830 – 842<br />

Das Fazit <strong>de</strong>r Bildungsreise ist, dass wir<br />

uns sehr viel von <strong>de</strong>n Führungen und Informationen<br />

mitnehmen konnten. Außer<strong>de</strong>m<br />

gab es auch untereinan<strong>de</strong>r viel zu lachen.<br />

Und so sind wir froh, da<strong>bei</strong> gewesen<br />

zu sein, und für die nächste Reise mel<strong>de</strong>n<br />

wir uns bestimmt wie<strong>de</strong>r an. Beson<strong>de</strong>rs<br />

möchten wir uns auch dafür bedanken,<br />

dass wir als Schüler nur 49 Euro bezahlen<br />

mussten und die DBG <strong>de</strong>n größeren Teil<br />

<strong>de</strong>r Fahrtkosten übernommen hat.

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