INHALT - bei Bombastus-Ges.de
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Vorstand und Verwaltungsrat <strong>de</strong>r<br />
Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft e.V.<br />
Johann Tomaschek<br />
Horst Pfefferl<br />
Werner Lauterbach<br />
Georgios Papadopoulos<br />
Günter Ickert<br />
<strong>INHALT</strong><br />
Editorial<br />
„Forscher“ – „Dichter“ – „Scharlatan“<br />
Das Bild <strong>de</strong>s Paracelsus in <strong>de</strong>n Nachschlagewerken<br />
<strong>de</strong>r frühen Neuzeit<br />
Religiöse Toleranz und Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e <strong>bei</strong><br />
Valentin Weigel ( 533 – 588)<br />
Ein Denkmal <strong>de</strong>r Liebe<br />
Paracelsus und die mo<strong>de</strong>rne Medizin<br />
Empfehlung<br />
„Die Kräuterkun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Paracelsus“<br />
Aus <strong>de</strong>r Ar<strong>bei</strong>t <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>ellschaft<br />
Beson<strong>de</strong>re Lernleistung erfolgreich<br />
abgeschlossen<br />
Leserzuschrift zur<br />
Jugendbildungsfahrt<br />
2<br />
5<br />
24<br />
47<br />
62<br />
66<br />
67
„es ist ein schön ding um ein rosen, aber sie muß ein ganz jar haben, bis sie zum gesteud kompt,<br />
zum dol<strong>de</strong>n, zum blumen… <strong>de</strong>r … die zeit erwartet, bis die natur auszeucht und erwechst auf sein<br />
termin, <strong>de</strong>r hat ein rosen.“<br />
Mit <strong>de</strong>m Bild <strong>de</strong>s pflanzlichen Wachsens und Blühens beschreibt Bombast von<br />
Hohenheim ein allgemeingültiges Entwicklungsgesetz. Hatte er selbst nun seine Zeit,<br />
„seinen Termin“, blühte seine Rose? Ist seine Zeit vor<strong>bei</strong>, überwun<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>r unsrigen<br />
aufgehoben? Blüht heute die Rose eines an<strong>de</strong>ren Zeitalters, eines wissenschaftlichen, informationstechnologischen<br />
und kernkraftorientierten? Sind wir durch die Wissenschaft<br />
zum wahren Wissen gekommen?<br />
Paracelsus hatte ebenso wenig seine Zeit, wie die unsrige als Blüte bezeichnet wer<strong>de</strong>n<br />
kann. Und so harrt sein Gedankenuniversum, uns auf mehr als 8000 Druckseiten überliefert,<br />
<strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>n-Wer<strong>de</strong>ns. Georgios Papadopoulos mahnt in seinen Thesen eine<br />
Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>m völlig eigenständigen Paradigma <strong>de</strong>s Hohenheimers an,<br />
durch welches <strong>de</strong>ssen Inanspruchnahme als Vorläufer heutiger Auffassungen infrage gestellt<br />
wird.<br />
Was wir heute als Wissenschaft bezeichnen, heißt <strong>bei</strong> Paracelsus scientia und meint<br />
das Erforschen <strong>de</strong>r Natur und ihrer Zusammenhänge. Den Begriff Wissenschaft versteht<br />
er eher als Kennzeichen eines geistigen Zustan<strong>de</strong>s: durch Forschen und Nach<strong>de</strong>nken zu<br />
Erkenntnis und Wissen gelangen. Dieser Begriff ist etwa vergleichbar mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Mitgliedschaft.<br />
Wer zur Wissenschaft gelangt, gehört zu <strong>de</strong>n Wissen<strong>de</strong>n.<br />
Beson<strong>de</strong>rs seit <strong>de</strong>m 8. Jahrhun<strong>de</strong>rt orientieren sich Wissenschaftler auf die äußere,<br />
materielle Dimension <strong>de</strong>r Welt. Ergebnis sind großartige Erkenntnisse über <strong>de</strong>ren Funktionieren,<br />
von kleinsten atomaren Strukturen bis hin zu kosmischen Prozessen. Gleichzeitig<br />
setzt sich die Wissenschaft mit dieser Orientierung selbst Grenzen: Nichtmaterielles<br />
und subjektive Prozesse, einschließlich Sinnfragen, übersteigen die objektiven Möglichkeiten<br />
ihrer Metho<strong>de</strong>n. Dazu gehört etwas so Elementares wie <strong>de</strong>r Tod, welcher <strong>de</strong>r<br />
Religion überlassen wer<strong>de</strong>n muss.<br />
Derartige Grenzen kennt das paracelsische Paradigma nicht. Bei ihm zählt allein wissen<br />
und verantwortlich han<strong>de</strong>ln.<br />
Der Hohenheimer <strong>de</strong>nkt die Welt als mehrdimensionale Ganzheit. Sie enthält nicht<br />
nur ein Hier bzw. ein Unten, son<strong>de</strong>rn auch ein Dort bzw. Oben, wo<strong>bei</strong> <strong>bei</strong><strong>de</strong> ursächlich<br />
verknüpft sind und einen Sinn haben, alles ist nämlich um <strong>de</strong>s Menschen willen gemacht:<br />
„die hand, die himel und er<strong>de</strong>n gemacht hat, hat das unter im microcosmo auch gemacht,<br />
aus <strong>de</strong>m obern genomen und beschlossen in die haut <strong>de</strong>s menschen alles, was <strong>de</strong>r himel begreift. darumb<br />
so ist uns <strong>de</strong>r eußer himel ein wegweiser <strong>de</strong>s innern himels.“ 2<br />
Paracelsus ordnet je<strong>de</strong>r Dimension ihre Metho<strong>de</strong> zu: Die materielle Welt ist zu erkennen<br />
durch Erfahrung und Forschung, wo<strong>bei</strong> es ihm vor allem um Erkennen <strong>de</strong>r hinter<br />
allem stehen<strong>de</strong>n Wirkkräfte und Prinzipien geht. Er schreibt: „also hat die natur verordnet,<br />
das die eußern zeichen die innern werk und tugent anzeigent, also hat es got gefallen, das nichts verborgen<br />
bleibe, son<strong>de</strong>r das durch die scientias geoffenbart wür<strong>de</strong>, was in allen geschöpfen ligt.“ 3<br />
Die seelisch-geistige Dimension wird erschlossen durch Sehen, übersetzbar vielleicht<br />
mit Intuition und Inspiration. Wer sieht, <strong>de</strong>r sieht (hin)durch und weiß.<br />
Über allem befin<strong>de</strong>t sich die ewige Dimension <strong>de</strong>s Göttlichen. Ihr ist als Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />
Glaube im Sinne einer inneren, Handlung auslösen<strong>de</strong>n Überzeugung zuzuweisen.<br />
2<br />
EDITORIAL
In <strong>de</strong>n vier bekannten Säulen <strong>de</strong>r Heilkunst (Philosophie, Astrologie, Alchemie, Tugend)<br />
spiegeln sich diese Dimensionen <strong>de</strong>s paracelsischen Wissenschaftsparadigmas<br />
wi<strong>de</strong>r.<br />
Als Philosoph und Astrologe <strong>de</strong>nkt <strong>de</strong>r Arzt von oben nach unten: Er nimmt das Unsichtbare<br />
im Sichtbaren wahr, das Energetische im Materiellen, die I<strong>de</strong>e in <strong>de</strong>r stofflichen<br />
Form.<br />
Als Alchemist erfasst <strong>de</strong>r Arzt die an<strong>de</strong>re Richtung: Er vere<strong>de</strong>lt das Stoffliche, vollen<strong>de</strong>t<br />
es im Sinne <strong>de</strong>r Freisetzung von Kräften, hebt es also von unten empor und bewirkt<br />
Heilung.<br />
Mit Verkörperung <strong>de</strong>r 4. Säule wird <strong>de</strong>r Arzt zum Weisen. Redlichkeit bzw. Tugend als<br />
Begründung <strong>de</strong>s eigenen Han<strong>de</strong>lns sind nur erreichbar durch un<strong>bei</strong>rrbaren „Rück-<br />
Bezug“ auf Gott, das ist <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r Religion. „darumb ob gleich wol mit <strong>de</strong>r natur angefangen<br />
wird, so folgt doch nicht aus <strong>de</strong>m das in <strong>de</strong>r natur sol aufgehört wer<strong>de</strong>n und in ir bleiben,<br />
son<strong>de</strong>r weiter suchen und en<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>m ewigen, das ist im götlichen wesen und wan<strong>de</strong>l.“ 4<br />
Eine solche Weltsicht im Bewusstsein universeller Ganzheit kennt keine Grenzen,<br />
we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong> noch <strong>de</strong>r Erkenntnis o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Sinnzuweisung. Daraus folgend<br />
könnte also Paracelsusrezeption einen Impuls zu einem erweiterten Wissenschaftsbegriff<br />
geben. Wenn es um Bereiche geht, zu <strong>de</strong>ren Erschließung rationale Metho<strong>de</strong>n versagen,<br />
wäre es irrational, auf an<strong>de</strong>re Metho<strong>de</strong>n zu verzichten. In diesem Sinne wäre Glaube,<br />
wie ihn die Bibel lehrt, als Metho<strong>de</strong> zum Erlangen subjektiven Wissens bzw. innerer<br />
Überzeugung durchaus im Rahmen solch eines erweiterten Wissenschaftsbegriffs <strong>de</strong>nkbar.<br />
Vielleicht wäre das die Zeit zum Erblühen <strong>de</strong>r Rose.<br />
Paracelsus /II/406.<br />
2 Paracelsus /VIII/97.<br />
3 Paracelsus /XII/ 77.<br />
4 Paracelsus /XII/273.<br />
Vorstand und Verwaltungsrat <strong>de</strong>r<br />
DEUTScHEN BOMBASTUS-GESELLScHAFT e.V.<br />
ANMERKUNGEN und LITERATUR<br />
3
Johann Tomaschek<br />
„FORScHER“ – „DIcHTER“ – „ScHARLATAN“.<br />
Das Bild <strong>de</strong>s Paracelsus in <strong>de</strong>n Nachschlagewerken <strong>de</strong>r frühen Neuzeit<br />
Inhaltsübersicht<br />
Einleitung:<br />
Arten und Aufbau von Nachschlagewerken.<br />
. <strong>Ges</strong>ners „Bibliotheca“ und Adams<br />
„Vitae medicorum“<br />
2. Paracelsus als Dichter in Sandrarts<br />
„Teutscher Aka<strong>de</strong>mie“<br />
3. Frehers „Theatrum“ und das „Universal-Lexikon“<br />
von 709<br />
4. Barocke Gelehrsamkeitsgeschichte:<br />
Morhof, conring, Gundling<br />
5. Zedlers „Universal-Lexikon“ und Jöchers<br />
„Gelehrten-Lexikon“<br />
6. Zwei abschließen<strong>de</strong> Beispiele aus <strong>de</strong>m<br />
9. Jahrhun<strong>de</strong>rt: Wolff und Escher<br />
Rückblick und Zusammenfassung<br />
Einleitung:<br />
Arten und Aufbau von Nachschlagewerken<br />
In unserem großen Bibliothekssaal im<br />
Benediktinerstift Admont ist <strong>de</strong>r kostbare<br />
alte Bücherbestand, wie das in früherer<br />
Zeit durchwegs üblich war, nach Sachgruppen<br />
geglie<strong>de</strong>rt. Da gibt es etwa eine eigene<br />
Abteilung mit <strong>de</strong>r lateinischen Aufschrift<br />
„Libri medici“, wo mehrere Jahrhun<strong>de</strong>rte<br />
lang die medizinische Literatur im weitesten<br />
Sinn <strong>de</strong>s Wortes aufgestellt wur<strong>de</strong>,<br />
und dort sind auch jene wenigen Ausgaben<br />
von Paracelsus-Werken zu fin<strong>de</strong>n, die<br />
<strong>bei</strong> uns vorhan<strong>de</strong>n sind.<br />
Ziemlich genau diagonal gegenüber von<br />
dieser Abteilung steht eine ganz an<strong>de</strong>re<br />
Art von Büchern, die „Libri miscellanei“,<br />
also Bücher mit gemischtem Inhalt. Das<br />
könnte auf <strong>de</strong>n ersten Blick wie eine Verlegenheitslösung<br />
aussehen: Dort stellten<br />
vielleicht die Bibliothekare früherer Zeiten<br />
jene Bücher hin, die sich sonst nirgendwo<br />
in <strong>de</strong>r Systematik unterbringen ließen.<br />
Dem ist aber nicht so, <strong>de</strong>nn das neulateinische<br />
Adjektiv „miscellanei“ bezieht sich<br />
tatsächlich auf <strong>de</strong>n Inhalt <strong>de</strong>r in dieser Abteilung<br />
stehen<strong>de</strong>n Werke: Wo könnte auch<br />
<strong>de</strong>r Inhalt bunter gemischt sein als in <strong>de</strong>n<br />
verschie<strong>de</strong>nen Nachschlagewerken – und<br />
um eben solche Bücher han<strong>de</strong>lt es sich <strong>bei</strong><br />
<strong>de</strong>n „miscellanei“.<br />
Abb. : Blick in <strong>de</strong>n spätbarocken Bibliothekssaal<br />
<strong>de</strong>s Stiftes Admont<br />
Wenn von Nachschlagewerken die Re<strong>de</strong><br />
ist, dann <strong>de</strong>nkt man zumeist an die gängigen<br />
Lexika und Enzyklopädien 2, <strong>de</strong>ren<br />
wesentliche Gemeinsamkeit darin besteht,<br />
dass sie alphabetisch aufgebaut sind – das<br />
beginnt schon <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r volkstümlichen<br />
„Welt von A bis Z“ und reicht <strong>bei</strong>spielsweise<br />
bis zur vielbändigen „Enzyclopedia<br />
Britannica“.<br />
Nachschlagewerke können aber auch an<strong>de</strong>rs<br />
strukturiert sein: Wenn sie ihren rei-<br />
5
chen Inhalt nicht in alphabetischer, son<strong>de</strong>rn<br />
in systematischer Anordnung darbieten,<br />
dann spricht man natürlich nicht von<br />
Lexika, son<strong>de</strong>rn von Handbüchern o<strong>de</strong>r<br />
Kompendien. In solchen Werken erscheint<br />
das Nachschlagen vorerst nicht ganz so<br />
einfach zu sein, weil hier <strong>de</strong>r rasche Zugriff<br />
auf ein bestimmtes Stichwort nicht unmittelbar<br />
möglich ist. Es bedarf also einer genaueren<br />
Kenntnis <strong>de</strong>s inneren Aufbaues –<br />
o<strong>de</strong>r aber eines Blickes vorne in das Inhaltsverzeichnis.<br />
In <strong>de</strong>n meisten Fällen<br />
sind diese Handbücher und Kompendien<br />
allerdings am Schluss auch noch mit alphabetischen<br />
Registern ausgestattet, sodass<br />
<strong>de</strong>r Zugriff zumeist von hinten her, und<br />
damit wie<strong>de</strong>r ähnlich wie <strong>bei</strong> einem Lexikon,<br />
erfolgen kann.<br />
Es liegt in <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>r Sache, dass ein<br />
Nachschlagewerk immer nur ein mehr<br />
o<strong>de</strong>r weniger stark begrenztes Quantum an<br />
Wissen über einen Gegenstand, einen<br />
Sachverhalt o<strong>de</strong>r eine Person liefern kann.<br />
Es ersetzt ja nicht die einschlägige Fachliteratur,<br />
son<strong>de</strong>rn bietet vielmehr nur eine Zusammenfassung<br />
<strong>de</strong>ssen, was dazu an Wissenswertem<br />
vorliegt. Somit fin<strong>de</strong>t man in<br />
einem solchen Werk im entsprechen<strong>de</strong>n<br />
Artikel o<strong>de</strong>r Abschnitt üblicherweise <strong>de</strong>n<br />
jeweils aktuellen Wissensstand – man darf<br />
ja davon ausgehen, dass sich <strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r die<br />
Bear<strong>bei</strong>ter eines Lexikons o<strong>de</strong>r eines<br />
Handbuchs mit <strong>de</strong>r speziellen Literatur<br />
vertraut gemacht haben und nun quasi<br />
<strong>de</strong>ren Quintessenz im Nachschlagewerk<br />
vermitteln. Dass es sich in Wirklichkeit<br />
nicht immer so verhält und dass man<br />
immer wie<strong>de</strong>r Klagen über die mangeln<strong>de</strong><br />
Aktualität solcher Werke zu hören bekommt,<br />
sei hier nur am Ran<strong>de</strong> angemerkt.<br />
Weil nun aber das Wissen über einen<br />
bestimmten Sachverhalt o<strong>de</strong>r eine bestimmte<br />
Person stets ein Vielfaches von<br />
<strong>de</strong>m ausmacht, was sich darüber in einem<br />
Nachschlagewerk unterbringen lässt, stellt<br />
sich das Problem <strong>de</strong>r Auswahl; diese kann<br />
sich entwe<strong>de</strong>r an allgemeinen Vorgaben<br />
orientieren o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Entscheidung <strong>de</strong>r<br />
6<br />
jeweiligen Bear<strong>bei</strong>ter liegen. Dass sich aus<br />
diesem Grund in verschie<strong>de</strong>nen Nachschlagewerken<br />
höchst unterschiedliche<br />
Ausführungen unter ein und <strong>de</strong>mselben<br />
Stichwort fin<strong>de</strong>n lassen, liegt somit auf <strong>de</strong>r<br />
Hand. Gera<strong>de</strong> das macht aber das Recherchieren<br />
in <strong>de</strong>n unterschiedlichen Enzyklopädien,<br />
Lexika und Kompendien so überaus<br />
spannend; es erregt mitunter auch Erstaunen<br />
und Befrem<strong>de</strong>n, und es ist häufig<br />
sehr vergnüglich.<br />
Wenn wir nun also auf die Suche nach<br />
<strong>de</strong>m Bild <strong>de</strong>s Paracelsus in <strong>de</strong>n Nachschlagewerken<br />
<strong>de</strong>s 7. und 8. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />
gehen, müssen wir diese soeben genannten<br />
Prämissen be<strong>de</strong>nken: Das Bild, das uns ein<br />
Lexikon o<strong>de</strong>r ein Handbuch von einem<br />
bestimmten Menschen bietet, hängt einerseits<br />
von <strong>de</strong>r grundlegen<strong>de</strong>n Konzeption<br />
und <strong>de</strong>n Vorgaben eines solchen Werkes,<br />
aber auch vom jeweiligen Zeithorizont,<br />
vom Wissensstand <strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n Text verantwortlichen<br />
Bear<strong>bei</strong>ter und nicht zuletzt<br />
von <strong>de</strong>r Einstellung ab, mit <strong>de</strong>r sie etwa in<br />
weltanschaulichen o<strong>de</strong>r in fachwissenschaftlichen<br />
Dingen ans Werk gehen.<br />
Bei <strong>de</strong>n Quellen, mit <strong>de</strong>ren Hilfe <strong>de</strong>r<br />
vorliegen<strong>de</strong> Beitrag ausgear<strong>bei</strong>tet wur<strong>de</strong>,<br />
han<strong>de</strong>lt es sich in erster Linie um die Nachschlagewerke<br />
jener Epoche, die sich mit<br />
<strong>de</strong>m von <strong>de</strong>n Historikern verwen<strong>de</strong>ten Begriff<br />
<strong>de</strong>r „Frühen Neuzeit“ umschreiben<br />
und in geistesgeschichtlicher Hinsicht im<br />
Wesentlichen mit <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r Aufklärung<br />
charakterisieren lässt. Das soll nun freilich<br />
nicht ausschließen, dass wir auch einen<br />
Blick zurück ins 6. und später noch zwei<br />
Ausblicke voraus ins 9. Jahrhun<strong>de</strong>rt tun<br />
wer<strong>de</strong>n. Zur Benennung <strong>de</strong>r im Mittelpunkt<br />
unseres Themas stehen<strong>de</strong>n Persönlichkeit<br />
darf ich noch anmerken, dass hier<br />
nicht <strong>de</strong>m Namen „Bombast(us)“, son<strong>de</strong>rn<br />
<strong>de</strong>r in Österreich durchwegs üblichen Namensform<br />
„Paracelsus“ <strong>de</strong>r Vorzug gegeben<br />
wird. Nur unter diesem Stichwort wird<br />
man ja auch heutzutage in <strong>de</strong>n gängigen<br />
Lexika und Handbüchern fündig. Um eine<br />
allzu große Häufung im Gebrauch dieses
Namens zu vermei<strong>de</strong>n, wird ab und zu<br />
auch <strong>de</strong>r Herkunftsname „Hohenheimer“<br />
verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />
1. <strong>Ges</strong>ners „Bibliotheca“ und Adams<br />
„Vitae medicorum“<br />
Das früheste lexikalische Nachschlagewerk,<br />
in <strong>de</strong>m wir etwas über Paracelsus fin<strong>de</strong>n,<br />
ist die „Bibliotheca universalis“ <strong>de</strong>s<br />
Zürcher Arztes und Naturforschers Konrad<br />
<strong>Ges</strong>ner 3, die in seiner Heimatstadt im September<br />
545 in <strong>de</strong>r berühmten Druckerei<br />
<strong>de</strong>s christophorus Froschauer erschienen<br />
ist. Wie schon <strong>de</strong>r Ausdruck „Bibliotheca“<br />
und dann im Untertitel <strong>de</strong>r Begriff „catalogus“<br />
zum Ausdruck bringt 4, hatte <strong>Ges</strong>ner<br />
– damals noch kaum 30 Jahre alt – hiermit<br />
nicht so sehr eine Sach-Enzyklopädie, son<strong>de</strong>rn<br />
vielmehr ein möglichst vollständiges<br />
Verzeichnis aller Bücher vorlegen wollen<br />
(er nennt es ausdrücklich „locupletissimus“),<br />
und zwar jener, die in lateinischer,<br />
griechischer und hebräischer Sprache gedruckt<br />
wor<strong>de</strong>n waren. Es sollte also eher<br />
eine Art „gelehrte Bibliographie <strong>de</strong>s Abendlan<strong>de</strong>s“<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
<strong>Ges</strong>ner war sich aber sehr wohl <strong>de</strong>s Umstan<strong>de</strong>s<br />
bewusst, dass hinter je<strong>de</strong>m Buch<br />
ein Mensch, hinter je<strong>de</strong>m Werk ein Autor<br />
steht (von Autorinnen ist da noch nicht<br />
sehr viel zu fin<strong>de</strong>n), und so wird seine „Bibliotheca“<br />
letzen En<strong>de</strong>s doch ein Autorenlexikon<br />
o<strong>de</strong>r, wenn man so sagen will, eine<br />
bio-bibliographische Enzyklopädie <strong>de</strong>r gelehrten<br />
Welt von <strong>de</strong>r griechischen Antike<br />
bis zu seiner eigenen Zeit. Wollte man<br />
nun aber in diesem alphabetisch aufgebauten<br />
Werk unter „<strong>Bombastus</strong>“ o<strong>de</strong>r „Paracelsus“<br />
nachschauen, so wür<strong>de</strong> man<br />
nicht fündig wer<strong>de</strong>n; hingegen ist unter<br />
„Theophrastus“ ein erstaunlich ausführlicher<br />
Artikel zu fin<strong>de</strong>n 5, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>utscher<br />
Übersetzung folgen<strong>de</strong>n Wortlaut hat.<br />
Theophrastus Bombast aus Hohenheim, seiner<br />
Volkszugehörigkeit nach ein Deutscher aus<br />
Einsie<strong>de</strong>ln, Professor <strong>de</strong>r <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Heilkünste,<br />
nennt sich irgendwo auch Paracelsus. In <strong>de</strong>utscher<br />
Sprache schrieb er eine Erklärung über <strong>de</strong>n<br />
Abb. 2: Titelblatt von <strong>Ges</strong>ners „Bibliotheca universalis“<br />
Kometen, <strong>de</strong>r <strong>bei</strong> uns im Jahre 1531 erschienen<br />
ist; diese wur<strong>de</strong> als Büchlein <strong>bei</strong> uns gedruckt.<br />
Den Galenus, <strong>de</strong>n Hippokrates und die an<strong>de</strong>ren<br />
alten Mediziner schätzte er gering. In Basel sah<br />
ich im Jahre 1527 ein gedrucktes Dokument, in<br />
<strong>de</strong>m er das Versprechen ablegte, alle Teile <strong>de</strong>r medizinischen<br />
Wissenschaft völlig an<strong>de</strong>rs zu lehren,<br />
als dies von <strong>de</strong>n früheren Medizinern geschehen<br />
war. Er hatte aber in Basel eine großzügig<br />
dotierte Anstellung erhalten und lehrte dort<br />
auf <strong>de</strong>r Hohen Schule in <strong>de</strong>utscher Sprache;<br />
wahrscheinlich (so vermute ich) weil er die lateinische<br />
nicht beherrscht hat.<br />
Wie ich höre, hat er aber nichts Vorzügliches<br />
geleistet; er soll vielmehr ein Schwindler gewesen<br />
sein und sich häufig betäuben<strong>de</strong>r Medikamente<br />
aus Opium bedient haben. In lateinischer Sprache<br />
hat er sieben Bücher über <strong>de</strong>n Stufenaufbau<br />
und die Zusammensetzung von Rezepturen<br />
und natürlicher Dinge geschrieben und unserem<br />
Christoph Klauser 6 gewidmet, <strong>bei</strong> <strong>de</strong>m ich die<br />
7
Manuskripte gesehen habe. In ihrer Ausdrucksweise<br />
und im Satzbau sind sie unverständlich,<br />
primitiv, gekünstelt und albern. Er starb, wenn<br />
ich mich nicht täusche, vor einigen Jahren.<br />
Es ist, wenn ich so sagen darf, ein nicht<br />
sehr helles und freundliche Bild, das <strong>Ges</strong>ner<br />
hier von Paracelsus skizziert; er war<br />
zweifellos über seinen Schweizer Landsmann<br />
gut informiert, bringt auch einige<br />
wesentliche Fakten, die heute noch zum<br />
gängigen Paracelsus-Bild gehören, aber er<br />
enthält sich auch nicht einer werten<strong>de</strong>n –<br />
in diesem Fall ganz ein<strong>de</strong>utig abwerten-<br />
<strong>de</strong>n – Stellungnahme. Die Bezeichnung als<br />
„impostor“, was man nur mit „Schwindler“<br />
übersetzen kann, und die charakterisierung<br />
seiner Schriften als „obscurae“,<br />
„barbarae“, affectatae“ und „ineptae“<br />
klingt natürlich ebenso wie die Behauptung,<br />
<strong>de</strong>r Hohenheimer habe „nihil egregii“<br />
geleistet, nicht gera<strong>de</strong> schmeichelhaft.<br />
Von völlig an<strong>de</strong>rer Art als <strong>Ges</strong>ners „Bibliotheca“<br />
ist das nächstfolgen<strong>de</strong> Nachschlagewerk,<br />
in <strong>de</strong>m wir nun über Paracelsus<br />
Nachschau halten wollen. Im Jahre<br />
620 hat <strong>de</strong>r aus Schlesien gebürtige<br />
Schulmann und Lexikograph Melchior<br />
Adam 7 seine „Vitae Germanorum Medicorum“<br />
in Hei<strong>de</strong>lberg in Druck gegeben. Es<br />
han<strong>de</strong>lt sich hier<strong>bei</strong> um <strong>de</strong>n dritten Teil<br />
jenes groß angelegten biographischen<br />
Kompendiums, das entsprechend <strong>de</strong>n vier<br />
klassischen Fakultäten in vier Bän<strong>de</strong>n die<br />
Lebensläufe <strong>de</strong>utscher Naturwissenschaftler<br />
(„Philosophi“), Theologen, Mediziner<br />
und Juristen umfasst, und zwar jener <strong>de</strong>s<br />
6. und <strong>de</strong>s frühen 7. Jahrhun<strong>de</strong>rts 8.<br />
Adams Werk ist nicht alphabetisch, son<strong>de</strong>rn<br />
chronologisch angelegt: Die Biographien<br />
<strong>de</strong>r einzelnen Personen sind nach<br />
<strong>de</strong>ren Sterbedaten angeordnet. Mit seinem<br />
To<strong>de</strong>sjahr 54 steht Paracelsus also ziemlich<br />
weit vorne – er kommt an zwölfter<br />
Stelle. Seine umfangreiche Lebensbeschreibung,<br />
die immerhin zehn ganze Seiten 9<br />
umfasst, ist nicht schwer zu fin<strong>de</strong>n: Entwe<strong>de</strong>r<br />
man sucht vorne im <strong>de</strong>taillierten Inhaltsverzeichnis,<br />
o<strong>de</strong>r man steigt über eines<br />
8<br />
<strong>de</strong>r Register ein. Deren weist das Buch, wie<br />
auf <strong>de</strong>m Titelblatt stolz vermerkt wird,<br />
nicht weniger als drei auf. Man muss natürlich<br />
wie<strong>de</strong>r unter „Theophrastus“ nachschlagen<br />
und wird dort nicht nur auf <strong>de</strong>n<br />
Artikel als solchen, son<strong>de</strong>rn sogar auf die<br />
einzelnen Abschnitte <strong>de</strong>r Biographie verwiesen.<br />
Adams „Vitae medicorum“ sind,<br />
wie schon aus <strong>de</strong>m Titel hervorgeht,<br />
ebenso wie <strong>Ges</strong>ners Bio-Bibliographie in<br />
lateinischer Sprache abgefasst. Seine Sichtweise<br />
unterschei<strong>de</strong>t sich aber <strong>de</strong>utlich<br />
davon, wie ein erster Auszug daraus in<br />
<strong>de</strong>utscher Übersetzung zeigt.<br />
Man sagt, er (Theophrastus Paracelsus) habe<br />
zunächst mit Hilfe seines Vaters, dann aber<br />
durch sein eigenes Bemühen, die gelehrtesten<br />
Männer in Deutschland, Italien, Frankreich,<br />
Spanien und an<strong>de</strong>ren Gegen<strong>de</strong>n Europas als<br />
Lehrer gewonnen. Durch <strong>de</strong>ren Unterweisung,<br />
die sie ihm großmütig zuteil wer<strong>de</strong>n ließen, und<br />
noch viel mehr durch seinen Forscherdrang, weil<br />
er einen überaus scharfen und gera<strong>de</strong>zu übermenschlichen<br />
Geist besaß, machte er große Fortschritte.<br />
Viele waren fest davon überzeugt, dass<br />
es in <strong>de</strong>r gesamten Wissenschaft keinen Menschen<br />
gebe, <strong>de</strong>r solch Schwieriges, Geheimnisvolles<br />
und Verborgenes hervorgebracht habe.<br />
Sehr Viele schreiben diesem Paracelsus Vieles<br />
zu – seiner Begabung und seinem emsigen Bemühen:<br />
Dieses war so groß, dass er nicht nur<br />
<strong>de</strong>n menschlichen Körpern die verloren gegangene<br />
<strong>Ges</strong>undheit, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>n unvollkommenen<br />
Metallen ihre Vollkommenheit rasch wie<strong>de</strong>r<br />
herstellte. Das Blei und <strong>de</strong>n Mercurius (das<br />
Quecksilber) verwan<strong>de</strong>lte er in das Gold, o<strong>de</strong>r<br />
wie man sagt, in die Sonne.<br />
Auch Melchior Adam nimmt, wie die zitierte<br />
Textstelle zeigt, durchaus eine werten<strong>de</strong><br />
Stellungnahme vor, aber sie klingt<br />
völlig an<strong>de</strong>rs als das, was <strong>de</strong>r Mediziner<br />
<strong>Ges</strong>ner einst geschrieben hatte. In <strong>de</strong>m seither<br />
vergangenen Dreiviertel-Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />
hatte sich natürlich das Wissen über Paracelsus<br />
beträchtlich vergrößert, und Adam<br />
hat diesem Umstand in seinem doch sehr<br />
speziell konzipierten Werk in einer gera<strong>de</strong>zu<br />
opulenten Weise Rechnung getragen;
darüber hinaus hat <strong>de</strong>r Hei<strong>de</strong>lberger Lexikograph<br />
ganz offensichtlich auch weitgehend<br />
an<strong>de</strong>re Akzente gesetzt. Adams Biographie<br />
<strong>de</strong>s Paracelsus hört sich je<strong>de</strong>nfalls<br />
auf weite Strecken wie ein einziges Loblied<br />
an, und wenn er vom „übermenschlichen<br />
Geist“ spricht, dann bekommt man schon<br />
<strong>de</strong>n Eindruck, dass er selbst ein Bewun<strong>de</strong>rer<br />
<strong>de</strong>s Hohenheimers war.<br />
Für seine positive Sicht bemüht <strong>de</strong>r<br />
Autor auch so manchen Gewährsmann,<br />
wie etwa einen gewissen Gellius Zemeus,<br />
<strong>de</strong>r sich beson<strong>de</strong>rs überschwänglich geäußert<br />
haben soll, und die Überlieferungen<br />
von <strong>de</strong>n wun<strong>de</strong>rsamen Medizinen <strong>de</strong>s Paracelsus<br />
und <strong>de</strong>ren erstaunlicher Wirkung<br />
hat er allem Anschein nach für bare<br />
Münze genommen. Von einer kritischen<br />
Distanz ist hier je<strong>de</strong>nfalls so gut wie nichts<br />
zu merken, wie auch ein zweiter Ausschnitt<br />
aus Adams Paracelsus-Vita in <strong>de</strong>utscher<br />
Übersetzung <strong>de</strong>utlich macht.<br />
Ein gewisser Gellius Zemeus hat über ihn <strong>de</strong>n<br />
folgen<strong>de</strong>n Ausspruch getan: „Bei <strong>de</strong>n Deutschen<br />
gibt es nun einen jungen Mann, <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r<br />
Welt nicht seinesgleichen hat. Er hat Hervorragen<strong>de</strong>s<br />
über Themen <strong>de</strong>r Naturwissenschaft, <strong>de</strong>r<br />
Medizin und <strong>de</strong>r Mathematik, aber auch <strong>de</strong>s<br />
Staatswesens und <strong>de</strong>r Rechtsgelehrsamkeit geschrieben.<br />
Entwe<strong>de</strong>r ist in ihm eine ganz ungewöhnliche<br />
natürliche Anlage vorhan<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r<br />
er besitzt eine beson<strong>de</strong>rs große Gna<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Heiligen<br />
Geistes, o<strong>de</strong>r es sind in ihm die Dämonen in<br />
einer gera<strong>de</strong>zu ungeheuren Weise am Werk. Ich<br />
kann mich nicht erinnern, jemals die Schriften<br />
eines gelehrteren Autors gelesen zu haben.“<br />
Neben an<strong>de</strong>ren Heilmitteln <strong>de</strong>s Theophrastus<br />
wird sein Laudanum gepriesen. Die einen sagen,<br />
es war <strong>de</strong>r Stein <strong>de</strong>r Weisen, an<strong>de</strong>re meinen, es<br />
sei Opium gewesen. Doch <strong>bei</strong><strong>de</strong> Meinungen sind<br />
falsch: Das Laudanum, das am höchsten gelobte<br />
Heilmittel <strong>de</strong>s Theophrastus, ist nämlich aus <strong>de</strong>n<br />
vorzüglichsten Dingen bereitet, welche die Er<strong>de</strong><br />
bietet und die das Leben erhalten. Es ist gegen<br />
alle Krankheiten wirksam, ausgenommen gegen<br />
die Lepra. Es war eine ebenso stets verfügbare<br />
wie heilsame und wun<strong>de</strong>rbare Medizin – eine<br />
wahre Panacea, ein Kraut, das alles heilt.<br />
2. Paracelsus als Dichter in Sandrarts<br />
„Teutscher Aka<strong>de</strong>mie“<br />
Die ausführliche Biographie aus <strong>de</strong>r<br />
Fe<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Melchior Adam ist dann in <strong>de</strong>r<br />
Folge für gut 200 Jahre die wichtigste<br />
Quelle für alle Lexikon- und Handbuch-<br />
Einträge über Paracelsus geblieben, und es<br />
wäre durchaus reizvoll, diesem Umstand<br />
in einer eigenen Untersuchung nachzugehen.<br />
Wir wollen nun aber wie<strong>de</strong>r ein paar<br />
Jahrzehnte weitereilen und einen Blick in<br />
ein ganz an<strong>de</strong>res Nachschlagewerk tun, in<br />
<strong>de</strong>m man zunächst gar nicht vermuten<br />
wür<strong>de</strong>, für unser Thema überhaupt etwas<br />
zu fin<strong>de</strong>n. Wer wür<strong>de</strong> auch schon die<br />
„Teutsche Aka<strong>de</strong>mie“ <strong>de</strong>s Joachim von<br />
Sandrart 0, <strong>de</strong>ren zweiter Teil in Nürnberg<br />
675 gedruckt wur<strong>de</strong>, damit in Verbindung<br />
bringen?<br />
Wie bereits <strong>de</strong>r künstlerisch gestaltete<br />
und somit <strong>de</strong>m Inhalt in kongenialer<br />
Weise entsprechen<strong>de</strong> Titel besagt, han<strong>de</strong>lt<br />
es sich hier<strong>bei</strong> um ein umfassen<strong>de</strong>s Kompendium<br />
<strong>de</strong>r Kunstgeschichte, anfangend<br />
<strong>bei</strong> <strong>de</strong>n alten Ägyptern und bis in die Gegenwart<br />
<strong>de</strong>s Autors fortgeführt. Dieser hat<br />
sich nicht nur als kenntnisreichster Kunsthistoriker<br />
seiner Zeit im <strong>de</strong>utschen Sprachraum<br />
hervorgetan, son<strong>de</strong>rn war auch selbst<br />
ein viel beschäftigter und anerkannter bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r<br />
Künstler, <strong>de</strong>r sich insbeson<strong>de</strong>re mit<br />
seinen Kupferstichen, Historienbil<strong>de</strong>rn<br />
und großformatigen Gemäl<strong>de</strong>n, auch für<br />
Kirchen-Altäre, einen Namen gemacht hat.<br />
An Sandrarts „Teutscher Aka<strong>de</strong>mie“ ist<br />
daher auch nicht so sehr <strong>de</strong>r Text als vielmehr<br />
die opulente Ausstattung mit unzähligen<br />
Kupferstichen interessant. Hiermit<br />
sollte ja <strong>de</strong>n Malern und <strong>de</strong>n Bildhauern<br />
eine größtmögliche Zahl an Bildvorlagen<br />
geboten wer<strong>de</strong>n, wenn es darum ging, eine<br />
allegorische, mythologische o<strong>de</strong>r historische<br />
Person darzustellen. Von diesem<br />
Angebot ist dann auch von <strong>de</strong>n Künstlern<br />
ein ausgiebiger Gebrauch gemacht wor<strong>de</strong>n,<br />
und ich darf in diesem Zusammenhang<br />
nochmals auf unseren bereits erwähnten<br />
Bibliothekssaal im Stift Admont zu spre-<br />
9
chen kommen: Von <strong>de</strong>n 68 Konsolbüsten,<br />
die <strong>de</strong>r Bildhauer Josef Stammel dort um<br />
die Mitte <strong>de</strong>s 8. Jahrhun<strong>de</strong>rts für die Bücherschränke<br />
geschaffen hat, sind die allermeisten<br />
nach <strong>de</strong>n Bildvorlagen in Sandrarts<br />
„Teutscher Aka<strong>de</strong>mie“ gestaltet .<br />
Doch was hat das mit Paracelsus zu tun?<br />
Im Text <strong>de</strong>s Werkes wird auf ihn tatsächlich<br />
nirgendwo Bezug genommen, aber im<br />
Bildteil fin<strong>de</strong>n wir auf <strong>de</strong>m mit L bezeichneten<br />
(also <strong>de</strong>m 50.) Kupferstich unter <strong>de</strong>n<br />
sechs Medaillons links unten eines mit<br />
einem Porträt, das ganz <strong>de</strong>utlich lesbar mit<br />
„Theophrastus Paracelsus“ überschrieben<br />
ist. Und nicht nur das: Auffallend ist auch<br />
das Umfeld, in <strong>de</strong>m sich dieses Porträt befin<strong>de</strong>t:<br />
Die <strong>bei</strong><strong>de</strong>n italienischen Maler in<br />
<strong>de</strong>r oberen Reihe (<strong>de</strong>r Dominikaner-Mönch<br />
Giovanni da Fiesole und Lippo von Florenz)<br />
sind da für uns weniger interessant<br />
als die <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Medaillons in <strong>de</strong>r Mitte:<br />
Links <strong>de</strong>r Dichter Francesco Petrarca und<br />
rechts jene Laura, die in Petrarcas Gedichten<br />
so häufig vorkommt und als sein I<strong>de</strong>albild<br />
einer Frau gilt. Genau unter Petrarca<br />
steht nun aber das Paracelsus-Bild und daneben<br />
wie<strong>de</strong>r ein italienischer Maler.<br />
Wenn wir nun versuchen, diese eigenartige<br />
Konstellation <strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>r zu <strong>de</strong>uten, so<br />
können wir einerseits davon ausgehen,<br />
dass Sandrart einen Grund dafür gesehen<br />
haben muss, um <strong>de</strong>n Hohenheimer unter<br />
die Künstler zu setzen, müssen aber an<strong>de</strong>rerseits<br />
feststellen, dass dieser nie in irgen<strong>de</strong>inen<br />
Zusammenhang mit Malern gebracht<br />
wor<strong>de</strong>n ist. Somit kann es hier einen inhaltlichen<br />
Konnex nur mit <strong>de</strong>m Dichter Petrarca<br />
geben, was natürlich heißt, dass Sandrart<br />
<strong>de</strong>n Paracelsus – aus welchem Wissensstand<br />
heraus auch immer – als Dichter angesehen<br />
hat. Im Text selbst wird darauf,<br />
wie bereits erwähnt (und auch auf Petrarca)<br />
nicht Bezug genommen, doch vergleicht<br />
<strong>de</strong>r Autor schon im ersten Teil seines<br />
Werkes in <strong>de</strong>m Abschnitt „Von <strong>de</strong>n Affecten<br />
o<strong>de</strong>r Gemütsregungen“ 2 das Wirken <strong>de</strong>r<br />
Dichter, <strong>de</strong>r Redner und <strong>de</strong>r Maler miteinan<strong>de</strong>r.<br />
Das Ganze ist – teils in Prosa und<br />
0<br />
teils in Versen – in <strong>de</strong>utscher Sprache abgefasst,<br />
<strong>de</strong>nn <strong>bei</strong> <strong>de</strong>n Lesern und Benützern<br />
seines Werkes konnte ja <strong>de</strong>r Autor die<br />
Kenntnis <strong>de</strong>s Latein nicht unbedingt voraussetzen.<br />
Die für uns interessante Stelle<br />
hat (in originalgetreuer Orthographie) <strong>de</strong>n<br />
folgen<strong>de</strong>n Wortlaut:<br />
Die Mahler-Kunst / hat dißfalls eine Verwandtschaft<br />
mit <strong>de</strong>r Red- und Dicht-Kunst: weil /(es)<br />
nach <strong>de</strong>r Aussage (<strong>de</strong>s) Tullii 3, auch ihnen wie<br />
<strong>de</strong>n Oratoren und Poeten obliget / zugleich zu<br />
unterweisen / zu belustigen und zu bewegen. Ihr<br />
Pflicht bringet mit sich / (sagt er) dass sie uns<br />
sollen unterweisen / ihre Schuldigkeit ist /zu<br />
Vermehrung ihrer Ehre / daß sie uns sollen<br />
belustigen; die Notdurft ihres Beruffs erfor<strong>de</strong>rt /<br />
daß sie unsere Herzen bewegen sollen. Je fürtrefflicher<br />
und höher aber eine Kunst o<strong>de</strong>r ein Ding<br />
ist / <strong>de</strong>sto tauglicher ist sie, uns zu bewegen.<br />
Es dichten ja zugleich/<strong>de</strong>r Maler und Poet;<br />
es muss auch sinnen aus/<strong>de</strong>r Redner seine<br />
Red.<br />
Gemäl<strong>de</strong>, Vers’ und Wort’/ist, was die dreye<br />
bringen:<br />
Es re<strong>de</strong>t das Gemähl’/und spielet im Gedicht;<br />
<strong>de</strong>r Redner und Poet/auch Wörter-Farben<br />
spricht.<br />
Nach Nützung sie zugleich/und nach Ergetzung<br />
ringen.<br />
So sind sie dann verwandt/so sind sie alle<br />
drey<br />
belobet und beliebt:/Mal-, Redner-,<br />
Dichterey.<br />
„Es dichten ja zugleich/<strong>de</strong>r Maler und<br />
Poet“ … das klingt nicht nur recht hübsch,<br />
son<strong>de</strong>rn trifft im Wesentlichen natürlich<br />
zu. Und wie<strong>de</strong>r können wir nun schließen:<br />
Weil Paracelsus nicht unter die Maler zu<br />
zählen ist und auch nie als Redner im alten<br />
Sinn <strong>de</strong>s Wortes gegolten hat, weil aber<br />
das Petrarca-Bild die einzige Darstellung<br />
eines Dichters in Sandrarts Werk ist und<br />
weil das Paracelsus-Porträt in <strong>de</strong>ssen unmittelbarer<br />
Nähe steht, können wir wohl<br />
nicht umhin, das bestätigt zu sehen, was<br />
ich vorhin ange<strong>de</strong>utet habe: Für Sandrart<br />
war Theophrastus Paracelsus ein Dichter.<br />
Womöglich hat er über <strong>de</strong>ssen Schriften
Abb. 3: Paracelsus <strong>bei</strong> Künstlern in Sandrarts „Deutscher Aca<strong>de</strong>mie“
und die sprachschöpferische Begabung<br />
ihres Verfassers doch ein wenig Bescheid<br />
gewusst, und vielleicht hat ihn die häufig<br />
mystisch anmuten<strong>de</strong> und dunkle Sprache<br />
darin bestärkt.<br />
Damit aber kein Missverständnis aufkommen<br />
und nicht etwa eine Verwechslung<br />
mit <strong>de</strong>m antiken Gelehrten Theophrast(us) 4<br />
vermutet wer<strong>de</strong>n kann, sei hier noch festgestellt:<br />
Auch dieser Mann kommt in Sandrarts<br />
Buch vor, allerdings auf einer an<strong>de</strong>ren<br />
Tafel mit ebenfalls sechs Kupferstichen,<br />
wo er sich in <strong>Ges</strong>ellschaft <strong>de</strong>r Philosophen<br />
Plato, Aristoteles, Seneca, Demokrit und<br />
Diogenes befin<strong>de</strong>t.<br />
3. Frehers „Theatrum“ und das „UniversalLexikon“<br />
von 1709<br />
Doch kehren wir von diesem kleinen<br />
Ausflug in die Welt <strong>de</strong>r schönen Künste<br />
wie<strong>de</strong>r zurück zur ernsthaften Gelehrsamkeit,<br />
und das im wahrsten Sinn <strong>de</strong>s Wortes:<br />
Im Jahre 688 erschien, gleichfalls in Nürnberg,<br />
aber diesmal wie<strong>de</strong>r im schwungvollen<br />
Barock-Latein, ein voluminöser Band mit<br />
<strong>de</strong>m Titel „Theatrum virorum eruditione<br />
clarorum“, also eine „Schaubühne <strong>de</strong>r<br />
durch ihre Gelehrsamkeit hervorragen<strong>de</strong>n<br />
Männer“. Der Verfasser Paul Freher 5 war<br />
Mediziner und wirkte als solcher viele<br />
Jahre als Stadtphysikus in seiner Geburtsstadt<br />
Nürnberg. Die Herausgabe seines<br />
umfangreichen Gelehrten-Lexikons hat er<br />
freilich nicht mehr erlebt; es wur<strong>de</strong> erst<br />
sechs Jahre nach seinem Tod von seinem<br />
Neffen Karl Joachim in Druck gegeben.<br />
Ähnlich wie mehr als ein halbes Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />
zuvor schon Melchior Adam, hat<br />
auch Freher in seinem Werk die be<strong>de</strong>utendsten<br />
Männer aus <strong>de</strong>n klassischen vier<br />
Fakultäten berücksichtigt; sein „Theatrum“,<br />
auf <strong>de</strong>m er <strong>de</strong>m Leser diese große Schar<br />
von prominenten Aka<strong>de</strong>mikern und Intellektuellen<br />
sozusagen vor Augen führt, umfasst<br />
aber alle zusammen in einem einzigen<br />
Band, <strong>de</strong>r – wie<strong>de</strong>rum an Adams Konzeption<br />
erinnernd – nach <strong>de</strong>n To<strong>de</strong>sjahren <strong>de</strong>r<br />
einzelnen Personen geglie<strong>de</strong>rt ist. Ein aus-<br />
2<br />
führliches Register am Schluss <strong>de</strong>s Ban<strong>de</strong>s<br />
erleichtert auch hier die Benützung, wo<strong>bei</strong><br />
man natürlich wie<strong>de</strong>r unter „Theophrastus“<br />
fündig wird.<br />
Nach<strong>de</strong>m wir schon die kritischen Äußerungen<br />
<strong>de</strong>s Mediziners <strong>Ges</strong>ner und <strong>de</strong>n<br />
wahren Lobgesang <strong>de</strong>s Nicht-Mediziners<br />
Adam gehört haben, dürfen wir neugierig<br />
sein, was <strong>de</strong>r Mediziner Freher über Paracelsus<br />
zu sagen weiß. In einem ersten Ausschnitt<br />
(in <strong>de</strong>utscher Übersetzung) aus <strong>de</strong>m<br />
insgesamt vier Spalten umfassen<strong>de</strong>n Artikel<br />
6 erfahren wir zunächst Folgen<strong>de</strong>s:<br />
Weil er (Theophrastus Paracelsus) in <strong>de</strong>r Naturwissenschaft<br />
und in <strong>de</strong>r Medizin <strong>de</strong>r Alten<br />
nicht weniges vermisste, zeigte er einen neuen<br />
Weg auf, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Erfahrung und von <strong>de</strong>r<br />
Natur <strong>de</strong>r Dinge seinen Ausgang nahm. Hier<strong>bei</strong><br />
erklärte er <strong>de</strong>n Schwefel, das Salz und das<br />
Quecksilber als die drei Prinzipien aller körperlichen<br />
Wesen. Von <strong>de</strong>r Medizin lehrte er, dass sie<br />
auf vier Säulen beruhe: Der Physik, <strong>de</strong>r Astronomie,<br />
<strong>de</strong>r Alchemie und <strong>de</strong>r Tugendhaftigkeit.<br />
Manche sind <strong>de</strong>r Meinung, dass es nicht wenige<br />
gebe und gegeben habe, die imstan<strong>de</strong> waren,<br />
die Schriften <strong>de</strong>s Paracelsus zu verstehen. Es ist<br />
allerdings gewiss, dass er Schriften hinterlassen<br />
hat, <strong>de</strong>nen ein so großes Dunkel innewohnt, sodass<br />
in unserer Zeit kaum jemand verstehen<br />
kann, was er damit sagen wollte.<br />
Johannes Oporinus 7, <strong>de</strong>r sein Schreiber war,<br />
bekräftigt, dass er ihn öfters gesehen habe, wie er<br />
in <strong>de</strong>r Nacht, vom Weine triefend, mit gezücktem<br />
Schwert eine halbe Stun<strong>de</strong> lang mit <strong>Ges</strong>penstern<br />
gekämpft hat – nicht ohne Gefahr für<br />
<strong>de</strong>n Schreiber, <strong>de</strong>r <strong>bei</strong> ihm in <strong>de</strong>r Stube lag und<br />
sich fürchtete. Hierauf habe Paracelsus ihn, <strong>de</strong>n<br />
Schreiber, aufgefor<strong>de</strong>rt, das nie<strong>de</strong>rzuschreiben,<br />
was er ihm diktieren wer<strong>de</strong>; und er diktierte ihm<br />
so fließend, dass kein Zweifel daran bestand,<br />
dass ihm die Worte mit Zutun <strong>de</strong>r Dämonen<br />
eingegeben wur<strong>de</strong>n.<br />
Das Bild, das Freher von Paracelsus<br />
zeichnet, ist also in ziemlich bunten Tönen<br />
gehalten; es bietet einerseits so wichtige<br />
Sachinformationen wie etwa <strong>de</strong>n Hinweis<br />
auf die neuen Forschungswege und auf die<br />
Lehre von <strong>de</strong>n Prinzipien, aber auch recht
eigenartig anmuten<strong>de</strong> Facetten <strong>de</strong>r Lebensbeschreibung,<br />
die uns <strong>de</strong>n Hohenheimer<br />
dann doch als eine exzentrische Person erscheinen<br />
lassen. Das insgesamt jedoch recht<br />
positive Paracelsus-Bild, das uns auf Frehers<br />
„Schaubühne“ geboten wird, enthält natürlich<br />
auch noch manche weitere bemerkenswerte<br />
Einzelheiten, so dass es sich lohnt,<br />
hier noch einen zweiten Ausschnitt (gleichfalls<br />
in <strong>de</strong>utscher Übersetzung) anzufügen.<br />
Die Ausdrucksweise, <strong>de</strong>ren er sich auf <strong>de</strong>r<br />
Hohen Schule in seinen Vorträgen bediente, war<br />
ein barbarisches Latein, wie es in jenem Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />
freilich auch von <strong>de</strong>n gebil<strong>de</strong>ten Menschen<br />
gesprochen wur<strong>de</strong>. Er verfügte allerdings<br />
über ein so hervorragen<strong>de</strong>s Gedächtnis, dass er<br />
ganze Textstellen aus <strong>de</strong>m Galenus 8 auswendig<br />
und fließend rezitieren konnte. Und so lehrte er<br />
zunächst unter großer Bewun<strong>de</strong>rung vor einer<br />
zahlreichen Schar von Hörern, darunter auch<br />
solchen, die sich in <strong>de</strong>r medizinischen Wissenschaft<br />
eines ausgezeichneten Rufes erfreuten.<br />
Abb. 4: Mediziner-Porträts mit Paracelsus in Frehers „Theatrum“<br />
Während seines Vortrags wur<strong>de</strong> er zuweilen<br />
auch lei<strong>de</strong>nschaftlich ergriffen und begann die<br />
Stimme laut schreiend zu erheben.<br />
Als er in Basel lehrte, fing er auch damit an,<br />
die Krankheiten mit Beschwörungen und Zauberformeln<br />
zu behan<strong>de</strong>ln. Als dies für einen<br />
frommen Menschen unerträglich wur<strong>de</strong>, brach<br />
er in die Worte aus: „Will Gott nicht helfen, so<br />
helfe <strong>de</strong>r Teufel!“ Man wird diese Worte aber<br />
mil<strong>de</strong>r auslegen, wenn man weiß, dass sie zu<br />
einer ganz gewöhnlichen Person gesprochen<br />
wur<strong>de</strong>n. In seinen Schriften heißt es hingegen<br />
immer wie<strong>de</strong>r: „Dem Christenmenschen ist es<br />
von Gott erlaubt, sich <strong>de</strong>s Dämons gleichsam<br />
wie eines Räubers ohne jegliche Verletzung <strong>de</strong>r<br />
Frömmigkeit in Rat und Tat zu bedienen.“<br />
Wenn in Verbindung mit Frehers „Theatrum“<br />
von einem Paracelsus-Bild die Re<strong>de</strong><br />
ist, so darf auch nicht vergessen wer<strong>de</strong>n,<br />
dass <strong>de</strong>r Ausdruck in diesem Fall sogar<br />
ganz wörtlich zu nehmen ist: Zum ersten<br />
Mal in <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r in Deutschland<br />
3
erschienenen biographischen Nachschlagewerke<br />
wird hier nämlich (und in dieser<br />
Hinsicht durchaus mit Sandrarts „Aca<strong>de</strong>mie“<br />
vergleichbar) <strong>de</strong>r Textteil durch einen<br />
Bildteil ergänzt: Von <strong>de</strong>n rund 3000 Personen,<br />
<strong>de</strong>ren Leben und Wirken in <strong>de</strong>m<br />
gewichtigen Band auf mehr als 500 Seiten<br />
dargestellt wird, sind über 300 auch mit<br />
einem in Kupfer gestochenen Porträt auf<br />
<strong>de</strong>n 82 Tafeln vertreten – also auch in dieser<br />
Hinsicht haben wir es mit einer wahren<br />
„Schaubühne“ von barocker Opulenz zu<br />
tun. Der als „medicus famigeratissimus“<br />
(„überaus berühmter Arzt“) gepriesene<br />
Theophrastus Paracelsus ist hier zwischen<br />
<strong>de</strong>n prominenten italienischen Medizinern<br />
Benedictus Victorinus und Valerius cordus<br />
zu fin<strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r erstgenannte als<br />
Professor in Bologna tätig war und <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />
als „Medicus excellens“ („hervorragen<strong>de</strong>r<br />
Arzt“) bezeichnet wird.<br />
Den verschie<strong>de</strong>nen Nachschlagewerken,<br />
in die wir bisher Einblick genommen<br />
haben, war doch <strong>bei</strong> allen Unterschie<strong>de</strong>n<br />
eines gemeinsam: Keines von ihnen hat<br />
das Wort „Lexikon“ im Titel geführt.<br />
Daher ist es wohl an <strong>de</strong>r Zeit, endlich auch<br />
ein solches Werk heranzuziehen – das<br />
„Allgemeine Historische Lexicon“, <strong>de</strong>ssen<br />
dritter und vierter Teil, in einem Band vereinigt,<br />
im Jahre 709 in Leipzig, <strong>de</strong>r altehrwürdigen<br />
Stadt <strong>de</strong>s Buchdrucks und <strong>de</strong>s<br />
Buchhan<strong>de</strong>ls, erschienen ist. Damit haben<br />
wir zum ersten Mal einen gera<strong>de</strong>zu klassischen<br />
Vertreter dieses Typs vor uns,<br />
streng alphabetisch aufgebaut und bereits<br />
in <strong>de</strong>utscher Sprache abgefasst. Auf unserer<br />
Suche wer<strong>de</strong>n wir diesmal aber – und<br />
auch das ist neu – nicht unter „Theophrastus“,<br />
son<strong>de</strong>rn unter „Paracelsus“ fündig 9,<br />
und da ist in originaler Orthographie Folgen<strong>de</strong>s<br />
zu lesen:<br />
Unter an<strong>de</strong>rem gab (sein Vater) ihn <strong>de</strong>m berühmten<br />
Chymico Basilio Valentino in die Information,<br />
von welchem Paracelsus gelernet,<br />
dass man durch das Destillieren die meisten<br />
Körper in Wasser, Öl und Salz abtheilen könne,<br />
daher er nachmals diese drei Dinge nicht nur zu<br />
4<br />
principiis <strong>de</strong>r körperlichen Dinge gemacht, son<strong>de</strong>rn<br />
auch alle Krankheiten von einem <strong>de</strong>rselben<br />
hergeleitet hat.<br />
Im 28. Jahr seines Alters soll er <strong>de</strong>n so genannten<br />
Stein <strong>de</strong>r Weisen bekommen haben,<br />
<strong>de</strong>swegen er sich zu Basel setzte, auch wegen seiner<br />
glücklichen Kuren eine medizinische Profession<br />
erhielt. Er lehrte also drei Jahr zu Basel, geriet<br />
aber hier<strong>bei</strong>, wie einige versichern, ein wenig<br />
ins lü<strong>de</strong>rliche Leben. Er fing auch an, die Kathe<strong>de</strong>r<br />
und das Latein, so er fast gar vergessen,<br />
zu verachten, und kam auf die Meinung: Man<br />
müsse die Wahrheit nur <strong>de</strong>utsch dozieren.<br />
Gewiss ist, dass er die gemeine galenische Metho<strong>de</strong><br />
zu kurieren sehr herunter gemacht, …<br />
auch in <strong>de</strong>r Theologie selbst sich seiner Freiheit<br />
bedienet, ob er sich schon von <strong>de</strong>r römischen<br />
Kirchen nie offenbar abgeson<strong>de</strong>rt. Wie <strong>de</strong>nn diejenigen,<br />
welche sich Mysticos und Theosophos<br />
nennen, ihn als ihren Vorgänger zu respektieren<br />
haben. Es wird ihm viel Böses nachgesaget,<br />
welches aber seine Liebhaber abzuwen<strong>de</strong>n suchen,<br />
darunter auch die Beschuldigung gehöret,<br />
dass er ein Bündnis mit <strong>de</strong>m Teufel gehabt.<br />
Was dieses Lexikon an Wissenswertem<br />
für unser Thema zu bieten hat, ist natürlich<br />
zum allergrößten Teil aus <strong>de</strong>n uns<br />
schon bekannten älteren Werken <strong>de</strong>s<br />
Adam und <strong>de</strong>s Freher entnommen. Einige<br />
wenige (wenn auch fragwürdige) Neuigkeiten<br />
sind hier aber doch zu fin<strong>de</strong>n, so<br />
etwa die angeblichen Lehrjahre <strong>bei</strong> <strong>de</strong>m<br />
„chymiker“ Valentinus 20 und <strong>de</strong>r <strong>bei</strong> <strong>de</strong>n<br />
Kennern <strong>de</strong>r Materie zweifellos ein<br />
Schmunzeln auslösen<strong>de</strong> Hinweis auf die<br />
angeblichen drei „Prinzipien“ Wasser, Öl<br />
und Salz; hier haben die (namentlich nicht<br />
genannten) Bear<strong>bei</strong>ter <strong>de</strong>s Lexikons wohl<br />
etwas missverstan<strong>de</strong>n: es muss bekanntlich<br />
Schwefel, Quecksilber und Salz heißen.<br />
Neu und nicht unzutreffend ist die ausdrückliche<br />
Bezugnahme auf die „mysticos“<br />
und „theosophos“, während <strong>de</strong>r angebliche<br />
Teufelspakt zum alt gewohnten Repertoire<br />
<strong>de</strong>r Überlieferung gehört.
4. Barocke Gelehrsamkeitsgeschichte:<br />
Morhof, Conring, Gundling<br />
Der Blick in das <strong>de</strong>utschsprachige Lexikon<br />
von 709 darf uns freilich nicht zu <strong>de</strong>r<br />
Annahme verleiten, dass wir es von nun<br />
an überhaupt mit Nachschlagewerken in<br />
<strong>de</strong>r Muttersprache zu tun hätten – vielmehr<br />
ist das Gegenteil <strong>de</strong>r Fall, und das<br />
zeigt sich schon, wenn wir uns als nächstem<br />
<strong>de</strong>m „Polyhistor literarius, philosophicus<br />
et practicus“ <strong>de</strong>s Daniel Georg Morhof<br />
2 zuwen<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r selbst als wahrer Polyhistor<br />
gelten kann. Der aus Wismar<br />
gebürtige Sprach- und Literaturhistoriker<br />
hat in seinem vielteiligen, systematisch<br />
aufgebauten Kompendium, das eine ziemlich<br />
komplizierte Entstehungsgeschichte<br />
aufweist 22, einen im besten Sinne enzyklopädischen<br />
Überblick über die Welt <strong>de</strong>s<br />
Wissens und <strong>de</strong>r universellen Gelehrsamkeit<br />
zu bieten versucht. Welches Bild nun<br />
Morhof in seinem „Polyhistor“ von Paracelsus<br />
skizziert, ist schon daran abzulesen,<br />
dass er ihm bereits im ersten Buch einen<br />
Abschnitt widmet, und zwar im 5. Kapitel,<br />
das mit <strong>de</strong>r Überschrift „De Novatoribus<br />
in Philosophia“ (also „über die Erneuerer<br />
<strong>de</strong>r Philosophie“ – gemeint ist die<br />
Naturwissenschaft) versehen ist. In diesem<br />
Kapitel trägt <strong>de</strong>r 6. Abschnitt 23 die Überschrift<br />
„Phil(ippus) Aureolus Theophrastus<br />
Paracelsus von Hohenheim“ und hat (hier<br />
in <strong>de</strong>utscher Übersetzung wie<strong>de</strong>rgegeben<br />
und etwas gekürzt) <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Inhalt:<br />
Wun<strong>de</strong>rbar war an diesem Menschen, so wie<br />
<strong>de</strong>r Name, auch die Geistesgabe: Er war gleichsam<br />
ein neuer Komet auf <strong>de</strong>m gelehrten Erdkreis,<br />
ein Neuerer in <strong>de</strong>r Theologie und in <strong>de</strong>r<br />
Naturwissenschaft, obwohl er selbst <strong>bei</strong>nahe ungebil<strong>de</strong>t<br />
war, das heißt: Er war mit keiner<br />
Schul-Gelehrsamkeit befleckt. Diesem Geist war<br />
eine wun<strong>de</strong>rbare, wenn auch völlig wild gewachsene,<br />
Fruchtbarkeit zu Eigen, da er so viele<br />
neue Lehrsätze hervorbrachte, die für die Theologen<br />
und Naturwissenschaftler anstößig<br />
waren.<br />
Es war in ihm eine große Kraft <strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>s<br />
und eine große Erkenntnis <strong>de</strong>r Geheim-<br />
nisse <strong>de</strong>r Natur, wodurch es auch geschah, dass<br />
er die Medizin gewissermaßen in eine neue<br />
Form umgegossen hat. Die Deutschen können<br />
sich dieses Namens rühmen. Mit seiner Kunst<br />
hat er nämlich <strong>bei</strong>nahe die gesamte Schule <strong>de</strong>r<br />
galenischen Medizin ihrer Wür<strong>de</strong> entklei<strong>de</strong>t.<br />
Wenn diesem Mann in seiner Jugend die nötige<br />
Bildung zuteil gewor<strong>de</strong>n wäre, mit <strong>de</strong>r er seine<br />
Lehre hätte schmücken können, so hätte<br />
Deutschland überhaupt keinen größeren Namen<br />
aufzuweisen.<br />
Paracelsus war auch kein Auto-Didactus,<br />
son<strong>de</strong>rn verdankte seine wichtigsten Lehren <strong>de</strong>n<br />
unveröffentlichten Schriften <strong>de</strong>s Isaak Hollandius,<br />
von <strong>de</strong>m er sich, wie man annimmt, vieles<br />
abgeschrieben hat. Nun haben freilich die gera<strong>de</strong>zu<br />
ungeheuerlichen Begriffe, <strong>de</strong>ren Schöpfer er<br />
selbst gewesen ist, seine Lehre in einen üblen Ruf<br />
und sogar in <strong>de</strong>n Verdacht <strong>de</strong>r Magie gebracht.<br />
Gerechter aber richten jene über ihn, die be<strong>de</strong>nken,<br />
dass alle seine Schriften erst nach seinem<br />
Tod erschienen sind, und dass von ihm als Leben<strong>de</strong>m<br />
nichts schriftlich festgehalten wur<strong>de</strong>. –<br />
Und hätte er die Hän<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Theologie gelassen,<br />
so hätte er sich weniger Neid zugezogen.<br />
Hier haben wir nun eine wahre Lobeshymne<br />
vor uns, die zwar sachlich nicht<br />
viel Neues bringt (außer <strong>de</strong>m Hinweis auf<br />
<strong>de</strong>n Isaak Hollandius 24), aber in solchem<br />
Maße eine positive Wertung enthält, wie<br />
wir sie bis dahin nicht gefun<strong>de</strong>n haben<br />
und auch künftig nicht fin<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />
Morhof rückt in seinem Werk <strong>de</strong>n Hohenheimer<br />
mit <strong>de</strong>m Hinweis auf <strong>de</strong>ssen Be<strong>de</strong>utung<br />
als Neuerer in <strong>de</strong>r Philosophie<br />
sogar in die Nähe <strong>de</strong>s René Descartes und<br />
<strong>de</strong>s Amos comenius, <strong>de</strong>nen jeweils vor<br />
und nach Paracelsus ein eigener Abschnitt<br />
gewidmet ist. Kann man jedoch aus diesem<br />
Lobgesang auch schon <strong>de</strong>n Schluss<br />
ziehen, dass in <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Lan<strong>de</strong>n nun<br />
in <strong>de</strong>r gelehrten Welt ein neues, in leuchten<strong>de</strong>n<br />
Farben gehaltenes Paracelsus-Bild<br />
Einzug gehalten hätte, o<strong>de</strong>r gab es um<br />
diese Zeit doch auch kritische und negative<br />
Gegenstimmen – nicht nur in <strong>de</strong>r<br />
Fachliteratur, son<strong>de</strong>rn auch (und speziell)<br />
in <strong>de</strong>n Nachschlagewerken? Ein gera<strong>de</strong>zu<br />
5
drastisches Beispiel für eine solche Gegenstimme<br />
fin<strong>de</strong>n wir in einer gleichfalls lateinisch<br />
abgefassten Publikation aus <strong>de</strong>m<br />
Jahre 727.<br />
In <strong>de</strong>r Kunst <strong>de</strong>s Heilens stan<strong>de</strong>n damals <strong>bei</strong><br />
uns im hellen Licht <strong>de</strong>s Ruhmes vor allem Leonhard<br />
Fuchs und Johannes Günther aus An<strong>de</strong>rnach.<br />
Ihnen wären ohne Zweifel noch mehrere<br />
an<strong>de</strong>re an die Seite getreten, wenn nicht zu dieser<br />
Zeit jener Scharlatan ganz Deutschland verrückt<br />
gemacht hätte, <strong>de</strong>r sich Philippus Aureolus<br />
Theophrastes <strong>Bombastus</strong> Paracelsus von Hohenheim<br />
nannte. Er war ein Scheusal von<br />
einem Menschen und nur dazu geboren, um in<br />
<strong>de</strong>r Medizin jegliche bessere Lehre zu ver<strong>de</strong>rben.<br />
Aus Einsie<strong>de</strong>ln <strong>bei</strong> Zürich gebürtig, starb er<br />
1541 als Umherschweifen<strong>de</strong>r in Salzburg, nach<br />
langen Wan<strong>de</strong>rungen und ständigen Streitereien<br />
zu Basel und an<strong>de</strong>rswo. Er war ein Großsprecher<br />
und hat alle an<strong>de</strong>ren verachtet.<br />
Was wir soeben gehört haben und was<br />
in <strong>de</strong>n Ohren von Mitglie<strong>de</strong>rn und Freun<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>r <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft nicht sehr<br />
freundlich klingen mag, stammt aus einem<br />
ganz ähnlichen Werk wie <strong>de</strong>m <strong>de</strong>s Morhof,<br />
das allerdings von einer ganz an<strong>de</strong>ren<br />
<strong>Ges</strong>innung getragen ist.<br />
Der in Breslau erschienene „commentarius<br />
<strong>de</strong> Scriptoribus se<strong>de</strong>cem post christum<br />
natum seculorum“ will ebenfalls eine<br />
Art Gelehrtengeschichte von <strong>de</strong>r Antike bis<br />
zur Neuzeit bieten, und auch dieses Werk<br />
ist natürlich im Sinne einer systematischhistorischen<br />
Darstellung aufgebaut. Was<br />
seinen Verfasser, <strong>de</strong>n in Helmstedt beheimateten<br />
Hermann conring 25 so sehr an<br />
Paracelsus erzürnt hat, dass er ihn so hässliche<br />
Worte verwen<strong>de</strong>n lässt, ist aus <strong>de</strong>m<br />
verhältnismäßig kurzen Text 26 nicht unmittelbar<br />
ersichtlich. Aber vielleicht ist es doch<br />
kein purer Zufall, dass dieser vielseitige Gelehrte,<br />
<strong>de</strong>r sich vor allem mit juristischen<br />
und rechtsgeschichtlichen Studien einen<br />
Namen gemacht hat, in erster Linie doch<br />
ein Mediziner und darüber hinaus ein großer<br />
Verehrer <strong>de</strong>s Aristoteles war.<br />
Nach <strong>de</strong>r tüchtigen Paracelsus-Schelte<br />
<strong>de</strong>s Herrn Professor conring soll nun wie-<br />
6<br />
<strong>de</strong>r ein in ausgewogeneren Zügen skizziertes<br />
Bild <strong>de</strong>s Hohenheimers vorgelegt<br />
wer<strong>de</strong>n. Ein solches fin<strong>de</strong>n wir in einem<br />
bezüglich <strong>de</strong>r Konzeption mit Morhofs<br />
und conrings Werken vergleichbaren, aber<br />
wesentlich umfangreicheren Kompendium,<br />
das schon in <strong>de</strong>utscher Sprache abgefasst<br />
ist und in seinem anspruchsvollen<br />
Titel von sich nichts Geringeres behauptet,<br />
als <strong>de</strong>m Leser eine „Vollständige Historie<br />
<strong>de</strong>r Gelahrtheit“ zu bieten. Der Autor, Nicolaus<br />
Hieronymus Gundling 27, stammte<br />
aus Franken, lebte aber später in Halle an<br />
<strong>de</strong>r Saale, und sein großes Werk ist erst<br />
734 in Frankfurt am Main und Leipzig<br />
posthum in Druck gegangen. Über Paracelsus<br />
hat er sich viel ausführlicher als die<br />
<strong>bei</strong><strong>de</strong>n vorhin genannten Gelehrsamkeits-<br />
Historiker geäußert, und was er da zu<br />
sagen weiß 28, bietet neben einer Reihe von<br />
mehr o<strong>de</strong>r weniger gesicherten biographischen<br />
Daten auch bemerkenswerte Stellungnahmen<br />
zu Person und Werk <strong>de</strong>s Hohenheimers.<br />
Die Schweizer sind grob, voller Intrigen, und<br />
nicht ein Haar besser als an<strong>de</strong>re Nationen. Theophrastus<br />
Paracelsus war auch ein Schweizer,<br />
o<strong>de</strong>r – wie an<strong>de</strong>re wollen – ein Schwabe. Gewiß<br />
kann ich es nicht sagen, <strong>de</strong>nn er hat es niemand<br />
offenbaret. Soviel ist in<strong>de</strong>ssen wohl gewiß, dass<br />
er nach Africam, Asiam, Moscau und Arabien<br />
gereiset, und hatt also Vieles erfahren. Auch<br />
verstund er dahero die arabische Sprach vollkommen<br />
und hatt darinnen viele gute Dinge<br />
quoad artem medicam (mit Bezug auf die Heilkunst)<br />
geschrieben.<br />
Als er nun von diesen Reisen wie<strong>de</strong>r nach<br />
Hause kam, machte man ihn zum Professore<br />
Physices in Basel. Da er aber daselbst anfing,<br />
auf Deutsch zu docieren, so waren die Pedanten<br />
alsobald hinter ihm her. Denn sie meinten, nun<br />
wür<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>r eine Barbarei einreißen, und je<strong>de</strong>rmann<br />
ein Medicus wer<strong>de</strong>n. Sed inanis erat<br />
hic metus (Doch umsonst war diese Befürchtung).<br />
Man verstehet ja <strong>de</strong>swegen auch nicht<br />
gleich die res (die Sache), wenn man die Worte<br />
weiß. Gleichwohl lief doch je<strong>de</strong>rmann zu diesem<br />
Theophrasto und die an<strong>de</strong>ren Professores litten
dadurch nicht wenigen Abbruch. Folglich ward<br />
das odium (<strong>de</strong>r Haß) immer größer.<br />
Gundlings Ansicht, dass die Schweizer<br />
„grob und voller Intrigen“ seien, hat ihn<br />
also nicht daran gehin<strong>de</strong>rt, die Persönlichkeit<br />
<strong>de</strong>s Paracelsus vorurteilsfrei und in<br />
einem wirklich angenehmen Licht zu zeigen.<br />
Er geht auch auf kritische Stimmen<br />
ein und ist bemüht, diese Kritikpunkte zu<br />
entschärfen. Da tut es auch nichts zur<br />
Sache, dass er die Reisefreudigkeit <strong>de</strong>s Hohenheimers<br />
über Gebühr und entgegen<br />
<strong>de</strong>r historischen Wahrheit herausgestrichen<br />
hat, und dass er ihn auch noch zu einem<br />
Kenner <strong>de</strong>s Arabischen gemacht hat. Die<br />
üble Beleumdung <strong>de</strong>s Paracelsus sieht er<br />
schlicht und einfach im Neid <strong>de</strong>rer begrün<strong>de</strong>t,<br />
die offenbar durch ihn zu Scha<strong>de</strong>n<br />
kamen (o<strong>de</strong>r zu kommen fürchteten).<br />
Solche missgünstig gesonnene Personen<br />
waren nach Gundlings Ansicht sowohl<br />
unter <strong>de</strong>n Theologen als auch <strong>bei</strong> <strong>de</strong>n Medizinern<br />
zu fin<strong>de</strong>n.<br />
Die Theologen eiferten auch heftig wi<strong>de</strong>r ihn,<br />
weil er in seinen Schriften immer Theologica mit<br />
eingemischet. Allein dieses war, seinen Principiis<br />
nach, allerdings nötig. Denn er sagte ausdrücklich:<br />
Man müsse nicht in <strong>de</strong>nen Schriften<br />
Hippokratis und Galeni, son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r heiligen<br />
Schrift die Kunst <strong>de</strong>s Heilens suchen. Die<br />
Haupt-Ursache hergegen, warum die Theologen<br />
so gar sehr auf ihn schmäheten, war diese, weil<br />
er <strong>de</strong>m Indifferentismo soll sein ergeben gewesen.<br />
Hierzu kam noch <strong>de</strong>rer Lutheraner odium.<br />
Denn er hatte zu sagen pflegen: Luthers Reformation<br />
sei Bacchanten-Werk gewesen; wenn es<br />
ihm anstün<strong>de</strong>, er wollte es weit besser machen.<br />
Er fing schon an zu chymisieren. Ja, er nahm,<br />
an Statt <strong>de</strong>rer ganzen Kübel, die sonst die Medici<br />
<strong>de</strong>n Patienten eingaben, nur wenige Tropfen,<br />
und tat doch damit die besten Kuren in <strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>speratesten Krankheiten. Folglich ist kein<br />
Wun<strong>de</strong>r, dass ihm einige Medici sogar nach<br />
<strong>de</strong>m Leben gestan<strong>de</strong>n: Sie wollten ihn nämlich<br />
mit Gifte hinrichten. Da sie ihm aber auf solche<br />
Weise nicht <strong>bei</strong>kommen konnten, machten sie<br />
ihn zum Hexenmeister. Hiermit stimmten nun<br />
geschwind verschie<strong>de</strong>ne Theologen überein, weil<br />
er in seinen öffentlichen Schriften das Wort<br />
„Magiam“ gebrauchet. Doch ist zu unterschei<strong>de</strong>n<br />
zwischen natürlicher und diabolischer<br />
Magie, weswegen man ihn auch hat <strong>de</strong>rowegen<br />
entschuldigt und verteidiget. Nur dieses ist an<br />
ihm zu ta<strong>de</strong>ln: Dass er seinen Schülern nicht<br />
viel sagte, und was er ja noch offenbarte, davon<br />
konnten sie das Wenigste, seiner neu erdichteten<br />
und dunckeln Wörter halber, verstehen.<br />
Gundlings auffällig <strong>de</strong>utliche Bezugnahme<br />
auf die theologische Gegnerschaft<br />
und sein mil<strong>de</strong>s Urteil über das aus seiner<br />
Sicht an Paracelsus Ta<strong>de</strong>lnswerte kommt<br />
vielleicht nicht ganz von ungefähr: Er<br />
selbst war theologisch und juristisch gebil<strong>de</strong>t,<br />
aber kein Mediziner.<br />
5. Zedlers „UniversalLexikon“ und Jöchers<br />
„GelehrtenLexikon“<br />
Schon einmal haben wir einen Blick in<br />
ein Lexikon getan, das diesen Begriff im<br />
Titel geführt hat, und nun darf natürlich<br />
auch ein Blick in das berühmteste <strong>de</strong>rartige<br />
Werk <strong>de</strong>r frühen Neuzeit, in Zedlers Universal-Lexikon,<br />
nicht fehlen. Mit seinen 68<br />
Bän<strong>de</strong>n ist es im <strong>de</strong>utschen Sprachraum<br />
das größte <strong>de</strong>rartige, jemals vollständig erschienene<br />
Nachschlagewerk, und es ist das<br />
erste seiner Art, das seinen Namen nicht<br />
nach einem Bear<strong>bei</strong>ter o<strong>de</strong>r Verfasser, son<strong>de</strong>rn<br />
nach seinem Verleger erhalten hat. 29<br />
Wie schon im Lexikon von 709 müssen<br />
wir auch hier für unsere Zwecke unter <strong>de</strong>m<br />
Stichwort „Paracelsus“ nachschlagen: Der<br />
26. Band, im Jahre 740 in Frankfurt und<br />
Leipzig erschienen, enthält dazu einen verhältnismäßig<br />
ausführlichen Artikel, <strong>de</strong>r<br />
eine ganze großformatige Seite 30 umfasst.<br />
Der namentlich nicht genannte Verfasser<br />
dieses Beitrags hat sich offenbar gut informiert,<br />
und wie es <strong>de</strong>r grundsätzlichen Intention<br />
<strong>de</strong>s „Zedler“ entsprach, wird hier<br />
nur sachlich fundierte (als solche freilich<br />
nicht mehr neue) Information geboten,<br />
ohne jegliche polemische Bemerkung, aber<br />
auch ohne je<strong>de</strong> ausdrücklich loben<strong>de</strong> Äußerung.<br />
Ein kleiner Ausschnitt soll dies<br />
veranschaulichen.<br />
7
Wie nun <strong>de</strong>rselbe (Paracelsus) eine son<strong>de</strong>rbare<br />
Neigung zur Chymie bezeigte, wur<strong>de</strong> er hierauf<br />
<strong>de</strong>m Abt Trithemio zu Spanheim in die Unterrichtung<br />
gegeben, da er dann verschie<strong>de</strong>ne Geheimnisse<br />
in dieser Kunst erlernte, und sodann<br />
zu Sigismund Fuggern sich verfügte, welcher damals<br />
diesen Studien sehr eifrig oblag und zur<br />
Beför<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>rselben viele Leute hielt. Hiernächst<br />
besuchte er auch an<strong>de</strong>re in dieser Wissenschaft<br />
berühmte Männer, und tat <strong>bei</strong> noch früher<br />
Jugend eine Reise nicht allein durch Deutschland,<br />
Italien, Frankreich und Spanien, son<strong>de</strong>rn<br />
auch durch Polen, Siebenbürgen, Kroatien und<br />
an<strong>de</strong>re Län<strong>de</strong>r; da hat er aller Orten vieles in<br />
<strong>de</strong>r Natur angemerket und er soll sowohl von<br />
alten Weibern als von Ärzten, Wundärzten<br />
und Chymisten son<strong>de</strong>rbare Arzneimittel erlernet<br />
haben.<br />
Man merket hier<strong>bei</strong> auch noch an, dass seine<br />
Lehre von <strong>de</strong>n drei Anfangsgrün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Chymisten<br />
nicht von ihm erfun<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn wie<br />
noch viele an<strong>de</strong>re Dinge aus <strong>de</strong>n Büchern <strong>de</strong>s<br />
Basilius Valentinus, die damals noch wenig in<br />
<strong>de</strong>r Welt bekannt gewesen, hergenommen sei; ob<br />
er gleich <strong>de</strong>nselbigen in seinen Schriften nirgendswo<br />
erwähnt hat. So viel ist in<strong>de</strong>ssen ganz<br />
gewiss, dass er viele Krankheiten mit beson<strong>de</strong>rm<br />
Glück behoben, welche an<strong>de</strong>re Ärzte, die <strong>de</strong>n<br />
Gebrauch <strong>de</strong>s Opium und <strong>de</strong>s Quecksilbers damals<br />
noch nicht recht verstan<strong>de</strong>n, gar nicht zu<br />
heilen wussten.<br />
Sonsten hat er die Physik, Astronomie und<br />
Alchymie nebst <strong>de</strong>r Frömmigkeit als vier Säulen<br />
<strong>de</strong>r wahrhaften Arzneikunst angegeben, auch in<br />
<strong>de</strong>r Gottesgelehrsamkeit sich selbst seiner Freiheit<br />
bedienet, ob er sich gleich von <strong>de</strong>r Römischen<br />
Kirchen niemals abgeson<strong>de</strong>rt.<br />
Wenn auch im vorliegen<strong>de</strong>n Beitrag verständlicherweise<br />
nur eine kleine Auswahl<br />
aus <strong>de</strong>n vielen Nachschlagewerken <strong>de</strong>r frühen<br />
Neuzeit geboten wer<strong>de</strong>n kann, so<br />
wäre diese Auswahl doch noch weit weniger<br />
vollständig ohne jenes spezielle biographische<br />
Fachlexikon, das mehrmals neu<br />
aufgelegt wur<strong>de</strong> und dann noch bis weit<br />
ins 9. Jahrhun<strong>de</strong>rt hinein unter seinesgleichen<br />
als das Standardwerk schlechthin<br />
gegolten hat: Das von christian Gottlieb<br />
8<br />
Jöcher 3 verfasste „Allgemeine Gelehrten-<br />
Lexicon“, <strong>de</strong>ssen 3. Band mit <strong>de</strong>m Stichwort<br />
„Paracelsus“ im Jahre 75 bereits in<br />
zweiter Auflage (und natürlich ebenfalls in<br />
Leipzig) erschienen ist.<br />
Dieses Werk hat es sich – wie <strong>de</strong>r Titel<br />
besagt – zum Ziel gesetzt, die „Gelehrten<br />
aller Stän<strong>de</strong> vom Anfang <strong>de</strong>r Welt bis auf<br />
unsere Zeit“ zu erfassen, und <strong>de</strong>r selbst aus<br />
Leipzig gebürtige Verfasser war als promovierter<br />
Theologie, Professor <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>chichte<br />
und langjähriger Leiter <strong>de</strong>r Universitätsbibliothek<br />
je<strong>de</strong>nfalls <strong>de</strong>r geeignete Mann, um<br />
ein solches in <strong>de</strong>r Tradition von <strong>Ges</strong>ner<br />
und Freher stehen<strong>de</strong>s Kompendium zu erar<strong>bei</strong>ten.<br />
Sein Artikel über Paracelsus 32<br />
stimmt zwar auf weite Strecken fast wortwörtlich<br />
mit <strong>de</strong>m in Zedlers Lexikon überein,<br />
setzt aber doch auch (beson<strong>de</strong>rs in<br />
<strong>de</strong>n spezifisch medizinischen Dingen) eigenständige<br />
Akzente und lässt zwischen<br />
<strong>de</strong>n Zeilen durchaus eine gewisse Sympathie<br />
durchblicken. Dies wird schon an<br />
einer kleinen „Kostprobe“ aus <strong>de</strong>m Artikel<br />
<strong>de</strong>utlich.<br />
Sonst hat er die Physik, Astronomie und Alchymie<br />
nebst <strong>de</strong>r Frömmigkeit als vier Säulen<br />
<strong>de</strong>r wahrhaften Arzneikunst angegeben, auch in<br />
<strong>de</strong>r Theologie sich selbst seiner Freiheit bedienet,<br />
ob er sich gleich von <strong>de</strong>r Römischen Kirchen öffentlich<br />
niemals abgeson<strong>de</strong>rt.<br />
Er wollte die gesamte Medizin auf einen bessern<br />
Fuß setzen, leitete zuerst die Krankheiten<br />
aus <strong>de</strong>m Tartaro und <strong>de</strong>n principiis chymicis<br />
her, verwarf die ganze Diätetik, führte <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r<br />
Pharmazie lauter chymische Arznei-Mittel ein,<br />
verlachte die so genannten galenischen Medikamente,<br />
meinte die Wirkungen <strong>de</strong>r Simplicium<br />
aus ihrer äußeren Farbe zu ent<strong>de</strong>cken, hielt von<br />
<strong>de</strong>r chirurgia incisoria und usoria nichts, son<strong>de</strong>rn<br />
machte zuerst von <strong>de</strong>r Chirurgia sympathetica<br />
viel Rühmens, und suchte überall die<br />
von ihm erfun<strong>de</strong>nen Panazeen zu erheben.<br />
Es sollen noch viel Manuskripte von ihm hier<br />
und da aufbehalten wer<strong>de</strong>n, wie <strong>de</strong>nn einige<br />
vorgeben, dass er 53 medizinische und 235 philosophische<br />
Bücher geschrieben habe.
Abb. 5: Titelblatt <strong>de</strong>s 26. Ban<strong>de</strong>s von Zedlers „Universal-Lexicon“<br />
9
6. Zwei Beispiele aus <strong>de</strong>m 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt:<br />
Wolff und Escher<br />
Mit <strong>de</strong>n Paracelsus-Artikeln in Zedlers<br />
„Universal-Lexikon“ und in Jöchers „Gelehrten-Lexikon“<br />
war im Hinblick auf Inhalt<br />
und Umfang ein sehr hoher enzyklopädisch-biographischer<br />
Standard erreicht,<br />
von <strong>de</strong>m man annehmen möchte, dass er<br />
für die Nachschlagewerke in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n<br />
Jahrzehnten als verbindlich galt. Seit <strong>de</strong>r<br />
Zeit nach 800 kamen ja in rascher Folge<br />
immer neue Lexika auf <strong>de</strong>n Markt, darunter<br />
insbeson<strong>de</strong>re die beliebten „conversations-Lexika“,<br />
die in ihren biographischen<br />
Artikeln natürlich nicht mehr so ausführlich<br />
waren.<br />
Was hat nun aber <strong>bei</strong>spielsweise ein solches<br />
Werk wie das von Oskar Ludwig Bernhard<br />
Wolf 33, wie<strong>de</strong>rum in Leipzig herausgegebene<br />
„Neueste Elegante conversationslexikon“,<br />
das sich „an Gebil<strong>de</strong>te aus allen<br />
Stän<strong>de</strong>n“ wen<strong>de</strong>n wollte, tatsächlich an<br />
Wissen über Paracelsus zu bieten? Die Eintragung<br />
im 3. Band, <strong>de</strong>r 836 erschienen ist,<br />
umfasst nicht viel mehr als 20 Zeilen; sie<br />
beschränkt sich aber nicht etwa auf die Darlegung<br />
einiger bekannter Fakten, son<strong>de</strong>rn<br />
nimmt sogar auf diesem engen Raum noch<br />
eine Wertung vor; diese lässt sich vielleicht<br />
gera<strong>de</strong> noch als „elegant“ bezeichnen, doch<br />
klingt sie nicht unbedingt schmeichelhaft.<br />
Im originalen Wortlaut hört sich dieser mit<br />
<strong>de</strong>r Sigle „23“ gezeichnete Text so an:<br />
Paracelsus, mit seinem eigentlichen Namen<br />
Philippus Aureolus <strong>Bombastus</strong> von Hohenheim,<br />
1493 zu Marien-Einsie<strong>de</strong>ln geboren; die <strong>bei</strong><strong>de</strong>n<br />
Namen P(aracelsus) und Theophrastus hatte er<br />
sich selbst zugelegt; mit ersterem wollte er bezeichnen,<br />
dass er mehr als Celsus sei. Überhaupt<br />
war er ein Mann, <strong>de</strong>ssen ganzes Leben ein Gewebe<br />
von Eccentricitäten ist. Ein Feind alles<br />
gründl(ichen) Wissens, bil<strong>de</strong>te er sich selbst eine<br />
Art von System, das, aus theosophisch-mystischen<br />
Floskeln zusammengesetzt, <strong>de</strong>nnoch viele<br />
Anhänger (Paracelsisten) fand.<br />
Statt <strong>de</strong>r gewöhnlich chemisch bereiteten Medicamente<br />
verfertigte er eine Menge von Arcanen,<br />
mit <strong>de</strong>nen er Wun<strong>de</strong>rcuren verrichtet haben<br />
20<br />
wollte, was ihm <strong>bei</strong> Groß und Klein ein ungeheures<br />
Ansehen verschaffte.<br />
Eine Zeit lang brachte er als wan<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>r Scholasticus<br />
zu, ward 1527 Professor in Basel, und<br />
nach abermaligen Hin- und Herzügen vom Erzbischof<br />
Ernst nach Salzburg berufen, wo er 1541,<br />
wahrscheinlich in Folge eines Sturzes starb.<br />
Seine auf höchst phantastische Weise geschriebenen<br />
Werke tragen überdies <strong>de</strong>n Stempel <strong>de</strong>r<br />
Flüchtigkeit an sich. Sie wur<strong>de</strong>n am vollständ(igsten)<br />
in 2 Bän<strong>de</strong>n, Genf 1658, in Folio<br />
herausgegeben. Von ihm kommt <strong>de</strong>r Ausdruck<br />
„Bombast“ o<strong>de</strong>r „Bombastische Schreibart“.<br />
Von diesem Ausdruck wird sodann auf<br />
das Stichwort „Bombast“ 34 verwiesen, wo<br />
tatsächlich wie<strong>de</strong>r, wenn auch mit einem<br />
leisen Vorbehalt, ein Bezug zu Paracelsus<br />
hergestellt wird. Die mit <strong>de</strong>r Sigle „5“ gezeichnete<br />
kurze Eintragung hat folgen<strong>de</strong>n<br />
Wortlaut:<br />
Bombast, Schwulst in <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong>, um dahinter<br />
geistige Leere zu verstecken. Die wahrscheinlichste<br />
Ableitung ist die von Paracelsus Theophrastus,<br />
<strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>n Namen <strong>Bombastus</strong> gab.<br />
Dass sich die Bear<strong>bei</strong>ter <strong>de</strong>s Wolff’schen<br />
Lexikons (immerhin han<strong>de</strong>lte es sich laut<br />
Titel um eine „<strong>Ges</strong>ellschaft von Gelehrten“)<br />
erlaubten, das Scheltwort „bombastisch“<br />
mit Paracelsus in Verbindung zu bringen,<br />
dürfte nicht nur in <strong>de</strong>r <strong>Bombastus</strong>- <strong>Ges</strong>ellschaft<br />
einiges Befrem<strong>de</strong>n auslösen. – Zum<br />
Herausgeber ist noch anzumerken, dass er<br />
zunächst Medizin studiert, sich dann aber<br />
auf die <strong>Ges</strong>chichte und Philosophie verlegt<br />
hatte. Seine größten publizistischen Erfolge<br />
hat er übrigens nicht mit seinem „eleganten“<br />
Lexikon, son<strong>de</strong>rn mit zwei Anthologien<br />
<strong>de</strong>utscher Poesie und Prosa erzielt:<br />
Sein „Poetischer Hausschatz <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen<br />
Volkes“ ist innerhalb von 70 Jahren in<br />
nicht weniger als 3 Auflagen erschienen!<br />
Es wäre nun wohl mehr als unangemessen,<br />
einen Streifzug durch die <strong>Ges</strong>chichte<br />
<strong>de</strong>s Paracelsus-Bil<strong>de</strong>s in <strong>de</strong>n frühneuzeitlichen<br />
Nachschlagewerken mit <strong>de</strong>m oben<br />
zitierten, ziemlich abschätzigen Urteil zu<br />
beschließen. Zwei Jahre nach <strong>de</strong>m Erscheinen<br />
<strong>de</strong>s dritten Ban<strong>de</strong>s von Wolffs „con-
versations-Lexikon“ ist nämlich schon von<br />
<strong>de</strong>r wahrlich riesenhaften (und nie vollen<strong>de</strong>ten)<br />
„Allgemeinen Encyklopädie <strong>de</strong>r<br />
Wissenschaften und Künste“ von Ersch<br />
und Gruber <strong>de</strong>r . Band <strong>de</strong>r dritten Sektion<br />
in Druck gegangen – und darin ist <strong>de</strong>r<br />
bis dahin umfang- und inhaltsreichste in<br />
einem Nachschlagwerk publizierte Beitrag<br />
über <strong>de</strong>n Hohenheimer zu fin<strong>de</strong>n. Der<br />
nicht weniger als 22 Spalten 35 umfassen<strong>de</strong><br />
Artikel „Paracelsus“ aus <strong>de</strong>r Fe<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Züricher<br />
Historikers Heinrich Escher 36 bil<strong>de</strong>te<br />
nicht nur bis dahin <strong>de</strong>n unbestrittenen<br />
Höhepunkt <strong>de</strong>r lexikographischen Darstellung,<br />
son<strong>de</strong>rn ist dann seinerseits zum Ausgangspunkt<br />
für die gesamte weitere Paracelsus-Forschung<br />
gewor<strong>de</strong>n.<br />
Mit <strong>de</strong>m in Zürich verfassten Text <strong>de</strong>s<br />
Konrad <strong>Ges</strong>ner, nahe <strong>de</strong>r Geburtsheimat<br />
<strong>de</strong>s Philippus Auréolus Theophrastus <strong>Bombastus</strong><br />
von Hohenheim, genannt Paracelsus,<br />
entstan<strong>de</strong>n, haben wir <strong>de</strong>n Reigen <strong>de</strong>r<br />
literarischen Paracelsus-Bil<strong>de</strong>r aus insgesamt<br />
vier Jahrhun<strong>de</strong>rten eröffnet; mit einem<br />
kleinen Auszug aus <strong>de</strong>m gleichfalls aus Zürich<br />
stammen<strong>de</strong>n Artikel von Escher wollen<br />
wir ihn nun beschließen.<br />
Wie je<strong>de</strong>r ausgezeichnete Mann, so muss<br />
auch Paracelsus, wenn ein begrün<strong>de</strong>tes Urteil<br />
über ihn soll gefällt wer<strong>de</strong>n, nach <strong>de</strong>n Verhältnissen<br />
seiner Zeit und nach seiner eigenen Stellung<br />
zu <strong>de</strong>rselben betrachtet wer<strong>de</strong>n. Dadurch<br />
wird es erklärlich, wie ein großer Geist, in welchem<br />
die erhabensten I<strong>de</strong>en leben, <strong>de</strong>r die geistreichsten<br />
Ansichten und treffliche Lehren zu verkün<strong>de</strong>n<br />
hat, zugleich die verkehrtesten Richtungen<br />
verfolgen und <strong>de</strong>m schimpflichsten Aberglauben<br />
sich ergeben konnte. Darum sind aber auch die<br />
Urteile über ihn zu allen Zeiten so wi<strong>de</strong>rsprechend<br />
gewesen und wer<strong>de</strong>n es bleiben, so lange<br />
nur einzelne Seiten seines Wirkens dargestellt,<br />
nicht aber sein ganzes System im Zusammenhange<br />
aufgefasst wird…<br />
Überdies stehen seine Behauptungen und Mei-<br />
nungen alle doch in genauer Verbindung, wenn<br />
er sich auch dieselbe nicht <strong>de</strong>utlich dachte, in<strong>de</strong>m<br />
sie aus seiner allgemeinen Ansicht von Gott,<br />
Welt und Mensch hervorgingen, und können<br />
daher auch nur in dieser Verbindung richtig aufgefasst<br />
wer<strong>de</strong>n. Wie viel Irriges nun auch darin<br />
liegen mag, so kann doch nicht geleugnet wer<strong>de</strong>n,<br />
dass sie die Erzeugnisse eines, zwar nicht logisch<br />
ordnen<strong>de</strong>n, aber mit seltener Produktivität begabten,<br />
wahrhaft genialen Geistes waren.<br />
Rückblick und Zusammenfassung<br />
Die ungemein differenzierte und ausgewogene<br />
Betrachtungsweise in Eschers Artikel<br />
bietet natürlich auch <strong>de</strong>n i<strong>de</strong>alen Ausgangspunkt<br />
für einen zusammenfassen<strong>de</strong>n<br />
Rückblick über die unterschiedlichen Paracelsus-Bil<strong>de</strong>r<br />
die hier vor unseren Augen vorüber<br />
gezogen sind. Die geistige Spannweite<br />
<strong>de</strong>r Persönlichkeit, um die es uns hier geht,<br />
ist von Escher mit ihren gegensätzlichen<br />
Ausprägungen sehr <strong>de</strong>utlich gekennzeichnet<br />
wor<strong>de</strong>n, und in diesen großen Spannungsbogen<br />
sind auch sämtliche charakterisierungen<br />
<strong>de</strong>s Hohenheimers einzuordnen,<br />
wie sie uns in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Nachschlagewerken<br />
begegnet sind. Vom hoch gepriesenen<br />
Forscher und bahnbrechen<strong>de</strong>n Erneuerer<br />
<strong>de</strong>r Naturwissenschaften über das Missverständnis<br />
als mystischer Dichter bis zum<br />
geringschätzig abqualifizierten Scharlatan<br />
reicht die Palette <strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>r.<br />
Was die Autoren und Bear<strong>bei</strong>ter dieser<br />
Enzyklopädien und Kompendien betrifft,<br />
so kommt es wohl nicht von ungefähr,<br />
dass die Mediziner unter ihnen mit einer<br />
unverkennbaren Vorliebe ein dunkleres<br />
Bild <strong>de</strong>s Paracelsus gezeichnet haben, während<br />
er von <strong>de</strong>n Vertretern an<strong>de</strong>rer Disziplinen<br />
in <strong>de</strong>utlich helleren Farben dargestellt<br />
wur<strong>de</strong>. Welche Schlüsse sich aus dieser<br />
Beobachtung ziehen lassen, darf ich für<br />
diesmal wohl, als Anregung für weiteres<br />
Nach<strong>de</strong>nken, im Raume stehen lassen.<br />
2
Der aus zwei Flügelsälen und einem zentralen<br />
Kuppelraum bestehen<strong>de</strong> Bibliothekssaal wur<strong>de</strong><br />
776 fertiggestellt und konnte dank seiner großräumigen<br />
Dimensionierung noch bis gegen 900<br />
die Neuzugänge an Büchern aufnehmen. Siehe<br />
dazu: TOMAScHEK, Johann: Stiftsbibliothek<br />
Admont. Ried / Innkreis 996.<br />
2 Eine gute Übersicht zur <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r lexikalischen<br />
und enzyklopädischen Nachschlagewerke<br />
bietet: ZIScHKA, Gert A.: In<strong>de</strong>x lexicorum,<br />
Wien 959, S. XI – XLIV.<br />
3 Geboren am 26.03. 5 6 und gestorben am<br />
3. 2. 565 in Zürich; vgl. Neue Deutsche Biographie<br />
6, Berlin 97 (unverän<strong>de</strong>rter Nachdruck <strong>de</strong>r<br />
Ausgabe 964), S. 342 f.<br />
4 Der gesamte Titel umfasst neun Zeilen und bezeichnet<br />
das Werk nicht nur (mit Recht) als „Opus<br />
novum“, son<strong>de</strong>rn auch als unerlässlich für je<strong>de</strong> öffentliche<br />
und private Bibliothek wie auch als überaus<br />
nützlich für die Studieren<strong>de</strong>n aller Künste und<br />
Wissenschaften. – Drei Jahre später hat <strong>Ges</strong>ner seiner<br />
„Bibliotheca“ <strong>bei</strong>m selben Drucker noch die<br />
2 Bücher umfassen<strong>de</strong>n „Pan<strong>de</strong>ctae“ folgen lassen,<br />
in <strong>de</strong>nen er die in seinem ersten Werk verzeichnete<br />
Fülle an Literatur in systematischer Abfolge <strong>de</strong>n<br />
einzelnen Wissensgebieten zuordnet.<br />
5 Er steht auf <strong>de</strong>r Rückseite von Blatt 6 4; <strong>Ges</strong>ners<br />
„Bibliotheca“ ist nicht mit einer Seitenzählung,<br />
son<strong>de</strong>rn, wie im 6. Jahrhun<strong>de</strong>rt noch üblich, mit<br />
einer Blattzählung versehen.<br />
6 Schweizer Mediziner und Schriftsteller, geboren<br />
En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 5. Jahrhun<strong>de</strong>rts und gestorben am<br />
26. 2. 552 in Zürich; vgl. Deutsche Biographische<br />
Enzyklopädie 5 (2. Ausgabe), München 2006,<br />
S. 668.<br />
7 Geboren in Grottkau (das Geburtsdatum ist nicht<br />
bekannt), gestorben am 23. o<strong>de</strong>r 26. 2. 622 in<br />
Hei<strong>de</strong>lberg. Vgl. Neue Deutsche Biographie ,<br />
Berlin 97 (unverän<strong>de</strong>rter Nachdruck <strong>de</strong>r Ausgabe<br />
von 953), S. 53.<br />
8 Der erste Band („Philosophi“) erschien 6 5 in<br />
Hei<strong>de</strong>lberg und Frankfurt in zwei verschie<strong>de</strong>nen<br />
Ausgaben, <strong>de</strong>r zweite („Theologi“) 6 8, <strong>de</strong>r dritte<br />
und <strong>de</strong>r vierte 620, jeweils in Hei<strong>de</strong>lberg.<br />
9 S. 28 – 37.<br />
0 Geboren am 2.05. 606 in Frankfurt/Main, gestorben<br />
am 4. 0. 688 in Nürnberg; vgl. Deutsche<br />
Biographische Enzyklopädie 8, München 988,<br />
S. 5 4.<br />
Eine vollständige Aufzählung dieser Kleinskulpturen<br />
und Überlegungen zu ihrer Funktion innerhalb<br />
<strong>de</strong>r künstlerischen Ausstattung <strong>de</strong>s Bibliothekssaales<br />
bietet: MANNEWITZ, Martin:<br />
Stift Admont. Untersuchungen zur Entwicklungs-<br />
22<br />
ANMERKUNGEN<br />
geschichte, Ausstattung und Ikonographie <strong>de</strong>r<br />
Klosteranlage, München 987, S. 223 – 227.<br />
2 Drittes Buch / Neuntes Kapitel, S. 78.<br />
3 Gemeint ist <strong>de</strong>r berühmte römische Staatsmann,<br />
Redner und Philosoph Marcus Tullius cicero<br />
( 06 – 43 v. chr.).<br />
4 Schüler <strong>de</strong>s Aristoteles und Leiter <strong>de</strong>r Peripatetiker-Schule,<br />
37 – 287 v. chr. Vgl. <strong>de</strong>n Artikel<br />
„Theophrast von Eresos“ von O. GIGON in:<br />
Lexikon <strong>de</strong>r Alten Welt, Zürich-Stuttgart 965,<br />
Sp. 3057 f.<br />
5 Geboren 6 , gestorben 682. Vgl. <strong>de</strong>n Artikel<br />
„Freher“ von Peter FUcHS in: Neue Deutsche<br />
Biographie 5, Berlin 97 (Nachdruck <strong>de</strong>r Ausgabe<br />
96 ), S. 392 f. (zu Paul Freher S. 392).<br />
6 Sp. 225 – 228; das „Theatrum“ weist eine durchgehen<strong>de</strong><br />
Spaltenzählung auf.<br />
7 Geboren am 25.0 . 507 und gestorben am<br />
06.07. 568 in Basel, eigentlich Johann Herbst(er);<br />
Humanist, Drucker und Verleger; vgl. Neue Deutsche<br />
Biographie 7, München 998, S. 497.<br />
8 Galen(os), latinisiert Galenus, griechischer Arzt<br />
und medizinischer Schriftsteller, 29 – 99 n. chr.<br />
Vgl. <strong>de</strong>n Artikel „Galen“ von F. KUDLIEN in: Lexikon<br />
<strong>de</strong>r Alten Welt, Zürich-Stuttgart 965.<br />
Sp. 0 6 f.<br />
9 Der Artikel umfasst in <strong>de</strong>m großformatigen Band<br />
mehr als eine halbe Spalte auf S. 8; in <strong>de</strong>n erstaunlich<br />
reichhaltigen Literaturangaben wer<strong>de</strong>n<br />
acht Publikationen genannt, darunter auch die<br />
„Vitae medicorum“ von Melchior Adam.<br />
20 Der Benediktiner Basilius Valentinus soll im 5.<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rt im Erfurter St. Peterskloster als Arzt<br />
und Alchemist tätig gewesen sein; vgl. <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n<br />
Artikel von Gerhard EIS in: Neue<br />
Deutsche Biographie , Berlin 97 (Nachdruck<br />
<strong>de</strong>r Ausgabe von 953), S. 620. Die historische<br />
Existenz dieses Mönches ist allerdings nicht nachweisbar;<br />
die ihm zugeschriebenen Schriften sind<br />
wahrscheinlich erst viel später entstan<strong>de</strong>n und ihrerseits<br />
schon von Paracelsus beeinflusst.<br />
2 Geboren am 06.02. 639, gestorben am 30.07. 69<br />
in Lübeck; vgl. <strong>de</strong>n informativen Artikel von Adalbert<br />
ELScHENBROIcH in: Neue Deutsche Biographie<br />
8, Berlin 997, S. 27 f.<br />
22 Nur die <strong>bei</strong><strong>de</strong>n ersten Bücher <strong>de</strong>s ersten Teiles<br />
kamen zu Lebzeiten <strong>de</strong>s Autors heraus; das dritte<br />
Buch erschien posthum 692, Buch 4 – 7 sowie die<br />
Teile 2 und 3 wur<strong>de</strong>n erst in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Jahren<br />
nach Mitschriften von Morhofs Hörern zusammengestellt;<br />
7 4 kam eine zweite und 747 sogar<br />
noch eine vierte Auflage heraus. Für <strong>de</strong>n vorliegen<strong>de</strong>n<br />
Beitrag wur<strong>de</strong> die zweite Auflage herangezogen.
23 S. 8 f; die <strong>bei</strong><strong>de</strong>n letzten Wörter <strong>de</strong>r Überschrift<br />
sind in Frakturbuchstaben gesetzt.<br />
24 Gemeint ist zweifellos <strong>de</strong>r Alchemist Johann(es)<br />
Isaac(us) Holland(ius), <strong>de</strong>ssen Lebensdaten nicht<br />
ein<strong>de</strong>utig feststellbar sind; die unter seinem<br />
Namen veröffentlichten Schriften (darunter auch<br />
ein Traktat über <strong>de</strong>n Stein <strong>de</strong>r Weisen) sind erst im<br />
frühen 7. Jahrhun<strong>de</strong>rt gedruckt wor<strong>de</strong>n. Vgl. BIE-<br />
DERMANN, Hans: Handlexikon <strong>de</strong>r magischen<br />
Künste von <strong>de</strong>r Spätantike bis zum 9. Jahrhun<strong>de</strong>rt,<br />
Graz 968, S. 74 f.<br />
25 Geboren am 09. . 606 in Nor<strong>de</strong>n, gestorben am<br />
2.02. 68 in Helmstedt; vgl. <strong>de</strong>n Artikel von<br />
Michael STOLLEIS in: Deutsche Biographische<br />
Enzyklopädie , (2. Ausgabe), München 2005,<br />
S. 397 f. conring hat an <strong>de</strong>m „commentarius“,<br />
wie aus <strong>de</strong>m Vorwort ersichtlich ist, schon ab 664<br />
gear<strong>bei</strong>tet, diesen aber zu Lebzeiten nicht mehr<br />
abgeschlossen; das Werk ist dann erst viel später<br />
aus seinem Nachlass in Druck gegeben wor<strong>de</strong>n.<br />
26 Er steht auf S. 59 und bietet in Anm. 7 mehrere<br />
Literaturhinweise, aus <strong>de</strong>nen hervorgeht, dass sich<br />
conring ausgiebig mit <strong>de</strong>n Befürwortern und Gegnern<br />
<strong>de</strong>s Paracelsus auseinan<strong>de</strong>rgesetzt hat.<br />
27 Geboren in Kirchensitichenbach am 25.02. 67 ,<br />
gestorben am 09. 2. 729 in Halle /Saale; vgl. <strong>de</strong>n<br />
Artikel „Gundling“ von Rolf LIEBERWIRTH in:<br />
Neue Deutsch Biographie 7, Berlin 966,<br />
S. 3 7 – 3 9 (zu Nicolaus Hieronymus S. 3 8).<br />
28 S. 2959 – 296 ( 6. Abteilung <strong>de</strong>r Historisch-Literarischen<br />
Section, § LXXX).<br />
29 Der Leipziger Buchhändler und Verleger Johann<br />
Heinrich Zedler ( 706 – 770) hatte es verstan<strong>de</strong>n,<br />
für die Herausgabe seiner groß angelegten Enzyklopädie<br />
zwei Professoren <strong>de</strong>r Universität Leipzig<br />
zu gewinnen: Zunächst Johann christoph Gottsched<br />
( 700 – 766) und dann carl Ludwig Ludovici<br />
( 707 – 778). Vgl. John cARTER und Percy<br />
H. MUIR (Hrsg.): Bücher die die Welt verän<strong>de</strong>rn,<br />
Darmstadt 969, Nr. 9 .<br />
30 Sp. 72 – 722; die Literaturangaben beschränken<br />
sich auf sechs Titel, unter <strong>de</strong>nen natürlich wie<strong>de</strong>r<br />
das Werk von Melchior Adam zu fin<strong>de</strong>n ist.<br />
3 Geboren am 20.07. 694 und gestorben am<br />
0.05. 758 in Leipzig; vgl. entsprechen<strong>de</strong>n Artikel<br />
von Notker HAMMERSTEIN in: Neue Deutsche<br />
Biographie 0, Berlin 974, S. 452.<br />
32 S. 246 f; <strong>de</strong>r gebräuchliche <strong>de</strong>utsche Beiname<br />
„von Hohenheim“ scheint hier in <strong>de</strong>r unrichtigen<br />
Schreibweise „von Hohenstein“ auf; von <strong>de</strong>n übrigen<br />
Namen fehlt „Bombast(us)“.<br />
33 Geboren am 26.07. 799 in Altona (Hamburg), gestorben<br />
am 6.09. 85 in Jena; vgl. Deutsche Biographische<br />
Enzyklopädie 9, München 999,<br />
S. 576.<br />
34 Band , (A – D), Leipzig 834, S. 246.<br />
35 S. 284 – 296.<br />
36 Geboren am 20.04. 78 und gestorben am<br />
28.02. 860 in Zürich; vgl. <strong>de</strong>n Artikel „Escher, Dr.<br />
Heinrich“ von G(eorg) von WYSZ in: Allgemeine<br />
Deutsche Biographie 6, Leipzig 877, S. 353 – 355.<br />
Dr. Johann Tomaschek · Bibliothekar <strong>de</strong>s Stiftes Admont<br />
Benediktinerstift · A-89 Admont<br />
Vortrag im Dresdner Kulturpalast am 20. September 2006<br />
23
Der Name Valentin Weigels ist nicht im<br />
Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit<br />
verankert, doch scheint man sich <strong>de</strong>m<br />
sächsischen Theologen und Denker seit geraumer<br />
Zeit wie<strong>de</strong>r verstärkt zuzuwen<strong>de</strong>n.<br />
Nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Marburger Kirchenhistoriker<br />
Winfried Zeller in <strong>de</strong>r zweiten Hälfte <strong>de</strong>s<br />
vorigen Jahrhun<strong>de</strong>rts ihm und seinem<br />
Werk intensive Forschungen gewidmet<br />
hatte, 2 stellte ihn <strong>de</strong>r Dres<strong>de</strong>ner Philosophiehistoriker<br />
Siegfried Wollgast in <strong>de</strong>n<br />
Mittelpunkt seines so faktenreichen wie inspirieren<strong>de</strong>n<br />
Standardwerks zur „Philosophie<br />
in Deutschland 550– 650“ 3 und befasste<br />
sich mit ihm in zahlreichen weiteren<br />
Beiträgen. 4 Auf <strong>de</strong>r Grundlage einer 99<br />
abgeschlossenen umfangreichen überlieferungs-<br />
und textkritischen Untersuchung 5<br />
konnte 995 die Ar<strong>bei</strong>t an <strong>de</strong>r knapp<br />
zwanzig Jahre zuvor ins Stocken geratenen<br />
kritischen Weigelausgabe in neuer <strong>Ges</strong>talt<br />
wie<strong>de</strong>r aufgenommen wer<strong>de</strong>n. 6 In <strong>de</strong>n Jahren<br />
2000 und 2003 erschienen eine Weigelmonographie<br />
in englischer Sprache und<br />
eine englische Übersetzung ausgewählter<br />
Weigeltexte <strong>de</strong>s amerikanischen Germanisten<br />
Andrew Weeks. 7 Jüngst wur<strong>de</strong> Weigels<br />
große Schrift „Vom Leben christi“,<br />
welche 2002 in Band 7 <strong>de</strong>r neuen Weigelausgabe<br />
erschienen ist und eine exemplarische<br />
Quelle für Weigels Toleranz<strong>de</strong>nken<br />
und seine theologische Begründung darstellt,<br />
als „Kostbarkeit <strong>de</strong>r religiösen Literatur<br />
<strong>de</strong>s 6. Jahrhun<strong>de</strong>rts“ bezeichnet. „Wer<br />
innerhalb <strong>de</strong>s protestantischen Spektrums<br />
das Gegenmo<strong>de</strong>ll zur konfessionellen<br />
Frühorthodoxie in reinster Form kennenlernen“<br />
wolle, müsse „zu Valentin Weigel<br />
greifen“. Die Schrift „Vom Leben christi“<br />
verdiene „die Aufnahme in <strong>de</strong>n Lektürekanon<br />
<strong>de</strong>rer, die sich intensiver mit <strong>de</strong>r<br />
christentumsgeschichte <strong>de</strong>r Neuzeit und<br />
beson<strong>de</strong>rs mit <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>s Luthertums<br />
und <strong>de</strong>n Wurzeln <strong>de</strong>s Pietismus<br />
24<br />
Horst Pfefferl<br />
RELIGIÖSE TOLERANZ UND FRIEDENSIDEE<br />
BEI VALENTIN WEIGEL ( 533 – 588)<br />
beschäftigen“ wollten. Soweit <strong>de</strong>r Erlanger<br />
Reformationsgeschichtler Berndt Hamm,<br />
von welchem das Zitat stammt, 8 und dies<br />
nur kurz vorneweg zum aktuellen Stand<br />
<strong>de</strong>r Dinge um das Weigel’sche Werk.<br />
Die Begriffe <strong>de</strong>r religiösen Toleranz auf<br />
<strong>de</strong>r einen Seite und <strong>de</strong>s Glaubenskriegs auf<br />
<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren sind in <strong>de</strong>r jüngsten Zeit in<br />
einer Art ins öffentliche Bewusstsein getreten<br />
und haben an Aktualität gewonnen,<br />
wie man es sich bis vor kurzem nicht hätte<br />
vorstellen können. Kulturelle und gesellschaftliche,<br />
seit <strong>de</strong>r Aufklärung als selbstverständlich<br />
zu betrachten<strong>de</strong> Errungenschaften<br />
wie Glaubens- und Religionsfreiheit,<br />
Trennung von Kirche und Staat und<br />
die gegenseitige Achtung unterschiedlicher<br />
Bekenntnisse wer<strong>de</strong>n plötzlich in Frage gestellt<br />
o<strong>de</strong>r geraten ins Wanken. Das in <strong>de</strong>r<br />
muslimischen Welt als Vorwurf verstan<strong>de</strong>ne<br />
Zitat aus <strong>de</strong>m 4. Jahrhun<strong>de</strong>rt,<br />
welches Benedikt XVI. in seine Regensburger<br />
Vorlesung im September 2006 aufgenommen<br />
hat, sorgte für weltweite Aufregung.<br />
Da<strong>bei</strong> hätte <strong>de</strong>r Papst aufgrund <strong>de</strong>r<br />
<strong>Ges</strong>chichte seiner eigenen Kirche keinen<br />
Grund gehabt, sich in Bezug auf Gewaltbereitschaft<br />
über an<strong>de</strong>re zu erheben, wie<br />
ihm <strong>de</strong>r Bochumer Philosophiehistoriker<br />
Kurt Flasch in einem Beitrag mit <strong>de</strong>m Titel<br />
„Von Kirchenvätern und an<strong>de</strong>ren Fundamentalisten“<br />
genüsslich vorhielt. 9 Mit <strong>de</strong>m<br />
Tenor, die christliche Kirche habe sich so<br />
verhalten, „wie <strong>de</strong>r Papst es Mohammed“<br />
zuschreibe, argumentiert Flasch: „Als [das<br />
christentum] machtlos war, plädierte es<br />
für Glaubensfreiheit. Wo es Staatsreligion<br />
war, reagierte es fundamentalistisch roh<br />
gegen Häretikergruppen“. 0<br />
Der ganze Vorgang zeigt je<strong>de</strong>nfalls die<br />
Brisanz einer Diskussion über Gewalt o<strong>de</strong>r<br />
Toleranz zwischen <strong>de</strong>n Weltreligionen,<br />
<strong>de</strong>ren Verhältnis bis heute nicht frei ist<br />
von Emotionen und Empfindlichkeiten.
Trotz aller Aktualität sollen sich die nachfolgen<strong>de</strong>n<br />
Ausführungen aber mit historischen<br />
Zusammenhängen befassen. Dass<br />
<strong>de</strong>nnoch manche Aussagen gegenwärtige<br />
Ereignisse und Einschätzungen in Erinnerung<br />
rufen, macht nur <strong>de</strong>utlich, dass es<br />
nicht falsch sein kann, in die <strong>Ges</strong>chichte<br />
zurückzublicken und die Entstehung und<br />
Etablierung bestimmter gesellschaftlicher<br />
Güter genauer zu betrachten.<br />
Im Mittelpunkt soll die Beschäftigung<br />
mit Weigels Toleranz- und Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e<br />
stehen. Hierzu sind noch zwei kurze Einführungen<br />
vonnöten, welche aber schon<br />
mitten in die zu behan<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> Thematik<br />
hineinführen: einmal zu Valentin Weigel<br />
und seinem Werk und dann, verbun<strong>de</strong>n<br />
mit einem Überblick über die Entwicklung<br />
von Zwang und Verfolgung in <strong>de</strong>n christlichen<br />
Kirchen, zur Definition <strong>de</strong>s Begriffs<br />
<strong>de</strong>r religiösen Toleranz, zum Frie<strong>de</strong>n zwischen<br />
<strong>de</strong>n Religionen und zu <strong>de</strong>r Frage,<br />
wie es damit zur Zeit Weigels am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />
6. Jahrhun<strong>de</strong>rts stand.<br />
1. Wer ist Valentin Weigel und was hat es<br />
mit seinen Schriften auf sich?<br />
Weigel wur<strong>de</strong> 533 in Großenhain in<br />
Sachsen geboren. Er besuchte die Fürstenschule<br />
St. Afra in Meißen und studierte anschließend<br />
in Leipzig und später in Wittenberg<br />
Theologie. 567 wur<strong>de</strong> er von seinem<br />
Wittenberger aka<strong>de</strong>mischen Lehrer<br />
Paul Eber ordiniert und übernahm das<br />
Amt <strong>de</strong>s Hauptpfarrers an <strong>de</strong>r St. Martinskirche<br />
in Zschopau im Erzgebirge. Weigel<br />
war verheiratet und hatte drei Kin<strong>de</strong>r. Sein<br />
Amt hat er fast unangefochten bis zu seinem<br />
Tod 588 ausgeübt. Es gab nur einmal<br />
die Behauptung eines Amtskollegen,<br />
er wür<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r lutherischen Lehre abweichen,<br />
was aber nicht bestätigt wur<strong>de</strong>.<br />
Dagegen führte Weigel selbst in <strong>de</strong>r Ephorie<br />
chemnitz Visitationen durch, die er<br />
später aus gesundheitlichen Grün<strong>de</strong>n aufgab.<br />
Von 572 an hatte Weigel <strong>de</strong>n etwa<br />
zehn Jahre jüngeren, aus chemnitz stammen<strong>de</strong>n<br />
Diakon Benedikt Bie<strong>de</strong>rmann zur<br />
Seite. Bie<strong>de</strong>rmann wur<strong>de</strong> nach Weigels<br />
Tod <strong>de</strong>ssen Nachfolger, nach zehn Jahren<br />
aber wegen Zweifeln an seiner Rechtgläubigkeit<br />
und wegen <strong>de</strong>s Besitzes als häretisch<br />
eingestufter Weigelscher Manuskripte<br />
abgesetzt. Er übernahm die Pfarrstelle in<br />
Neckanitz.<br />
Ab 570 verfasste Weigel zahlreiche teils<br />
umfangreiche Schriften, darunter auch Predigtensammlungen.<br />
Keines dieser Werke,<br />
mit Ausnahme einer Leichenpredigt für<br />
eine Zschopauer Adlige, hat er zum Druck<br />
gebracht. Allerdings gibt es Hinweise darauf,<br />
dass er handschriftliche Kopien seiner<br />
Werke anfertigte o<strong>de</strong>r anfertigen ließ, die<br />
er an gute Freun<strong>de</strong> bzw. Bekannte weiterreichte.<br />
So zirkulierten seine Schriften mit<br />
<strong>de</strong>r Zeit in zahlreichen Abschriften. Viele<br />
davon sind auf diesem Weg bear<strong>bei</strong>tet, ergänzt<br />
und verän<strong>de</strong>rt wor<strong>de</strong>n, und manche<br />
frem<strong>de</strong> Schriften wur<strong>de</strong>n ihm zu Unrecht<br />
zugeschrieben. Zu <strong>de</strong>n frühen Kopisten<br />
und Bear<strong>bei</strong>tern <strong>de</strong>r Weigelschen Schriften<br />
gehörten <strong>de</strong>r schon genannte Diakon Benedikt<br />
Bie<strong>de</strong>rmann sowie zeitweise ein<br />
Zschopauer Kantor bzw. Schullehrer, <strong>de</strong>r<br />
aus Döbeln stammen<strong>de</strong> christoph Weickhart.<br />
Die Bear<strong>bei</strong>tung <strong>de</strong>r Texte geschah großenteils<br />
schon vor <strong>de</strong>r 609, also zwanzig<br />
Jahre nach Weigels Tod, beginnen<strong>de</strong>n<br />
Drucklegung. Die Drucke hatten großen<br />
Zuspruch und erregten Aufmerksamkeit.<br />
Bis 6 9 erschienen min<strong>de</strong>stens 40 Drucke<br />
mit Weigel’schen und pseudoweigelschen<br />
Schriften, manche davon in mehrfachen<br />
Auflagen. Danach wur<strong>de</strong>n die Schriften<br />
mit einem Druckverbot belegt. Der in dieser<br />
Zeit entstan<strong>de</strong>ne Begriff <strong>de</strong>s „Weigelianismus“<br />
wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r theologischen Polemik<br />
das gesamte Jahrhun<strong>de</strong>rt hindurch zur<br />
Bezeichnung jeglicher Art von Häresie<br />
und Heterodoxie verwen<strong>de</strong>t. Erst gegen<br />
En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 7. Jahrhun<strong>de</strong>rts gab es noch einmal<br />
Nachdrucke eines Teils <strong>de</strong>r Schriften.<br />
Insgesamt sind in <strong>de</strong>r umfangreichen<br />
handschriftlichen und gedruckten Überlieferung<br />
etwas mehr als 80 unterschiedliche<br />
25
Werke enthalten, von welchen aber nur<br />
weniger als 50 wirklich Weigel zugerechnet<br />
wer<strong>de</strong>n können.<br />
Am Beginn seiner literarischen Tätigkeit<br />
steht die Beschäftigung mit <strong>de</strong>r mittelalterlichen<br />
<strong>de</strong>utschen Mystik, vornehmlich mit<br />
<strong>de</strong>n Predigten Meister Eckharts und Johannes<br />
Taulers sowie <strong>de</strong>m anonym überlieferten<br />
Schriftchen „Theologia <strong>de</strong>utsch“.<br />
Mit seinen „Zwei nützlichen Traktaten“<br />
von 570 o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m „Bericht zur ‚Deutschen<br />
Theologie‘ “ von 57 hat er zur<br />
Verankerung mystischer Denkansätze in<br />
<strong>de</strong>r protestantischen Theologie und Frömmigkeit<br />
<strong>bei</strong>getragen. 2 Neuplatonische<br />
Einflüsse sind in <strong>de</strong>m an Boethius ausgerichteten<br />
lateinischen Schriftchen De vita<br />
beata (kurz nach 570) zu fin<strong>de</strong>n. 3 Die<br />
Kenntnis paracelsischer Gedanken ist<br />
schon in <strong>de</strong>r 57 entstan<strong>de</strong>nen Schrift<br />
Gnothi seauton („Erkenne dich selbst“)<br />
nachzuweisen. 4<br />
In seiner Erkenntnislehre, die er in diesem<br />
frühen Werk und dann noch einmal<br />
578 in „Der gül<strong>de</strong>ne Griff“ formuliert, 5<br />
for<strong>de</strong>rt Weigel mit <strong>de</strong>r Einsicht, dass die<br />
Erkenntnis vom erkennen<strong>de</strong>n Subjekt und<br />
nicht vom erkannten Objekt ausgeht, zum<br />
eigenen Sehen auf. Mit Bezug auf<br />
Joh. 6,44 – 45 6 heißt es: Keiner wird „die<br />
Schrifft verstehen / o<strong>de</strong>r mit Frucht lesen<br />
/ noch die warhafftige Zeugnuß <strong>de</strong>r<br />
Bibel annehmen können / er sey dann<br />
zuvor von Gott gelehret / vnnd erleuchtet<br />
/ dass er ein reines lauters Auge<br />
bringe / vnnd also die heilige Schrifft zum<br />
Zeugnuß anneme / Dann alle eussere Dinge<br />
/ o<strong>de</strong>r sichtbare Gegenwürffe [...] können<br />
nicht <strong>de</strong>n Verstandt / o<strong>de</strong>r das Iudicium<br />
hinein wircken / das Iudicium muß zuvor<br />
im Auge seyn / vnnd nicht erst vom<br />
Obiecto, o<strong>de</strong>r Gegenwurff genommen<br />
wer<strong>de</strong>n“. 7<br />
In diesem Erkenntnisprinzip ist die religiöse<br />
Emanzipation <strong>de</strong>s Individuums angelegt.<br />
Wenn das Auge, recht zu sehen,<br />
und <strong>de</strong>r Verstand, recht zu urteilen, je<strong>de</strong>m<br />
Menschen gegeben sind, muss er nicht<br />
26<br />
mehr mit frem<strong>de</strong>r Leute Augen sehen und<br />
auf frem<strong>de</strong> Urteile vertrauen. „Wer ein<br />
ding nicht weis noch verstehet (das ist wer<br />
<strong>de</strong>n Verstandt o<strong>de</strong>r das auge nicht in ihme<br />
selber hatt) <strong>de</strong>r muß gleuben, was an<strong>de</strong>re<br />
sagen, re<strong>de</strong>n vndt schreiben, vnnd muß<br />
darauff beruwen. [...] Weren wir aber<br />
christen so konten wir selber sehen mitt<br />
vnsern eigenen auge, was zu thun were“. 8<br />
Der wahre christ benötigt daher keine<br />
kirchlichen Autoritäten mehr und ist auf<br />
keine Priester und Pfarrer, keine Gelehrten<br />
und keine geistlichen Berater irgendwelcher<br />
Art angewiesen.<br />
Auch Weigels Gebetsauffassung ist auf<br />
<strong>de</strong>n inneren geistlichen Menschen ausgerichtet.<br />
Von Joh. 4,24 ausgehend, dass man<br />
Gott im Geist und in <strong>de</strong>r Wahrheit anbeten<br />
soll, sieht er das Beten nicht an Ort<br />
o<strong>de</strong>r Zeit gebun<strong>de</strong>n. Dass <strong>de</strong>r Beten<strong>de</strong><br />
nicht viele Worte machen soll, teilt er mit<br />
Martin Luther, welchen er in seiner Gebetsschrift<br />
von 572 / 575 ausführlich heranzieht.<br />
Das Beten dient uns selbst und<br />
nicht Gott, welcher schon weiß, was wir<br />
bedürfen, ehe wir anfangen zu beten. 9<br />
Um 576 befasst sich Weigel in <strong>de</strong>r<br />
Schrift „Vom Ort <strong>de</strong>r Welt“ mit <strong>de</strong>m<br />
Raumproblem, das er einmal in paracelsischer<br />
Begrifflichkeit auf <strong>de</strong>n äußeren<br />
weltlichen Ortsbegriff sowie theologisch<br />
auf <strong>de</strong>n inneren geistlichen Ort hin auslegt.<br />
Gleich wie es außerhalb <strong>de</strong>r Welt keinen<br />
leiblichen Ort geben kann, <strong>de</strong>nn die<br />
sichtbare Welt schwebt in ihr selbst auf<br />
<strong>de</strong>m Nichts o<strong>de</strong>r Abgrund, also gibt es<br />
auch außerhalb <strong>de</strong>s Menschen keinen<br />
Himmel und keine Hölle. Diese sind an<br />
keinem leiblichen äußeren Ort, son<strong>de</strong>rn es<br />
sind Befindlichkeiten <strong>de</strong>s inneren geistlichen<br />
Menschen: „Du seyst in Aphrica<br />
o<strong>de</strong>r America, du seyst in <strong>de</strong>r Welt o<strong>de</strong>r<br />
ausser <strong>de</strong>r Welt / so fin<strong>de</strong>stu doch das<br />
Reich Gottes / <strong>de</strong>n Himmel / <strong>de</strong>in Vaterlandt<br />
nicht ausser dir / son<strong>de</strong>rn inwendig<br />
in dir im Geiste. Suchestu einen leiblichen<br />
Ort ausser dir / vnd meynest du wollest Ergetzung<br />
/ Genüge o<strong>de</strong>r Seligkeit fin<strong>de</strong>n / so
kennestu dich doch selbst nicht / und weissest<br />
noch nicht wo <strong>de</strong>in Vaterland sey. Jst<br />
doch diese grosse sichtbare Welt an keinem<br />
Orte / son<strong>de</strong>rn in jhr selbst schwebet<br />
sie / vnd hat alle Ding in jhr / ausserhalben<br />
jhr ist nichts / warumb woltestu <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>ine<br />
Genüge o<strong>de</strong>r Seligkeit suchen o<strong>de</strong>r besitzen<br />
in einem Orte ausserhalben dir“. 20<br />
In seiner „Natürlichen Auslegung von<br />
<strong>de</strong>r Schöpfung“ von 577, einer Exegese<br />
<strong>de</strong>r biblischen Schöpfungsgeschichte im<br />
ersten Kapitel <strong>de</strong>r Genesis, geht Weigel<br />
davon aus, dass es sich <strong>bei</strong> <strong>de</strong>n Tagewerken<br />
<strong>de</strong>r Schöpfung nicht um natürliche Tage<br />
han<strong>de</strong>lt, die durch <strong>de</strong>n Sonnenlauf verursacht<br />
wer<strong>de</strong>n. Sie bezeichnen vielmehr<br />
Werke, welche über <strong>de</strong>n menschlichen Verstand<br />
und über das menschliche Begriffsvermögen<br />
hinausgehen. Gott hat nämlich<br />
nicht zuerst die leiblichen sichtbaren<br />
Dinge geschaffen, son<strong>de</strong>rn die geistlichen<br />
unsichtbaren Elemente, aus welchen sich<br />
dann, wie sich auch <strong>de</strong>r Baum aus seinem<br />
Samen entwickelt, die leiblichen sichtbaren<br />
Dinge <strong>de</strong>r Schöpfung entwickelt<br />
haben. Hier<strong>bei</strong> steht das von Paracelsus<br />
bezogene Prinzip <strong>de</strong>r Scheidung eines<br />
Stoffes aus einem an<strong>de</strong>ren im Hintergrund.<br />
2<br />
Die buchstabengetreuen Ausleger <strong>de</strong>r<br />
Schrift, zu welchen er vor allem Martin<br />
Luther zählt, be<strong>de</strong>nkt Weigel mit <strong>bei</strong>ßen<strong>de</strong>m<br />
Spott, da sie sich das Wirken<br />
Gottes wie die Ar<strong>bei</strong>t eines Handwerkers<br />
o<strong>de</strong>r Dreschers, das heißt wie menschliches<br />
Tun vorstellen. Wenn diese Ausleger<br />
<strong>bei</strong> <strong>de</strong>r Schöpfung <strong>de</strong>r Welt hätten da<strong>bei</strong><br />
sein können, spottet er, hätten sie wohl sicher<br />
an <strong>de</strong>n ersten drei Tagen, bevor die<br />
Sonne erschaffen wur<strong>de</strong>, Gott die Laterne<br />
vorgetragen, damit er nicht im Dunkeln<br />
hätte ar<strong>bei</strong>ten müssen. 22 Angesichts dieser<br />
verständigen, auch heute noch nachvollziehbaren<br />
Schöpfungsexegese, welche, auf<br />
<strong>de</strong>n Erkenntnissen und Einsichten <strong>de</strong>r gera<strong>de</strong><br />
erst beginnen<strong>de</strong>n naturkundlichen Betrachtungsweise<br />
aufbauend, <strong>de</strong>n biblischen<br />
Bericht als das versteht, was er ist, nämlich<br />
eine Glaubensaussage, mutet die aktuelle<br />
Auseinan<strong>de</strong>rsetzung um die Frage Evolution<br />
o<strong>de</strong>r Kreationismus, die zur Zeit nach<br />
amerikanischem Vorbild in evangelikalen<br />
Kreisen auch <strong>bei</strong> uns geführt zu wer<strong>de</strong>n<br />
scheint, gera<strong>de</strong>zu grotesk an.<br />
In <strong>de</strong>m richtigen Verständnis <strong>de</strong>s biblischen<br />
Schöpfungsberichts sieht Weigel<br />
überhaupt die Grundlage für das Verständnis<br />
<strong>de</strong>r Heiligen Schrift insgesamt und for<strong>de</strong>rt<br />
die Gläubigen auf, sich mit <strong>de</strong>m wahren<br />
Sinn <strong>de</strong>r Worte Mosis zu beschäftigen.<br />
Darin liegt wie<strong>de</strong>rum ein sehr mo<strong>de</strong>rnes<br />
Prinzip zur Emanzipation <strong>de</strong>s Individuums.<br />
Je<strong>de</strong>r einzelne christ soll selber <strong>de</strong>n Schlüssel<br />
für das Verständnis <strong>de</strong>r Heiligen Schrift<br />
in die Hand bekommen, damit er nicht<br />
mehr nur glauben muss, was an<strong>de</strong>re ihm<br />
erzählen. Den aus <strong>de</strong>r Reformation hervorgegangenen<br />
theologischen Autoritäten, in<br />
erster Linie Luther und Melanchthon,<br />
wirft er vor, dass sie ihre Anhänger auf<br />
eine einzige Meinung verpflichteten, die<br />
von nieman<strong>de</strong>m mehr hinterfragt wer<strong>de</strong>n<br />
dürfe. Wie das Wort <strong>de</strong>s Pythagoras im<br />
Kreis seiner Schüler absolute Gültigkeit besessen<br />
habe, also auch das ihre. So heißt es<br />
in <strong>de</strong>r Vorre<strong>de</strong> zur „Viererlei Auslegung<br />
von <strong>de</strong>r Schöpfung“ (die allerdings nicht<br />
sicher Weigel zugeordnet wer<strong>de</strong>n kann):<br />
„Ann<strong>de</strong>re so es müglich achtenn zuuerstehenn,<br />
seindt so faull, dass sie dörffenn beruhenn<br />
auf <strong>de</strong>r ienigenn schrifftenn, die<br />
sie fur lichter <strong>de</strong>r Welt achtenn, wollenn<br />
nicht weiter studierenn, lassens bleibenn,<br />
do es ihr vermeinter Pythagoras hat gelassenn,<br />
sagenn er habe <strong>de</strong>nn heiligenn Geist<br />
gehabt, so vnndt so lannge, souiell Jhar<br />
habe er über diesem capitell außgeleget,<br />
er habe es recht getroffenn, es könne keiner<br />
darüber kommen, keiner möge es besser<br />
machenn. Sie bin<strong>de</strong>n die Terminos Theologiae<br />
an die menschenn, vnnd haltenn<br />
niemandts könne noch dörfe weyter studierenn,<br />
es sey vnmöglich“. 23<br />
27
2. Zu Begriff und <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r<br />
religiösen Toleranz.<br />
Religiöse Toleranz ist keine selbstverständliche<br />
Erscheinung. Wer einer bestimmten<br />
Glaubensgemeinschaft angehört<br />
und in ihr aufgewachsen ist, ist in <strong>de</strong>r<br />
Regel auch mit <strong>de</strong>m absoluten Wahrheits-<br />
und Ausschließlichkeitsanspruch vertraut,<br />
<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n meisten Weltreligionen eigen ist.<br />
Das galt natürlich in noch viel stärkerem<br />
Maße in früheren Jahrhun<strong>de</strong>rten. Auch im<br />
christentum waren Religion und Glaube<br />
keine Privatsache und stan<strong>de</strong>n nicht im<br />
Belieben <strong>de</strong>s einzelnen Menschen, son<strong>de</strong>rn<br />
sie betrafen das gesamte Gemeinwesen<br />
und reichten in praktisch alle Bereiche<br />
<strong>de</strong>s Lebens hinein. Abweichungen vom<br />
vorgeschriebenen Glauben waren mit harten<br />
Sanktionen belegt, min<strong>de</strong>stens <strong>de</strong>r<br />
Entfernung aus <strong>de</strong>m Gemeinwesen, oft<br />
sogar mit <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe.<br />
Man ist sich <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r Betrachtung <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>chichte<br />
<strong>de</strong>r christlichen Kirche darin<br />
einig, dass die Wurzeln für die über Jahrhun<strong>de</strong>rte<br />
hinweg geübte Intoleranz gegenüber<br />
abweichen<strong>de</strong>n Glaubensrichtungen<br />
nicht in <strong>de</strong>r christlichen Lehre selbst liegen.<br />
Denn die Verkündigung <strong>de</strong>s Evangeliums<br />
ist, wörtlich aus <strong>de</strong>m Griechischen<br />
Eu-angelion übersetzt, die „frohe Botschaft“<br />
von <strong>de</strong>r Geburt, Leben, Lei<strong>de</strong>n, Sterben<br />
und Auferstehung <strong>de</strong>s Sohnes Gottes Jesus<br />
christus. Diese Verkündigung lei<strong>de</strong>t keinen<br />
Zwang, wie ein<strong>de</strong>utig unter an<strong>de</strong>rem<br />
aus <strong>de</strong>r Missionsanweisung Jesu an seine<br />
Jünger Mt. 0 hervorgeht. Daher fin<strong>de</strong>t<br />
sich in <strong>de</strong>r Theologie <strong>de</strong>r Kirchenväter die<br />
Unterscheidung zwischen einem Ju<strong>de</strong>n<br />
o<strong>de</strong>r Hei<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r nicht mit Zwang zum<br />
christentum bekehrt wer<strong>de</strong>n darf, und<br />
einem <strong>de</strong>m christlichen Glauben zugehören<strong>de</strong>n<br />
Menschen, <strong>de</strong>ssen spätere Abweichung<br />
von <strong>de</strong>r herrschen<strong>de</strong>n Lehre als Häresie<br />
betrachtet und mit harten Sanktionen<br />
bedroht wird.<br />
Die römische Kirche hat sich dazu <strong>de</strong>r<br />
rigi<strong>de</strong>n Praktiken <strong>de</strong>r Inquisition bedient.<br />
Inquisition bezeichnet ein im 3. Jahrhun-<br />
28<br />
<strong>de</strong>rt in <strong>de</strong>r katholischen Kirche eingeführtes<br />
Verfahren zur Ermittlung und Bekämpfung<br />
von Häresie. Seit dieser Zeit<br />
kam es in <strong>de</strong>r christlichen Kirche zur systematischen<br />
Verfolgung von dogmatischen<br />
Abweichlern. Zur Ausmerzung <strong>de</strong>r Ketzerei<br />
und beson<strong>de</strong>rs zur Durchsetzung <strong>de</strong>r<br />
teils drakonischen Strafen bediente sich<br />
die Kirche auch <strong>de</strong>r jeweiligen weltlichen<br />
Herrschaft. So machten es zum Beispiel<br />
die Inquisitionsgesetzgebung <strong>de</strong>s 4. Laterankonzils<br />
von 2 5 und die staatlichen<br />
Ketzergesetze unter Friedrich II. von 220<br />
<strong>de</strong>m Staat zur Pflicht, die von <strong>de</strong>r Kirche<br />
als solche erkannten Ketzer mit Zwangsmitteln<br />
zu verfolgen. Die weltliche Herrschaft<br />
hat sich dazu natürlich nicht ohne<br />
Bedacht auf <strong>de</strong>n eigenen Nutzen hergegeben,<br />
<strong>de</strong>nn die geistliche Herrschaft <strong>de</strong>r Kirche<br />
war auch ein Garant für ein stabiles<br />
weltliches Gemeinwesen und seine Obrigkeit.<br />
Kirche war immer auch ein Faktor für<br />
<strong>de</strong>n weltlichen Machterhalt, sie stabilisierte<br />
die bestehen<strong>de</strong>n Machtverhältnisse.<br />
Erst im Verlauf <strong>de</strong>r Ereignisse um die lutherische<br />
Reformation erkannten die Lan<strong>de</strong>sfürsten,<br />
dass die zunächst als ketzerisch<br />
abgestempelte religiöse Auflehnung gegen<br />
Rom auch als Faktor im politischen Ränkespiel<br />
gegen die Vorherrschaft <strong>de</strong>s katholischen<br />
Kaisers eingesetzt wer<strong>de</strong>n konnte.<br />
Man hat die stark ausgeprägte Ten<strong>de</strong>nz<br />
zur I<strong>de</strong>ntifikation von Kirche und Staat innerhalb<br />
<strong>de</strong>s christentums geschichtlich zu<br />
erklären versucht, da in unterschiedlichen<br />
vorchristlichen Gemeinwesen <strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r die<br />
Herrscher teils göttlichen Status innehatten.<br />
Zu nennen sind hier etwa die Pharaonen<br />
im alten Ägypten o<strong>de</strong>r die Kaiser im<br />
späten römischen Reich. Tatsächlich leiten<br />
ja auch im christlichen Bereich weltliche<br />
Regenten wie Könige o<strong>de</strong>r Kaiser ihre<br />
Macht von Gott her, aus einem „Gottesgna<strong>de</strong>ntum“,<br />
das heißt aus einer religiösen<br />
Legitimation. 24 In diesen Fällen hat Religion<br />
auch eine starke politische Komponente,<br />
<strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Zweifel an o<strong>de</strong>r das Abweichen<br />
von religiösen Grundsätzen ist
dann zugleich eine Gefahr für die Akzeptanz<br />
<strong>de</strong>r weltlichen Obrigkeit.<br />
Die mittelalterliche päpstliche Inquisition<br />
wur<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m Aufkommen <strong>de</strong>r Reformation<br />
542 durch eine eigene kuriale<br />
Institution <strong>de</strong>s Papsttums, die sogenannte<br />
römische Inquisition (Sacra Congregatio<br />
Sancti Officii) ersetzt, welche nun für Ermittlungen<br />
gegen Häresie zuständig war<br />
und 588 ihre größten Vollmachten erhielt.<br />
Sie überwachte auch <strong>de</strong>n 559 erschienenen<br />
ersten römischen In<strong>de</strong>x verbotener<br />
Bücher. Als im 7. Jahrhun<strong>de</strong>rt in<br />
Italien keine be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Ketzerei mehr zu<br />
verzeichnen war, fungierte das Offizium<br />
als Hüter <strong>de</strong>r Kirchenzucht. Abgeschafft<br />
wur<strong>de</strong> diese ursprünglich als Inquisitionsgericht<br />
eingesetzte Kommission erst während<br />
<strong>de</strong>s Zweiten Vatikanischen Konzils<br />
im Jahr 965. 25<br />
Mit <strong>de</strong>r Reformation hat sich zunächst<br />
grundsätzlich nicht viel geän<strong>de</strong>rt. Luthers<br />
anfängliche Überzeugungen waren noch<br />
geprägt von <strong>de</strong>m Umstand, dass seine<br />
Lehre als häretisch betrachtet wur<strong>de</strong> und<br />
von Verfolgung bedroht war. Martin Ohst<br />
zufolge 26 sprach er sich gegen Zwangsmaßnahmen<br />
<strong>de</strong>r Obrigkeit aus, da man <strong>de</strong>n<br />
Glauben nicht erzwingen könne. 27 Häresie<br />
sei nicht durch Verfolgung, son<strong>de</strong>rn durch<br />
Überzeugung zu bekämpfen. 28 In seinem<br />
neuen Taufverständnis herrscht die institutionalisierte<br />
Kirche nicht über <strong>de</strong>n Glauben.<br />
29 Allerdings muss auch <strong>bei</strong> Luther die<br />
Verkündigung <strong>de</strong>s Evangeliums, welche<br />
auf <strong>de</strong>r ein<strong>de</strong>utig verständlichen Schrift<br />
begrün<strong>de</strong>t ist, „rein“ und unverfälscht bleiben.<br />
Um dies sicherzustellen, ist gegenüber<br />
<strong>de</strong>r Papstkirche und gegenüber<br />
falschen Lehren <strong>de</strong>r „Sakramentierer“ Intoleranz<br />
Pflicht. 30 Häretiker können durch<br />
die Obrigkeit <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s verwiesen wer<strong>de</strong>n.<br />
Die To<strong>de</strong>sstrafe kann <strong>bei</strong> Störung <strong>de</strong>r<br />
öffentlichen Ordnung in Anwendung<br />
kommen. 3 Zwingli, Melanchthon und<br />
calvin befürworteten zwangsrechtliche Bestimmungen<br />
ebenso wie die protestantischen<br />
Orthodoxien. Das sind, wohlge-<br />
merkt, Positionen <strong>de</strong>r reformatorischen<br />
Lehre zu einem Zeitpunkt, als diese selbst<br />
schon Kirchen gebil<strong>de</strong>t hatte und in vielen<br />
Gemeinwesen <strong>de</strong>n Glauben bestimmte<br />
und auch Einfluss auf die politische Herrschaft<br />
nahm. Noch 553 ließ calvin in<br />
Genf <strong>de</strong>n Antitrinitarier Michael Servet<br />
(dieser hatte unter an<strong>de</strong>rem in einer Schrift<br />
die Dreieinigkeit „ein Monstrum mit drei<br />
Köpfen“ genannt) aufgrund <strong>de</strong>s Corpus<br />
Iuris Civilis Justinians und <strong>de</strong>r Constitutio<br />
Criminalis Carolina 32 als Ketzer auf <strong>de</strong>m<br />
Scheiterhaufen verbrennen. 33 Wie calvin<br />
war auch Luther <strong>de</strong>r Überzeugung, dass in<br />
einem Gemeinwesen ein einheitlicher<br />
Glaube vorherrschend sein muss. Noch in<br />
<strong>de</strong>n Bestimmungen <strong>de</strong>s Augsburger<br />
Reichstagsabschieds von 555, <strong>de</strong>m sogenannten<br />
Augsburger Religionsfrie<strong>de</strong>n, ist<br />
das Prinzip <strong>de</strong>s lan<strong>de</strong>sherrlichen Kirchenregiments<br />
festgeschrieben, das durch <strong>de</strong>n<br />
Spruch Cuius regio eius religio (wessen Land,<br />
<strong>de</strong>ssen Religion) beschrieben wird. Das be<strong>de</strong>utet,<br />
dass das Bekenntnis <strong>de</strong>r jeweiligen<br />
Herrschaft für alle Untertanen <strong>de</strong>s betreffen<strong>de</strong>n<br />
Territoriums verbindlich war. Die<br />
Bestimmungen galten allerdings nur zwischen<br />
<strong>de</strong>r römischen Kirche und <strong>de</strong>n Angehörigen<br />
<strong>de</strong>s Augsburger Bekenntnisses<br />
von 530.<br />
Nicht weniger <strong>de</strong>sillusionierend wirkt<br />
die Betrachtung <strong>de</strong>r weltlichen Realpolitik<br />
zur Zeit Weigels unter <strong>de</strong>m Aspekt <strong>de</strong>s<br />
Frie<strong>de</strong>nsgedankens, das heißt eines gewaltfreien<br />
Nebeneinan<strong>de</strong>rs unterschiedlicher<br />
religiöser Überzeugungen und dogmatischer<br />
Ausprägungen. Das 6. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />
gilt als das Jahrhun<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>r Konfessionalisierung.<br />
Aus <strong>de</strong>n Ursprüngen <strong>de</strong>r Reformation<br />
entwickelte sich eine ganze Reihe von<br />
beson<strong>de</strong>ren dogmatischen Richtungen,<br />
welche sich gegeneinan<strong>de</strong>r abzugrenzen<br />
bestrebt waren und dazu auch nicht vor<br />
Gewalt zurückschreckten. Die anfangs Verfolgten<br />
waren längst selber zu Verfolgern<br />
gewor<strong>de</strong>n. Die religiös bedingte, wenn<br />
auch nicht ausschließlich religiös begrün<strong>de</strong>te<br />
Konfrontation mit <strong>de</strong>m Papsttum<br />
29
mün<strong>de</strong>te schließlich in <strong>de</strong>r Katastrophe<br />
<strong>de</strong>s Dreißigjährigen Kriegs, welcher einen<br />
be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Teil <strong>de</strong>r Einwohner Mitteleuropas<br />
dahinraffte. Man geht davon aus,<br />
dass <strong>de</strong>r Dreißigjährige Krieg mehr Menschenleben<br />
gekostet hat als <strong>de</strong>r verheeren<strong>de</strong><br />
Zweite Weltkrieg <strong>de</strong>s vergangenen<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rts. Durch Kampfhandlungen<br />
und die damit verbun<strong>de</strong>nen Auswirkungen<br />
wie Flucht, Vertreibung, Verelendung,<br />
Hungersnöte und dadurch bedingte epi<strong>de</strong>mische<br />
Krankheiten wur<strong>de</strong>n um die 40<br />
Prozent <strong>de</strong>r Bevölkerung hinweggerafft,<br />
die Städte verloren im Durchschnitt ein<br />
Drittel ihrer Einwohner.<br />
Toleranz- und Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>en wur<strong>de</strong>n in<br />
<strong>de</strong>r ersten Hälfte <strong>de</strong>s 6. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />
durch Erasmus von Rotterdam (in <strong>de</strong>r<br />
5 9 erschienenen Schrift Querela pacis,<br />
„Die Klage <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns“), durch Sebastian<br />
Franck („Kriegbüchlein <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns“ von<br />
539) und Paracelsus in unterschiedlichen<br />
Texten beson<strong>de</strong>rs zu Beginn <strong>de</strong>r dreißiger<br />
Jahre geäußert. 34 Später ist das Werk Weigels<br />
hierzu anzuführen, <strong>de</strong>r sich eng an die<br />
Auffassungen von Franck und Paracelsus<br />
anschließt.<br />
Ein beson<strong>de</strong>rer Initiationspunkt für Toleranzgedanken<br />
war die schon genannte<br />
Verbrennung Servets 553 in Genf. Aus<br />
Protest darauf gab <strong>de</strong>r zur Reformation<br />
übergetretene Gelehrte Sebastian castellio<br />
unter <strong>de</strong>m Pseudonym Martinus Bellius<br />
ein Jahr später eine Textsammlung gegen<br />
die Ketzertötung heraus, die als ein klassisches<br />
Votum für religiöse Toleranz angesehen<br />
wer<strong>de</strong>n kann. Zu <strong>de</strong>n älteren und<br />
neueren Autoren <strong>de</strong>r Texte gehörten neben<br />
Augustin und Martin Luther auch Erasmus<br />
und Sebastian Franck. Unter <strong>de</strong>n Argumenten,<br />
die castellio gegen eine Verurteilung<br />
<strong>de</strong>r Ketzer vorbringt, ist auch die<br />
Auffassung, dass <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>m Urteil<br />
<strong>de</strong>s Jüngsten Gerichts nicht vorgreifen<br />
dürfe. Sie beruht auf <strong>de</strong>r klassischen Toleranzstelle<br />
Mt. 3,24 – 30, <strong>de</strong>m Gleichnis<br />
vom Unkraut unter <strong>de</strong>m Weizen, das auch<br />
später von Weigel, wie noch zu zeigen ist,<br />
30<br />
ausführlich herangezogen wur<strong>de</strong>. Diese Argumentationsweise<br />
fällt in eine Zeit, in <strong>de</strong>r<br />
es hinsichtlich Glaube und Dogma kein<br />
allgemeingültiges Kriterium und keine unangefochtene<br />
normsetzen<strong>de</strong> Autorität<br />
mehr gibt, das heißt, dass vom „Standpunkt<br />
<strong>de</strong>r je eigenen Rechtgläubigkeit aus<br />
betrachtet, [...] die je an<strong>de</strong>re eine Häresie“<br />
ist. 35<br />
Umso größere Be<strong>de</strong>utung kommt damit<br />
<strong>de</strong>r Toleranz als Maxime für <strong>de</strong>n Umgang<br />
miteinan<strong>de</strong>r zu. Dennoch muss Toleranz<br />
als Konfliktbegriff gesehen wer<strong>de</strong>n, welcher<br />
auf konkurrieren<strong>de</strong>, nicht zur Deckung<br />
zu bringen<strong>de</strong> Werte bzw. Wahrheitsansprüche<br />
antwortet. Der Begriff kann<br />
nach zwei Seiten ad absurdum geführt wer<strong>de</strong>n:<br />
einmal durch das eventuell auch gewaltsame<br />
Bestehen auf <strong>de</strong>r eigenen Überzeugung,<br />
o<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite durch<br />
Skeptizismus bzw. Indifferentismus gegenüber<br />
einer Wertesetzung überhaupt. Bei<strong>de</strong>s<br />
schließt Toleranz aus. Sie ist also „mehr als<br />
Indifferenz, aber auch mehr als die klassische<br />
Tugend <strong>de</strong>r Geduld und <strong>de</strong>s Ertragens“,<br />
da sie sich gegen konkurrieren<strong>de</strong><br />
„intolerante“ Exklusivitätsansprüche abzugrenzen<br />
hat. 36<br />
3. Weigels Toleranzschrift „Vom Leben<br />
Christi“: Der spirituelle Entwurf <strong>de</strong>s Lebens<br />
Christi als innerer Maßstab für <strong>de</strong>n<br />
rechten Glauben 37<br />
In <strong>de</strong>n Jahren 577 und 578 wur<strong>de</strong>n<br />
die lutherischen Geistlichen im albertinischen<br />
Sachsen zur Unterschrift unter die<br />
„Konkordienformel“ aufgefor<strong>de</strong>rt. Knapp<br />
50 Jahre nach <strong>de</strong>r Zustimmung <strong>de</strong>r protestantischen<br />
Territorien zur „Augsburgischen<br />
Konfession“ sollte mit diesem<br />
Werk ein erneuter Versuch zur Erhaltung<br />
dieser Einheit gemacht wer<strong>de</strong>n. Weigel<br />
empfand die Verpflichtung auf die Konkordienformel<br />
als einen ungerechtfertigten<br />
Zwang für <strong>de</strong>n Glauben. Seine 577 wi<strong>de</strong>rstrebend<br />
geleistete Unterschrift hat er in<br />
seinem Dialogus <strong>de</strong> christianismo von 584<br />
überzeugend gerechtfertigt. Da die Stelle
auch einen sehr persönlichen Einblick in<br />
Weigels Denken und Han<strong>de</strong>ln gewährt,<br />
möchte ich sie im Zusammenhang vorstellen.<br />
Sie ist in <strong>de</strong>m Dialog <strong>de</strong>m Auditor in<br />
<strong>de</strong>n Mund gelegt, welcher für <strong>de</strong>n theologisch<br />
Ungebil<strong>de</strong>ten (das heißt <strong>de</strong>n Laien)<br />
steht. Er verteidigt sich auf die provokante<br />
Frage <strong>de</strong>s Concionators – er verkörpert <strong>de</strong>n<br />
etablierten geistlichen Stand – , warum er<br />
unterschrieben habe, wenn er außer christus<br />
und <strong>de</strong>n Schriften <strong>de</strong>r Propheten und<br />
Apostel keine an<strong>de</strong>ren geistlichen Autoritäten<br />
anerkenne, wie folgt:<br />
„Nicht irer Lehre o<strong>de</strong>r Menschenbüchern<br />
habe ich mich vnterschrieben, son<strong>de</strong>rn<br />
dieweil sie iren intent haben auf die<br />
apostolische Schrifft vnd dieselbige allen<br />
Menschenbuchern vorziehen (wie billich),<br />
konte ich das wol lei<strong>de</strong>n. Hetten sie aber<br />
ein eynig an<strong>de</strong>r Buch vber die Schrifften<br />
<strong>de</strong>r Propheten vnd Aposteln gesetzt,<br />
wür<strong>de</strong> ich nicht zugeplatzet haben. Zu<strong>de</strong>me<br />
war es eine schnelle Vberhuiung<br />
o<strong>de</strong>r Vbereylung, das man nicht ettliche<br />
Tage o<strong>de</strong>r Wochen solche Dinge eynem<br />
je<strong>de</strong>n inson<strong>de</strong>rheit zu uberlesen vergönnete,<br />
son<strong>de</strong>rn nur in einer Stun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m<br />
gantzen Hauffen vorgelesen vnd drauf die<br />
subscription gefo<strong>de</strong>rt. Zum dritten wolte<br />
mir armen Zuhorer nicht geburen, <strong>de</strong>m<br />
Teufel ein Freu<strong>de</strong>nmal zu machen vnd anzurichten,<br />
das <strong>de</strong>r ganze Hauffe geschrien<br />
hette: Da, da, wir habens wol gewust, er<br />
sei nicht vnserer Lehre gemeß! Also hette<br />
mein vnbeweglicher apostolischer Grund<br />
mussen vor eine vorlogene Lehre gehalten<br />
wer<strong>de</strong>n, welches Gott nicht gefellig, die<br />
„Perlen fur die Sew“ zu schütten o<strong>de</strong>r „das<br />
Heyligtumb <strong>de</strong>n Hun<strong>de</strong>n zu geben“. [...]<br />
Wer unberufft leufet, richtet nichts aus,<br />
mache mir also gar kein Gewissen mit diesem<br />
Vntterschreiben. Jch bleibe, verharre<br />
vnd sterbe in diesem Grun<strong>de</strong>, <strong>de</strong>n ich<br />
euch erzehlet habe. Die Welt mag von mir<br />
vrtheilen, was sie wolle, dieweil ich eben<br />
darmit mein Freiheit <strong>de</strong>s Geistes bezeuget<br />
habe, das ich sein konne vnter allen Secten<br />
one Schiffbruch meines Glaubens, one<br />
Verletzung meines Gewissens. Mein Schatz<br />
ligt im Hertzen, <strong>de</strong>n kan mir keine Secte<br />
nehmen, es sey Bapst, Luther, Zwinglius<br />
o<strong>de</strong>r wer da wölle“. 38<br />
Soweit seine Rechtfertigung im Rückblick.<br />
Die For<strong>de</strong>rung zur Unterschrift<br />
unter die „Konkordienformel“ und die<br />
darin empfun<strong>de</strong>ne Ausübung von Glaubenszwang<br />
waren aber auch das ausschlaggeben<strong>de</strong><br />
Motiv für die Abfassung seiner<br />
großen programmatischen Schrift „Vom<br />
Leben christi“ im Jahr 578, die als spiritueller<br />
Gegenentwurf zur „Konkordienformel“<br />
geschrieben ist. Darin entwickelt Weigel<br />
ein geistliches Programm <strong>de</strong>s Lebens<br />
christi, das als innerer Maßstab <strong>de</strong>s Glaubens<br />
zu verstehen ist. Es soll an die Stelle<br />
<strong>de</strong>r von außen vorgenommenen Glaubensregulierung<br />
treten, wie sie von <strong>de</strong>n<br />
etablierten Kirchen in <strong>de</strong>r „Konkordienformel“<br />
<strong>de</strong>n Menschen aufgezwungen wer<strong>de</strong>n<br />
sollte. In diesem Sinn könnte Weigel<br />
schon die Überschrift <strong>de</strong>s einleiten<strong>de</strong>n Abschnitts<br />
zur Epitome <strong>de</strong>r „Konkordienformel“<br />
von 578 verstan<strong>de</strong>n haben, wo es<br />
heißt: „Von <strong>de</strong>m summarischen Begriff,<br />
Regel und Richtschnur, nach welcher alle<br />
Lehr geurteilet, und die eingefallene Jrrungen<br />
christlich erkläret und entschei<strong>de</strong>n<br />
wer<strong>de</strong>n sollen“. Auf diesen Text antwortet<br />
Weigel nämlich mit <strong>de</strong>m Titel seiner<br />
Schrift: „Ein Buchlein Vom leben christi,<br />
das ist vom waren glauben, <strong>de</strong>r da ist die<br />
Regel, richtscheidt o<strong>de</strong>r messchnur <strong>de</strong>r heiligen<br />
stadt Gottes vnd Jhrer einwoner hir<br />
auf ERDEN“. 39<br />
Der in „Vom Leben christi“ entwickelte<br />
spirituelle Entwurf impliziert die Befreiung<br />
<strong>de</strong>s Individuums aus <strong>de</strong>r Bevormundung<br />
durch kirchliche und sonstige geistliche Institutionen<br />
und Autoritäten. Die Menschenkirche<br />
und ihre Vertreter sind nicht<br />
befugt und nicht befähigt, <strong>de</strong>n Maßstab<br />
<strong>de</strong>s Glaubens festzulegen. Dieser ist in<br />
je<strong>de</strong>m gläubigen Menschen eingepflanzt,<br />
es ist das allen Menschen gegebene Leben<br />
christi. In diesem sehr mo<strong>de</strong>rn anmuten<strong>de</strong>n<br />
Prinzip liegt auch eine wichtige<br />
3
Wurzel für Weigels I<strong>de</strong>e einer religiösen<br />
Toleranz. Da je<strong>de</strong>r gläubige christ <strong>de</strong>n<br />
Maßstab <strong>de</strong>s Glaubens in sich selbst besitzt,<br />
hat er seinen Glauben nur vor Gott<br />
zu verantworten. Damit ist <strong>de</strong>r Glaube<br />
allen äußerlichen Institutionen wie Kirchen,<br />
Universitäten o<strong>de</strong>r Menschen grundsätzlich<br />
entzogen, und niemand hat das<br />
Recht, <strong>de</strong>n Glauben eines an<strong>de</strong>ren zu <strong>de</strong>nunzieren.<br />
In <strong>de</strong>n Ausführungen <strong>de</strong>r 50 Kapitel<br />
umfassen<strong>de</strong>n Schrift sind als integraler Bestandteil<br />
die Grundsätze enthalten, welche<br />
für unsere Überlegungen von Interesse<br />
sind. In zwei Durchgängen gibt Weigel<br />
hier anhand von christus (in <strong>de</strong>n Kapiteln<br />
– 4) und anhand von Paulus und allen<br />
christen (in <strong>de</strong>n Kapiteln 6–29) eine ausführliche<br />
Darstellung <strong>de</strong>r zum Leben<br />
christi gehören<strong>de</strong>n bzw. sich aus diesem<br />
ergeben<strong>de</strong>n geistlichen Eigenschaften <strong>de</strong>r<br />
Gläubigen. Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen:<br />
Die wahren Gläubigen sind nicht aus<br />
Adams Geblüt von <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn neue<br />
Kreaturen von oben herab aus <strong>de</strong>m Himmel<br />
(Kap. /Kap. 6); durch Taufe und<br />
Abendmahl willigen sie ein, mit christus<br />
zu sterben (Kap. 2/Kap. 7); sie behalten<br />
die Art und Eigenschaft <strong>de</strong>r neuen Kreatur<br />
(Kap. 3/Kap. 8); sie geben <strong>de</strong>n eigenen<br />
Willen auf und wan<strong>de</strong>ln im höchsten Gehorsam<br />
(Kap. 5/Kap. 9); sie leben ohne<br />
Eigentum <strong>de</strong>r Güter und besitzen alle<br />
Dinge in Gott, als besäßen sie sie nicht<br />
(Kap. 6/Kap. 20); sie haben <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n<br />
christi in ihnen (Kap. 7/Kap. 2 ); sie zanken<br />
und rechten nicht um das Zeitliche,<br />
töten auch keinen (Kap. 8/Kap. 22); sie<br />
töten keinen Sün<strong>de</strong>r und verjagen auch<br />
nicht die Ketzer (Kap. 9/Kap. 23); sie beschirmen<br />
das Evangelium nicht mit Kriegen<br />
und Feldschlachten (Kap. 0/Kap. 24);<br />
sie rächen sich nicht an ihren Wi<strong>de</strong>rsachern<br />
(Kap. /Kap. 25); sie wer<strong>de</strong>n um<br />
<strong>de</strong>s Glaubens willen verspottet, verfolgt<br />
o<strong>de</strong>r gar getötet wer<strong>de</strong>n (Kap. 3/Kap. 27);<br />
sie zwingen noch nötigen keinen zum<br />
32<br />
Glauben (Kap. 4/Kap. 28); sie behalten<br />
christus als Herrn <strong>de</strong>r wahren Kirche, welcher<br />
keinen Statthalter über seine Kirche<br />
setzt (Kap. 5/Kap. 29).<br />
Die folgen<strong>de</strong>n Punkte dieses spirituellen<br />
Entwurfs sind für die hier anstehen<strong>de</strong> Thematik<br />
von beson<strong>de</strong>rem Interesse:<br />
. Die christen zwingen noch nötigen<br />
keinen zum Glauben.<br />
2. Sie zanken und rechten nicht um das<br />
Zeitliche, töten auch keinen.<br />
3. Sie töten keinen Sün<strong>de</strong>r und verjagen<br />
auch nicht die Ketzer.<br />
4. Sie behalten christus als Herrn <strong>de</strong>r<br />
wahren Kirche, welcher keinen Statthalter<br />
über seine Kirche setzt.<br />
5. Sie beschirmen das Evangelium nicht<br />
mit Kriegen und Feldschlachten.<br />
Diese Aussagen sollen nachfolgend<br />
näher betrachtet wer<strong>de</strong>n, wofür zunächst<br />
<strong>de</strong>r Weigels Toleranz- und Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e zugrun<strong>de</strong>liegen<strong>de</strong><br />
Kirchenbegriff vorzustellen<br />
ist.<br />
4. Weigels spiritualistischer<br />
Kirchenbegriff<br />
Weigel unterschei<strong>de</strong>t zwischen Gottes<br />
Kirche und <strong>de</strong>r Menschenkirche. Gottes<br />
Kirche „Jst nicht in einem gewissen lan<strong>de</strong><br />
o<strong>de</strong>r königreiche, wie das sichtbare Jsrael<br />
im lan<strong>de</strong> canaan ein zeittlang sein Muste<br />
son<strong>de</strong>rn sie Jst in <strong>de</strong>r gantzen welt ahn keinem<br />
gewissenn Orthe vnnd Jst die versamlung<br />
<strong>de</strong>r glaubigen“. 40 Sie „stehet gegrun<strong>de</strong>t<br />
auff <strong>de</strong>m vnbeweglichen eckstein Jesu<br />
christo“, ihre Gliedmaßen wer<strong>de</strong>n gefun<strong>de</strong>n<br />
„vnter allen hey<strong>de</strong>n, sprachen, volkernn,<br />
sectenn etc“ 4 . Dieser wahren unsichtbaren<br />
Kirche Gottes steht die Menschenkirche<br />
gegenüber als „eine sichtbare<br />
versamlung <strong>de</strong>rer die da predigt hörenn<br />
zur <strong>bei</strong>cht gehen das sacrament nehmen“<br />
und ist „Jnn viel secten zertheilt, heisset<br />
die vilkopffige kirche do ein Je<strong>de</strong>r hauffe<br />
in einem gewissen orthe seinen sinn kopff<br />
vnnd leermeister hat vnnd ein Je<strong>de</strong>r hauffe<br />
fur sich alleine ge<strong>de</strong>nnckt die heylige Katholische<br />
kirche zu sein“. 42
Dieses wird auf Luther, <strong>de</strong>n Papst, Melanchthon,<br />
Zwingli, calvin und an<strong>de</strong>re<br />
ausgelegt. In <strong>de</strong>r Menschenkirche, wofür<br />
Weigel auch <strong>de</strong>n paracelsischen Begriff <strong>de</strong>r<br />
„Mauerkirche“ verwen<strong>de</strong>t, folge „ein Je<strong>de</strong>r<br />
hauffe [...] seinem haupt vnnd vorgeher“<br />
und wolle <strong>de</strong>n Glauben nach <strong>de</strong>ssen Urteil<br />
und Schriften reglementieren, „alß die Lutherischen<br />
folgenn <strong>de</strong>m Luther vnnd wollen<br />
die ketzer o<strong>de</strong>r bucher messen reguliren<br />
pruefenn vrtheilenn etc. nach <strong>de</strong>n<br />
schriften Lutheri, was darwied<strong>de</strong>r Jst wirt<br />
nicht ahngenomen son<strong>de</strong>rn als ketzerisch<br />
verworffenn“. 43 Ebenso hielten es die Synergisten<br />
mit <strong>de</strong>n Schriften Melanchthons<br />
usf.<br />
Die Definition <strong>de</strong>r wahren Kirche<br />
Gottes als einer spirituellen Versammlung<br />
<strong>de</strong>r Gläubigen, zerstreut in <strong>de</strong>r ganzen<br />
Welt, klingt für uns heute zunächst fremd<br />
und sektiererisch o<strong>de</strong>r gar pfingstlerisch,<br />
ist aber gar nicht so weit von <strong>de</strong>r Ekklesiologie<br />
<strong>de</strong>s frühen Luther entfernt. In <strong>de</strong>n<br />
auf ihn zurückgehen<strong>de</strong>n „Schwabacher Artikeln“<br />
von 529 heißt es in Artikel 2:<br />
„Dass kein Zweifel sei, es sei und bleibe<br />
auf Er<strong>de</strong>n ein heilige christenliche Kirch<br />
bis an <strong>de</strong>r Welt En<strong>de</strong>, wie christus spricht<br />
Mat[thaei] ult[imo]: siehe, ich bin <strong>bei</strong><br />
euch bis an <strong>de</strong>r Welt En<strong>de</strong>. Soliche Kirch<br />
ist nichts an<strong>de</strong>rst dann die Glaubigen an<br />
christo, weliche obgenannte Artickel und<br />
Stuck halten, glauben und lehrn und daruber<br />
verfolgt und gemartert wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r<br />
Welt, <strong>de</strong>nn wo das Euangelion gepredigt<br />
wird und die Sakrament recht gebraucht,<br />
do ist die heilige christenliche Kirche, und<br />
sie ist nicht mit <strong>Ges</strong>etzen und äußerlicher<br />
Pracht an Stätte und Zeit, an Person und<br />
Gebär<strong>de</strong> gebun<strong>de</strong>n“. 44<br />
Noch pointierter hieß es in Luthers Bekenntnis<br />
von 528, welches die Grundlage<br />
für die Schwabacher Artikel bil<strong>de</strong>te:<br />
„Demnach gläube ich, dass eine heilige<br />
christliche Kirche sei auf Er<strong>de</strong>n, das ist die<br />
Gemeine und Zahl o<strong>de</strong>r Versammlung<br />
aller christen in aller Welt, die einige<br />
Braut christi und sein geistlicher Leib ...<br />
Und dieselbige christenheit ist nicht allein<br />
unter <strong>de</strong>r römischen Kirchen o<strong>de</strong>r Bapst,<br />
son<strong>de</strong>rn in aller Welt ..., dass also unter<br />
Bapst, Türken, Persern, Tattern und allenthalben<br />
die christenheit zerstrauet ist leiblich,<br />
aber versammlet geistlich in einem<br />
Euangelio“. 45 Allerdings wur<strong>de</strong>n diese Formulierungen<br />
nicht in die späteren Bekenntniswerke<br />
übernommen.<br />
Für Weigels Ekklesiologie gilt darüber<br />
hinausgehend, dass die wahre Geistkirche<br />
nicht auf christen beschränkt ist, ja nicht<br />
einmal auf Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r übrigen Weltreligionen,<br />
son<strong>de</strong>rn dass ihr auch sogenannte<br />
„Hei<strong>de</strong>n“ angehören können, das heißt<br />
zum Beispiel Menschen, die vor christi<br />
Wan<strong>de</strong>l auf Er<strong>de</strong>n gelebt haben, wie die<br />
Philosophen und Weisen <strong>de</strong>r griechisch-römischen<br />
Antike o<strong>de</strong>r die Gottesleute <strong>de</strong>s<br />
Alten Testaments. Gott hat seine Offenbarung<br />
allen Menschen zugänglich gemacht.<br />
Das ergibt sich aus <strong>de</strong>m ersten Kapitel <strong>de</strong>s<br />
Römerbriefs, wo es heißt: „Denn das man<br />
weis / das Gott sey / ist jnen offenbar /<br />
Denn Gott hat es jnen offenbart / damit<br />
/ das Gottes vnsichtbares wesen / das<br />
ist / seine ewige Krafft vnd Gottheit / wird<br />
ersehen / so man <strong>de</strong>s warnimpt / an <strong>de</strong>n<br />
Wercken / nemlich / an <strong>de</strong>r schepffung <strong>de</strong>r<br />
welt. Also / das sie keine entschüldigung<br />
haben“ (Röm. , 9 – 20). Haben alle Menschen<br />
die Möglichkeit zur Erkenntnis<br />
Gottes, so haben sie auch die Pflicht, nach<br />
<strong>de</strong>m Erkannten zu leben. Solche frommen<br />
Hei<strong>de</strong>n haben Gott, das höchste Gut, zumin<strong>de</strong>st<br />
erahnen, im besten Falle auch erkennen<br />
können. Genannt wer<strong>de</strong>n hierzu<br />
<strong>bei</strong> Weigel und übrigens auch <strong>bei</strong> Sebastian<br />
Franck, welcher Weigels Quelle für diese<br />
Anschauung gewesen sein dürfte, neben<br />
Plato und Sokrates auch Plotin, Proklus,<br />
Mercurius (= Hermes Trismegistus) sowie<br />
Adam, Abel, Noah, Abraham, Hiob und<br />
an<strong>de</strong>re. 46<br />
Der Gedanke <strong>de</strong>r „Seligen Hei<strong>de</strong>n“ fin<strong>de</strong>t<br />
sich, in einer an<strong>de</strong>ren Begrifflichkeit<br />
vorgetragen, auch <strong>bei</strong> Paracelsus, <strong>de</strong>ssen<br />
Ekklesiologie im übrigen eng mit <strong>de</strong>r<br />
33
Weigel’schen übereinstimmt: „Merket, dass<br />
alle Kin<strong>de</strong>r selig sind: <strong>de</strong>r Türken, <strong>de</strong>r Tartern,<br />
<strong>de</strong>r Hei<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Christen ... Denn ein jeglichs<br />
Kind ist selig, es sei von wannen es wolle, es sei<br />
im Mutterleibe gestorben o<strong>de</strong>r nicht“. – „Ein<br />
Türk, <strong>de</strong>m da dürstet nach <strong>de</strong>r Gerechtigkeit, <strong>de</strong>r<br />
ist nichts besser <strong>de</strong>nn ein Christ, <strong>de</strong>m auch dürstet<br />
nach <strong>de</strong>r Gerechtigkeit. Denn sie sind <strong>bei</strong><strong>de</strong><br />
Christen“. 47 Kurt Goldammer führt dazu<br />
aus: „Der christliche Absolutheitsanspruch<br />
<strong>bei</strong> Paracelsus ist nur mehr noch ein „limitierter“<br />
o<strong>de</strong>r „inklusiver“, <strong>de</strong>r übergreift<br />
auf das in <strong>de</strong>n nichtchristlichen Religionen<br />
enthaltene Gute, und damit halbwegs<br />
<strong>de</strong>ren Anerkennung ausspricht“. 48 Weiterhin<br />
spricht Goldammer von einem „christlichen<br />
Offenbarungsuniversalismus“ <strong>bei</strong><br />
Paracelsus, wonach auch Platon und Aristoteles<br />
„von oben herab“ geboren waren.<br />
Das geht auf eine Unterscheidung zwischen<br />
„von oben herab geborn wer<strong>de</strong>n und zum<br />
an<strong>de</strong>rn mal geborn wer<strong>de</strong>n und neu geborn wer<strong>de</strong>n“<br />
in <strong>de</strong>r Schrift De inventione artium zurück,<br />
wo es heißt: „dan das wissent, ob gleichwol<br />
Plato und an<strong>de</strong>re von oben herab <strong>de</strong>n<br />
samen haben und <strong>de</strong>s samens halben von oben<br />
herab geborn sind wor<strong>de</strong>n, so sind sie doch drumb<br />
nit gleubig. die an<strong>de</strong>rn zwei neugeborn und wi<strong>de</strong>rumb<br />
gborn wer<strong>de</strong>n (o<strong>de</strong>r das nur eins ist)<br />
das trift die gleubigen an“. 49<br />
5. Zwangfreie Mission: Christus und die<br />
Christen zwingen noch nötigen keinen<br />
zum Glauben<br />
Grundlage für diesen in <strong>de</strong>n Kapiteln 4<br />
und 28 <strong>de</strong>r Schrift „Vom Leben christi“<br />
behan<strong>de</strong>lten Satz sind die folgen<strong>de</strong>n Unterscheidungen:<br />
zwischen <strong>de</strong>m Alten Testament<br />
und <strong>de</strong>m Neuen Testament, <strong>de</strong>m äußeren<br />
Menschen und <strong>de</strong>m inneren Menschen,<br />
<strong>de</strong>r äußeren sichtbaren Kirche und<br />
<strong>de</strong>r wahren inneren unsichtbaren Kirche.<br />
Das Alte Testament steht unter <strong>de</strong>m<br />
Mosaischen <strong>Ges</strong>etz, es ist für <strong>de</strong>n alten<br />
äußeren Menschen geschrieben, welcher in<br />
<strong>de</strong>m gewissen Land canaan <strong>de</strong>r äußerlichen<br />
sichtbaren jüdischen Kirche angehört.<br />
Dagegen steht das Neue Testament<br />
34<br />
unter <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> christi; es bezieht sich<br />
auf <strong>de</strong>n neugeborenen Menschen, welcher<br />
<strong>de</strong>r wahren inneren Kirche Gottes angehört,<br />
<strong>de</strong>ren Glie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r ganzen Welt zerstreut<br />
sind. Während die alte Kreatur durch das<br />
<strong>Ges</strong>etz zum Glauben gezwungen wur<strong>de</strong>,<br />
gilt dies für die neue Kreatur in christus<br />
nicht mehr. Sie tut aus Liebe, was sie tun<br />
soll, und steht im guten Willen <strong>de</strong>s Geistes,<br />
welcher ungezwungen bleiben will. Die<br />
Menschen zum Glauben zu zwingen wäre<br />
alttestamentlich und heidnisch, nicht<br />
christlich. „christus ist die gna<strong>de</strong> vnnd<br />
hann<strong>de</strong>lt auß <strong>de</strong>r gna<strong>de</strong> mit liebe vnd gar<br />
nicht mit gesetz zwangk“. 50 Er hat<br />
Mt. 0,5 – 5 Par. <strong>de</strong>n Aposteln befohlen<br />
„zupredigenn vnnd zupleiben bey <strong>de</strong>nen<br />
die es willig aufnahmen, die es aber nicht<br />
hören wolten vonn <strong>de</strong>nselben musten sie<br />
gehen vnd keinen mit gewalt nöttigen<br />
zum glauben“. 5<br />
Daraus ergibt sich auch Weigels Stellungnahme<br />
gegen das im Augsburger Religionsfrie<strong>de</strong>n<br />
von 555 begrün<strong>de</strong>te Territorialprinzip<br />
Cuius regio eius religio und seine<br />
Anwendung: „Darauß sehen wir wie falsch<br />
vnnd vnrecht Mann Jtzundt Han<strong>de</strong>le, do<br />
eine Je<strong>de</strong> herschafft Judischer Mosischer<br />
weyse ge<strong>de</strong>nckt Jhr vn<strong>de</strong>rthanen zum<br />
Euangelio zu Nöttigen so doch <strong>de</strong>r glaube<br />
keinen Zwangk lei<strong>de</strong>t, Denn <strong>de</strong>r eingetzwungene<br />
glaube Jst kein glaube. Hat<br />
christuß Petrum nicht vber seine kirche<br />
gesetzt viel weniger die weltliche obrikeit<br />
vnnd hat Petrus <strong>de</strong>r doch ein Apostel war<br />
keinen zum glauben getzwungen, vil weniger<br />
soll die weltliche Obrikeit Jemandts<br />
zum glauben zwingen o<strong>de</strong>r nöttigen“. 52<br />
Dieselbe Überzeugung ist nahezu wörtlich<br />
auch <strong>bei</strong> Paracelsus vorgebil<strong>de</strong>t: „Aus<br />
<strong>de</strong>m folget, dass niemand mag zum Glauben genötigt<br />
wer<strong>de</strong>n. Denn genötigt Ding ist nichts<br />
nutze“. 53 – „auf solchs sollen wir wissen, dass<br />
wir kein oberhand [= Obrigkeit], kein gewalt,<br />
kein zwang von niemants haben sollen in <strong>de</strong>m,<br />
was do antrifft gegen <strong>de</strong>r forcht <strong>de</strong>s herrn und<br />
sein weisheit. dann so ein oberhand alle menschen<br />
<strong>de</strong>r ganzen welt brecht in éin glauben mit
zwang, so wer es ein vermeinter glaub und nicht<br />
ein geliebter glaub. auf das wer es besser, ein<br />
ieglicher wer in seim alten [sc. Glauben] als in<br />
disem“. 54 – „Nit zwing ein an<strong>de</strong>rn. Mit <strong>de</strong>m<br />
Evangelio sollen sie bekehrt wer<strong>de</strong>n, nit mit<br />
euern Schwertern ... Der Mensch, <strong>de</strong>r sich untersteht,<br />
<strong>de</strong>n Glauben zu mehren mit <strong>de</strong>m Schwert,<br />
<strong>de</strong>r ist vom Teufel. – Was das Wort nit tun will,<br />
sollst du es nit mit <strong>de</strong>m Schwert erlangen. Denn<br />
Glauben heißen wir nit nötigen“. 55 Paracelsus<br />
verlangt mit diesen Äußerungen „Toleranz<br />
für die scheinbaren Ketzer“, wie es Goldammer<br />
formuliert hat, und „wen<strong>de</strong>t sich<br />
damit“ - Weigel vergleichbar - „gegen jegliche<br />
staatliche Bekehrung, gegen die Ketzerbestreitung<br />
von oben her, gegen das<br />
religiöse Territorialprinzip“. 56<br />
6. Grundsätzliche Ablehnung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe:<br />
Die Christen töten keinen Sün<strong>de</strong>r<br />
Die grundsätzliche Ablehnung <strong>de</strong>r<br />
To<strong>de</strong>sstrafe resultiert <strong>bei</strong> Weigel aus seiner<br />
christologischen Auffassung. Da christus<br />
nicht aus Adams Fleisch und Blut geboren<br />
ist, son<strong>de</strong>rn aus himmlischem Fleisch und<br />
Blut aus Gott, hat er nicht „die art Adams<br />
das ehr <strong>de</strong>n dieb Henckete, <strong>de</strong>n Ehebrecher<br />
kopffete, <strong>de</strong>n mör<strong>de</strong>r Ra<strong>de</strong>brechte, <strong>de</strong>n<br />
ketzer Hinrichtete vnd alle sun<strong>de</strong>r leiblich<br />
tödtete“. 57 Da christus die Art seines<br />
Vaters hat, hält er sich auch an <strong>de</strong>ssen Ausspruch<br />
Ez. 33, : „so wahr alß ich lebe so<br />
will ich nicht <strong>de</strong>n todt <strong>de</strong>s sun<strong>de</strong>rs sonn<strong>de</strong>rn<br />
das ehr bekehret wer<strong>de</strong> vnd lebe“. 58<br />
Aus <strong>de</strong>m Alten Testament wer<strong>de</strong>n weiterhin<br />
herangezogen: das Gebot <strong>de</strong>s Dekalogs<br />
(„Du sollst nicht töten“, Ex. 20, 3 und<br />
Dtn. 5, 7), dass Kain nicht getötet wer<strong>de</strong>n<br />
solle (Gen. 4, 5), und aus <strong>de</strong>r Noahgeschichte<br />
<strong>de</strong>r Wille Gottes, „<strong>de</strong>s Menschen<br />
leben“ rächen zu wollen „an einem jeglichen<br />
Menschen / als <strong>de</strong>r sein Bru<strong>de</strong>r ist“<br />
(Gen. 9,5). Hier zeigt sich allerdings die<br />
Tücke einer solchen Argumentation mit<br />
Schriftstellen. Im nachfolgen<strong>de</strong>n Vers<br />
heißt es nämlich: „Wer Menschen blut vergeusset<br />
/ Des Blut sol auch durch Menschen<br />
vergossen wer<strong>de</strong>n“. Luther hat dies<br />
als Bestätigung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe verstan<strong>de</strong>n,<br />
wie die Randbemerkung zum Vers zeigt:<br />
„Hie ist das weltlich Schwert eingesetzt /<br />
Das man die Mör<strong>de</strong>r tödten sol“ (Ausgabe<br />
<strong>de</strong>r Lutherbibel von 545). Weigel hat die<br />
Stelle an<strong>de</strong>rs ausgelegt: „Nun Jst <strong>de</strong>s<br />
Vatters meinung wie ehr dan zun zeitten<br />
cayns vnnd Lamechs bewiesen hat das<br />
man gar nicht solle tödten, wied<strong>de</strong>r mit<br />
recht noch auß mutwillen wid<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />
offenbaren sun<strong>de</strong>r noch <strong>de</strong>n ketzer, also<br />
das ehr auch zun zeitten Noe ein geboth<br />
gab wo Jemands töten wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>s bluet<br />
wolte ehr selbst rechnen“. 59<br />
Hier ist ein kurzer Exkurs zu Weigels<br />
Schriftverständnis einzuschieben: Die Ambivalenz<br />
<strong>de</strong>s biblischen Worts ist Weigel<br />
durchaus bewusst, wenn er mit Sebastian<br />
Franck die Bibel als „wichsene nase“<br />
bezeichnet, welche sich nach allen Richtungen<br />
drehen lässt, 60 o<strong>de</strong>r auch als<br />
„bey<strong>de</strong>nhen<strong>de</strong>r“, das heißt als ein Schwert,<br />
das <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n gerecht ist und das ein<br />
je<strong>de</strong>r für sich brauchen kann, wie er will. 6<br />
Das betrifft allerdings nur <strong>de</strong>n äußeren<br />
Buchstaben. Zum richtigen Verständnis<br />
<strong>de</strong>r Schrift muss <strong>de</strong>r Geist hinzukommen,<br />
das heißt, ohne <strong>de</strong>n einwohnen<strong>de</strong>n Geist<br />
Gottes kann die Schrift nicht verstan<strong>de</strong>n<br />
wer<strong>de</strong>n, was unter an<strong>de</strong>rem aus <strong>de</strong>m christuswort<br />
Joh. 4,26 abgeleitet ist: „Aber <strong>de</strong>r<br />
Tröster <strong>de</strong>r heilige Geist / welchen mein<br />
Vater sen<strong>de</strong>n wird in meinem Namen / <strong>de</strong>r<br />
selbige wirds euch alles leren“. Auch nach<br />
<strong>de</strong>r schon angesprochenen Erkenntnislehre<br />
Weigels müssen das Auge und <strong>de</strong>r Verstand<br />
im Menschen sein, ohne das Auge kann<br />
ich nicht sehen, und ohne <strong>de</strong>n inneren<br />
Verstand <strong>de</strong>r Schrift kann ich <strong>de</strong>n äußeren<br />
Buchstaben nicht verstehen.<br />
Nun zurück zu Weigels ablehnen<strong>de</strong>r<br />
Haltung gegenüber <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe:<br />
Mögen auch manche Stellen <strong>de</strong>s alten<br />
Testaments an<strong>de</strong>rs interpretierbar sein, so<br />
wird er doch durch <strong>de</strong>n geistlichen Sinn<br />
<strong>de</strong>s Neuen Testaments bestätigt, was mit<br />
zahlreichen Stellen zu belegen ist. Weigels<br />
Position ergibt sich wie folgt: christus ist<br />
35
in die Welt gekommen, die Sün<strong>de</strong>r selig zu<br />
machen ( .Tim. , 5); er ist gekommen, zu<br />
heilen das Verwun<strong>de</strong>te und lebendig zu<br />
machen, das tot war (Röm. 4, 7); er ist gekommen<br />
zu suchen, was verloren war<br />
(Lk. 9, 0), und ist nicht gesandt in die<br />
Welt, dass er jemand richte, verdamme<br />
o<strong>de</strong>r töte, son<strong>de</strong>rn dass die Welt durch ihn<br />
selig wer<strong>de</strong> (Joh. 3, 7). 62 Moses steinigte<br />
die Ehebrecherin, aber christus spricht<br />
„Wer vnter euch on sun<strong>de</strong> ist / <strong>de</strong>r werffe<br />
<strong>de</strong>n ersten stein auff sie“, und es gingen<br />
alle davon (Joh. 8,7–9). christus ist nicht<br />
gekommen, das <strong>Ges</strong>etz aufzuheben, son<strong>de</strong>rn<br />
zu erfüllen (Mt. 5, 7), aber er fragt<br />
nicht nach <strong>de</strong>n auswendigen Werken <strong>de</strong>s<br />
Leibes, son<strong>de</strong>rn er sieht <strong>de</strong>n inwendigen<br />
Sün<strong>de</strong>r an, <strong>de</strong>r ist <strong>de</strong>r rechte Täter, und<br />
nicht <strong>de</strong>r Leib aus Adam. Das <strong>Ges</strong>etz geht<br />
auf <strong>de</strong>n inneren Menschen, auf <strong>de</strong>n Willen,<br />
und christus erfüllt das <strong>Ges</strong>etz, in<strong>de</strong>m er<br />
das Herz ansieht. Wenn <strong>de</strong>m inwendigen<br />
Menschen durch <strong>de</strong>n Glauben geholfen<br />
ist, dann wird auch <strong>de</strong>r äußere Mensch<br />
wohl regiert. Die Sün<strong>de</strong> ist im inwendigen<br />
Menschen. Über ihn erbarmt sich christus.<br />
Wenn er sich durch seine Gna<strong>de</strong> bessert<br />
und bekehrt, vergibt er die Sün<strong>de</strong>, wenn<br />
nicht, straft er sie nicht leiblich, son<strong>de</strong>rn<br />
mit <strong>de</strong>r ewigen Verdammnis nach gehaltenem<br />
Gericht. Die Sün<strong>de</strong> wird nicht leiblich<br />
gestraft, „sonn<strong>de</strong>rn am Jnwendigen<br />
menschen muß sie von Gotte gestrafft<br />
wer<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r ewigen verdamniß wo sie<br />
nicht durch die gna<strong>de</strong> christi wirt hinweg<br />
genommen“. 63 Ähnlich heißt es auch in<br />
<strong>de</strong>r „Kirchen- o<strong>de</strong>r Hauspostille“, Predigt<br />
„Am Vierten Sontage nach Trinitatis“:<br />
„GOTT straffet alleine die Sün<strong>de</strong> / vnd<br />
nicht <strong>de</strong>r Mensch / Er straffet sie nicht leiblich<br />
/ son<strong>de</strong>rn mit <strong>de</strong>r ewigen Verdamniß/<br />
wo sie nicht durch christum vergeben<br />
wird“. 64<br />
Das be<strong>de</strong>utet: Die Ehebrecher, Diebe,<br />
Mör<strong>de</strong>r sind geistlich tot, aber christus<br />
will nicht, dass sie auch leiblich getötet<br />
wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn dass sie sich bekehren<br />
können und geistlich leben. Auch <strong>bei</strong> kri-<br />
36<br />
minellen Vergehen ist folglich <strong>de</strong>r Status<br />
als Sün<strong>de</strong>r vor Gott für <strong>de</strong>n Täter nicht<br />
aufgehoben, auch ihm will Gott die Möglichkeit<br />
<strong>de</strong>r Reue und Buße für sein Vergehen<br />
und damit die Verschonung von <strong>de</strong>r<br />
ewigen Verdammnis geben.<br />
Weigels Auffassung weist viele Parallelen<br />
zu <strong>de</strong>r Ablehnung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe <strong>bei</strong> Paracelsus<br />
auf, wie sie von Kurt Goldammer in<br />
seiner Untersuchung zum Toleranzgedanken<br />
<strong>bei</strong> Paracelsus beschrieben wur<strong>de</strong>.<br />
Neben bedingter Zustimmung in einigen<br />
Schriften steht <strong>bei</strong> Paracelsus eine radikale<br />
Ablehnung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe in an<strong>de</strong>ren<br />
Schriften gegenüber. Eines seiner Argumente<br />
lautet, dass christen „diese <strong>de</strong>m<br />
Hei<strong>de</strong>ntum zugehören<strong>de</strong> Strafart nicht<br />
nötig“ hätten, „weil Gott selbst straft und<br />
sich das Recht über alles Leben vorbehält,<br />
und weil <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r Gelegenheit zur Buße<br />
haben soll“. 65<br />
Hinsichtlich <strong>de</strong>r Motivation für ihre<br />
Haltung unterschei<strong>de</strong>n sich Weigel und<br />
Paracelsus allerdings voneinan<strong>de</strong>r. Während<br />
die grundsätzliche Ablehnung <strong>de</strong>r<br />
To<strong>de</strong>sstrafe <strong>bei</strong> Weigel unmittelbar in seiner<br />
christologie begrün<strong>de</strong>t liegt, sieht Goldammer<br />
als innere Wurzeln für die Auffassung<br />
<strong>de</strong>s Paracelsus die Grundhaltung als<br />
Arzt und das „Biologische“ in seinem<br />
Denken. „Denn eine Art von Biologismus<br />
liegt zweifellos vor, eine Anschauung vom<br />
hohen Werte <strong>de</strong>s ganzheitlichen Lebens<br />
[...]. Die Erhaltung <strong>de</strong>s Leibes, o<strong>de</strong>r besser:<br />
<strong>de</strong>s leib-seelischen Ganzen, ist höchste<br />
Pflicht für <strong>de</strong>n Arzt. Und das be<strong>de</strong>utet:<br />
Kampf gegen <strong>de</strong>n Tod und Eintreten für<br />
das Nichtschädigen“. 66<br />
Wie weit Weigel und Paracelsus mit dieser<br />
Auffassung von <strong>de</strong>r rechtlichen und gesellschaftlichen<br />
Realität ihrer Zeit entfernt<br />
waren, zeigt die erwähnte Constitutio Criminalis<br />
Karls V. von 532, welche die To<strong>de</strong>sstrafe<br />
in verschie<strong>de</strong>nen Formen für eine<br />
Fülle von Vergehen festschrieb und zu<br />
einer inflatorischen Anwendung dieser<br />
Sanktion führte. Kurt Goldammer hat in<br />
seiner Untersuchung zur Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e und
zum Toleranzgedanken ( 956) darauf hingewiesen,<br />
dass Paracelsus „wohl <strong>de</strong>r erste<br />
grundsätzliche Gegner <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe im<br />
abendländischen Kulturbereich“ gewesen<br />
sei. 67 Unzutreffend ist daher die Angabe<br />
von Fritz Loos im Artikel „To<strong>de</strong>sstrafe“ in<br />
<strong>de</strong>m 2005 erschienenen Band 8 <strong>de</strong>r vierten<br />
Auflage <strong>de</strong>r „Religion in <strong>Ges</strong>chichte und<br />
Gegenwart“: „Erst in <strong>de</strong>r Spätaufklärung<br />
wur<strong>de</strong> nachdrücklich Kritik an <strong>de</strong>r heute<br />
gera<strong>de</strong>zu wahllos erscheinen<strong>de</strong>n Sanktionierung<br />
durch die To<strong>de</strong>sstrafe geübt [...],<br />
schließlich aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Humanität<br />
auch ihre völlige Abschaffung gefor<strong>de</strong>rt“. 68<br />
Die paracelsischen wie die Weigel’schen<br />
Stellungnahmen sind darin übergangen,<br />
was auch auf <strong>de</strong>n Artikel „To<strong>de</strong>sstrafe“ in<br />
<strong>de</strong>m 2002 erschienenen Band 33 <strong>de</strong>r „Theologischen<br />
Realenzyklopädie“ zutrifft, wo<br />
O.M.T. O’ Donovan referiert: „Das Verdienst,<br />
als erster Theoretiker die To<strong>de</strong>sstrafe<br />
grundsätzlich abgelehnt zu haben“,<br />
wer<strong>de</strong> „für gewöhnlich <strong>de</strong>m italienischen<br />
Rationalisten cesare Beccaria ( 738 – 794)<br />
zugeschrieben“. 69<br />
7. Auch die Obrigkeit hat keine Befugnis<br />
zu töten<br />
Die römische Kirche ist zwar fe<strong>de</strong>rführend<br />
<strong>bei</strong> <strong>de</strong>r Verfolgung von Häretikern<br />
und hat dies in zahlreichen Dekreten und<br />
durch die Einrichtung <strong>de</strong>r Ketzergerichte<br />
und an<strong>de</strong>res geregelt. Sie hat sich aber<br />
davor gehütet, anstehen<strong>de</strong> To<strong>de</strong>sstrafen<br />
selbst auszusprechen bzw. zu vollziehen.<br />
Dieses wur<strong>de</strong> an die weltliche Obrigkeit<br />
<strong>de</strong>legiert. 70 Das heißt, die Kirche hat religiös<br />
bedingte Sanktionen durch <strong>de</strong>n Arm<br />
<strong>de</strong>r weltlichen Obrigkeit (o<strong>de</strong>r durch das<br />
Schwert) vollstrecken lassen. Dagegen bezieht<br />
Weigel in <strong>de</strong>n Kapiteln 5 und 29<br />
seiner Schrift „Vom Leben christi“ Stellung.<br />
Zunächst wird mit Bezug auf Matthäus 8,4<br />
(„Wer nu sich selbs nidriget / wie das Kind/<br />
<strong>de</strong>r ist <strong>de</strong>r grössest im Himelreich“) dargelegt,<br />
dass „christus keinen stathalter noch<br />
Vietztumb“ über seine Kirche setzt, „Ehr<br />
bleibet selber <strong>de</strong>r Herre vber die kirche.<br />
Das Lamp setzt nicht wolffe vber die<br />
schaffe o<strong>de</strong>r christus verordnet nicht weltliche<br />
schwerth vber sein Reich hie auf<br />
er<strong>de</strong>n vnnd zwinget keinen zum glauben<br />
wid<strong>de</strong>r durch sich noch durch die Hanndt<br />
<strong>de</strong>r obrikeit“. 7 Es „gilt hie nicht diese Antichristische<br />
ausre<strong>de</strong>, Wir dorffen keinen<br />
tödten aber die Obrikeit soll die sun<strong>de</strong>r<br />
tödten vnd die ketzer verJagenn“, <strong>de</strong>nn<br />
„christus pleibet alleine die obrickeyt vber<br />
seine kirche vnd setzet keinen stathalter<br />
drueber“. 72 Ähnlich heißt es in <strong>de</strong>r Predigt<br />
„Am Vierten Sontage nach Trinitatis“ <strong>de</strong>r<br />
„Kirchen- o<strong>de</strong>r Hauspostille“: „weit sey das<br />
vom Apostolischen grun<strong>de</strong> / das wir leren<br />
solten mit <strong>de</strong>m Antichristo / als hett GOTT<br />
das Schwert vber die Kirche <strong>Ges</strong>etz / als<br />
könte <strong>de</strong>r Mensch die Sün<strong>de</strong> straffen / o<strong>de</strong>r<br />
als solte die Obrigkeit an stat cHRIsti / sitzen<br />
/ alles nichts. cHristus hat nicht <strong>de</strong>n<br />
Pabst o<strong>de</strong>r das Schwert vber seine Kirchen<br />
geordnet / er wil seine Kirche nicht durch<br />
<strong>de</strong>n Teuffel regieren / Er bleibt alleine das<br />
Häupt / <strong>de</strong>r Meister vnd HERR / vber seine<br />
Kirche“. 73<br />
8. Religiöse Toleranz: Die Christen<br />
verjagen auch nicht die Ketzer<br />
Weigels I<strong>de</strong>e von einer umfassen<strong>de</strong>n Toleranz<br />
gegenüber dogmatischen Abweichlern<br />
liegt die klassische Toleranzstelle in<br />
Mt. 3 zugrun<strong>de</strong>, das Gleichnis vom Unkraut<br />
unter <strong>de</strong>m Weizen. Es dient ihm in<br />
vielen Stellungnahmen gegen Ketzerverfolgung<br />
als Argumentationsbasis, und mehrfach<br />
hat er <strong>de</strong>n Bibeltext auch in diesem<br />
Sinne ausgelegt, am ausführlichsten wohl<br />
in Predigt 6 <strong>de</strong>r „Handschriftlichen Predigtensammlung“<br />
von 573– 574. In <strong>de</strong>m<br />
Gleichnis Jesu heißt es (Mt. 3,24–30):<br />
„Das Himelreich ist gleich einem Menschen<br />
/ <strong>de</strong>r guten Samen auff seinen Acker<br />
seet. Da aber die Leute schlieffen / kam<br />
sein Feind / vnd seete Vnkraut zwisschen<br />
<strong>de</strong>n Weitzen / vnd gieng dauon. Da nu das<br />
Kraut wuchs / vnd Frucht bracht / Da fand<br />
sich auch das Vnkraut. Da tratten die<br />
Knechte zu <strong>de</strong>m Hausvater / vnd sprachen/<br />
37
Herr / hastu nicht guten Samen auff <strong>de</strong>inen<br />
acker geseet? Wo her hat er <strong>de</strong>nn das Vnkraut?<br />
Er sprach zu jnen / Das hat <strong>de</strong>r<br />
Feind getan. Da sprachen die knechte /<br />
Wiltu <strong>de</strong>nn / das wir hin gehen / vnd es<br />
ausgetten? Er sprach / Nein / Auff das jr<br />
nicht zu gleich <strong>de</strong>n Weitzen mit ausreuffet/<br />
so jr das Vnkraut ausgettet. Lasset <strong>bei</strong><strong>de</strong>s<br />
mit einan<strong>de</strong>r wachsen / bis zu <strong>de</strong>r Erndte.<br />
Vnd vmb <strong>de</strong>r erndte zeit / wil ich zu <strong>de</strong>n<br />
Schnittern sagen / Samlet zuuor das Vnkraut<br />
vnd bin<strong>de</strong>t es in Bündlin / das man<br />
es verbrenne / Aber <strong>de</strong>n Weitzen samlet<br />
mir in meine Schewren“. Weigel verweist<br />
nun darauf, dass Jesus sein Gleichnis in<br />
<strong>de</strong>n Versen 37 – 43 selbst auslegt, dass nämlich<br />
„<strong>de</strong>r Saame sei das Wortt Gottes, <strong>de</strong>r<br />
Acker sei die Welt, ja solcher gute Saame<br />
sein die Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>ß Reichs vnd das Vnkraut<br />
neben <strong>de</strong>m Waitzen seien die Kin<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>r Boßheit. Der Feindt, <strong>de</strong>r solch Vnkraut<br />
seet, sei <strong>de</strong>r Teuffel, die Erndte das En<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>r Welt vnd die Schnitter seind die<br />
Engel“. 74 Wäre kein guter Same und<br />
Acker, heißt es in <strong>de</strong>r Predigt weiter, „so<br />
were auch kein Vnkraut, vnnd were kein<br />
Liecht, so möchte auch kein Finsternus<br />
sein, were kein Gutes, so mocht auch kein<br />
Böses seinn. Also ist nach <strong>de</strong>m Fall Böses<br />
vnnd Gutes im Mentschen aufgewachsen,<br />
vnnd also ist es auch in <strong>de</strong>r Weltt, dass<br />
gute vnd böse Mentschen <strong>bei</strong>samen seind.<br />
Solches außzujetten ist keinem Mentschen<br />
befohlen, son<strong>de</strong>rn allein <strong>de</strong>n Englen, darzu<br />
am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Welt; <strong>de</strong>nn die Mentschen<br />
wissen nit, waß Waitzen o<strong>de</strong>r Vnkraut ist,<br />
sie möchten <strong>de</strong>n Waitzen fur das Vnkraut<br />
außreufen“. Als Schlussfolgerung ergibt<br />
sich daraus, „dass man die Ketzer nit solle<br />
tödten, sonn<strong>de</strong>rn man solle sie pleiben lassen<br />
neben <strong>de</strong>n Gerechten biß zum<br />
Erndten“. 75<br />
Das Unkraut befin<strong>de</strong>t sich nicht ohne<br />
einen sinnvollen Zweck unter <strong>de</strong>m Weizen.<br />
„Es pleiben dise zween Samen im<br />
Mentschen zur Übung vnd auch in <strong>de</strong>r<br />
Welt zur proba, auf dass die Frommen<br />
auch geübet wer<strong>de</strong>n durch die Bösen, vnd<br />
38<br />
soll sich kein Mentsch vnn<strong>de</strong>rstehen, die<br />
Ketzer zu tödten o<strong>de</strong>r außzureuten; man<br />
möchte sonst <strong>de</strong>n Waitzen ergreiffen vor<br />
das Vnkraut, wie <strong>de</strong>nn allemal geschehen<br />
von <strong>de</strong>n hitzigen Ketzermeistern, dass sie<br />
die fromen Lehrer fur die falschen haben<br />
vom Brott gerichtet. Es ist nur <strong>de</strong>n Englen<br />
befohlen vnnd nit <strong>de</strong>n Mentschen, die<br />
Ketzer außzurotten, darzu am Endte <strong>de</strong>r<br />
Weltt“. 76<br />
Der hier verwen<strong>de</strong>te Begriff <strong>de</strong>s „Ketzermeisters“<br />
ist ein Beleg dafür, dass sich die<br />
über Jahrhun<strong>de</strong>rte andauern<strong>de</strong> Ketzerverfolgung<br />
durch die christlichen Kirchen in<br />
einer Fülle von Wortschöpfungen <strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>utschen Sprache nie<strong>de</strong>rgeschlagen hat.<br />
„Ketzermeister“ bezeichnet nach <strong>de</strong>m<br />
Grimm’schen Wörterbuch sowohl <strong>de</strong>n<br />
Erzketzer (archihaereticus) wie auch <strong>de</strong>n<br />
Richter o<strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong>n im Ketzergericht<br />
(inquisitor haereseos). 77 Weigel verwen<strong>de</strong>t<br />
<strong>de</strong>n Begriff in <strong>de</strong>r zweiten Be<strong>de</strong>utung<br />
häufig, wie hier auch, auf <strong>de</strong>r Folie seines<br />
Eintretens für religiöse Toleranz als Kampfbegriff.<br />
Seine Kritik geht sogar noch, wie<br />
es aus <strong>de</strong>r Polemik gegen Ketzerverfolgung<br />
auch aus an<strong>de</strong>ren Quellen bekannt ist,<br />
einen Schritt weiter, in<strong>de</strong>m er die Verfolger<br />
selbst als die eigentlichen Ketzer erscheinen<br />
lässt: „Wie sollen die Mentschen von <strong>de</strong>n<br />
Ketzern vrtheilen? Sie seind offtmals die<br />
größten Ketzer. Vnd warlich, eben diejenigen,<br />
so sich vn<strong>de</strong>rfangen, an<strong>de</strong>re zu vrtheilen<br />
vnd zu verketzern, die seind selber das<br />
Vnkraut vnd gehören in das hellische<br />
Feuer. Sie fallen Gott in sein Gericht vnd<br />
vrtheilen, wissen doch, dass es nit <strong>de</strong>n<br />
Mentschen, son<strong>de</strong>rn nur <strong>de</strong>n Englen befohlen<br />
sei vnd dass Gott <strong>bei</strong><strong>de</strong>s miteinan<strong>de</strong>r<br />
wol lassen wachsen biß zur Erndte ans<br />
Endte <strong>de</strong>r Welt“. 78 Diese geharnischte Philippika<br />
gegen Ketzerverfolgung steht,<br />
wohlgemerkt, in einer Predigtensammlung<br />
aus <strong>de</strong>n Jahren 573/74, die noch <strong>de</strong>utlich<br />
vor <strong>de</strong>n genannten Vorgängen um die<br />
Konkordienformel von 577/78 entstand.<br />
Es wäre <strong>de</strong>nkbar, dass Weigel durch die<br />
seit Beginn <strong>de</strong>r siebziger Jahre in Kursach-
sen virulente Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>m<br />
Kryptocalvinismus, das heißt <strong>de</strong>m versteckten<br />
Einschleusen calvinistischer theologischer<br />
Positionen, <strong>de</strong>ssen die Anhänger<br />
Philipp Melanchthons, die sogenannten<br />
Philippisten, beschuldigt wur<strong>de</strong>n, zu seinen<br />
Äußerungen veranlasst wur<strong>de</strong>. Am ersten<br />
April (in <strong>de</strong>r Woche davor bricht die<br />
Predigtensammlung ab) wur<strong>de</strong> eine Reihe<br />
von ihnen verhaftet, darunter auch <strong>de</strong>r<br />
Wittenberger Theologe christoph Pezel,<br />
ein Studiengefährte Weigels, sowie Kaspar<br />
Peucer, <strong>de</strong>r Schwiegersohn Melanchthons<br />
und Leibarzt <strong>de</strong>s Kurfürsten August, <strong>de</strong>r<br />
später im Kerker starb. 79 Wie stark Weigel<br />
in <strong>de</strong>r frühen Predigt, von welcher man<br />
allerdings nicht weiß, ob sie auch in diesem<br />
Wortlaut gehalten wur<strong>de</strong>, emotional engagiert<br />
ist, zeigt <strong>de</strong>r sich unmittelbar an die<br />
zitierte Stelle anschließen<strong>de</strong> Stoßseufzer:<br />
„O wie viel frommer, gottesgelerter Menner<br />
seind von <strong>de</strong>m vntüchtigen falschen<br />
<strong>Ges</strong>chmeiß, wie in <strong>de</strong>r Ketzer cronica Sebastian<br />
Francken zu sehen ist allen geistlichen<br />
Augen vnd in <strong>de</strong>r gantzen Schrifft,<br />
von Anfang <strong>de</strong>r Welt bißher verketzert<br />
wor<strong>de</strong>n!“ 80<br />
Der richtige Umgang mit Häretikern ist<br />
nach Weigels Meinung ein an<strong>de</strong>rer: „Die<br />
rechten Lehrer sind keine Ketzermeister.<br />
Sie tragen ihre Feindt mit Gedult vnd lassen<br />
sie auch neben <strong>de</strong>m Waitzen pleiben<br />
biß auf seine Zeit, wie Moises <strong>de</strong>n Jambrem<br />
[nach 2. Tim. 3,8] vnd Paulus <strong>de</strong>n<br />
Elymam [nach Act. 3,8– ] vnd christus<br />
die Phariseer [nach Mt. 23, –33], Petrus<br />
Simonem Magum [nach Act. 8,9–24]. Sie<br />
fallen Gott nit in sein Gericht; <strong>de</strong>nn sie<br />
wissen wol, dass die Ketzer nutzer seind<br />
zur Übung <strong>de</strong>r Frommen alß schädlicher“.<br />
8<br />
9. Weigels Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e: Die Christen<br />
beschirmen das Evangelium nicht mit<br />
Kriegen und Feldschlachten<br />
Das Reformationsjahrhun<strong>de</strong>rt war das<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>r Konfessionalisierung.<br />
Genau in diesem Zusammenhang for<strong>de</strong>rt<br />
Weigel gegenseitige Toleranz ein. Er prangert<br />
<strong>de</strong>n unduldsamen Umgang an, <strong>de</strong>n<br />
die einzelnen Abspaltungen miteinan<strong>de</strong>r<br />
pflegen:<br />
„Die da seint in <strong>de</strong>r menschen kirchen<br />
die machen Jnen selbst einen sichtbaren<br />
hauffen vnnd ein Je<strong>de</strong>r hauffe hat zum<br />
Haupt einen Vorgeher o<strong>de</strong>r menschen. Die<br />
caluinisten <strong>de</strong>n caluinum die synergisten<br />
<strong>de</strong>n Philippum die Flacianer <strong>de</strong>n Luther<br />
die papistenn <strong>de</strong>n papst. Vnnd ein Je<strong>de</strong>r<br />
haufe will die kirche sein vnnd das man<br />
solche menschen kirchen Ja kenne von<br />
wannen sie seint das sie ausser <strong>de</strong>m schaffstall<br />
christi seint so verrathen sie sich selbest<br />
mit Jhrer wolffischen ahrt in <strong>de</strong>me sie<br />
Jhre wid<strong>de</strong>rsacher verJagen Jncarcerirenn<br />
todtenn etc. auff das Jhr hauffe reine sey<br />
vnnd bleibe beysammen in einhelligem<br />
consenß <strong>de</strong>r reinen lehre im rechten<br />
brauch <strong>de</strong>r sacramenten [...]“. 82 Er for<strong>de</strong>rt<br />
zur Besinnung und zum Gewaltverzicht<br />
auf: „Sihe ahn was doch die vermeinten<br />
Euangelischen ein Jahr o<strong>de</strong>r siebene daheer<br />
haben furgenomen. mit gewalt haben<br />
sie <strong>de</strong>n glauben wollen verfechten, Hetten<br />
sie kriegsvolck gehabt sie hettens auch gethan.<br />
Der Papst verJagt die Lutterischen<br />
die Luttherischen vertreibenn die papisten,<br />
die caluinisten vertreiben die Flacianer<br />
Vnnd die Flacianer wid<strong>de</strong>rumb die caluinisten<br />
vnnd synergisten vnd ist noch kein<br />
en<strong>de</strong>“. 83 Weigel fährt dann fort: „O fielen<br />
wir allesampt auff vnsere knie vnter Gott<br />
vnd bekeneten einer <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn die<br />
sün<strong>de</strong> vnsere eigene plintheit das wir gantz<br />
auß <strong>de</strong>m glauben vom leben christi weren<br />
gewichen, so mochte vnnß geholffen wer<strong>de</strong>n“.<br />
84<br />
Der Glaube bedarf keines weltlichen<br />
Schutzes: „Also gehet es auch zu mit beschirmung<br />
<strong>de</strong>s glaubens das die falschen<br />
39
christen <strong>de</strong>n glauben mit <strong>de</strong>m schwerth<br />
durch obrikeyt wollen beschutzen <strong>de</strong>nen<br />
sie doch nicht haben vnnd das leben christi<br />
wollen sie verthedingen mit kriege<br />
vnnd seint doch eben domitte wid<strong>de</strong>r das<br />
leben christi vnnd haben dasselbige nicht.<br />
Aber die wahren christen seint schaffe<br />
vnd folgen <strong>de</strong>m lamme nach wo es hingehet.<br />
christus das lamb krieget nicht tuth<br />
nicht feltschlachten. Also alle seine nachfolger<br />
sie rueffen nicht die obrikeit vmb<br />
Hulffe ahn, vnd pflantzen Jhre lehre nit<br />
fort mit <strong>de</strong>m schwerthe dann eß were glat<br />
wied<strong>de</strong>r das friedtlich Euangelium“. 85 Da<br />
wolle man „<strong>de</strong>n glauben beschirmen<br />
<strong>de</strong>nen man doch nicht hat“. 86<br />
In Kapitel 0 dieser Schrift führt Weigel<br />
drei Grün<strong>de</strong> an, „dass christus nicht<br />
kriege o<strong>de</strong>r feldschlachtenn thu“: „Die<br />
erste vhrsache Jst die zeit, die ann<strong>de</strong>r Jst<br />
mangel <strong>de</strong>s eigentumbs, die dritte Jst <strong>de</strong>r<br />
glaube“. 87 Die Zeit ( .) ist begrün<strong>de</strong>t durch<br />
Röm. 3, 2: „Die nacht ist vergangen <strong>de</strong>r<br />
tag Jst herbey kommen“, und Joh. , 7:<br />
„Das gesetz Jst durch Moisenn gegeben,<br />
die warheit vnnd gna<strong>de</strong> Jst mit christo<br />
kommen“: 88 Die Nacht und das <strong>Ges</strong>etz<br />
sind das Alte Testament, „da man leibliche<br />
kriege fuhrte wid<strong>de</strong>r die philister vnnd an<strong>de</strong>re<br />
Hey<strong>de</strong>n“. Der Tag und die Gna<strong>de</strong><br />
sind das Neue Testament, „do christus das<br />
liecht kommen ist vnnd hat auffgehaben<br />
die nacht, das Jst die freu<strong>de</strong>nreiche Zeit<br />
daruon die propheten geweissaget haben,<br />
sie wer<strong>de</strong>n Jhre spiesse zu sichelnn machen<br />
vnnd Jhre schwerter zu pflugsscharen<br />
[Jes. 2,4], die wolffe wer<strong>de</strong>n bej <strong>de</strong>n lemmern<br />
wonen, vnnd die Par<strong>de</strong>l bey <strong>de</strong>n<br />
bocken, vnnd ein kleiner knabe wirt kelber<br />
vnd Junge lewen vnnd mast viehe miteinan<strong>de</strong>r<br />
treiben [Jes. ,6]“, usw. 89<br />
(2.) Wo kein Eigentum <strong>de</strong>s Willens und<br />
<strong>de</strong>r Güter ist, da kann kein Krieg sein.<br />
christus „ist kommen ein gast zusein in<br />
dieser welt, vnnd alle gleubigen seint geste,<br />
sie lassen Jhnen alles Nehmen ohne wied<strong>de</strong>r<br />
wehre“, 90 was durch Mt. 5,40 begrün<strong>de</strong>t<br />
ist: „Vnd so jemand mit dir rechten<br />
40<br />
wil / vnd <strong>de</strong>inen Rock nemen / <strong>de</strong>m las<br />
auch <strong>de</strong>n Mantel“. 9<br />
(3.) „Der glaube Jst christus selber vnd<br />
stehet nit in Jrdischem leibe, auch nicht im<br />
papyr son<strong>de</strong>rn im Jnnern menschen.<br />
Niemand kan einen zum glauben zwingen<br />
o<strong>de</strong>r daruon treiben, Ehe liesse christus<br />
das leben ehe ehrr wolte daruon abtreten“,<br />
heißt es zu diesem Punkt. 92 „Ob gleich die<br />
vnrugige welt krieg ahn fehet o<strong>de</strong>r mit gewalt<br />
ferth, so ist doch christus ein lamb<br />
vnnd die seinen seint schaffe, die kriegen<br />
nicht. Eß ist nie erhöret wor<strong>de</strong>nn das ein<br />
lamp o<strong>de</strong>r die schaffe eine feltschlacht gethan<br />
habenn wid<strong>de</strong>r die wolffe. Auff geistliche<br />
weise streitten sie zwar teglich vnnd<br />
behalten einen sieg nach <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn.<br />
Aber nach <strong>de</strong>m eussern Menschen wirt gar<br />
nicht gekrieget“. 93<br />
Weigels Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e äußert sich nicht<br />
nur in seiner <strong>de</strong>zidierten Ablehnung <strong>de</strong>r<br />
Kriegshän<strong>de</strong>l zwischen <strong>de</strong>n sich herausbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />
christlichen Kirchen, son<strong>de</strong>rn sie<br />
erstreckt sich darüber hinausgehend auch<br />
auf die Gewaltanwendung zwischen <strong>de</strong>n<br />
Religionen. Gegen die sogenannten Religionskriege<br />
führt Weigel im Wesentlichen<br />
zwei Grün<strong>de</strong> an. Zum einen: Ebenso wie<br />
<strong>de</strong>r Glaubenskampf <strong>de</strong>s einzelnen Menschen<br />
inwendig im Geiste geschieht, steht<br />
auch die wahre Kirche inwendig im Glauben<br />
und Geist und bedarf keines weltlichen<br />
Schutzes, christus selbst ist ihr<br />
Haupt und ihr unbesiegbarer Schutz. Zum<br />
an<strong>de</strong>rn ist das religiöse Motiv für einen<br />
Krieg in aller Regel nur vorgeschoben, in<br />
Wirklichkeit (und das hat sich bis heute<br />
nicht geän<strong>de</strong>rt) wer<strong>de</strong>n die Kriege um<br />
weltliche Güter, um Macht und Herrschaft<br />
geführt und sind eines christlichen Gemeinwesens<br />
unwürdig. Man muss nicht,<br />
schreibt Weigel in Kapitel 0 „Vom Leben<br />
christi“, „Gottes worth <strong>de</strong>n seligmachen<strong>de</strong>n<br />
glauben, mit kriege vnnd feltschlachten<br />
beschirmen, <strong>de</strong>r glaube darff keines weltlichen<br />
schutzes wie die vermeinten christen<br />
achten die da sagen, man musse <strong>de</strong>m<br />
Turcken mit kriege wie<strong>de</strong>rstehen, ehr will
vnnß <strong>de</strong>n glauben, Gottes wort nehmen“,<br />
<strong>de</strong>nn es wer<strong>de</strong> „fur war nicht <strong>de</strong>r glaube<br />
gemeinet son<strong>de</strong>rn vmb die zeitlichen<br />
guther richt man ahn solch blutvergiessen<br />
vnd bekrieget landt vnd leute“. 94 Zu vergleichen<br />
ist weiterhin Kapitel 24 <strong>de</strong>rselben<br />
Schrift, wo es heißt: „Wir seint nicht vnter<br />
Moise in einem gewissen Hauffen o<strong>de</strong>r<br />
lan<strong>de</strong> das wir vermeinen nach <strong>de</strong>m sichtparen<br />
Hauffen die kirche Gottes zusein<br />
Vnnd wolten <strong>de</strong>rhalben mit langen spiessen<br />
fur <strong>de</strong>n Turcken zihen vnd Jhnen<br />
schlagenn wie offtmals geschehen da man<br />
hat wollen <strong>de</strong>n glauben beschirmen wid<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>n Turcken vnnd ist doch kein glaube<br />
da gewesen. Dan wo <strong>de</strong>r glaube Jst do Jst<br />
auch christi lebenn, wo christi leben Jst<br />
do Jst kein krieg mit leiblichen waffen“. 95<br />
Auch in dieser Auffassung steht Weigel<br />
wie<strong>de</strong>rum nahe <strong>bei</strong> Paracelsus. Dieser<br />
schrieb in seiner „Auslegung <strong>de</strong>r Zehn Gebote“<br />
zum 5. Gebot: „Was ists: man hat<br />
or<strong>de</strong>n mit landsknechten, <strong>de</strong>n Türken zu überwen<strong>de</strong>n,<br />
zu erschlagen. was ist das an<strong>de</strong>rs we<strong>de</strong>r<br />
mör<strong>de</strong>rei und ein vermessenliche mör<strong>de</strong>rei? [...]<br />
das ist nun die warheit: <strong>de</strong>r feind Christi soll<br />
überwun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, aber mit <strong>de</strong>r lehr, nit mit<br />
mör<strong>de</strong>rei; dann gott hat nit gemör<strong>de</strong>t zum glauben;<br />
er setzt sein reich nit in die welt mit Julio<br />
[Cäsar], Nebucadnezaro, Alexandro etc., son<strong>de</strong>rn<br />
er hieß seine jünger verkün<strong>de</strong>n das wort<br />
gottes, nicht feldschlachten tun“; 96 – „Wo secht<br />
ihr ein krieg als allein <strong>bei</strong> solchen gotlosen leuten<br />
[nämlich <strong>de</strong>n Reichen und Mächtigen]? die<br />
<strong>de</strong>nken tag und nacht auf solche hen<strong>de</strong>l, wie sie<br />
<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n nechsten überstreiten, überkriegen,<br />
auf dass sie ihn umb das sein bringen“.<br />
97 Goldammer fasst die Position <strong>de</strong>s<br />
Paracelsus wie folgt zusammen: „Glaubenskrieg<br />
und Schwertmission aber wer<strong>de</strong>n<br />
von Paracelsus ein<strong>de</strong>utig abgelehnt. Es<br />
gibt keinen heiligen Krieg. Der angebliche<br />
Krieg für das Wort Gottes wird als Mord<br />
verworfen“. 98<br />
10. Fazit<br />
Kurt Goldammer hat in seiner Untersuchung<br />
zu Weigels Toleranz- und Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e<br />
festgestellt, dass dieser „auf frem<strong>de</strong>n<br />
Schultern“ stehe, und er mache „auch keinen<br />
Hehl daraus, dass er Vorbil<strong>de</strong>r und<br />
Gewährsleute“ habe. 99 Das ist in Bezug<br />
auf <strong>de</strong>n hier behan<strong>de</strong>lten Themenkreis sicher<br />
richtig, min<strong>de</strong>rt aber in keiner Weise<br />
<strong>de</strong>n Wert <strong>de</strong>r progressiven humanistischen<br />
Botschaft, die Weigel mit <strong>de</strong>m Toleranzgedanken<br />
weitergibt. Warum soll eine I<strong>de</strong>e,<br />
welche die Menschheit im guten Sinne<br />
voranzubringen imstan<strong>de</strong> ist, nicht aufgegriffen<br />
und ausgebaut wer<strong>de</strong>n? Nur so<br />
konnte eine Entwicklung geför<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n,<br />
die in <strong>de</strong>r Aufklärung schließlich zu<br />
einem vorläufigen Ziel gelangt ist.<br />
Über Paracelsus und Sebastian Franck<br />
hinausweisend fin<strong>de</strong>t sich die Toleranzi<strong>de</strong>e<br />
in Weigels Werk nicht nur als gelegentliche<br />
Einfügung, son<strong>de</strong>rn ist als integraler Bestandteil<br />
<strong>de</strong>s spirituellen Programms <strong>de</strong>s<br />
Lebens christi seinem theologischen Denken<br />
immanent.<br />
Nicht gerechtfertigt erscheint mir <strong>de</strong>r<br />
jüngst von Berndt Hamm geäußerte Vorhalt,<br />
dass die „Weigelsche Gegennormierung“<br />
zur „Konkordienformel“, welche<br />
„eine Entgrenzung und Diffusion <strong>de</strong>s<br />
christentums“ be<strong>de</strong>ute, „freilich auf ihre<br />
Weise – allem Nicht-Spiritualistischen gegenüber<br />
– auch abgrenzend und intolerant,<br />
allerdings nicht verfolgungsbereit“<br />
sei. 00 Toleranz als Konfliktbegriff darf gegenüber<br />
Intoleranz und Intransigenz nicht<br />
wehrlos erscheinen, wenn sie ihr ursprüngliches<br />
Anliegen selbst nicht aufgeben will.<br />
Weigels Polemik gegen <strong>de</strong>n durch die offiziellen<br />
Kirchen ausgeübten Glaubenszwang<br />
und die damit verbun<strong>de</strong>nen Verketzerungen<br />
und Verfolgungen vermeintlicher Häretiker<br />
ist in diesem Sinne als Verteidigung <strong>de</strong>r<br />
Toleranz, das heißt <strong>de</strong>r Glaubens- und Religionsfreiheit<br />
zu verstehen.<br />
Weigels Toleranzgedanke hat <strong>de</strong>s Weiteren<br />
nichts zu tun mit Indifferentismus<br />
o<strong>de</strong>r mit irgen<strong>de</strong>iner Form von religiöser<br />
4
Gleichgültigkeit, son<strong>de</strong>rn damit, dass das<br />
entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Moment <strong>de</strong>s Glaubens einzig<br />
und allein in <strong>de</strong>r Seele <strong>de</strong>s einzelnen<br />
Menschen seinen Platz hat, als <strong>de</strong>ssen einzige<br />
Regel das Leben christi zu gelten hat.<br />
Das ist <strong>de</strong>r theologische Inhalt seiner<br />
gleichnamigen Schrift „Vom Leben christi“.<br />
Alle an<strong>de</strong>ren, die Reglementierung o<strong>de</strong>r<br />
Dogmatisierung <strong>de</strong>s Glaubens bewirken<strong>de</strong>n<br />
Dinge wie Sakramente, Zeremonien, Bekenntnisse,<br />
Kirchen, Gottesdienste und<br />
an<strong>de</strong>res sind Akzi<strong>de</strong>nzien, das heißt Zutaten,<br />
die so o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rs aussehen o<strong>de</strong>r<br />
auch ganz fehlen können, ohne dass da<strong>bei</strong><br />
auch nur das kleinste Stück <strong>de</strong>s Glaubens<br />
verlorenginge, ohne dass nur das kleinste<br />
Stück <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Glauben verbun<strong>de</strong>nen<br />
göttlichen Gna<strong>de</strong> und Vergebung abhan<strong>de</strong>nkäme.<br />
Daraus ergibt sich von alleine die notwendige<br />
Folgerung, dass <strong>de</strong>n einzelnen<br />
Ausprägungen von Glauben und Kirche,<br />
<strong>de</strong>n Konfessionen, ja auch <strong>de</strong>n unterschiedlichen<br />
Religionen keine Heilsnotwendigkeit<br />
mehr zukommt, da sie äußere<br />
Dinge sind und bleiben. Sie sind für <strong>de</strong>n<br />
äußeren Menschen eingesetzt, und für diesen<br />
sind sie so akzeptabel, wie sie jeweils<br />
sind. Ein objektives Kriterium, <strong>de</strong>n richtigen<br />
vom falschen Glauben zu unterschei<strong>de</strong>n,<br />
ist <strong>de</strong>m menschlichen Erkenntnisvermögen<br />
nicht gegeben. Daher ist die einzig<br />
mögliche Haltung, mit welcher <strong>de</strong>r christ<br />
an<strong>de</strong>ren Konfessionen o<strong>de</strong>r Religionen begegnen<br />
kann, die Haltung <strong>de</strong>r Toleranz. Es<br />
ist nicht Aufgabe <strong>de</strong>s Menschen, <strong>de</strong>n Weizen<br />
vom Unkraut zu schei<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn<br />
das ist Aufgabe <strong>de</strong>r Engel am Jüngsten Gericht,<br />
wie Weigel mehrfach unter Berufung<br />
auf die klassische Toleranzstelle, das<br />
Gleichnis vom Unkraut unter <strong>de</strong>m Weizen<br />
in Mt. 3, ausführt.<br />
Es bleibt weiterhin festzuhalten, dass<br />
hier ein Spannungsfeld entsteht zwischen<br />
<strong>de</strong>n realen Zustän<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Zeit Weigels<br />
42<br />
o<strong>de</strong>r auch Sebastian Francks und <strong>de</strong>s Paracelsus<br />
und ihren Vorstellungen von Toleranz<br />
und Frie<strong>de</strong>n zwischen <strong>de</strong>n unterschiedlichen<br />
Bekenntnissen und Religionen.<br />
Die Frage ist berechtigt, was von<br />
einer Toleranzi<strong>de</strong>e, die sich gegen die vorherrschen<strong>de</strong><br />
Meinung und Gepflogenheit<br />
<strong>de</strong>r Zeit stellt, zu halten ist. Han<strong>de</strong>lt es<br />
sich um eine ernst zu nehmen<strong>de</strong> Position,<br />
welche sich offen und bewusst gegen <strong>de</strong>n<br />
Zeitgeist stellt und eine Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r<br />
Gegebenheiten bewirken will? Hat sie missionarischen<br />
charakter? O<strong>de</strong>r ist es, wie<br />
Kurt Goldammer die Haltung einordnet,<br />
eine Min<strong>de</strong>rheitenposition religiöser<br />
Randgruppen wie <strong>de</strong>r Täufer, <strong>de</strong>r Spiritualisten<br />
und an<strong>de</strong>rer, die sich diese Meinung<br />
nur leisten konnten, weil sie überwiegend<br />
im Verborgenen blieb und nicht aktiv in<br />
das politisch-gesellschaftliche <strong>Ges</strong>chehen<br />
eingebracht wur<strong>de</strong>? 0<br />
In seinem Aufsatz über „Aspekte <strong>de</strong>s<br />
Frie<strong>de</strong>ns<strong>de</strong>nkens“ verteidigt Siegfried<br />
Wollgast utopisches Denken, <strong>de</strong>m er die<br />
Frie<strong>de</strong>nsvorstellungen <strong>de</strong>s Erasmus von<br />
Rotterdam, Sebastian Francks o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Paracelsus<br />
zuordnet, gegen abwerten<strong>de</strong> Beurteilungen.<br />
In <strong>de</strong>r Utopie sieht Wollgast zu<br />
Recht „antizipieren<strong>de</strong>s Bewusstsein“. „Utopien<br />
streben [...] nach <strong>de</strong>m Unmöglichen,<br />
wo<strong>bei</strong> sie <strong>de</strong>m Machbaren ein mehr o<strong>de</strong>r<br />
min<strong>de</strong>r großes Stück vorwärts zu helfen<br />
vermögen“. 02 In Sebastian Francks „universaler<br />
Toleranz“, welche „aus <strong>de</strong>m Recht<br />
<strong>de</strong>s religiösen Individualismus“ gespeist<br />
wer<strong>de</strong>, sei „<strong>de</strong>r Gedanke einer Trennung<br />
von Kirche und Staat ebenso angelegt wie<br />
die I<strong>de</strong>e von <strong>de</strong>r Religion als Privatsache“. 03<br />
Vor allem Letzteres ist auch in <strong>de</strong>n vorgetragenen<br />
Positionen Weigels zu erkennen.<br />
In diesem Sinne eines in die Zukunft wirken<strong>de</strong>n<br />
Beginns sollten die Toleranz- und<br />
Frie<strong>de</strong>nsgedanken eines Sebastian Franck,<br />
eines Paracelsus und auch eines Valentin<br />
Weigel betrachtet wer<strong>de</strong>n.
Öffentlicher Vortrag am 5. .2006 im Kulturpalast<br />
Dres<strong>de</strong>n. – Die geringfügig überar<strong>bei</strong>tete<br />
Druckfassung ist Hans-Henrik Krummacher zum<br />
75. Geburtstag gewidmet.<br />
2 Die Schriften Valentin Weigels. Eine literarkritische<br />
Untersuchung. (Historische Studien 370). Berlin<br />
940. (Neudruck Vaduz 965).<br />
3 Philosophie in Deutschland zwischen Reformation<br />
und Aufklärung 550 – 650. Berlin 988. 2 993.<br />
4 Vgl. z. B.: Valentin Weigel und seine Stellung in<br />
<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Philosophie- und Geistesgeschichte,<br />
in: Siegfried Wollgast, Vergessene und Verkannte.<br />
Zur Philosophie und Geistesentwicklung in<br />
Deutschland zwischen Reformation und Frühaufklärung.<br />
Berlin 993, 222 – 253.<br />
5 Horst Pfefferl, Die Überlieferung <strong>de</strong>r Schriften Valentin<br />
Weigels. Phil. Diss. [Masch.] Marburg 99<br />
(Kurzfassung als Diss.-Teildruck Marburg 99<br />
[ 992]).<br />
6 Vgl. Valentin Weigel: Sämtliche Schriften. Hg. v.<br />
Will-Erich Peuckert u. Winfried Zeller. Stuttgart-<br />
Bad cannstatt, – 7 ( 962 – 978; weiterhin zitiert<br />
als Weigel, Sämtliche Schriften); <strong>de</strong>rs.: Neue<br />
Edition. Hg. v. Horst Pfefferl. Stuttgart – Bad<br />
cannstatt, III ( 996); IV ( 999); VII (2002); VIII<br />
( 997); XI (2007; weiterhin zitiert als Weigel, Neue<br />
Edition).<br />
7 Valentin Weigel ( 533 – 588). German Religious<br />
Dissenter, Speculative Theorist, and Advocate of<br />
Tolerance. Albany 2000; Valentin Weigel, Selected<br />
Spiritual Writings. Translated and Introduced by<br />
Andrew Weeks. (The classics of Western Spirituality.<br />
A Library of the Great Spiritual Masters). New<br />
York 2003.<br />
8 Berndt Hamm, Rezension zu Weigel, Neue Edition<br />
VII, in: Wolfenbütteler Renaissance-Mitteilungen<br />
28 (2004), 07.<br />
9 „Süd<strong>de</strong>utschen Zeitung“ vom 7. Oktober 2006,<br />
Feuilleton S. .<br />
0 Ebd.<br />
Zu <strong>de</strong>n nachfolgen<strong>de</strong>n Ausführungen zu Weigels<br />
Lebensumstän<strong>de</strong>n und zu seinem Werk ist zu verweisen<br />
auf meinen Weigel-Artikel in <strong>de</strong>r Theologischen<br />
Realenzyklopädie (weiterhin zitiert als TRE),<br />
Band 35, 447 – 453, und die ebd. angegebene Literatur.<br />
2 Vgl. die kritische Ausgabe <strong>bei</strong><strong>de</strong>r Werke in Weigel,<br />
Sämtliche Schriften 3.<br />
3 Erstdruck Halle 609.<br />
4 Vgl. die kritische Ausgabe in Weigel, Neue Edition<br />
III.<br />
5 Vgl. die kritische Ausgabe ebd. VIII.<br />
6 „Es kan niemand zu mir komen / es sey <strong>de</strong>nn / das<br />
jn ziehe <strong>de</strong>r Vater [...]. Es stehet geschrieben in<br />
ANMERKUNGEN<br />
<strong>de</strong>n Propheten / Sie wer<strong>de</strong>n alle von Gott geleret<br />
sein“ (hier wie nachfolgend sind die Schriftzitate<br />
nach <strong>de</strong>r Ausgabe <strong>de</strong>r Lutherbibel von 545 wie<strong>de</strong>rgegeben).<br />
7 Weigel, Neue Edition III, 54, 22 – 29.<br />
8 Ebd. VIII, 74, 4 – 2.<br />
9 Vgl. ebd. IV passim.<br />
20 Weigel, Sämtliche Schriften , 99 f.<br />
2 Vgl. z. B. die Kapitel 3 und 9 <strong>de</strong>r „Natürlichen<br />
Auslegung von <strong>de</strong>r Schöpfung“ von 577, Weigel,<br />
Neue Edition XI, 47 – 50 und 74 – 79 sowie<br />
ebd. die entsprechen<strong>de</strong>n Anmerkungen.<br />
22 Vgl. in <strong>de</strong>n Kapiteln 9 und 0 <strong>de</strong>r „Natürlichen<br />
Auslegung“: „Was machen dan viel wortt die weltgelertten<br />
in Jhrer auslegung von <strong>de</strong>n Naturlichen<br />
tagenn, als habe Gott seine werck vollbracht, nach<br />
<strong>de</strong>m lauff <strong>de</strong>r Sonnen. Saget man zu Jhnen es war<br />
Ja kein Sonne, am ersten, an<strong>de</strong>rn vndt dritten tagewercke,<br />
sie kam erst herfur am virtten tagewercke,<br />
So sprechen sie, Gott habe die ersten drei tage<br />
eine lichte wolcken geschaffen, das er mit <strong>de</strong>n Engeln<br />
sehen köntte. Do merckestu Jhre weisheit, so<br />
sie dar<strong>bei</strong> weren gewehsen, sie soltten wohl Gotte<br />
vndt <strong>de</strong>n Engeln eine lattern angezun<strong>de</strong>t furgetragen<br />
haben“; - „Solchs wirdt gesagt vmb <strong>de</strong>rer willen,<br />
die da <strong>de</strong>n Genesin auslegen, nach sinnlicher<br />
weise auf tagelöhnrisch, wie ein drescher einen tag<br />
souiel Korn drischt, vndt <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn aber souiel<br />
schock, vndt also wil Jch hiermit verworffen haben<br />
alle grobe danzappische auslegung, die bis anhero<br />
mit vielen langen wortten ist an tag bracht wor<strong>de</strong>n,<br />
do man doch hette sollen schonen <strong>de</strong>s vnschuldigen<br />
papiers vn<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Jugent sie zuuerführen“,<br />
Weigel, ebd. XI, 78, 6 – 79, und 86, 4 – 9.<br />
23 Weigel, ebd. XI, 200, 4 – . – Vgl. noch die folgen<strong>de</strong>n<br />
Stellen: Predigt 2 <strong>de</strong>r „Handschriftlichen Predigtensammlung“<br />
von 573 – 574: „Ja wen man es<br />
ihnen schreibet vnd außlegen will, So wollen sie<br />
es nit wissen, son<strong>de</strong>rn sparen biß in die himlische<br />
Schuell, es sej ietzund zu hoch, Es habe we<strong>de</strong>r<br />
ihr Luther noch Melanthon von disen dingen geschrieben,<br />
darumb dorffen sie es auch nit lernen“<br />
(zitiert ebd. 99 Anm. 3); Kapitel 7 <strong>de</strong>r „Einfältigen<br />
Übung“ von 574: „So fehret <strong>de</strong>r schriftgelerte<br />
antichrist doher mit <strong>de</strong>m buchstaben, vnd führet<br />
die einfeltigen von <strong>de</strong>m Zeugnis ihres hertzens,<br />
heraus zum schattenwerck, auf das man solle gleuben<br />
auf gutt bere<strong>de</strong>n, vnd nicht aus <strong>de</strong>m heiligen<br />
geiste. Ja viel seint also verblen<strong>de</strong>t, das sie ihren<br />
vermeinten Pytagoram fur sich nehmen, hangen<br />
an ihrem vermeinten praeceptorj, lesen seine<br />
bucher, vnd lassen die heilige schrifft fahren, halten<br />
mehr von <strong>de</strong>n commenten, als von <strong>de</strong>r Biblia<br />
selbst, welche doch von <strong>de</strong>m heiligen geiste dic-<br />
43
tirt vnd geschrieben ist“ (zitiert ebd. 200 Anm. 2),<br />
o<strong>de</strong>r Predigt 2 <strong>de</strong>r „Handschriftlichen Predigtensammlung“:<br />
„Jst das nit eine grosse plindtheit vnd<br />
faulkeit, seinen glauben auf Mentschen setzen,<br />
sich beschirmen mit an<strong>de</strong>r Leüth vnwissenheit,<br />
vnnd nit weiter Studirn wollen. [...] Es manglet<br />
ihnen [<strong>de</strong>n buchstäbischen Theologen] am besten,<br />
daß sie nit weiter wollen forschen alß ihre vorfahren,<br />
darbej lassen sie es wen<strong>de</strong>n. Es wer<strong>de</strong> es keiner<br />
besser machen, alß ihre Pythagorej“ (zitiert ebd.).<br />
24 Vgl. <strong>de</strong>n Artikel „Königtum“, TRE 9, 326, 30 – 37<br />
und 333, 8 – 2 .<br />
25 Vgl. <strong>de</strong>n Artikel „Inquisition“, TRE 6, 89 ff.<br />
26 Vgl. <strong>de</strong>n Artikel „Toleranz / Intoleranz IV“, Religion<br />
in <strong>Ges</strong>chichte und Gegenwart, 4. Aufl. (weiterhin<br />
zitiert als RGG 4), Bd. 8, Sp. 463; von dort<br />
sind auch die unten angegebenen Belegstellen <strong>bei</strong><br />
Martin Luther entnommen.<br />
27 Vgl. Luther, Weimarer Ausgabe , 264.<br />
28 Vgl. ebd. , 624 f.<br />
29 Vgl. ebd. 6, 535 – 537.<br />
30 Vgl. ebd. 40 / II, 46f.<br />
3 Vgl. ebd. 3 / I, 207 – 2 0; 50,9 – 5.<br />
32 Die „constitutio“ ist eine 532 von Karl V. durchgeführte<br />
Kodifikation <strong>de</strong>s Strafrechts in Deutschland.<br />
Sie sah übrigens die To<strong>de</strong>sstrafe in unterschiedlichen<br />
Formen für eine Fülle von Vergehen<br />
bis hin zu Diebstahl vor und führte in <strong>de</strong>r Folgezeit<br />
zu einer inflatorischen Anwendung dieser<br />
Strafe.<br />
33 Vgl. Willem Nijenhuis, Artikel „calvin, Johannes“,<br />
TRE 7, hier beson<strong>de</strong>rs 575, 34 – 576, 5.<br />
34 Zu <strong>de</strong>n unterschiedlichen theoretischen Ansätzen,<br />
die dieser Frie<strong>de</strong>nsliteratur zugrun<strong>de</strong>liegen, ist auf<br />
zahlreiche Ar<strong>bei</strong>ten von Siegfried Wollgast zu verweisen,<br />
beson<strong>de</strong>rs auf sein Werk über <strong>de</strong>n „Deutschen<br />
Pantheismus im 6. Jahrhun<strong>de</strong>rt“, Berlin<br />
972.<br />
35 Martin Ohst (wie oben), RGG 4 8, Sp. 463.<br />
36 Vgl. Eckhart Stöve, Artikel „Toleranz“, TRE 33,<br />
647, 24 – 47, Zitat ebd. 38 – 39.<br />
37 Zu <strong>de</strong>n nachfolgen<strong>de</strong>n Ausführungen vgl. auch<br />
Horst Pfefferl, „Omnia me christi vita docere potest“.<br />
Das spirituelle Programm <strong>de</strong>r Leben-christi-Thematik<br />
<strong>bei</strong> Valentin Weigel und seine möglichen<br />
Quellen, in: Salzburger Beiträge zur<br />
Paracelsusforschung 37 (2004), 60 – 75.<br />
38 Weigel, Sämtliche Schriften 4, 59 f.<br />
39 Weigel, Neue Edition VII, 25, – 8 und ebd. Anm. .<br />
40 Weigel, ebd. VII, 65, 5 – 8.<br />
4 Ebd. VII, 30, 6 – 9.<br />
42 Ebd. VII, 3 , 3 – 7.<br />
43 Ebd. VII, 35, 9 – 22.<br />
44 Die Bekenntnisschriften <strong>de</strong>r evangelisch-lutherischen<br />
Kirche. Hg. v. Dt. Evangel. Kirchenausschuß.<br />
Göttingen 930, 59, 9 – 33.<br />
44<br />
45 Ebd. 60 Anm. .<br />
46 Vgl. z. B. Kapitel 9 <strong>de</strong>s „Gebetbuchs“: „Aber auff<br />
<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn Seitten nemlich an christo so liegen<br />
sie die göttliche Mayestet an vnnd verneinen <strong>de</strong>n<br />
Schaatz im Ackher, welchen we<strong>de</strong>r Socrates, noch<br />
Plato, noch Mercurius noch Proclus vnd <strong>de</strong>rgleichen<br />
verneinen wur<strong>de</strong>n“, Weigel, Neue Edition<br />
IV, 87, 0 – 3, und die ebd. Anmerkung 8 neben<br />
weiteren Belegen angeführte Stelle aus Sebastian<br />
Francks „Paradoxa“: „Welcher das wort Gottes /<br />
das Lamb christum in ihm predigen höret / vnd<br />
<strong>de</strong>m wort frucht brecht / <strong>de</strong>r wür<strong>de</strong> durch die innwonend<br />
krafft christi warlich christus [...] Als<br />
Abel / Seth / Noe / Loth / Job / Abraham / Hermes<br />
Trimegistus / etc.“<br />
47 Paracelsus, Vom Licht <strong>de</strong>r Natur und <strong>de</strong>s Geistes.<br />
Hg. v. Kurt Goldammer. (Reclams Universal-Bibliothek<br />
8448 [3]). Stuttgart 976, 7 .<br />
48 Kurt Goldammer, Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e und Toleranzgedanke<br />
<strong>bei</strong> Paracelsus und <strong>de</strong>n Spiritualisten. I.<br />
Paracelsus, in: Archiv für Reformationsgeschichte<br />
46 ( 955), 33 (weiterhin zitiert als Goldammer,<br />
Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e).<br />
49 Theophrast von Hohenheim gen. Paracelsus:<br />
Sämtliche Werke. . Abteilung: Medizinische, naturwissenschaftliche<br />
und philosophische Schriften.<br />
Hg. v. Karl Sudhoff. Bd. XIV. München und Berlin<br />
933, 273; vgl. Goldammer, Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e, 33.<br />
50 Weigel, Neue Edition VII, 64, 6 – 8.<br />
5 Ebd. VII, 64, 4 – 6.<br />
52 Ebd. VII, 66, 4 – 9.<br />
53 Sermon „Ob <strong>de</strong>r glaub zu strafen sei“; Paracelsus,<br />
Vom Licht <strong>de</strong>r Natur und <strong>de</strong>s Geistes (wie oben),<br />
7 ; vgl. Goldammer, Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e, 32 f.<br />
54 Psalmenkommentar, zu Psalm , ; zitiert nach<br />
Goldammer, Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e, 42.<br />
55 Paracelsus, Vom Licht <strong>de</strong>r Natur und <strong>de</strong>s Geistes<br />
(wie oben), 72.<br />
56 Goldammer, Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e, 42.<br />
57 Weigel, Neue Edition VII, 5 , 4 – 6.<br />
58 Ebd. VII, 5 , 8 – 9; Ez. = Hesekiel.<br />
59 Ebd. VII, 5 , 0 – 4.<br />
60 Ebd. VIII, 79, 4 – 5.<br />
6 Ebd. VIII, 75, 2.<br />
62 Vgl. ebd. VII, 50, 5 – 9.<br />
63 Ebd. VII, 52, 0 – 2.<br />
64 Zitiert ebd. VII, 52 Anm. 5.<br />
65 Goldammer, Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e, 25.<br />
66 Goldammer, Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e, 2 .<br />
67 Goldammer, Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e, 25.<br />
68 RGG 4 8, Sp. 45 .<br />
69 TRE 33, 64 , 30 – 32.<br />
70 Zu erinnern ist <strong>bei</strong>spielsweise an die bereits erwähnten<br />
Bestimmungen <strong>de</strong>s 4. Laterankonzils<br />
und die Ketzergesetze Friedrichs II. von 2 5 bzw.<br />
220.
7 Weigel, Neue Edition VII, 65, 9 – 3; vgl. auch die<br />
ebd. Anm. 3 angeführte Stelle aus Weigels „Dialogus<br />
<strong>de</strong> christianismo“: „Die Kirche hat keinen leiblichen<br />
stadthalter noch vitztumb, sie ist geistlich,<br />
darumb bleibet christus <strong>de</strong>r Herre, das Heubt<br />
vnd <strong>de</strong>r meister, darff keines Vicarij, hat auch keinen<br />
nie geordnet, Solches sehen wir klerlich Mathei<br />
8. Do die Junger christum fragten Her wer<br />
ist doch <strong>de</strong>r grösseste im Himmelreich, das ist in<br />
<strong>de</strong>r H. Kirchen vf er<strong>de</strong>n? satzte ehr nicht Petrum<br />
zum stadhalter, o<strong>de</strong>r vber die an<strong>de</strong>rn eilfe, sprach<br />
nicht Du bist Elter dann sie, sey du ir Herre, habe<br />
du <strong>de</strong>n schlissel alleine fur dich auf daß die an<strong>de</strong>rn<br />
in <strong>de</strong>ine Hen<strong>de</strong> sehen vnd <strong>bei</strong> dir holen, was<br />
zur seiligkeit notwendig“, sowie Kapitel 29 „Vom<br />
Leben christi“: „Die gewaltigen konige herschen<br />
vnd die gewalt haben heysset man gnedige herrn,<br />
Vos autem non sic Jhr aber nicht also son<strong>de</strong>rn ein<br />
Je<strong>de</strong>r sey <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn diener, ich bleibe ewer Meister<br />
sagt christus“, ebd. VII, 0 , 26 – 29.<br />
72 Ebd. VII, 52, 5 – 8.<br />
73 Zitiert ebd. VII, 52 Anm. ; vgl. noch das ebd. VII,<br />
66 Anm. 8 angeführte Zitat aus <strong>de</strong>r „Kirchen- o<strong>de</strong>r<br />
Hauspostille“: „christus hat nicht <strong>de</strong>n Hencker<br />
o<strong>de</strong>r Teuffel vber seine Kirche gesetzt / Er bleibet<br />
Meister vnnd HERR / vnd alle Obrigkeit die christum<br />
angehet / bleibet vnter <strong>de</strong>m Glauben / vnter<br />
christo / vnd setzet sich nicht zum Richter / vber<br />
<strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>r“.<br />
74 Weigel, Sämtliche Schriften 6, 245.<br />
75 Ebd.<br />
76 Ebd. 6, 247 f.<br />
77 Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch<br />
V, Sp. 644.<br />
78 Weigel, Sämtliche Schriften 6, 248.<br />
79 Vgl. Winfried Zeller, Einleitung zur „Handschriftlichen<br />
Predigtensammlung“, Weigel Sämtliche<br />
Schriften 6, 9 f.; <strong>de</strong>rs., Der ferne Weg <strong>de</strong>s Geistes,<br />
in: <strong>de</strong>rs., Theologie und Frömmigkeit. <strong>Ges</strong>ammelte<br />
Aufsätze 2. Hg. v. Bernd Jaspert. (Marburger<br />
Theologische Studien 5). Marburg 978, 94 f.,<br />
sowie zum Kryptocalvinismus in Kursachsen Helmar<br />
Junghans, Artikel „Kryptocalvinisten“, TRE<br />
20, 25 – 27.<br />
80 Weigel, Sämtliche Schriften 6, 248; <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r genannten<br />
Ketzerchronik han<strong>de</strong>lt es sich um Sebastian<br />
Francks „chronica, Zeitbuch und <strong>Ges</strong>chichtbibel“,<br />
Erstdruck Straßburg 53 ; die dritte darin<br />
enthaltene chronik ist überschrieben „chronica<br />
<strong>de</strong>r Römischen Ketzer“.<br />
8 Weigel, ebd. 6, 250 f.<br />
82 Weigel, Neue Edition VII, 65, 7 – 5.<br />
83 Unter „Flacianern“ sind die <strong>de</strong>n Gnesio-Lutheranern<br />
zuzurechnen<strong>de</strong>n Anhänger <strong>de</strong>s Matthias<br />
Flacius Illyricus ( 520 – 575) zu verstehen; mit<br />
„Synergisten“ wer<strong>de</strong>n Anhänger <strong>de</strong>r auf Philipp<br />
Melanchthon beruhen<strong>de</strong>n Lehre von <strong>de</strong>r Mitwirkung<br />
<strong>de</strong>s menschlichen Willens <strong>bei</strong>m Erlangen <strong>de</strong>r<br />
göttlichen Gna<strong>de</strong> bezeichnet.<br />
84 Weigel, Neue Edition VII, 88, 2 – 0.<br />
85 Ebd. VII, 86, 9 – 87, .<br />
86 Ebd. VII, 88, – 2.<br />
87 Ebd. VII, 54, – 4.<br />
88 Ebd. VII, 54, 4 – 6.<br />
89 Ebd. VII, 54, 7 – 5.<br />
90 Ebd. VII, 54, 7 – 9.<br />
9 Vgl. ebd. VII, 48, 0 – 2; 49, – 4; 73, 5 – 6, u. ä.<br />
92 Ebd. VII, 54, 22 – 25.<br />
93 Ebd. VII, 53, 6 – 2 .<br />
94 Ebd. VII, 54, 26 – 55,2.<br />
95 Ebd. VII, 87, 4 – 0. – Ähnliche Äußerungen fin<strong>de</strong>n<br />
sich viele in Weigels Werk. So sind einige Beispiele<br />
aus seiner „Kirchen- o<strong>de</strong>r Hauspostille“ von<br />
578 / 579 anzuführen, wo es in <strong>de</strong>r Predigt „Am<br />
fünfften Sontage nach Epiphaniae“ heißt: „Denn<br />
vmbs Glaubens willen sol niemand getödtet wer<strong>de</strong>n<br />
/ es thun es auch die Gläubigen nicht / daß<br />
sie jeman<strong>de</strong>s verketzern vnd tödten / vmb <strong>de</strong>s<br />
Glaubens willen / die Schaffe vertreiben nicht die<br />
Wölfe / fangen auch nicht Krieg an mit <strong>de</strong>n Wölffen<br />
/ so wenig als jhr Lamb christus“ (zitiert ebd.<br />
VII, 53 Anm. 5), o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Predigt „Am Sontage<br />
Jnvocavit“: „die christen haben zustreiten / nicht<br />
mit Fleisch vnd Blut / das ist / nicht mit sichtbaren<br />
leiblichen Fein<strong>de</strong>n / die da Fleisch vnnd Blut<br />
haben / da man Büchsen / Schwerdt / Langespieß<br />
brauchet / wie Jsrael die sichtbahren leiblichen<br />
Fein<strong>de</strong> bekriegen muste / zur Figur in das newe Testament<br />
/ welches jetzo <strong>de</strong>r Antichrist nimmt zum<br />
Deckelmantel das Kriegen zuverthedigen / das<br />
man solle <strong>de</strong>n Glauben / das Wort Gottes beschirmen<br />
mit langen Spiessen / und solche Lehre wird<br />
auffgenommen vor recht / Da leuffet jung vnd alt<br />
vor <strong>de</strong>n Türcken / ja wol vor an<strong>de</strong>re Fürsten / vnd<br />
vermeynet / man sey in einem gar guten Stan<strong>de</strong><br />
/ Aber wür<strong>de</strong> christus erkennet / <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>fürste<br />
/ so solle man inne wer<strong>de</strong>n / wie ungebührlich<br />
die Schrifft außgelegt sey von <strong>de</strong>n Kriegen“ (zitiert<br />
ebd. VII, 54 Anm. 3 und 87 Anm. 3); weiter in<br />
<strong>de</strong>r Predigt „Am Sontage nach <strong>de</strong>r Beschneidung“:<br />
„Wie dürffen <strong>de</strong>nn nu die jenigen sich christi o<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>ß Glaubens rühmen / welche vmb Land vnd<br />
Leute kriegen vnd Feldschlachten thun / sie sind<br />
gantz wi<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Glauben / das ist wi<strong>de</strong>r christum<br />
vnd sein Leben / vnd bezeugen / daß sie we<strong>de</strong>r<br />
christum noch die Schrifft erkant haben“ (zitiert<br />
ebd. VII, 54 Anm. ), o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>rselben Predigt:<br />
„Da siehestu <strong>de</strong>n Brunn aller Kriegen / nemlich<br />
auß <strong>de</strong>m Eigenthumb <strong>de</strong>ß willens [und] <strong>de</strong>r<br />
Güter / auß welchen kompt Zanck / Ha<strong>de</strong>r / Krieg<br />
/ Todtschlag / welches kein christ noch Evangelischer<br />
thut noch thun kan / so ers thete vnd krie-<br />
45
gete vmb zeitliche Güter / so were er nicht gläubig<br />
noch Evangelisch“ (zitiert ebd. VII, 55 Anm. ).<br />
96 Theophrast von Hohenheim gen. Paracelsus:<br />
Sämtliche Werke. 2. Abteilung: Theologische und<br />
religionsphilosophische Schriften. Hg. v. Kurt<br />
Goldammer. Bd. VII. Auslegung <strong>de</strong>s Psalters Davids.<br />
T. 4. Bearb. v. Kurt Goldammer. Wiesba<strong>de</strong>n<br />
96 , 63.<br />
97 Zitiert nach Goldammer, Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e, 26.<br />
98 Ebd. 30.<br />
99 Kurt Goldammer, Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e und Toleranzgedanke<br />
<strong>bei</strong> Paracelsus und <strong>de</strong>n Spiritualisten. II.<br />
46<br />
Dr. Horst Pfefferl<br />
Alter Kirchhainer Weg 2 · 35039 Marburg<br />
Franck und Weigel, in: Archiv f. Reformationsgeschichte<br />
47 ( 956), 202 f.<br />
00 Berndt Hamm, Rezension zu Weigel, Neue Edition<br />
VII (wie oben Anm. 8), 06.<br />
0 Vgl. Goldammer, Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e, 20.<br />
02 Siegfried Wollgast, Aspekte <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns<strong>de</strong>nkens<br />
im 6. und 7. Jahrhun<strong>de</strong>rt in Deutschland, in:<br />
<strong>de</strong>rs., Vergessene und Verkannte. Zur Philosophie<br />
und Geistesentwicklung in Deutschland zwischen<br />
Reformation und Frühaufklärung. Berlin 993,<br />
09.<br />
03 Ebd. 34.<br />
Vortrag im Dresdner Kulturpalast am 5. November 2006
Udo Benzenhöfer spricht für die Lebendigkeit<br />
<strong>de</strong>s in <strong>de</strong>r Waldstatt Einsie<strong>de</strong>ln Geborenen<br />
von „Paracelsus-Straßen, Paracelsus-Apotheken,<br />
Paracelsus-Kliniken, Paracelsus-Briefmarken<br />
und Paracelsus- Münzen“,<br />
so fügen wir gern auch „Paracelsus-Denkmale“<br />
hinzu. 2<br />
Denkmale rufen die Erinnerung an eine<br />
be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Persönlichkeit o<strong>de</strong>r ein historisches<br />
Ereignis wach.<br />
Denkmale verkörpern die Erinnerung an<br />
einen zu ehren<strong>de</strong>n Menschen. Die Errichtung<br />
eines Denkmals ist auch immer eingebettet<br />
in eine gewisse Zeit historischer<br />
Prägung, bestimmt durch <strong>de</strong>n allgemeinen<br />
o<strong>de</strong>r lokalen Zeitgeist. Zum Zeitgeist gehört<br />
auch die Durchführung von Jubiläen.<br />
Kritisch sind solche Veranstaltungen zu<br />
werten, wenn sie stolz von Lokalpatriotismus<br />
geprägt im staatlichen Auftrag zur<br />
Darstellung <strong>de</strong>r staatlichen I<strong>de</strong>ologie gefeiert<br />
wer<strong>de</strong>n. Dies wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich im Vergleich<br />
<strong>de</strong>r Ehrungen zum 400. To<strong>de</strong>stage<br />
von Theophrastus Bombast von Hohenheim<br />
im Jahre 94 in Einsie<strong>de</strong>ln und<br />
Salzburg.<br />
Das Vorrecht, die Tradition <strong>de</strong>s Erbes<br />
von Theoprastus Bombast von Hohenheim<br />
zu pflegen, gebührte in erster Linie<br />
diesen <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Orten Einsie<strong>de</strong>ln und Salzburg.<br />
Die Würdigung seines Lebens und<br />
seines Wirkens als Arzt und Humanist<br />
erfolgte örtlich und zeitlich sehr unterschiedlich.<br />
Einsie<strong>de</strong>ln, so informiert das Lexikon,<br />
ist <strong>de</strong>r meist besuchte Wallfahrtsort <strong>de</strong>r<br />
Schweiz im Kanton Schwyz, südlich <strong>de</strong>s<br />
Zürichsees, 800 m hoch gelegen, zwischen<br />
0.000 und 2.000 Einwohnern, bekannt<br />
durch die barocke Benediktinerabtei, bereits<br />
934 gegrün<strong>de</strong>t. Die Stiftskirche baute<br />
caspar Moosbrugger mit seiner Bauhütte.<br />
Die Gna<strong>de</strong>nkapelle beherbergt die Statue<br />
<strong>de</strong>r Maria zu Einsie<strong>de</strong>ln. Das Ortsbild<br />
wird von <strong>de</strong>n zwei Türmen <strong>de</strong>r Stiftskirche<br />
überragt. 3<br />
Werner Lauterbach<br />
EIN DENKMAL DER LIEBE<br />
Ein gutes Lexikon gibt noch einen Hinweis<br />
auf Einsie<strong>de</strong>ln als Geburtsort <strong>de</strong>s<br />
Theophrastus Bombast von Hohenheim,<br />
<strong>de</strong>nn für <strong>de</strong>n biografisch interessierten<br />
Leser ist Einsie<strong>de</strong>ln beson<strong>de</strong>rs mit <strong>de</strong>n<br />
Fragen nach <strong>de</strong>n Eltern, <strong>de</strong>m Standort <strong>de</strong>s<br />
Geburtshauses und Ereignissen seiner ersten<br />
neun Lebensjahre, also seiner Kindheit,<br />
verbun<strong>de</strong>n. Es war sehr erfreulich,<br />
dass eine <strong>de</strong>r ersten gemeinsam organisierten<br />
Ausfahrten <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<br />
<strong>Ges</strong>ellschaft e.V. mit <strong>de</strong>r URANIA e.V.<br />
Dres<strong>de</strong>n von Basel aus ganztags nach Einsie<strong>de</strong>ln,<br />
an die Teufelsbrücke und zum<br />
Mittagessen in die Meinratsklause am<br />
Etzel führte und eine weitere Exkursion<br />
Salzburg zum Ziel hatte.<br />
Spurensuche<br />
Das heutige Denkmal in Einsie<strong>de</strong>ln hat<br />
auch eine Vorgeschichte. Begeben wir uns<br />
auf Spurensuche zum früheren Paracelsus<strong>de</strong>nkmal.<br />
En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Jahres 893 berichteten die<br />
Zeitungen von Einsie<strong>de</strong>ln über ein ungewohntes<br />
Ereignis. Am 0. Dezember 893<br />
erfolgte mittags 3 Uhr in <strong>de</strong>r Schulhauskapelle<br />
zu Einsie<strong>de</strong>ln eine Ge<strong>de</strong>nkfeier zur<br />
Erinnerung an <strong>de</strong>n großen Sohn Theophrastus<br />
Bombast, <strong>de</strong>r unweit von hier,<br />
noch im Klosterbereich <strong>de</strong>r Waldstatt<br />
gelegen, vor 400 Jahren geboren wur<strong>de</strong>.<br />
Wie so oft sind es tatkräftige Männer<br />
und Frauen, die mit hohem persönlichen<br />
Einsatz Vorgänge einleiten und Prozesse in<br />
Bewegung setzen.<br />
Es waren in Einsie<strong>de</strong>ln Eduard Kälin<br />
( 842 – 923), ein Lehrer <strong>de</strong>r Sekundarschule,<br />
<strong>de</strong>r in einem Festvortrag über das<br />
Leben und Wirken <strong>de</strong>s berühmten Sohnes<br />
sprach und Bezirksamtmann Dr. med. F.<br />
Lienhardt ( 855 – 923), <strong>de</strong>r das Schlusswort<br />
<strong>de</strong>m Thema „Parazelsus als Arzt“<br />
widmete.<br />
Eine Paracelsusbüste, nachgestaltet <strong>de</strong>n<br />
Porträts von A. Hirschvogel ( 538), stand<br />
47
von Blumen umgeben auf <strong>de</strong>m Po<strong>de</strong>st im<br />
kleinen Saal, „kunstvoll mo<strong>de</strong>lliert und abgegossen“<br />
von Kleinplastiker Josef Wickart<br />
( 775 – 844). Meinrad Kälin hatte sie um<br />
825 auf einem Po<strong>de</strong>st im Naturalienkabinett<br />
<strong>de</strong>r Schule aufgestellt.<br />
Abends trafen sich etwa 40 Personen,<br />
„Freun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Parazelsusfeier“, im Hotel<br />
Pfauen. Sie berieten über die Errichtung<br />
eines „beschei<strong>de</strong>nen Denkmals“ in Einsie<strong>de</strong>ln.<br />
Da<strong>bei</strong> freuten sich doch viele Paracelsus-Verehrer<br />
über die Resonanz <strong>de</strong>r Aufsätze<br />
in „verschie<strong>de</strong>nen Zeitungen und Kalen<strong>de</strong>rn,<br />
die das Wirken <strong>de</strong>s großen Arztes<br />
und Naturforschers aus <strong>de</strong>m finstern<br />
Wald“ darstellten. So erhielten Mitglie<strong>de</strong>r<br />
eines Komitees <strong>de</strong>n Auftrag, „Vorschläge<br />
zu studieren und auszuar<strong>bei</strong>ten“, aber<br />
weiter geschah vorerst nichts.<br />
Doch dann erwies sich Dr. Raimund<br />
Netzhammer ( 862 – 945), Benediktiner<br />
im Kloster, als Initiator zur Weiterführung<br />
<strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e. Er publizierte um 900 einen<br />
Aufsatz unter <strong>de</strong>r Überschrift „Theophrastus<br />
Parazelsus, das Wissenswerteste über<br />
<strong>de</strong>ssen Leben, Lehre und Schriften“ im<br />
Schulprogramm <strong>de</strong>r Stiftsschule. Damit<br />
gab er <strong>de</strong>r Stadt einen Erinnerungs-Effekt.<br />
Ein Jahr später erschien von ihm <strong>bei</strong> Benziger<br />
die erste „hieländische“ Biografie<br />
über Paracelsus.<br />
„Da <strong>de</strong>r Gefeierte in Einsie<strong>de</strong>ln noch<br />
ein großer Unbekannter war,“ blieb man<br />
beschei<strong>de</strong>n. An <strong>de</strong>r Hauswand <strong>de</strong>s Gasthauses<br />
„Zur Krone“ im Sihltal wur<strong>de</strong> 90<br />
neben <strong>de</strong>r Eingangstür eine Inschrifttafel<br />
angebracht, die auf das Haus seiner im<br />
Jahre 493 erfolgten Geburt hinweisen<br />
sollte. „Sie fällt weniger auf, als wenn ein<br />
Wirt um Ostern herum Bockbier ausschenkt“,<br />
kommentierte ein Herr M.G. in<br />
<strong>de</strong>r Presse. 4<br />
Trotz aller Bemühungen Netzhammers<br />
dauerte es bis zum 9. Juni 906, dass auf<br />
<strong>de</strong>m Platz vor <strong>de</strong>m alten Schulhaus unweit<br />
<strong>de</strong>s Klosters zwei Mo<strong>de</strong>lle als Angebote<br />
für ein künftiges Denkmal stan<strong>de</strong>n. Das<br />
eine „war eine Büste <strong>de</strong>s Parazelsus auf<br />
48<br />
einfachem Postament, das an<strong>de</strong>re, ein<br />
roher Stein mit <strong>de</strong>m Medaillon <strong>de</strong>s Parazelsus,<br />
umgeben von einer Gruppe bewachsener<br />
und verwachsener Steine“. Die<br />
Entscheidung fiel für <strong>de</strong>n rohen Steinblock<br />
mit einer Porträtmedaille und <strong>de</strong>r<br />
Aufschrift „Parazelsus“. Als Stein fand<br />
man einen Findling, einen Sernifit, unterhalb<br />
<strong>de</strong>r Scheerenbrücke (Schierenbrugg)<br />
<strong>bei</strong> Hütten im tosen<strong>de</strong>n Sihltal. Das Medaillon<br />
stammte von einem jungen Künstler<br />
namens Georg Sonntag, <strong>de</strong>r es <strong>de</strong>r<br />
Stadt schenkte. In einem Bericht dazu<br />
heißt es: „Was konnte sich für ein Parazelsus<strong>de</strong>nkmal<br />
besser eignen als ein Findling,<br />
gehoben aus einem wilddurchtosten Wasserlauf?<br />
Glich Parazelsus im Hochtal von<br />
Einsie<strong>de</strong>ln mit seinen kurzen Kin<strong>de</strong>rjahren<br />
nicht auch einem Findling und stemmte er<br />
sich nicht wie ein Felsblock in reißen<strong>de</strong>r<br />
und schäumen<strong>de</strong>r Gischt gegen die wütend<br />
auf ihn einstürmen<strong>de</strong>n Gegner seiner<br />
nur allzu berechtigten Neuerungen?“ Als<br />
Ort hatte das Komitee <strong>de</strong>n Platz vor <strong>de</strong>m<br />
alten Schulhaus gewählt. Ein Achter-Pfer<strong>de</strong>gespann<br />
zog <strong>de</strong>n von Baumeister Kammerer<br />
gespaltenen Findling zum Ort <strong>de</strong>r<br />
Aufstellung. Das Gewicht wur<strong>de</strong> mit 30<br />
Doppelzentner angegeben. Große eratische<br />
Blöcke von <strong>de</strong>n Bergen <strong>de</strong>s Katzenstrick<br />
und <strong>de</strong>n Hundwilern wur<strong>de</strong>n um<br />
<strong>de</strong>n Stein gruppiert, umgeben von einer<br />
alpinen Flora, für die sich die Mitglie<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>r Sektion <strong>de</strong>s Alpenvereins <strong>de</strong>s Ortes<br />
verantwortlich fühlten. Eine offizielle Einweihung<br />
gab es nicht. Bald warnte die<br />
Stadtverwaltung vor <strong>de</strong>r Unsitte, Alpenrosen<br />
am Denkmal zu brechen. Ein Eisenzaun<br />
schützte die Anlage. 5<br />
Das damalige Bronzerelief ziert heute<br />
<strong>de</strong>n Ge<strong>de</strong>nkstein an <strong>de</strong>r Teufelsbrücke.<br />
Es vergingen Jahrzehnte ...<br />
Die Initiative zur Pflege <strong>de</strong>s Paracelsus-<br />
Erbes ging vorwiegend auf <strong>de</strong>utsche Paracelsusforscher,<br />
Humanisten, Künstler und<br />
Schriftsteller über. Im Sommer 929 erfolgte<br />
<strong>de</strong>r Aufruf zur Gründung einer Para-
Abb. : 906, Paracelsus<strong>de</strong>nkmal,<br />
Sernifit-Ge<strong>de</strong>nkstein vor <strong>de</strong>r alten Schule in<br />
Einsie<strong>de</strong>ln, Postkarte<br />
celsus-<strong>Ges</strong>ellschaft. Sie erhielt durchaus<br />
regen Zulauf. Von <strong>de</strong>n Gründungsmitglie<strong>de</strong>rn<br />
war beson<strong>de</strong>rs Prof. Karl Sudhoff<br />
( 853– 938), Mitar<strong>bei</strong>ter am Deutschen<br />
Institut für Medizingeschichte, Leipzig,<br />
aktiv. Er publizierte in <strong>de</strong>n Schriftenreihen<br />
„Archiv für <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Medizin“,<br />
„Klassiker <strong>de</strong>r Medizin“ und „Acta Paracelsica“<br />
Werke <strong>de</strong>s Paracelsus und machte<br />
damit die Leistungen <strong>de</strong>s humanistischen<br />
Arztes <strong>de</strong>n Menschen <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />
bekannt. Er bemühte sich um die Herausgabe<br />
<strong>de</strong>r Werke <strong>de</strong>s Arztes und Humanisten.<br />
6<br />
Das Interesse <strong>de</strong>r Bevölkerung am Lebensweg<br />
<strong>de</strong>s in Einsie<strong>de</strong>ln geborenen<br />
Theophrastus wur<strong>de</strong> ab 9 7 durch die<br />
Romantrilogie „Die Kindheit <strong>de</strong>s Paracelsus“,<br />
„Das <strong>Ges</strong>tirn <strong>de</strong>s Paracelsus“ und „Das<br />
dritte Reich <strong>de</strong>s Paracelsus“ <strong>de</strong>s Autors<br />
Erwin Guido Kolbenheyer ( 878 – 962)<br />
geför<strong>de</strong>rt. Auf <strong>de</strong>m Schutzumschlag zur<br />
37. Auflage ( 937) warb <strong>de</strong>r Verlag u. a. mit<br />
<strong>de</strong>m Satz: „Neben Luther steht Paracelsus,<br />
<strong>de</strong>r große Heilmeister, als <strong>de</strong>utsche Erscheinung<br />
im Zeitalter <strong>de</strong>s Humanismus<br />
und <strong>de</strong>r Reformation, von Kolbenheyer als<br />
ein Symbol <strong>de</strong>utschen Geistes eindrucksvoll<br />
dargestellt in dieser gewaltigsten Romanschöpfung<br />
unserer Zeit.“ Damit <strong>de</strong>utete<br />
sich schon eine politisch gefärbte<br />
Richtung an. 7<br />
Im III. Reich erschien mit <strong>de</strong>m Film <strong>de</strong>r<br />
Bavaria-Filmgesellschaft „Paracelsus“ mit<br />
Werner Kraus in <strong>de</strong>r Hauptrolle unter <strong>de</strong>r<br />
Regie von Wilhelm Georg Pabst eine erneut<br />
i<strong>de</strong>ologisch gefärbte Sicht auf das<br />
Leben <strong>de</strong>s Arztes.<br />
Waldstatt Einsie<strong>de</strong>ln 1941<br />
In unterschiedlichen Höhepunkten vollzogen<br />
sich 94 Feierstun<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Publikationen<br />
ehren<strong>de</strong>n Inhalts zur Erinnerung<br />
an die 400. Wie<strong>de</strong>rkehr seines To<strong>de</strong>stages.<br />
In Einsie<strong>de</strong>ln bil<strong>de</strong>te sich ein Ehrenkomitee<br />
unter <strong>de</strong>m Vorsitz von S. Gn. Fürstabt<br />
Dr. Ignatius Staub und <strong>de</strong>m Ehrenpräsidium<br />
von Bun<strong>de</strong>srat Dr. Philipp Etter. Das<br />
Lokalkomitee ar<strong>bei</strong>tete unter <strong>de</strong>m Präsidium<br />
von Dr. carl Birchler und <strong>de</strong>m Sekretär<br />
W. K. Kälin. Diesmal gelang ein lan<strong>de</strong>sweites<br />
Engagement für <strong>de</strong>n großen<br />
Arzt. Aus <strong>de</strong>m Einsiedler Arzt Paracelsus<br />
wur<strong>de</strong> ein gefeierter Schweizer!<br />
Veranstalten<strong>de</strong> <strong>Ges</strong>ellschaften waren:<br />
- Kloster und Bezirk Einsie<strong>de</strong>ln<br />
- <strong>de</strong>r Schwyzerische Ärzteverein<br />
- <strong>de</strong>r Historische Verein <strong>de</strong>s Kantons<br />
Schwyz<br />
Die Feier dauerte vom 4. bis zum 6. Oktober<br />
94 . Das Festkomitee ersuchte die<br />
Anwohner <strong>de</strong>s zentralen Bereiches <strong>de</strong>r<br />
Festlichkeiten zur Paracelsusfeier und zum<br />
Rosenkranzfest ihre Häuser zu beflaggen.<br />
Sonnabend, 4. Oktober 1941<br />
Nach <strong>de</strong>r Begrüßung <strong>de</strong>r Gäste und <strong>de</strong>r Eröffnung<br />
<strong>de</strong>r Feierlichkeiten durch die<br />
Herren Fürstabt Ignatius Staub und Bun<strong>de</strong>srat<br />
Dr. Philipp Etter erfolgten Vorträge<br />
in drei Parallelversammlungen, abends Orgelkonzert<br />
und ein Vortrag mit Lichtbil<strong>de</strong>rn<br />
„Paracelsus am Etzel“ vor 300 Teilnehmern.<br />
„Es nahmen Vertreter ziviler,<br />
militärischer und wissenschaftlicher Autoritäten<br />
teil, so auch Rektoren o<strong>de</strong>r ihre Abgeordneten<br />
<strong>de</strong>r Universitäten Basel, Bern,<br />
Freiburg, Lausanne, Neuenburg, St. Gallen,<br />
Genf, Zürich und <strong>de</strong>r Eidgenössischen<br />
Technischen Hochschule.“<br />
Sonntag, 5. Oktober 1941<br />
Nach einem feierlichen Pontifikalamt <strong>de</strong>s<br />
49
Rosenkranzfestes in <strong>de</strong>r Stiftskirche übergab<br />
Prof. Dr. Linus Birchler das neue<br />
Denkmal vor <strong>de</strong>m sogenannten „alten<br />
Schulhaus“ <strong>de</strong>r Öffentlichkeit.<br />
Birchler hatte nicht nur die nötigen<br />
Mittel gesammelt, son<strong>de</strong>rn auch die Texte<br />
für die Inschriften am Sockel ausgewählt.<br />
Das „Denkmal wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong><br />
mit warmem Dank entgegengenommen.“<br />
Am Nachmittag erfolgten weitere Vorträge<br />
und Führungen durch die Paracelsusausstellung.<br />
Abends führte die Züricher Spielgemein<strong>de</strong><br />
„Das Spiel von Paracelsus“ von<br />
Max Geilinge im Theatersaal <strong>de</strong>s Stiftes<br />
auf.<br />
Montag, 6. Oktober 1941<br />
Falls gewünscht, erfolgten Ausflüge zur<br />
Geburtsstätte neben <strong>de</strong>r Teufelsbrücke am<br />
Etzel.<br />
Vorbereitend auf die Vorträge und die<br />
Einsiedler Bewohner informierend, die<br />
nicht zu <strong>de</strong>n Teilnehmern <strong>de</strong>r Vorträge<br />
zählen konnten, erschienen zwei würdigen<strong>de</strong><br />
Aufsätze in <strong>de</strong>r Presse.<br />
So publizierte Dr. Karl Schönenberger<br />
in einer Son<strong>de</strong>r<strong>bei</strong>lage <strong>de</strong>s Einsiedler Anzeigers<br />
über: „Theophrastus Paracelsus, <strong>de</strong>r<br />
Reformator <strong>de</strong>r Heilkun<strong>de</strong>.“ Er fasste in<br />
drei Themenkreisen das damalige Wissen<br />
über <strong>de</strong>n großen Sohn <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> zusammen,<br />
nämlich<br />
. Von <strong>de</strong>r Jugendzeit in Einsie<strong>de</strong>ln bis<br />
zur Flucht aus Basel<br />
2. Sein Wan<strong>de</strong>rleben und früher Tod<br />
3. Seine Werke und seine Be<strong>de</strong>utung.<br />
Unter an<strong>de</strong>rem heißt es: „Alles unterwirft<br />
sein scharfer Geist <strong>de</strong>r Kritik <strong>de</strong>r Vernunft<br />
und <strong>de</strong>s Experimentes; nichts nimmt<br />
er an, was er nicht selber erprobt und erfahren<br />
hat. Seine Heilmittel zieht er aus<br />
allen Reichen <strong>de</strong>r Natur: Zoologie, Botanik,<br />
Mineralogie. Beson<strong>de</strong>rs eifrig war er<br />
in seinem chemischen Laboratorium, nicht<br />
so sehr als Alchemist, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Stein <strong>de</strong>r<br />
Weisen sucht, son<strong>de</strong>rn als Arzt, <strong>de</strong>r die<br />
Heilkräfte <strong>de</strong>r Metalle und Mineralien ergrün<strong>de</strong>n<br />
wollte. Mit ihm bricht eine neue<br />
Epoche <strong>de</strong>r chemie, <strong>de</strong>r sog. Iatrochemie<br />
50<br />
(Heilmittelchemie), an, er fügte das Quecksilber,<br />
Antimon und an<strong>de</strong>re mineralische<br />
und metallische Heilmittel (Zink, Kupfer<br />
usw.) dauernd <strong>de</strong>m Arzneischatze <strong>de</strong>s Mediziners<br />
ein. [...] Daneben aber ist er noch<br />
tief vom Medizinaberglauben <strong>de</strong>r Zeit befangen,<br />
wenn er <strong>de</strong>n <strong>Ges</strong>tirnen eine große<br />
Wirkung auf <strong>de</strong>n menschlichen Körper zugesteht.<br />
Während Mars, Saturn und Venus<br />
auf Wun<strong>de</strong>n einen schlimmen Einfluß ausüben,<br />
sind die im Zeichen <strong>de</strong>r Sonne, Jupiters<br />
und Merkurs entstan<strong>de</strong>nen Wun<strong>de</strong>n<br />
leicht zu heilen, und ganz beson<strong>de</strong>rs hat<br />
<strong>de</strong>r Mond Kraft, nicht nur auf die Zukunft<br />
<strong>de</strong>s Kranken, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>s gesun<strong>de</strong>n<br />
Menschen einzuwirken.<br />
Neben staunenswerten Gedanken – so<br />
re<strong>de</strong>t er z. B. von einer organischen Entwicklung<br />
<strong>de</strong>r gesamten Natur, <strong>de</strong>ren<br />
e<strong>de</strong>lstes Glied <strong>de</strong>r Mensch ist; die Krankheit<br />
sei ein organischer Prozeß <strong>de</strong>ssen<br />
Wesen genau zu erforschen ist – steht <strong>de</strong>r<br />
tollste Unsinn aus <strong>de</strong>r Astrologie, <strong>de</strong>r<br />
Magie, Mantik (Wahrsagerei) und <strong>de</strong>r jüdischen<br />
Kabbala (Geheimlehre).“<br />
Und Schönenberger formulierte auch:<br />
„Die ungeheure Fruchtbarkeit dieses genialen<br />
Geistes ist wahrhaft bewun<strong>de</strong>rnswürdig.“<br />
8<br />
Bei Linus Birchler heißt es:<br />
„Rastlos und quälend forscht er in <strong>de</strong>n<br />
verschie<strong>de</strong>nen Disziplinen, ein Vorläufer<br />
gar vieler mo<strong>de</strong>rner Ent<strong>de</strong>ckungen in<br />
Medizin, Biologie, chemie. Schwankend<br />
steht sein Bild vor <strong>de</strong>n Zeitgenossen und<br />
<strong>de</strong>r Nachwelt. Man hat ihn als Säufer<br />
verlästert, als Kurpfuscher und Landstreicher<br />
gehetzt, als Zauberer gefürchtet,<br />
aber verehrte ihn als Wun<strong>de</strong>rarzt, als<br />
Magier und fast als Heiligen. Paracelsus ist<br />
das eigentliche Urbild <strong>de</strong>s Faust. Goethe<br />
hat, bewußt o<strong>de</strong>r unbewußt, allerlei Paracelsisches<br />
Gedankengut in <strong>de</strong>n zweiten Teil<br />
seiner Menschheitsdichtung gewoben.“<br />
„Hohenheim <strong>de</strong>nkt letztlich theologisch.<br />
Er ist, sich selber unbewußt, ein antiker<br />
Iatromantis, ein Priesterarzt, wie etwa<br />
Empedokles ihn uns geschil<strong>de</strong>rt hat. Er
will nicht ein Organ behan<strong>de</strong>ln, son<strong>de</strong>rn<br />
<strong>de</strong>n ganzen Menschen und zwar Leib und<br />
Seele. Psychologie steht neben ihm in <strong>de</strong>r<br />
Physiologie, Seele neben Leib. Und die<br />
seelische Beschaffenheit <strong>de</strong>s Heilers, <strong>de</strong>s<br />
Arztes, ist ihm so wichtig wie das Heilmittel,<br />
das er stets individuell bemißt. Paracelsus<br />
will nichts weniger als eine metaphysische<br />
Untermauerung <strong>de</strong>r gesamten Heilkunst,<br />
die er wirklich als Kunst auffaßt.<br />
Paracelsus hat wie ganz Wenige sonst das<br />
Ethos <strong>de</strong>s ärztlichen Berufes betont und in<br />
seinen Schriften immer wie<strong>de</strong>r herausgehoben.“<br />
9<br />
Auch <strong>de</strong>r in Zürich und Basel lehren<strong>de</strong><br />
Philosoph und Psychologe carl Gustav<br />
Jung ( 875 – 96 ) erhielt Applaus für seinen<br />
Vortrag. Hierzu <strong>de</strong>r Kommentar von<br />
Dr. A. Haas:<br />
„Prof. Jung hat <strong>de</strong>r Magie und Kabbalistik<br />
in seinem Vortrag einen weiten Raum<br />
zugemessen und durch schlagen<strong>de</strong> Zitate<br />
aus Urtexten uns ein faszinieren<strong>de</strong>s Innenbild<br />
von Paracelsus gegeben, das immer<br />
wie<strong>de</strong>r die Mutterliebe und Verehrung <strong>de</strong>r<br />
Mutter in Son<strong>de</strong>rheit aufleuchten läßt.<br />
Da Paracelsus nie mit Frauen in Berührung<br />
kam, soweit sie nicht Patientinnen<br />
waren und eigentlich nie von Frauen in<br />
seinen Schriften und <strong>Ges</strong>prächen die Re<strong>de</strong><br />
ist, so behielt er einfach in lieben<strong>de</strong>r Sehnsucht<br />
seine Mutter, die er nur neun Jahre<br />
im Etzelhaus an <strong>de</strong>r Brücke gesehen hatte,<br />
in unwan<strong>de</strong>lbarem An<strong>de</strong>nken.“ 0<br />
Noch Jahrzehnte später würdigte Urs<br />
Leo Gantern<strong>bei</strong>n die Re<strong>de</strong> c. G. Jungs:<br />
„Der Beitrag <strong>de</strong>s berühmten Psychologen<br />
c. G. Jung stach beson<strong>de</strong>rs hervor und<br />
mußte <strong>bei</strong> starkem Andrang in einen größeren<br />
Saal verlegt wer<strong>de</strong>n. Mit seinem<br />
Vortrag ‚Paracelsus als geistige Erscheinung‘<br />
gelang Jung eine charakterisierung<br />
<strong>de</strong>s Menschen Paracelsus, die durch ihre<br />
Prägnanz heute noch besticht“.<br />
In <strong>de</strong>n Ausgaben <strong>de</strong>r Tageszeitungen<br />
wur<strong>de</strong>n nahezu alle 20 Vorträge kommentiert.<br />
Gewiss boten auch manche Vorträge<br />
Inhalte zum Debattieren an und sicher<br />
blieben auch in Diskussionsrun<strong>de</strong>n ungeklärte<br />
Fragen offen.<br />
Dr. A. Haas stellte zum Abschluss fest:<br />
„Was Wun<strong>de</strong>r, wenn heute nach <strong>de</strong>m<br />
großen Paracelsusfest in Einsie<strong>de</strong>ln zum<br />
Schlusse ... ein eigentlicher Wirrwarr <strong>de</strong>r<br />
Ansichten über <strong>de</strong>n Ablauf <strong>de</strong>r Lebensgeschichte<br />
und Tätigkeit <strong>de</strong>s größten Arztes<br />
<strong>de</strong>r Zeitenwen<strong>de</strong> von spätmittelalterlicher<br />
Wissenschaft bis zur Aufgeschlossenheit<br />
<strong>de</strong>r Renaissance entstand.<br />
Aber man kann im Sezieren <strong>de</strong>r Seele<br />
eines großen Mannes, <strong>de</strong>r von seiner Jugend<br />
an bis zu seinem To<strong>de</strong> in ruheloser<br />
Wan<strong>de</strong>rung fast ganz Europa dozierend,<br />
lehrend und entbehrend durchquerte, um<br />
schließlich arm und verlassen in Salzburg<br />
zu sterben – man kann im psychoanalytischen<br />
Sezieren <strong>de</strong>r Seele auch zu weit<br />
gehen. Die einan<strong>de</strong>r oft diametral gegenüberstehen<strong>de</strong>n<br />
Ansichten, die in Einsie<strong>de</strong>ln<br />
von <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Professoren<br />
und Privatgelehrten entwickelt wur<strong>de</strong>n,<br />
zeigen nur selbst wie<strong>de</strong>r die Wi<strong>de</strong>rsprüche<br />
in Paracelsus’ Leben, die durch die Forschung<br />
längst bekannt sind.“<br />
An späterer Stelle schrieb Haas:<br />
„Paracelsus war Kämpfer in einem heroischen<br />
Leben.<br />
Ob er mehr Magier als Arzt, mehr<br />
Alchemist als Biologe, mehr Mystiker als<br />
Gnostiker war, diese Fragen kommen erst<br />
sekundär an die Reihe. Sicher aber gilt <strong>de</strong>r<br />
Satz Il<strong>de</strong>fons Betscharts in seinem Paracelsusbuche:<br />
‚Theoprastus Paracelsus gehört<br />
zu jenen Menschen, <strong>de</strong>ren Wirkkraft selbst<br />
<strong>de</strong>n härtesten Knochen ihres Skeletts überdauert,<br />
Menschen, an <strong>de</strong>ren Grab es erst<br />
recht lebendig wird, mit <strong>de</strong>nen man sich<br />
auseinan<strong>de</strong>rsetzen muß, die keine Ruhe<br />
lassen, die ohne Leib über Jahrhun<strong>de</strong>rte<br />
hinweg Krieg führen.‘“ 2<br />
Zum Ergebnis dieses Kongresses zählte<br />
auch die Entschließung, „... alles, was vom<br />
Kathe<strong>de</strong>r aus in Einsie<strong>de</strong>ln gesprochen<br />
wur<strong>de</strong>, durch eine ins Leben zu rufen<strong>de</strong><br />
schweizerische Paracelsus-<strong>Ges</strong>ellschaft lebendig<br />
zu erhalten.“<br />
5
Zwei be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Forschungsergebnisse<br />
Dr. Bruno Lienhardt fand auf <strong>de</strong>m Kongress<br />
ein Podium zur Darstellung seiner<br />
Forschungsar<strong>bei</strong>ten. Er unterbreitete neue<br />
Ergebnisse beson<strong>de</strong>rs zur Lage <strong>de</strong>s Geburtshauses<br />
und zur Familie <strong>de</strong>r Mutter.<br />
Lienhardt bewies, dass das Geburtshaus<br />
<strong>de</strong>s Paracelsus nicht das heutige Gasthaus<br />
„Krone“ war – trotz <strong>de</strong>r angebrachten Ge<strong>de</strong>nktafel<br />
– und auch nicht die Wirtschaft,<br />
die man links vor <strong>de</strong>m Erreichen <strong>de</strong>r Sihlbrücke<br />
passiert, son<strong>de</strong>rn dass es weiter von<br />
<strong>de</strong>r Sihlbrücke entfernt gestan<strong>de</strong>n haben<br />
muss. Das Wohnhaus von <strong>Bombastus</strong>’<br />
Eltern, heute wür<strong>de</strong> man sagen, sie nutzten<br />
ein Mietrecht im schwiegerelterlichen<br />
Haus, lag nach aufgefun<strong>de</strong>nen Unterlagen<br />
in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s alten Känntli, einem seit<br />
alten Zeiten begangenen Kirchgängerweg<br />
nach Untersyten (Dorf Egg).<br />
Lienhard fand im Urbar von 50 (zu<br />
erklären mit <strong>de</strong>n Akten unserer archivierten<br />
Liegenschaftsämter), dass ein 74<br />
abgerissenes, einem Zacharias Grätzer gehören<strong>de</strong>s<br />
Haus, seit Jahrhun<strong>de</strong>rten im<br />
Familienbesitz <strong>de</strong>r Grätzers war. 50<br />
hieß <strong>de</strong>r Besitzer Uli Grätzer. Ihm gehörte<br />
die Liegenschaft Küelwiesli.<br />
Lienhardt: „Derselbe Uli Grätzer hatte<br />
Güter und Fel<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>r „Sihlbrugg“ inne,<br />
besaß die „Winkleren“, „Bodman“, das<br />
„Kielwislin“, „Burg“ und „Rowlosen“.<br />
Lienhardt bewies, dass das Geburtshaus<br />
<strong>de</strong>s Paracelsus auf <strong>de</strong>m rechten Berghang<br />
oberhalb <strong>de</strong>r Etzelstraße und <strong>de</strong>r Teufelsbrücke<br />
im sog. Küelwisli gegenüber <strong>de</strong>m<br />
Gasthaus zum „Sternen“ lag. Im Jahre<br />
9 8 wur<strong>de</strong> <strong>bei</strong>m Umbruch eines Teils <strong>de</strong>s<br />
Küelwisli ein Hausfundament und<br />
Scherben von Tongeschirren gefun<strong>de</strong>n.“ 3<br />
Man kann sagen, dass das Geburtshaus<br />
eine beson<strong>de</strong>re Lage hatte. Unmittelbar benachbart<br />
verlief <strong>de</strong>r Pilgerweg vom Zürichsee<br />
nach Einsie<strong>de</strong>ln. Das Gasthaus an <strong>de</strong>r<br />
St. Meinradskapelle auf <strong>de</strong>m Etzel bot für<br />
die Pilger, die von Rapperswill über <strong>de</strong>n Zürichsee<br />
und Pfäffikon kommend <strong>de</strong>n Aufstieg<br />
zum Etzel geschafft hatten, die letzte<br />
52<br />
Rastmöglichkeit vor <strong>de</strong>m schmalen Abstieg<br />
ins Sihltal und einem letzten Aufstieg von<br />
<strong>de</strong>r Sihlbrücke zum Kloster. Und hier im<br />
Brückenbereich wohnte <strong>de</strong>r Arzt Wilhelm<br />
von Hohenheim. Er konnte die wund gelaufenen<br />
Füße <strong>de</strong>r Pilger salben, ihre Atemnot<br />
heilen und ihnen Mut zusprechen,<br />
<strong>de</strong>nn das Pilgerziel war greifbar nahe. Sicher<br />
waren die Pilger ohne viel Bargeld auf die<br />
Reise gegangen, <strong>de</strong>nn Unterstützung fan<strong>de</strong>n<br />
sie <strong>bei</strong> frommen Familien und in Klöstern.<br />
So dürfte Wilhelm Bombast die Kranken<br />
für ein „Vergelt’s Gott“ geheilt haben. Wie<br />
viele tausen<strong>de</strong> Pilger mögen <strong>de</strong>n Pilgerweg<br />
im Laufe <strong>de</strong>r Jahrhun<strong>de</strong>rte beschritten<br />
haben. Nun, hier an <strong>de</strong>r Teufelsbrücke<br />
neigte sich <strong>de</strong>r kilometerweite Weg <strong>de</strong>m<br />
En<strong>de</strong> zu. Sie erhofften sich in <strong>de</strong>n nächsten<br />
Tagen durch ihre Gebete und Opfergaben<br />
Hilfe und Genesung von <strong>de</strong>r wun<strong>de</strong>rtätigen<br />
Schwarzen Madonna Maria in <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong>nkapelle<br />
<strong>de</strong>s Klosters zu erlangen.<br />
908 erfolgte <strong>de</strong>r Abbruch eines Hauses<br />
in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s heutigen Gasthauses<br />
Krone an <strong>de</strong>r Teufelsbrücke. Das Wirtshaus<br />
wur<strong>de</strong> um 8 4 auf <strong>de</strong>n Grundmauern<br />
eines alten Gebäu<strong>de</strong>s erbaut. 3<br />
Und auf <strong>de</strong>r Anhöhe, von <strong>de</strong>r man einst<br />
wie heute das Kloster in seiner vollen<br />
Abb. 2: Teufelsbrücke, Etzelstraße 894.<br />
Das Bauwerk stammt aus <strong>de</strong>m Jahre 7.<br />
Schwyzer Staatsarchiv, Negativplattensammlung<br />
<strong>de</strong>s Ing. Josef Bettschart ( 843 – 900).<br />
Übermittelt durch Herrn Bingisser
Größe und Schönheit erblickte, besäumt<br />
von <strong>de</strong>n mit Schnee und Eis be<strong>de</strong>ckten<br />
Bergen <strong>de</strong>r im Hintergrund gelegenen<br />
Gebirgskette <strong>de</strong>s Glärnisch, steht heute das<br />
Paracelsus-Denkmal.<br />
Die Beantwortung <strong>de</strong>r Frage zur Familie<br />
ergibt sich eigentlich schon aus <strong>de</strong>r Klärung<br />
<strong>de</strong>r Lage <strong>de</strong>s Hauses.<br />
Der Vater Wilhelm Bombast ( 457 –<br />
534) war ein aus <strong>de</strong>m süd<strong>de</strong>utschen<br />
Raum, vermutlich aus Riet <strong>bei</strong> Vaihingen<br />
an <strong>de</strong>r Enz, zugewan<strong>de</strong>rter Arzt aus<br />
Schwaben, „<strong>de</strong>r Arztnei Lizentiat“, wie er<br />
in einer Urkun<strong>de</strong> genannt wur<strong>de</strong>. Er war<br />
<strong>de</strong>r erste in Einsie<strong>de</strong>ln nachweisbare<br />
Klosterarzt und „habe eine schöne Bibliothek<br />
besessen“. Nach <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> seiner<br />
Frau 502 zog er mit seinem Sohn nach<br />
Villach. So hat Theophrastus Bombast von<br />
Hohenheim nur neun Jahre im Sihltal <strong>bei</strong><br />
Einsie<strong>de</strong>ln verlebt.<br />
Über das Leben seiner Mutter, die aus<br />
<strong>de</strong>m Sihltal stammte und <strong>de</strong>m Kloster<br />
Einsie<strong>de</strong>ln als Gottesfrau hörig war, seine<br />
Großeltern und die Jahre seiner Kindheit<br />
weiß man wenig. Selbst sein Geburtsjahr<br />
o<strong>de</strong>r gar das Geburtsdatum sind nicht<br />
exakt beweisbar. Hieß er wirklich Aureolus<br />
Philippus Theophrastus Bombast von Hohenheim?<br />
Der Taufname Theophrastus<br />
wur<strong>de</strong> sicher vom Vater nach <strong>de</strong>m griechischen<br />
Naturforscher Theophrastus benannt.<br />
Mit <strong>de</strong>m Vornamen Aureolus benannte<br />
er sich selbst erstmals im Paragranum<br />
von 530. Danach taucht das Präfix<br />
„para“ mehrfach in <strong>de</strong>n Titeln seiner Bücher<br />
auf, so auch im Paramirum. Und <strong>de</strong>r<br />
Name Philippus steht erstmals auf <strong>de</strong>m<br />
Grabstein in Salzburg.<br />
Der Name Paracelsus wird häufig als<br />
Pseudonym ge<strong>de</strong>utet, unter <strong>de</strong>m er seine<br />
Bücher publizierte. Aber ab 529 fin<strong>de</strong>n<br />
wir häufig <strong>bei</strong><strong>de</strong> Namen Theophrastus Paracelsus<br />
auf <strong>de</strong>m Buchtitel, so nennt auch<br />
die Große Wundartzney von 536 <strong>de</strong>n<br />
Autor Theophrastus von Hohenheim, genannt<br />
Paracelsus.<br />
Eine weitere Deutung könnte sich auf<br />
<strong>de</strong>n römischen Enzyklopädisten celsus<br />
beziehen, dann hieße Paracelsus „über<br />
celsus hinausgehend“. Einigt man sich auf<br />
eine gräkolatinisierte Erklärung hieße<br />
„para“: <strong>bei</strong>, und „celsus“: hoch. 5<br />
Ganten<strong>bei</strong>n führt <strong>de</strong>n Namen Paracelsus<br />
auf die humanistische Ableitung von „Hohenheim“<br />
zurück, „para“ gleich hoch, darüber<br />
hinaus, jenseits, und „cella“ gleich<br />
Zelle, Kammer, Raum. 6<br />
Wir können uns vorstellen, dass <strong>de</strong>r heranwachsen<strong>de</strong><br />
Theophrastus sowohl in <strong>de</strong>r<br />
von seiner Mutter behüteten und <strong>de</strong>n<br />
Großeltern betreuten Welt <strong>de</strong>r Sihltalbauern<br />
aufwuchs, die das Jahr einteilten in die<br />
Zeit <strong>de</strong>s Viehauftriebes auf die Sihlwei<strong>de</strong>n<br />
(bis Walpurgis), gefolgt von <strong>de</strong>n Gras- und<br />
Heuernten und ab Bartholomäi vom erneuten<br />
Auftrieb <strong>de</strong>r Schafe und Rin<strong>de</strong>r auf<br />
die Wiesen und Matten. Auf kargem<br />
Bo<strong>de</strong>n wuchsen Hafer und Gerste. Die<br />
einfache und gesun<strong>de</strong> Ernährung durch<br />
Milch, Käse und Haferbrot ließen ihn<br />
wachsen. Waldreichtum lieferte <strong>de</strong>n Sihlbauern<br />
genügend Holz als Heizmaterial.<br />
Zum an<strong>de</strong>ren dürfte <strong>de</strong>r Vater <strong>de</strong>n Knaben<br />
oft auf sein Pferd genommen und mit ihm<br />
zu Patienten geritten sein. Von klein auf<br />
waren ihm medizinische Ausdrücke zu bestimmten<br />
Vorgängen bekannt, wie Salbenrühren,<br />
Pulvermischen, A<strong>de</strong>rlassen. Als ein<br />
beson<strong>de</strong>res Fest im Klosterleben zu Einsie<strong>de</strong>ln<br />
zählte das aller sieben Jahre gefeierte<br />
Engelweihfest. Ein vergrößerter Pilgerstrom<br />
nahm an <strong>de</strong>n religiösen Kundgebungen<br />
teil. Her<strong>bei</strong>geeilte Schausteller priesen ihre<br />
Waren an. Höhepunkte waren nach alten<br />
Berichten die sportlichen Wettkämpfe zwischen<br />
<strong>de</strong>n Ortsmannschaften von Einsie<strong>de</strong>ln<br />
und St. Gallen im Ringkampf, Steinewerfen<br />
und Weitspringen. Eines <strong>de</strong>r Feste<br />
dürfte Theophrastus erlebt haben.<br />
Weil die Mutter zum Benediktinerstift<br />
Einsie<strong>de</strong>ln gehörte, war Theophrastus nach<br />
damaligem Recht, „daß das Kind <strong>de</strong>r<br />
schlechteren Hand folge, ein Gotteshausmann“.<br />
Ergänzung: Wir wissen, dass <strong>de</strong>r Ein-<br />
53
siedler Gotteshausmann Peter Wessener,<br />
versehen mit einer Vollmacht <strong>de</strong>s damaligen<br />
Abtes Ludwig II. Blarer von Wartensee,<br />
in Salzburg einen silbernen Becher aus<br />
<strong>de</strong>m Nachlass <strong>de</strong>s verstorbenen Bombast<br />
für das Kloster entgegennahm. Dieser berühmte<br />
Becher und vieles an<strong>de</strong>re mehr<br />
ging mit großer Wahrscheinlichkeit in <strong>de</strong>n<br />
Wirren <strong>de</strong>r Franzosenzeit 798 verloren.<br />
Das Kloster stand leer, die Mönche waren<br />
geflohen und es wur<strong>de</strong> geplün<strong>de</strong>rt. Einen<br />
Beweis für die Existenz <strong>de</strong>s Bechers lieferte<br />
<strong>de</strong>r Autor Leu in einem Band <strong>de</strong>r Darstellung<br />
schweizerischer <strong>Ges</strong>chlechter aus <strong>de</strong>m<br />
Jahre 758. Damals war <strong>de</strong>r Becher im<br />
Kloster noch vorhan<strong>de</strong>n.<br />
Seit etlichen Jahren, sicher in Verbindung<br />
mit Kolbenheyers Paracelsus-Roman,<br />
wur<strong>de</strong> in vielen Biografien <strong>de</strong>s <strong>Bombastus</strong><br />
<strong>de</strong>r Name <strong>de</strong>r Mutter als Ochsner genannt.<br />
Dies könnte auch mit <strong>de</strong>r Deutung<br />
<strong>de</strong>s Porträts <strong>de</strong>s Vaters zusammenhängen.<br />
Das Wappen <strong>de</strong>r Hohenheimer zeigt<br />
einen schwarzen Schild mit weißem Balken<br />
und schwarzen Linsen, zuweilen umgeben<br />
von acht Tatzenkreuzen, das Ochsnerwappen<br />
einen weißen Schild mit einem<br />
schwarzen Ochsenkopf.<br />
Die Deutung von acht Tatzenkreuzen<br />
um sein Wappen auf einem Flugblatt mit<br />
seinem Porträt ist unklar. Schweizer Autoren<br />
führen diese Tatzenkreuze auf einen<br />
Hof Wollerau zurück, <strong>de</strong>r von 387 bis<br />
549 zur Herrschaft <strong>de</strong>r Johanniter gehörte.<br />
Diese Kreuze sollen an Grenzsteinen<br />
am Etzel vorhan<strong>de</strong>n sein. Eine Verbindung<br />
zu <strong>de</strong>n Familien Grätzer und zu Bombast<br />
konnte nicht nachgewiesen wer<strong>de</strong>n.<br />
Ingrid Kästner <strong>de</strong>utet die Tatzenkreuze<br />
nur als eine Erweiterung <strong>de</strong>s Familienwappens.<br />
6<br />
Auf <strong>de</strong>m Porträt <strong>de</strong>s Vaters Wilhelm<br />
Bombast von Hohenheim befin<strong>de</strong>t sich<br />
ein Wappen mit einem Ochsen- o<strong>de</strong>r Stierkopf.<br />
Deshalb galt die These, er sei mit<br />
einer Tochter einer im Sihltal ansässigen<br />
Familie Ochsner verheiratet gewesen.<br />
Auch die Ochsner hatten Güter, aber das<br />
54<br />
Küelwisli bewirtschafteten die Grätzer.<br />
Lienhardt nannte folgen<strong>de</strong>n Grund für<br />
die bisherige Deutung <strong>de</strong>s Ochsenkopfes<br />
im <strong>Bombastus</strong>wappen:<br />
„Der Ochsenkopf war im ausgehen<strong>de</strong>n<br />
Mittelalter das Berufswappen <strong>de</strong>r Mediziner.<br />
Sie verehrten St. Lukas als ihren Patron<br />
und nahmen <strong>de</strong>n Ochs in ihr Wappen<br />
auf. Wür<strong>de</strong> es sich auf <strong>de</strong>m Porträt <strong>de</strong>s<br />
Wilhelm Bombast um ein Frauenwappen<br />
han<strong>de</strong>ln, dann müßte es, heraldischen<br />
<strong>Ges</strong>etzen folgend, rechts vom Beschauer<br />
stehen und nicht links, wie es <strong>de</strong>r Fall ist.<br />
Wilhelm wollte als Lizentiat <strong>de</strong>r Medizin<br />
seine Zugehörigkeit zu dieser Berufsgruppe<br />
dokumentieren. Man darf also aus <strong>de</strong>m<br />
Vorhan<strong>de</strong>nsein dieses Wappens keine zu<br />
weit gehen<strong>de</strong>n Schlüsse ziehen, ebenso<br />
wenig, wie man die Nelke in <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>s<br />
Dargestellten auf einen Hochzeiter <strong>de</strong>uten<br />
muß. Sie kann darauf hinweisen, muß es<br />
aber nicht.“ 3<br />
Damit hatte Lienhardt einen wichtigen<br />
Beitrag zur Kindheit <strong>de</strong>s Theophrastus geleistet,<br />
<strong>de</strong>nn Heimstatt und Familie waren<br />
bis zum Alter von neun Jahren für die<br />
Kindheit und Entwicklung von großer<br />
Be<strong>de</strong>utung.<br />
Trotz<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong>n diese damals – also<br />
94 – vorgetragenen Erkenntnisse durchaus<br />
noch nicht von allen Autoren zur<br />
Kenntnis genommen.<br />
Obwohl sich <strong>de</strong>r Lebensweg <strong>de</strong>s Theophrastus<br />
Bombast, seine Wan<strong>de</strong>rkurve <strong>bei</strong>m<br />
Besuch von Villach, Straßburg, Zürich, Basel,<br />
Kolmar, Bad Pfäffers, St. Gallen um seinen<br />
Geburtsort bewegte, kehrte er nie wie<strong>de</strong>r<br />
nach Einsie<strong>de</strong>ln zurück. Aber im Gedächtnis<br />
behielt er die Waldstatt am Etzel im warmen<br />
Familienleben seiner frühen Kindheit.<br />
Deshalb soll Theophrastus selbst zu<br />
Wort kommen:<br />
„Von <strong>de</strong>r Natur bin ich nit subtil gespunnen,<br />
ist auch nit meins Lands Art – <strong>de</strong>r ich bin von<br />
Einsidlen, <strong>de</strong>s Lands ein Schweizer, – daß man<br />
was mit Sei<strong>de</strong>n spinnen erlange. Wir wer<strong>de</strong>n<br />
auch nit mit Feigen erzogen, noch mit Met,<br />
noch Weizenbrot. Aber mit Käs, Milch und
Haberbrot. Das kann nit subtil <strong>Ges</strong>ellen machen.<br />
Zu <strong>de</strong>m, daß eim alle sein Tag anhängt,<br />
was er in <strong>de</strong>r jugend empfangen hat, dieselbe<br />
(Art) ist nur fast grob sein gegen diese subtilen,<br />
katzreinen, suberfeinen Leute. Denn dieselbigen<br />
(die) in weichen Klei<strong>de</strong>rn und in Frauenzimmern<br />
erzogen wer<strong>de</strong>n, und wir, die in Tannzapfen<br />
erwachsen, verstehent einan<strong>de</strong>r nit wohl.“ 6<br />
Wie <strong>de</strong>m auch sei, <strong>de</strong>r Ge<strong>de</strong>nkstein am<br />
Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sihlbrücke über <strong>de</strong>n Fluss<br />
gleicht <strong>bei</strong><strong>de</strong> Varianten einan<strong>de</strong>r an. Noch<br />
immer nimmt <strong>de</strong>r Fluss tief unter <strong>de</strong>r Brücke<br />
seinen wildromantischen Lauf, vorüber<br />
an Felsblöcken und alten Baumwurzeln,<br />
wie zu Zeiten <strong>de</strong>s jungen Theophrastus,<br />
wenn er kletternd und nach Abenteuern<br />
suchend seine Heimat allein, mit <strong>de</strong>m<br />
Vater o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Großvater erkun<strong>de</strong>te.<br />
Zur Errichtung <strong>de</strong>s Denkmals in<br />
Einsie<strong>de</strong>ln<br />
In Vorbereitung <strong>de</strong>r großen Feierlichkeiten<br />
stand die Planung eines Denkmals<br />
auf <strong>de</strong>r Tagesordnung. Eine symbolische<br />
Deutung, die <strong>de</strong>r Nachwelt in 20 Jahren<br />
Rätsel auferlegen könnte, wur<strong>de</strong> abgelehnt.<br />
Es gab erneut die I<strong>de</strong>e, nach <strong>de</strong>r<br />
Darstellung Hirschvogels <strong>de</strong>n humanistischen<br />
Arzt als Ganzfigur auf einen<br />
Sockel zu stellen. Damit wäre sicher eine<br />
„heroische“ Darstellung <strong>de</strong>s wan<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n<br />
Arztes erreicht wor<strong>de</strong>n, aber es mel<strong>de</strong>te<br />
sich ein Mitglied <strong>de</strong>s Komitees zu Wort:<br />
„Wir in seiner Heimat errichten ihm <strong>bei</strong><br />
<strong>de</strong>r schweizerischen Paracelsusfeier ein<br />
Denkmal, das nicht <strong>de</strong>n körperlich unschönen,<br />
kleinen und kahlköpfigen Arzt<br />
darstellt, son<strong>de</strong>rn symbolisch eine Mutter<br />
mit zwei gesun<strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn zeigt.“ Diese<br />
Darstellung, ob die Deutung von zwei gesun<strong>de</strong>n<br />
Kin<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m kranken Mädchen<br />
und <strong>de</strong>m gesun<strong>de</strong>n Buben spricht,<br />
wird mehrfach in <strong>de</strong>r Presse „... als Symbol<br />
alles mütterlich <strong>Ges</strong>un<strong>de</strong>n, das im paracelsischen<br />
Werk geschaffen ist und heute<br />
noch fortwirkt“, ge<strong>de</strong>utet für das <strong>Ges</strong>undmachen<br />
und <strong>Ges</strong>un<strong>de</strong>rhalten. Die Mutter<br />
schaut besorgt o<strong>de</strong>r wohl doch mehr be-<br />
glückt auf das Mädchen, das sie fest im<br />
Arm hält. Das Mädchen schmiegt sich in<br />
Geborgenheit an die Mutter und <strong>de</strong>r<br />
Junge, neben <strong>de</strong>r Mutter stehend, schaut<br />
zu ihr vertrauensvoll empor. Ein Bild<br />
glücklicher Mutterliebe.<br />
Eine interessante Meinung vertritt Ganten<strong>bei</strong>n:<br />
„Ich persönlich stehe <strong>de</strong>m Einsiedler<br />
Paracelsus<strong>de</strong>nkmal etwas ratlos gegenüber.<br />
Wohl kaum einer <strong>de</strong>r zahlreichen Pilger –<br />
<strong>de</strong>r Weg vom Parkhaus zum Klostereingang<br />
führt direkt am Denkmal vor<strong>bei</strong> –<br />
wird hinter <strong>de</strong>r harmonischen Mutterdarstellung<br />
ein Denkmal <strong>de</strong>s Revoluzzers<br />
Paracelsus vermuten, wenn er sich nicht<br />
die Mühe macht, sich zu bücken und die<br />
Sockelinschrift zu lesen. Auch ich hätte ein<br />
Standbild bevorzugt. Der <strong>bei</strong> uns nicht<br />
unumstrittene Autor Franz Rueb vermutete<br />
in seinem Buch „Mythos Paracelsus“<br />
eine Anlehnung an <strong>de</strong>n nationalsozialistischen<br />
Mutterkult (siehe auch Anm. ).<br />
Ich <strong>de</strong>nke mir, dass man das Kloster nicht<br />
provozieren wollte, <strong>de</strong>nn gera<strong>de</strong> in seinen<br />
theologischen Schriften wetterte Paracelsus<br />
gegen Mönche und Klöster als Werke <strong>de</strong>s<br />
Teufels, die mit ihrer Scheinheiligkeit vom<br />
inneren christentum ablenkten. Das<br />
Denkmal befin<strong>de</strong>t sich keine fünfzig Meter<br />
von <strong>de</strong>r Klosterpforte entfernt, da kam<br />
eine Mutterdarstellung <strong>de</strong>r schwarzen<br />
Maria schon näher. Aber warum mussten<br />
zwei Kin<strong>de</strong>r dargestellt wer<strong>de</strong>n? Die Abbildung<br />
<strong>de</strong>r unbekannten Einsiedler Mutter<br />
<strong>de</strong>s Paracelsus mit <strong>de</strong>m kleinen Theophrast<br />
zu Füßen hätte wie<strong>de</strong>rum einen<br />
Sinn ergeben. Lei<strong>de</strong>r konnte ich damals<br />
nicht mitre<strong>de</strong>n.“ 5<br />
Darüber lässt sich nach<strong>de</strong>nken.<br />
55
Abb. 3: Paracelsus<strong>de</strong>nkmal. Foto Kälin 2003.<br />
Und während man dieses in harmonischen<br />
Zügen <strong>de</strong>r Mutterliebe errichtete<br />
Denkmal verinnerlicht, liest man am Sockel<br />
die ehren<strong>de</strong>n Worte, die Verdienste<br />
<strong>de</strong>s auch als Magus vom Etzel genannten<br />
Humanisten:<br />
„Zum Gedächtnis an <strong>de</strong>n Arzt,<br />
Naturforscher und Philosophen<br />
Theophrastus Paracelsus<br />
Erneuerer <strong>de</strong>r Medizin,<br />
Vater <strong>de</strong>r chemotherapie,<br />
För<strong>de</strong>rer <strong>de</strong>r Biologie und <strong>de</strong>r<br />
Wundarztnei,<br />
Retter <strong>de</strong>r Geistesumnachteten,<br />
Kün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s ärztlichen Ethos,<br />
Eigenwilliger Denker und<br />
<strong>de</strong>mütiger christ,<br />
Freund <strong>de</strong>r Armen.<br />
En<strong>de</strong> 493 neben <strong>de</strong>r Teufelsbrücke<br />
am Etzel geboren,<br />
ist er am 24. September 54<br />
56<br />
nach einem<br />
faustischen Leben zu Salzburg<br />
verstorben.<br />
Seiner Einsidler Heimat einge<strong>de</strong>nk.“<br />
Auf <strong>de</strong>r linken Seite <strong>de</strong>s Denkmalsockels<br />
beginnt <strong>de</strong>r Text mit seinem Wahlspruch,<br />
<strong>de</strong>m politischen credo:<br />
„Eines an<strong>de</strong>rn Knecht sei nicht, wer sein<br />
eigner Herr sein kann.“<br />
Alterius non sit qui suus esse potest<br />
Ein Je<strong>de</strong>r bleib wie ein Fels in seinem<br />
Wesen.<br />
Das Kind<br />
bedarf keines <strong>Ges</strong>tirns und keines<br />
Planeten,<br />
seine Mutter ist sein Planet und sein<br />
Stern.<br />
Selig und mer <strong>de</strong>nn selig ist <strong>de</strong>r Mann<br />
<strong>de</strong>m Got die Gnad gibt <strong>de</strong>r Armut.<br />
Die rechte Tür<br />
<strong>de</strong>r Arznei ist das Licht <strong>de</strong>r Natur.<br />
Der höchste<br />
Grund <strong>de</strong>r Arznei ist die Liebe.<br />
Einen biografischen Bezug lesen wir auf<br />
<strong>de</strong>r rechten Seite <strong>de</strong>s Sockels:<br />
Dass ich mich keiner Rhetorik<br />
noch Subtilitatem berümen kann,<br />
son<strong>de</strong>rn nach <strong>de</strong>r Zungen miner<br />
Gepurt und Lantsprachen, ich<br />
bin von Ainsidlen <strong>de</strong>s Lants ein<br />
Schweizer.<br />
Also bin ich gewan<strong>de</strong>lt<br />
durch die Län<strong>de</strong>r und ein Peregrinus<br />
gewest meine Zeit, allein und<br />
fremd und an<strong>de</strong>rs. Da hast du Got<br />
wachsend lan <strong>de</strong>ine Kunst unter<br />
<strong>de</strong>m Hauche <strong>de</strong>s furchtbaren Win<strong>de</strong>s<br />
mit Schmerzen in mir.<br />
Das neue Denkmal hatte <strong>de</strong>r Bildhauer<br />
Alfons Magg (geb. 4.07. 89 in Zürich)<br />
geschaffen. Zwar konnte es erst nur als Gipsmo<strong>de</strong>ll<br />
gezeigt wer<strong>de</strong>n, doch <strong>de</strong>r Bronzeguss<br />
erfolgte kurze Zeit später.<br />
Auf je<strong>de</strong>n Fall kommt in dieser Darstellung<br />
die Verehrung <strong>de</strong>s Paracelsus für seine<br />
Mutter zum Ausdruck.
Zur Biografie <strong>de</strong>s Künstlers wäre sein Schulbesuch<br />
am Gymnasium <strong>de</strong>r Zisterzienser in<br />
<strong>de</strong>r Mehrau zu nennen und sein Studium an<br />
<strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie in München. Er war Schüler<br />
<strong>de</strong>s Künstlers Adolf von Her. Er erar<strong>bei</strong>tete<br />
eine Büste <strong>de</strong>s Dichters Heinrich Fe<strong>de</strong>rer in<br />
Marmor und 939 saß ihm Papst Pius XII.<br />
in castel Gandolfo sieben Mal Mo<strong>de</strong>ll.<br />
Weitere Ar<strong>bei</strong>ten fan<strong>de</strong>n Aufnahme in die<br />
Stiftsbibliothek von St. Gallen.<br />
Ernst-Louis Bingisser ergänzte unsere<br />
bisherigen Informationen: „Für das Denkmal<br />
saß die ehemalige große Liebe von<br />
Prof. Linus Birchler Mo<strong>de</strong>ll. Es war Frau<br />
Luise Steiner-Benziger, Mirli o<strong>de</strong>r Rainli<br />
(aus Willerzell).“<br />
Er erinnerte sich <strong>de</strong>r zeitgenössischen<br />
Erklärung, „... daß die Statue in Frauengestalt<br />
die sorgen<strong>de</strong> und behüten<strong>de</strong> Kraft <strong>de</strong>r<br />
von Paracelsus geför<strong>de</strong>rten und erneuerten<br />
Heilkunst personifiziert.“ 7<br />
Vor Beginn <strong>de</strong>r Feierlichkeiten hatte<br />
man vom bisher hier stehen<strong>de</strong>n roten<br />
Findling das Medaillon entfernt und befestigte<br />
es an einem neuen Ge<strong>de</strong>nkstein<br />
neben <strong>de</strong>r Sihlbrücke. Der rote Findling<br />
wur<strong>de</strong> jedoch <strong>de</strong>m ersten Abt <strong>de</strong>s Klosters<br />
Eberhard (gest. 958) gewidmet. 8<br />
Unmittelbar nach <strong>de</strong>n Feierlichkeiten<br />
bat Linus Birchler, Professor an <strong>de</strong>r ETH<br />
Zürich, in einem Aufruf um finanzielle<br />
Unterstützung. Man wollte die 20 Vorträge<br />
drucken und Zirkulare zur Gründung <strong>de</strong>r<br />
Paracelsus-<strong>Ges</strong>ellschaft versen<strong>de</strong>n. Nur<br />
vier Personen hatten bisher ihre Spen<strong>de</strong>nfreudigkeit<br />
erklärt, und beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r<br />
Schwyzer Ärzteverein, <strong>de</strong>r zu <strong>de</strong>n Mitveranstaltern<br />
gehörte, wur<strong>de</strong> angesprochen.<br />
Er sollte sich für zwei <strong>de</strong>r Schrifttafeln<br />
finanziell verantwortlich fühlen. Birchler:<br />
„Wäre es nun nicht möglich, daß <strong>de</strong>r eine<br />
o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re unserer Mitbürger post festum<br />
doch noch in <strong>de</strong>n Sack langt?“ 9<br />
Aus heutiger Sicht schätzt U. L. Ganten<strong>bei</strong>n<br />
ein, dass die schweizerischen Vertreter<br />
<strong>de</strong>r Festlichkeiten auch die Vorträge <strong>de</strong>r<br />
Feiern in München und Salzburg mit Interesse<br />
zur Kenntnis nahmen, auf <strong>de</strong>nen ein<br />
<strong>de</strong>utsch-nationalistisches Paracelsusbild geprägt<br />
wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>m zwar viele Schweizer<br />
konträr gegenüberstan<strong>de</strong>n, aber doch nicht<br />
alle. 5<br />
Die Feier in Salzburg<br />
Es bietet sich an, die Frage zu stellen,<br />
wie <strong>de</strong>r Jahrestag in Salzburg gefeiert<br />
wur<strong>de</strong>.<br />
Im Festvortrag <strong>de</strong>s Reichsgesundheitsführers<br />
Dr. conti zum Thema „Vorkämpfer<br />
<strong>de</strong>r neuen <strong>de</strong>utschen Heilkun<strong>de</strong>“<br />
wur<strong>de</strong> bereits zu Beginn geklärt, „... daß<br />
die Grundwerte <strong>de</strong>r NS Weltanschauung<br />
auf <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>s Blutes und <strong>de</strong>r Rasse, <strong>de</strong>nen<br />
<strong>de</strong>r Persönlichkeit und <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s<br />
Kampfes bestehen, ohne <strong>de</strong>nen nichts entsteht<br />
und auch nichts erhalten wird auf<br />
dieser Welt. Über aller Weltanschauung<br />
aber steht das Volk. Nur was <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen<br />
Volke nützt, darf maßgebend für<br />
unser Tun und Lassen sein. [...] Darin liegt<br />
im Tiefsten <strong>de</strong>r Schlüssel verborgen,<br />
warum sich das <strong>de</strong>utsche Volk, vertreten<br />
durch Partei, Staat und Wehrmacht, am<br />
Grabe <strong>de</strong>s Theophrast, Paracelsus von Hohenheim<br />
versammelte.“<br />
Gewiss, conti versäumte nicht in wenigen<br />
Sätzen die Biografie darzustellen:<br />
- auf die Zeitereignisse um 493 einzugehen,<br />
- die Familie <strong>de</strong>s Paracelsus in Einsie<strong>de</strong>ln<br />
zu erwähnen und hinzuweisen<br />
auf die Unterweisung <strong>de</strong>s Sohnes<br />
durch <strong>de</strong>n Vater in <strong>de</strong>r freien Natur,<br />
- auf das Studium an <strong>de</strong>r Hohen Schule<br />
zu Ferrara,<br />
- seine Wan<strong>de</strong>rjahre,<br />
- die Erlebnisse in Basel mit Froben und<br />
<strong>de</strong>n Streit mit autoritätsgläubigen Professoren,<br />
- die Geburtsstun<strong>de</strong> einer neuen Heilkun<strong>de</strong>,<br />
- sein Studium zum Buch über die Bergwerkskrankheiten,<br />
- sein Kampf gegen die Pest, die Franzosenkrankheit<br />
und die tatarischen<br />
Krankheiten,<br />
57
58<br />
- Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Bä<strong>de</strong>r, die Rolle <strong>de</strong>s<br />
Giftes,<br />
- seine auf Beobachtung gegrün<strong>de</strong>te Erfahrung<br />
und das Experiment,<br />
- Zitate zu Erbsün<strong>de</strong> und gottgewollter<br />
Ehe und Kin<strong>de</strong>rlosigkeit.<br />
Aber immer betont conti, „... daß<br />
<strong>de</strong>utsches Arzttum an Paracelsus anknüpft.<br />
[…]<br />
Wir wissen, daß Paracelsus von Hohenheim<br />
bewußt Deutscher war. Er hat sein<br />
Deutschtum betont: ‚Nit ein Apostel o<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>rgleichen bin ich, son<strong>de</strong>rn ein Philosoph<br />
nach <strong>de</strong>utscher Art.‘ Grimmig zog er gegen<br />
die Welschen vom Le<strong>de</strong>r und dankte Gott,<br />
daß er ein geborener <strong>de</strong>utscher Mann war.<br />
... ‚Darum aber, daß ich allein bin, daß ich<br />
neu bin, daß ich <strong>de</strong>utsch bin, verachtet<br />
darum meine Schriften nicht.‘“ 20<br />
conti: „Er liebte sein Volk, an das er<br />
glaubte: ‚Es sind in <strong>de</strong>utscher Nation<br />
mächtig und trefflich gelehrte <strong>Ges</strong>ellen<br />
und Männer.‘ Herausgehoben lesen wir im<br />
Manuskript: ‚Europa hat sein Haupt in<br />
Germania, <strong>de</strong>nn Deutschland ist das<br />
Haupt von Europa.‘“<br />
Seherisch und gegenwartsnahe nannte<br />
conti die Worte: „Deutsch war sein Fernweh,<br />
sein Streben nach Weite.“<br />
Und um <strong>de</strong>m Hörer verstehen zu geben,<br />
was man unter <strong>de</strong>utsch zu verstehen hatte,<br />
zitierte conti ausgerechnet Dietrich Eckart<br />
(gest. 923), 92 Hauptschriftleiter <strong>de</strong>r<br />
führen<strong>de</strong>n Zeitung <strong>de</strong>r NSDAP, <strong>de</strong>s Völkischen<br />
Beobachters und überzeugten<br />
Kampfgefährten Hitlers, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r<br />
Schlagzeile „Deutschland erwache!“ in <strong>de</strong>r<br />
Gründungszeit <strong>de</strong>r NSDAP propagandistisch<br />
wirkte: „... <strong>de</strong>r Wille zum Unmöglichen,<br />
zur Vollendung, sein unruhvoller<br />
Geist, sein zähes Bohren hinein ins Bo<strong>de</strong>nlose<br />
aller Dinge, daher sein Eisenschä<strong>de</strong>l,<br />
<strong>de</strong>r so oft <strong>de</strong>s eignen Vorteils spottet.“ 20<br />
Das stimmt inhaltlich mit <strong>de</strong>m Text<br />
einer Porträtkarte <strong>de</strong>s Arztes überein, auf<br />
<strong>de</strong>r die Unterschrift unter <strong>de</strong>m Bild lautet:<br />
„Ich schreib teutsch, ich lehre teutsch – aus<br />
meinem Blut heraus, aus meinem stolz heraus,<br />
daß ich ein Teutscher bin.“ 2<br />
Natürlich erfolgten auf <strong>de</strong>r Salzburger<br />
Tagung auch wissenschaftliche Vorträge zu<br />
Paracelsus’ Leben und Wirken. Forschungsergebnisse<br />
verschie<strong>de</strong>ner Art gab es<br />
genug. Aber <strong>de</strong>r Reichsgesundheitsführer<br />
gab die i<strong>de</strong>ologische Ausrichtung vor.<br />
Zwei Ereignisse können weiterhin als Erfolg<br />
<strong>de</strong>r Konferenz in Salzburg verbucht<br />
wer<strong>de</strong>n:<br />
950: Die Errichtung einer Paracelsus-<br />
Statue im Salzburger Kurpark von Josef<br />
Thorak ( 889– 952, bekannt als „Bildhauer<br />
<strong>de</strong>s Führers“ auf <strong>de</strong>n Kunstausstellungen<br />
in München). Paracelsus sitzend,<br />
nach<strong>de</strong>nklich sinnierend, ein Buch auf<br />
<strong>de</strong>n Knien.<br />
95 : Gründung <strong>de</strong>r Internationalen<br />
Paracelsus-<strong>Ges</strong>ellschaft mit <strong>de</strong>m Sitz in<br />
Salzburg.<br />
Auch in Dres<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 400. To<strong>de</strong>stages<br />
von Paracelsus gedacht. Dr. Rudolf<br />
Dammert schrieb in <strong>de</strong>r Sonntagsausgabe<br />
<strong>de</strong>r Dresdner Nachrichten vom 23. März<br />
94 über: „Paracelsus. Der bahnbrechen<strong>de</strong><br />
Kün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Naturheilkraft.“<br />
Bereits <strong>de</strong>r zweite Abschnitt bereitet auf<br />
eine unterhaltsame biografische Darstellung<br />
vor:<br />
„Paracelsus Theophrastus <strong>Bombastus</strong> –<br />
erschrecken wir nicht, wenn es <strong>bei</strong> diesem<br />
lateinischen Namen so gelehrt ertönt,<br />
fürchten wir nicht, daß wir in eine wissenschaftliche<br />
Abhandlung verwickelt wer<strong>de</strong>n<br />
und die Stirne runzeln müssen, um <strong>de</strong>n<br />
Sinn zu begreifen. Die Größe <strong>de</strong>s Paracelsus<br />
besteht gera<strong>de</strong> darin, daß er die Abstraktion<br />
abschüttelte und ein herzerquicken<strong>de</strong>r<br />
Naturbursche war. Sein Leben ist<br />
eine unterhaltsame <strong>Ges</strong>chichte.“ Und<br />
diese unterhaltsame <strong>Ges</strong>chichte über <strong>de</strong>n<br />
Naturburschen stellte <strong>de</strong>r Autor in <strong>de</strong>n<br />
Abschnitten „Herkunft und Kampfansage“,<br />
„Pirschjagd hinter <strong>de</strong>m Volksglauben“,<br />
„Die wan<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Universität“ und<br />
„Sein unvergängliches Verdienst“ mit<br />
einem <strong>Bombastus</strong>bild und <strong>de</strong>r Reproduk-
tion einer Alchemistenküche um 500<br />
(nach einem Gemäl<strong>de</strong> von David Teniers<br />
d. J.) seinen Lesern dar. 22<br />
So hatte Theophrastus Bombast von<br />
Hohenheim Ehrungen auf verschie<strong>de</strong>nen<br />
Ebenen erfahren, wo<strong>bei</strong> die sachlichsten<br />
Vorträge über <strong>de</strong>n Arzt und Humanisten<br />
wohl doch in Einsie<strong>de</strong>ln erfolgt waren.<br />
Be<strong>de</strong>nken sollte man auch, wie diese<br />
Tage im Spätherbst 94 in das politische<br />
Weltgeschehen eingebettet waren. Vergessen<br />
wir nicht, dass sich in jenen Monaten,<br />
in <strong>de</strong>nen diese Paracelsusfeiern stattfan<strong>de</strong>n,<br />
das unter faschistischer Herrschaft<br />
stehen<strong>de</strong> Deutschland mit <strong>de</strong>r Welt im<br />
Kriegszustand befand.<br />
Kriegsberichte in Schweizer Zeitungen<br />
lesen sich allerdings <strong>de</strong>utlich distanzierter<br />
als die <strong>de</strong>utschen Siegesmeldungen. So<br />
zitierte die Neue Einsiedler Zeitung nach<br />
Berichten zu <strong>de</strong>n Paracelsusfeiern unter<br />
<strong>de</strong>r Rubrik „Neuere und Neueste Meldungen“<br />
vom 03. 0. 94 aus <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong><br />
Hitlers zur Eröffnung <strong>de</strong>s dritten Kriegswinterhilfswerkes,<br />
„... daß es sich im Krieg<br />
gegen die Sowjet-Union um <strong>de</strong>n schwersten<br />
Waffengang aller Zeiten handle“. Die<br />
Redaktion kommentiert, es sei Hitler aber<br />
nicht gelungen, die Angriffsabsichten Stalins<br />
zu begrün<strong>de</strong>n.<br />
Abspann<br />
Im Jahre 993 fan<strong>de</strong>n vielfache Würdigungen<br />
<strong>de</strong>s 500. Geburtstages Bombasts<br />
von Hohenheim statt. Die chronistische<br />
Aufar<strong>bei</strong>tung <strong>de</strong>r Feierlichkeiten, darunter<br />
die in Einsie<strong>de</strong>ln, Salzburg und Dres<strong>de</strong>n,<br />
bleibt <strong>de</strong>r Zukunft vorbehalten.<br />
Dank für Unterstützung<br />
Wir danken beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>n Herren Albert<br />
und Ernst Bingisser, Bernau, Schweiz,<br />
für die freundliche Unterstützung <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r<br />
Beschaffung von Kopien, Unterlagen und<br />
Fotos zur Pflege <strong>de</strong>s Erbes von Paracelsus<br />
in Einsie<strong>de</strong>ln.<br />
Ein weiteres Wort <strong>de</strong>s Dankes gilt auch<br />
Herrn Dr. Urs Leo Ganten<strong>bei</strong>n, Zürich, für<br />
<strong>de</strong>n Schriftwechsel in Vorbereitung dieses<br />
Beitrages.<br />
Fotos und Informationen stellten uns<br />
dankenswerterweise ebenfalls Herr Grätzer,<br />
Leiter <strong>de</strong>s Bezirksarchivs Einsie<strong>de</strong>ln und<br />
Herr Bürgermeister Steinbauer, Bad<br />
Gastein, zur Verfügung.<br />
59
Der Vortrag wur<strong>de</strong> für <strong>de</strong>n Druck bear<strong>bei</strong>tet.<br />
2 Benzenhöfer, Udo: Paracelsus. Rororo 997.<br />
Weitere Paracelsus - Denkmale<br />
- Medaillon an <strong>de</strong>r Sihlbrücke auf einem Stein, nahe<br />
Gasthaus Zur Krone.<br />
- Grabmal in Salzburg, am Salzburger Friedhof<br />
St. Sebastian mit Medaillon von Leo von Moos<br />
( 872 – 943), 94 angebracht.<br />
- Paracelsus-Statue im Salzburger Kurpark von Josef<br />
Thorak ( 889 – 952, als „Bildhauer <strong>de</strong>s Führers“<br />
bekannt), 950 aufgestellt, Paracelsus sitzend,<br />
nach<strong>de</strong>nklich sinnierend, ein Buch auf <strong>de</strong>n Knien.<br />
- Paracelsus-Stele in Bad Gastein, Nikolausfriedhof.<br />
Hier zeigt sich die Ehrung <strong>de</strong>r Persönlichkeit <strong>de</strong>s<br />
berühmten Arztes in beson<strong>de</strong>rer Schönheit und<br />
Aussagekraft. 993 von Dr. Guido Friedl aus Bischofshofen<br />
(* 942) gestaltet. „Der Künstler stellt<br />
Paracelsus als Arzt (die tätigen Hän<strong>de</strong>), Pharmazeut<br />
(<strong>de</strong>r Kolben als Ar<strong>bei</strong>tsgerät <strong>de</strong>r Apotheker<br />
und Ärzte), Philosoph (Kopf) und chemiker dar.<br />
Das Schwert kann für die adlige Herkunft, aber<br />
auch für die Geheimmedizin (wir ergänzen, auch<br />
für sein Kämpfertum! – d. V.) ge<strong>de</strong>utet wer<strong>de</strong>n.<br />
Dass Paracelsus ohne Körper dargestellt ist bzw.<br />
sein Körper nur teilweise umrisshaft erkennbar<br />
wird, nimmt Bezug auf die Sage <strong>de</strong>s Unsichtbaren<br />
und Paracelsus’ Aussage, was bleibt, sei Geist.<br />
Der Kopf ist aus Bronze, das Schwert und Korpus<br />
aus Stahl und das Denkmal steht auf einer Granitplatte<br />
aus Oberösterreich, die folgen<strong>de</strong> Inschrift<br />
trägt:<br />
Theoprastus <strong>Bombastus</strong> von Hohenheim<br />
genannt Paracelsus<br />
493 – 993<br />
ALTERIUS NON SIT QUI SUUS ESSE PO-<br />
TEST“.<br />
(Quelle: Information <strong>de</strong>r Kur- und Nationalparkgemein<strong>de</strong><br />
Bad Gastein an <strong>de</strong>n Autor, 08.03.2006).<br />
- Bad Pfäfers: Bronzerelief von Alois Schärli: Paracelsus<br />
in Bad Pfäffers. Paracelsus auf Wan<strong>de</strong>rschaft.<br />
- Villach: Paracelsus-Holzbüste von Sepp Dopner<br />
(nach Hirschvogel).<br />
- Im Paracelsushof befin<strong>de</strong>n sich zwei Steinmedaillons<br />
für <strong>de</strong>n berühmten Arzt und <strong>de</strong>ssen Vater<br />
Wilhelm von Hohenheim, <strong>de</strong>r 505– 534 Stadtarzt<br />
in Villach war.<br />
- Bremen, Büste <strong>de</strong>s <strong>Bombastus</strong> von Honettem<br />
in <strong>de</strong>r Böttcherstraße von Bernhard Hoetger<br />
( 874 – 949), Bildhauer, Architekt, Graphiker, geschaffen<br />
932.<br />
- Beratshausen, Denkmal <strong>de</strong>s <strong>Bombastus</strong> in Ganzkörperdarstellung<br />
vor <strong>de</strong>m Zehnerstadtl, geschaffen<br />
von Mihai Buculai 995, vermutlich Bronze.<br />
60<br />
ANMERKUNGEN<br />
3 Das aktuelle Wissen, Lexikon Bd. 6, S. 20.<br />
4 Manuskript, Denkmalsgedanken. Ortszeitung,<br />
Blatt ohne Datum. Nachbemerkung: Dr. Netzhammer<br />
wur<strong>de</strong> später Erzbischof und Rektor <strong>de</strong>s<br />
Priesterseminars in Bukarest.<br />
5 Zitat: Neue Einsiedler Zeitung, März 939.<br />
6 Ickert, Günter: Zur <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Deutschen<br />
<strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft. In: Manuskripte-Thesen-<br />
Informationen Nr. 7 (200 ), Herausgeber Deutsche<br />
<strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft e.V. (nachfolgend<br />
MTI genannt).<br />
Siehe auch: In Memoriam Karl Sudhoff. In MTI<br />
Nr. 20 (2003).<br />
7 Zitat aus <strong>de</strong>m Text <strong>de</strong>s Buchumschlages „Das <strong>Ges</strong>tirn<br />
<strong>de</strong>s Paracelsus.“ 37. Auflage ( 937).<br />
8 Schönberg, Karl: Theophrastus Paracelsus, <strong>de</strong>r Reformator<br />
<strong>de</strong>r Heilkun<strong>de</strong>. In: Son<strong>de</strong>r<strong>bei</strong>lage zu Nr.<br />
78 <strong>de</strong>s Einsiedler Anzeigers vom 3. Oktober 94 .<br />
9 Birchler, Linus: Der Magus vom Etzel. In: Einsiedler<br />
Anzeiger, Nr. 77 (82. Jg.), 30.09. 94 .<br />
Siehe auch: Neue Einsiedler Zeitung Nr. 78<br />
(34. Jg.) 03. 0. 94 .<br />
0 Haas, Alois: Paracelsus im Lichte <strong>de</strong>r Wissenschaft.<br />
Das Ergebnis <strong>de</strong>s Paracelsuskongresses in Einsie<strong>de</strong>ln.<br />
In: Beilage <strong>de</strong>r Einsie<strong>de</strong>lner Zeitung (ohne<br />
Datum).<br />
Ganten<strong>bei</strong>n, Urs Leo: Die <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Schweizerischen<br />
Paracelsus-<strong>Ges</strong>ellschaft. In: Salzburger<br />
Beiträge zur Paracelsusforschung 33 ( 999),<br />
S. 84 – 09.<br />
2 Einsiedler Zeitung Nr. 77 (82. Jg.) 30.09. 94 .<br />
3 Lienhardt, Bruno: Wo lag das Geburtshaus <strong>de</strong>s<br />
Paracelsus? In: Son<strong>de</strong>r<strong>bei</strong>lage <strong>de</strong>s Einsiedler Anzeiger<br />
zur Paracelsusfeier, 03. 0. 94 .<br />
Siehe auch:<br />
Bingisser, Albert und Ernst, Bennau, Schweiz.<br />
Schriftwechsel mit <strong>de</strong>m Autor 2003.<br />
Milt, Bernhard: Paracelsus und Zürich. In: Vierteljahresschrift<br />
<strong>de</strong>r Naturforschen<strong>de</strong>n <strong>Ges</strong>ellschaft<br />
Zürich, 94 , S. 32 – 354, hier 34 .<br />
4 Das Foto ist vermutlich die älteste Fotografie <strong>de</strong>r<br />
Teufelsbrücke im Sihltal. Sie stammt vom Ing.<br />
Josef Bettschart (Schwyz) aus <strong>de</strong>m Jahre 894. Das<br />
Motiv wur<strong>de</strong> vom Sihlfluss aus oberhalb <strong>de</strong>r Teufelsbrücke<br />
aufgenommen. Links ist das heute noch<br />
bestehen<strong>de</strong> Bauerngut vor <strong>de</strong>r Brücke zu sehen,<br />
wenn man sich von Einsie<strong>de</strong>ln aus <strong>de</strong>r Brücke nähert.<br />
Außerhalb <strong>de</strong>s Motivs liegt rechts das Gasthaus<br />
Krone.<br />
Eine Würdigung <strong>de</strong>r Fotosammlung besagte 983,<br />
dass die „Ausstellung Bettscharts wie<strong>de</strong>r einmal<br />
jene versunkene Welt in Erinnerung rufen sollte,<br />
<strong>de</strong>r wir heute zu Recht so oft nachtrauern. Jene<br />
schöne Landschaft <strong>de</strong>s Schwyzer Talkessels z. B.
mit ihren Obstgärten, Weilern und Höfen. Das<br />
Dorf mit seiner hohen Lebensqualität! Gewiss,<br />
nicht für alle Menschen war es damals ‚schön‘ auf<br />
dieser Welt, auch in <strong>de</strong>r besterhaltenen Landschaft<br />
nicht. Das soll nicht verkannt wer<strong>de</strong>n! Aber ein<br />
Nach<strong>de</strong>nken, ein Abwägen <strong>de</strong>s im 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />
Gewonnenen mit <strong>de</strong>m dafür Verlorenen dürfte<br />
nieman<strong>de</strong>m scha<strong>de</strong>n.“<br />
Siehe auch: Wiget, Josef: Staatsarchivar, Einleitung<br />
zu einer Bettschart-Ausstellung. Manuskript.<br />
( 983).<br />
5 Ganten<strong>bei</strong>n, Urs Leo: Brief an <strong>de</strong>n Autor,<br />
02.03.2006.<br />
6 Kästner, Ingrid: Paracelsus. Biographien hervorragen<strong>de</strong>r<br />
Naturwissenschaftler, Techniker und Mediziner,<br />
Bd. 82, BSB Teubner Verlagsgesellschaft<br />
985, S. 20.<br />
Siehe auch: Kopie <strong>de</strong>s Flugblattes in: 500 Jahre<br />
Paracelsus. Herausgeber: Amt für Kulturpflege,<br />
Departement <strong>de</strong>s Innern <strong>de</strong>s Kanton St. Gallen,<br />
St. Gallen, S. 52.<br />
7 Bingisser, Ernst-Louis: Handschriftliche Notiz,<br />
Jona 05.07. 989.<br />
Milt, Bernhard: Paracelsus und Zürich, in: Vierteljahresschrift<br />
<strong>de</strong>r Naturforschen<strong>de</strong>n <strong>Ges</strong>ellschaft<br />
Zürich, 94 , S. 32 – 354, hier S. 34 . Autor Leu<br />
schreibt auch, Paracelsus stamme aus <strong>de</strong>m Appenzeller<br />
Land und habe Höhener geheißen.<br />
8 K. H.: Findling – Parazelsus-Denkmal – Eberhards-Denkmal<br />
– Planschbecken“. Manuskript, 3<br />
Seiten, Jahr unbekannt, übermittelt von Fam. Bingisser.<br />
Autor unbekannt: Der Denkstein zu Ehren <strong>de</strong>s<br />
Arztes Theophrastus Paracelsus. Manuskript, 2 Seiten.<br />
9 Birchler, Linus: Aus <strong>de</strong>r Waldstatt, Dank und<br />
Bitte. Einsiedler Anzeiger 0. 0. 94 .<br />
20 conti: Vorkämpfer <strong>de</strong>r neuen <strong>de</strong>utschen Heilkun<strong>de</strong>.<br />
Festre<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>r Paracelsus-Ge<strong>de</strong>nkfeier in<br />
Salzburg. In: Die <strong>Ges</strong>undheitsführung, Ziel und<br />
Weg, Heft ( 94 ), S. 355 – 36 . Alle Zitate erfolgten<br />
ohne Quellenangabe.<br />
Siehe auch Prof. Dr. Diepgen: Was wissen wir von<br />
Paracelsus sicher und was be<strong>de</strong>utet er uns heute?<br />
Mit einem Zitat Alfred Rosenberg aus „Mythos<br />
<strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts. In: Die <strong>Ges</strong>undheitsführung<br />
Heft 9 ( 94 ) S. 287 – 299.<br />
2 Postkarte zu Paracelsus, 94 , Text ohne Quellenangabe.<br />
22 Dres<strong>de</strong>ner Nachrichten, 23. März 94 .<br />
23 Neue Einsiedler Zeitung, 03.04. 94 . Neuere und<br />
Neueste Meldungen.<br />
Die Wehrmachtberichte 939 – 945. Bd. . <strong>Ges</strong>ellschaft<br />
für Literatur und Bildung mbH Köln 989.<br />
Bergschicker, Heinz:<br />
Deutsche chronik 933 – 945. Berlin 985.<br />
Dr. Werner Lauterbach · Hainichener Str. 3 • 09599 Freiberg<br />
Kurzfassung eines Vortrages zur Jahreshauptversammlung <strong>de</strong>r<br />
Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft<br />
am 8. März 2006<br />
6
62<br />
Georgios Papadopoulos<br />
PARAcELSUS UND DIE MODERNE MEDIZIN<br />
Was ich heute vorzutragen vorhabe, hat<br />
mit <strong>de</strong>r Relevanz <strong>de</strong>s paracelsischen<br />
Werkes, <strong>de</strong>r paracelsischen Anschauungen,<br />
in unserer heutigen Welt zu tun. Es hat<br />
also mit Fragen wie <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n zu tun:<br />
Wie könnte man heute vernünftigerweise<br />
über das medizinische (und naturwissenschaftliche)<br />
Werk <strong>de</strong>s Paracelsus <strong>de</strong>nken?<br />
Wie (und inwieweit) könnte man heute<br />
das medizinische (und naturwissenschaftliche)<br />
Werk <strong>de</strong>s Paracelsus verstehen? Welche<br />
Urteile über das medizinische (und naturwissenschaftliche)<br />
Werk <strong>de</strong>s Paracelsus<br />
sind sinnvoll? Das sind Fragen, die immer<br />
wie<strong>de</strong>r auftauchen, entwe<strong>de</strong>r offen ausgedrückt<br />
o<strong>de</strong>r nur in impliziten, verkappten<br />
Formen anwesend.<br />
Ich <strong>de</strong>nke, man versucht noch heute<br />
allzu oft und allzu sehr, Paracelsus im<br />
Lichte <strong>de</strong>r heutigen Medizin (bzw. Naturwissenschaft)<br />
zu verstehen und zu beurteilen.<br />
Man spricht oft so, als ob das Verdienst<br />
(und die Wichtigkeit) <strong>de</strong>s Paracelsus<br />
zu einem großen Umfang o<strong>de</strong>r fast ausschließlich<br />
darin bestün<strong>de</strong>, dass er Erkenntnisse,<br />
Anschauungen bzw. Techniken<br />
<strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Medizin „eingeleitet“, „vorbereitet“<br />
bzw. vorausgeahnt hat. Man<br />
weist immer wie<strong>de</strong>r auf die eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />
Einzelheit <strong>de</strong>s paracelsischen Denkgebäu<strong>de</strong>s<br />
und <strong>de</strong>r paracelsischen (Anleitungen<br />
zur) praktischen Tätigkeit hin, die angeblich<br />
(mehr o<strong>de</strong>r weniger enge, mehr o<strong>de</strong>r<br />
weniger entfernte) Ähnlichkeiten zu gewissen<br />
„Bestandteilen“ <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Medizin<br />
aufweist. Die Behauptungen und die<br />
dazugehörigen Argumentationen sind fast<br />
immer ziemlich zweifelhaft und nur wenig<br />
überzeugend. Ähnliches gilt, wenn man zu<br />
untersuchen und zu beurteilen versucht, in<br />
welchem Gra<strong>de</strong> eine bestimmte I<strong>de</strong>e o<strong>de</strong>r<br />
eine bestimmte Technik <strong>de</strong>s Paracelsus die<br />
seitherige Entwicklung <strong>de</strong>r Medizin beeinflusst<br />
hat bzw. in welchem Gra<strong>de</strong> eine neuere<br />
Theorie o<strong>de</strong>r eine Technik, welche im<br />
Rahmen <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Medizin für wich-<br />
tig gehalten wird, etwa durch eine mehr<br />
o<strong>de</strong>r weniger lineare Entwicklung einer paracelsischen<br />
I<strong>de</strong>e o<strong>de</strong>r Technik entstan<strong>de</strong>n<br />
ist. Ein Beispiel: Die (alchemische) Bear<strong>bei</strong>tung<br />
von pharmazeutischen Substanzen<br />
<strong>bei</strong> Paracelsus zur Herstellung von<br />
Medikamenten sei, so wird oft behauptet,<br />
eine frühe Form <strong>de</strong>r (und führte schließlich<br />
zur) mo<strong>de</strong>rnen (labormäßigen, chemischen<br />
bzw. industriellen) Arzneimittelproduktion.<br />
Nun ist es heute ziemlich<br />
wohlbekannt, dass solche Bear<strong>bei</strong>tung von<br />
Substanzen (schon recht) vor Paracelsus<br />
angefangen hatte und zur Zeit <strong>de</strong>s Paracelsus<br />
auch von Leuten betrieben wur<strong>de</strong>, welche<br />
keine richtige Beziehung zur paracelsischen<br />
Medizin und zu <strong>de</strong>n paracelsischen<br />
Anschauungen hatten – o<strong>de</strong>r sogar<br />
Paracelsus gegenüber feindlich stan<strong>de</strong>n. 2<br />
Aber abgesehen davon ist es sehr fraglich,<br />
ob man im Bezug auf Sinn, Zweck, Vorgehensweise,<br />
theoretische Voraussetzungen<br />
usw. irgen<strong>de</strong>ine Gemeinsamkeiten zwischen<br />
<strong>de</strong>r paracelsischen und <strong>de</strong>r heutigen<br />
Arzneimittelherstellung feststellen darf.<br />
Und falls Paracelsus auf die I<strong>de</strong>e gekommen<br />
wäre, eine Voraussage darüber zu machen,<br />
wie er sich die weitere Entwicklung<br />
seiner Arzneimittel vorstellte (bzw.<br />
wünschte), ist es, meine ich, höchst unwahrscheinlich,<br />
dass er etwas wie die heutige<br />
Situation <strong>de</strong>r Arzneimittelherstellung<br />
und Arzneimittelgebrauch als eine „normale“,<br />
zu erwarten<strong>de</strong>, bzw. wünschenswerte<br />
Entwicklung seiner I<strong>de</strong>en und seiner<br />
Praktiken betrachtet hätte.<br />
Die Suche nach Ähnlichkeiten, Parallelitäten<br />
bzw. Nachkommenbeziehungen zwischen<br />
einzelnen Aspekten <strong>de</strong>r paracelsischen<br />
und <strong>de</strong>r heutigen Medizin kann<br />
je<strong>de</strong>s Mal zu weitläufigen Erforschungen,<br />
Diskussionen und Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen<br />
führen, wo<strong>bei</strong> aber keineswegs damit zu<br />
rechnen ist, dass man, in je<strong>de</strong>m bestimmten<br />
Falle, zu einem akzeptablen Schluss irgendwann<br />
gelangen könnte. Wenn es aber da-
auf kommt, die paracelsische Medizin als<br />
Ganzes mit <strong>de</strong>r heutigen, mo<strong>de</strong>rnen Medizin<br />
zu vergleichen, dann wür<strong>de</strong> ich ohne<br />
je<strong>de</strong>n Vorbehalt behaupten, man könnte<br />
in <strong>de</strong>r ganzen <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Medizin<br />
kaum zwei medizinische Systeme fin<strong>de</strong>n,<br />
die so weit voneinan<strong>de</strong>r entfernt und in<br />
solchem Grad miteinan<strong>de</strong>r unvereinbar<br />
wären wie das paracelsische auf <strong>de</strong>r einen<br />
Seite und das System <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Medizin<br />
auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite. Die verfügbare<br />
Zeit erlaubt mir nicht, <strong>bei</strong> diesem Thema<br />
länger zu verweilen. Ich wollte im Moment<br />
nur auf dieses eine hinweisen. Im<br />
Zentrum <strong>de</strong>r paracelsischen Medizin stehen,<br />
in ganz entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Rollen, geistige<br />
Wesenheiten (Entitäten) und Kräfte,<br />
welche „die er<strong>de</strong>n, blut und fleisch nit wissen“,<br />
wie er es ausdrückt. 3 Im schroffen Gegensatz<br />
dazu konzentriert sich die mo<strong>de</strong>rne<br />
Medizin ganz und gar auf materielle<br />
Dinge bzw. Gegebenheiten, die sie mit<br />
technischen Mitteln zu erfassen, zu messen<br />
und zu bear<strong>bei</strong>ten versucht.<br />
Die Tatsache, dass die heutige Medizin<br />
so weit entfernt von <strong>de</strong>r paracelsischen<br />
und so unvereinbar mit ihr ist, hat zwangsläufig<br />
zur Folge, dass man, soweit man die<br />
mo<strong>de</strong>rne Medizin als Ausgangspunkt<br />
nimmt, sich genötigt fühlt, das meiste von<br />
<strong>de</strong>r paracelsischen Medizin als grundfalsch,<br />
als Irrlehren, als Irrpraktiken zu verwerfen.<br />
Das ist übrigens eine Einstellung,<br />
die für sehr viele Leute (Mediziner, Wissenschaftler,<br />
Historiker usw.) und für eine<br />
lange Zeit (seit <strong>de</strong>m 6. bzw. 7. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />
bis heute) ziemlich charakteristisch ist.<br />
Nach <strong>de</strong>m schon <strong>Ges</strong>agten wür<strong>de</strong> man<br />
wahrscheinlich erwarten, dass ich etwas darüber<br />
zu sagen habe, wie man sich, meiner<br />
Meinung nach, in an<strong>de</strong>rer Weise <strong>de</strong>m<br />
Werk und <strong>de</strong>n Anschauungen <strong>de</strong>s Paracelsus<br />
annähern könnte (bzw. sollte). Solch<br />
eine an<strong>de</strong>re Annäherung und eine Begründung<br />
dafür wer<strong>de</strong> ich tatsächlich in zweierlei<br />
Weise zu erläutern versuchen.<br />
Erstens. Meiner Meinung nach können<br />
die medizinischen (o<strong>de</strong>r philosophischen<br />
usw.) Anschauungen einer historischen<br />
Persönlichkeit einen Wert an sich haben,<br />
unabhängig davon, ob sie einen größeren<br />
o<strong>de</strong>r kleineren Einfluss auf die nachfolgen<strong>de</strong>n<br />
hatten, ob, o<strong>de</strong>r in welchem<br />
Gra<strong>de</strong>, o<strong>de</strong>r für wie lange Zeit sie sich<br />
durchsetzen konnten.<br />
Wenn ich eine Analogie benutzen darf,<br />
hat die Architektur <strong>de</strong>s Brunelleschi o<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>r Meister <strong>de</strong>s Barock einen Wert an sich<br />
(und sollte auch an sich studiert wer<strong>de</strong>n),<br />
unabhängig vom Einfluss, <strong>de</strong>n sie auf die<br />
nächsten Generationen hatten, unabhängig<br />
davon, dass wir heute ganz an<strong>de</strong>rs<br />
bauen. Und die Philosophie von Plato<br />
und Aristoteles (ich beziehe mich hier beson<strong>de</strong>rs<br />
auf ihre Philosophie <strong>de</strong>r Natur)<br />
hat einen Wert an sich, unabhängig davon,<br />
dass wir heute ganz an<strong>de</strong>rs über die Natur<br />
<strong>de</strong>nken – auch unabhängig davon, dass<br />
ihre Philosophie <strong>de</strong>r Natur, insbeson<strong>de</strong>re<br />
diejenige von Aristoteles, über viele Jahrhun<strong>de</strong>rte<br />
die Gelehrten ganz stark beeinflusst<br />
hat. Dieser „Wert an sich“ könnte<br />
etwas damit zu tun haben, wie die „innere<br />
Struktur“, <strong>de</strong>r „Zusammenhang“, die „Genialität“<br />
usw. dieser Anschauungen war –<br />
auch mit <strong>de</strong>r Faszination, die sie noch<br />
heute auf uns ausüben, mit <strong>de</strong>m, was uns<br />
bewegt, sie noch heute zu bewun<strong>de</strong>rn. Er<br />
hat auch etwas mit <strong>de</strong>r „Leistungsfähigkeit“<br />
dieser Anschauungen zu tun, wie<br />
diese Anschauungen die Phänomene <strong>de</strong>r<br />
Natur zu erklären vermochten, wenn auch<br />
in ganz an<strong>de</strong>ren Weise, als wir es heute<br />
tun.<br />
In Bezug auf Paracelsus gilt es also, nach<br />
<strong>de</strong>m „Wert an sich“ <strong>de</strong>s (medizinischen<br />
usw.) paracelsischen Werkes zu suchen.<br />
Zweitens. Im Anschluss an die grundlegen<strong>de</strong>n<br />
Ar<strong>bei</strong>ten von Thomas Kuhn (und<br />
die vorangegangenen von Ludwig Fleck) 4<br />
und im Rahmen einer Überwindung bzw.<br />
Relativierung <strong>de</strong>r Herrschaft von positivistischen<br />
Anschauungen in <strong>de</strong>r Wissen-<br />
63
schaftstheorie und <strong>de</strong>r Philosophie <strong>de</strong>r<br />
Wissenschaften spricht man heute von Paradigmen<br />
in <strong>de</strong>n Wissenschaften. Ein Paradigma<br />
im Sinne Kuhns ist die allgemeine<br />
Art und Weise, wie die Wissenschaftler<br />
(einer bestimmten Epoche bzw. einer bestimmter<br />
„Schule“ usw.) die Welt bzw. das<br />
Objekt ihrer Wissenschaft „sehen“ – was<br />
sie darin beson<strong>de</strong>rs beachten, was sie für<br />
wichtig halten, wie sie das Beobachtete zu<br />
erklären versuchen usw. Der Begriff <strong>de</strong>r Paradigmen<br />
hat also damit zu tun, dass eine<br />
wissenschaftliche Theorie nicht bloß aufgrund<br />
von Beobachtungen und Experimenten<br />
(in einer direkten und unkomplizierten<br />
Weise) aufgebaut wer<strong>de</strong>n kann –<br />
wie eine empiristische bzw. positivistische<br />
I<strong>de</strong>ologie behaupten wür<strong>de</strong> – son<strong>de</strong>rn dass<br />
da<strong>bei</strong> sozusagen „vorgefasste“ „Einstellungen“,<br />
„Grundanschauungen“ bzw.<br />
„Philosophien“ eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rolle<br />
spielen.<br />
In <strong>de</strong>r Astronomie ist das keplersche<br />
(bzw. das kopernikanische) Paradigma ein<br />
an<strong>de</strong>res als das ptolemäische. In <strong>de</strong>r Physik<br />
ist das Paradigma <strong>de</strong>r Quantentheorie<br />
(bzw. dasjenige <strong>de</strong>r Relativitätstheorie) an<strong>de</strong>rs<br />
als dasjenige <strong>de</strong>r newtonschen Physik.<br />
In diesem Sinne könnte man sagen, das<br />
paracelsische Paradigma ist etwas ganz an<strong>de</strong>res<br />
als das Paradigma <strong>de</strong>r heutigen Medizin<br />
(bzw. <strong>de</strong>r heutigen Naturwissenschaft).<br />
Da<strong>bei</strong> ist ganz wichtig, dass es im Sinne<br />
dieser „Paradigmenlehre“ überaus schwierig<br />
o<strong>de</strong>r sogar unmöglich ist, zwei verschie<strong>de</strong>ne<br />
Paradigmen (welche das gleiche „Gebiet“<br />
bzw. <strong>de</strong>n gleichen „Wissensraum“ betreffen)<br />
in einer objektiven Weise zu<br />
vergleichen – bzw. allgemeingültige Urteile<br />
über <strong>de</strong>ren relative Richtigkeit, <strong>de</strong>ren relative<br />
Vollständigkeit, <strong>de</strong>ren relativen Wert<br />
zu fällen. Denn welcher solch ein Urteil<br />
fällen möchte, „lebt“ ja und macht seine<br />
Untersuchungen innerhalb eines bestimmten<br />
Paradigmas. Wenn man so etwas berücksichtigt,<br />
wenn man irgendwie ahnt,<br />
dass <strong>de</strong>r Wissenschaftsbetrieb tatsächlich<br />
64<br />
in einer solchen Art funktioniert, dann<br />
wird das Recht <strong>de</strong>r heutigen Medizin bzw.<br />
Naturwissenschaft, über die Wissenschaft<br />
vergangener Zeiten, u. a. über die paracelsische<br />
Medizin und Naturwissenschaft, in<br />
einer absoluten Weise zu urteilen, stark relativiert.<br />
Wenn so etwas allgemein von Paradigmen<br />
gilt, kommt im Falle <strong>de</strong>s „paracelsischen<br />
Paradigmas“ noch etwas Beson<strong>de</strong>res<br />
hinzu. Die paracelsische Medizin<br />
und Naturphilosophie behauptet ja, dass<br />
sie imstan<strong>de</strong> ist, Erkenntnisse zu gewinnen,<br />
welche außerhalb <strong>de</strong>r Reichweite <strong>de</strong>r<br />
(gewöhnlichen) Sinne bzw. <strong>de</strong>r (gewöhnlichen)<br />
Vernunft liegen. Das ist ein konstitutives<br />
Element <strong>de</strong>s „paracelsischen Paradigmas“<br />
und wird in <strong>de</strong>n paracelsischen<br />
Texten mit Hinweisen auf das „Licht <strong>de</strong>r<br />
Natur“, auf „Magie“ usw. beschrieben.<br />
Solche Paradigmen sind nicht ungewöhnlich<br />
in <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r westlichen Philosophie<br />
(bzw. Wissenschaft). So ist <strong>bei</strong><br />
Plato in seinem bekannten Höhlengleichnis<br />
die Art, wie die Leute, welche in <strong>de</strong>r<br />
Höhle gefesselt bleiben, die Welt sehen,<br />
grundsätzlich verschie<strong>de</strong>n, verglichen mit<br />
<strong>de</strong>njenigen, die ins Freie gelangt sind.<br />
Denn die letzten haben eine viel höhere<br />
Ebene von Erkenntnis erreicht. In <strong>de</strong>r Tat<br />
sind solche Paradigmen, wie paracelsische<br />
Medizin und Naturphilosophie, in einem<br />
verstärkten, ja in einem ungemein starken<br />
Grad unvergleichbar mit solchen, welche,<br />
wie die heutige positivistische Medizin, in<br />
einer konstitutiven und klar ausgedrückten<br />
Weise die Sinnesdaten und die damit verbun<strong>de</strong>nen<br />
Instrumentenmessungen zu<br />
ihrer Grundlage erhoben haben.<br />
Was be<strong>de</strong>utet das alles für unsere Bemühungen,<br />
uns <strong>de</strong>m Werk <strong>de</strong>s Paracelsus in<br />
einer angemessenen, befriedigen<strong>de</strong>n Weise<br />
anzunähern, das Werk <strong>de</strong>s Paracelsus möglichst<br />
richtig zu verstehen? Ganz knapp<br />
ausgedrückt, sollten wir, wür<strong>de</strong> ich sagen,<br />
die paracelsische Medizin nicht etwa als<br />
Vorläuferin bzw. Vorbereiterin <strong>de</strong>r heutigen<br />
Medizin zu verstehen versuchen,
son<strong>de</strong>rn eben als etwas von ihr ganz Verschie<strong>de</strong>nes,<br />
etwas mit ihr ganz Unvereinbares.<br />
In <strong>de</strong>r Tat scheint mir, dass das,<br />
was die Beschäftigung mit <strong>de</strong>r paracelsischen<br />
Medizin so interessant und lohnend<br />
macht, eben ist, dass sie so verschie<strong>de</strong>n,<br />
so weit entfernt von <strong>de</strong>r heutigen Medizin<br />
ist.<br />
Von einem etwas an<strong>de</strong>ren Blickpunkt<br />
aus: Was ist eigentlich das, was Paracelsus<br />
noch heute für einige (wenn auch vielleicht<br />
wenige) Leute so attraktiv, reizend<br />
o<strong>de</strong>r bewun<strong>de</strong>rnswert macht? Meiner Meinung<br />
nach ist es gera<strong>de</strong> das, dass er uns in<br />
seinem Werk ein Bild vom Menschen, von<br />
So in Lehrbüchern und an<strong>de</strong>ren Werken <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>chichte<br />
<strong>de</strong>r Medizin, z. B.: Paul Diepgen, <strong>Ges</strong>chichte<br />
<strong>de</strong>r Medizin, I. Band, Berlin: Walter <strong>de</strong><br />
Gruyter, 949, S. 254 – 26 ; Erwin Ackerknecht,<br />
Kurze <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Medizin, Stuttgart: F. Enke,<br />
959, S. 84 – 87; Heinz Schott (Hrsg.), Meilensteine<br />
<strong>de</strong>r Medizin, Dortmund: Harenberg Verl.,<br />
996, S. 80 – 86 und 99 – 206; Robert Jütte<br />
(Hrsg.), Paracelsus – im Lichte <strong>de</strong>r Natur, Hei<strong>de</strong>lberg:<br />
Karl F. Haug, 994, S. 85 – 23.<br />
2 Siehe z. B.: R. P. Multhauf, The Origins of chemistry,<br />
London: Oldbourne, 966; <strong>de</strong>rs.: Medical<br />
chemistry and „the Paracelsians“. Bull. Hist. Med.,<br />
XXVIII ( 954) 0 – 26; Walter Pagel, Paracelsus:<br />
An Introduction to Philosophical Medicine in<br />
the Era of the Renaissance, 2. rev. Auflage, Karger,<br />
ANMERKUNGEN<br />
Prof. Dr. med. Georgios Papadopoulos<br />
Klissouras 9 · GR - 5452 Psychiko / Athen<br />
seinen Beziehungen zur Umwelt, von seiner<br />
<strong>Ges</strong>undheit und Krankheit anbietet,<br />
das ganz an<strong>de</strong>rs als das Bild aussieht,<br />
welches die heutige Medizin, die heutige<br />
Wissenschaft uns vorhält. Und eine rechte<br />
Verehrung <strong>de</strong>s Paracelsus geht meiner Meinung<br />
nach Hand in Hand mit einer festen<br />
Überzeugung, dass, so wichtig und großartig<br />
die Erkenntnisse (und Leistungen) <strong>de</strong>r<br />
mo<strong>de</strong>rnen Medizin (und Wissenschaft)<br />
sein mögen, sie uns doch nur partielle,<br />
einseitige Aspekte <strong>de</strong>r Wirklichkeit gewähren<br />
– während Paracelsus uns weitere (und<br />
be<strong>de</strong>utsame) Aspekte dieser Wirklichkeit<br />
offenbart.<br />
982; Allen G. Debus, Guintherius, Libavius and<br />
Sennert: The chemical compromise in Early Mo<strong>de</strong>rn<br />
Medicine. In: Science, Medicine and Society<br />
in the Renaissance (hrsg. von A.G. Debus) Heinemann,<br />
972, S. 5 – 65.<br />
3 Labyrinthus medicorum errantium (Sudhoff’sche<br />
Ausgabe, I. Abt., . Bd., S. 72).<br />
4 Das Hauptwerk von Thomas Kuhn ist: The Structure<br />
of Scientific Revolutions, chicago 962; <strong>de</strong>utsche<br />
Übersetzung (von K. Simon): Die Struktur<br />
wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt a.<br />
M., 973. Dasjenige von Ludwig Fleck: Entstehung<br />
und Entwicklung einer wissenschaftlichen<br />
Tatsache, Benno Schwabe & co., 935 (neue Ausgabe:<br />
Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 980).<br />
65
Olaf Rippe, Margret Ma<strong>de</strong>jsky:<br />
Die Kräuterkun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Paracelsus<br />
AT Verlag<br />
cH-540 Ba<strong>de</strong>n und München<br />
2006, 463 Seiten<br />
ISBN 3-03800-3 3-<br />
Die Autoren sind Heilpraktiker in eigener<br />
Praxis. Sie gaben 200 im AT Verlag<br />
das Buch „Paracelsusmedizin“ heraus und<br />
haben mit diesen <strong>bei</strong><strong>de</strong>n nun vorliegen<strong>de</strong>n<br />
Bän<strong>de</strong>n eine außeror<strong>de</strong>ntlich umfangreiche<br />
Darstellung <strong>de</strong>r paracelsischen Medizin<br />
zusammengetragen. Die „Kräuterkun<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>s Paracelsus“ ist die logische Fortsetzung<br />
<strong>de</strong>r „Paracelsusmedizin“. In<br />
verständlicher Sprache wird das umfangreiche<br />
Thema – Signaturenlehre, Astrologie,<br />
Alchimie, Spagyrik und Magie – anschaulich<br />
behan<strong>de</strong>lt. Die Autoren stellen<br />
das Thema in <strong>de</strong>n historischen Zusammenhang<br />
sowie in <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r paracelsischen<br />
Naturphilosophie. Die vielen besprochenen<br />
Heilpflanzen, Therapien und Rezepturen<br />
reichen von Infektionen und<br />
Hautlei<strong>de</strong>n über Gewürze und Heilkräuter<br />
für Magen und Darm, Stoffwechselkrankheiten<br />
und Ausleitungstherapien, Frauenheilkun<strong>de</strong>,<br />
Herzerkrankungen und Lebenselixieren<br />
bis zur Psychoregulation. Mit <strong>de</strong>r<br />
„Paracelsusmedizin“ und <strong>de</strong>r „Kräuterkun<strong>de</strong>“<br />
wird das medizinische Wissen <strong>de</strong>s<br />
Paracelsus einer breiten Leserschaft vorgestellt,<br />
praktikabel für <strong>de</strong>n interessierten<br />
Laien sowie gewiss auch Neues bietend für<br />
66<br />
Günter Ickert<br />
EMPFEHLUNG<br />
<strong>de</strong>n erfahrenen Heiler. Es ist zweifellos das<br />
hervorragen<strong>de</strong> Verdienst <strong>de</strong>r Autoren, gezeigt<br />
zu haben, dass das fundierte Wissen<br />
<strong>de</strong>s Arztes Paracelsus auch nach 500 Jahren<br />
keinesfalls veraltet ist; im Gegenteil:<br />
Der Hohenheimer verlangte: „Das soll <strong>de</strong>r<br />
Arzt wissen, dass die Natur auch ein Arzt,<br />
eine Apotheke und Arznei ist“ (Sudhoff,<br />
IV/523) – und diesen „Arzt“ samt „Apotheke“<br />
und „Arznei“ gibt es noch heute!<br />
Mit einer gewissen Genugtuung wird man<br />
<strong>de</strong>r „Kräuterkun<strong>de</strong>“ auch entnehmen, dass<br />
z. B. Sal<strong>bei</strong>, Mistel o<strong>de</strong>r Johanniskraut<br />
nicht nur gegenwärtigen wissenschaftlichen<br />
Studien standhalten, son<strong>de</strong>rn z. T. schulmedizinischen<br />
Vergleichspräparaten gleichwertig<br />
o<strong>de</strong>r überlegen waren (Johanniskraut,<br />
S. 387 o.). Ferner wird immer wie<strong>de</strong>r<br />
darauf hingewiesen, dass die gesamte<br />
Pflanze oft wirkungsvoller ist als <strong>de</strong>r isolierte<br />
Wirkstoff. Paracelsus formuliert das<br />
so: „Wer hat das Rezept <strong>de</strong>r Natur komponiert?<br />
Hat das nicht Gott getan? Warum sollte<br />
ich seine Komposition verachten?“ (Sudhoff,<br />
XI/ 37), und: „Die Natur ist <strong>de</strong>r Arzt, nicht<br />
du; sie setzt zusammen, nicht du; schau, dass<br />
du lernst, wo ihre Apotheken seien, wo ihre Tugen<strong>de</strong>n<br />
geschrieben stehen“ (Sudhoff, VIII/85).
AUS DER ARBEIT DER GESELLScHAFT<br />
Beson<strong>de</strong>re Lernleistung erfolgreich abgeschlossen<br />
Im Auftrag <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<br />
<strong>Ges</strong>ellschaft betreute Herr Dr. Liebscher<br />
im Zeitraum Januar 2006 bis Juni 2007 die<br />
Beson<strong>de</strong>re Lernleistung von Jane Wottawa<br />
vom Kreisgymnasium Freital.<br />
Die Abiturientin führte in <strong>de</strong>r Bombas-<br />
tus-Werke AG, einem vorrangig auf Phytopharmaka<br />
orientierten Unternehmen in<br />
Freital, „Untersuchungen zur Nachweisbarkeit<br />
von Methyleugenol in ätherischen<br />
Ölen“ durch. Da<strong>bei</strong> konnte sie <strong>de</strong>n ökonomisch<br />
wichtigen Nachweis erbringen, dass<br />
mittels <strong>de</strong>r vorhan<strong>de</strong>nen Analysegeräte<br />
dieses pharmazeutischen Unternehmens<br />
die Einhaltung <strong>de</strong>s vom <strong>Ges</strong>etzgeber gefor<strong>de</strong>rten<br />
Grenzwertes von Methyleugenol<br />
zuverlässig nachgewiesen wer<strong>de</strong>n kann.<br />
Nach<strong>de</strong>m Jane Wottawa En<strong>de</strong> Januar<br />
2007 die Dokumentation zu ihrer Beson<strong>de</strong>ren<br />
Lernleistung fristgerecht eingereicht<br />
hatte und die Gutachten vorlagen, fand<br />
am 5. Juni 2007 das öffentliche Kolloquium<br />
zur Verteidigung <strong>de</strong>r Ar<strong>bei</strong>t statt.<br />
Die Ar<strong>bei</strong>t wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n betreuen<strong>de</strong>n<br />
Lehrern mit <strong>de</strong>r Note bewertet, was zugleich<br />
Ausdruck <strong>de</strong>r erfolgreichen Ar<strong>bei</strong>t<br />
im Auftrag <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft<br />
ist.<br />
Seit 200 wur<strong>de</strong> damit sechs Abiturientinnen<br />
und Abiturienten die Möglichkeit<br />
gegeben, wichtige Erfahrungen <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r Anfertigung<br />
einer wissenschaftlichen Ar<strong>bei</strong>t<br />
zu sammeln. Gleichzeitig erfolgte eine intensive<br />
Beschäftigung auf <strong>de</strong>m Gebiet natürlicher<br />
Arzneimittel. Bei<strong>de</strong>s unterstützt<br />
unmittelbar das zentrale Anliegen <strong>de</strong>r<br />
Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft, Person<br />
und Werk Hohenheims einer breiteren Öffentlichkeit<br />
bekannt zu machen.<br />
Interessenten können die Ar<strong>bei</strong>ten über<br />
die <strong>Ges</strong>chäftsstelle zur Ansicht erhalten.<br />
Reisebericht <strong>de</strong>r JugendBildungsreise<br />
<strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong><strong>Ges</strong>ellschaft<br />
von Christoph und Luisa Liebscher<br />
Als wir das Programm <strong>de</strong>r Jugend-Bildungsreise<br />
<strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft<br />
bekamen, freuten wir uns einerseits,<br />
endlich einmal die Walhalla besuchen<br />
zu können, und an<strong>de</strong>rerseits, einen Einblick<br />
in uns bislang eher unbekannte historische<br />
Zeiten zu bekommen. Denn nach kurzem<br />
Überlegen war uns klar gewor<strong>de</strong>n, dass wir<br />
von <strong>de</strong>r Walhalla und <strong>de</strong>r heiligen Elisabeth,<br />
aber auch von <strong>Bombastus</strong> nicht viel<br />
wussten. Im Internet besorgten wir uns zunächst<br />
einmal einen Überblick, sprachen<br />
auch mit unseren Eltern, aber die direkte<br />
Begegnung ist wohl doch etwas an<strong>de</strong>res<br />
und so gingen wir mit großer Spannung<br />
auf die Fahrt. Als wir dann am Sonntag<br />
schließlich vor <strong>de</strong>m monumentalen Bauwerk<br />
<strong>de</strong>r Walhalla stan<strong>de</strong>n, waren wir<br />
überwältigt von <strong>de</strong>r Gewaltigkeit <strong>de</strong>s Tempels.<br />
Doch dies war schon <strong>de</strong>r letzte Tag.<br />
Deshalb von vorn:<br />
Die Anreise am ersten Tag ging problemlos<br />
vonstatten. Im Bus herrschte erwartungsvolle<br />
Stimmung und uns empfing<br />
die beeindrucken<strong>de</strong> Felsenlandschaft von<br />
Pottenstein.<br />
Nach <strong>de</strong>m Frühstück am Samstag besichtigten<br />
wir die Burg und im Zehnthaus<br />
die Son<strong>de</strong>rausstellung mit <strong>de</strong>m Thema<br />
„Krone, Brot und Rosen. 800 Jahre Elisabeth<br />
von Thüringen ( 207– 23 )“. Ein<br />
Vortrag zu dieser bemerkenswerten Persönlichkeit<br />
run<strong>de</strong>te <strong>de</strong>n Rundgang ab.<br />
Nach <strong>de</strong>r Besichtigung fuhren wir nach<br />
Beratzhausen und erhielten eine sehr informative<br />
Führung durch die Stadt. Auch<br />
wenn man sich nicht alle dargebotenen<br />
Fakten merken konnte, ergab sich doch<br />
eine lebendige Vorstellung <strong>de</strong>r damaligen<br />
Zeit und es war schon spannend, die Paracelsusstraße<br />
entlang zum Zehnthaus mit<br />
<strong>de</strong>r Statue von Paracelsus und Richtung<br />
Gasthaus zu gehen, einen Weg also, <strong>de</strong>n<br />
67
Paracelsus-Denkmal in Beratzhausen, eingeweiht<br />
995<br />
auch Paracelsus gegangen sein könnte.<br />
Beson<strong>de</strong>res Glück hatten wir wenig<br />
später, <strong>de</strong>nn es war uns möglich, sowohl<br />
die Kirche als auch das Ge<strong>bei</strong>nhaus von<br />
Beratzhausen anzusehen, für Letzteres<br />
brauchte man natürlich etwas stärkere<br />
Nerven.<br />
Zwar haben wir schon seit vielen Jahren<br />
immer wie<strong>de</strong>r von <strong>Bombastus</strong> gehört, doch<br />
im Grun<strong>de</strong> wussten wir bis zu diesem Zeitpunkt<br />
wenig Genaues über ihn. Durch <strong>de</strong>n<br />
Rundgang und <strong>de</strong>n anschließen<strong>de</strong>n Vortrag<br />
wur<strong>de</strong> uns ein Überblick von ihm gegeben,<br />
worüber wir sehr froh sind.<br />
Wir sprachen am Abend noch einmal<br />
über die Erlebnisse <strong>de</strong>s Tages und Fragen<br />
wur<strong>de</strong>n von Herrn Ickert und Herrn Vogt<br />
sachkundig beantwortet.<br />
Am letzten Tag war es dann soweit, es<br />
68<br />
ging zur Walhalla. Endlich waren wir hier<br />
und stan<strong>de</strong>n im Schatten <strong>de</strong>s gigantischen<br />
Bauwerks. Wir besichtigten <strong>de</strong>n Tempel<br />
von außen und von innen und waren<br />
überwältigt von <strong>de</strong>r Größe. Erklären<strong>de</strong><br />
Worte wur<strong>de</strong>n von Herrn Ickert <strong>bei</strong>gefügt.<br />
Uns wur<strong>de</strong> bewusst, wie wichtig be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong><br />
Persönlichkeiten für die <strong>Ges</strong>chichte<br />
unseres Volkes sind und wie eindrucksvoll<br />
es sein kann, sich mit dieser <strong>Ges</strong>chichte<br />
näher zu befassen.<br />
Walhalla, Ruhmes- und Ehrenhalle in Donau-<br />
stauf <strong>bei</strong> Regensburg, erbaut 830 – 842<br />
Das Fazit <strong>de</strong>r Bildungsreise ist, dass wir<br />
uns sehr viel von <strong>de</strong>n Führungen und Informationen<br />
mitnehmen konnten. Außer<strong>de</strong>m<br />
gab es auch untereinan<strong>de</strong>r viel zu lachen.<br />
Und so sind wir froh, da<strong>bei</strong> gewesen<br />
zu sein, und für die nächste Reise mel<strong>de</strong>n<br />
wir uns bestimmt wie<strong>de</strong>r an. Beson<strong>de</strong>rs<br />
möchten wir uns auch dafür bedanken,<br />
dass wir als Schüler nur 49 Euro bezahlen<br />
mussten und die DBG <strong>de</strong>n größeren Teil<br />
<strong>de</strong>r Fahrtkosten übernommen hat.